Leibniz-Journal 1/2013

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Überholspur

Stadt und Land

Forscherinnen im Museum

Leere oder Raum für Neues

Renten-Debatte

Arbeit bald bis 69?

Leibniz-Journal Das Magazin der Leibniz-Gemeinschaft

Zukunft leben F

FeebbruaVro2n r 0 bis buiasr 20113 MäMrzärz 2 3 20 014

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Leben im demografischen Wandel


Zukunft leben

Von Febru ar bis M 2013 ärz 20 14

Der demog demografische ische Wandel Wie werden wir morgen lernen, arbeiten und altern? Welche Chancen eröffnet der demografische Wandel? Die Ausstellung zum Wissenschaftsjahr zeigt Entwicklungen und stellt Schlüsselfragen unserer Zukunft.

Eine Ausstellung der Leibniz-Gemeinschaft Museum für Naturkunde, Berlin Römisch-Germanisches Zentralmuseum, Mainz Deutsches Hygiene-Museum, Dresden Deutsches Bergbau-Museum, Bochum Deutsches Schiffahrtsmuseum, Bremerhaven Deutsches Museum, München

27.02.-7.04.2013 19.04.-2.06.2013 14.06.-21.07.2013 20.09.-27.10.2013 15.11.-9.01.2014 31.01.-30.03.2014

www.demografische-chance.de


Leibniz | inTRO

Liebe Leserin, lieber Leser,

Titel-Foto: picture alliance; Hintergrund:Stefan Mattlik

Überalterung, Pflegenotstand, Fachkräftemangel – die Schlagworte zum demografischen Wandel sind schnell identifiziert. Doch der zweite Blick bringt andere Einsichten: Wir werden zwar älter, aber es sind zu einem guten Teil Jahre in Gesundheit, die wir dazu gewinnen. Die Bevölkerung wird zwar schrumpfen, aber der Personalmangel könnte zur Chance werden für Ältere, Zuwanderer, Frauen und für jene, die man bisher hat fallen lassen. Der demografische Wandel kommt nicht über uns – er lässt sich gestalten. Mit vielen Stellschrauben kann die Entwicklung beeinflusst werden. Dabei wird es auch quietschen: Wenn die Diskussion zur Rente, nein: nicht mit 67, sondern mit 69 losgeht, lassen sich die Transparente zum 1. Mai schon ausmalen. Andererseits scheint es einigermaßen logisch, dass Produktivitätsgewinne allein nicht finanzieren können, was an Kosten entsteht, wenn die Menschen nicht zwei oder drei Jahre Rente beziehen, sondern zwölf oder zwanzig. Prognosen sind besonders schwierig, sagt ein Bonmot, wenn sie die Zukunft betreffen. Insofern ist mit Vorsicht zu genießen, was da so alles vorhergesagt wird. Selbst die erwartete Verödung der Dörfer könnte sich mancherorts umdrehen, wenn die Kostenvorteile eines Pendlerdaseins die Nachteile des Landlebens überwiegen. Die Folgen des demografischen Wandels sind Schwerpunkt dieses Heftes, das auch die zentrale Ausstellung zum Wissenschaftsjahr 2013 begleitet: „Zukunft leben: Die demografische Chance“. Die von der Leibniz-Gemeinschaft gestaltete Ausstellung startet im Berliner Museum für Naturkunde und wandert dann durch vier weitere Leibniz-Forschungsmuseen in Mainz, Bochum, Bremerhaven und München sowie durch das Deutsche Hygienemuseum in Dresden. Die Beiträge in diesem Heft spiegeln das weite Spektrum der Forschung bei Leibniz zu diesem Thema exemplarisch: Wirtschafts-, Bildungs-, Raum-, Gesundheitsforschung. | Ab Seite 11

Weiterführende Links können Sie mit einem Smartphone und einer App für QR-Codes (z.B. ZBar) scannen

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Vorneweg zwei Kommentare zu ganz anderen Themen: Thomas Glauben bezweifelt, dass die Finanzspekulation mit Agrarrohstoffen jene negativen Auswirkungen hat, die ihre Kritiker behaupten, und Hans Joachim Schellnhuber setzt sich mit „drei bequemen Unwahrheiten“ zum Klimawandel auseinander. | Seite 8 und 9 Bleiben Sie neugierig!

Inhalt KURZ & FORSCH

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PERSPEKTIVEN Thomas Glauben: zivilgesellschaftlicher Fehlalarm ..............8 Hans Joachim Schellnhuber: Drei bequeme Unwahrheiten ......9

TITELTHEMA DEMOGRAFISCHER WANDEL

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Leben im demografischen Wandel ................................. 11 Stadt, Land, Leere: regionale Auswirkungen des demografischen Wandels ....................................... 16 das Wissenschaftsjahr 2013 ......................................... 21 Alte Schule: Lebenslanges Lernen wird zunehmend eine gesellschaftliche notwendigkeit ............................. 22 Alt, krank, teuer? interview mit dem Altersforscher Karl Lenhard Rudolph ................................................ 24 Landflucht und biodiversität: der Wolf kommt, der Mensch darf bleiben ............................................. 27 Migration: Deutschland braucht einwanderung .................. 28 Länger leben, länger arbeiten – rente mit 69? .................. 30 kopfarbeit: Ältere beschäftigte fit für die Herausforderungen der Arbeitswelt machen ................ 33

LEIBNIZ LEKTÜRE

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SPEKTRUM männerdomäne ade: erfolgreiche frauen am berliner naturkundemuseum ................................... 38 MUSEEN Aktuelle Sonderausstellungen ...................................... 40 Willkommen aus der Urzeit ......................................... 41 LEIBNIZ LIFE karl Ulrich mayer: Leistung durch eigenständigkeit ............ 42 Leibniz in kürze ....................................................... 46 Verlosungen ............................................................ 48 LEIBNIZ LEUTE

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IMPRESSUM

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Christian Walther 3


Leibniz | KURz & FORSCH

Allein auf weiter Flur: Bauern werden weniger.

Nur zwei von 100 Erwerbstätigen in Deutschland arbeiten in der Landwirtschaft, ein Drittel weniger als noch vor 20 Jahren. Karten des Leibniz-Instituts für Länderkunde in Leipzig, die auf Daten des Leibniz-Instituts für Agrarentwicklung in Mittelund Osteuropa in Halle basieren, illustrieren das: Während in einzelnen Landkreisen Bayerns und Mecklenburg-Vorpommerns über elf Prozent der Beschäftigten im Agrarsektor arbeiten, ist diese Quote in Südwestdeutschland und in Städten niedriger. Deutlich unter dem Bundessdurchschnitt von 2,1 Prozent liegen die Stadtstaaten

Berlin, Bremen und Hamburg. Für die Entwicklung machen die Forscher vor allem die Technisierung der Landwirtschaft und die Umwandlung der kollektivierten Agrarbetriebe in Ostdeutschland Anfang der 1990er Jahre verantwortlich. Dennoch hat die hiesige Landwirtschaft Potenzial: Die gestiegenen Weltmarktpreise für Nahrungsmittel und steigende Nachfrage nach Bio-Erzeugnissen könnten dem Agrarstandort Deutschland sogar zu neuer Aufmerksamkeit verhelfen.

http://aktuell.nationalatlas.de/ Landwirtschaft.12_11-2012.0.html

Preisgekrönter „Tomatenfisch“

Mit Abwasser aus der Fischzucht Tomaten ziehen, für diese Idee haben Forscher des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin den Forschungspreis „Nachhaltige Entwicklungen“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung erhalten. Das Gewinnerprojekt verbindet Aquakultur und Gemüseanbau in einer ungewöhnlichen Wohngemeinschaft: Fisch und Gemüse gedeihen im selben Gewächshaus, die Nährstoffe aus dem Teichwasser dienen dabei als Dünger. Diese Form des „Urban Farming“ macht es möglich,

Lebensmittel emissionsarm und wassersparend zu produzieren. Der „Tomatenfisch“ konnte sich so gegen 70 Konkurrenzprojekte durchsetzen.

www.tomatenfisch.igb-berlin.de

DOI = Digital Object Identifier, ein eindeutiger und dauerhafter Identifikator für digitale Objekte, vor allem für Online-Artikel von wissenschaftlichen Fachzeitschriften verwendet

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Unterwegs in der Antarktis: Forscher des PIK

Stärkerer Schneefall führt zu mehr Eisverlust in der Antarktis, zu diesem Ergebnis kommt das PotsdamInstitut für Klimafolgenforschung (PIK). Da wärmere Luft mehr Feuchtigkeit speichert, werden die Niederschläge im Zuge der globalen Erwärmung allgemein zunehmen – auch in der Antarktis. Bisher hatte man spekuliert, der antarktische Eispanzer würde durch den zusätzlichen Schneefall anschwellen. Das hätte die Schmelze verlangsamt und dem Ansteigen des Meeresspiegels ent-

gegengewirkt. Die in der Fachzeitschrift Nature veröffentlichte Studie des PIK bereitet dieser Hoffnung nun jedoch ein Ende. Der Schnee lässt die Eisschicht zwar anwachsen, gleichzeitig wandert das Eis durch sein Gewicht aber schneller zur Küste. Größere Eismassen gelangen in den antarktischen Ozean. Dort schmelzen sie ab und tragen so maßgeblich zum Ansteigen des Meeresspiegels bei. Die Potsdamer Forscher rechnen damit, dass Zukunfts- der Schneefall in der trächtige Antarktis bis auf das Kombina- Dreifache zunehmen wird, sollten die Temtion: der weiter Tomaten- peraturen steigen – mit graviefisch renden Folgen für das Klima. Nature 492, 7428 (2012). doi:10.1038/ nature11616

Auf den Hund gekommen

Die Staupe zählt nicht nur zu den häufigsten Virusinfektionen bei Hunden, sie ist auch eine der gefährlichsten. Schnupfen, Fieber und Durchfall löst sie aus, nicht selten endet die Ansteckung tödlich. Über die Entwicklung des Virus, das auch Raubtiere befällt, war bislang wenig bekannt. Man ging davon aus, dass es zunächst bei Hunden aufgetreten und erst später auf andere Haus- und Wildtiere übergesprungen ist. Versuche des Berliner Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung legen nun das Gegenteil nahe. Die Biologen haben die Strukturen der Viren untersucht und festgestellt, dass die bei Wildtieren aufgefundene StaupeForm sehr allgemeine Merkmale aufweist und so zu den Wirtszellen vieler verschiedener Tierarten passt. Die Hundestaupe hat hingegen eine spezialisierte Form entwickelt, die nur an die Zellen des Hundes „andocken“ kann. Mit seiner steigenden Verbreitung wurde der Hund ein besonders lukrativer Wirt für das Virus. PLoS ONE 7(12). doi:10.1371/journal. pone.0050955

Fossiler Schubladenfund

Wissenschaftler des Berliner Museums für Naturkunde haben eine außergewöhnliche Entdeckung gemacht: den vier Zentimeter großen Abdruck eines Vierfüßer-Schädels. Ursprünglich stammt das Fossil aus ▶ 1/2013

Fotos: Dragon30/Photocase; Maria Martin/PIK; IGB, MfN; R. René HellerAIP

Mehr Schnee, weniger Eis

Bauern machen sich vom Acker


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340 Millionen Jahre alten Gesteinsschichten Missouris, doch für ihre Entdeckung mussten die Forscher nicht nach Amerika reisen. Sie fanden die Versteinerung in der museumseigenen Sammlung. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts kam sie nach Berlin und landete als „Rest eines unbestimmten Quastenflossers“ in der Schublade. Eine Fehlbezeichnung, die die Berliner Forscher nun fast 100 Jahre später korrigierten. Sie identifizierten das Fundstück als

Tetrapoden aus der Zeit des Unter-Karbons: als Landwirbeltier. Nur wenige fossile Vierfüßer dieser Zeit sind erhalten, dabei wurde es gerade in dieser Phase spannend in der Erdgeschichte: Vor 360 bis 380 Millionen Jahren verließen die Tetrapoden das Wasser und begannen, das Land zu bevölkern. Das Berliner Fossil gehört zu den frühen Exemplaren dieser Gruppe, den sogenannten Colosteiden. Sie entwickelten sich, noch bevor es zur Spaltung der Vierfüßer in die Großgruppen der Amphibien und Amnioten (Reptilien, Vögel, Säugetiere) kam. Fieldiana Life and Earth Sciences Number 5 :17-39. 2012. doi: http://dx.doi. org/10.3158/21585520-5.1.17

Leibniz ASTRObiOLOGiSCH

Mann im Mond?

Um herauszufinden, ob auf monden außerhalb unseres sonnensystems Leben möglich ist, braucht René Heller vom Leibniz-institut für astrophysik potsdam keine expedition — er kann es berechnen. in zusammenarbeit mit amerikanischen Wissenschaftlern hat Heller den mindestabstand ermittelt, den die sogenannten exomonde zu ihren mutterplaneten haben müssen, um erdbewohner beherbergen zu können. als „habitable kante“ wird er bezeichnet. führt seine Umlaufbahn einen exomond näher an seinen planeten, wird er durch reibungskräfte so stark erhitzt, das Leben keine chance hat, Forscher sprechen von der „Gezeitenheizung“. bislang hatten sich astronomen bei ihrer suche nach einer zweiten erde außerhalb unseres sonnensystems vor allem auf planeten konzentriert. da sie jedoch nur sechs lebensfreundliche planeten beobachten konnten, sind nun die exomonde in den fokus gerückt. 2012 begann eine Suchkampagne mit dem nASA-Teleskop „Kepler“.

Astrobiology. January 2013, 13(1): 18-46. doi:10.1089/ast.2012.0859.

Kongress ohne Kompromiss Ihr perfekter Gastgeber: Berlin

convention.visitBerlin.de

Ein perfekter Kongress ist mehr als perfekte Organisation. Mehr als perfekte Räumlichkeit. Mehr als perfekter Service. Zu einem perfekten Kongress gehört auch ein Gastgeber, der sich um den Rahmen kümmert. Berlin, die aufregendste Metropole in Europa tut das. Ob Kultur, Sport oder Party, Berlin gibt sein Bestes. Als Gastgeber für einen Kongress ohne Kompromiss! convention.visitBerlin.de 1/2013

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Leibniz | KURz & FORSCH

Kluge Ziege

Studienleiter Robert Arlinghaus mit einem Forellenbarsch-Männchen.

Fürsorgliche Männchen des nordamerikanischen Forellenbarsches Micropterus salmoides gehen Anglern eher an den Haken als die Rabenväter unter ihren Artgenossen. Das hat ein internationales Forscherteam um Robert Arlinghaus vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei herausgefunden. Forellenbarsche pflegen ihre Nester, um die Überlebenschancen ihrer Nachkommen zu verbessern. Besonders fleißige Fischväter bringen sich dabei in Lebensgefahr. Sie verteidigen ihr Nest so vehement, dass sie auch Angelhaken als Eindringlinge betrachten und attackieren. Das wirkt sich auf die Evolution der Forellenbarsche aus: Rabenväter überleben häufiger und pflanzen sich so auch häufiger fort, von Barschgeneration zu Barschgeneration nimmt ihr Anteil zu. Sie sind dabei nicht nur weniger fürsorglich, sondern auch kleiner und haben weniger Nachkommen. Für Angler bedeutet das sinkende Fangquoten. Schonzeiten in der Laichperiode 6

könnten dem entgegenwirken. Proceedings of the National Academy of Sciences doi: 10.1073/ pnas.1212536109

Aufholjagd im Supermarkt

Männer finden immer öfter den Weg in den Supermarkt. Das zeigt eine Studie des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI). Die Essener Ökonomen werteten dafür Daten des Deutschen Mobilitätspanels aus. Sie fanden heraus, dass Männer noch 1996 wöchentlich 140 Minuten weniger einkaufen gingen als ihre Partnerinnen. Bis 2009 sank die Differenz immerhin auf unter 40 Minuten. Und trotzdem: Den größten Teil der Haushaltseinkäufe erledigen noch immer die Frauen. Das gilt besonders in Familien mit Kindern – und sogar wenn beide Partner in Vollzeit arbeiten. Ruhr Economic Paper #393 doi: 10.4419/86788448

Von wegen dumm: In Versuchen stellte sich heraus, dass Ziegen intelligenter sind als angenommen.

Ziegen sind weniger dumm als der Volksmund behauptet, sogar in abstrakten Kategorien können sie denken. Mitarbeitern des Leibniz-Instituts für Nutztierbiologie in Dummerstorf ist es gelungen, Zwergziegen so zu trainieren, dass sie visuelle Symbole nach abstrakten Eigenschaften unterscheiden können. Die Tiere wurden mit Wasser belohnt, wenn sie bestimmte Symbole auf einem Bildschirm erkannten. Die Auswahl erfolgte durch das Drücken eines Schalters mit dem Nasenrücken. Die

Ziegen unterschieden dabei Symbole bestimmter Form und Farbe, die mit zwei abstrakten Kategorien verknüpft wurden: Belohnung und Nichtbelohnung. Außerhalb des Labors ermöglicht ihr Denkvermögen es den Tieren, wichtige Informationen von unwichtigen zu unterscheiden. Eine Fähigkeit, die bislang nur bei wenigen Säugern und Vögeln nachgewiesen wurde. Der Forschung sollen die Erkenntnisse über das Denken der Ziege helfen, die Haltungsbedingungen zu verbessern.

Fotos: Dave Willis/IGB; FBN; Dorothee Zielke/ZALF; dirty pretty thing/Photocase; Heike Kappes/Senckenberg; FBN; Alexander Dorn/FLI; Stefan Günther/IZW; Hwa Ja Götz/MfN; ZFMK; ZMT; RGZM

Fürsorge mit Haken

Angriff aus Fernost

Das Mitmachprojekt „Mückenatlas“ liefert neue Erkenntnisse. Bereits im April 2012 hatte das Leibniz-Zentrum für Agrarlandforschung (ZALF) die Bevölkerung aufgerufen, die surrenden Plagegeister zu sammeln und an das Institut in Müncheberg zu senden. So wurde auch eine größere Population der asiatischen Buschmücke Aedes japonicus erfasst, die in Deutschland bisher weitgehend unbekannt war. Der Einwanderer aus Fernost hat sich vor allem im Süden Nordrhein-Westfalens und im Norden von Rheinland-Pfalz ausgebreitet und hält sich bevorzugt in der Nähe von Gewässern auf. Seine Larven wurden in Blumenvasen, Gießkannen und auf Friedhöfen entdeckt. Das aggressive Insekt scheint nicht nur heimische Mückenarten zu verdrängen, sondern kann auch

dem Menschen gefährlich werden: als Überträger des WestNil-Virus. Mit dem „Mückenatlas“ sollen alle in Deutschland vorkommenden Mückenarten und ihre Verbreitungsgebiete erfasst werden – und die Krankheiten, die sie übertragen könnten. Parasites & Vectors 2012, 5:284

doi:10.1186/1756-3305-5-284

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Liste

Tiere spielen in der Forschung eine große Rolle – als Forschungsobjekt genauso wie als Modellorganismus. Hier einige kuriose Beispiele aus den Leibniz-Instituten: sie läuft und läuft und läuft… die Marathonmaus am Leibniz-institut für nutztierbiologie. entwickelt nach phänotyp-basierter selektion über mehr als 115 Generationen schafft sie es durch eine erhöhte Fettsynthese in der Leber viermal so weit zu laufen wie „normale“ mäuse.

Massenvorkommen der Asiatischen Körbchenmuschel am Niederrhein bei Wesel.

Invasoren lieben Schmutzwasser

Eingeschleppte Tierarten fühlen sich in mit Schadstoffen belasteten Flüssen besonders wohl. An über 1.000 Orten nahm ein Team des Senckenberg Forschungsinstitutes in Gelnhausen invasive Arten unter die Lupe: Schnecken, Muscheln, Flohkrebse und Asseln, die aus fernen Ländern in deutsche Fließgewässer eingeschleppt wurden. Sie beobachteten, dass die tierischen Eindringlinge sich vermehrt in Flüssen mit erhöhter Salzbelastung und Temperatur und geringer Sauerstoffsättigung ausbreiten. Unter ähnlichen Bedingungen gelangten die Weichtiere im Ballastwasser von Schiffen in deutsche Gefilde. Gegen die anpassungsfähigen Neuankömmlinge kommen heimische Arten oft nicht an, vielerorts bedrohen invasive Arten deshalb die Biodiversität. Die Gelnhausener Forscher sprechen von einer voranschreitenden „McDonaldisierung“ der Tierwelt: überall das gleiche Angebot. Ecology and Evolution 2012; 2(11): 2843–2853 doi: 10.1002/ece3.382

Biological Invasions 2012; Volume 14, Issue 11: 2243-2253 doi: 10.1007/s10530-012-0226-9 1/2013

Der Prachtgrundkärpfling Nothobranchius furzeri aus Ostafrika besticht nicht nur durch seine Farbenpracht, sondern ist auch für die altersforschung interessant. er wird nur wenige monate alt und hält damit unter den Wirbeltieren den rekord der kürzesten Lebensspanne, bereits nach wenigen Wochen treten Leistungsverluste und alterserkrankungen auf. das Leibniz-institut für altersforschung nutzt ihn daher als modellorganismus. Sie sehen aus wie nackte Hamster, leben aber in kolonien ähnlich einem ameisenstaat mit nur einem fortpflanzungsfähigen Weibchen: die Nacktmulle. Das Leibnizinstitut für zoo- und Wildtierforschung erforscht an diesen bewohnern afrikanischer Halbwüsten, ob säugetiere die geschlechtsverteilung ihrer nachkommen beeinflussen können. das männchen des Tiefsee-Anglerfischs Linophryne maderensis ist sehr anhänglich, wie das einzigartige exemplar aus der sammlung des museums für naturkunde zeigt. als „parasitäres zwergmännchen“ bleibt es sehr klein und verbeißt sich zur fortpflanzung in ein Weibchen, verwächst mit ihm und wird über dessen blutkreislauf miternährt, um seine einzige aufgabe zu erfüllen: die besamung der eier. Zygaena halima aus der Familie der Widderchen oder Blutströpfchen (zygaenidae) ist ein Unikat. Das 1977 von Clas M. naumann beschriebene Tier stammt aus der nähe von kabul in afghanistan und ist das einzige bekannte exemplar dieser art weltweit. es befindet sich in der sammlung des zoologischen forschungsmuseums alexander koenig in bonn. Auch nemo hat ein schwarzes Schaf in der familie. das Leibniz-zentrum für marine tropenökologie erforscht und züchtet Anemonenfische in seiner Meerwasserversuchsanlage. Darunter auch die seltene schwarze Variante, die nur in nord-Australien vorkommt und deshalb auf dem aquarienmarkt heiß begehrt ist. die nachzuchten der Leibniz-forscher sollen auch helfen, die zahl der Wildfänge zu reduzieren. bei heimischen tieren denkt kaum jemand an nashörner. ein trugschluss, wie das Breitmaulnashorn Ceratotherium simum aus der archäozoologische vergleichssammlung der außenstelle Monrepos des Römisch-Germanischen zentralmuseums zeigt. Die zwei Tonnen schweren Tiere waren bestandteil des Speiseplans heimischer neandertaler. 7


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Zivilgesellschaftlicher

Fehlalarm

Finanzspekulationen mit Agrarrohstoffen sind keine Ursache für die weltweit steigenden Lebensmittelpreise und den Hunger

Thomas Glauben ist seit 2005 Direktor des Leibniz-Instituts für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa (IAMO) und Professor an der Universität Halle-Wittenberg. Der Agrarökonom ist ­unter anderem Experte für Markt­ entwicklungen und inter­nationale Wirtschafts­ beziehungen.

Diese Entwicklung hat den Verdacht aufkommen lassen, dass die CITs für die dramatischen Preisereignisse der Jahre 2007/08, 2010/11 und 2012 auf internationalen Agrarrohstoffmärkten kausal verantwortlich sein könnten. Angesichts globaler Hungerrevolten haben zahlreiche Vertreter aus Theorie und Praxis gemutmaßt, dass die von den CITs ausgehende Finanzspekulation mit Agrarrohstoffen die rasante Verteuerung von Lebensmitteln hervorgerufen hat, unter der insbesondere von extremer Armut betroffene Menschen zu leiden hatten. Dieser Verdacht hat eine intensiv geführte internationale Diskussion angestoßen, die bereits Regulierungsmaßnahmen nach sich gezogen hat: Beispielsweise führten die USA Marktzugangsbeschränkungen ein, sogenannte Positionslimits. In Europa wird daran gearbeitet, die Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID) zu aktualisieren. In diesem Kontext engagieren sich

mehrere namhafte zivilgesellschaftliche Organisationen in Deutschland in einer gemeinsamen Öffentlichkeitskampagne. Sie haben sich mit der Botschaft, dass Spekulationen mit Agrarrohstoffen Hunger auslösen, an die Öffentlichkeit gewandt. Sie fordern, eine Transaktionssteuer einzuführen, Terminmarktspekulanten scharfe Positionslimits aufzuerlegen und die Finanzspekulation durch CITs vollständig zu verbieten.

Der Verdacht, dass Finanzspekulationen für die weltweit steigenden Lebensmittelpreise oder gar für den Hunger in der Welt verantwortlich sind, ist aus wissenschaftlicher Sicht jedoch nicht begründet. Warenterminmärkte operieren auf Grund ihrer Versicherungsfunktion im Modus institutioneller Solidarität, das heißt, der Finanzspekulant nimmt dem Agrarproduzenten das Preisrisiko gegen Zahlung einer Prämie ab. Entsprechend wundert es nicht, dass die Mehrheit der empirischen Forschungsarbeiten mit wissenschaftlicher Substanz keinen signifikant preistreibenden Einfluss von Spekulationen auf die Agrarrohstoffpreise feststellen kann. Dies wird in einer aktuellen Literaturstudie des IAMO und der Gruppe um den Hallenser Wirtschaftsethiker Ingo Pies bestätigt. Viel mehr darf nach aktuellem Stand der Forschung erwartet werden, dass Finanzspekulationen dazu beitragen, die Agrarmärkte nicht schlechter, sondern besser funktionieren zu lassen. Auch wenn die Forschungsliteratur noch Fragen offen lässt und erheblichen Forschungsbedarf signalisiert, so spricht dennoch angesichts des gegenwärtigen Erkenntnisstandes einiges dafür, den zivilgesellschaftlichen Alarm als Fehlalarm einzustufen. Es muss sogar befürchtet werden, dass damit entwicklungspolitische Fehlsignale gesendet werden. Von hausgemachten Problemen in Entwicklungsländern wird abgelenkt, und zentrale Ursachen von Hunger und Unterernährung geraten in den Hintergrund. Wer den Hunger in der Welt wirksam bekämpfen will, muss realwirtschaftlich dafür Sorge tragen, dass das Angebot an Nahrungsmitteln mit der auf absehbare Zeit steigenden Nachfrage mithalten kann.

Mehr zum Thema: IAMO Policy Brief Nr. 9 (2012), www.iamo.de

Fotos: IAMO; PIK

In den letzten zehn Jahren sind neue Akteure auf den Terminmärkten für Agrarrohstoffe aufgetreten: Indexfonds (Commodity Index Traders, CITs) engagieren sich in großem Stil mit einem Geschäftsmodell, das darin besteht, einen bestimmten Marktindex möglichst originalgetreu nachzubilden. Ohne selbst Lagerbestände aufzubauen, tragen CITs dazu bei, Agrarproduzenten gegen das Risiko einbrechender Preise abzusichern.

thomas glauben

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Leibniz | perspektiven

Drei bequeme

Unwahrheiten

Die Angriffe der „Klima-Skeptiker“

erfordern fächerübergreifende Solidarität Die Hassmails sind das Geringste. Als Betrüger und Lügner werden Klimawissenschaftler tagtäglich beschimpft; jedenfalls die unter ihnen, die in den Medien sichtbar sind. Schon gravierender sind manche Drohungen: Bei einem Vortrag in Australien reckte mir jemand eine Henkersschlinge entgegen, und Forscherkollegen an der Universität Canberra wurden vor Kurzem in sogenannte sichere Büros umgesiedelt. Vollends bizarr aber ist, wie in der öffentlichen Debatte über die Erderwärmung so genannten Klimaskeptikern Raum gegeben wird. Dabei werden etwa die Ansichten von Kohle-Lobbyisten oder von eifrig-eifernden Pensionären, die in ihrem Berufsleben möglicherweise tüchtige Ingenieure waren, gerne mit den nach den Regeln des Wissenschaftssystems gewonnenen Erkenntnissen auf eine Stufe gestellt.

Um drei bequeme Unwahrheiten geht es dabei. Die erste: „Es gibt keine vom Menschen verursachte globale Erwärmung“. Dabei ist gerade in diesem Fall das System Wissenschaft so einig wie sonst selten. Von 13.950 zwischen 1991 und 2012 veröffentlichten Studien, deren Erkenntnisse im bewährten Verfahren der peer review – der Begutachtung durch andere und durchaus konkurrierende Forscher – gehärtet wurden, sehen nur 24 keinen anthropogenen Treibhauseffekt. Damit stehen 99,87 Prozent 0,17 Prozent gegenüber; eindeutiger kann freie Forschung nicht sein.

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Die zweite bequeme Unwahrheit: „Es mag den Klimawandel geben, aber er ist unschädlich, wenn nicht sogar nutzbringend“. Die Wissenschaft jedoch zeigt klar auf, wie drastisch die negativen Auswirkungen ausfallen dürften – auch wenn ihr genaues Ausmaß, der Zeitpunkt ihres Eintretens, die regionale Verteilung weiter Gegenstand intensiver Forschung sind. Die Zunahme von Wetterextremen, der Anstieg des Meeresspiegels, Veränderungen des etwa für arme Reisbauern in Indien lebenswichtigen Monsuns et cetera sind gut belegte Projektionen. Die Weltbank hat erst kürzlich einen Bericht des PotsdamInstituts für Klimafolgenforschung zu einer vier Grad wärmeren Welt auf die globale politische Tagesordnung gesetzt. Es ist ein Gebot der Vorsorge, jetzt zu handeln, trotz fortbestehender Unsicherheiten.

Die dritte bequeme Unwahrheit: „Es gibt gefährlichen Klimawandel, aber der Kampf dagegen ist längst verloren“. Aus der Sicht des Physikers ist es jedoch sehr wohl weiter möglich, durch die scharfe Minderung der Emissionen von Treibhausgasen umzusteuern. Nichts im Erdsystem steht dem entgegen. Auch die Ökonomen rechnen vor, dass es die Welt nur wenige Prozentpunkte Wirtschaftswachstum kosten würde, den fossil-nuklearen Entwicklungspfad zu verlassen – während die Kosten des Klimawandels erschreckend hoch ausfallen könnten. Nun sagen Skeptiker, der notwendige politische Wandel sei unrealistisch. Das allerdings hat mit Wissenschaft nichts zu tun. Und wer auf die wahrscheinlichen Folgen der ungebremsten Erwärmung schaut, kann solch bequeme Resignation nur zynisch finden.

Hans Joachim ­Schellnhuber ist Direktor des PotsdamInstituts für Klima­ folgenforschung (PIK) und Professor für Theoretische Physik an der Universität Potsdam. Schellnhuber ist ­Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltverände­ rungen (WBGU) und langjähriges Mitglied des Weltklimarates (IPCC).

Verblüffenderweise löst all dies keinen Aufschrei aus. Nicht in der Öffentlichkeit, wo so manche in Politik und Medien es „unterhaltsam“ finden, wenn die Erkenntnisse der Wissenschaft diffamiert werden. Auch nicht bei den Forschern anderer Fächer, obwohl von den Klimaskeptikern das System der Wissenschaft als solches angegriffen wird. Der US-Sozialwissenschaftler Benjamin Barber hat die Attacken auf die Klimaforschung als anti-aufklärerisch bezeichnet. Sie seien vom gleichen Geist getragen wie der Kampf von bibeltreuen Anhängern der Schöpfungslehre gegen die von Darwin entwickelte Wissenschaft von der Entstehung der Arten. Deshalb ist der Konflikt um die Klimaforschung einer, der alle Geistesarbeiter angeht. Er wäre somit ein Präzedenzfall für fächerübergreifende Solidarität. hans joachim schellnhuber

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Pfizer Deutschland GmbH

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T i T e LT H e M A

Leben im

demografischen Wandel Leibniz-Forschung nimmt den gesellschaftlichen Umbruch in den Fokus der demografische Wandel ist eine Herausforderung, vergleichbar mit der Globalisierung oder dem Klimawandel. Vieles ist absehbar, nicht alles unausweichlich. der demografische Wandel bietet mehr Chancen als Vielen bewusst ist. Die Ausstellung „zukunft leben. die demografische chance“ der Leibniz-Gemeinschaft möchte zur Auseinandersetzung mit dem Thema anregen. bis märz 2014 macht sie station in fünf forschungsmuseen der LeibnizGemeinschaft in berlin, Mainz, bochum, bremerhaven und münchen sowie dem Deutschen Hygiene-Museum Dresden. „zukunft leben. die demografische Chance“ ist die zentrale Ausstellung des Wissenschaftsjahrs 2013, das sich ebenfalls dem demografischen Wandel in Deutschland widmet.

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L e i b n i z | L e b e n i m d e m o g r a f i s c h e n Wa n d e l

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L e i b n i z | L e b e n i m d e m o g r a f i s c h e n Wa n d e l

Foto: Michael Hughes / Guinness World Records

Vorturnerin

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An ihrem Lieblingsgerät, dem Barren, hat sich Johanna Quaas, 87, ins Guinness World Records Buch geschwungen: als älteste Turnerin der Welt. Und auch in der Ausstellung „Zukunft leben. Die demografische Chance“ ist die mehrfache deutsche Seniorenmeisterin zu sehen, denn ein Ziel ist es dabei, mit Altersmythen aufzuräumen. Die Wahrscheinlichkeit, bestimmte Krankheiten und Gebrechen zu bekommen, wächst mit den Lebensjahren. Doch das Risiko kann ­aktiv vermindert werden: durch Sport und gesunde Ernährung beispielsweise. Auch

­ edizinische Fortschritte und die verbesserm te Betreuung im Alter haben dazu beigetragen, dass die Menschen im Schnitt nicht nur länger leben, sondern auch einen größeren Teil des Alters gesund verbringen. Allein in den 1990er Jahren ist die durchschnittliche gesunde Lebenszeit von Männern und Frauen jenseits der 65 um zweieinhalb beziehungsweise eineinhalb Jahre gestiegen. Die Chancen stehen also gut, dass in Zukunft mehr Menschen so sportlich altern wie die Rekordturnerin. Johanna Quaas: „Ich glaube, ich könnte anderen als Vorbild dienen.“

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Das Letter Drop Experiment 2.000 adressierte und frankierte briefe verteilten mitarbeiter des Wissenschaftszentrums berlin für sozialforschung (Wzb) auf den gehwegen verschiedener berliner kieze, so als habe sie jemand versehentlich fallen lassen. Dann untersuchten die Forscher, wie sich die ethnische zusammensetzung eines Viertels darauf auswirkt, ob die verlorenen briefe ihr ziel erreichen. ergebnis: in Kiezen mit hohem migrantenanteil wurden die Umschläge seltener in den briefkasten geworfen als in weniger durchmischten nachbarschaften — egal ob der fiktive absender eine türkische, islamische oder christliche institution war. das fazit des Wzb: in ethnisch heterogenen Stadtteilen sind der Gemeinsinn und die bereitschaft, einander zu helfen, geringer ausgeprägt als in homogeneren gegenden. ihre bewohner vertrauen einander weniger.

Fotos: Christoph Herbort-von Loeper

das auch in der ausstellung präsentierte Letter Drop Experiment zeigt, dass Migration und gesellschaftliche Vielfalt Herausforderungen mit sich bringen. im kontext des demografischen Wandels überwiegen die vorteile jedoch deutlich: „die einheimische bevölkerung ist stark gealtert“, sagt Ruud Koopmans vom Wzb. „deutschland braucht migration und wird sie in zukunft noch mehr brauchen.“

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L e i b n i z | Zuku n ft L e b e n

Stadt, Land,

Leere

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Immer weniger Menschen leben in Deutschland: Um 12 bis 17 Millionen wird ihre Zahl bis 2060 sinken, prognostiziert das Statistische Bundesamt. Wie wirkt sich das auf das Leben in Städten und auf dem Land aus?

Foto: IRS

Ein Dorf irgendwo in der Altmark, einer Region im Norden Sachsen-Anhalts. Sein Name tut nichts zur Sache, denn mit dem Navi ist es ohnehin nicht zu finden – wo eigentlich das Dorf sein sollte, zeigt die Karte: nichts. Auch im Dorf selbst herrscht Leere. Jedes zweite Haus ist verlassen, der Dorfkrug verrammelt, ebenso der frühere Konsum. Zehn Kilometer müssen die Bewohner fahren, um einzukaufen, der nächste Arzt praktiziert in der Kreisstadt. Noch hält einmal werktags ein Bus, um sie mitzunehmen: der Schulbus. Der öffentliche Personennahverkehr wurde schon vor Jahren eingestellt. Doch wie lange der Schulbus noch kommen wird, ist unklar. Schon bald wird es hier keine Kinder mehr geben. Ihre Familien ziehen weg, weil sie im Dorf keine Zukunft mehr sehen. Zurück bleiben jene, die ihre Häuser nicht aufgeben wollen oder sich das nicht leisten können. Meist sind es die Älteren und Alten.

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Das Dorf ist erfunden, dennoch sind die beschriebenen Probleme vielerorts real. In Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt gibt es schon heute Regionen, in denen deutlich unter 40 Einwohnern je Quadratkilometer leben. Im deutschen Durchschnitt sind es 229. In den ländlich­ sten Regionen Ostdeutschlands, der Altmark, dem Fläming, der Uckermark, Vorpommern und Mecklenburg-Strelitz, vollzieht sich die demografische Entwicklung in hohem Tempo. Während die Geburtenrate in der gesamten Republik auf niedrigem Niveau stagniert und die Lebens-

erwartung bundesweit steigt, verschärft in Landstrichen wie der Altmark ein weiteres Problem die Dynamik des demografischen Wandels: Schon seit den 1960er Jahren wandern viele Menschen von dort ab, eine Entwicklung, die seit der Wende beschleunigt verläuft, während Zuzüge fast vollständig ausbleiben. „Vor allem junge und gut qualifizierte Frauen verlassen die betreffenden Regionen“, sagt Wolfgang Weiß vom Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa (IAMO). Selektive Abwanderung nennen Demografen dieses Phänomen. „Übrig bleiben die Alten und Geringqualifizierten – es entsteht ein einzigartiger Überschuss jüngerer Männer.“

Langsames Sterben der Dörfer

Im Forschungsprojekt „Sozioökonomische Effekte des demografischen Wandels in ländlichen Räumen Sachsen-Anhalts“, das im April abgeschlossen wird, untersucht Weiß die Auswirkungen dieser Entwicklung in den am stärksten betroffenen Gegenden. Sein ernüchterndes Fazit: „Wir erleben das langsame Sterben der Dörfer – viele ländliche Regionen in Ostdeutschland sind bereits jetzt abgehängt.“ Die einzige Möglichkeit, die Bevölkerung angemessen zu versorgen, sieht der Demograf darin, die Landwirtschaft in die Daseinsvorsorge einzubeziehen, da den Kommunen dazu zuweilen die Kraft fehlt. Oft sind landwirtschaftliche Betriebe die letzte funktionierende Struktur im Dorf, zum Beispiel räumen sie im Winter die Wege. „Warum

also sollten sie nicht auch als Träger ­sozialer Leistungen eingebunden werden können?“, fragt Wolfgang Weiß.

Lokale Medien als Stimmungsmacher

Mit ostdeutschen Dörfern befasst sich auch Gabriela Christmann vom Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) in Erkner. Sie will wissen, welchen Einfluss die Medien auf Wanderungsbewegungen haben und welche Rolle die Kommunikation innerhalb einer Dorfgemeinschaft spielt. Die Soziologin hat herausgefunden, dass lokale Medien dabei von großer Bedeutung sind. „Wenn sie immer wieder das Bild reproduzieren, eine Region werde sich negativ entwickeln, führt das dazu, dass ihre Bewohner irgendwann tatsächlich glauben, sie hätten keine Chance und müssten wegziehen.“ Dadurch wiederum können auch Neonazis besser Fuß fassen, berichtet Christmann: „Wo es keinen Arzt, keinen Treffpunkt, nicht mal mehr einen Briefkasten gibt, kommt es gut an, wenn sich jemand kümmert und zum Beispiel einen Nachbarschaftstreff eröffnet – auch wenn dort dann braunes Gedankengut verbreitet wird.“ Doch nicht nur in ländlichen Gebieten schrumpft die Bevölkerung. In unterschiedlichem Ausmaß betrifft das Problem fast jede ostdeutsche Stadt. Als Reaktion auf den auch in den Plattenbauten steigenden Leerstand startete die Bundesregierung im Jahr 2002 das Städtebauförderprogramm „Stadtumbau Ost“. 300.000 Wohnungen hat man

„Es entsteht ein einzigartiger Überschuss jüngerer Männer.“ Wolfgang Weiß Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa

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Regionale Polarisierung der demografischen Entwicklung 2004-2008 Jährliche Bevölkerungsentwicklung [Prozent/Jahr] Regionen stark wachsend (>_ 1) leicht wachsend (0 bis < 1) leicht schrumpfend (> -1 bis 0) stark schrumpfend (<_ -1)

Oberzentren* (Stand 2008) > 80 000 Einwohner

< 80 000 Einwohner

stark wachsend (>_ 1) leicht wachsend (0 bis < 1) leicht schrumpfend (> -1 bis 0) stark schrumpfend (<_ -1)

Es fährt ein Zug nach Nirgendwo: Leer stehende Bahnhöfe sind inzwischen ein gewohntes Bild in ostdeutschen Kleinstädten.

* Wegen der Einführung der Zweitwohnsitzsteuer wurde die Klassifizierung des Oberzentrums nach unten korrigiert. Dies ist durch einen Stern am Ortsnamen ausgewiesen.

gemeinsames Oberzentrum

Staatsgrenze Ländergrenze

Quelle: http://nadaktuell.ifl-leipzig.de/ Bevoelkerungsentwicklung.1_01-2011.0.html

0

50

100 km

Autoren: G. Herfert (IfL), F. Osterhage (ILS) Kartografie: A. Müller (IfL), J. Rönsch (ILS), M. Schmidt (ILS) © Leibniz-Institut für Länderkunde 2013

„Für die seither abgerissen und zugleich te Bestände zur Disposition.“ sen, denen inzwischen circa 80 überwiegend innerstädtische saniert. 250.000 weitere Wohnungen sollen bis 2016 vom Markt genommen werden.

Kommunen Quartiere

wird es immer schwieriger,

„Das wird jedoch schwierig“,

leer stehende sagt Anja Nelle von der Bundestransferstelle

Stadtumbau

Außerdem ist der verbliebene Leerstand weiter verstreut als vor zehn Jahren – abrissreife Wohnkomplexe finden sich nur noch hier und da.

es fehlen die Mieter

Prozent der Wohnungsbestände in ostdeutschen Innenstädten gehören. Eine Refinanzierung über Mieteinnahmen ist angesichts des schwachen Wohnungsmarktes unrealistisch. Es fehlen die Mieter, die Preise sind im Keller.

Gebäude zu Ost am IRS, „denn wegen des Problematisch für die nächste Dennoch können Abrisse die gesunkenen

Leerstands

hat

Phase des Stadtumbaus ist aus

Situation der vom demogra-

Anja B. Nelle

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Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung

viele Wohnungsunternehmen zurzeit entschärft, und in den am Stadtrand gelegenen größeren Plattenbaugebieten stehen immer weniger unsanier-

derer Aspekt: Für die Kommunen wird es immer schwieriger, leerstehende Gebäude zu sanieren. Sie sind auf die Mitwirkung privater Eigentümer angewie-

Städte auf ganz anderem Gebiet verbessern. Die entstandenen Freiflächen können helfen, Städte gegen die Folgen des Klimawandels zu wappnen. „Die

Fotos: IRS (2)

sanieren“ sich der Handlungsdruck für Nelles Sicht aber auch ein an- fischen Wandel gebeutelten

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Durchschnittstemperatur wird bis 2100 um etwa zwei bis vier Grad steigen, wobei in den Sommermonaten gehäuft und über längere Zeiträume Hitzewellen auftreten können“, beschreibt Stefanie Rößler vom Dresdener Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) einen der zentralen Trends. Vor allem für Wohlbefinden und Gesundheit einer immer älter werdenden Bevölkerung könnte das problematisch werden. Dass Grünflächen Abkühlung bringen, zeigt das 2010 am IÖR abgeschlossene Forschungsprojekt „Noch wärmer, noch trockener? Stadtnatur und Freiraumstrukturen im Klimawandel.“ Ein Ergebnis: mit dichtem Baumbestand bepflanzte Flächen ab einem Hektar Größe – urbane Wälder – eignen sich als Maßnahme, Städte an den Klimawandel anzupassen.

zentrales problem Schrumpfung

Das zentrale Problem ostdeutscher Städte bleibt jedoch die Schrumpfung. Handlungsbedarf gibt es fast überall. Ledig-

Demografie-Preis für ihre arbeit an der berliner Altersstudie (bASe-i) sind Leibnizpräsident karl Ulrich mayer und gert g. Wagner vom deutschen institut für Wirtschaftsforschung berlin von der initiative „deutschland — Land des Langen Lebens“ ausgezeichnet worden. auf dem demografie-kongress 2012

lich Berlin, Leipzig, Dresden, Jena, Potsdam und Rostock profitieren noch vom Zuzug. „Am stärksten schrumpfen jene Städte, die eine zentrale Rolle in der DDR-Industrie spielten und zu diesem Zweck quasi aus dem Boden gestampft wurden, zum Beispiel Bitterfeld, Eisenhüttenstadt, Schwedt und Guben“, sagt Georg Schiller, der am IÖR zu Infrastruktur und demografischem Wandel forscht. Seit der Wende haben diese Städte deutlich über 20 Prozent ihrer Einwohnerzahl eingebüßt. Gleichzeitig wurden die Siedlungsflächen weiter ausgedehnt. So entstanden nach der Wende vielerorts Einfamilienhaussiedlungen; diese Zersie-

erhielten sie die ehrung in der Kategorie forschung. in der begründung heißt es, die 1990 gestartete berliner Altersstudie sei eine einzigartige, multidisziplinäre Untersuchung älterer menschen im alter von 70 bis über 100 Jahre und ein Meilenstein in der Untersuchung altersassoziierter veränderungen.

delung macht Infrastrukturleistungen teurer. Viele Gemeinden haben das Problem inzwischen erkannt: Das Anwerben neuer Einwohner für Häuschen auf der grünen Wiese ist inzwischen ein Auslaufmodell.

Ein rein ostdeutsches Problem ist Schrumpfung nicht. Auch in Westdeutschland gibt es immer mehr Regionen, deren Einwohnerzahl sinkt. Dessen werden sich die wachstumsorientierten Städte und Gemeinden allerdings erst langsam bewusst. Während vielerorts weiter Neubauflächen für Wohnungen und Gewerbe erschlossen und Infrastrukturen ausgebaut werden, zeigen sich im Siedlungs-

Durch Rückbau entstehende Freiflächen können das Stadtklima verbessern.

„Bepflanzte Flächen eignen sich als Maßnahme, Städte an den Klimawandel anzupassen.“ Stefanie Rößler Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung 1/2013

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und Bevölkerungsentwicklung koppeln sich immer weiter voneinander ab.“ Andrea Dittrich-Wesbuer Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung

Instandhaltungsbedarf steigt“, warnt Dittrich-Wesbuer.

Die neuen im Dorf sind „Raumpioniere“

Die Forscherin empfiehlt den Gemeinden deshalb, sich konsequent auf den Siedlungsbestand zu konzentrieren: Sanierungsberatung und Bestandsmanagement statt „Neubauprämien.“ Eine Strategie, die im Umgang mit der schrumpfenden Bevölkerung, zumindest mittel- und langfristig Kosten sparen dürfte und zugleich hilft, die Attraktivität von Städten und Gemeinden zu bewahren.

Und so gibt es sie doch noch, die demografische Chance: Zuziehende Rentner, die eine lange dem Niedergang preisgegebene Stadt wie Görlitz revitalisieren; Städter, die in ländliche Regionen im Umland ziehen – dauerhaft oder auch nur jedes Wochenende. Als „Raumpioniere“ bezeichnet Gabriela Christmann vom IRS die Neuen im Dorf. Neben ihrer Lust aufs Land bringen sie häufig auch kulturelle Angebote und belebende Geschäftsideen mit aus der Stadt. So profitieren auch die Dörfer von den Städtern, beobachtet Christmann: „Sie bringen Schwung in die Dorfgemeinschaft.“

Fotos: IRS; T. Gabriel/3 pc

„Infrastruktur

bestand – etwa den Wohngebieten der 1950er bis 1970er Jahre – zunehmend Probleme mit Leerständen. „Infrastruktur und Bevölkerungsentwicklung koppeln sich immer weiter voneinander ab“, stellt Andrea Dittrich-Wesbuer vom Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS) in Dortmund fest. Das bringt die Kommunen in finanzielle Nöte. Vor allem investitionsaufwändige Infrastrukturen sind bei sinkenden Einwohnerzahlen ein Kostentreiber, die Rohre des Abwassersystems etwa nehmen bei geringer Nutzung Schaden durch Ablagerungen. „Viele Kanalnetze sind zudem in die Jahre gekommen und der

w i e b k e p e ters

Prognose der Alterung der Bevölkerung für 2030 nach Kreisen Billeter-Maß -1,9 -1,6 -1,4 -1,2 -1,0 -0,8 -0,6 -0,5

Zunahme des demographischen Alters

mehr als 50% der Bevölkerung in der Gruppe über 50 Jahre

Das Billeter-Maß (J) setzt die reproduktionsfähigen Bevölkerungsanteile ins Verhältnis zu den noch nicht und den nicht mehr reproduktionsfähigen.

J=

(Bev. bis 14 Jahre) - (Bev. ab 50 Jahre) (Bev. 15-49 Jahre)

Anzahl (n = 413) 180 160 140 120 100 80 60 40 20 0

171

84 67 21 26

36 8

Häufigkeit der Klassen

Staatsgrenze Ländergrenze Kreisgrenze Landeshauptstadt

Quelle: eigene Berechnung, BBSR: Raumprognose 2030

20

0

50

100 km

Autor: C. Hanewinkel Kartografie: R. Schwarz © Leibniz-Institut für Länderkunde 2013

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Das Wissenschaftsjahr 2013 den demografischen Wandel gestalten

„Wir leben länger. Wir werden weniger. Wir werden vielfältiger.“ – unter diesem Motto diskutiert das „Wissenschaftsjahr 2013 – Die demografische Chance“ die Herausforderungen und Chancen des demografischen Wandels. Die Herausforderungen sind dabei keine Bedrohung, sondern Ansporn und Chance, die Zukunft im Sinne der Gesellschaft aktiv zu gestalten. Im Rahmen des Wissenschaftsjahres werden daher konkrete Ansätze und Lösungen aus Wissenschaft und Forschung

in den verschiedensten Lebensbereichen präsentiert. Der Erfolg des Wissenschaftsjahres hängt nicht zuletzt von den zahlreichen Partnern ab, die mit ihren Ideen, Projekten und Aktionen den demografischen Wandel positiv mitgestalten können: Schulen, Hochschulen, Forschungsinstitute, Unternehmen, Städte und Kommunen sowie Vereine und Verbände sind eingeladen, sich aktiv an der Diskussion zu beteiligen. Daneben können

Von April bis September tourt die MS Wissenschaft durch mehr als 30 Städte in Deutschland und Österreich, darunter Berlin, Hamburg und Stuttgart. An Bord des umfunktionierten Frachtschiffs: eine interaktive Ausstellung zum demografischen Wandel. Organisiert wird die Fahrt von „Wissenschaft im Dialog“.

Wissenschaftler, die zum demografischen Wandel forschen, ganzjährig über die Forschungsbörse unter www.forschungsboerse.de Kontakte zu lokalen Initiativen und Schulen aufnehmen.

Veranstaltungen im Rahmen des Wissenschaftsjahres 2013 Ab März ein ziel der Wissenschaftsjahre ist es, den dialog zwischen menschen und der Wissenschaft anzuregen. in den demografie Werkstattgesprächen diskutieren forscher mit älteren menschen über gewünschte und adäquate technologische entwicklungen. Ab April in berlin startet am 30. april die ms Wissenschaft ihre tour durch Deutschland und Österreich. Das Schiff mit seiner interaktiven ausstellung zum demografischen Wandel macht bis september Halt in mehr als 30 städten. die veranstaltungsreihe „Dialog an Deck“ bietet besuchern die Möglichkeit, mit experten aus Wissenschaft und politik zu diskutieren. Mai in berlin findet am 16. und 17. mai die demografietagung des bmbf „innovationsfähigkeit im demografischen Wandel“ statt. Wirtschaft, forschung, verbände und sozialpartner diskutieren die chancen des demografischen Wandels in der arbeitswelt und präsentieren Lösungsmöglichkeiten. Ab Juni bei regionalen „Science Slams“ inszenieren nachwuchswissenschaftler ihre aktuelle Forschung zum Thema in kurzen Vor-

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trägen für ein Laienpublikum. in bielefeld, duisburg-essen, Konstanz, Ulm, braunschweig, Rostock, Halle und Chemnitz werden die besten Slammer bestimmt. im november treffen sie sich zum Finale in berlin.

Das Logo des Wissenschaftsjahres 2013.

Übers Jahr in acht veranstaltungen der reihe „Wissenschaft kontrovers“ sprechen Wissenschaftler mit bürgern über die Herausforderungen und chancen des demografischen Wandels und diskutieren Lösungsansätze. die diskussionsveranstaltungen sind für kassel, braunschweig, Heidelberg, magdeburg, konstanz, bonn, Oldenburg und Halle geplant. der Wettbewerb für studierende ruft dazu auf, forschungsinhalte zum demografischen Wandel für die Öffentlichkeit verständlich und sichtbar zu machen. im mittelpunkt stehen dabei die drei themenbereiche des Wissenschaftsjahres 2013 „Wir leben länger“, „Wir werden weniger“ und „Wir werden vielfältiger“. die 15 besten projekte werden ende mai ausgewählt und mit jeweils 10.000 euro unterstützt.

Weitere veranstaltungen und informationen auf der Webseite: www.demografische-chance.de

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Lebenslanges L ­ ernen Das Lernen beginnt im Sandkastenalter: mit Chinesischkursen, Mathematik oder auch Astronomie. Vielfältig ist das Angebot, denn früher als je zuvor füttern Eltern ihre Kinder heutzutage mit allerlei Wissen. Die Gehirne der Kleinen werden als wichtige Zukunftsressource wahrgenommen und entsprechend groß ist der Aufwand, mit dem man sie fördert. Nirgends auf der Welt wächst der Markt für frühpädagogische Bildung so rasant wie in Deutschland.

Doch was ist mit Menschen, die Schule, Ausbildung und zumindest einen Teil ihres Berufslebens bereits hinter sich gelassen haben? Was können sie tun, um sich weiterzubilden, ein Leben lang? Und: Warum sollten sie weiter lernen?

Nicht nur für junge Menschen ist es wichtig, sich neues Wissen anzueignen, sondern auch in späteren Lebensphasen. Besonders vor dem Hintergrund des demografischen Wandels hat das vielzitierte Schlagwort „lebenslanges ­Lernen“ Konjunktur. Eine steigende Zahl wissenschaftlicher Arbeiten widmet sich dem Thema. In der Wirtschaft wächst die Einsicht, dass individuell angepasste Weiterbildungsangebote auch für langjährige Mitarbeiter unerlässlich sind. Die Politik hat milliardenschwere Bildungsprogramme aufgelegt, die explizit auch ältere Menschen mit einbeziehen. Davon profitiert die Gesellschaft, aber auch der Einzelne.

wird zunehmend eine gesellschaftliche ­Notwendigkeit. Doch die Realität sieht anders aus und die Forschung hat Nachholbedarf.

Alte

Schule

„Wer nichts Neues Trotzdem fehlen hierzulande Kreuzworträtsel, die stets nach spielt. Die Substanz motiviert häufig noch immer die passenden

demselben Muster gelöst werden,

das Gehirn, sich neuen Heraus-

mehr lernt, muss Weiterbildungsangebote für älte- helfen jedenfalls nicht, den Cor- forderungen zu stellen und bere Menschen. Mit dramatischen

seines Gehirns „Wer nichts Neues mehr lernt,

tex vor dem Verfall zu schützen, jene Hirnregion, in der gelernt, gedacht und entschieden wird. „Solche Rätsel sind Routineaufgaben, kein Hirntraining.“ Effektiver seien das Erlernen einer neuen Sprache oder ein anspruchsvolles Hobby.

rapide nachlässt“, sagt Henning

haben herausgefunden, dass der

damit rechnen, Folgen.

dass die Glückshormone

Leistungsfähigkeit bei Lernprozessen muss damit rechnen, dass die

rapide nachlässt.“ Leistungsfähigkeit seines Gehirns Scheich und seine Mitarbeiter Henning Scheich Scheich, Gründungsdirektor des auch als „Glückshormon“ be-

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Leibniz-Institut für Neurobiologie

Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg. Sudoku und

kannte Botenstoff Dopamin eine zentrale Rolle bei Lernprozessen

lohnt es, wenn diese gemeistert werden. Das Lernen wird mit einem Erfolgserlebnis verknüpft: einem Glücksgefühl nach getaner Kopfarbeit, ausgelöst durch die vermehrte Ausschüttung Dopamins. „Äußere Belohnungen sind also gar nicht nötig“, sagt Scheich. „Wir fühlen uns durch uns selbst belohnt, was uns wiederum motiviert, weiter zu lernen.“

Darüber hinaus lernt es sich unter Dopamin-Einfluss besonders

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ges Lernen zu investieren, wird also gesehen. Allerdings zeige sich eine Diskrepanz zwischen der allgemeinen Zustimmung, die das lebenslange Lernen findet, und der Einschätzung, ob eine Teilnahme für das eigene Leben notwendig ist, sagt Schrader. Anreize müssten geschaffen werden, denn Menschen bilden sich am ehesten fort, wenn sie sich davon etwas versprechen: einen besseren Arbeitsplatz, ein höheres Einkommen oder auch mehr Gesundheit und Unabhängigkeit im Alter.

Foto: Stefan Matlik (Still aus dem Animationsfilm: „Alt werden, jung bleiben“)

Investitionen in die Weiterbildung

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effektiv: Wissen, das im Zusammenspiel mit der Substanz ins Kurzzeitgedächtnis gelangt, wird bevorzugt auch im Langzeitgedächtnis abgespeichert. Besonders ausgeprägt ist dieser Mechanismus bei Kindern. Sie saugen neues Wissen deshalb nicht nur in großen Mengen und mit Begeisterung auf, sondern behalten es auch lange. Mit den Jahren nimmt diese Fähigkeit zwar etwas ab, im Weg steht einem lebenslangen Lernen jedoch häufig die Einstellung der älteren Menschen: Ihre Abgeklärtheit hält sie davon ab, sich unbekannten Phänomenen mit kindlicher Neugier zu nähern. „Es ist also nicht der Mechanismus, der einrostet, sondern die Bereitschaft, sich neuen Herausforderungen zu stellen.“

Neurobiologie in Klassenzimmern

Dennoch liegt das Problem nicht allein bei den Lernenden. Seit Jahren plädiert Henning Scheich dafür, dass Lehrer und Dozenten die Erkenntnisse der Neurobiologie in Seminarräumen und Klassenzimmern berücksichtigen. Eine Forderung, die auch Josef Schrader unterschreibt. „Die

kognitiven und motivationalen Voraussetzungen der Lernenden sind unbestreitbar wichtig, um erfolgreich zu lernen“, sagt der wissenschaftliche Direktor des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung – Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen. „Aber auch auf die Lehrer kommt es an.“ Deren Professionalisierung gehört zu den zentralen Aufgaben der Bonner Wissenschaftler. „Wir versuchen unter kontrollierten, experimentellen Bedingungen herauszufinden, welche Fortbildungskonzepte bei Lehrkräften eine möglichst große Akzeptanz und Wirkung erzielen.“ Europäische Statistiken zeigen, dass immer mehr Menschen in den vergangenen Jahrzehnten Weiterbildungsangebote genutzt haben. In Deutschland waren es nach den Daten des „Adult Education Survey“ zuletzt 42 Prozent der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter, die im Jahr 2010 mindestens an einem Kurs, Seminar oder ähnlichem teilgenommen haben. Das Themenangebot ist breit und reicht von Natur- und Umweltseminaren über Gesundheits- und Ernährungsfortbildungen bis hin zu Sprachkursen. Die Notwendigkeit, Zeit in lebenslan-

Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und dem damit verbundenen Fachkräftemangel werde das Thema lebenslanges Lernen in Zukunft weiter in den gesellschaftlichen Fokus rücken, ist Schrader überzeugt. „Auch wenn das leider langsamer geschieht als nötig.“ Immerhin: Die Investitionen in die Weiterbildung steigen. Sieben Milliarden Euro hat etwa die Europäische Union für ein Programm für lebenslanges Lernen in Deutschland bewilligt. Auch viele Unternehmen haben erkannt, dass sie die Kompetenzen ihrer Mitarbeiter über deren gesamte Beschäftigungsdauer hinweg fördern müssen. Nur so können Menschen, die bis 67 – irgendwann vielleicht sogar bis 69 oder länger – im Job bleiben sollen, den sich wandelnden Anforderungen gerecht werden.

„Das Thema ­lebenslanges Lernen wird in Zukunft weiter in den gesellschaftlichen Fokus rücken.“ Josef Schrader Deutsches Institut für Erwachsenenbildung – Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen

Das spiegelt sich auch in den Statistiken des Bundesbildungsministeriums zum Weiterbildungsverhalten wider. Sie zeigen, dass sich die Beteiligungsquoten von Jüngeren und Älteren angleichen. So ist unter den 60- bis 64-Jährigen die Weiterbildungsteilnahme in den Jahren 2007 bis 2010 von 18 auf 27 Prozent angestiegen, unter den 60- bis 64-jährigen Erwerbstätigen von 32 auf 40 Prozent. Ein Trend, der auch auf Ruheständler zutrifft. Das Lernen beginnt im Sandkasten. Und sollte mit der Rente nicht zwangsläufig enden. k at j a l ü e r s

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Alt, krank, Mit dem demografischen Wandel nehmen Alterskrankheiten wie Diabetes, Krebs oder Alzheimer zu — mehr Patienten, die kostspieliger Therapien und aufwendiger Pflege bedürfen, sind die Folge. Wie die Altersforschung helfen kann, erläutert Karl Lenhard Rudolph vom Leibniz-Institut für Altersforschung — Fritz-LipmannInstitut (FLI) in Jena.

Manche Medienberichte wecken die Hoffnung, die Wissenschaft sei kurz davor, das Geheimnis des Alterns zu lüften. Halten Sie als Altersforscher den Schlüssel zum ewigen Leben in der Hand? Karl Lenhard Rudolph: Diese Meldungen spielen mit einer Sehnsucht, die so alt ist wie die Menschheit selbst. Am liebsten möchten wir doch alle jung bleiben, anstatt alt und gebrechlich zu werden. Kunstwerke wie „Der Jungbrunnen“ von Lucas Cranach spiegeln diesen Wunsch seit Jahrhunderten wider. Aber dass wir einen Jungbrunnen entdeckt hätten oder entdecken könnten, ist übertrieben. Bei unserer Arbeit geht es auch nicht primär darum, die Lebensspanne endlos zu verlängern. Denn was bringt es einem Menschen, wenn er zwar 90 Jahre alt wird, aber von 75 an schwer krank ist? Schon im Gemälde „Der Jungbrunnen“ von Lucas Cranach dem Älteren von 1546 spiegelt sich der Wunsch nach Linderung von Alters­ erscheinungen. 24

Welche Ziele verfolgen Sie stattdessen? Wir wollen die Gesundheitsspanne vergrößern, jenen Teil des Lebens, den wir ohne gravierende körperliche Einschränkungen verbringen. Dazu müssen wir verstehen, warum wir altern und wegen welcher molekularen Mechanismen unsere Zellen und Gewebe irgendwann an Funkti-

on verlieren und sich nicht mehr erneuern. Lange Zeit wussten wir nichts darüber. Mittlerweile werden immer mehr Mechanismen aufgedeckt, die ursächlich mit dem Altern zu tun haben. Mit diesem Wissen können wir das Voranschreiten von Alterungsprozessen in Zukunft aufhalten und die Gesundheit im Alter verbessern. Oft wird das Altern selbst als Krankheit bezeichnet. Kann die Altersforschung sie heilen? Das ist unser Ziel. Und die Schulmedizin hat ja durchaus schon

Therapien entwickelt, mit denen sie einige der sogenannten altersassoziierten Erkrankungen behandeln kann: Lipid-Senker gegen Arteriosklerose und Bluthochdruck, Interventionen, die Schlaganfällen und Herzinfarkten vorbeugen, Therapien, die zur Regulierung von Diabetes eingesetzt werden. Aber warum lässt die Regenerationsfähigkeit von alten Geweben nach? Wie können wir das Krebsrisiko vermindern, das im Alter eklatant steigt? Was können wir gegen Alzheimer tun? Auf Fragen wie diese gibt es erschreckend wenige Antworten.

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Repro: Wikimedia Commons; Foto: DFG/Querbach

teuer?

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Wir müssen die molekularbiologischen und genetischen Grundlagen des Alterns verstehen, um eine Grundlage für Therapien zu schaffen.

Wo setzen Sie an? Zum einen nehmen wir genetische Faktoren in den Blick. Es ist bewiesen, dass die Gene sich auf das Altern auswirken. Immer mehr Genvariationen werden identifiziert, die beeinflussen, ob jemand „erfolgreich“ – also in guter Gesundheit – altert oder nicht. Zweitens sehen wir uns molekulare Schäden an. Besonders wich-

tig scheinen dabei Schäden in der DNA zu sein, in der Erbinformation also. Sie akkumulieren im Alter und bewirken, dass Zellen sich ab einem bestimmten Punkt nicht mehr teilen oder sogar sterben und die Organe irgendwann nicht mehr funktionieren. Der dritte Schwerpunkt am FLI ist die Erforschung der Alterung von Stammzellen. Wir wissen inzwischen, dass diese Zellen in fast allen Geweben des menschlichen Körpers vorhanden sind – nicht nur im Embryo, sondern als adulte Stammzellen auch beim erwachsenen Menschen.

Sie sind für die Regeneration und den täglichen Austausch von Zellen zuständig. Die Haut und das Blut zum Beispiel erneuern sich andauernd selbst, dazu brauchen wir die Stammzellen. Doch auch sie verlieren mit den Jahren an Funktion. Das möchten wir hinauszögern.

Birgt der biomedizinische Eingriff ins Altern auch Gefahren? Eine Befürchtung ist, dass mit den Zellteilungen die Zahl der Mutationen steigt – und damit das Krebsrisiko. Stammzellen können sich in verschiedene Zelltypen ausdifferenzieren und sind daher besonders gefährdet, in Krebszellen überzugehen. Wir konnten jedoch beobachten, dass das nicht immer der Fall ist. In Versuchen mit Mäusen haben wir das Gen „p21“ ausgeschaltet, einen Zellteilungsinhibitor. Es wird normalerweise aktiviert, wenn Schäden in der DNA auftreten – eine Zelle kann sich dann nicht mehr teilen. Wird p21 ausgeschaltet, können sich Zellen tatsächlich länger teilen, alternde Gewebe können sich länger erneuern. Gleichzeitig gibt es Hinweise, dass p21 auch von Tumorzellen benötigt wird. Wir haben hier ein Beispiel, in dem die Hemmung eines Gens zum einen die Regeneration verbessert, zum anderen aber auch Entstehung und Wachstum von Tumoren hemmt. Gemeinsam mit dem Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie in Berlin konnten wir Wirkstoffe entwickeln, die die Ausprägung von p21 unterbinden, wenn man sie auf Zellen gibt. Nun wird getestet, ob diese Stoffe tatsächlich die Regeneration verbessern können und das Krebsrisiko senken oder ob unerwünschte Nebenwirkungen auftreten.

Karl Lenhard Rudolph ist seit Februar 2012 Wissenschaftlicher ­Direktor des Leibniz-Instituts für Altersforschung – Fritz-Lipmann-Institut und Professor an der Friedrich-SchillerUniversität Jena. Zuvor forschte er an der Universität Ulm. Für seine Arbeiten wurde der Stammzellforscher vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Gottfried-Wilhelm Leibniz Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Zuletzt erhielt Rudolph einen „Advanced Grant“ des Europäischen Forschungsrats (ERC) sowie den Wissenschaftspreis „Gesellschaft braucht Wissenschaft“ des Stifterverbandes 2012.

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Wie werden wir in Zukunft leben, lernen, arbeiten, Kinder kriegen und altern?

Das Begleitbuch zur Ausstellung

www.nicolai-verlag.de

Bei welchen „regenerativen“ Leiden könnten solche Wirkstoffe helfen? Ein Beispiel ist die auch als Blutarmut bekannte Anämie, bei der das Knochenmark nicht mehr in der Lage ist, neue Blutkörperchen zu bilden. Auch Patienten mit Leberzirrhose, dem Endstadium chronischer Lebererkrankungen, könnten profitieren. Bei chronischer Hepatitis verliert die Leber nach einigen Jahren die Fähigkeit zur Regeneration, sie schrumpft im Stadium der Leberzirrhose, bis sie schließlich versagt. Bisher kann man diese Krankheit nur durch eine Lebertransplantation behandeln. Doch dieser Eingriff kommt für alte, geschwächte Menschen oft nicht in Frage – das Risiko, dass sie die Operation nicht überstehen, ist zu groß. Ein Medikament, das ursächlich eingreift und die Regenerationsfähigkeit der Leber wieder verbessert, wäre eine Alternative. Es würde aber auch dazu führen, dass die Menschen noch älter werden – und das Gesundheitssystem länger belasten. Ist das bezahlbar? Dieses Argument wird häufig diskutiert: „Jetzt auch noch das Altern therapieren, einen ganz natürlichen Teil des Lebens? Dann werden die Menschen ja noch älter, der demografische Wandel verschärft sich, alles wird teurer!“ Untersuchungen in den USA haben gezeigt, dass diesen Ressentiments die Grundlage fehlt. Die größten Kosten verursachen stattdessen Patienten, die schon früh schwer erkranken – obwohl sie deutlich kürzer leben. Wenn wir es schaffen, dass die Menschen fitter und gesünder altern, kann das dagegen sogar Kosten sparen. Sie werden zwar älter, können sich dafür aber länger selbst versorgen und leiden – wenn überhaupt – erst später an den „teuren“ Alterskrankheiten. Im Nettoeffekt wäre ein längeres, gesünderes Leben ein Gewinn. Für den einzelnen Patienten, aber auch für die Gesellschaft. 26

Auch außerhalb der Forschung liegt das Streben nach einem gesünderen und damit potentiell längeren Leben im Trend. Was kann der Mensch tun, um erfolgreich zu altern? Neben den Genen können auch Umwelteinflüsse unser Leben dramatisch verkürzen. Rauchen oder übermäßiger Alkoholkonsum etwa schädigen unseren Körper – wobei ein alkoholisches Getränk am Tag interessanterweise positive Effekte haben soll. Und die Liste ist länger: Es gibt Berufe, die nicht gesund sind; der ständige Wechsel von Tag- und Nachtschichten beispielsweise schadet uns – auch wenn es schwer ist, daran etwas zu ändern. Allerdings kann man sein Verhalten regulieren, schädliche Einflüsse meiden, sich gesund ernähren und viel bewegen. Die Gene können wir letztlich aber auch mit Sport nicht schlagen. Sie setzen die Grenze. Addiert man einen gesunden Lebenswandel und den medizinischen Fortschritt – wie alt wird der Mensch 2050? Das Höchstalter wird sich wohl nicht verändern. Die mittlere Lebenserwartung hingegen wird voraussichtlich weiter steigen, in der Forschung geht man davon aus, dass sie 2050 bei über 90 Jahren liegen wird. Es ist aber nicht gesagt, dass es ewig so weiter geht. In den USA gibt es Anzeichen, dass Adipositas – die in Industriestaaten weit verbreitete Fettleibigkeit – dazu führen könnte, dass die Lebenserwartung sich wieder verkürzt. Gleiches gilt für soziale Faktoren. Wenn es uns nicht gelingt, den Lebensstandard für die breite Bevölkerung zu verbessern oder zumindest zu erhalten, müssen wir damit rechnen, dass es zu einer Abnahme der Lebensspanne kommt. Man weiß heute, dass ein Leben in Armut mit mehr Erkrankungen assoziiert ist und sich auf die Lebensspanne auswirkt. Vereinfacht gesagt: Arme Menschen leben kürzer. i n te rv i e w : d av i d s c help

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Wölfe vor Berlin: Aufnahmen einer WWF-Kamerafalle im Raum Sperenberg (West-Brandenburg).

Der Wolf kommt,

der Mensch darf bleiben

Die Rückkehr der Wildtiere ist keine Folge der Landflucht.

Fotos: WWF (3)

„Wenn der Mensch geht, kommt der Wolf“ ist ein Satz, der seit der Rückkehr des Raubtiers nach Deutschland durch die Medien geistert. Dass der Zusammenhang zwischen Landflucht und dem Auftauchen der Wölfe aber gar nicht zutrifft, zeigt Hermann Ansorge vom Senckenberg Museum für Naturkunde in Görlitz, der sich intensiv mit dem Einwanderer auseinandergesetzt hat.

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Mindestens 18 eigenständige Wolfsrudel leben inzwischen in Deutschland, sie fühlen sich wohl im neuen Lebensraum. Nicht weil der Mensch schwindet – sondern weil seine Vorbehalte gegenüber dem Wolf abgenommen haben. Ein Sinneswandel, zu dem auch Ansorges Grundlagenforschung beigetragen hat. Jahrelang hat der Zoologe das Fressverhalten der Tiere beobachtet und festgestellt: Nur 0,6 Prozent ihrer Beute sind tatsächlich Nutztiere, weit weniger als befürchtet. Der Wolf ernährt sich stattdessen bevorzugt von Schalenwild: von Rehen, Rotwild und Wildschwei-

nen. Dem Menschen kommt er nur selten ins Gehege.

Das Raubtier macht sich überall dort breit, wo es geduldet wird. Wölfe stören sich nicht an bebauten Flächen, auch nicht an gelegentlichem Lärm. Der Populationsgenetiker Carsten Nowak, ebenfalls Senckenberger, rechnet deshalb mit einem weiteren Anstieg des Wolfsbestandes. Nowak erforscht die Wanderrouten der Tiere über genetische Nachweise auf Basis von Kot- oder Haarproben. Meist kommen sie aus Polen nach Deutschland, in Bayern und Hessen wurden aber auch schon Tiere aus dem Alpenraum gesichtet. Auch andere Großtiere lassen sich bei ihrer Rückkehr nach Deutschland nicht vom Menschen schrecken, hat Oliver Krone vom Berliner Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung herausgefunden. Der Seeadler etwa hat zwar zunächst die bevölkerungsarmen Gebiete in Brandenburg und MecklenburgVorpommern angesteuert, Sich-

tungen in den dicht besiedelten Gebieten Schleswig-Holsteins zeigen jedoch, wie anpassungsfähig der Greifvogel ist.

Hier aber kann es zu verhängnisvollen Zusammenstößen kommen. Die meisten Todesfälle unter Seeadlern sind zivilisationsbedingt. Viele Tiere sterben an Bleivergiftungen oder bei Kollisionen mit Zügen und Mittelspannungsleitungen. Meist sterben sie jung. Nicht Pilz oder Pyramide könne die Demografie der Seeadler-Population daher am treffendsten beschreiben, erklärt Krone, sondern ein abgeschnittener Tannenbaum. Bei den Raubvögeln fehlen vor allem die Alten.

„Mindestens 18 eigenständige Wolfsrudel leben inzwischen in Deutschland.“

r i c a r d a b r e y to n

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Deutschland

braucht

Einwanderung

Ohne Migranten altert die Bevölkerung in Deutschland schneller, fehlen Fachkräfte, nimmt die internationale Wettbewerbsfähigkeit ab. Doch qualifizierte Zuwanderer stöhnen über die deutsche Bürokratie, in der neuen Heimat fühlen sie sich oft nicht willkommen. Und tatsächlich: Schon im Schulbuch ist Zuwanderung eher fremd als selbstverständlich.

„Andere Länder

Das Foto im Politik-Schulbuch zeigt eine junge Frau mit Kopftuch, darunter steht die Bildunterschrift „Fremd in Deutschland“. Im Kapitel zum Thema Einwanderung geht es um Kopftücher, Moscheen und Zwangsehen. Überschriften wie „Schlechte Chancen für Migranten“ und „Lebensumstände der Ausländer“ suggerieren, dass Einwanderung vor allem eines ist: ein Problem.

sind für Tatsächlich aber ist sie die Lösung der deutschen demogra-

Hochqualifizierte fischen Probleme, zumindest für einen Teil davon. Denn

attraktiver als Migranten sind im Durch-

schnitt deutlich jünger als der Die Gesellschaft gewinnt durch Zuwanderung Zeit, sich auf die Überalterung einzustellen und Renten- und Sozialsystem anzupassen.

Deutschland.“ Durchschnittsdeutsche.

Ruud Koopmans

Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

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Aufhalten können jedoch auch Migranten den demografischen Wandel nicht, sagt Ruud Koopmans. Am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) leitet er die Abteilung „Migration, Integration, Transnationalisierung“. Untersuchun­ gen hätten gezeigt, dass die Geburtenrate schon in der zweiten Einwanderergeneration nur noch geringfügig über dem Durchschnitt liege, sagt Koopmans. In der dritten Generation hätte sich die Geburtenhäufigkeit – Wissenschaftler sprechen von Fertilität – dann vollständig angepasst.

Es müssen neue Migranten kommen

Um den demografischen Wandel positiv zu gestalten, müssten also neue Migranten kommen. Deutschland braucht die Einwanderung. Doch auch wenn das Wanderungssaldo, also die Zahl der Zuwanderer abzüglich der Abwanderer, laut dem statistischen Bundesamt derzeit bei 279.000 Menschen liegt und damit so hoch wie seit 1996 nicht mehr – in Zukunft müssten es wesentlich mehr sein, so Koopmans. Doch während die Wirtschaft drängt, Fachkräfte anzuwerben,

zögert die Politik. Eine Arbeitsgenehmigung bekommt nur, wer einen hochbezahlten Job vorweisen kann, die Mindestverdienstgrenze für Einwanderer ist hoch, die Bürokratie kompliziert. Andere Länder sind für Hochqualifizierte attraktiver als Deutschland: Großbritannien oder die USA, Schweden oder die Niederlande. Dort haben junge, gut ausgebildete Menschen bessere Chancen, sich niederzulassen und eine Familie zu gründen – auch wegen der Einbürgerungspraxis. „In den Niederlanden ist es viel einfacher, sich einbürgern zu lassen und dabei die alte Staatsangehörigkeit zu behalten“, sagt Koopmans, der aus Holland stammt. Im internationalen Wettbewerb um Talente fällt Deutschland wenig ein. Viel wird deshalb derzeit über „Willkommenskultur“ geredet. Ruud Koopmans glaubt, dass es auf dem Gebiet Defizite gibt. „Lange Zeit gab es einen Mismatch zwischen Humankapital und dem Bedarf auf dem ­Arbeitsmarkt“, sagt der ­Soziologe und Politikwissenschaftler. Unter ökonomischen Gesichtspunkten seien lange die „falschen“ Migranten gekommen. Das habe dem Image der Einwanderung an sich geschadet. Besonders Einwanderern aus islamischen Ländern schlägt in

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Verschiedene Lebensentwürfe, Familienkonstellationen, Herkunftsländer, Religionen. Für die Ausstellung „Zukunft leben: Die demografische Chance“ portraitierte die Kommunikationsdesignerin Seren Başoğul Deutschlands Vielfalt. Ihre Bilder illustrieren auch, dass Migranten und ihre Nachkommen längst ein elementarer Teil der Gesellschaft sind.

Weniger misstrauen

Fotos: Seren Başoğul

Deshalb arbeitet Götz Nordbruch am Georg-Eckert-Institut jetzt an Unterrichtsmaterialien, die ein differenzierteres Bild zeichnen. „Zwischentöne“ heißt das Projekt. Im Frühjahr sollen die Ergebnisse auf eine Webplattform gestellt werden. „Schulbücher hinken immer der Realität hinterher“, sagt Nordbruch. „Wir müssen endlich anfangen, Migranten als ganz normale Mitbürger zu begreifen.“

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Jeder fünfte Einwohner Deutschlands hat einen „Migrationshintergrund“, etwa fünf Prozent der Bevölkerung sind Muslime. Deshalb, sagt der Soziologe und Islamwissenschaftler Nordbruch, solle man mit Muslimen nicht nur Moschee-Neubauten diskutieren, sondern auch die Themen der Mehrheitsgesellschaft, den Umweltschutz beispielsweise. Wenn es im Ethikunterricht um Ökologie gehe, könne man etwa mit dem Verein „HiMA“ einsteigen. Darin engagieren sich junge Muslime für Umweltfragen, sie berufen sich dabei auf den Koran. „Als Lehrer sollte man HiMA wie

jede andere deutsche Organisation behandeln, wie Greenpeace oder den Naturschutz-Bund“, rät Nordbruch.

Auch die Deutsche Einheit könnte aus der Perspektive von Einwanderern betrachtet werden. „Man sagte damals: Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört, und meinte damit Ost- und Westdeutsche. Dass längst auch Türken, Vietnamesen und Polen dazugehörten, vergaß man.“ Die neue nationale Euphorie machte vielen Migranten Angst. Das können Lehrer im Unterricht thematisieren, indem sie die Schüler Erzählungen über den Mauerfall aus ihrem Umfeld sammeln lassen. So werde deutlich, dass es mehr als einen Blickwinkel gebe. Eine solche Normalität helfe Schülern mit Migrationshintergrund mehr, als ständig auf die Unterschiede angesprochen zu werden, glaubt Nordbruch. Viel

zu oft hörten türkischstämmige Kinder die Frage: „Wie ist das bei euch mit dem Dschihad?“ Seit dem 11. September überlagert das Thema Terrorismus die Diskussionen um Islam und Integration.

Die Erfolge von Einwanderern werden darüber leicht vergessen – ebenso wie die strukturellen Vorteile der Migration. Götz Nordbruch sieht in der Wahrnehmung türkischer Einwanderer nun jedoch erste Anzeichen für einen Wandel. Zum 60. Jahrestag des Anwerbeabkommens mit der Türkei kam vor zwei Jahren der Film „Almanya“ ins Kino; eine Komödie, die mit viel Witz den Alltag einer Gastarbeiterfamilie in den 1970er Jahren zeigt. „Diese positive Deutung war neu“, sagt Nordbruch. „Das ist ein erster Schritt, um die Lebensleistung von Migranten anzuerkennen.“ mounia meiborg

Seit Jahren wandern in aller Regel mehr Menschen nach Deutschland ein, als abwandern – aber sind es genug und die „Richtigen“?

Migration — summierter Wanderungssaldo 800 596

700 600

427

500 279

400

Jährlicher Saldo der Zuzüge und Fortzüge ausländer Deutsche

225

300 Zahlen in Tausend, gerundet

Deutschland Misstrauen und Ablehnung entgegen. Und das nicht nur auf der Straße. Auch im Klassenzimmer steht nicht unbedingt Integration auf dem Lehrplan. Das Braunschweiger Georg-Eckert-Institut hat im vergangenen Jahr untersucht, wie Muslime in europäischen Schulbüchern dargestellt werden. Das Ergebnis der Studie „Keine Chance auf Zugehörigkeit?“, die vom Auswärtigen Amt gefördert wurde: Der Islam wird oft als fremd, rückständig und bedrohlich beschrieben, als Gegensatz zum „modernen Europa“.

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’08 ’09

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Datenquelle: Statistisches Bundesamt

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leben, arbeiten

Länger länger Kann die Rente mit 69 die wirtschaftlichen Folgen des demografischen Wandels dämpfen? Und was hat das mit den Sparbüchern der Deutschen zu tun?

Länger im Ruhestand: Von 1960 bis 2007 stieg die Zeit, in der Rente bezogen wurde, im Schnitt von 9,9 auf 17,3 Jahre.

Schon die Rente mit 67 war umstritten, aber nun kommt es noch dicker. Während Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften über die Anhebung des bisherigen Eintrittsalters um zwei Jahre streiten, werden andernorts bereits Forderungen nach einem noch späteren Rentenbeginn laut: Rente mit 69. Und tatsächlich gibt die demografische Entwicklung Deutschlands dazu Anlass. Die Lebenserwartung ist deutlich gestiegen. Allein von 1969 bis 2009 sind im Durchschnitt bei den Männern elf und

bei den länger lebenden Frauen neun Lebensjahre hinzugekommen. Immer mehr Rentner, die ihren Ruhestand immer länger und auch immer gesünder genießen können; und wegen der Geburtenentwicklung immer weniger Berufstätige, die das Ganze finanzieren sollen. Die Frage ist also: Wer soll das bezahlen? Doch das Problem birgt auch schon die Lösung. Zu diesem Ergebnis kommt eine Gemeinschaftsstudie der drei Leibniz-Institute Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel, Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen und Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim

Durchschnittliche Rentenbezugsdauer 20

In Jahren, Versichertenrenten (GRV), 1960 bis 2007*

FRAUen

15 MÄnneR

10

5

0

1960

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1985

1990

1995

2001

2002

2003

2004

2005

2006

2007

* die durchschnittlichen Rentenbezugsdauern sind für jedes Jahr als Querschnitt berechnet und durch Rechtsänderungen und durch sich im Zeitablauf ändernde Altersstrukturen beeinflusst. Vor 1980 ohne Knappschaft, da eine Geschlechtertrennung nicht möglich ist. Daten Westdeutschland

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im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Die Älteren selbst könnten ihre Renten demnach sichern: Sie leben immer länger – und können also auch länger arbeiten. Sebastian Braun, der an der Studie des Kieler Leibniz-Instituts mitgewirkt hat, fasst es wie folgt zusammen: „In unserer Studie schlagen wir vor, das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung zu koppeln. Die Rente mit 69 Jahren kann die Kosten des demografischen Wandels ein Stück weit abfangen.“

Renteneintrittsalter erhöhen

Ohne solche Schritte, so Braun und seine Kollegen, werde durch das abnehmende Arbeitsvolumen auch das Produktionspotenzial und das Pro-Kopf-Einkommen in Deutschland sinken. Dies wiederum würde negative Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte und das Sozialsystem haben: weniger Einnahmen bei höheren Ausgaben nicht zuletzt für die Versorgung der Alten. Darum fordern die Forscher nicht nur, dass Renteneintrittsalter zu erhöhen, sondern zeigen auch Wege auf, wie die Arbeitslosigkeit unter den älteren Berufstätigen verringert werden kann. „Zwischen den Szenarien ergibt sich ein Unterschied von zehn Prozent im durchschnittlichen Pro-KopfEinkommen“, erklärt Braun. „Es macht etwas aus, ob wir mit 65 oder mit 69 in Rente gehen.“ Entscheidend sei jedoch, dass mehr ältere Menschen arbeiten. Doch wollen die das – und besteht überhaupt die Nachfrage nach älteren Arbeitnehmern?

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Nach Jahren mit erleichterten Frühverrentungen sei die Zahl der älteren Berufstätigen in jüngster Zeit gestiegen, sagt Braun. „Da wir mit einem Arbeitskräfte- und Fachkräftemangel rechnen, wird es künftig auch eine erhöhte Nachfrage nach älteren Arbeitnehmern geben.“ Allerdings müsse die Gesellschaft entscheiden, ob tatsächlich im Alter gearbeitet werden soll oder ob der Ruhestand wichtiger ist. „In diesem Fall müssen wir dann aber auch damit rechnen, dass wir das Rentenniveau nicht halten können“, betont Braun. Auch wenn

sich die Studie nicht ausdrücklich mit der Altersarmut auseinandersetzt, gehen die Forscher davon aus, dass die Rente mit 69 auch hier einen Beitrag leisten kann. „Wir haben uns damit beschäftigt, wie wir den Kuchen größer machen können, den wir dann umverteilen.“

Den Kuchen größer machen

Dass ein Renteneintritt mit 69 Jahren auch weitere wirtschaft-

Fotos: detailblick/Fotolia.com; Picture Alliance/Peter Popp

1986 plakatiert der damalige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm das legendäre „Die Rente ist sicher“ – aber ab wann? Erst mit 69?

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L e i b n i z | L e b e n i m d e m o g r a f i s c h e n Wa n d e l

„Es wird

liche Folgen des demografischen Wandels abschwächen könnte, davon geht man in Mannheim aus. Im ZEW hat man sich mit der von dem Ökonomie-Nobelpreisträger Franco Modigliani aufgestellten Lebenszyklushypothese auseinandergesetzt. Sie besagt, dass junge Menschen Kredite in Anspruch nehmen, während in der mittleren Lebensphase gespart und in der Rentenphase dann wieder entspart wird. Doch in Deutschland trifft diese Hypothese nur in Teilen zu: „Junge Menschen nehmen bei uns kaum Kredite auf, da das Bildungssystem staatlich finanziert ist“, erklärt Marcus Kappler, der die Studie geleitet hat. „Außerdem sparen auch die sehr alten Menschen in Deutschland, besonders die Nachkriegsgeneration.“

künftig eine Sparquote und

erhöhte Nachfrage Investitionsbereitnach älteren

schaft

Arbeitnehmern Das ZEW konzentriert sich auf

zwei Aspekte, die in der For-

geben.“ schung meist außer Acht ge-

lassen werden: Sparquote und

Sebastian Braun Investitionsbereitschaft. „In eiInstitut für Weltwirtschaft

ner mittelalten Bevölkerung ist die Sparquote relativ hoch. In

dieser Gesellschaft wird mehr gespart als investiert werden kann. Zudem wird mehr exportiert als importiert. Es kommt also zu einem Leistungsbilanzüberschuss wie zum Beispiel in Deutschland“, so Kappler.

Das ZEW hat nun berechnet, dass dieser Überschuss in einer Gesellschaft mit einer älter werden Bevölkerung schmelzen wird. Überschüssiges Geld, das im Ausland angelegt wurde, wird dann aufgebraucht und die sinkende Sparquote macht ausländisches Kapital erforderlich, um nötige Investitionen im Inland zu finanzieren. Selbst die Rente mit 69 wird diesen Trend nicht aufhalten können, stellt Marcus Kappler klar. „Die geburtenschwachen Jahrgänge in unserer Gesellschaft sind nun mal da und müssen – bildlich gesprochen – die Bevölkerungspyramide erst einmal durchwandern. Trotzdem sollten wir eine Ausweitung der Lebensarbeitszeit in Betracht ziehen, denn sie kann den Grundeffekt des demografischen Wandels abschwächen.“ Dreht man an allen Stellschrauben des Beschäftigungssystems – längere Lebensarbeitszeit, mehr ältere Beschäftigte, vor

allem in Vollzeit, mehr Zuwanderung – dann könnte selbst unter den Bedingungen einer alternden und schrumpfenden Bevölkerung noch Wirtschaftswachstum und Wohlstand erzeugt werden.

Rahmenbedingungen anpassen

Die Zahlen sprechen also durchaus für eine Rente mit 69. Aussagen über die Zumutbarkeit eines späteren Renteneintrittsalter treffen sie jedoch nicht. Viele Beschäftigte sind schon weit vor dem 65. Lebensjahr erwerbsunfähig. Andere möchten so lange nicht arbeiten. Wieder andere, vor allem in der Gruppe der 55- bis 59-Jährigen, arbeiten derzeit nur in Teilzeit, würden aber gern Vollzeittätigkeiten nachgehen. Sowohl Sebastian Braun als auch Marcus Kappler betonen zwar, dass die Rahmenbedingungen der Arbeitswelt auf ältere Arbeitnehmer abgestimmt werden müssen. Ob das allerdings reicht, um einen gesellschaftlichen Konsens über eine längere Lebensarbeitszeit zu erreichen, steht dahin. a n to n i a r öhm

Arbeit statt Ruhestand Zwischen 2001 und 2011 hat sich die Zahl der Erwerbstätigen im Rentenalter in Deutschland auf rund 760.000 verdoppelt. In keiner anderen Altersgruppe ist die Zuwachsrate der Erwerbstätigen in dieser Zeit so deutlich gestiegen wie bei den über 65-Jährigen. Das haben Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin ergeben. Der Grund für den deutlichen Anstieg ist vor allem das veränderte Erwerbsverhalten der Älteren, weniger der demografische ­Faktor.

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Die Hälfte ist als Selbständige tätig, oder als mithelfende Familienangehörige. Aber generell ist eine Verschiebung der Altersstruktur der Erwerbstätigen erkennbar. Während die Zahl in der Altersgruppe zwischen 25 und 44 Jahren abnahm, stieg sie bei den 55- bis 64-Jährigen an: von 4,1 Millionen im Jahr 2001 auf 6,2 Millionen 2011. Insgesamt wuchs die Zahl der Erwerbstätigen von 2001 bis 2011 von 36,5 Millionen auf 39,7 Millionen. (Quelle: DIW Wochenbericht 6/2013)

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L e i b n i z | Zuku n ft L e b e n

Kopf Mit gezieltem

arbeit

Arbeit am Fließband (hier im Opel-Werk Eisenach) lässt sich kaum abwechslungsreicher gestalten. Ergänzende Trainings sollen dieses Defizit ausgleichen.

Training können auch ältere Beschäftigte die Herausforderungen

Fotos: Gina Sanders/Fotolia.com; GM Company

der Arbeitswelt meistern.

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Für die Älteren ist es eine gute Nachricht: Laut dem Bericht „Aufbruch in die altersgerechte Arbeitswelt“ der Bundesregierung dürfen Frauen im Alter von 65 Jahren bis 2030 auf fast 23 weitere Lebensjahre hoffen, bei den Männern sind es über 19 Jahre.

Beschäftigten kümmern, auf die Bedürfnisse älterer Mitarbeiter eingehen. Sonst verlieren sie ihre Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit.

Doch was die einen freut, bringt Herausforderungen mit sich: Die Bevölkerung altert, und das wirkt sich auch auf die Arbeitswelt aus. Wegen der niedrigen Geburtenraten der vergangenen Jahre droht ein erheblicher Mangel an Fachkräften. „Auf das Potenzial der Älteren kann die deutsche Wirtschaft nicht länger verzichten“, folgert der Regierungsbericht. Stärker als bisher müssten Unternehmen sich um die geistige und körperliche Gesundheit ihrer

Das Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IfADo) erforscht, wie sich Arbeit und Alter besser vereinbaren lassen. Die Projektgruppe „Altern“ um den Mediziner Michael Falkenstein will insbesondere verstehen, warum die Leistungsfähigkeit einiger Arbeitnehmer mit dem Alter stärker abnimmt als die anderer und welche Rolle Beruf und Arbeitsumfeld dabei spielen. In Verhaltensanalysen und mit Hirnmessungen ver-

Geistigen Abbau aufhalten

gleichen die Forscher kognitive Prozesse – also zum Beispiel Aufmerksamkeit, Reaktionsvermögen oder Gedächtnis – bei älteren und jüngeren Menschen und untersuchen, ob ihr stetiger Abbau aufgehalten werden kann.

Jahrelange Grundlagenforschung hat gezeigt, dass einige Hirnprozesse im Alter abnehmen, andere wiederum zunehmen, um dies zu kompensieren. Älteren Menschen fällt es beispielsweise schwer, unwichtige Reize zu ignorieren. In einer unruhigen Umgebung hören sie dadurch schlechter und haben Probleme, sich zu unterhalten. Andererseits bereiten sie sich stärker auf wichtige Reize vor, etwa in dem sie ihre Konzentration deutlich erhöhen, was aber ebenfalls zu Stress führt.

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L e i b n i z | L e b e n i m d e m o g r a f i s c H e n Wa n d e L

„Menschen mit Falkenstein und seine Mitarbei- sprechen. Das soll Arbeitsge- rechten Gestaltung des Verkehrs ter wollen dem geistigen Abbau

schwindigkeit, Aufmerksamkeit

tere Arbeitnehmer“, kurz PFIFF,

Fehler besser zu erkennen. Eine

ableiteten und ein Trainings-

wenig entgegen wirken. Im „Programm und Gedächtnis schulen. Mit Er- programm entwickelten, das zur Förderung und zum Erhalt

folg: Die Zahl der Fehler sinkt, die

70-Jährige auf das Fahrniveau

Abwechslung im intellektueller Fähigkeiten für äl- Probanden lernen zudem, eigene 50-Jähriger bringen kann.

Job erkranken mit entwickelten sie Trainings, um Leistungssteigerung, die auch Derzeit richten sich die meisten die intellektuellen Fähigkeiten

drei Monate nach Trainingsende

Maßnahmen an ältere Berufstä-

höherer Wahr- älterer Arbeitnehmer gezielt an- bei Hirnstrommessungen beob- tige. Um die geistige Fitness ihrer zuregen. Damit sollen vor allem

scheinlichkeit an solche Arbeitnehmer länger ar-

beiten können, die jahrelang mo-

Demenz.“ notonen Tätigkeiten nachgehen.

Michael Falkenstein Leibniz-Institut für Arbeitsforschung

Deshalb gingen die Forscher für ihre Untersuchungen ans Fließband, in die Produktion der Bochumer Opel-Werke. Die Arbeit dort lässt sich kaum abwechslungsreicher gestalten. „Und wir müssen davon ausgehen, dass solche Tätigkeiten beim Streben nach mehr Effizienz eher zu- als abnehmen“, vermutet Falkenstein. „Daher entwickeln wir zum Ausgleich Trainings, die neben der eigentlichen Arbeit durchgeführt werden können.“ PFIFF fußt dabei auf zwei Sockeln. In einem kognitiven Training müssen die Teilnehmer am Computer auf bestimmte Reize reagieren, zwischen verschiedenen Aufgaben wechseln, oder Zahlenreihen rückwärts nach-

zwischen Aufgaben wechseln In einem zweiten Test geht es um einen wesentlichen Faktor beim Abbau der geistigen Fitness: Stress. „Mit dem Alter entwickeln Menschen Mechanismen, um Stress-Emotionen zu unterdrücken“, sagt Falkenstein, „sie merken dadurch oft gar nicht, dass sie gestresst sind – ihrem Körper jedoch entgeht das nicht.“ Als Gegenmaßnahme ergänzen die Forscher die Trainings mit Entspannungsübungen. Tatsächlich war bereits ein kurzes Entspannungstraining ausreichend, um den Stress zu reduzieren – deutlich erkennbar am Rückgang des Stresshormons Cortisol. „So haben wir mit einfachen Maßnahmen den kognitiven und emotionalen Status nachhaltig verbessert“, resümiert Falkenstein. Einen ähnlichen Erfolg erzielten die Forscher am IfADo auch in Bezug auf die Mobilität älterer Menschen, denn auch das Fahrverhalten leidet unter den geänderten kognitiven Prozessen. Aus Untersuchungen in Fahrsimulatoren und im Straßenverkehr gewannen sie Erkenntnisse, auf deren Basis sie Empfehlungen zur altersge-

Beschäftigten zu erhalten, führe aber kein Weg daran vorbei, dass Unternehmen künftig früher ansetzen, ist sich Falkenstein sicher. In vielen großen Konzernen nehmen sich inzwischen Beauftragte für den demografischen Wandel dem Problem an – kleinere Betriebe tun sich damit oft noch schwer.

Einen Weg in diese Richtung könnte das neue Projekt „INNOKAT“ der Arbeitsforscher weisen. Es soll nun auch die Innovationsfähigkeit älterer Menschen fördern, denn die lässt sogar schon ab 40 Jahren deutlich nach. Die Projektgruppe arbeitet mit gemischten Teams in mittelgroßen Unternehmen. Beschäftigte und Vorgesetzte werden in individuelle Trainings einbezogen. „Wir gehen nach den Erfahrungen mit PFIFF davon aus, dass wir Innovationsfähigkeit und Betriebsklima und damit auch den wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmen langfristig verbessern können“, erwartet Falkenstein. So würde das Problem der alternden Belegschaften zur Chance für die Unternehmen. b o r i s h Ä n s sler

Foto: IfADo

Mit Hilfe von Hirnstrommessungen untersuchen Forscher, wie Trainings die kognitiven Fähigkeiten älterer Menschen verändern.

„Zahlreiche Studien belegen, dass gerade sie im Alter geistig nicht mehr so fit sind wie Leute mit ständig wechselnden Herausforderungen“, sagt Falkenstein. Letztere stünden jüngeren Kollegen in fast nichts nach. Schlimmer noch: Menschen mit wenig Abwechslung im Job erkranken mit höherer Wahrscheinlichkeit an Demenz.

achtet werden kann.

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Moderne Technik ist nix für Oma und Opa? „Doch. Wenn sie bedienerfreundlich und sinnvoll ist!“ karin wuttig

Foto: Sebastian Bolesch

berät als Rentnerin Unternehmen

Karin Wuttig hat Freude am Tüfteln. Sie engagiert sich ehren­ amtlich dafür, dass Dinge wie Handy­Displays oder Fahrkarten­ automaten benutzerfreundlicher werden. Älteren mehr Möglichkeiten zu eröffnen, ihr Wissen und ihre Lebenserfahrung weiterzugeben – das fördert die Bundesregierung mit ihrer Politik für alle Generationen: mit ihrer Demografiestrategie. www.jedes-alter-zählt.de


Prof. Dr. Mouhanad Khorchide, Zentrum für Islamische Theologie, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster: „Der demografische Wandel bedeutet ein vielfältiges Miteinander der Kulturen. Deshalb erforsche ich Entwicklungen der Interreligiösität und Interkulturalität in Deutschland.“ Gestalten wir den Wandel: www.demografische-chance.de


Leibniz | LeKTÜRe

Heinz Peter Brogiato: Über den Dächern von Leipzig. Luftbilder 1909-1935; gebunden, 247 S., Lehmstedt Verlag, Leipzig 2012; 19,90 Euro, ISBN 978-3-942473-44-6

Martin Sabrow (Hrsg.): 1989 und die Rolle der Gewalt; Fotos: Archiv IfL/Lehmstedt Verlag; Wallstein Verlag; Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart

428 Seiten, Wallstein Verlag, Göttingen 2012; € 34,90, ISBN: 978-3-8353-1059-9

Als die ersten Luftschiffe über Leipzig schweben, ist das Erstaunen groß: Gebannt starren die Menschen in den Himmel und zeigen auf eines der noch relativ unbekannten Flugobjekte, von dem aus sie 1909 fotografiert werden. Insgesamt 113 Luftaufnahmen hat Heinz Peter Brogiato für sein Buch „Über den Dächern von Leipzig“ ausgewählt, vor allem sogenannte Schrägluftbilder. Sie vermitteln einen Eindruck über Straßenverläufe und ermöglichen einen Blick auf die Fassaden des Leipzigs des frühen 20. Jahrhunderts. In kur-

zen Begleittexten liefert Brogiato Informationen zu den abgebildeten Orten, zum Völkerschlachtdenkmal (oben über dem Areal der Internationalen Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik) und zur Thomaskirche etwa. Vom Stadtzentrum aus erkundet der Leser Seite für Seite Leipzigs Innen- und Außenbezirke, bis hin zu einstigen Vororten, die inzwischen eingemeindet sind. Das Buch ist vor allem etwas für Leipzig-Kenner. Doch auch Ortsfremde lernen Interessantes über Leipzig und seine Vergangenheit. a n to n i a r öhm

Die Kräfteverhältnisse sind eindeutig: Sechs Mitarbeiter der Sicherheitsorgane kommen auf einen unbewaffneten Demonstranten, als die Montagsdemonstrationen im Oktober 1989 in die heiße Phase gehen. Dass die Proteste dennoch nicht mit Gewalt niedergeschlagen werden, wird später auch als „Wunder von 1989“ bezeichnet. In der Geschichtswissenschaft wurde bis heute nicht umfassend geklärt, warum der Gegenschlag des Regimes ausblieb und weshalb auch die Protestierenden sich weitgehend friedlich verhielten. Diese Lücke möchte Martin Sabrow schließen. In 17 Beiträgen gehen der Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam und weitere Autoren der Frage nach,

welche Rolle Gewalt in der „friedlichen Revolution“ spielte. En détail beleuchtet der Sammelband relevante Akteure wie SED-Funktionäre und zeigt auf, warum sie auf Gewalt verzichteten. Neben der DDR betrachten sie dabei das östliche Europa, ein Blick, der deutlich macht, dass die Umbrüche der Zeit nicht allerorts friedlich vonstatten gingen. Gerade der Beitrag über Jugoslawien, wo die Gewalt 1990 explodierte, reibt sich an Sabrows These von einer „fortschreitenden Entgewaltung des 20. Jahrhunderts“. War 1989 nun also ein Wunder – oder doch Teil eines langen historischen Prozesses? Sabrows Aufarbeitung gibt dem Leser Fakten und Details an die Hand, um sich dieser Frage zu nähern. r i c a r d a b r e y ton

Der „Souci – Fachmann – Kraut“ (kurz: SFK) ist ein wahres Schwergewicht. Er bringt mehr als 4,3 Kilogramm auf die Waage und sein Fettgehalt ist ernorm. Das verwundert nicht, denn er ist das Standardwerk für die Zusammensetzung und Nährwerte von Lebensmitteln und weist diese (und damit auch den Fettgehalt) für rund 800 Lebensmittel auf mehr als 1.300 Seiten aus. 2012 feierte der von der Deutschen Forschungsanstalt für Lebensmittelchemie der Leibniz-Gemeinschaft in Freising herausgegebene Wälzer seinen 50. Geburtstag. Der Trend

zu Light-Produkten ist dabei auch am SFK nicht vorbeigegangen: Seit 1987 erscheint ein „kleiner Souci – Fachmann – Kraut“ für den alltäglichen Gebrauch. In übersichtlichen Tabellen listet dieser mehr als 50 Inhaltsstoffe von etwa 340 Lebensmitteln auf. Auf einen Blick erkennt der Leser so, dass sich der Fettgehalt von Kartoffelchips gegenüber dem Ausgangsprodukt etwa um den Faktor 400 erhöht. Für den Laien eventuell überraschender, dass bei Fisch der Räucheraal mit 329 Kalorien pro 100 Gramm zu B(a)uche schlägt, die Flunder aber nur mit 72 Kalorien. Oder dass Schwarze Johannisbeeren mit 177 Milligramm mehr als drei Mal soviel Vitamin C pro 100 Gramm enthalten wie Zitronen (51 mg). c h r i s to p h h e r b o rt - v o n l o eper

Souci, S.W., Fachmann, W., Kraut, H.: Die Zusammensetzung der Lebensmittel, NährwertTabellen; 1340 Seiten, Medpharm Scientific Publishers Stuttgart, 7. rev. und erg. Auflage 2008; 158,00 Euro, ISBN 978-3-8047-5038-8 Souci, S.W. / Fachmann, W. / Kraut, H.: Lebensmitteltabelle für die Praxis Der kleine Souci/Fachmann/Kraut; 484 Seiten, Wissenschaftliche Verlagsgesell-

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schaft Stuttgart, 5. Auflage 2011. 26,80 Euro, ISBN 978-3-8047-2679-6

Wir verlosen fünf Exemplare des Bandes „Der kleine Souci“ (▶ S. 48)

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Leibniz | spektrum

Julia Fahlke mit einem 37. Mio. Jahre alten Unterkieferfragment eines Urwals (Basilosaurus isis), Daniela Schwarz-Wings mit einem 150 Mio. Jahre alten Halswirbel eines Dicraeosaurus, der ihr auch über die Schulter blickt, Nadia Fröbisch mit 290 Mio. Jahre alten Fossilien von Amphibien der Gattungen Micromelerpeton (groß) und Apateon (klein) und Christy Hipsley mit zwei Präparaten ­heutiger Doppelschleichen (Amphisbaenia) aus Südamerika.

Männerdomäne ihren Weg — ganz normal, ohne Quote. „Wir wollen keine FrauenQuote“ bekannten im Januar mehr als 30 erfolgreiche Frauen aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen auf dem Titel des „Focus“. Darunter die Vorzeige-Frau der deutschen Wissenschaft, Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard. Die Biologin meint: „Eine Quote verletzt die Würde der Frau. Jede Frau in einer Führungsposition würde zur Quotenfrau.“

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So umstritten eine Frauen-Quote ist, so unstrittig ist die Tatsache, dass der Anteil von Frauen auf den oberen Karrierestufen der Wissenschaft gering ist. Sind Frauen bei den Studienabschlüs-

sen (51,8%) und Promotionen (44,1%) inzwischen gleichauf mit ihren männlichen Kommilitonen, machen sie nach aktuellen Zahlen der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern bei den Habilitationen nur ein Viertel aus, bei Professuren nur ein Fünftel und bei den höchstdotierten C4/W3-Stellen knapp 15 Prozent. Allerdings hat sich somit seit 1992 der Frauenanteil bei Habilitationen verdoppelt, bei den Professuren sogar verdreifacht. Klar ist, dass es sich hierbei nicht um ein Phänomen der ExzellenzAuswahl handelt, sondern dass andere Gründe für den Ausstieg von Frauen aus dem Wissen-

ade

schaftsbetrieb und damit für einen massiven Verlust kreativen Potenzials in der Forschung sorgen. Aber: Es gibt auch den stillen, kaum bemerkten Marsch der neuen Wissenschaftlerinnen-Generation durch die Institutionen. Vier Frauen am Berliner Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung – zeigen dies. Sie sind Anfang-Mitte 30, promoviert und haben erfolgreich Fördergelder für ihre Stellen eingeworben. Sie beweisen, dass die ehemalige Männerdomäne Paläontologie längst keine reine Männerwirtschaft mehr ist – wenn auch noch nicht bis ganz in die Spitze, denn ihre Chefs sind allesamt Männer.

Foto: Carola Radke/MfN

Vier Frauen gehen am Berliner Naturkundemuseum

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Leibniz | spektrum

Zu wenige unbefristete Stellen Julia Fahlke ist im vergangenen Jahr mit einem Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung aus den USA zurückgekehrt und forscht nun auf einer von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierten „Eigenen Stelle“ zur Entwicklung von Schädelsymmetrie und niedrigfrequentem Hören bei frühen Bartenwalen. Projektlaufzeit: drei Jahre. Und da liegt (nicht nur) aus Sicht der 31-Jährigen die Crux beim Aufstieg von Frauen ab der Post-Doc-Phase: „Es gibt einfach zu wenige unbefristete Stellen. Es ist hart und teilweise frustrierend, alle ein bis drei Jahre wieder Anträge und Bewerbungen schreiben zu müssen. Wenn dann noch eine familienbedingte Auszeit erforderlich ist, stelle ich mir das umso schwerer vor.“ In dieser Situation war Julia Fahlke noch nicht – anders als Nadia Fröbisch. Die 35-Jährige hat zwei kleine Kinder und den Balanceakt zwischen Familie und Forschung geübt. Die ­„Lücke in der Produktivität ist ein Problem im wissenschaftlichen Lebenslauf, dessen Berücksichtigung bei Bewerbungen auf Stellen noch nicht zufriedenstellend gelöst ist“, beklagt sie. „Außerdem geht die Forschung in allen Fachbereichen rasend schnell voran, und es ist schwierig, auf dem aktuellen Stand zu bleiben, wenn man einige Monate oder gar ein Jahr Elternzeit nimmt.“ Dieser fehlende Anschluss ist aus Fröbischs Sicht einer der Hauptgründe für die

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wenigen Frauen in wissenschaftlichen Führungspositionen.

Daniela Schwarz-Wings hat den Anschluss gehalten. Während ihrer Elternzeit erledigte die 36-jährige Mutter zweier Kinder von zu Hause aus weiter Teile ihrer wissenschaftlichen Arbeit. „Paläontologie ist nicht nur Beruf, sondern auch Hobby und Lebensjob, den man meistens abends mit nach Hause nimmt“, bekennt die Expertin für große pflanzenfressende Dinosaurier (Sauropoden) und fossile Krokodile aus Jura und Kreide. Ein Einsatz, der sich gelohnt hat, denn Daniela Schwarz-Wings ist als Kuratorin für fossile Reptilien fest am Naturkundemuseum angestellt und leitet verschiedene Forschungsprojekte.

Karriereziel Professur

Auch Fröbisch ist gerade Chefin auf Zeit geworden. Für fünf Jahre leitet sie eine Nachwuchsgruppe im Emmy Noether-Programm der DFG zu Ursprung und Evolutionsgeschichte moderner Am­phibien, um eines der letzten verbliebenen Rätsel der modernen Wirbeltiersystematik aufzuklären, den Ursprung der drei heutigen Amphibien-Gruppen. Ihr Karriereziel: eine Professur. „Ich bin mit Herz und Seele Wissenschaftlerin und möchte auf jeden Fall meine wissenschaftliche Karriere weiterverfolgen.“ Genau das will das Emmy Noether-Programm: für eine wissenschaftliche Leitungsaufgabe qualifizieren, insbesondere als Hochschullehrer. Dieses Ziel verfolgt sie nun mit einem Post-Doc, zwei Doktoranden und

einem Technischen Angestellten. Sie repräsentiert damit eine neue Generation von Frauen in der Paläontologie, die zwar mit Motivation und harter Arbeit kontinuierlich ihren Weg macht, dabei aber immer noch den Folgen einer langwährenden Zeit der Ungleichbehandlung gegenüber steht.

So stellt sich die Situation für Christy Hipsley dar, die am Naturkundemuseum – ebenfalls auf einer DFG-Stelle – die Evolution der Doppelschleichen (Amphisbaenia) von landlebenden Reptilien zu beinlosen, sich durch das Erdreich grabenden Tieren untersucht. Die US-Amerikanerin meint: „Frauen wollen heute als Mütter und Familienmenschen anerkannt, trotzdem aber beruflich für ihre Leistungen belohnt werden.“ Sie hofft, dass gleiche Ausbildung und gleiche Chancen die Geschlechterfrage mehr und mehr in den Hintergrund treten lassen werden. Eine Unterstützung von Müttern bei der Rückkehr in die Wissenschaft hält sie wie ihre drei Kolleginnen für wichtig – eine Frauen-Quote lehnt die 35-Jährige ab. „Die Vorstellung, eine Frau könnte nur aufgrund ihres Geschlechts für eine Position ausgewählt worden sein, bringt uns alle – Männer und Frauen – in eine schlechte Situation.“

Darin würde ihr sicher auch eine Nobelpreisträgerin zustimmen. Aber wenn die Frauen am Naturkundemuseum weiter so erfolgreich sind, könnte sich diese Diskussion bald erledigt haben. c h r i s to p h h e r b o rt - v o n l o e p e r

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Leibniz | MUSeen

Aktuelle Sonderausstellungen

in den Leibniz-Forschungsmuseen bar zu machen. Wie hat sich das Klima im Laufe der Zeit gewandelt und welche Prognosen lassen sich daraus ableiten? Welchen Einfluss hat der Mensch auf das Klima genommen? Und was passiert, wenn wir weiter leben wie bisher? Auf 700 Quadratmetern erlebt der Besucher Forschung zum Anfassen: Eine interaktive Kugelprojektion soll das Modell Erde erklären und sogenannte Forschertische geben Einblick in die aktuelle Klima- und Biodiversitätsforschung. Einen Raum zur Diskussion von Zukunftsprognosen gibt es auch – für alle, die sich nicht gerne die Karten legen lassen.

Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg Als Richard Wagners „Meistersinger von Nürnberg“ 1956 auf die Bühne gebracht wurden, war das Bayreuther Opernpublikum empört. In der Überzeugung, dass Stadt und Oper zu sehr mit dem Dritten Reich verhaftet seien, hatte der Regisseur jede Referenz an Nürnberg weg gelassen – sehr zum Ärger der Wagner-Gemeinde Die Welt der Schiffsmodelle und zu Unrecht, wie man heute weiß. Dass die Bezie10.3.2013 bis 7.5.2014 hung zwischen dem Komponisten und der Stadt nicht Deutsches Schiffahrtsmuseum, nur im Kontext des Nationalsozialismus zu sehen ist, Bremerhaven zeigt jetzt auch eine Ausstellung des GNM. Anlässlich Schneiden, gießen, kleben – der des 200. Geburtstags des Künstlers sucht das Museum Schiffsmodellbau ist bei jungen nach Wagners Spuren in der Stadt. Herzstück der Ausund erwachsenen Menschen bestellung ist die Originalpartitur der „Meistersinger von liebt. Sie folgen einer jahrtausendalten Tradition, in der Nürnberg“. Miniaturschiffe nicht nur Hobbyobjekte waren, sondern @HOME auch zu wissenschaftlichen, technischen und spirituellen noch bis zum 31.7.2013 Zwecken gebaut wurden. Einen Eindruck von der Vielfalt Deutsches Museum, München möchte das DSM vermitteln. Mehr als 2.000 Exemplare Längst ist das Internet keine Pa- umfasst seine Sammlung, die schönsten präsentiert das rallelwelt mehr, sondern hat die DSM nun aufwändig restauriert und klassifiziert und geht Menschheit fest im Griff. Emails auch auf ihren kultur-, schifffahrts-, wirtschafts- und soziwerden in der Bahn geschrie- algeschichtlichen Kontext ein. So ist die Ausstellung nicht ben, Termine über Doodle koordiniert und Studienab- nur für Bastler interessant, sondern auch für Historiker schlüsse online erreicht. Das Netz ist überall zuhause und Kunstliebhaber. und der Mensch in ihm. Doch wie verändert die DigitaEntwicklungen — lisierung die Gesellschaft? Welche Chancen und Mög60 Jahre DNA lichkeiten ergeben sich daraus und welche Gefahren ab dem 23.4.2013 entstehen? Mit seiner Ausstellung „@Home“ lädt das Museum für Naturkunde, Deutsche Museum zum Nachdenken über den Einfluss Berlin des Internets ein. Medienpädagogen kommen zu Wort, Als die „Perle“ der Wissenschaft aber auch IT-Fachleute und Mediziner. Zuhause sollen ging der Artikel in die Geschichsich dabei alle fühlen – Netzaktivisten, aber auch Mente ein, den James Watson und Francis Crick 1953 in der schen, denen die Generation Internet fremd ist. „Nature“ veröffentlichten. Kurz und knapp erläuterten sie die Struktur der DNA und lieferten damit die GrundPlanet 3.0 — Klima.Leben. lage für Anwendungen, die heute selbstverständlich Zukunft. erscheinen: Vaterschaftstests und genetischer Finger14.3. bis September 2013 abdruck, Klonen und Gentechnik sind nur einige „ErSenckenberg Naturmuseum, findungen“, die ohne das Wissen um den Aufbau des Frankfurt a. M. Erbmoleküls nicht vorstellbar wären. Doch worin beSterndeutung war gestern – die stehen die Errungenschaften der beiden Biochemiker neue Zukunftsforschung setzt eigentlich genau? Und wie entwickelte sich das Wissen beim Planeten Erde an. Das zeigt die neue Sonderaus- über die DNA weiter? Dem geht das MfN auf den Grund. stellung des Frankfurter Naturmuseums, die durch 650 Die Sonderausstellung wird dabei durch ein umfangMillionen Jahre Erdgeschichte führt, um Zukunft erfahr- reiches Begleitprogramm ergänzt. mehr sonderausstellungen unserer forschungsmuseen finden sie online: http://www.leibniz-gemeinschaft.de/institute-museen/ forschungsmuseen/leibniz-museen-aktuell/

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Fotos: GNM, DM, Senckenberg, DSM, MfN, ZFMK (2)

Wagner — Nürnberg — Meistersinger 21.2. bis 2.6.2013

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Leibniz | MUSeen

Willkommen aus der

Urzeit

Das zoologische Forschungsmuseum alexander koenig stellt versteinerten tieren und pflanzen aus der grube messel ihre nachfahren gegenüber. Die beiden Weichschildkröten waren bei der Paarung als ihr letztes Stündlein schlug. Trunken von Liebesglück merkten sie nicht, wie sie sich von dem seichten Wasser fortbewegten, in dem die Turtelei begonnen hatte. In tieferem Gewässer wurde plötzlich der Sauerstoff knapp – und mit ihm die Lebenszeit. Doch anders als für die Reptilien ist es für die Forschung ein Glücksfall, dass die Schildkröten im Sediment des Messler Sees verendeten und nebeneinander zu Stein wurden. Sie geben so einen Einblick in das Leben vor 47 Millionen Jahren, eine Zeit, in der in Europa noch subtropisches bis tropisches Klima herrschte.

Unter den vielen in Messel gefundenen Versteinerungen gehören die Schildkröten zu den besonders außergewöhnlichen. Sie sind Teil einer Ausstellung, die nun im Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig – Leibniz-Institut für Biodiversität der Tiere zu sehen ist und die ihre Besucher in die Urzeit entführt. Virtuelle Farne, meterhohe Wasserpflanzen und das vielfältige Summen der Urwald-Insekten – bei einer Tour durch das Museum bekommt man schon bald einen Eindruck davon, wie das Leben in der Grube Messel ausgesehen haben könnte.

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Messel, neun Kilometer nordöstlich von Darmstadt, das war vor 47 Millionen Jahren vor allem Regenwald und ein fauliger Ursee. Die Dinosaurier waren bereits

ausgestorben, die ersten Säugetiere machten sich breit. Das Messler Urpferdchen beispielsweise streifte mit einer Schulterhöhe von gerade einmal 30 Zentimetern durch das Unterholz. Ein weiterer Fund, das Skelett eines Ameisenbärs, hat Rätsel aufgeworfen: Es ist das einzige, das je außerhalb Südamerikas entdeckt wurde. Wie der Paläontologe Wighart von Koenigswald nun klarstellt, saß die Forschung dabei lange einem Irrtum auf. Anders als angenommen war der in Messel gefundene ameisenfressende Bär nicht verwandt mit seinem südamerikanischen Namenspaten, sondern stellte eine eigene Spezies dar.

Dass es die Fossilien überhaupt bis in die Ausstellung geschafft haben, hat dabei mit einer durchaus großen Menge Glück zu tun. Schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurde in Messel gegraben, zunächst allerdings nicht nach Versteinerungen. Tonstein, Eisenerz und Braunkohle standen stattdessen auf der Förderliste. Die wertvollen Fossilien-Funde traten nur nebenbei zu Tage. Erst als Hobbygräber nach der Stilllegung des Bergwerks eine Entdeckung nach der anderen machten, erkannte man die Bedeutung der Grube Messel. Da aber schien es bereits zu spät: Pläne der Landesregierung sahen vor, aus der Fossilienstätte eine Großmülldeponie zu machen - ein Plan, der fast 20 Jahre aufrecht erhalten wurde.

Erst seit die Grube Messel 1995 in die Liste der WeltnaturerbeDenkmäler aufgenommen wurde, sind die Fossilien für die Nachwelt gesichert. Mit der Wanderausstellung „Messel on Tour“ versucht das Landesmuseum Darmstadt dem weltweiten Interesse gerecht zu werden. In Städten wie Oslo, Leiden, Pittsburgh und Basel waren die Versteinerungen bereits, jetzt sind sie bis Mai im Museum Koenig zu sehen. Das Leibniz-Museum hat die Ausstellung um Exponate aus der eigenen Sammlung erweitert und erlaubt so den Vergleich von Urtieren und verwandten Nachfahren.

„Willkommen aus der Urzeit“ spricht dabei explizit alle Altersklassen an. Kinder können Ostern im Regenwald verbringen oder mit einer Taschenlampe durch das Dickicht stöbern; eine Kooperation mit dem Steinmann-Institut der Uni Bonn erlaubt eine Vielzahl wissenschaftlicher Vorträge und Podiumsdiskussionen. Unter den zahlreichen Zusatzveranstaltungen findet sich auch eine mit dem klangvollen Namen „Urpferd bei Kaffee und Kuchen“. Der Programmpunkt, der sich speziell an ältere Erwachsene richtet, ist neu im Forschungsmuseum Alexander Koenig: Auch die Urzeit stellt sich so auf den demografischen Wandel ein.

Willkommen aus der Urzeit. Die Urahnen unserer Tiere und Pflanzen Sonderausstellung bis zum 21. Mai 2013 zoologisches Forschungsmuseum alexander Koenig Museumsmeile bonn Adenauerallee 160 53113 bonn Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10:00 – 18:00 Uhr Mittwoch bis 21:00 Uhr Montags nur an gesetzlichen Feiertagen

www.zfmk.de

r i c a r d a b r e y to n

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Leibniz | LIFE

Leistung durch Eigenständigkeit

Auszüge der Rede von Leibniz-Präsident Karl Ulrich Mayer bei der Festversammlung der Leibniz-Gemeinschaft am 29. November 2012.

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Unsere Aufgabe ist es, durch herausragende Forschung zur Entfaltung und zum Zusammenleben der Menschen, zur Entwicklung der Gesellschaft und zum Überleben auf dem Planeten Erde beizutragen – das heißt: Zukunft zu sichern durch die Qualität und die Relevanz unserer Forschung. Folgende Koordinaten bestimmen den einzigartigen Ort der Leibniz-Gemeinschaft im deutschen Wissenschaftssystem: • Wir verbinden erkenntnis- und problemorientierte Forschung, Infrastrukturleistungen und Wissensvermittlung. • Wir verknüpfen die Naturund Technikwissenschaften

mit den Sozial- und Geisteswissenschaften und leben fachliche Universalität mit dem Anspruch auf Transdisziplinarität. • Wir sind eng mit den Hochschulen verbunden • Sowie schließlich: Wir sehen unsere nationale Aufgabe als Instrument der gemeinsamen Forschungspolitik von Bund und Ländern mit der besonderen Nähe zu den Sitzländern.

Heute möchte ich zu Ihnen über die spezifische Organisationsweise der Forschung in der Leibniz-Gemeinschaft sprechen: über ihre Dezentralität im Sinne der Selbständigkeit, Individualität und Eigenlogik der LeibnizEinrichtungen.

Wir meinen, dass diese Form der Forschungsorganisation nicht Fragmentierung bedeutet – ganz im Gegenteil! Die von uns

praktizierte „koordinierte Dezentralität“ ermöglicht die Fokussierung auf wichtige Zukunftsfragen, ohne dass die notwendige Kreativität durch ein starres Korsett eingeschränkt wird. Dadurch werden in besonderer Weise auch Kooperationschancen eröffnet – außerhalb der Leibniz-Gemeinschaft und innerhalb ihrer eigenen Reihen.

Ich will im Folgenden erstens zeigen, worin die besondere Leistungsfähigkeit der dezentralen Verfassung der Leibniz-Gemeinschaft liegt. Zweitens möchte ich beschreiben, wie gerade diese Grundlage uns zur Lösung der Zukunftsaufgaben befähigt. Leibniz-Einrichtungen sind institutionell eigenständig, also wissenschaftlich unabhängig und rechtlich selbständig. Das ist neben der Kompetenz und Kreativität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Vorausset-

Fotos: EviFabian

Die Leibniz-Gemeinschaft hat in diesem Jahr – unter der aktiven Mitwirkung von Vielen, die hier im Saal sind – ihre Aufgabe, ihren spezifischen Ort im Wissenschaftssystem, ihre Ziele und ihre Kooperationsfelder bekräftigt und fortentwickelt.

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Leibniz | LIFE

zung für ihre Leistungskraft und Flexibilität. Die dezentrale Verfasstheit gehört zum Kern des Selbstverständnisses der Leibniz-Gemeinschaft.

Ein Aspekt der Individualität der Leibniz-Gemeinschaft ist die eigene Geschichte unserer Institute, die bei manchen bis in das 18. und 19. Jahrhundert zurückreicht: Das Leibniz-Institut für Astrophysik in Potsdam geht auf die Berliner Sternwarte zurück, die unter Beteiligung von Leibniz im Jahre 1700 eingerichtet wurde. Das Museum für Naturkunde in Berlin, also das heutige Leibniz Institut für Evolutionsund Biodiversitätsforschung, wurde 1810 eröffnet. Die von Goethe angeregte Gründung der Senckenberg-Gesellschaft für Naturkunde datiert in das Jahr 1811. 1852 wurden das Römisch-Germanische Zentralmuseum in Mainz und das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg begründet. Und 1900 nahm die Vorgängerinstitution des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin ihre Arbeit auf.

Zur Individualität in der Leibniz-Gemeinschaft gehört auch die Vielfalt der rechtlichen Organisationsformen: Sie reicht von eingetragenen Vereinen, über gemeinnützige und private GmbHs, Stiftungen und Anstalten des bürgerlichen und öffentlichen Rechts, bis hin zu An-Instituten und Einrichtungen von Universitäten. Gesellschafter unserer Institute sind u.a. Universitäten, ausländische Partner, und – wie im Falle des Leibniz-Zentrums für Informatik im Schloss Dagstuhl – andere außeruniversitäre Forschungsorganisationen.

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In der Vielseitigkeit der uns aufgetragenen Aufgaben liegt ein weiterer Aspekt der Individualität: Die Leibniz-Gemeinschaft vereint neben Forschungseinrichtungen, Forschungsmuseen und Informationsinfrastrukturen auch international herausragende Institutes for Advanced Studies in der Mathematik und Informatik. Wir betreuen wei-

terhin Archive und Bibliotheken, sowie global bedeutende Sammlungen z.B. von Kulturpflanzen und Mikroorganismen.

Der wichtigste Aspekt der Individualität wird durch die Vielseitigkeit der Forschungsgebiete beschrieben, die in der Leibniz-Gemeinschaft vereint sind: von der Geophysik, die das Erdinnere erkundet, bis zu den Auswirkungen der Atmosphäre auf den Klimawandel, von der Ultrakurzzeitspektroskopie bis zur Aufdeckung von Mutationen in Genen zur Verhinderung von Malaria, von der kulturellen Überlieferung und zeithistorischen Selbstvergewisserung bis zur Analyse politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen in Afrika, Asien, Lateinamerika und Nahost. All dies wird technisch unterstützt durch die Deutsche Digitale B ­ ibliothek. Die Basis der ­Eigenständigkeit der Institute ist ihre Zugehörigkeit zu einem Bundesland und das Engagement der Sitzländer. Dieses ­Engagement ist wie das des Bundes essentiell und existentiell.

Denn es sind in der Regel einzelne Länder, welche den anderen Ländern und dem Bund vorschlagen, international profilierte Forschungseinrichtungen oder überregional bedeutsame Infrastrukturen gemeinsam zu

fördern. Diese Chance der Entwicklung von Forschungseinrichtungen durch Initiativen einzelner Länder, nicht durch Neugründungen, sondern durch eine gezielt unterstützte Evolution, ist eine differentia specifica der Leibniz-Gemeinschaft, die nicht verloren gehen darf! Es kommt nicht von ungefähr, dass einem bei der Rede über die Individualität § 18 der Leibniz´schen Monadenlehre in den Sinn kommt. Einiges, was Leibniz über die Monaden als „Entelechien“ sagt, kann man auf unsere Mitgliedseinrichtungen beziehen: Keine einzige Monade gleiche einer anderen. Sie besäßen – ich zitiere die zeitgenössische Übersetzung von Köhler aus dem Französischen aus dem Jahre 1720– „eine gewisse Vollkommenheit in sich, sie haben eine Suffisance (autarkeia), was sie zur Vollziehung ihrer Würckungen nötig haben […].“ (§18, Monadologie).

Die Basis der ­Eigenständigkeit der Institute ist ihre Zugehörigkeit zu einem Bundesland und das Engagement der Sitzländer.

Diese Eigenständigkeit als „fensterlose“ Geschlossenheit, wie Leibniz es ausdrückt, wird in der Interpretationsgeschichte ja nicht als hermetische Abgeschlossenheit gedeutet – ganz im Gegenteil! Ich zitiere Deleuze „als ein Für-die-Welt-Sein… Man muss die Welt ins Subjekt setzen, damit das Subjekt für die Welt sei.“ (Deleuze, 1995: 47/48). Angeregte Diskussionen nach der Festveranstaltung im Wappensaal des Roten Rathauses in Berlin.

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Leibniz | LIFE

Man kann die so beschriebene Individualität und Eigenständigkeit unserer Institute als historische Kontingenz betrachten, als pragmatische Anpassung an rechtliche Rahmenbedingungen, nicht zuletzt unserer Finanzverfassung. Manche kommen dann zu der Schlussfolgerung: Ohne den Föderalismus und ohne das Kooperationsverbot gäbe es die Leibniz-Gemeinschaft gar nicht. Sie reden über die Leibniz-Gemeinschaft, als sei sie das Ergebnis eines Defizits, das zu beheben oder zumindest zu beklagen sei. Dies wird oft hinter der Hand verbunden mit dem Vorwurf des Gemischtwarenladens, ohne Systematik und Ordnung. Ich will hier einen entschiedenen Widerspruch einlegen! Denn: Eigenständigkeit und Vielfalt sind wesentliche Voraussetzungen für Leistungsfähigkeit!

„Das Jahr 2012 war das Jahr der Leibniz-Forschungsverbünde. Es ist faszinierend zu sehen, wie rasch sich dieses Konzept durchgesetzt hat, wie rasch aus ursprünglich fünf für dieses Jahr geplanten Verbünden neun geworden sind. Es ist eindrucksvoll: 73 der 86 Institute sind - ganz freiwillig - an mindestens einem solchen Forschungsverbund beteiligt.“ Cornelia Quennet-Thielen, Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Forschung

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Leibniz-Institute sind als dynamische Stätten der Forschung und – als wissenschaftliche Infrastrukturen – für die Forschung effizient und anpassungsfähig. Sie betreiben Wissenschaft strategisch und entwickeln ihre langfristige, wissenschaftliche Programmatik autonom zusammen mit den wissenschaftlichen Beiräten und Kuratorien. Deshalb sind sie hochflexibel in ihrer Forschungsplanung, für die Zusammenarbeit mit Partnern in Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft und offen für Initiativen und Kooperationen auf regionaler, nationaler, europäischer und internationaler Ebene.

Bioökonomie“ sowie den Wissenschaftscampus „Phosphor“ an der Universität ­Rostock.

Lassen Sie mich nun zum Mehrwert durch Kooperation kommen. Die Autonomie und Individualität der 86 Leibniz-Institute bedeutet ja gerade nicht eine Fragmentierung der Leibniz-Gemeinschaft. Sie sind vielmehr eine Voraussetzung für effektive Kooperationen mit Hochschulen, in regionalen Clustern und untereinander.

Zu dieser Leibniz-spezifischen Form der Kooperation zwischen den Einrichtungen möchte ich nun kommen. Inzwischen sind es neun Leibniz-Forschungsverbünde, die wir in diesem Jahr auf den Weg gebracht haben. Diese Forschungsverbünde bündeln die Ressourcen und Kenntnisse der Institute, um die Vorteile einer inter- und transdisziplinären Vorgehensweise zu nutzen.

Diese WissenschaftsCampi sind möglich geworden, weil ­LeibnizInstitute, Universitäten, die Länder, der Bund und die Leibniz-Gemeinschaft insgesamt die Startgelder dafür aufgebracht haben. Ihre Nachhaltigkeit zu sichern, ist jetzt eine vordringliche Aufgabe.

Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet mit dieser Form der Organisation einen ganz bestimmten Anspruch. Die spezifische Form der Balance zwischen der Autonomie der Einzeleinrichtungen und der forschungspolitischen Steuerung durch Bund und Länder, wie sie in der Leibniz-Gemeinschaft praktiziert wird, sichern eine sehr hohe Effizienz des Mitteleinsatzes und eine sehr hohe Effektivität der innovativen und kreativen Zielsetzung und Zielerreichung. Die Leistungsbilanz der vergangenen Jahre stellt dies eindrucksvoll unter Beweis.

Ich meine, wir können in Zukunft noch einen Schritt weitergehen – zu einer vertieften Kooperation unter Berücksichtigung der strategischen Ziele einer Hochschule. Zukünftige Leibniz-Forschungszentren oder Leibniz-Forschungsfakultäten an und in Hochschulen – u.a. als Verstetigung von Exzellenzclustern – sollten sich ebenfalls durch die Leibniz-typische Autonomie auszeichnen, durch optimale Forschungsbedingungen, ein effizientes Forschungsmanagement und vor allem durch die von Lehre teilweise entlasteten Forschungschancen der leitenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Wir haben hier ein attraktives Angebot zu machen: mit Verfahren für die Auswahl, die Evaluierung und die enge Vernetzung mit anderen Leibniz-Instituten.

Ein hochattraktives Modell für diese Art von Kooperationsfähigkeit auf Augenhöhe stellen die WissenschaftsCampi dar: Vernetzungen zwischen einem oder mehreren Leibniz-Instituten und einer benachbarten Universität. Fünf solcher WissenschaftsCampi haben wir inzwischen gegründet: in Tübingen „Bildung in Informationsumwelten“, in Mainz „Byzanz zwischen Orient und Okzident“, in Mannheim das „Mannheim Centre for Competition and Innovation“, in Halle „Pflanzenbasierte

Unsere Forschungsverbünde sind offen für Kooperationen mit den Hochschulen und ausländischen Arbeitsgruppen. Im Mittel finden sich jeweils 16 Institute aus verschiedenen Sektionen zusammen. Insgesamt sind 25 externe Partner beteiligt, darunter 18 aus deutschen Hochschulen und anderen außeruniversitären und ausländischen Partnern, wie Weltbank und Universität Oxford. Dass diese eigengesteuerten Ko-

Fotos: EviFabian

Die Monade als Einheit besitzt die Eigenschaft, sich in harmonischer Abstimmung, in „Spiegelung“ zum Ganzen, zur umgebenden Welt zu verhalten, ohne dabei etwas von ihrer Eigenständigkeit und Vollkommenheit einzubüßen.

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Leibniz | Life

operationen Probleme von großer Aktualität und Dringlichkeit aufgreifen, zeigt schon die Liste ihrer Themen: • Nachhaltige Landwirtschaft und Ernährung • Biodiversität • Krisen in einer globalisierten Welt • Gesundes Altern • Bildungspotentiale • Science 2.0 • Nanosicherheit • Wirkstoffforschung und • Vergangenheit in der Gegenwart (Historische Authentizität).

Die wichtigsten Zukunftsaufgaben sind zu komplex und zu vielfältig, als dass sie durch Monokulturen und zentrale Steuerungsmechanismen lösbar wären. Lassen Sie mich an drei Beispielen illustrieren, wie das Zusammenwirken von LeibnizInstituten disziplinübergreifend Problemlösungskapazität schafft. Stichwort: Nachhaltige ­Landwirtschaft und gesunde Ernährung

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Die Ernährungssicherung ist angesichts einer Weltbevölkerung, die bis zum Jahr 2050 auf voraussichtlich über neun Milliarden Menschen anwachsen wird, eine der großen globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Wir müssen dafür sorgen, dass Lebensmittel in einer Art und Weise hergestellt werden, die den Ansprüchen einer nachhaltigen Entwicklung genügt. Die zweite Herausforderung besteht darin, dass Gesellschaften sich gesund ernähren. Dazu müssen neben der Wirkung von Lebensmitteln auf die Gesundheit vor allem auch die Ernährungsverhaltensmuster ursächlich aufgeklärt werden. Dafür müssen Forscher zusammenarbeiten, die über Kompetenzen auf allen relevanten Skalenebenen verfügen — von den kleinsten biologischen Struktureinheiten über NutzorganismusUmwelt-Beziehungen bis hin zu volks- und globalwirtschaftlichen Betrachtungen. Zur Analyse dieser Fragen vereint der Forschungsverbund daher Mole-

kularbiologen, Mediziner, Erziehungswissenschaftler, Zoologen, Agrarwissenschaftler, Ökonomen und Raumforscher. Stichwort: Bildungspotenziale

Die Bildungsforschung hat in den letzten Jahren mit der international vergleichenden Schulleistungsmessung die Frage der Bildungsergebnisse empirisch gesichert und den Streit darum entideologisiert. In dem LeibnizForschungsverbund geht es jetzt darum, wie Kitas, Schulen und die berufliche Bildung Talente und Fähigkeiten von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen optimal fördern und entfalten können. Es geht um ursächliche Mechanismen und die Praktikabilität von bildungspolitischen Maßnahmen: was wirkt und wie kann man es implementieren? Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der hochaktuellen Frage, wie Stolpersteine der ethnischen und sozio-ökonomischen Herkunft Bildungschancen beeinträchtigen und was man dagegen tun kann. Bildungsökonomen, Soziologen, Erziehungswissenschaftler, Psychologen, Historiker und Neurobiologen aus 12 LeibnizInstituten haben sich zu diesem Verbund zusammengeschlossen. Schließlich: Stichwort Gesundes Altern

Die Abnahme der altersspezifischen Sterblichkeit hat in den letzten Jahrzehnten jede Prognose widerlegt. Daher stellt sich dringender denn je die Frage, ob die gewonnenen Jahre auch mehr Krankheit und Gebrechlichkeit bedeuten müssen. Der LeibnizForschungsverbund „Gesundes Altern“ sucht nach neuen und praktikablen Ansätzen für ein möglichst gesundes Leben im Alter. Hierzu werden die biologischen Grundlagen des Alterns erforscht, um neue Therapie- und Präventionsansätzen zu entwickeln. Problemorientierte Alternsforschung kann aber freilich nicht auf die Biomedizin beschränkt bleiben, da die längere Lebenserwartung die Menschen nicht

„(Der) besondere Charakter der Leibniz-­ Gemeinschaft, geprägt durch die Unabhängigkeit der Mitgliedseinrichtungen, die hohe Diversität und prinzipielle Offenheit für Forschungsthemen des gesamten Wissenschaftsspektrums hat sich nach Ansicht der Länder bewährt und muss bei der ­Weiterentwicklung zugrunde gelegt werden.“ Renate Jürgens-Pieper, damalige Senatorin für Bildung und Wissenschaft der Freien Hansestadt Bremen

nur als Individuen betrifft. Sie erfordert im Hinblick auf die gesamtgesellschaftlichen und ökonomischen Folgen einer alternden Bevölkerung die Zusammenarbeit verschiedenster wissenschaftlicher Disziplinen. Nur so können die Wechselwirkungen zwischen sozio-ökonomischen Lebens- und Arbeitsbedingungen und den biologischen Alterungsprozessen angemessen analysiert werden.

Lassen Sie mich zum Ende meiner Ausführungen nochmals Leibniz zitieren, der für unsere Wissenschaftsgemeinschaft gegen Ende seiner Monadologie eine passende Formel gefunden hat: „Dies ist das Mittel, so viel Vielfalt wie möglich in der größtmöglichen Ordnung zu entfalten, und damit zugleich das Mittel, soviel Vollkommenheit wie möglich zu erreichen.“ Mit eigenständigen und individuellen Instituten und einer – gerade deren Vielfalt und Eigenständigkeit schützenden und koordinierenden – Gemeinschaft werden wir tragfähige Beiträge zur Sicherung der Zukunft ­leisten.

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Zahlen

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neue Arten wurden in den letzten beiden Jahren von Wissenschaftlern der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung weltweit beschrieben. Die Palette der Neuentdeckungen reichte dabei von farbenfrohen Inselkrabben über abfärbende Frösche und fossile Spechte bis hin zur ersten augenlosen Riesenkrabbenspinne. Bei 402 der Funde handelt es sich um heute lebende, bei 87 um fossile Arten.

5,6

Mio.

digitale Objekte (Gemälde, Archivalien, Bücher, Skulpturen, Musik, Filme etc.) aus rund 90 beisteuernden Einrichtungen umfasst die vom FIZ Karlsruhe, dem LeibnizInstitut für Informationsinfrastruktur, technisch und administrativ betriebene Deutsche Digitale Bibliothek. Das von Bund und Ländern gemeinsam finanzierte Großprojekt verzeichnete in der ersten Woche ihres Betriebs Anfang Dezember bereits 3,6 Mio. Zugriffe und circa 25,6 Mio. DateienDownloads.

1.400.000.000 unbezahlte Überstunden wurden 2010 in Deutschland geleistet, was einem Anteil von 2,9 Prozent des gesamtwirtschaftlichen Arbeitsvolumens entspricht. Dazu kommt das bezahlte Überstundenvolumen mit einem Anteil von 2,7 Prozent. Das hat eine Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) auf Grundlage von Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) ergeben. Durchschnittlich leistete jeder Arbeitnehmer 2010 insgesamt 12,3 Über­stunden pro Monat. 46

Leibniz-Nachwuchspreisträgerinnen Dr. Anja Hanisch (l.) und Dr. Claudia Dziallas

Für ihre herausragenden Doktorarbeiten sind Dr. Anja Hanisch vom Institut für Zeitgeschichte München-Berlin und Dr. ­Claudia Dziallas vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin mit dem Nachwuchspreis 2012 der Leibniz-Gemeinschaft ausgezeichnet worden. Dr. Anja Hanisch (29) wird in der Kategorie Geistes- und Sozialwissenschaften für ihre Dissertation „Die DDR im KSZE-Prozess, 19721985. Zwischen Ostabhängigkeit, Westabgrenzung und Ausreisebewegung“ ausgezeichnet. Darin behandelt sie das Spannungs- und Wechselverhältnis zwischen der DDR-Innen- und Außenpolitik im Zusammenhang mit dem KSZEProzess – und betritt damit in weiten Teilen wissenschaftliches Neuland. Hanisch legt dar, dass die Ausreisebewegung in der DDR durch die KSZE und nicht etwa durch die deutsch-deutsche Entspannung ihren entscheidenden

Anstoß erhielt und zu einer Bewegung wurde, der der überforderte Staatsapparat nie wirklich Herr zu werden vermochte. Dr. Claudia Dziallas (31) erhält den Leibniz-Nachwuchspreis in der Kategorie Natur- und Technikwissenschaften für ihre Arbeit „Microbial interactions with cyanobacteria and zooplankton“. Darin untersucht die Biologin das Zusammenspiel von heterotrophen, also in der Ernährung auf Körpersubstanz oder Stoffwechselprodukte anderer Organismen angewiesenen, Mikroorganismen mit Cyanobakterien (Blaualgen) einerseits und Zooplankton andererseits. Dziallas konnte unter anderem zeigen, unter welchen Bedingungen das Zusammenspiel des Cyanobakteriums Microcystis sp. mit heterotrophen Bakterien die Toxizität dieser Blaualgenart beeinflusst, die das für Menschen und Tiere schädliche Lebergift Microcystin produzieren kann.

Fotos: Atelier Brückner; www.atomium.be - SABAM 2012 - Frankinho; Peter Himsel

in

KSZE und Blaualgen

Fünf Mal gute Noten

Der Senat der Leibniz-Gemeinschaft hat nach Abschluss der wissenschaftlichen Evaluierung von fünf Instituten der LeibnizGemeinschaft Bund und Ländern empfohlen, diese Einrichtungen für weitere sieben Jahre gemeinsam zu fördern. Dabei handelt es sich um das Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung in Marburg, das Rheinisch-West-

fälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen, das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, das Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben sowie das Deutsche Institut für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke.

www.leibniz-gemeinschaft.de/ evaluierung

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Leibniz | LIFE

Wechsel und Kontinuität – neue Vize-Präsidenten

Prof. Dr. Matthias Beller

Prof. Dr. Dr. Friedrich W. Hesse

Foto: © BBB Management GmbH / David Ausserhofer

Prof. Dr. Matthias Beller, Direktor des Leibniz-Instituts für Katalyse an der Universität Rostock (LIKAT) ist neuer Wissenschaftlicher Vize-Präsident der Leibniz-Gemeinschaft. Er tritt die Nachfolge von Professor Dr. Volker Mosbrugger (Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung) an, der nach Ablauf seiner zweijährigen Amtszeit nicht wieder kandidierte. Der

DR. LEIF SCHRÖDER

Chemiker ­Beller, Jahrgang 1962, leitet das LIKAT und dessen Vorläufer IfOK seit 1998. Zuvor war er als Professor an der TU München und in verschiedenen Funktionen bei der Hoechst AG in Frankfurt/Main tätig. 2006 erhielt Beller den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Prof. Dr. Dr. Friedrich W. ­Hesse, Direktor des LeibnizInstituts für Wissensmedien in

Tübingen, wurde für eine zweite Amtszeit als Wissenschaftlicher Vize-Präsident gewählt. Die Amtszeiten der dritten Wissenschaftlichen Vize-Präsidentin, Prof. Dr. Hildegard Westphal vom Leibniz-Zentrum für marine Tropenökologie, Bremen und des Administrativen Vize-­Präsidenten Heinrich Baßler vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung ­laufen noch ein Jahr.

In Buch engagieren sich seit 100 Jahren Mediziner und Forscher gemeinsam für den Wert der Gesundheit. Dr. Leif Schröder forscht am LeibnizInstitut für Molekulare Pharmakologie an speziellen Molekülen, die mit Xenon-Gas zu Biosensoren umgewandelt werden. Mit diesen Sensoren soll die Verteilung von Krebszellen im Gewebe bildlich dargestellt werden. Lernen Sie Buch, seine Partner und die einzigartige Campus-Atmosphäre kennen, in der die Zukunft der Medizin entsteht.

findet Krebszellen mit Hilfe eines Edelgases

forschen

www.berlin-buch.com


Leibniz | LiFe

Verlosung Vor 50 Jahren erschien der „souci — fachmann — kraut“ zum ersten Mal und wurde seither zum Standardwerk für die zusammensetzung und nährwerte von Lebensmitteln (siehe auch Leibniz Lektüre auf s. 37). seine Light-Version, den kleinen souci/fachmann/kraut „Lebensmitteltabelle für die praxis“ für den alltagsgebrauch, verlosen wir fünf mal. Stichwort: „Souci“. zur großen ausstellung „zukunft leben: Die demografische chance“, die die Leibniz-Gemeinschaft im Wissenschaftsjahr 2013 organisiert, verlosen wir fünf exemplare des begleitbandes. Spannend und allgemeinverständlich beantwortet er Fragen dazu, wie wir morgen leben, lernen, arbeiten, wohnen, altern, Kinder kriegen und Geld verdienen werden. Stichwort: „zukunft leben“. einsendeschluss 11. April 2013 e-Mail an: verlosung@leibniz-gemeinschaft.de Die Gewinner der Verlosungen aus dem Heft 3/2012: das Umweltbuch des Jahres „Wolken, Wind & Wetter“ von stefan rahmstorf gewannen als gedrucktes buch: - gertrud frühling aus steinheim - birte neumann aus Amsterdam (niederlande) - Andrea Haudek aus Taucha und als Hörbuch: - Susan Mbedi aus berlin - Corinna Keunecke aus Göttingen - Gabriele Maria aus bielefeld

Nachwuchs bei Leibniz Geschmackstest im Zuge der vom BIPS koordinierten IDEFICSStudie zur Fettleibigkeit im Kindesalter.

Seit dem 1. Januar 2013 ist das Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS in Bremen neues Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Das BIPS ist eines der ältesten Epidemiologie-Institute Deutschlands. 1981 wurde es als Forschungsinstitut der Freien Hansestadt Bremen gegründet. Das Institut sieht seine Aufgabe darin, Ursachen für Gesundheitsstörungen zu erkennen und neue Konzepte zur Vorbeugung von Krankheiten zu entwickeln, umzusetzen und zu evaluieren sowie dafür geeignete wissenschaftliche Methoden bereitzustellen. Die Erforschung lebensstilbedingter und berufsbedingter Erkrankungen sowie deren Vorbeugung haben das BIPS zu einer international sichtbaren Forschungseinrichtung gemacht. In seinen Forschungs-

projekten kooperiert das Institut derzeit mit 38 Universitäten, davon 26 außerhalb Deutschlands. Ein Beispiel dafür ist die europaweite „I. Family-Studie“, die vom BIPS gemeinsam mit der Universität Bremen koordiniert wird. Aufgrund seiner Expertise ist das BIPS auch an der Leitung und Durchführung der Nationalen Kohorte beteiligt, einer Langzeitstudie zur Gesundheit der deutschen Erwachsenenbevölkerung. Mit seiner Forschung trägt das BIPS dazu bei, Arzneimittelrisiken frühzeitig zu erkennen. Heute beschäftigt das BIPS 140 Mitarbeiter. Das Budget umfasst knapp neun Millionen Euro, darin sind 3,5 Millionen Euro projektbezogene Drittmittel enthalten. www.bips.uni-bremen.de

die Leibniz-gemeinschaft hat einen verhaltenskodex (Code of Conduct) zur biosicherheit verabschiedet. die Leibniz-institute verpflichten sich damit unter anderem auf einen verantwortlichen Umgang mit mikrobiologischen Ressourcen im Sinne der biowaffenkonvention. ziel des verhaltenskodexes für biosicherheit ist es, Leibniz-einrichtungen, die mit mikrobiologischen Ressourcen umgehen oder solche vorhalten, davor zu bewahren, direkt oder indirekt zum Missbrauch von biologischen Agenzien und toxinen beizutragen. dies schließt die entwicklung oder produktion biologischer Waffen ein. der verhaltenskodex betrifft unter anderem die verbesserung des biorisiko-Managements, die bewusstseinsbildung aller beteiligten, die berichterstattung über missbrauchsfälle sowie exportkontroll- und schutzmaßnahmen. www.leibniz-gemeinschaft.de/medien/ dokumente 48

Fotos: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, Nicolai-Verlag, BIPS, DSMZ

Codex zur Biosicherheit

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Leibniz | LeUTe

Leibniz Leute

Fotos: xxyyzzyzxxzxzyzyzyzy

Dr. Ulrich Müller

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Blick in die Tiefsee

Dr. Lena Menzel hat für ihre im Deutschen Zentrum für Marine Biodiversitätsforschung bei Senckenberg am Meer in Wilhelmshaven entstandene Dissertation den BRIESE-Preis für Meeresforschung erhalten. In ihrer Arbeit beschäftigt sie sich mit der Vielfalt und Verteilung von Ruderfußkrebsen in der Tiefsee. Ruderfußkrebse sind ein wichtiges Element der marinen Nahrungskette. Unter anderem hat Menzel aus dem Probenmaterial von 20 Forschungsexpeditionen sechs ausgewählte Arten wissenschaftlich neu beschrieben. Der mit insgesamt 5.000 Euro dotierte Preis wird durch die Reederei Briese Schiffahrts GmbH & Co. KG in Leer/Ostfriesland gestiftet. Inzwischen arbeitet Lena Menzel am Alfred Wegener Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven.

Prof. Dr. Josef Schrader

Seit dem 1. November 2012 ist Dr. Ulrich Müller administrativer Vorstand des Leibniz-Instituts für Astrophysik Potsdam (AIP). Gemeinsam mit dem wissenschaftlichen Vorstand Prof. Dr. Matthias Steinmetz bildet Müller damit die Vorstandsspitze des Instituts. Müller studierte Staats- und Sozialwissenschaften mit dem Schwerpunkt Public Management an der Universität der Bundeswehr München und promovierte 2004 zum Thema „Controlling als Forschungsgegenstand der Verwaltungswissenschaft“. Vor seinem Wechsel zum AIP war Müller Leiter der Verwaltung am Max-PlanckInstitut für Chemie (Otto-HahnInstitut) in Mainz.

Prof. Dr. Josef Schrader ist neuer Wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung – Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen in Bonn. Schrader lehrt seit 2003 als Professor am Institut für Erziehungswissenschaft der EberhardKarls-Universität Tübingen und war zuvor bereits drei Jahre lang als Abteilungsleiter am DIE tätig. Josef Schrader ist Experte für empirische Lehr-Lernforschung und hat zudem zum institutionellen Wandel von Weiterbildung gearbeitet. Weitere Forschungsschwerpunkte richten sich auf die Professionalisierung der Erwachsenen- und Weiterbildung sowie Videofällen in der Aus- und Fortbildung des Lehrpersonals.

Prof. Dr. Ludger Wößmann, Leiter des Bereiches Humankapital und Innovation am ifo Institut – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und Professor für Bildungsökonomik an der Ludwig-MaximiliansUniversität München, ist von der Wirtschaftszeitschrift „Capital“ zu einem der

Toptalente bei „4 mal 40 unter 40“ ernannt worden. Capital ermittelte zum sechsten Mal jeweils Talente aus den Bereichen Wirtschaft, Politik, Wissenschaft sowie Staat & Gesellschaft. Wößmann, 39, konnte sich im Bereich Wissenschaft bei den jungen Experten etablieren.

Mit der Berufung der Erziehungswissenschaftlerin und Bildungshistorikerin Prof. Dr. Sabine Reh auf die Professur für Historische Bildungsforschung baut das Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung seine bildungsgeschichtliche Forschung aus. Die Professur ist am DIPF und an der HU Berlin angesiedelt und mit der wissenschaftlichen Leitung der zum DIPF gehörigen Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung (BBF) in Berlin verbunden.

Anika Schwarz vom Leibniz-Institut für Neue Materialien in Saarbrücken hat ihre Abschlussprüfung zur Chemielaborantin vor der IHK im Saarland als Jahrgangsbeste abgelegt. Nach der dreieinhalbjährigen Ausbildung arbeitet

Anika Schwarz nun im Forschungsbereich Nano Zell Interaktionen des INM, wo sie Nanopartikel mit besonderer Größe herstellt.

Am Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde hat Prof. Dr. Heide SchulzVogt die Leitung der Sektion Biologische Meereskunde übernommen. Zuletzt war sie Leiterin der Forschungsgruppe Ökophysiologie am MaxPlanck-Institut für marine Mikrobiologie in Bremen. Prof. Dr. Jürgen Zöllner, ehemaliger Wissenschaftsminister von RheinlandPfalz sowie Wissenschaftssenator von Berlin ist neuer Vorsitzender des Stiftungsrats des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung in Frankfurt am Main.

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Leibniz | LeUTe

Die Akademie für Raumforschung und Landesplanung – Leibniz-Forum für Raumwissenschaften in Hannover (ARL) hat ein neues Präsidium. Neuer Präsident für die Amtszeit 2013/2014 ist Prof. Dr. Klaus Joachim Beckmann, Wissenschaftlicher Direktor und Geschäftsführer des Deutschen Instituts für Urbanistik in Berlin. Beckmann zeichnet sich vor allem durch seine Arbeiten auf dem Gebiet der Infrastrukturplanung und der Mobilität aus. Nach Tätigkeiten als Bauingenieur und später Beigeordneter in der Verwaltung der Stadt Braunschweig lehrte er ab 1985 zunächst an der Universität Karlsruhe. 1990 wurde Beckmann Professor und Institutsleiter am Institut für Stadtverkehr an der RWTH Aachen und übernahm 2006 die Leitung des Deutschen Instituts für Urbanistik. Der bisherige Präsident, Ministerialdirigent i.R. Dr. Bernhard Heinrichs, fungiert künftig als ARL-Vizepräsident ebenso wie der Präsident der Universität Kassel, Prof. Dr. RolfDieter Postlep und Prof. Dr.Ing. Sabine Hofmeister, Professorin für Umweltplanung an der Leuphana Universität Lüneburg.

IMPRESSUM

Leibniz-Journal

Herausgeber: Der Präsident der Leibniz-Gemeinschaft Prof. Dr. Karl Ulrich Mayer Chausseestraße 111, 10115 Berlin Telefon: 030 / 20 60 49-0 Telefax: 030 / 20 60 49-55 www.leibniz-gemeinschaft.de

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Dr. Frank Becker, Wissenschaftler im Forschungsbereich Fortpflanzungsbiologie am Leibniz-Institut für Nutztierbiologie in Dummerstorf, ist seit kurzem Präsident der Europäischen Gesellschaft für Embryonentransfer (AETE), die den wissenschaftlichen

Prof. Dr. Christian Hackenberger

Austausch über die Reproduktionsbiologie bei Säugetieren, insbesondere bei landwirtschaftlichen Nutztieren, in Europa vorantreiben möchte. Zudem versteht sich die Gesellschaft auf politischer und akademischer Ebene in Europa als Ansprechpartner in Fragen des Embryonentransfers. Die AETE mit Stammsitz in Frankreich wählte den Veterinärmediziner für die kommenden vier Jahre in das Amt.

der langjährige administrative Vorstand des Leibniz-instituts für astrophysik potsdam, peter a. stolz, ist anfang Januar verstorben. stolz war von 1994 bis märz 2012 Administratives Mitglied im Stiftungsvorstand des aip an der seite von insgesamt vier Wissenschaftlichen direktoren. er gestaltete den Aufwuchs des instituts von 85 auf 180 Mitarbeiter mit und begleitete unmittelbar elf bauvorhaben.

Korrekturhinweis: In der Ausgabe 3/2012 des LeibnizJournals haben wir in der Bildunterschrift auf Seite 13 oben Neville Chamberlain irrtümlicherweise als britischen Außenminister bezeichnet. Dies ist falsch, Chamberlain war britischer Premierminister. Wir bitten, das Versehen zu entschuldigen.

Redaktion: Christian Walther (Chefredakteur) Christoph Herbort-von Loeper (C.v.D.) David Schelp Ricarda Breyton, Antonia Röhm, Mathilde BessertNettelbeck (Praktikantinnen) journal@leibniz-gemeinschaft.de

Anzeigen: Axel Rückemann, anzeigen@leibniz-gemeinschaft.de Telefon: 030 / 20 60 49-46 Layout: Stephen Ruebsam, unicom-berlin.de

Druck: PRINTEC OFFSET - medienhaus, Kassel

Nachdruck mit Quellenangabe gestattet, Beleg erbeten. Auflage: 26.500 Ausgabe 1/2013: Februar www.leibniz-gemeinschaft.de/journal

Das Leibniz-Journal erscheint viermal jährlich. Es wird gratis über die Institute und Museen der Leibniz-Gemeinschaft verbreitet und ist für 3 Euro im Zeitschriftenhandel an Flughäfen und Bahnhöfen erhältlich. Außerdem kann es über die Redaktion kostenlos abonniert werden. ISSN: 2192-7847 Leibniz twittert: twitter.com/#!/LeibnizWGL Leibniz ist auf Facebook: facebook.com/LeibnizGemeinschaft

1/2013

Fotos: xxyxzzxzxzxzyzy

Prof. Dr. Klaus Joachim Beckmann

Der Chemiker Prof. Dr. Christian Hackenberger hat einen Ruf auf die von der Einstein Stiftung Berlin geförderte Leibniz-Humboldt-Professur für Chemische Biologie angenommen. Der 37-Jährige ist fortan mit seiner Arbeitsgruppe am Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie tätig. Hackenberger forschte zuvor auf einer Professur für Bioorganische Chemie an der Freien Universität Berlin und beschäftigt sich mit der Synthese und Modifikation von Peptiden und Proteinen. Störungen in der Biosynthese modifizierter Proteine werden beispielsweise mit der Entstehung von Krankheiten wie Krebs oder Diabetes oder auch mit neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer in Verbindung gebracht. Daher stehen insbesondere der synthetische Zugang zu natürlich vorkommenden Protein-Modifikationen und der Einbau unnatürlicher Aminosäuren in Peptide oder Proteine im Mittelpunkt seines Forscherinteresses. 2011 erhielt Hackenberger den Heinz- Maier-Leibnitz-Preis, den wichtigsten Preis für den wissenschaftlichen Nachwuchs der Deutschen Forschungsgemeinschaft.


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