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Auf einen Keks mit Leibniz
N° 8 Technik
In seiner Kolumne widmet sich der Philosoph CHRISTIAN UHLE Gedanken von Gottfried Wilhelm Leibniz — und holt sie ins Heute.
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Was macht den Menschen aus? Viele Philosophen waren sich einig: Es ist der sprachliche Verstand, welcher uns von der Tierwelt unterscheidet. Gottfried Wilhelm Leibniz war da eine Ausnahme und betonte die Technik. Schon im 17. Jahrhundert, vor der industriellen Revolution, erkannte er, »dass die Welt sich ändert und die Menschen geschickter werden, indem sie tausend neue Kunstgriffe erfinden, während die Hirsche und Hasen der Gegenwart nicht schlauer sind als die der Vergangenheit.« Vermutlich verdankte Leibniz diese pragmatische Sicht seinen breiten Interessen. Er philosophierte nicht nur, sondern war auch Mathematiker, Jurist und Erfinder, entwickelte Rechenmaschinen und Entwässerungsanlagen. 300 Jahre später lässt sich mit Leibniz’ Aussage niemand schocken. Längst strukturiert Technologie das große Ganze, wie die Globalisierung oder bewaffnete Konflikte. Und die kleinen Momente beim Kochen oder Netflixen, unsere Arbeit und Lebenszeit. Deshalb ist es wichtig, über Technik nachzudenken. Sie eröffnet neue Welten, aber stellt sich auch dazwischen, bringt — in Zeiten von Videokonferenzen besonders spürbar — das Gegenüber auf Distanz, macht Erfahrungen mittelbar. Es droht, was Philosophen eine »Verdinglichung« nennen: Was außerhalb meiner selbst liegt, wird eher als Objekt verstanden denn als Gegenüber empfunden. Denn der technische Blick begreift die Welt als etwas, das entsprechend der eigenen Bedürfnisse gestaltet werden kann. Heute erleben wir die Kehrseite dieses Blicks. Der Klimawandel ist eine Folge von Technologie. Wir beginnen zu verstehen: Unser evolutionäres Überleben hängt davon ab, dass wir wieder lernen, uns an natürliche Rahmenbedingungen anzupassen — wie alle anderen Spezies auch.
Seit Leibniz ist also viel passiert. Manche Technologie hätte den Universalgelehrten begeistert. Aber eines vermutlich nicht: dass Innovation so häufig als Selbstzweck gesehen wird, als automatisch gut. Für Leibniz stand gesellschaftliche Entwicklung im Vordergrund. Vielleicht können wir darin Ansätze für eine Zukunftsgestaltung finden. Technologie kann dem Fortschritt dienen, sie selbst ist aber noch kein Fortschritt. Was aber ist Fortschritt, wenn nicht Bildschirme in HD-Auflösung? Das können wir nur gemeinsam entscheiden. Für diese Verständigung brauchen wir, was Philosophen so gern hochhalten: Sprache und Verstand. Und vielleicht auch den Mut, uns anzupassen, an eine Welt, die wir erspüren, anstatt sie auf Distanz zu bringen.
Text CHRISTIAN UHLE Illustration JAKOB HINRICHS