Berlin, Chausseestraße 111

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Berlin, ChausseestraĂ&#x;e 111 Willkommen bei der Leibniz-Gemeinschaft


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Impressum Zweite, überarbeite und aktualisierte Auflage des 2011 unter dem Titel „Die Zentrale der Dezentralen“ erschienenen Sonderheftes des Leibniz-Journals. Herausgeber: Leibniz-Gemeinschaft Chausseestraße 111, 10115 Berlin, Telefon: +49(0)30 20 60 49-0 Telefax: +49(0)30 20 60 49-55 www.leibniz-gemeinschaft.de

Redaktion: Christoph Herbort-von Loeper Julia Ucsnay Christian Walther (verantwortlich) Redaktionelle Mitarbeit: Michael Giesen Anka Hellauer Gestaltung: unicom-berlin.de

Fotos: Vorderseite: Hartmut Faustmann Rückseite: Jan Zappner Druck: Oktoberdruck, Berlin

Nachdruck mit Quellenangabe gestattet, Beleg erbeten. Auflage: 3.000

Das Leibniz-Journal erscheint viermal jährlich und kann über die Redaktion kostenlos abonniert werden. presse@leibniz-gemeinschaft.de www.leibniz-gemeinschaft.de/journal

Diese Broschüre erscheint mit freundlicher Unterstützung durch den Hauseigentümer, die ASG Acquico VI B.V., Bussum (Niederlande) Copyright: Leibniz-Gemeinschaft 2013

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Inhalt Vorwort ������������������������������������������������������������� 4 Christiane Neumann, Generalsekretärin der Leibniz-Gemeinschaft

Die Aura der Adresse ��������������������������������������������� 6 Martin Sabrow, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF)

Eine markante Ecke ��������������������������������������������� 18 Andreas Butter und Christoph Bernhardt, Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS)

Die Institute der Leibniz-Gemeinschaft ���������������������� 40

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Vorwort Seit 2011 hat die Leibniz-Gemeinschaft ihre Geschäftsstelle in der Berliner Chausseestraße 111. An dieser Adresse mit ihrer wechselvollen Geschichte steht nun die Wissenschaft im Mittelpunkt: Beinahe 90 selbständige Institute bundesweit sind in der Gemeinschaft zusammengeschlossen. Sie engagieren sich für Forschung und wissenschaftliche Infrastruktur in den Geistes-, Sozial-, Lebens- und Naturwissenschaften. Auch die großen Forschungsmuseen und Zentralbibliotheken gehören dazu. Die ausgeprägte Eigenständigkeit der LeibnizInstitute bedingt, dass wir von unserer Geschäftsstelle als der „Zentrale der Dezentralen“ sprechen.

Wissenschaft in der Leibniz-Gemeinschaft ist vielseitig, themenbezogen und am gesellschaftlichen Nutzen ausgerichtet. Die Tagungsmöglichkeiten in der Geschäftsstelle werden intensiv genutzt. Sie erleichtern den Austausch der dezentralen Institute untereinander und mit der Öffentlichkeit. Die Leibniz-Einrichtungen haben nun eine gemeinsame Adresse in der Bundeshauptstadt und sind hier Gastgeber vieler Veranstaltungen. Zahlreiche Konferenzen und Gremiensitzungen sorgen für Leben in der Chausseestraße.

Foto: David Ausserhofer

Wer hier aus der Tür tritt, steht mitten im Großstadtleben: Der U-Bahnhof Naturkundemuseum erschließt ein Stadtquartier, das sich äußerst dynamisch entwickelt. Gleich nebenan liegt das namensgebende Museum – ein LeibnizForschungsmuseum. Ministerien wie das Bundesforschungsministerium, die Humboldt-Universität, die Charité und der Berliner Hauptbahnhof sind in Reichweite. Das Grundstück Chausseestraße 111, an der Kreuzung Invalidenstraße, hat viele Veränderungen erlebt. Als Samuel Beckett im Dezember 1936 nach Berlin kam, ließ er sich mit dem Taxi zu einem Hotel in nächster Nähe fahren. Beckett schrieb ins Tagebuch „Das Haus geht, die Gegend nicht“. An der Ecke waren damals Woolworth, Dresdner Bank und,

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im kriegsbeschädigten und später abgeräumten Vorgängerhaus, eine Filiale von C&A. Nebenan war schon damals die Landwirtschaftliche Hochschule – heute Teil der Humboldt-Universität – und das Museum für Naturkunde mit seinen Dinosauriern. Keine vornehme Gegend, aber eine interessante, typisch Berlinische Mischung, auch heute noch.

Die Geschichte unserer Nachbarschaft beleuchtet Martin Sabrow vom Zentrum für Zeithistorische Forschung, einem Leibniz-Institut, des Näheren in diesem Heft. Er schlägt den Bogen vom Seuchenlazarett und der Eisenbahnfabrik zu dem Tag, als die Mauer fiel und das Haus in der Nähe der Grenzübergangsstelle Invalidenstraße plötzlich in die Mitte der bald darauf wieder vereinten Stadt rückte. Auf die Baugeschichte unseres Hauses Chausseestraße 111 geht der Beitrag von Andreas Butter und Christoph Bernhardt ein. Beide forschen am Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung in Erkner. Sie erinnern daran, dass das aktuelle Haus einst für die Industrie- und Handelskammer der DDR errichtet wurde und ordnen das Haus architekturgeschichtlich ein.

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Das Haus steht übrigens unter Denkmalschutz – die äußere Gestalt des Gebäudes, aber auch die im Originalzustand erhaltenen Innenausbauten vom VEB Deutsche Werkstätten Hellerau in der ersten Etage, heute unser Konferenzbereich. Mit dieser zweiten, überarbeiteten Auflage der Broschüre tragen wir dem großen Interesse an der Geschichte des Hauses Rechnung, über das wir uns sehr freuen. Christiane Neumann, Generalsekretärin der Leibniz-Gemeinschaft


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Die Aura der Adresse Zum historischen Umfeld der Geschäftsstelle der Leibniz-Gemeinschaft in der Chausseestraße 111 von Martin Sabrow Ob Adressen überhaupt eine Aura haben oder ob sie ihnen immer nur zugeschrieben wird, mag an dieser Stelle unerörtert bleiben. Sicher aber ist, dass sie und ihre Umgegend vor dem Umzug der Geschäftsstelle mit Leibniz auf den ersten Blick zunächst wenig zu schaffen hatte. Die Straßenkreuzung Chausseestraße / Invalidenstraße, an der wir uns befinden, markierte im 18. Jahrhundert die Grenze zwischen der äußeren Friedrich-Wilhelm-Stadt und der Oranienburger Vorstadt, die zur Zeit der Kurfürstin Sophie Charlotte, also der Gönnerin und Förderin von Leibniz, ein landwirtschaftlich genutztes Vorwerk bildete. Im Volksmund allerdings hieß die Gegend Sahara – eine im Wortsinne öde Wüste, in der bei starkem Wind der Flugsand zu immer neuen Hügeln zusammengeweht wurde. Durch die Oranienburger Vorstadt führte im 18. Jahrhundert der Ruppiner Heerweg, der um 1750 als Ruppiner Straße bezeichnet wurde, seiner Pflasterung wegen seit 1800 aber als Chausseestraße erscheint. Sie wird hier durch die Invalidenstraße gekreuzt, die ihren Namen von den dienstuntauglichen Soldaten

der preußischen Armee her führt, deren Unterkunft und Nutzflächen an ihr lagen. Aber schon im 18. und erst recht im 19. Jahrhundert ändert sich das Bild gewaltig, und man könnte den Eindruck gewinnen, als ob die Gegend alles daran gesetzt habe, das Arbeitsspektrum der LeibnizGemeinschaft in nuce abzubilden. Den Anfang macht ein Exzellenzcluster, das bis in die Gegenwart strahlt: die Charité. Deren Beginn war allerdings holprig und ihr Alleinstellungsmerkmal eher das einer Ausgrenzung. Das spätere Gesundheitszentrum startete 1710 als Seuchenlazarett extra muros und wurde nach dem Abklingen der in Nord- und Osteuropa grassierenden Pest als Arbeitshaus für Obdachlose genutzt. Später trat das Arbeitshaus in Verbindung zum Theatrum anatomicum, das die Preußische Sozietät der Wissenschaften zur ärztlichen Weiterbildung ins Leben gerufen hatte. Deren Gönner war allerdings der den Wissenschaften eher abholde Soldatenkönig, und als Präsident der jungen Akademie fungierte nach Leibniz mit Jacob Paul von Gundling ausgerechnet jener gelehrte Trunkenbold und Hofnarr, der B e r l i n , C H A U S S EE S T R A S S E 1 1 1


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im Tabakskollegium seines königlichen Herrschers Opfer rüdester Hofspäße wurde. Dennoch belebte Friedrich-Wilhelm I. hier nicht nur die Naturwissenschaften durch Auftragsforschungen etwa zur Frage, warum der Champagner moussiere (die Gundling übrigens souverän mit der prompten und natürlich vergeblichen Bitte um vorderhand ein paar Dutzend Flaschen des edlen Getränks zum experimentellen Gebrauch erledigte), sondern gründete 1723 auch ein sogenanntes Collegium Medico-chirurgicum. Ihm wurde 1727 das Arbeitshaus als Lehranstalt für Wundärzte zugeordnet, das 1827 den Namen Berliner Charité erhielt. Von der neuen Geschäftsstelle schauen wir also in südwestlicher Richtung zu der Institution der medizinischen Versorgung, die das preußische Medizinalwesen grundlegend veränderte und zum Klinikum der neugegründeten Berliner Universität wurde. Nach Südosten hingegen dominieren die Ingenieurwissenschaften, seitdem das preußische Oberbergamt 1804 an der Nordseite der Invalidenstraße zur Förderung der Metallverarbeitung eine Königliche Eisengießerei gegründet hatte, die mit ihren Denkmalen, Figuren und Schmuckwaren das Berliner Eisen berühmt machte. Theoria cum praxi, anwendungsbezogene Forschung von gesamtstaatlicher Relevanz – wo könnte der Spruch besser passen als hier an der Wiege der preußischen Industriali-

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sierung und ihrer Gründerzeit? Zwanzig Jahre später war die staatliche Lehranstalt von ihrem Erfolg sogar schon überholt worden und es hatte sich an der Chausseestraße vor dem Oranienburger Tor eine erste private Eisengießerei angesiedelt. 1837 folgte dann schräg gegenüber auf der anderen Seite der Chausseestraße Berlins Industriepionier August Borsig, der sein neues Unternehmen am 2.11.1837 in der Vossischen Zeitung ankündigte: „Die Eisengießerei und Maschinenbauanstalt von A. Borsig ist nunmehr in ihrer inneren Einrichtung so weit vorgeschritten, daß alle darauf bezüglichen Bestellungen, betreffend die Anfertigung von Dampfmaschinen sowie Maschinen jeder Art und von allen Gußwaaren nach Wunsch ausgeführt werden können.“1 Mit Borsig, der vier Jahre später die erste preußische Lokomotive in der Chausseestraße auslieferte, kamen andere, die die Chausseestraße zum Schauplatz der Industriellen Revolution machten. Wie es hier um 1880 aussah, schilderte der Architekt Heinrich Seidel: „Vom Oranienburger Thore aus reihte sich an ihrer rechten Seite eine große Maschinenbaufabrik an die andere in fast ununterbrochener Reihenfolge. Den Reigen eröffnete die weltberühmte Lokomotivenfabrik von Borsig mit den von Strack erbauten schönen Säulengängen, dann folgten 1 Max Ring, Die deutsche Kaiserstadt Berlin und ihre Umgebung, Zweiter Band, Leipzig 1884, S. 66.


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Zeichnung der ersten Dampflokomotive von Borsig, 1840

Quelle: Wikimedia Commons

Egells, Pflug, Schwartzkopf, Wöhlert und viele andere von geringerem Umfang. In den Straßenlärm hinein tönte überall schallendes Geräusch und das dumpfe Pochen mächtiger Dampfhämmer erschütterte weithin den Boden, daß in den Wohnhäusern gegenüber die Fußböden zitterten, daß die Gläser klirrten und die Lampenkuppeln klapperten. Zu gewissen Stunden war die Straße ein Flußbett mächtiger Ströme von schwärzlichen Arbeitern, die aus all den Fabriktoren in sie einmündeten.“2

Ein Halbjahrhundert lang war die Chausseestraße Synonym für die erste große Industriezone, das Berliner Feuerland, das freilich seine qualmenden Schlote gerne hinter einer dekorativen neohistorischen Fassadenarchitektur versteckte. Ein schöner Beleg dafür ist das prächtige und erst vor drei Jahrzehnten wieder aufgefundene Gemälde Carl Eduard Biermanns von 1847, das die in Dampf gehüllte Neorenaissancefassade von Borsigs Maschinenbauanstalt mit dem Uhrenturm und einem vorbeijagenden Pferdegespann zeigt, welches eine eben fertiggestellte Lokomotive über das Werksgelände zieht. In der stadtge-

2 Zit. n. Annemarie Lange, Berlin zur Zeit Bebels und Bismarcks. Zwischen Reichsgründung und Jahrhundertwende, Berlin (O) 1972, S. 116.

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Borsigs MaschinenbauAnstalt zu Berlin, ­ Gemälde von Karl Eduard Biermann (1847)

schichtlichen Literatur liest sich dieser einstige Blick auf die gegenüberliegende Seite der Chausseestraße so: „Von [dem Schinkel-Schüler und königlichem Baumeister Heinrich] Strack stammte auch die monumentale Eingangsfront des Stammwerkes in der Chausseestraße, hinter der wohl niemand ein Industriewerk vermutet hätte, qualmten nicht auf einem Areal, das sich zwischen der Elsässer Straße [heutige Torstraße] und der Tieckstraße ausdehnte und bis zur Borsigstraße durchging, die Schlote, zischte nicht der Dampf aus den Rohren, dröhnten nicht die Niethämmer ihren Arbeitstakt. Auf diesem eng gewordenen und schon erweiterten Gelände waren rund 1500 Arbeiter beschäftigt. Es gab hier allein elf Dampfmaschinen, darunter eine von 250 PS, ein hydraulisches Hebewerk, eine von hohen Eisengittern umschlossene Schiebebühne sowie ein eigenes Industriegleis zum W i ll k o m m e n b e i D e r L e i b n i z - G e m e i n scha f t

Quelle: Wikimedia Commons

Stettiner Bahnhof. 1873 verließ die 3 000ste Lokomotive das ‚Berliner Werk‘ in der Chausseestraße.“ 3

Der genannte Stettiner Bahnhof, nach dem Potsdamer und dem Anhalter der drittälteste Berliner Fernbahnhof, lag vis-à-vis der neuen Leibniz-Zentrale an der östlichen Seite der Invalidenstraße. Er verdrängte 1840 die bis dato dort befindliche „Scharfrichterei“ – die allerdings daraufhin ausgerechnet in die Chausseestraße zog – und bediente bis zu seiner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg den Norden von Mecklenburg bis Danzig. Als seit den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts mit den steigenden Bodenpreisen die mehrheitlich zu Aktiengesellschaften umgewandelten Maschinenfabriken nach Moabit und Tegel an die Peripherie 3 Ebd., S. 184 f.


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der deutschen Hauptstadt abwanderten und einer bis heute bestehenden Besiedlung mit Wohnhäusern Platz machten, etablierte sich in der Invalidenstraße eine Gruppe von Einrichtungen, die einen dritten Zweig unserer Forschung repräsentiert: die Naturwissenschaften. Auf dem Gelände der 1873 aufgelösten Königlichen Eisengießerei entstand ein großzügiges Ensemble von Bauten für Einrichtungen, die teils heute fortbestehen. Zu ihnen zählten das nach vierzehnjähriger Bauzeit 1889 eingeweihte Museum für Naturkunde – heute ein Institut der Leibniz-Gemeinschaft –, die Landwirtschaftliche Lehranstalt und die Geologische Landesanstalt und Bergakademie. Gesundheitszentren, Wirtschaftsgeschichte, Ingenieurswissenschaften, Naturwissenschaften besetzen gleichsam die Ausfallstraßen, die sich am neuen Sitz unserer Geschäftsstelle schneiden. Es mag auffallen, dass mit Ausnahme der wenigstens zu einem Teil in der Sektion A der Leibniz-Gemeinschaft ressortie-

renden Forschungsmuseen allein die Sozial- und Kulturwissenschaften in dieser imposanten Nachbarschaft ohne eigene Adresse bleiben. Dennoch haben aber auch sie ihre eigenen Erinnerungszeichen in nächster Umgebung. In der Chausseestraße wohnte bis zu seiner Ausweisung aus der DDR Wolf Biermann, und nur wenig weiter schaute nach seiner Rückkehr aus dem Exil Bert Brecht von seiner Wohnung an der Chausseestraße auf den berühmtesten aller Berliner Friedhofe, den Dorotheenstädtischen. Auf ihm wurde er später selbst beigesetzt – und dies in der Nachbarschaft von Hegel, Fichte, Schinkel, Arnold Zweig und Anna Seghers. Dass auch der Altmeister der Historischen Zunft, Leopold von Ranke, ganz in der Nähe sein Grab gefunden hat, soll natürlich nicht unerwähnt bleiben – und sein Grab ist vielleicht das anrührendste von allen in diesem Viertel: Es liegt friedlich auf einem Kinderspielplatz der Sophiengemeinde in der Großen Hamburger Straße.

Prominente Chausseestraßen-Bewohner: Wolf Biermann (li.) und Bertolt Brecht

Fotos: Bundesregierung/Lothar Schaack (li.) Bundesarchiv, Bild 183-W0409-300 (re.)

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Näher zu unserer neuen Geschäftsstelle lag noch das etwas anrüchige „Kaschemmenviertel“, das um die Mitte des 19. Jahrhunderts um den Stettiner Bahnhof entstand und mit den steigenden Hörerzahlen der Berliner Universität und besonders der Charité, bevorzugte Wohngegend der Berliner Studenten wurde; auch Karl Marx fand als von Bonn kommender Student der Rechtswissenschaften hier in der Luisenstraße 60 im Jahre 1836 seine erste Bleibe. Bekannt aber war gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Gegend um unsere Kreuzung auch als Spielstätte der leichten Muse, die im FriedrichWilhelmstädtischen Theater und später in den Germania-Sälen unmittelbare Nachbarn der neuen Adresse waren. Im 20. Jahrhundert wurden sie zu den Austragungsorten des politischen Wettstreits. Hier tagte die SPD, hier inszenierte Goebbels als Berliner Gauleiter berüchtigte Saalschlachten, mit denen die NSDAP in die traditionellen Arbeiterhochburgen einbrach. Damit sind wir schon bei den großen politischen Ereignissen der letzten beiden Jahrhunderte, die sich in enger räumlicher Beziehung zur neuen Leibniz-Zentrale abspielten. Sie hatten zwar eine Aura, aber keine Adresse, sondern fanden auf der Straße statt. Doch wenn man will, kann man auch von ihnen einen Bezug zum Geist der Forschung finden, wie sie zum Selbstverständnis

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der Leibniz-Gemeinschaft gehört: Immer zeugten sie vom Geist der Veränderung, stellten sie das Gewohnte in Frage, kritisierten sie die Ordnung der Dinge, und dies zum ersten Mal mit Macht während der Märzrevolution 1848. Als am 18. März in der Oranienburger Vorstadt bekannt wurde, dass die königliche Garde auf dem Berliner Schlossplatz in die wehrlose Ansammlung gefeuert hatte, verhinderte eine rasch wachsende Menschenmenge mit Steinhageln, dass zwei Patronenwagen aus Moabit in die nahe Artilleriekaserne in der Chausseestraße überführt wurden. Um die von den Aufständischen am Oranienburger Tor aus Kähnen, Wagen und Tonnen auch der nahegelegenen Maschinenbauanstalten errichtete Barrikade zu brechen, fuhren die königlichen Artilleristen eine Haubitze auf, die eine „Kartouche mit 4050 sechslöthigen [also jeweils etwa 90 Gramm schweren] eisernen Kugeln [...] auf eine Entfernung von 25 Schritt in die dichte Menschenmasse“ abfeuerte, wie der Berlin Chronist Adolf Streckfuß festhielt. „Fünf Männer stürzten tot nieder; das Wehgeschrei der Verstümmelten und Verwundeten und mehr noch das Wut- und Rachegeschrei der Nichtgetroffenen war fürchterlich! In wildester Flucht stürzten Männer, Frauen und Kinder fort.“4 4 Zit. n. Heinz Warnecke, Barrikadenstandorte 1848, Berlin 1999, S. 26.


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Obwohl die von „sachverständigen Männern“5 erbaute und geleitete Barrikade zu den festesten des ganzen Stadtgebietes gehörte, konnte die Artillerie sie schließlich erstürmen. Ihre Verteidiger verstärkten andere Barrikaden um den Gendarmenmarkt, aber nachdem der preußische König seine Truppen zurückgezogen und den Revolutionstoten seine Reverenz bewiesen hatte, feierte hier auf der Chausseestraße am 20. März 1848 der Berliner Revolutionsdichter Adolf Glaßbrenner seine triumphale Heimkehr aus dem Neustrelitzer Exil: „Gegen halb Elf Uhr fuhren wir durch das Oranienburger Tor nach Berlin hinein. Sogleich war dieser Wagen von vierzig, fünfzig Personen umringt: Handwerker, Studenten, Kaufleute, Beamte, Arbeiter, Künstler, einige mit Federbüschen auf den Hüten, alle in Waffen. (-) Man fragte uns eifrig, wild durcheinander, woher wir kämen, ob wir kein Militär bemerkt, ob wir nicht gehört hätten, daß Berlin Gefahr drohe? [...] Man rief in die Artilleriekaserne hinein, daß ein Freund der Freiheit da sei; man drückte auch hier herzlich die Hand; Alle waren wir innig verbundene Kameraden, wie Brüder untereinander; es herrschte kein Rang, kein Stand, kein Stolz auf Wohlhabenheit oder Bildung, keine conventionelle Scheu, kein Fremdtun; Berlin war hier und in den nächstfolgenden Tagen in der schönsten menschlichen Gleichheit. Die Anarchie Berlins 5 Bahn, zit. n. ebd., S. 27.

war seine größte Zeit. Ich vergesse diese Szenen, diese Entschlossenheit in allen Mienen, die errungene Freiheit nur mit dem Leben zu opfern, diese erschütternde, unruhige Einheit, dieses starke Bündnis tief erregter Menschen in einer ihnen neuen Welt, dieses plötzliche Märchen in unserer Polizeiwelt, diese wunderbare Nacht in meinem ganzen Leben nicht.“6

An derselben Stelle, an der sich zu DDRZeiten das Stadion der Weltjugend erstreckte und zukünftig der Bundesnachrichtendienst sitzen wird, hatte auch die Novemberrevolution 1918 einen ihrer wichtigsten Schauplätze. Hier im Zentrum Berlins entschied sich am Morgen des 9. November 1918 das Schicksal der Novemberrevolution. In endlosen Kolonnen wälzten sich Menschenmassen aus den Betrieben von Wedding und Moabit heran, die die hier seit 1851 kasernierten Gardefüsiliere zum Übergang in das Lager der Revolution bewegen wollten. Doch dieser letzte kaisertreue Truppenteil, der den Sturz der Monarchie an diesem trüben Novembersonnabend noch hätte verhindern können, war nicht zur kampflosen Aufgabe bereit. Als die Menschenmenge das Kasernentor eindrückte, schlug ihnen Gewehrfeuer entgegen und erwuchsen der Novemberrevolution ihre ersten Märtyrer. Der Übermacht an Demonstranten waren die Truppen allerdings nicht gewachsen. Nach kurzem Kampf wurden die 6 Zit. n. ebd., S. 28.

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„Soldaten! Auf zur Demonstration! Geht auf die Straßen! Protestiert gegen das Blutbad!“ Plakat des Roten Soldatenbunds als Reaktion auf den Blutsonntag (1918) Quelle: Bundesarchiv

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Offiziere entwaffnet, und die Mehrzahl der Soldaten schloss sich dem ungeheueren Demonstrationszug an, der zum Reichstag zog und dort so lange nach den Führern der Sozialdemokratie verlangte, bis Philipp Scheidemann zum Ärger von Friedrich Ebert dem immer lauteren Drängen nachgab und vom Mittagstisch weg an einem Fenster des Reichstags die Deutsche Republik proklamierte. In den folgenden Wochen war die Maikäferkaserne ein Rückgrat der Revolution. Hier rückten die mit roten Fahnen geschmückten und oft mit Matrosen der Volksmarinedivision besetzten Militärautos aus, wenn irgendwo in Berlin während der Novembertage Schusswechsel aufflammten. Hier aber auch schlug das Pendel von der Revolution zur Gegenrevolution um, als am 6. Dezember 1918 eine Demonstration des Roten Soldatenbundes eben auf der Kreuzung Chausseestraße / Invalidenstraße mit Maschinengewehrsalven empfangen wurde. 14 Tote blieben auf dem Pflaster zurück. Sie waren Opfer eines ersten bewaffneten Gegenstoßes der sich formierenden „Welle von rechts“, wie Ernst Troeltsch die sich über den Kapp-Lüttwitz-Putsch bis zum Hitler-Ludendorff-Putsch immer weiter formierende Gegenbewegung zur „Novemberrepublik“ später nennen würde. Auch sie, die Welle von rechts, hinterließ in der Chausseestraße ihre Spuren. In unmittelbarer Nachbarschaft zu unserer

Geschäftsstelle, Chausseestraße 94, befand sich das 1910 erbaute Kriegervereinshaus, in dem der frisch gebackene NSDAP-Gauleiter Joseph Goebbels im Mai 1927 eine sich immer weiter steigernde Hetzrede gegen die „Judenjournaille“ hielt, bis ein mutiger evangelischer Pfarrer, Fritz Stucke, Goebbels mit dem trockenen Zwischenruf unterbrach: „Sie sehen auch nicht besonders germanisch aus!“ – oder nach anderen Quellen: „Ja, ja, Sie sind der richtige germanische Jüngling.“ Goebbels soll dieser Einwurf für einen Moment sprachlos gemacht haben; Stucke aber wurde von SA-Schlägern krankenhausreif geschlagen, und seine tapfere Tat blieb das machtlose Aufbäumen eines Einzelnen gegenüber der braunen Flut, die wenige Jahre die erste deutsche Demokratie endgültig erstickte.

Noch ein drittes Mal machte die Chausseestraße Geschichte, und zwar am 17. Juni, als um die siebte Morgenstunde dieses Tages 10 000 Stahlarbeiter aus Hennigsdorf „in der Chausseestraße die Sektorengrenze passierten, nachdem sie 15 km durch den Westteil der Stadt marschiert waren“7, um sich den Streikenden in der Stalinallee anzuschließen. Der Stahlwerker Karl-Heinz Benditz aus Hennigsdorf berichtete darüber aus der Erinnerung, wie sich in Hennigsdorf zwei Demonstrationszüge der Werkzeugbauer und der 7 Jens Schöne/Falco Werkentin, 17. Juni 1953 – Orte und Ereignisse in Ost-Berlin, Berlin 2005, S. 14.

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Stahlwerker begegneten: „Während wir noch immer im Begeisterungstaumel waren, ergab sich wieder die Frage, was weiter zu tun sei. Die Entscheidung wurde in der Spitzengruppe des nunmehr vereinigten Demonstrationszuges getroffen, alle anderen folgten. Nach kurzer Diskussion wurde beschlossen, nach Berlin zu gehen und zwar zum Haus der Ministerien. Die Zielsetzung änderte sich: Es sollte nicht nur die Rücknahme der Normenerhöhung gefordert werden, sondern wir wollten jetzt, dass die ganze Bande abtritt! Innerhalb weniger Minuten erwuchs der Wille, die Einheit Deutschlands wieder herzustellen! [-] Ganz einfach war der Marsch nicht, denn fast alle waren ja in Arbeitskleidung, die Stahlwerker meist mit Holzpantinen an den Füßen. Auch begann es zu regnen. Aber die Begeisterung

ließ uns alle Schwierigkeiten vergessen und wir marschierten los. [...] Der Einmarsch in Ostberlin auf der Chausseestraße erfolgte ungehindert, Volkspolizei war nirgends zu sehen. [...] Wir brachen das Grenzschild ab (‘Hier beginnt der demokratische Sektor‘) und führten es bis zum Potsdamer Platz als Transparent mit uns. [...] Beim Passieren des Walter-UlbrichtStadions stürmten die jungen Kollegen an das Tor, kletterten auf das Dach, brachen die Buchstaben des Schriftzuges ab und warfen sie auf die Straße.“8

Der Aufstand des 17. Juni scheiterte bekanntlich. Kurze Zeit später wurde in der vom Krieg stark in Mitleidenschaft gezo8 Karl-Heinz Banditz, in: Peter Lange/Sabine Roß (Hg.), 17. Juni 1953 – Zeitzeugen berichten. Protokoll eines Aufstands, Münster 2004, S. 124 ff.

17. Juni 1953: Hennigsdorfer Arbeiter auf dem Weg zum Haus der Ministerien durch den Westsektor

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Bild: Bundesarchiv Bild 175-L0085


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Der Grenzübergang Chausseestraße im Januar 1964

Bild: Eva Brüggmann (Bundesarchiv Bild 183-C0105-0002-001)

Abbau der Sperranlagen am Grenzübergang Chausseestraße im April 1990

Bild: Peer Grimm (Bundesarchiv, Bild 183-1990-0419-033)

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genen Chausseestraße der Grundstein zu dem Gebäude gelegt, in dem die Zentrale der Leibniz-Gemeinschaft nun ihren Sitz gefunden hat. Auch dieses Nachkriegsgebäude ist ein beredter Zeuge der Geschichte. Wie kaum ein anderes Bauwerk in Berlin trägt seine Baugeschichte und seine Gestalt den dramatischen Kampf zwischen nationaler Bautradition und industrieller Moderne aus, der die Baupolitik in der Ulbricht-Ära kennzeichnete. Das 1955/56 neuerbaute Gebäude repräsentiert die radikalste und abrupteste Wende im Bauwesen der DDR überhaupt; in ihm ist die Zäsur nach Stalins Tod und die Entstalinisierungskrise der fünfziger Jahre förmlich eingeschrieben und ebenso die diktatorische Bemächtigung des öffentlichen Raumes in der weltweiten Auseinandersetzung um die gültige Ordnung der Moderne im 20. Jahrhundert. Nur wenige Jahre danach aber wurde aus der pulsierenden und mit Neubauten belebten Kreuzung zwischen der Chausseeund der Invalidenstraße ein toter Winkel, dessen beide Straßen an einer Grenzübergangsstelle der Berliner Mauer endeten. Und abermals 28 Jahre später stand in der Nacht vom 9. auf den 10. November an der Grenzübergangsstelle Invalidenstraße der Regierende Bürgermeister von Berlin, Walter Momper, und redete zu den OstBerlinern, die in dieser Nacht die Mauer zum Einsturz brachten. Am Tag darauf war die Kreuzung vor der künftigen Geschäftsstelle unpassierbar, weil sich hier die Autos stauten, die auf dem Weg nach W i ll k o m m e n b e i D e r L e i b n i z - G e m e i n scha f t

West-Berlin zu den Übergängen Invalidenstraße bzw. Chausseestraße waren.

All dies hat die Gegend in den letzten zweihundert Jahren gesehen, in der die Leibniz-Gemeinschaft sich mit ihrer Geschäftsstelle befindet, und es ist gut zu wissen, dass „die Zentrale der Dezentralen“ (Karl Ulrich Mayer) nun an einer Adresse arbeitet, die in ihrer Geschichtlichkeit so intensiv mit den Forschungsfeldern der Leibniz-Institute verbunden ist. Prof. Dr. Martin Sabrow (* 1954 in Kiel) ist Direktor des Zentrums für Zeithistorische Foto: ZZF/Jürgen Forschung PotsBaumann dam (ZZF) und Professor für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er studierte Geschichte, Germanistik, Politologie in Kiel und Marburg/ Lahn. Anschließend war er mehr als zehn Jahre im Schuldienst tätig, bevor er seine wissenschaftliche Laufbahn einschlug, die ihn nach Paris, London, München, Braunschweig und Bologna führte.


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Eine markante Ecke Die Gebäude Chausseestraße 111-113/Invalidenstraße 36-39 und ihre Geschichte

Gebäude der IHK der DDR nach Fertigstellung Quelle: Nachlass Johannes Pässler

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von Dr. Andreas Butter und Dr. Christoph Bernhardt Das Gebiet rund um die Kreuzung Chaussee-/Invalidenstraße und seine Nutzung waren um 1800 von der Lage am westlichen Berliner Stadtrand geprägt. Die Oranienburger Vorstadt, wie das Gebiet vor der Berliner Akzisemauer seit dem frühen 19. Jahrhundert hieß, wurde 1831 nach Berlin eingemeindet. Zu dieser Zeit entstanden nordöstlich der Kreuzung von Chaussee- und Invalidenstraße die ersten Maschinenbauunternehmen, zum Beispiel von Egells und Borsig; sie brachten der Gegend den Namen „Feuerland“. 1842 wurde der benachbarte Stettiner Bahnhof erbaut und weitere Maschinenbauunternehmen siedelten sich an. Schon 1804 war westlich der Kreuzung entlang der Panke die Königliche Eisengießerei eingerichtet worden, die zwischen 1875 und 1899 kulturellen und wissenschaftlichen Einrichtungen Platz machte, darunter dem Naturkundemuseum. Weiter im Westen begrenzten der 1847-56 gebaute Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal sowie die Gleisanlagen des Lehrter Güterbahnhofs das Gebiet. Noch heute wird das Quartier von Friedhöfen und Krankenhäusern, wie z. B. der Dorotheenstädtische Friedhof und Einrichtungen der Charité im Süden der Invalidenstraße sowie dem Invalidenpark geprägt. Im Norden breiteten sich Kasernen und ein großer Exerzierplatz, W i ll k o m m e n b e i D e r L e i b n i z - G e m e i n scha f t

der „Grützmacher“, aus. Nach dem Ersten Weltkrieg residierte hier die Polizei, die einen eigenen Sportplatz bekam. Für die „III. Weltfestspiele der Jugend und Studenten“, und um künftig auch Besucher aus West-Berlin anzuziehen, wurde die unmittelbar an der Sektorengrenze gelegene Fläche 1950 durch das „WalterUlbricht-Stadion“, später „Stadion der Weltjugend“, repräsentativ neu bebaut. Inzwischen steht hier die Zentrale des Bundesnachrichtendienstes. Nachdem am Ende des 19. Jahrhunderts die Maschinenbauunternehmen in das Umland gezogen waren, folgte beidseitig der Chausseestraße eine Mischnutzung von Wohnen und „citytypischen“ Dienstleistungsunternehmen in überwiegend fünfstöckiger Bebauung. Bei der Bildung von Groß-Berlin 1920 wurde das Gebiet dem Bezirk Mitte zugeschlagen.

Die Grundstücke an der Chausseestraße 111-113 wurden 1912 im Anschluss an die „Germania Prachtsäle“ mit einem Kaufhausgebäude der Firma Clemens und August Brenninkmeyer (C&A) bebaut, die hier am 16.3.1912 ihre zweite Filiale in Deutschland eröffnete. 1928 richtete das Unternehmen in dem erweiterten und umgebauten Haus eine Schaufensterpassage sowie im ersten Stock eine Herrenkonfektionsabteilung ein. Im Zweiten Weltkrieg erlitt das Gebäude schwere Schäden.


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Grenzlage

Stadtplan-Ausschnitt mit Sektorengrenze, 1958

Quelle: Sammlung Butter

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Einweihung des Neubaus am 25.2.1957 mit dem ­Architekten und der IHK-Führung Quelle: Die private Wirtschaft 9/1957

In der Folge der deutschen Teilung fiel das Gebiet in eine Stadtrandlage von Ost-Berlin. Während die Lage des Gebäudes bis 1961 als Verbindung zum offenen Westteil und damit als hervorragend geeignet für eine Schaufensterfunktion des Staates galt, wurden im Zuge des Mauerbaus die Grundstücke entlang der Grenze geräumt und an der Chausseestraße sowie der Invalidenstraße Grenzübergangsstellen errichtet. Freie Grundstücke wurden im Regelfall nicht wieder bebaut. 1963 hielt das Bau- und Wohnungsaufsichtsamt Berlin-Mitte eine „Sicherung des gesamten Grundstücks gegen Agenten“ für nötig. Das Gebiet wurde jetzt im Norden und Westen durch die Grenze zu West-Berlin abgeriegelt und geriet bis 1989 ins stadträumliche Abseits. W i ll k o m m e n b e i D e r L e i b n i z - G e m e i n scha f t

Die Nutzer Die Industrie- und Handelskammer der DDR (IHK), der Bauherr und erste Nutzer des Gebäudes Chausseestraße 113111, wurde von der DDR-Regierung per Verordnung vom 6.8.1953 gebildet. Kurz zuvor war noch die Abwicklung der bis dahin bestehenden Industrie- und Handelskammern auf Landesebene beschlossen worden, die jedoch nach der Niederschlagung des Aufstands vom 17. Juni 1953 zur Stabilisierung der politischen Lage im Rahmen des so genannten „neuen Kurses“ in die IHK der DDR umgebildet wurden. Ihr wichtigstes Organ war der Vorstand mit 15 gewählten Vertretern aus der privaten Wirtschaft und 15 Vertretern der in Privatbetrieben angestellten


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Arbeiter und Angestellten. Das Präsidium der IHK, für deren Bedürfnisse auch das Raumprogramm des Gebäudes konzipiert wurde, bestand aus dem Präsidenten, seinem ersten Stellvertreter, sowie den drei Vizepräsidenten für Industrie und Verkehr, Handel sowie Betriebs- und Volkwirtschaft mit ihren Abteilungen. Erster Präsident wurde der Staatssekretär im Ministerium für Verkehr der DDR Erich Wächter (1908-1971), der auch Mitglied im Hauptvorstand der CDU war und 1955 stellvertretender Minister für Außen- und Innerdeutschen Handel wurde. Vizepräsident war 1953-58 Heinz Behrendt (1913-2003), der 1965 stellvertretender Außenhandelsminister der DDR wurde. Mit der Planung des Gebäudes, das die Berliner Zentrale der IHK aufnehmen sollte, wurde im Frühjahr 1954 begonnen. Im Februar 1957 übernahm die Institution das Gebäude. Zur Einweihung erschienen weder Vertreter der Parteiund Staatsführung noch die geladenen Kollegen der IHK aus West-Berlin.

Bereits 1958 wurde das Präsidium der IHK in Berlin wieder aufgelöst. Die Bezirksdirektionen gliederten sich den Wirtschaftsräten bei den Räten der Bezirke an und die Ost-Berliner Kammer wurde dem Magistrat unterstellt, nachdem sie im Zuge der zunehmenden Drangsalierung der Privatwirtschaft

schon vorher an Bedeutung verloren hatte. Zum 26.5.1959 erfolgte die endgültige Auflösung der IHK. Bereits 1958 nutzte der damalige Minister für Außenund Innerdeutschen Handel. Heinrich Rau (1899-1961), zeitweise Räume im fünftes Obergeschoss des Gebäudes als Büro. 1959 übernahm der „Deutsche Innen- und Außenhandel“ (DIA), Abteilung Elektrotechnik, das Gebäude und errichtete 1960-61 den Anbau Invalidenstraße 38-39. Seinen Hauptsitz hatte der DIA weiter südlich, an der Friedrichstraße zwischen Tauben- und Mohrenstraße, in einem gleichfalls Mitte der 1950er Jahre errichteten, weniger spektakulären aber farblich ähnlich gehaltenen Haus.

In den Jahren zwischen 1969 und 1992 war der „VEAHB WMW Import – Export“ Eigentümer des Gebäudes. Als Volkseigener Außenhandelsbetrieb betrieb die Firma vor allem den Export von in der DDR hergestellten Werkzeugmaschinen und Werkzeugen. Ihr Nachfolger, die WEMEXWerkzeugmaschinenhandel GmbH, übernahm 1992 das Gebäude, befand sich jedoch bald darauf in Liquidation. Nach längerem Leerstand bezog im Oktober 2011 die Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz e.V. (WGL), ein Zusammenschluss von damals 87 deutschen, außeruniversitären Forschungseinrichtungen das zweite und dritte Obergeschoss des Altbaus und das dritte des Erweiterungsbaus. Damit B e r l i n , C H A U S S EE S T R A S S E 1 1 1


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ist das Gebäude wieder repräsentativer Sitz einer überregionalen Institution in der deutschen Hauptstadt.

Die Architekten Johannes Pässler

Quelle: Nachlass Johannes Pässler

(1912-1990), der Architekt des älteren Bauteils an der Chausseestraße, wurde in Lössnitz im Erzgebirge als Sohn eines Bauunternehmers geboren. In Glauchau studierte er nach einer Gesellenprüfung im Bauhandwerk 1929 das Fach Bauwesen und legte 1938 in Leipzig die Baumeisterprüfung ab. Bis 1936 arbeitete er im Büro des bekannten Chemnitzer Architekten Max W. Feistel, danach bei Arthur Bock und Otto Paatzsch in Leipzig. Unterbrochen vom Kriegsdienst

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führte Pässler ab 1939 ein eigenes Architekturbüro in Berlin-Mahlsdorf und später in Mitte. Vor dem Krieg nahm er am Wettbewerb für ein Verwaltungsforum in Frankfurt (Oder) teil.

In den frühen DDR-Jahren erarbeitete der Architekt, der 1952 zu den Mitbegründern des Bundes Deutscher Architekten im Osten zählte, eine Vielzahl von Projekten, besonders zu Bauten des Bildungs- und Gesundheitswesens in Berlin und Pasewalk. So überarbeitete er 1951 den Entwurf von Gustav Hassenpflug für die im Jahr 2000 abgerissene Poliklinik am Krankenhaus Friedrichshain, wobei speziell die markante Eingangslösung auf Pässler zurückging. 1952-53 beteiligte er sich im Kollektiv Erich H.-J. Kuhnert und Hans Gericke an Projektierung und Ausführung des Sitzes der NDPD in der Berliner Mohrenstraße. Dass Pässler zu einer Zeit, als freie Architekten kaum noch repräsentative Großvorhaben ge­stal­ten durften, den Auftrag für das Gebäude der IHK erhielt, hängt wahrscheinlich mit der Bedeutung dieser Institution für die Privatwirtschaft zusammen. 1958 ging Pässler nach West-Berlin, wo er in der Bismarckstraße ein neues Büro gründete. In den folgenden Jahren entwarf er Ein- und Mehrfamilienhäuser in Berlin-Grunewald, -Steglitz, -Wannsee und -Marienfelde; außerdem war er als beratender Ingenieur für die Firma Klammt tätig. Er starb in Berlin.


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Erich Balke

Karl-August Borchardt

Quelle: IRS Erkner

(geb. 1917), Berliner, zeichnete für den Erweiterungsbau in der Invalidenstraße verantwortlich. Er hatte nach seinem Kriegsdienst und amerikanisch-englischer Gefangenschaft 1948-50 an der Berliner Ingenieurschule für Bauwesen studiert. Im Anschluss war er für verschiedene Volkseigene Berliner Projektierungsbüros tätig, zum Zeitpunkt der Erweiterung der IKH, um 1959, für das Entwurfsbüro Hochbau II. Schwerpunkte seiner Arbeit in den 1950er Jahren lagen im Industriebau sowie der Projektierung von Klinikbauten der Charité.

Quelle: IRS Erkner

(1916-1968), geboren in Bottrop, war für die Innengestaltung des Erweiterungsbaus zuständig. Balke, der aus dem Maler- und Holzausbau-Handwerk kam, hatte 1946-48 an der Hochschule für angewandte Kunst Berlin Weissensee studiert und war als Innenarchitekt auf Ladenausbau spezialisiert. Er starb nur wenige Jahre nach dem Projekt für die Invalidenstraße in Berlin.

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Die Typologie

IHK West-Berlin in der Hardenbergstraße, Franz-Heinrich Sobotka/Gustav Müller, 1945-55

Bild: Rudolf Henschel, Sobotka/Müller, Bauten, Projekt II, Tübingen 1967, S. 38

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Bei der Planung von Verwaltungsgebäuden in den 1950er Jahren standen die Architekten in beiden Teilen Deutschlands vor der Aufgabe, über die effektive Abwicklung administrativer Vorgänge hinaus dem jeweiligen gesellschaftlichen Selbst­verständnis Ausdruck zu geben. Siedlung Sonnenhof, Berlin, Erwin Gutkind, 1925-27 Foto: unicom

Oberschlesische Landesbücherei in ­Katowice (Polen), S. Tabeński/J. Rybicki 1928-34

Foto: Andreas Butter

Schah-Palast, Teheran (Iran), um 1935

Foto: Frank Hurley; National Library of Australia

Die Öffnung der Räume zu Großraumbüros und der Fassaden von der Lochüber die Raster- hin zur transparent wirkenden Vorhangfassade gehörte zur Durchsetzung funktionaler und ästhetischer Vorstellungen der Moderne. Im Westen war diese weiter vorangeschritten als im Osten, wo bis in die zweite Hälfte des Jahrzehnts hinein traditionellere Vorstellungen von Repräsentativität vorherrschten. Doch auch das zur selben Zeit nach Entwurf von Gustav Müller und Franz-Heinrich Sobotka an der Hardenbergstraße erbaute Haus der Industrie- und Handelskammer von West-Berlin zeigte bei aller Modernität mit seiner Travertinverkleidung noch Züge eines Würdegestus, hier sogar mit einem stärkeren Hang zu monumentaler Verhärtung. Einerseits folgte das Erschließungssystem in der Chausseestraße mit seinen Mittelfluren dem gängigen Schema, andererseits sind diese stellenweise zu hellen Foyers aufgeweitet. Die Akzentuierung der Straßenecke mit einem eingestellten turmartigen Kubus, der den Haupteingang und großzügige VerB e r l i n , C H A U S S EE S T R A S S E 1 1 1


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teilerhallen aufnimmt, stellt in der DDRArchitektur dieser Zeit eine Ausnahme dar; der Bau wird so zu einem städtebau­ lichen Orientierungspunkt. Markante Ecklösungen mit gerundeten, mehreckigen und oft überkuppelten Vorbauten hatten an Berliner Geschäftsstraßen seit der Jahrhundertwende Verbreitung gefunden, so am Vorgängergebäude des Hauses. In den 1920er Jahren formten Modernisten wie Erich Mendelssohn (1887-1953) den gerundeten Übergang zweier Fassaden zum signifikanten Ausdruck einer neuen rasanten Großstadtkultur. Einen anderen Weg zur Betonung der Hausecke beschritt Erwin Gutkind (1886-1968). An verschiedenen Wohnbauten des Architekten in Berlin findet sich die Ausbildung einer einspringenden Ecke, in die kantig ein Kubus eingeschoben ist. Eine solche Eckausbildung verleiht dem Haus der IHK seinen einladenden Charakter.

Einige Beispiele zeigen, wie es sich damit in die Architekturgeschichte einordnet. Die Betonung der Waagerechten durch Mauerstreifen und breite Fensterformate ohne Überhöhung des mittleren Bauteils bei Gutkind entsprach der Vorliebe vieler Vertreter des Neuen Bauens der 1920er für horizontale Dynamik, die auch als Moment von Gleichheit verstanden wurde. Dies geschah nicht zuletzt in Reaktion auf die Formausbildungen des Expressionismus, dessen Vertreter mit kathedralhaft W i ll k o m m e n b e i D e r L e i b n i z - G e m e i n scha f t

vertikalen Gliederungen über­zeitliche Momente vermitteln wollten.

So dominieren am Gebäude der Oberschlesischen Landesbücherei in Katowice von 1928-34, dessen Eckausbildung vergleichbar ist, die hoheitsvollen Vertikalen. Dahingegen versuchte der Architekt des etwa zur selben Zeit erbauten kaiserlichen Palastes in Teheran beide Bewegungsrichtungen zu harmonisieren. Indem er dem belichtungstechnisch optimierten Eckfenster und der umlaufenden Terrasse kurze Lisenen beifügte, wertete er das eher sachliche Haus des Staatsoberhaupts andeutungsweise standesgemäß auf.

Für die Chausseestraße bemühte sich der Architekt Johannes Pässler um eine klassisch ausgewogene Integration vertikaler und horizontaler Momente. Im Ergebnis allerdings setzte sich mit der Dominanz von Lisenen und stehenden Fensterformaten an der turmartigen Ecke die herrschende politische Ikonographie durch. Sie bestand im wesentlichen, so der Direktor der Deutschen Bauakademie Kurt Liebknecht 1952, darin, dass „unsere humanistische Architektur ihren Optimismus“ und die „unbeugsame Kraft unseres Kampfes um Frieden und Einheit“ durch „aufwärtsstrebende Architekturformen“ zum Ausdruck bringe.


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Der Stil Im Jahr 1950 entschied sich die DDRFührung, Ost-Berlin nach sowjetischem Vorbild und in gesamtdeutscher Perspektive zu einem repräsentativen Regierungssitz auszubauen. Die nach den Zerstörungen wieder verdichtete Stadt sollte über radial und ringförmig verlaufende Straßenzüge erschlossen werden. Zum Zentrum mit den Staatsbauten hin – diskutiert wurden vor allem in den Blickachsen angeordnete Hochhäuser – sollten in steter Steigerung der Wirkung die Machtverhältnisse und der verhießene Wohlstand in der neuen Gesellschaft versinnbildlicht werden.

Hochhaus an der Weberwiese, Hermann Henselmann, 1951

Unter der Losung „Sozialistisch im Inhalt, national in der Form“, hatten sich die Entwerfer auf die „fortschrittlichen Traditionen der deutschen Geschichte“ zu beziehen, wobei für das Bauen in Berlin vor allem der Klassizismus der Zeit um 1800 gemeint war. Symmetrien galten als Ausdruck einer ebenso harmonischen wie dauerhaften Ordnung; sie durften jedoch nicht erdrückend wirken. Die Gestalter bemühten sich, nicht nur an der Stalinallee, der heutigen Karl-Marx-Allee, der wichtigsten Magistrale des Ostens mit ihren „Arbeiterpalästen“, um kultivierte Details in betont handwerk­licher Ausformung und um warme Farbtöne. Der Standort an der Chausseestraße, in

Quelle: IRS Erkner

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Frankfurter Tor, Hermann Henselmann, 1954 Quelle: IRS Erkner

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unmittelbarer Nähe zur damals noch offenen Grenze zu West-Berlin erforderte besondere Sorgfalt, sollte doch eine wichtige Institution der neu eingeführten Planwirtschaft würdevoll und dabei gewinnend repräsentiert werden.

Viele der Architekten, die sich den Vorgaben der SED anzupassen hatten, kamen – wie Johannes Pässler – eigentlich von der Moderne. Nicht wenige verließen in diesen Jahren die DDR, andere bemühten sich um eine persönliche Interpretation des traditionalistischen Formenkanons. Im Unterschied zur Klassizismusrezeption der NS-Zeit, die ihnen noch vor Augen stand, ging es nicht mehr um die abstraktmonu­mentale Aneinanderfügung von unvermittelten Baukörpern, sondern um die Durchgliederung einer integrierenden Fassadenarchitektur. Dabei blieb es den persönlichen Fähigkeiten der Entwerfer überlassen, in Details, wie Gesimsen und Konsolen, Abstand von der Härte der dreißiger Jahre zu gewinnen. Nicht immer, auch an diesem Gebäude – in der Zone unterhalb des Turm-Hauptgesimses –­ , gelang dies vollständig. Am Bau der Industrie- und Handelskammer findet sich eine Reihe von typischen Gestaltungslementen, die von bekannteren Architekten wie Hermann Henselmann und Richard Paulick bereits an der Stalinallee eingesetzt worden waren: Lisenen und feingliedrige Dachaufbauten zur Steigerung des Höheneindrucks und

Arkaden, die den Bau mit seiner Ladenzone im Erdgeschoss zum städtischen Umfeld vermitteln. Mit dem Vorschlag einer Kuppel als Turmbekrönung mag, wie u. a. am Frankfurter Tor, die Idee einer Reverenz an die „Dome“ zu seiten des Gendarmenmarkts verbunden gewesen sein.

Nach dem Tod Stalins 1953 ging von Moskau die Devise aus, durch industrielle Fertigungsweisen die Effektivität des Bauens zu erhöhen. Auch in der DDR war dies, mit einigem zeitlichen Verzug, nicht nur mit einer Vereinfachung der Bauformen verbunden, sondern zunehmend mit einer Annäherung an die Tendenzen der internationalen Moderne. Diese Entwicklung spiegelt sich in der 1957 entstandenen Inneneinrichtung mit den elegant und leicht wirkenden Einbaumöbeln und am zurückhaltend aufgefassten Erweiterungsbau der IHK in der Invalidenstraße wieder.

Die Autoren bedanken sich für die Unterstützung bei: Landesdenkmalamt Berlin Bundesarchiv Berlin Landesarchiv Berlin Peter Kroos, Dortmund Dr. Benedikt Goebel, Berlin Reto Brunner, Zürich Barbara Schimmel, Würzburg/Erkner B e r l i n , C H A U S S EE S T R A S S E 1 1 1


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Dr. Andreas Butter (* 1963 in Dessau) ist wiss. Mitarbeiter am Leibniz-Institut Foto: IRS Erkner für Regionalent­ wicklung und Strukturplanung (IRS)­ in Erkner. Nach Studium der Kunstgeschichte freier denkmalpflegerischer Gutachter; 2003 Promotion zur Moderne in der Architektur der frühen DDR; Lehre am IES Berlin; Mitkurator der Ausstellungen „Ostmoderne“ (Dt. Werkbund Berlin e. V.) und „Bauhausstadt“ (Stiftung Bauhaus Dessau).

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PD Dr. Christoph Bernhardt (* 1957 in Heidelberg) ist Lei­­­­­­ter der zum Foto: IRS Erkner 1.1.2012 am IRS eingerichteten Abteilung „Historische Forschungsstelle/Wiss. Sammlungen“ und Privatdozent an der TU Darmstadt. Seine For­ schungsschwerpunkte sind die europäische Stadt- und Umweltgeschichte.


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Die Planungs- und Baugeschichte 1948

11.10.

1951

26.07. 24.11.

1953

26.03.

12.10.

1954

Der Schadensgrad am Altbau in der Chausseestraße 111/112 beträgt 35,55 Prozent. Das Grundstück, das bislang der Cab-Grundstücks-GmbH ge­hört hatte, wird „in das Eigentum des Volkes“ überführt. Der Schadensgrad am Altbau in der Chausseestraße 113 beträgt 65,6 Prozent. Wegen zu großer Schäden und der vorgesehenen Verbreiterung der Chausseestraße lehnt die Ost-Berliner Abteilung Stadtplanung und Architektur das Vorhaben der Magistrats-Plankommission zum Wieder­­ aufbau des Eckgebäudes an dieser wichtigen Kreuzung ab. Der Schadensgrad am Altbau in der Chausseestraße 111/112 beträgt nun bereits 73 Prozent.

Frühjahr Die IHK lässt durch den Architekten Johannes Pässler verschiedene Grund­stücke, u. a. an der Chausseestraße, Unter den Linden 76 und an der Leipziger Straße 75 in Bezug auf Nutzungs- und Wiederaufbaumöglichkeit prüfen. 16.03. Pässler fragt im Auftrag der IHK bei der Abt. Stadtplanung und Architektur des Magistrats, Helmut Henning an, ob das Gebäude in der Chausseestraße ausgebaut werden könne, das Gebäude sei noch zufriedenstellend erhalten. 27.03. Die IHK teilt Walter Franek, Meisterwerkstatt für Städtebau und Architektur an der Deutschen Bauakademie (DBA) mit, dass der Ausbau der Ruine in der Leipziger Straße nicht möglich sei, da hier eine Straßenverbreiterung geplant sei. 14.04. Die Ruine Chausseestraße wird durch die Meisterwerkstadt für Städtebau und Architektur an der DBA freigegeben. 17.05. Die Vorplanung zum Wiederaufbau der Chausseestraße 111-113, gemäß vorliegendem Raumprogramm vom 14.12.1953 im vorhandenen Bestand, geht an die Meisterwerkstatt für Städtebau und Architektur an der Bauakademie und den Chefarchitekten von Groß-Berlin, Hermann Henselmann.

B e r l i n , C H A U S S EE S T R A S S E 1 1 1


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Ansicht Chausseestraße, Fassadenstudien, 1954

Alternative Eckausbildung, 1954

Quelle: BArch: DE 6, Nr. 705

Quelle: BArch: DE 9, Nr. 705

26.06.

Die Plankommission des Magistrats von Groß-Berlin erteilt die Standortgenehmigung unter der Auflage der Schaffung einer Kolonnade und von Dauerparkplätzen. 02.07. Johannes Pässler legt einen ausführlichen Erläuterungsbericht mit Baubeschreibung vor. In der Folge entstehen mehrere Vorstudien für die Fassadengestaltung mit vertieft und flächig angeordneten Fenstern unterschiedlicher Formate, Varianten mit Bauplastik im Arkadenbereich sowie einer überkuppelten Turmvariante. 09.10. Erteilung der vorläufigen Baugenehmigung durch den Magistrat, nachdem die Enttrümmerung bereits begonnen hat. Der geplante Termin 1.11. für den Baubeginn kann nicht eingehalten werden. Es wird versäumt, eine Lizenznummer für das Bauvorhaben zu beantragen, so dass die Beschaffung von Baumaterial bis 1956 weit über das in der DDR übliche Maß hinaus erschwert wird und die Arbeiten zeitweise fast ganz zum Erliegen kommen. Dezember Pässler erstellt einen Plansatz, dem die Ausführung weitgehend folgt.

1955

18.10.

17.11.

Erst jetzt nimmt die IHK einen Grundstückstausch mit der Volkseigenen Wohnungsverwaltung Berlin Mitte vor, um über das Grundstück Chausseestraße/Invalidenstraße verfügen zu können und überlässt ihr dafür Grundstücke in Radeberg, Kamenz und Quedlinburg. Grundsteinlegung zur Errichtung des Hauses Chausseestraße 111-113/ Invalidenstraße 36/37 unter Verwendung von Teilen der Altbebauung und nach Plänen von Johannes Pässler. Es werden viele Firmen der noch vorhandenen Privatwirtschaft für die Ausführung beauftragt. Die Fassade wird mit rötlichem Rochlitzer Porphyr und gelbbuntem Elbsandstein

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1956

Januar Juni

1957

25.02. 04.07.

1960-61

1965 Mai

1971

verkleidet. Die hochwertige Ausstattung mit Einbaumöbeln, u. a. Barschränken, wird durch den VEB Deutsche Werkstätten Hellerau, dem renommiertesten Möbelhersteller der DDR, vorgenommen. Johannes Pässler wird mit der Projektierung des Erweiterungsbaus Invalidenstraße 38/39 beauftragt. Sein Entwurf führt nahtlos die Gestaltung des älteren Bauteils fort. Nach dem Richtfest am 20.06. wird vorerst die Projektierung des Erweiterungsbaus zugunsten von Wohnungsbauvorhaben eingestellt. Am bereits teilrealisierten Bauteil zeigt sich eine Finanzierungslücke von 650.000 DM. Die ursprünglich kalkulierten Gesamtkosten von 3,6 Millionen DM werden am Ende um ca. 1,9 Millionen DM überschritten. Ein geplantes Relief neben dem Eingang zum Thema „Handel und Industrie“ wird nicht realisiert. Die IHK bezieht ihr neues Gebäude. Das Haus wird feierlich seiner Bestimmung übergeben. Errichtung des Erweiterungsbaus Invalidenstraße 38/39 in zurückgesetzter Bauflucht, nach den Plänen von Karl-August Borchardt. Mit Natursteinsockel, verputzter Lochfassade und ver­glastem Treppenhaus nähert sich die Architektur verhalten der modernen Linie an. Die Innenausstattung konzipiert Erich Balke. Einbau einer Pendeltüranlage am Haupteingang durch die Firma Eltz.

Einbau einer neuen Ladentür: Zur Anpassung werden neue Porphyrplatten in der originalen Farbigkeit angesetzt.

Der Ladenbereich unter den Arkaden an der Chausseestraße 111 wird zu Büroräumen umfunktioniert.

07.05.

Das Stadtbezirksbauamt von Berlin-Mitte untersagt eine weitere Verdichtung auf dem Hofgelände mit Ausnahme von flachen Wirtschaftsgebäuden.

1970er

1976

B e r l i n , C H A U S S EE S T R A S S E 1 1 1


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Lageplan, 1980er Jahre

Quelle: VEB Geodäsie

Grundriss 1. OG. 30.12.1954 Quelle: BArch: DE 9, Nr. 704

1988

16.08.

1990-95

2002-05

Die Standortgenehmigung zum Bau eines zweigeschossigen Küchentrakts im Hof wird erteilt.

Die zeitweise untergliederten und als Büros genutzten Foyers werden wieder geöffnet. An der Rückseite des älteren Bauteils erfolgt der Einbau von Erschließungsgalerien und die teilweise Umwandlung des Hofs in ein überdachtes Atrium.

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links: Atrium in der Gesch채ftsstelle, Foto: Peter Himsel

rechts: Aussenansicht der Gesch채ftsstelle, Foto: Hartmut Faustmann


Dachterrasse der Gesch채ftsstelle Foto: Jan Zappner



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Die Institute der Leibniz-Gemeinschaft Baden-Württemberg FIZ KA GESIS IDS

IWM KIS MFO ZEW

Bayern DFA DM GNM ifo IfZ Berlin DIW DRFZ FBH FMP IGB IKZ IZW

FIZ Karlsruhe – Leibniz-Institut für Informationsinfrastruktur GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften, Köln, Mannheim, Berlin Institut für Deutsche Sprache, Mannheim Leibniz-Institut für Wissensmedien, Tübingen Kiepenheuer-Institut für Sonnenphysik, Freiburg Mathematisches Forschungsinstitut Oberwolfach Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, Mannheim Deutsche Forschungsanstalt für Lebensmittelchemie, Freising Deutsches Museum, München Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg ifo Institut – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München Institut für Zeitgeschichte MünchenBerlin Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin Deutsches Rheuma-Forschungszentrum Berlin Ferdinand-Braun-Institut, LeibnizInstitut für Höchst­frequenztechnik, Berlin Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie, Berlin Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei, Berlin Leibniz-Institut für Kristallzüchtung, Berlin Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung, Berlin

MBI MfN PDI WIAS WZB

Max-Born-Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie, Berlin Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung, Berlin Paul-Drude-Institut für Festkörperelektronik, Berlin Weierstraß-Institut für Angewandte Analysis und Stochastik, Berlin Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Brandenburg AIP Leibniz-Institut für Astro­physik Potsdam ATB Leibniz-Institut für Agrartechnik Potsdam-Bornim DIfE Deutsches Institut für Ernährungs­ forschung Potsdam-Rehbrücke IGZ Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau, Großbeeren & Erfurt IHP Leibniz-Institut für innovative Mikroelektronik, Frankfurt (Oder) IRS Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung, Erkner PIK Potsdam-Institut für Klimafolgen­ forschung ZALF Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung, Müncheberg ZZF Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam Bremen BIPS DSM

ZMT

Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie, Bremen Deutsches Schiffahrtsmuseum, Bremerhaven Leibniz-Zentrum für Marine Tropenökologie, Bremen

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Hamburg BNI GIGA HPI

Hessen DIPF HI HSFK SGN

Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, Hamburg German Institute of Global and Area Studies, Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien, Hamburg Heinrich-Pette-Institut – LeibnizInstitut für Experimentelle Virologie, Hamburg Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung, Frankfurt am Main und Berlin Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung – Institut der Leibniz-Gemeinschaft, Marburg Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, Frankfurt am Main Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, Frankfurt am Main

Mecklenburg-Vorpommern FBN Leibniz-Institut für Nutztierbiologie, Dummerstorf IAP Leibniz-Institut für Atmosphärenphysik an der Universität Rostock, Kühlungsborn INP Leibniz-Institut für Plasmaforschung und Technologie, Greifswald IOW Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde an der Universität Rostock LIKAT Leibniz-Institut für Katalyse an der Universität Rostock

Niedersachsen ARL Akademie für Raumforschung und Landesplanung – Leibniz-Forum für Raumwissenschaften, Hannover DPZ Deutsches Primatenzentrum – Leibniz-Institut für Primatenforschung, Göttingen DSMZ Leibniz-Institut DSMZ – Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen, Braunschweig

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GEI

LIAG TIB

Georg-Eckert-Institut für Internationale Schulbuchforschung, Braunschweig Leibniz-Institut für Angewandte Geophysik, Hannover Technische Informations­bibliothek, Hannover

Nordrhein-Westfalen DBM Deutsches Bergbau-Museum, Bochum DDZ Deutsches Diabetes-Zentrum, LeibnizZentrum für Diabetes-Forschung an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf DIE Deutsches Institut für Erwachsenenbildung – Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen, Bonn IfADo Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund ILS Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung, Dortmund (assoziiertes Mitglied) ISAS Leibniz-Institut für Analytische Wissenschaften, Dortmund und Berlin IUF Leibniz-Institut für umweltmedizinische Forschung an der HeinrichHeine-Universität Düsseldorf RWI Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung, Essen ZB MED Deutsche Zentralbibliothek für Medizin, Köln und Bonn ZFMK Zoologisches Forschungsmuseum Alexander Koenig – Leibniz-Institut für Biodiversität der Tiere, Bonn Rheinland-Pfalz FÖ Deutsches Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung, Speyer IEG Leibniz-Institut für Europäische Geschichte, Mainz RGZM Römisch-Germanisches Zentralmuseum. Forschungsinstitut für Archäologie, Mainz ZPID Leibniz-Zentrum für Psychologische Information und Dokumentation, Trier


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Saarland INM LZI Sachsen IfL TROPOS IFW IOM IÖR IPF

Leibniz-Institut für Neue Materialien, Saarbrücken Schloss Dagstuhl – Leibniz-Zentrum für Informatik Leibniz-Institut für Länderkunde, Leipzig Leibniz-Institut für Troposphärenforschung, Leipzig Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoff­forschung Dresden Leibniz-Institut für Ober­ flächenmodifizierung, Leipzig Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung, Dresden Leibniz-Institut für Polymerforschung, Dresden

Sachsen-Anhalt IAMO Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa, Halle IPB Leibniz-Institut für Pflanzenbio­ chemie, Halle IPK Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung, Gatersleben

IWH LIN

Institut für Wirtschaftsforschung, Halle Leibniz-Institut für Neurobiologie, Magdeburg

Schleswig-Holstein FZB Forschungszentrum Borstel – Leibniz-Zentrum für Medizin und Biowissenschaften, Borstel IfW Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel IPN Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik, Kiel ZBW Deutsche Zentralbibliothek für Wirtschaftswissenschaften – LeibnizInformationszentrum Wirtschaft, Kiel Thüringen FLI HKI

Leibniz-Institut für Altersforschung – Fritz-Lipmann-Institut, Jena Leibniz-Institut für NaturstoffForschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut, Jena

Sektion A Bildung und kulturelle Überlieferung

Sektion B Wirtschaftliche und räumliche Entwicklung, demokratische Teilhabe und soziale Integration

Sektion C Gesundheit und Biodiversität

Sektion D Licht, Materialien und Modelle

Sektion E Umwelt und nachhaltige Entwicklung

www.leibniz-gemeinschaft.de B e r l i n , C H A U S S EE S T R A S S E 1 1 1


43

ZBW IPN IfW

IOW

SchleswigHolstein

Hamburg

Niedersachsen

RWI

DBM

LIN

DPZ

IWH

IPB

TROPOS

HI

IfL

IOM

IÖR

Sachsen

DIPF SGN HSFK

RGZM IEG

LZI

ZEW

Saarland

GNM

GESIS

FÖV IDS FIZ KA

IWM

Bayern

BadenWürttemberg

KIS

MFO

DFA

IfZ DM

W i ll k o m m e n b e i D e r L e i b n i z - G e m e i n scha f t

IFW

IPF

FLI HKI

Thüringen

INM

IGB IRS

PDI

IHP

Berlin

IAMO

DIE

ZPID

MfN IZW ZALF

ZZF DIfE IGZ WZB FBH MBI IKZ

IPK

Hessen

RheinlandPfalz

FMP

ATB PIK AIP

GEI DSMZ

IfADo

ZFMK

ZB MED

WIAS DIW

ISAS

ILS

IUF DDZ

ARL

DRFZ

SachsenAnhalt

LIAG

NordrheinWestfalen

INP

Brandenburg

ZMT

TIB

FBN

MecklenburgVorpommern

GIGA

BIPS

Bremen

FZB

HPI

BNI DSM

LIKAT

IAP

ifo



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