Angela Cerinotti die Freimaurer

Page 1

Inhaltsverzeichnis Vorwort Die Ursprünge Ein Durcheinander von Theorien Die Rosenkreuzer In England zu Beginn des 18. Jahrhunderts Von der operativen zur spekulativen Freimaurerei Den Stuarts treu? Eine Vergangenheit »nach Maß« Jenseits des Ärmelkanals Verbreitung

8 12 14 18 22 24 30 30

Wechselwirkung mit der Geschichte Freimaurerei, Staat und Kirche Aufklärung und Freimaurerei

36 40

Die Die Die Die

42 44 46 50

»nationalen« Logen Logen in Italien bayrischen Illuminaten »Rache« der Freimaurer

Die Logen und die Kultur Napoleon: Eine »gelenkte« Karriere? Italien: Auf dem Weg zum Risorgimento

56 62 64

Die »romantische« Freimaurerei Freimaurerei und Sozialismus Freimaurerei und geeintes Italien Freimaurerei made in USA Der Faschismus ...

66 70 76 82 84

... und der Nationalsozialismus Heute in Italien

88 92

Die weltweite Freimaurerei

96


Besser verstehen Der »reguläre« freimaurerische Horizont

102

Die Initiationsgrade

104

Das »Maurergeheimnis«

108

Die Symbolik

112

Das Kleid macht den Freimaurer?

IIB

Zweck und Ziele des Ordens

120

Quellen

127


Vorwort Wer sich über die Freimaurerei informieren will, hat unter einer Fülle von Titeln die Qual der Wahl. Daher erhebt diese Einführung keinen Anspruch auf eine erschöpfende Behandlung dieser Thematik, sondern will vielmehr Grundinformationen zu einer Institution liefern, die seit jeher zu vielen Missverständnissen und Verdrehungen Anlass gab. Das Buch beschäftigt sich mit der Geburt der Freimaurerei im modernen Sinne (Die Ursprünge). Es beleuchtet, wie sehr die Ziele und Programme der Freimaurerei von der Epoche der Aufklärung ge-

prägt wurden, nicht nur hinsichtlich der Politik, sondern auch im Hinblick auf die vorherrschenden ideologischen und kulturellen Strömungen, und wie sich das auf die Art ihrer weltweiten Verbreitung auswirkte (Wechselwirkung mit der Geschichte). Der letzte Abschnitt (Besser verstehen) versucht, dem Leser durch die Vermittlung notwendiger Kenntnisse einen »Leitfaden« an die Hand zu geben, mit dessen Hilfe er die freimaurerische Auffassung von der Welt und vom Menschen, so wie er ist oder sein sollte, entziffern kann.

7


Die Ursprünge

Ein Durcheinander von Theorien Die Hypothesen zum Ursprung der Freimaurerei sind so zahlreich, dass es schier unmöglich wäre, sie alle hier einer eingehenden Betrachtung unterziehen zu wollen. Eine Monografie zu diesem Thema macht dies deutlich: »Bei einer 1909 erfolgten Untersuchung von

zweihundertsechs bis dato veröffentlichten historischen Werken, die sich mit den Ursprüngen des Freimaurertums befassen, traten neununddreißig unterschiedliche Ansichten zutage« (L. Sessa:

IM

tero

origini).

delle

Massoneria.

Llantico

mis-

Reproduktion eines pompeianischen Mosaiks, das 1878 an einer Stelle entdeckt wurde, an der ein römisches Collegium seinen Sitz gehabt haben soll: Setzwaage und Senkblei über einem Totenschädel (der physische Tod). Darunter schwebt ein Schmetterling (die unsterbliche Seele) über dem Lebensrad (die biologischen Zyklen). Bilder wie dieses führten in der Freimaurerei zu der Überzeugung, an eine uralte Tradition anzuknüpfen.

8


Ein Durcheinander von Theorien

Einer der vielen fantasiereichen Theorien zum Ursprung der Freimaurerei zufolge stammen die Logen von den Bauleuten ab, die den Turm von Babel errichteten (oben: die Turmยกumstelle auf einem Mosaik in der Markuskirche zu Venedig).

9


^ ^ ^

Die

Ursprünge

Im Foucaultschen Pendel von U. Eco wird aus reinem intellektuellen Vergnügen heraus versucht, einen organischen Entwurf zu erschaffen, in dem alle esoterischen und hermetischen »Seelen« vorkommen, die oft als Ursprung der Freimaurerei bezeichnet werden.

In dieser Liste stößt man sogar auf Theorien, die behaupten, die Freimaurerei habe bereits vor der Erschaffung der Welt bestanden, und andere wieder halten sie für zumindest ebenso alt wie die Schöpfung und sprechen vom Bestehen einer Freimaurerloge im Paradies. Viele sehen den Ursprung der Freimaurerei in grauer Vorzeit oder aber in einem der bedeutenden Augenblick der Menschheit, die die Bibel beschreibt: bei den Überlebenden der Sintflut oder den Bauleuten des Turms zu Babel. Häufig wird , auch in späterer Zeit, eine Verbindung zum Judentum hergestellt. Vor allem sollen die ersten »Maurer« tatsächlich die Erbauer des Tempels in Jerusalem gewesen sein. Letztere Hy10

pothese gehört zu einer weiteren Gruppe von Legenden, die in die sogenannten gotischen Konstitutionsschriften. der operativen Zünfte des Bauhandwerks Aufnahme fanden. In diesem Zusammenhang spielt Salomon eine ähnliche Rolle wie Euklid und Pythagoras, was auch auf den geografischen Verlauf der traditionellen »Maurerweisheit« von ihrer Wiege, dem Orient, über das antike Griechenland bis hin zu den Britischen Inseln verweisen soll. Deutlich operativen (d. h. ursprünglich handwerksbezogenen) Sinn hatte diese »Weisheit« dort, wo man die ersten Maurer unter den Mitgliedern der Collegia Artificum oder Fabrorum im antiken Rom sehen wollte, unter den Magistri Comacini, die bereits in langobardischer Zeit tätig waren, unter den deutschen Steinmetzen und den französischen Compagnonnages, um schließlich bei den englischen und schottischen Free-Masons (Freien Maurern) anzukommen. Als man jedoch vermehrt auf komplexe Symbole und Rituale sowie auf Verj schwiegenheit Wert legte, wurde die Freimaurerei in die Nähe von Mysterienkulten und esoterischem Wissen gerückt, ohne dass dabei irgendeine


Ein Durcheinander von Theorien ^ ^ ^

Detail eines Fensters der Kathedrale von Chartres, auf dem ein Ritterzweikampf dargestellt ist. Die Hypothese, der Ursprung der Freimaurerei sei auf die Tempelritter zurückzuführen, fand im Lauf der Geschichte zahlreiche Anhänger.

noch so abgelegene Tradition ausgelassen wurde: die der Ägypter ebenso wie die der Chaldäer, Essener, Druiden oder Rosenkreuzer. Großen Erfolg hatten die »militärischen Theorien«. Diese brachten den Ursprung der Freimaurerei mit dem Rittertum in Verbindung, genauer gesagt mit dem Zeitalter der Kreuzzüge und den militärischen Ritterorden, insbesondere den Tempelrittern. Schließlich soll auf jene politischen Theorien hingewiesen werden, die die Ereignisse rund um den englischen Thron (siehe S. 22-23) ins Spiel brin-

gen, sowie auf die Hypothese, die im englischen Philosophen Francis Bacon (1561-1626) den Begründer der Freimaurerei sieht. Eine seriöse freimaurerische Historiografie ermöglichte es, Licht in dieses Durcheinander zu bringen, indem sie die verschiedenen Positionen in Beziehung zum ideologischen und kulturellen Kontext ihrer Entstehungszeit setzte. Doch derjenige, der sich mit der Freimaurerei befasst, hat es mit einer Symbolsprache zu tun, was Missverständnissen Tür und Tor öffnen kann, nimmt man die Formulierungen wörtlich.

11


^ ^ ^ Die Ursprünge

Die Rosenkreuzer Besondere Aufmerksamkeit verdient die

erschafft

Theorie zum Entstehen der Freimaure-

creutzes an die Gelehrten

rei, die die Rosenkreuzer ins Spiel

schrieben.

deß

Hochgeehrten

Darüber

Rosen-

Europas ge-

hinaus

erschien

bringt. N i c h t weil sie im Vergleich zu

1616

a n d e r e n glaubwürdiger wäre, sondern

tiani

weil das Rosenkreuzertum — oder viel-

Bis heute steht jedoch nicht fest, ob die

mehr die Vereinigungen, die sich selbst

Bruderschaft, von der diese Texte spre-

als Erben der rosenkreuzerischen Tra-

chen, tatsächlich existierte. Vielleicht

dition ausriefen - seit d e m 19. Jh. mit

handelte es sich um eine »imaginäre Ta-

d e r Freimaurerei m a n c h m a l in engem

felrunde«, einen Kreis »wahrer« Weiser,

K o n t a k t stand.

der sich als Hüter geheimen Wissens für

Die Rosenkreuzerbewegung t r a t erst-

eine Erneuerung der Menschheit ein-

mals zu Beginn des 17. J a h r h u n d e r t s

setzte und die N a t u r in göttlichem Aus-

a u f , als in Deutschland zwei Traktate

m a ß beherrschen konnte. Für eine Ver-

veröffentlicht w u r d e n : 1614 die Fama

breitung dieses Idealtyps des Weisen in

Fraternitatis

des

einer von Religionskriegen gezeichneten

R. C.

Zeit - als letzter f l a m m t e 1 6 1 8 der

sowie 1615 die Confessio Fraternitatis

Dreißigjährige Krieg auf - sollen die

Oder

A n h ä n g e r der Alchemie, der n a t ü r -

Oder

Hochwohllöhlichen Bekanntnuß

Brüderschaft Ordens der

des

löblichen

Brud-

die

Chymische Hochzeit:

Rosencreutz anno

Chris-

1459.

lichen Magie, der Kabbala und der m a gischen Astrologie gesorgt haben. Sie w a r e n Erben des Hermetismus der Renaissance, hatten aber a u c h am Re-

Anima mundi. Stich aus einem Werk von Robert Fludd (1574—1637), einem englischen Arzt, Erbe der hermetischen Tradition der Renaissance und vermutlich Rosenkreuzer. Er lebte in London in der Coleman Street nahe dem Gebäude, in dem sich damals die London Masons Company befand. Es ist nicht auszuschließen, dass er als »angenommener« Freimaurer beigetreten war und einen gewissen Einfluss auf das Entstehen der spekulativen Freimaurerei ausübte.

12


Die Rosenkreuzer

Gott misst die Welt mit seinem Zirkel, anglofranzösische Bibelillustration aus dem 14. Jh. In seinem Essay The scripture references to the rose croix

ritual (1979) betont A. C. F Jackson den

»Mystizismus«, der als stufenweise Annäherung an eine wahrheitsgetreue Interpretation des Willens des Großen Baumeisters aller Welten und die Unterwerfung unter diesen verstanden wird.

formeifer und der Sehnsucht nach geistiger

Erneuerung

teil,

die

für

das

Europa jener Zeit so charakteristisch waren. Aktuellere Positionen in der Historiografie der Beziehung zwischen Freimau-

mene«

rerei und Rosenkreuzern schließen eine

S. 18-21).

Übereinstimmung beider Strömungen

Die

ebenso aus wie die Hypothese, die

(siehe S. 2 4 - 2 9 ) und die Definition des

Fi'eimaurerei sei eine rosenkreuzerische

Meistergrades könnte Bezug auf jenen

»Geburt«. Doch womöglich wurde der

Christian Rosenkreutz nehmen, der von

Entwurf einer O r d n u n g der »löblichen

Andreae als G r ü n d e r der Bruderschaft

Bruderschaft« in Fama, Confessio und

eingeführt und mit der spirituellen Fra-

Chytnischer Hochzeit von den Statuten

gestellung nach Tod und Wiedergeburt

der operativen Freimaurerei

in

(Werk-

Logenmitglieder w a r e n (siehe

freimaurerische

Zusammenhang

Hiramslegende

gebracht

wird.

maurerei) inspiriert. Eine Autorschaft

Die

des Verfassers der

Chymischen Hoch-

Yates wertet die Traktate als »Zeichen«

zeit,

ein

lutherischer

eines Geheimplans, der in den ersten

Pastor aus Württemberg und Anhänger

Jahren der Herrschaft Jakobs I. heran-

der spirituellen Alchcmie, für die beiden

gereift sei. Er habe alle Kräfte des Pro-

ersten

gesichert.

testantismus antikatholisch und anti-

Andererseits k ö n n t e das lebhafte und

habsburgisch ausrichten wollen. Dieser

dauerhafte

Theorie zufolge hatte die englische

J.V. Andreae,

Texte

ist

Interesse

nicht an

rosenkreu-

englische

Historikerin

Frances

zerischen Traktaten in England auch ei-

Freimaurerei

nige Persönlichkeiten mit esoterischem

bewegung

Interesse erfasst h a b e n , die zu Zeiten

schloss explizite konfessionelle Ent-

des Übergangs von der operativen zur

scheidungen oder Formen jeglicher po-

spekulativen Freimaurerei »angenom-

litischer Konspiration seit jeher aus.

mit der

wenig

Rosenkreuzer-

gemein,

denn sie

13


Die Ursprünge

In England zu Beginn des 18. Jahrhunderts Im Wesentlichen ist man sich einig über die Geburtsstunde der Freimaurerei im modernen Sinn: es war das St. JohanniFest am 14. Juni 1717. Damals versammelten sich die Verantwortlichen von vier Londoner »Logen« im alehouse Goose and Gridiron (Zur Gans und zum Bratrost). Nach dem normalen Programm, der sogenannten Arbeit, wurde die Gründung einer weltweiten Großen Mutter löge verabschiedet. Sie sollte sämtliche freimaurerischen Vereinigungen zusammenfassen und gewährleisten, dass Statuten und Symbole den Regeln entsprachen. Als Logen (lodges auf Englisch, loges auf Französisch) wurden im Mittelalter auf Kathedralenbauplätzen eingerichtete Hütten und Lauben bezeichnet. Dort fanden die hoch spezialisierten und in Zünften organisierten Bauleute Zuflucht vor schlechtem Wetter und besprachen Arbeitsfragen. Aus diesen mittelalterlichen Dombauhütten leitete sich auch die Bedeutung des Ausdrucks »Maurerei« her, der oft als Synonym für den Begriff »Freimaurerei« verwendet wird. In England nannte man einen für den Steinmetz besonders geeigneten Stein nämlich free stone. Analog dazu hieß der Steinmetz free-mason. Frankreich seinerseits über-

14

setzte die englischen Begriffe mit pierre franque respektive franc-maçon. Es existiert jedoch noch eine andere etymologische Deutung des Begriffs: freemason oder franc-maçon bedeutet wörtlich »freier Maurer«. Im Mittelalter war nämlich derjenige »befreit« und daher frei (free, franc), der als Mitglied einer Zunft seiner Arbeit an jedem beliebigen Ort nachgehen konnte. Die »Freien Maurer« unterschieden

Auf der gegenüberliegenden Seite: gotische Bauhandwerker bei der Arbeit, Miniatur aus der Mitte des 15. Jh. Lange hat man diskutiert, ob diese Bauleute wohl Kenntnisse und Geheimnisse esoterischer Natur besaßen, und ob Freimaurerei diesem Umstand ihr Erbe zu verdanken habe. Historisch erwiesen ist jedoch, dass die Verschwiegenheit (die übrigens in Statuten ab dem 14. Jh. dokumentiert ist) vor allem die speziellen Techniken des Berufs betraf. Die Techniken waren das eigentliche Erbe der Zünfte, insbesondere der Meister, die die Bauhütte leiteten. Sie waren bemerkenswerte Persönlichkeiten: nachdem sie auf der niedrigsten Stufe (Steinmetzlehrling) angefangen und sich qualifiziert hatten, indem sie von Stadt zu Stadt durch einen großen Teils Europas reisten, um andere Erfahrungen zu machen und neue Techniken kennenzulernen, waren sie Selbständige in höherer sozialer Position, oft in vertrauter Beziehung zu den Mächtigen.


I n England z u Beginn des 18. Jahrhunderts ^ ^ ^

n s

1

Âť

sich von den einfachen Maurern durch einen hĂśheren Grad technischer Spezialisierung. Sie hielten Jahrhunderte hindurch, auch nach dem Niedergang der

Gotik, die Tradition des Zunftwesens aufrecht, indem sie internen Statuten gehorchten. Diese wurden mehr oder weniger von lokalen Gegebenheiten ge15


UnUfttfUHMt

Das Zunftwesen in England: Craft Im Italienischen hat das Wort »Arte« (Kunst) neben vielen anderen Bedeutungen auch eine historisch-soziologische, nämlich »Zunft«. Es kann auch generell Zusammenschlüsse von Handwerkern und Kaufleuten meinen, die bis zur Französischen Revolution so ihren Ausdruck für eine berufliche Identität, fachliche Interessen und ein Zusammengehörigkeitsgefühl fanden. In England gibt es den Begriff » C r a f t « ,

prägt, den berühmten Old Charges, jene in über hundert Versionen existierenden »Alten Pflichten«, deren älteste überlieferte Fassung um 1390 entstand. Außerdem verwendeten sie das sogenannte Mason Word, das »Maurerwort« (das heißt, ein Zeichen oder eine Parole, die es den Mitgliedern ermöglichte, einander zu erkennen oder vielleicht einfach die Gelegenheitsarbeiter und Lehrlinge von den Gesellen zu unterscheiden). Ihre Vereinigungen nannten sie auch weiterhin »Loge«. Erst viel später, nachdem 1717 die moderne Freimaurerei entstanden war, sollte dieser Begriff wieder ihre Versammlungsorte bezeichnen, die allerdings völlig anders waren als die auf den mittelalterlichen Dombaustellen. Bis dahin pflegte man Versammlungen in öffentlichen Lokalen (Bierstuben und Gasthäuser) abzuhalten, wie etwa jenes, in dem die Großloge von London gegründet wurde. Andererseits scheint das Gasthaus auch ein für das soziale

16

der ebenso wie das italienische »Arte« in seiner Bedeutimg immer auf eine besondere Fähigkeit oder Geschicklichkeit hinweist. C r a f t kann generell eine richtige Kunst oder den Handel bezeichnen, sowie Gruppierungen von Personen, die Kunst ausüben oder Handel treiben. In freimaurerischem Zusammenhang bezieht sich das Wort auf die Gesamtheit der Freimaurer; wo auch immer sie sich befinden mögen.

Milieu der Angehörigen der alten englischen Logen geeigneter Ort gewesen zu sein. Im 17. Jahrhundert waren gebildete Adelige (die sogenannten Accepted

Masons)

in

den

Bruder-

schaften der Steinmetze gar nicht so selten, wie zahlreiche Dokumente belegen. Dennoch waren Handwerker bis zum ersten Viertel des 18. Jahrhunderts in jenen Bruderschaften weiterhin in der Überzahl. »Tatsächlich waren die englischen Logen von Anfang an und bis in unsere Tage eine Art Club«, schreibt R. Le Forestier in Die templerische und okkultistische Freimaurerei im 18. und 19. Jahrhundert. »Hier kam zu dem den Engländern eigenen Vergnügen, zu festen Zeiten einen Abend unter Männern zu verbringen, noch der Gebrauch eines bilderreichen Wortschatzes hinzu und die Pflege der alten Bräuche, die ihrem traditionalistischen Geist besonders entsprach. Die Freemasonry war eine spezifisch englische Einrichtung, eine


In England zu Beginn des 18.Jahrhunderts

Eine Fantasterekonstmktian des Goose and Gridiron Alehouse (Zur Gans und zum Bratrost) auf einem Aquarell. In dem Londoner Bierhaus hatten sich 1717 die Mitglieder von vier Logen versammelt, die den Kern der Londoner Großloge bilden sollten. Die Unterstützer der Initiative waren der Althistoriker George Payne (der zweiter Großmeister wurde), der Pastor James Anderson ¿siehe S. 19) und Jean Desaguliers, Sohn eines Hugenottenflüchtlings. Mit diesem historischen Treffe tiy das etwa dreißig Grundbesitzer, etwa zehn Adelige und ebenso viele Offiziere zusammen mit Handwerkern und Kaufleuten versammelte, begann in England jene Vereinheitlichung der Organisation und des Logenlebens, die eine offizielle Unterstützung der Regierung gewährleisten sollte.

bodenständige

Schöpfung,

die

den

gesellschaftlichen Gewohnheiten und den Anlagen einer ihrer Vergangenheit

rismus und nationaler Egoismus niemals daran dachten, die Welt zu verändern.«

leidenschaftlich verbundenen Nation entsprach, deren insularer Partikula17


Die Ursprünge

Von der operativen zur spekulativen Freimaurerei Als neben den »Freien Maurern«, zu denen längst auch Schmiede und Tapezierer zählten, vermehrt Adelige, Bürger und Intellektuelle in freimaurerische Organisationen eintraten, wandelte sich die operative Freimaurerei, wie sie sich im Wesentlichen bis zu Be-

Stich, der die Gründung der Royal Society (1660) unter den Auspizien Karls II. Stuart glorifiziert. Zu den Gründern gehörten Moray und Ashmole, die jeweils von einer Loge in Edinburgh und in Warrington 1641 bzw. 1646 »angenommen << (aeeepted) worden waren. Das Leben der beiden Persönlich ketten dokumentiert den Übergang von der operativen zur spekulativen Freimaurerei, lässt aber auch auf enge Verbindungen zwischen der englischen Freimaurerei und den kulturellen Interessen der Royal Society schließen.

18

ginn des 18. Jahrhunderts erhalten hatte, zur spekulativen Freimaurerei. Die führenden Positionen der Großloge von London, die anfänglich von sozial oder kulturell unbedeutenden Personen eingenommen worden waren, gingen auf angesehene Persönlichkeiten über,


Von der operativen zur spekulativen Freimaurerei

Die Neugier für eine Wissenschaft, die sich von der spirituellen Dimension löste, war einer der Kritikpunkte der Traditionalisten an der spekulativen Wende der englischen Freimaurerei (auf einer Lithografie aus dem 18 Jh. werden die Gesetze der Statik »anthropomorph« illustriert).

was eine Bedeutungssteigerung der Loge im In- und Ausland bedeutete. Das hatte Folgen. Einerseits sollte nun die einfache Vergangenheit der Freimaurerei neu interpretiert und geadelt werden, andrerseits musste ein Programm entworfen werden, das die unterschiedlichen Gesellschaftsschichten vereinte und die Theorie von einer »geistigen Bruderschaft« über alle Schranken hinweg stützte. Mit der ersten Aufgabe betraute der Herzog von Montagu den ersten Großmeister der Londoner Großloge, den presbyterianischen Pastor James Anderson (1684-1739). Dessen Konstitu-

tionenbuch von 1723 war eine radikale Revision der alten gotischen Konstitutionen. Als typischer »Polygraf« seiner Zeit lieferte Anderson der Freimaurerei einen tadellosen Stammbaum. Andrerseits glich er die jahrhundertealten Statuten der einzelnen Logen miteinander ab und vereinfachte sie. Die durch Andersons Werk erzielte Wirkung wurde verstärkt durch die »Werbeaktion« des anglikanischen Freimaurers John Theophilus Desaguliers (1683-1744), Sohn eines französischen Pastors, der aus religiösen Gründen nach England geflüchtet war. Er war bei den aristokratischen und

19


kulturellen Eliten seiner Zeit gut einge-

menschlichen und spirituellen Gaben zu

f ü h r t (man hatte ihn

perfektionieren und ein Vorbild an

1714 in die

Londoner Royal Society aufgenommen)

Rechtschaffenheit zu sein.

und teilte deren Interesse f ü r die Wis-

Das rückt die These zurecht, (englische)

senschaft. Die Traditionalisten meinten,

Freimaurer hätten jenen D e m o k r a t i -

er habe die geistig-spirituelle Bedeutung

sierungsprozess angestoßen, der Ende

des initiatischen iter (Reise) und der

des 18. J a h r h u n d e r t s in die Erklärung

operativen und bodenständigen Essenz

der

verwässert.

w e n n es vereinzelt philanthropische

Z u r Erreichung des zweiten Ziels wurde

und reformistische Ansprüche gegeben

mit

Alten

haben m a g , so hat es sich dabei nicht

Konstitutionenbuchs

um ein allgemeines »operatives« Pro-

der

Pflichten

Veröffentlichung und

des

der

Menschenrechte

mündete.

Auch

ein

g r a m m gehandelt. Die Englische Lehr-

»freier M a n n von gutem Ruf« zu sein.

art, auch blaue Freimaurerei g e n a n n t ,

Freiheit w a r hier allerdings nicht in

w a r eher ein aktualisiertes Zunftwesen,

politischem Sinne zu verstehen, sondern

das zwar Werte wie Z u s a m m e n a r b e i t

als Freiheit von (religiösen) Vorurteilen.

oder gegenseitige Hilfe hochhielt, dies

Analog dazu stellte die Gleichheit kein

aber im Wesentlichen zum Vorteil der

absolutes Prinzip dar, sondern w u r d e

Mitglieder, die sich der Hierarchie un-

als Gleichheit der Rechte in Bezug auf

terzuordnen hatten.

die gleichen Fähigkeiten aufgefasst. Da-

Die englische Freimaurerei nach der

mit w u r d e de facto ein elitärer Ton an-

Veröffentlichung von Andersons Kon-

geschlagen, demzufolge eine Bruder-

stitutionenbuch fand nicht die Zustim-

schaft n u r zwischen Personen möglich

m u n g aller Logen. Der Widerstand der

war, die bereit w a r e n , die eigenen

»traditionalistischeren« Logen gipfelte

von

einem

Adepten

gefordert,

Freimaurer und bürgerliche Gesellschaft, nach den Alten Pflichten »Der Maurer ist ein friedfertiger Untertan der bürgerlichen Gewalt, wo er auch wohnet und arbeitet, und muß sich nie in Meuterei oder Verschwörung gegen den Frieden und die Wohlfahrt der Nation einlassen [...]. Denn gleichwie Krieg, Blutvergießen und Verwirrung der Maurerei immer nachteilig gewesen sind, so waren auch vor alters Könige und Fürsten sehr geneigt, die Zunftgenossen ihrer Fried-

20

fertigkeit und Treue wegen, wodurch sie den bösen Leumund ihrer Gegner mit der Tat widerlegten, aufzumuntern und die Ehre der Brüderschaft zu fördern, welche immer in Friedenszeiten blühte. Sollte daher ein Bruder ein Empörer gegen den Staat sein, so muss er nicht in seiner Empörung bestärkt werden, obgleich er als ein unglückseliger Mann zu bemitleiden ist«.


Von der operativen zur spekulativen Freimaurerei

Ein Blick auf die Kathedrale St. Peter von York, die in sich verschiedene Phasen der englischen Gotik vereint. Links davon der Turm der katholischen Kirche St. Wilfrid. Aufgrund ihrer eigenen älteren Wurzeln machte die Yorker Freimaurerei der Londoner Freimaurerei ihren Anspruch auf Überlegenheit streitig. Ihren ersten Großmeister sahen sie im christlichen König Edwin, der um 600 n. Ghr. den Grundstein für die Kathedrale gelegt haben soll.

in der Proklamation einer Großloge von

ziale Sicherheit. Das Parlament erklärte

All-England in York (1725) sowie in

1799 Vereinigungen für unrechtmäßig,

der

in der ein Schwur geleistet wurde. N a c h

Gründung

einer

unabhängigen

Obedienz im Jahre 1751, den Ancients

der

oder Antients. Den » M o d e m s « w u r d e

reicher Persönlichkeiten in höchsten

auch

vorgeworfen, dem

Ritual

Intervention

politisch

einfluss-

die

Ordenspositionen musste f o r t a n jähr-

unverzichtbare Bindung an die christ-

lich dem örtlichen Friedensrichter eine

liche Tradition geraubt zu haben. Eine

Mitgliederliste vorgelegt werden. D a s

Wiedervereinigung f a n d erst 1 8 1 3 mit

zerstreute zwar Verdächtigungen und

der G r ü n d u n g der Vereinigten G r o ß -

Vorurteile k a u m , doch glitt die eng-

loge der Alten Freimaurer von England

lische Freimaurerei so wenigstens nicht

statt.

in die Illegalität ab.

Freimaurerische Rituale weckten große Neugier, m a n n a h m sogar an, die geheimen »Arbeiten« gefährdeten die so-

21


Die Ursprünge

D e n Stuarts treu? zwischen

Regierungsjahren J a k o b s II. durchge-

Freimaurern und J a k o b i t e n sind u n -

setzt hatte. M a n wollte versuchen, die

geklärt. Einerseits wird von einer Über-

absolute M o n a r c h i e wiedereinzusetzen,

einstimmung v o n Werten

Ab-

sich -vor den aufsteigenden sozialen

sichten gesprochen, anderseits dieser

Schichten zu schützen und den Ka-

Frage keinerlei Bedeutung beigemessen.

tholizimus

In

stützen.

Mögliche

England

Verbindungen

entstand

und

nach

der so-

bedingungslos

zu

unter-

g e n a n n t e n Glorious Revolution von

So soll die Freimaurerei bereits 1 6 6 0

1688,

König

eine wesentliche Rolle gespielt h a b e n ,

J a k o b II. Stuart zur A b d a n k u n g ge-

als der T h r o n von Karl II. wieder-

z w u n g e n hatte, eine jakobitische Strö-

erobert wurde, dem Sohn jenes Karls L,

m u n g . Als J a k o b i t e n bezeichnete m a n

auf dessen Verurteilung und Hinrich-

dem Königshaus treu gebliebene Legiti-

t u n g Cromwell bestanden hatte. Karl II.

misten. Sie unterstützten die politische

soll ihr in seinem Exil beigetreten sein

und ideologische Linie, die sich in den

und so k o n k r e t e Hilfe f ü r seine Rück-

die

den

katholischen

kehr auf den T h r o n erhalten haben. Als A n e r k e n n u n g soll er der Freimaurerei die Bezeichnung Royal Art verliehen h a b e n , in H e r v o r h e b u n g ihres Verdienstes, wirksam zur Restauration der Monarchie beigetragen zu haben. Hierher r ü h r t eine symbolische Interpretation der Hiramslegende (siehe S. 2 4 29):

der

Tempel

repräsentiere

die

M o n a r c h i e selbst, H i r a m , der e r m o r dete Baumeister, sei niemand a n d e r e r als Karl I., H e n r i e t t a - M a r i e de Bourbon, Gemahlin Karls I., sei die Witwe, Karl II. Eine vermutlich jeglichen historischen Fundamentes entbehrende Tradition sieht in der Unterstützung, die ihm die Freimaurer entgegenbrachten, einen jener Faktoren, die ihm zur Wiedererlangung des Thrones verholfen haben sollen.

22


Den Stuarts treu? Königin Anna, Tochter Jakobs II. und Gemahlin Georgs von Dänemark, war die letzte Stuart und folgte ihrem Schwager Wilhelm III. von Oranien-Nassau auf den Thron von England. Das Gemälde von P. Angelis, das heute in der National Portrait Gallery in London hängt, stellt sie beim Empfang der Ritter vom Hosenbandorden dar. Die Theorie einer Verschwörung zwischen Jakobiten, katholischen Freimaurern und Vertretern des Schottischen Andreasordens, deren Fäden angeblich in Frankreich mit dem Ziel zusammengelaufen seien, die durch die Vertreibung Jakobs II. eroberte politische und religiöse Freiheit zunichte zu machen, scheint in den Kreisen deutscher protestantischer Freimaurer entstanden zu sein. Die Idee, die katholische Kirche plane mithilfe der Jesuiten, die Kontrolle über die Feimaurerei zu erlangen, zirkulierte am Ende des 18. Jh. erneut. In diesem Zusammenhang entstand die »stuartistische« Lesart der Hiramslegende . und schließlich konnte der exilierte

Ordnung fügten, waren die Zusammen-

J a k o b II., Bruder und Nachfolger Karls

setzung der Logen, ihr Erscheinungs-

II., konsequenterweisc nur der Sohn der

bild, ihre Intentionen und Praxis keines-

Witwe sein. Diese Verbindung von his-

wegs homogen. Für jakobitische Kräfte

torischen

Symbolen

war es aus Sicherheitsgründen leichter,

wurde unter anderem herangezogen,

sich a u ß e r h a l b Englands zu organisie-

um den

U r s p r u n g der sogenannten

ren. Sicher ist jedenfalls, die Freimaure-

H o c h g r a d e des Schottischen Ritus zu

rei ließ der jakobitischen Strömung

erklären (siehe S. 3 2 - 3 3 ) . Diese sind

keine einstimmige Unterstützung zu-

allerdings erst ab 1 7 3 8 genau d o k u -

kommen. Später scheint der Prätendent

mentiert.

J a k o b III.,

Diese offensichtliche zeitliche Diskre-

Georg, bei Papst Clemens XII. interve-

p a n z schließt jedoch nicht aus, dass

niert zu h a b e n , d a m i t dieser 1 7 3 7 die

Beziehungen zwischen Freimaurern und

kleine

Jakobiten existiert haben könnten. Be-

schließen lasse und 1738 die Freimau-

vor die Logen sich in eine zentralisierte

rerei offiziell verurteile (siehe S. 38).

Tatsachen

und

genannt

jakobitische

Ritter

Loge

von

in

St.

Rom

23


Die Ursprünge

Eine Vergangenheit »nach Maß« Konstitutionenbuchs

W e r k m a u r e r zu steigern. Er stellt die

von Pastor Anderson (siehe S. 1 8 - 2 1 )

These auf, im Verborgenen seien bereits

erhellt den U r s p r u n g einer Reihe selt-

den

sam

his-

Kenntnisse über den alten Orient ins

torischer Fakten und Personen sowie

A b e n d l a n d vermittelt und so b e w a h r t

echter Legenden. Diesem Buch ist die

w o r d e n . N e b e n Pythagoras, der seine

Geschichte der Freimaurerei in Form

Weisheit den in Babylon gefangenen

eines Vorworts den Statuten voran-

Ägyptern u n d Juden verdanken soll,

gestellt,

der

treten in der Galerie der Persönlich-

Steinmetz- und M a u r e r z ü n f t e entlehnt,

keiten, die die Glieder einer ununter-

jedoch etwas vereinfacht sind.

brochenen geheimen Kette bilden, auch

Anderson bearbeitete einen Stoff, den

die chaldäischen Magier auf, vor allem

bereits die Kleriker im Mittelalter aus-

aber König Salomon. Dieser soll ein

gesponnen hatten, um das Ansehen der

leuchtendes Beispiel unter den antiken

Die

Lektüre

des

miteinander

die

den

verquickter

alten

Regeln

Urmenschen

offenbarte

höhere

Herrschern gewesen sein, die der Royal Art, so Anderson, ihren Schutz gewährt hätten. So konnte die Königliche Kunst »mit göttlicher Anleitung beim Bau der Bundeslade und des Tempels Salomonis« zur Vollendung gelangen. Z u m Rückgriff auf die alttestamentarische Figur des Salomon und das suggestive Bild des Tempels k o m m t die Hiramslegende hinzu; sie ist f ü r ein Verständnis der freimaurerischen Sym-

Frontispiz der Originalausgabe des Konstitutionenbuchs von Anderson,

1723 in der Londoner Fleet Street gedruckt (5723 nach dem Freimaurerkalender). Die freimaurerische Datierung hängt mit der Theorie vom alttestamentarischen Ursprung der Freimaurerei zusammen. Anderson legte diese im historischen Teil dar, der den konstitutiven Regeln vorangestellt ist.

24


Eine Vergangenheit »nach Maß«

bolwelt wesentlich. Die Bibel erzählt im Ersten Buch der Könige von H i r a m , der über

Tyrus

im

heutigen

Libanon

herrschte und Salomon mit Baumaterialien und spezialisierten Arbeitern wertvolle Hilfe beim Bau des Tempels leistete. Im Zweiten Buch der Chronik wird ein anderer H i r a m , Sohn einer Witwe aus dem Stamm N a p h t a l i s (die Freimaurer

bezeichneten

»Söhne

Witwe«),

der

sich

vom

als

gleich-

namigen König von Tyrus anstelle des eigentlich verabredeten Getreides, der Gerste, des Öls und des Weins zu Salomon gesandt, damit er beim Bau. des Tempels mitwirke. Dieser Hiram besaß die Fähigkeit, »jeden Plan zu verstehen«. Der Legende zufolge ist H i r a m der Baumeister des Tempels. Dieser H i r a m inspizierte jeden Tag in der Mittagspause die Baustelle, als ihm einmal drei Maurer, die sich im fast vollendeten Tempel verborgen hatten, eine Falle stellten. Sie wollten die Preisgabe des geheimen Losungsworts erzwingen, mit dem er seinen Lohn erhielt.

Er weigerte sich und wollte

fliehen. Doch an jedem der drei Tempelportale lauerte einer der drei Komplizen, die ihn solange schlugen, bis er

Allegorie der Geometrie auf einem Stich aus dem 16. Jh., der ihre enge Verbindung zur Baukunst hervorhebt. Mit der Berufung auf Pythagoras, die Ägypter und die Chaldäer als » Vorgeschichten der Weisheit« in der Historie der Freimaurerei soll diese Verbindung bestätigt werden.

starb. Die M ö r d e r verscharrten H i r a m s Leichnam unter Bauschutt; um Mitter-

der Suche. Aus Furcht, H i r a m k ö n n t e

nacht holten sie ihn und begruben ihn

das G e h e i m w o r t verraten h a b e n , be-

auf einem Hügel in der Nähe. Derweil

schlossen sie, es durch das erste Wort zu

sorgte sich Salomon wegen der Ab-

ersetzen, das bei H i r a m s Wiederauf-

wesenheit seines Baumeisters und be-

findung gesprochen w ü r d e . Zufällig

a u f t r a g t e f ü n f z e h n »gute Brüder« mit

entdeckten sie den Leichnam, als einer

25


Die Ursprünge Eines der drei monumentalen Eingangsportale zum großen äußeren Hof des Tempels Salomonis nach einer Rekonstruktion, die auf der Bibel basiert. Zwar wird das Bild des Tempels in der freimaurerischen Kultur mit dem Erbe der Bauleute, die ihn errichteten, und mehr noch mit den Freien Maurern des Mittelalters in Zusammenhang gebracht, aber das tiefgehendste, metahistorische und universelle Erbe ist doch »jenes des Menschen auf der Suche nach der Wahrheit, des

IIIITy|HWJ(l»

h o m o religiosus im

authentischesten Sinne« (M. Moramarco).

der Suchenden, der sich zum Ausruhen

dem G r a b e n zu ziehen, hielt er v o m

auf einen Erdhügel gesetzt hatte, be-

Knochen gelöstes Fleisch in der H a n d

merkte, dass die Erde dort vor Kurzem

und m a n h ö r t e eine Stimme deutlich

erst umgegraben w o r d e n war. Der Tote

sagen: »Mac-Benac«. D a s w u r d e z u m

lag in einer Grube, die »sechs Fuß nach

neuen Geheimwort des Meisters, so wie

O s t e n , sechs F u ß nach Westen und

sie es vereinbart hatten. Um den Körper

sechs F u ß in der Tiefe« m a ß . Von

schließlich herauszuholen, legte sich ei-

Salomon erhielten sie den Befehl, den

ner der Brüder auf den Leichnam und

Körper zu holen, damit er feierlich im

schob ihm einen Arm unter den Rü-

Sandel

bei-

cken. Auf diese Weise h o b er ihn H a n d

gesetzt werden k ö n n t e . Als einer der

an H a n d , Wange an Wange, F u ß an

Brüder H i r a m s Arm packte, um ihn aus

Fuß,

26

Sanctorum

des

Tempels

Knie

an Knie

und

Hand

an


Oben: Ruinen einer Tempelritterburg, Teil jenes Netzwerks von Militärbauten, die den Orden der Hospitaliter und Templer anvertraut waren, um die vier christlichen Reiche des Heiligen Landes zu verteidigen, insbesondere die Stadt Jerusalem mit dem Tempel Salomonis. Rechts: Detail des FuĂ&#x;bodenmosaiks der Kathedrale von Otranto, Apulien, mit einer Darstellung KĂśnig Salomons.

27


Die Ursprünge Int Freimaurertempel werden die Vorstellungen von »Grenze« (die Säulen) und » Unendlichkeit« (die Himmelskuppel, die an der Decke dargestellt ist) symbolisch dargestellt.

Sommersonnenwende

Tag- und Nachtgleiche

Wintersonnenwende

Rücken heraus; fortan w u r d e n diese

teuer ist, d e m Adepten auf esoterische

Stellen die »fünf Meisterpunkte« ge-

Weise Anregungen. D a s ist von der

nannt.

Legende, f ü r die so-

sprachlichen Deutung durch die Bibel-

g e n a n n t e n H o c h g r a d c d u r c h weitere

exegeten unabhängig, die ja exoterisch,

Details angereichert, dient zur Erklä-

das heißt nicht initiatisch ist. A. Pike

rung vieler freimaurerischer Rituale.

schreibt in seinem

Die gesamte freimaurerische u n d ins-

Dogma of the first Three Degrees of the

besondere die biblische Symbolik ver-

Ancient

bindet viele aus der operativen Traditi-

Freemasonry, im Altertum habe m a n

on stammende Elemente — zum Beispiel

geglaubt, die menschliche Seele müsse,

H i r a m , der sich als Baumeister seiner

um zu ihrem Ursprung zurückzukehren,

heiligen Aufgabe bewusst ist - mit mys-

durch

teriosophischen Anklängen

verschie-

w ä h r e n d die Leiter sieben O r d n u n g e n

denen Ursprungs. So bieten der Tempel,

oder Stufen habe, ähnlich wie die Leiter

Salomon oder auch das mächtige Bild

in den Mysterien des M i t h r a s k u l t s ,

der Jakobsleiter, das der Freimaurerei

jenem Symbol für die Wissenschaft.

Diese

angelsächsischer Tradition

lieb

and

sieben

Buch

Accepted

Sphären

Moral and

Scottish

Rite

aufsteigen,

und

Auf der nächsten Seite: Die Tugendleiter, aus einem Manuskript des 12. Jh. Hier wird eine der möglichen Bedeutungen der biblischen Vision von der Jakobsleiter dargestellt und erklärt (Genesis 28, 10-14; 16-19). Auch die englischen Freimaurer interpretieren die Stufen der Jakobsleiter als Darstellung menschlicher Tugenden, insbesondere von Glaube, Hoffnung und Caritas, das heißt die Liebe, die die Aufrichtigkeit des Glaubens beweist und die Hoffnung nährt. Aber die Jakobsleiter suggeriert auch eine »Vorstellung, die so alt wie die Menschheit selbst zu sein scheint, von einem heiligen Ort, an dem sich die Mauern und Gesetze der irdischen Welt auflösen können« (G. Campbell). In diesem Sinne ist das Symbol der Jakobsleiter verwandt mit dem Symbol des Salomonischen Tempels.

28


E i n e V e r g a n g e n h e i t Âť n a c h Mal?ÂŤ


/ v ^ Die Ursprünge

Jenseits des Ärmelkanals Z w i s c h e n 1 7 2 5 und 1 7 3 0 verbreitete

religiösen Bereich noch in weiter Ferne

sich die Free-Masonery in Frankreich.

lag, von der Revolution ganz zu schwei-

Anfänglich

Institut

gen, waren die Ideologie der ersten

britannique, w u r d e d a n n aber bald zur

französischen Freimaurer noch konser-

Franc-Maçonnerie,

Anleh-

vativ: Sie begnügten sich damit, »auf ih-

n u n g an den englischen Begriff. His-

ren Schalmeien wie bisher die An-

torikern

Haupt-

nehmlichkeiten brüderlicher Liebe und

ursachen für eine so wohlwollende und

den Reiz sentimentaler Nächstenliebe

schnelle A u f n a h m e in der damals herr-

zu preisen. Sie blieben loyale Diener

schenden Anglomanie, aber auch im

ihres Staatsoberhauptes und übten auch

Zauber der geheimnisvollen Aura dieser

weiterhin die Religion aus, in die sie

neuen

hineingeboren waren« (R. Le Forestier:

nannte

zufolge

in

sie

sich

engerer

lagen

Versammlungsart.

die

Und

die

philanthropische Botschaft r ü h r t e die

Die

templerische

»empfindsamen Herzen«.

Freimaurerei im

und

okkultistische

18. und 19. Jh.).

Es k a n n von einer substanziellen Oberflächlichkeit der f r ü h e n französischen Freimaurerei gesprochen werden. Da die A u f k l ä r u n g im politischen und

30

Die Franc-Maçonneric (auf dem Bild die Versammlung in einer Loge) stand anfangs in keinerlei revolutionärem Zusammenhang, sondern war schlicht eine Modeerscheinung.


Jenseits des Ärmelkanals Burg von Eilean Donau in Schottland, von hier brachen 1314 die Männer von Robert Bruce zum Kampf gegen die englischen Truppen auf. Die Verknüpfung des Schottischen Ritus mit den Templern, die mit diesen Ereignissen in Verbindung gebracht wurden, beruht wahrscheinlich auf einer Legende. In diesem Zusammenhang ist vielleicht von Bedeutung, dass die Burg Anfang des 17. Jh. als Zufluchtsort für die Jakobiten diente, denen die englischen Kanonen am 10. Mai 1719 eine Niederlage beibrachten. So überrascht es keineswegs, dass die

sammenfasste. Hier sollen einige aus

französischen Logen den effektvollen

Frankreich geflüchtete Tempelritter auf-

Charakter

genommen worden sein, die angeblich

der

Initiations-

und

Er-

hebungszeremonien, das Tafeln, die

dem

Einrichtung der Versammlungsräume

Robert Bruce gegen Edward I. von Eng-

sowie Bräuche und Symbolik stärker

land in der Schlacht von Bannockburn

betonten. Gleichzeitig n a h m e n sie ex-

(1314) zur Seite gestanden hatten, um

trem unkritisch die unterschiedlichsten

d a n n als Belohnung die Befugnis zur

Legenden

freimaurerische

höchsten Kontrolle über die besagte

»Tradition« auf. Im Vergleich zu den

Loge zu erhalten. Das Überleben dieser

ursprünglichen drei englischen Stufen

alten Form der Free-Masonry bis ins

schwoll die Zahl neuer Grade unglaub-

18. Jahrhundert soll die nicht gesicherte

über

die

künftigen

schottischen

König

lich an: von 1745 bis etwa 1775 konnte

mystisch-hermetische

m a n über hundert zählen, ohne dass sie

Rosenkreuzer

übrigens einem einheitlichen Plan ent-

(siehe S. 12-13).

sprochen hätten.

Aber unter den - auch freimaurerischen

Den Schottischen Ritus f ü h r t m a n in

- Historikern herrscht die Überzeugung

der traditionellen freimaurerischen Li-

vor, dass das Attribut »schottisch«

teratur auf die Mutterloge von Kil-

nichts mit dem geografischen Kontext

winning (eben in Schottland) zurück,

zu tun hat. Einige sehen einen Z u -

die die Bauleute der dortigen gotischen

sammenhang mit der Nationalität von

Kathedralen in einer Bruderschaft zu-

Andre-Michel de Ramsay (1686-1743),

Tradition

gewährleistet

der

haben

31


Die Ursprünge Die »Kreuzzug-Vergangenheit« der Freimaurerei »Zur Zeit der Kreuzzüge nach Palästina vereinten sich mehrere Fürsten, Adelige und Bürger und taten ein Gelübde, die christlichen Kirchen im heiligen Lande wiederherzustellen und sich zu bemühen, die Bauart derselben auf ihre erste Einrichtung zurückzuführen. Sie verständigten sich über mehrere alte Zeichen und aus der Religion entnommene Symbolworte, um sich daran vor den Ungläubigen und Sarazenen zu erkennen /...]. Einige Zeit nachher verband sich unser Orden

aufs Engste mit den Rittern des Heiligen Johannes von Jerusalem. Seit dieser Zeit tragen alle unsere Logen den Namen Logen des heiligen Johannes /.../. Die Könige, Fürsten und Herren errichteten bei der Rückkehr in ihre Staaten verschiedene Logen. Zur Zeit der letzten Kreuzzüge sah man schon mehrere Logen in Italien, in Spanien, in Frankreich und von da aus in Schottland, wegen der engen Verbindung der Schotten mit den Franzosen. «

der nach Frankreich übergesiedelt und »Großredner der Großloge« geworden war, übrigens ein von der französischen Freimaurerei eingeführtes Amt, das es in England nicht gab. Anlässlich einer Begegnung zwischen den Vertretern verschiedener Logen am 21. März 1737 bereitete Ramsay eine Rede vor, die nach ihrer Veröffentlichung auf große Resonanz stoßen sollte, auch wenn sie damals gar nicht gehalten wurde. Ramsay schlug nicht, wie viele glauben, die Schaffung zusätzlicher Grade vor, er beschränkte sich auf die Behauptung, die Schottische Freimaurerei sei an Reinheit der Tradition allen anderen überlegen. Genau das sollte das Auftreten der bereits existierenden Schottischen Meister noch stärken, »die an Zahl wuchsen, weil sie sich Rechte anmaßten, die ihnen andere Freimaurer gar nicht zuerkennen wollten, und die begannen, sich in Versammlungen separat von den normalen Logen zu treffen.

Dort arbeiteten sie Reformpläne aus, die zur Schaffung der höheren Grade führten. Sei es aufgrund einer besseren Deutung des freimaurerischen Konzeptes, sei es wegen der Notwendigkeit, eine schrecklich nivellierende Flut um jeden Preis einzudämmen, sei es auch aus Ehrgeiz und aus dem Wunsch heraus, sich zu unterscheiden [...], sicher ist, dass die Idee auf große Zustimmung stieß« (U. Gorel Porciatti: Simbologia Massonica. Gradi Scozzesi). Wo auch immer der Ursprung des Attributs »schottisch« zu suchen ist, die Gepflogenheit, ein freimaurerisches System, das Hochgrade über die ersten drei, allen Riten gemeinsamen Grade hinaus vorsieht, »schottisch« zu nennen, setzte sich bald durch und gilt auch noch heute.

32

André-Michel de Ramsay

Ramsay war sich sehr wahrscheinlich nicht bewusst, dass sein Discours tief greifende Folgen für die kontinentale Freimaurerei hatte. Sein erklärtes Ziel


Jenseits des Ärmelkanals Der Kardinal André-Hercule de Fleury (1653-1743), Premierminister Ludwigs XV. In der Hoffnung, den Verdacht der politisch Mächtigen und der Kirche gegen die noch junge französische Freimaurerei zu zerstreuen, unterbreitete Ramsay ihm den Text des Discours, den er am 21. März 1737 auf einem Freimaurertreffen vortragen wollte. Doch der Kardinal brachte Ramsay davon ab, seine Rede zu halten, und einige Tage später untersagte er generell die Aktivitäten von Freimaurerlogen in Frankreich. war eine »große intellektuelle N a t i o n « , eine universale Bruderschaft auserwählter Geister, die Weise und Künstler vereinen sollte. Aber das ethische Modell, dessen er sich bediente, um das Porträt

und kriegerische Fürsten«, die g e m ä ß

eines idealen Freimaurers zu zeichnen,

der vom Apostel Paulus gegebenen De-

w a r seinem Wesen nach nicht mehr das

finition

des »mittelalterlichen freien Maurers«,

lebendigen Tempel des Höchsten er-

sondern das des Ritters. Nicht mehr das

leuchten,

Arbeitsumfeld der gotischen D o m b a u -

wollten«.

h ü t t e w a r m a ß g e b e n d , sondern der

Faszinierend war auch das exotische

Kreuzfahrer, der einer religiösen Auf-

Milieu,

gabe treu mit seiner Waffe diente.

Ägypten, wo die Freimaurerei ihren An-

Ramsay meinte, der N a m e Free-Masons

fang genommen habe und Jahrhunderte

dürfe von den Brüdern nicht »im buch-

lang durch die okkultistische Traditio-

stäblichen,

materiellen

nen eifersüchtig bewacht und bewahrt

Sinne« verstanden werden, »als wenn

w o r d e n sei. Die Lehren und Symbole

unsere Stifter einfache Steinarbeiter

der freimaurerischen Hochgrade weisen

gewesen wären oder nur Kunstlieb-

ab etwa 1760 mehr oder weniger expli-

haber,

vervoll-

zite Anspielungen auf die verschiedenen

»nur ge-

Geheimwissenschaften auf. Dies reichte

groben

welche

die

und

Künste

k o m m n e n wollten«, schickte

Architekten,

oder

welche

des

wahren

erbauen

der

Christen und

geheimnisvolle

»die

schützen

Orient,

ihre

von der Magie über die Geometrie bis

Fähigkeiten und ihre Güter zur Erbau-

zur heiligen Arithmetik, von der Kab-

ung äußerer Tempel darbringen wol-

bala bis zur Alchemie. Von Frankreich

lten«. Die w a h r e n G r ü n d e r der Frei-

aus verbreitete sich der Schottische

maurerei waren nach Ramsay »fromme

Ritus d a n n über ganz Europa.

33


Die Ursprünge

Verbreitung In der Geschichte der m o d e r n e n Frei-

Im nächsten Teil des Buches sollen die

maurerei lassen sich mit Blick auf die

Schicksale dieser beiden Stränge im his-

Lehre zwei Tendenzen erkennen. Die

torischen Kontext behandelt werden.

eine S t r ö m u n g w a r von einem un-

Z u v o r muss aber noch betrachtet wer-

dogmatischen

den, w a n n und wo der O r d e n außer-

Christentum

inspiriert

sowie dem Vertrauen in die V e r n u n f t

halb Englands Fuß fasste.

und in die M a c h t des Denkens als

Die G r o ß l o g e von L o n d o n , die einge-

Mittel zur Veredelung des Menschen.

sehen hatte, dass der Zersplitterung ent-

Sie hielt an einem durch Nächstenliebe

gegengewirkt und einheitliche Logen-

geprägten Verhalten

statue und -Symbole geschaffen werden

zeugung

fest,

die

und der Überbürgerliche

Ge-

müssten, stieß in Irland (1725) und

meinschaft sei durch eine »aufgeklärte«

Schottland (1736) bald auf Resonanz.

H a n d h a b u n g der Staatsmacht zur Ver-

Inzwischen w a r 1730 die Freimaurerei

vollkommnung

zweite

in Indien angelangt, w ä h r e n d in Ame-

Strömung hingegen tendierte dazu, der

rika 1733 die erste »reguläre« Loge ge-

spiritualistischen

initiatischen

gründet wurde. Auf dem europäischen

K o m p o n e n t e des O r d e n s , der esote-

Festland g a b es außer in Frankreich

rischen Tradition u n d dem

elitären

Logen in Österreich (1727), Russland

Aspekt mehr Gewicht zu verleihen. Auf

(1731), Holland (1734) und Sachsen

diese zweite S t r ö m u n g lassen sich die

(1738). In Italien entstanden seit 1730

H o c h g r a d e zurückführen.

Logen in vielen größeren Städten.

fähig. und

Die

Ein »klassisches« Bild vom Initiationsritus eines Neophyten bzw. Neuaufgenommenen.

34


Ignaz von Loyola, der Begründer des Jesuitenordens. Im Gegensatz zu dem, was die ineisten glauben, förderten die Jesuiten, anders als die Dominikaner, offene und fortschrittliche Ideen auf wissenschaftlichem Gebiet. Ihre Vorsichtsmaßnahmen entsprangen Befürchtungen »universalistischer« Natur (sie waren unter anderem außergewöhnliche Missionare), da sie in der katholischen Kirche die einzige Körperschaft sahen, die in der Lage war, dem religiösen Zerfall, der Krise der traditionellen politischen Institutionen sowie der sozialen Instabilität entgegenzutreten, die Europa von der protestantischen Reformation bis zum sogenannten »aufgeklärten Despotismus« des 18. Jh. prägten. Bis 1740 w u r d e die Vormachtstellung der Londoner Großloge k a u m in Frage gestellt.

Erst

die

Entwicklung

der

französischen Freimaurerei ließ in der weltweiten Organisation unterschiedliche Riten und ideologische Ansätze a u f k o m m e n , sodass die Einheit der Freimaurerei zerbrach. D a s hing auch mit der Verbreitung des Schottischen Ritus z u s a m m e n [siehe S. 3 1 - 3 3 ) . Ei-

Jesuiten instrumentalisiert worden. Ob

nige Wissenschaftler sahen darin einen

die Jesuiten in der zweiten H ä l f t e des

»Störversuch« der Jesuiten. Diese hät-

achtzehnten J a h r h u n d e r t s bei den Ge-

ten versucht, die H o c h g r a d e auf eine

schehnissen im O r d e n eine Rolle ge-

der operativen Tradition f r e m d e Art

spielt h a b e n oder nicht, sei dahinge-

umzugestalten,

um auf diese Weise

stellt. Die von den Logen praktizierte

Kontrolle über den Orden zu erlangen.

Toleranz f ü r unterschiedliche Konfes-

Diese These f a n d noch in jüngerer Zeit

sionen stieß in katholischen L ä n d e r n

Anhänger (C. Francovich: Storia della

aber eindeutig auf den Widerstand der

Massoneria in Italia

Kirche.

dalle

origini alla

rivoluzione francese, Florenz 1974). In diesem

Zusammenhang

wird

be-

h a u p t e t , R a m s a y selbst sei d u r c h die

35


Wechselwirkung mit der Geschichte _

Freimaurerei, Staat und Kirche Ramsays Discours (siehe S. 31-33) berichtet nicht nur von den Veränderungen, die sich in der Freimaurerei vollzogen, als diese sich von England aus auf dem Kontinent verbreitete, er offenbart auch, dass jene Logen, die in einem absolutistischen und katholischen Klima arbeiteten, eine Formel für das Zusammenleben mit der jeweiligen Macht finden mussten. Ein konkretes Beispiel verdeutlicht diese Problematik.

Johann Coustos, Abkömmling einer nach Frankreich emigrierten protestantischen Familie von Goldschmieden und Edelsteinschneidern Schweizer Ursprungs, hatte 1736 in Paris eine Loge gegründet, die seinen Namen trug. Später nach Portugal übergesiedelt, wurde er 1743 wegen seiner freimaurerischen Aktivitäten von der Inquisition verhaftet und zur Galeere verurteilt. Auf diplomatischen Weg erreichte die englische Regierung ein Jahr später

Exkommunikation und Inquisition Das Motiv für die Stellungnahmen der kirchlichen Obrigkeit gegenüber der Freimaurerei (Päpstliche Bulle In Eminenti, 1738, und Providas, 1751) dürfte in beiden Fällen politischer Natur gewesen sein. Franz III. Herzog von Lothringen, der spätere Kaiser Franz I. Stephan und Gemahl Maria Theresias, seit Kurzem Großherzog von Toskana, wurde bereits 1731 in England in eine Freimaurerloge aufgenommen. Er war ein Gegner kirchlicher Einmischung in Angelegenheiten des Staates. Anlass zu einer ersten Auseinandersetzung bot der großherzogliche Entschluss, eine Kongregation für die Armen einzusetzen, ohne auf die Bedingungen des Papsts einzugehen. Eine zweite Gelegenheit lieferte das Edikt zur Einschränkung kirchlichen Grundbesitzes und geistlicher Pfründe. Die Überzeugung, solche Anordnungen seien der Existenz einer antipäpstlichen Partei zu verdanken, die sich in einer Freimaurerloge eingenistet habe, führte zum dem

36

Entschluss, die Inquisition einzuschalten. Das Inquisitionsgericht konnte eigentlich nur in Fällen von Ketzerei einschreiten. Won daher arbeitete man daran, die Freimaurerei wegen der Verbreitung deistischer und freidenkerischer Thesen zu verurteilen. Die Wirkung der päpstlichen Bullen hatte aber keine Niederlage der Freimaurerei zur Folge, sondern eher die Verwandlung einer Art Brauchtum in ein politisches Phänomen. Die antifreimaurerische Offensive, die sich einer unendlichen Reihe von Texten, Broschüren, Schmähschriften, Anschuldigungen und Unwahrheiten bediente, führte nicht zum Verschwinden oder zur Verringerung der Logen, sondern bot im Gegenteil der Freimaurerei die Gelegenheit, ihre eigene Rolle und ihre Grundsätze neu zu definieren, indem sie den Wert der Toleranz und das Ziel einer Erneuerung des Menschen und der Vervollkommnung der bürgerlichen Tugenden bekräftigte.


Freimaurerei, Staat und Kirche Paris, Invalidendom. Im Auftrag des Sonnenkönigs Ludwigs XIV. errichtet, dokumentiert er die Förderung der Kunst zum Ruhme des Herrschers. In Zusammenhang damit steht auch die Tatsache, dass sich die französische Freimaurerei auf eine vornehme und ritterliche Vergangenheit berief und ein immer stärkeres Interesse daran hatte, Mitglieder der Aristokratie in ihren Reihen aufzunehmen. Wie L. Sessa (L'evoluzione della Mas-

soneria^ schreibt: »Die adelige Schicht zur Zeit Ludwigs X V., die sich verzweifelt an den Pomp klammerte, mit dem in der goldenen Ära des Sonnenkönigs gefeiert worden war, hätte keinerlei Anregung oder Faszination für eine Berufsvereinigung verspürt, die im Wesentlichen auf der Emanzipation des Menschen durch die Arbeit basierte, denn diese Schicht betrachtete Arbeit als schwächende, entehrende Tätigkeit, die die unteren Klassen unterschied, insbesondere das niedere Volk.« seine Freilassung und Coustos konnte

mit der Inquisition zu rechnen hatten,

nach

seine

sondern auch, dass sich die gesell-

Memoiren veröffentlichte. In der Lei-

schaftliche H e r k u n f t der Mitglieder von

tung der Pariser Loge war ihm 1737 der

Freimaurerlogen zu verändern begann,

Herzog von Villeroy nachgefolgt, ein

indem an die Stelle der traditionellen

Adeliger, der die Gunst Ludwigs XV.

Zünfte

genossfdie Loge nannte sich nun Cous-

werkern die Aristokratie t r a t . So ge-

tos-Villeroy). Diese Geschichte m a c h t

sehen wird die N e u d e u t u n g des sagen-

nicht nur deutlich, dass die Freimaurer

umwobenen

in katholischen Ländern immer noch

sprünge der Freimaurerei verständlich,

London

gehen,

wo

er

von

Künstlern

und

Hintergrunds

Hand-

der

Ur-

37


Wechselwirkung mit der Geschichte _ Der »unsterbliche« Graf von SaintGermain, der im 18. Jh. behauptete, das Elixier des Lebens entdeckt zu haben.

denn eine Berufung auf die Kreuzritter verlieh dem Orden mehr Ansehen und sollte ihm zugleich das Wohlwollen der katholischen Kirche und der französischen Monarchie sichern, die zur Zeit der Kreuzzüge ja Verbündete gewesen waren. Erfolgreich war das aber nur hinsichtlich der Einbindung der Aristokratie. So bekleidete 1738 der Herzog von Antin das Amt des Großmeisters, das ab 1743 über zwanzig Jahre hindurch der Graf von Clermont innehatte, der gleich im ersten Jahr die Großloge von Frankreich gründete (l'Anglaise genannt), die den Niedergang der »stuartistischen« und katholischen Strömung in der französischen Freimaurerei einleitete. Die Kirche hingegen revidierte ihre Haltung nicht, sondern verschärfte sie sogar noch. Bereits Kardinal de Fleury, Premierminister Ludwigs XV., hatte Ramsay (siehe S. 31-33) seine Unterstützung versagt und ihn angewiesen,

38

seinen freimaurerischen Aktivitäten zu entsagen. (Tatsächlich ist in Ramsays letzten sechs Lebensjahren über eine aktive Rolle nichts mehr bekannt.) Darüber hinaus verbot der Kardinal die Tätigkeit der Freimaurerlogen in Frankreich. Papst Clemens XII. schließlich drohte 1738 mit der Bulle In Eminenti allen Freimaurern mit der Exkommunikation. Besonders die ambivalente Position der Logen gegenüber der Offenbarung verurteilte er als inakzeptabel. Auch wenn diese Initiative praktisch ohne Auswirkungen blieb, die »stuartistische« Strömung schwächte sie doch. Und durch die offizielle Stellungnahme der Kirche in Rom entstand eine deutlich antifreimaurerische Haltung. In Frankreich entschied sich die Kirche, die sich von Rom unabhängig gemacht hatte, anders. Hier »kontrollierte« man die Logen, deren Großmeister sogar dazu aufriefen, die Messe zu besuchen.


Freimaurerei, Staat und Kirche

Gegen die Mitte des 18. Jh. hatte die Freimaurerei immer mehr Kontakte zu esoterischen Strรถmungen, die gar nicht zu ihr gehรถrten (oben: Der Baum der hermetischen Philosophie).

39


Wechselwirkung mit der Geschichte _

Aufklärung und Freimaurerei In der zweiten H ä l f t e des 18. J a h r h u n -

A u f k l ä r u n g lag in England, wo sich im

derts w a r die A u f k l ä r u n g die intel-

J a h r h u n d e r t zuvor die empiristische

lektuelle Bewegung mit der g r ö ß t e n

Philosophie und die neue Wissenschaft

Tragweite und geografischen Ausdeh-

durchgesetzt hatten. Ihre starke Ver-

nung.

ver-

breitung ging hingegen von Frankreich

schiedenen Sprachen (deutsch, englisch,

aus, von d o r t überrollte sie d a n n das

französisch, italienisch, spanisch) eine

östliche

Lichtmetaphorik. So sollte das Wesen

Länder betraf sie nur teilweise, da sie

eines G e d a n k e n s zum Ausdruck k o m -

d o r t mit der katholischen Kirche zu

men, dessen Ziel es war, die Finsternis

rechnen hatte.

der Unwissenheit und der Vorurteile zu

Vor allem in Frankreich boten Freimau-

erhellen. Die Vernunft sollte zum Wohle

rerlogen wie Salons, wo die gleichen

des Einzelnen wie der Gemeinschaft

Persönlichkeiten verkehrten, Gelegen-

konstruktiv eingesetzt werden.

heit, Intellektuelle und Staatslenker zu-

Der

Aufklärung

Begriff e n t h ä l t

und

in

Freimaurerei

Europa.

Die

mediterranen

ent-

sammenzubringen, w a s eine Verbrei-

wickelten sich zur selben Zeit und ihre

t u n g der neuen Ideen begünstigte. Die

geografische Verbreitung verlief in ähn-

bedeutendsten französischen Aufklärer

liche Richtungen. Der U r s p r u n g der

wie Voltaire ( 1 6 9 4 - 1 7 7 8 ) , D. Diderot

François-Marie Arouct de Voltaire (16941778), der eindrucksvollste Vertreter der französischen Aufklärung, verkörpert auch einen Typus des Freimaurers in der zweiten Hälfte des 18. Jh. Als herausragend »konstruktiver« Geist bewies er eine außergewöhnliche »Fähigkeit, sich konkret in die in Entwicklung begriffenen Situationen hineinzuversetzen, sich der Umstände, die sich ändern, bewusst zu sein und die Richtungen zu nutzen, die sich in den politischen Beziehungen ebenso wie in den theoretischen Reflexionen abzeichnen« (P. Alatri).

40


Aufklärung und Freimaurerei ( 1 7 1 3 - 1 7 8 4 ) oder M.-J. Caritat, M a r -

Freimaurerei als Institution fortan beim

quis von Condorcet (1743-1794) waren

Thema Politik wahren sollte.

Freimaurer. Und so auch der Großteil

Auch war den Aufklärern nicht nur die

der

Salon von M a d a m e

Verantwortung f ü r die Französische

Helvetius, die nach dem Tode ihres

Revolution in die Schuhe geschoben

Gemahls, eines Philosophen der sen-

worden, sondern auch für deren blutige

sualistischen Richtung, in Auteuil regel-

Folgen und insbesondere für die Schre-

mäßig dessen geistige Erben um sich

ckensherrschaft. Und die »Verschwö-

versammelte. Diese, »Ideologen« ge-

rungstheorie« sah auch die Freimaurer

n a n n t (weil sie nach dem Ursprung der

am Werk, w a s diese in eine Vertei-

Ideen forschten), hatten enge Kontakte

digungshaltung drängte.

Gäste

im

zu Benjamin Franklin (1706-1790). Er war das Vorbild eines M a n n e s der Wissenschaft, der nicht verschmähte, einer politisch »gerechten Sache« zu folgen: dem Kampf der Vereinigten Staaten für die Unabhängigkeit von England. So k a m es, dass die sogenannten »Ideologen« die Französische Revolution unterstützten, aber wie die Girondisten durch Robespierre und die Jakobiner eine Niederlage erlitten. In der Geschichte der Freimaurerei w a r dies die weitesgehende Ö f f n u n g des O r dens nach außen, bevor er sich, was die Beziehungen zur Politik betrifft, definitiv in Schweigen hüllte. So preist Esquisse progres

d'uti

tableau

historique

de l'esprit humain

von

des Con-

dorcet (1793-1794) die Revolution, obw o h l der Autor es auf der Flucht schrieb, n a c h d e m der Konvent seine Verhaftung befohlen hatte (er w u r d e am 14. Mai 1794 gefangen genommen und brachte sich anschließend in seiner Zelle um). Ein solches Werk ist aber unvereinbar mit der »Diskretion«, die die

Wie fast alle französische Aufklärer waren auch Diderot und d'Alembert Freimaurer (hier das Frontispiz der Encyclopédie mit der Apotheose der Wissenschaften).

41


/ ' N r ^ Wechselwirkung mit der Geschichte

Die »nationalen« Logen Anfangs w a r die Freimaurerei ein eng-

Wende vom 17. z u m 18. J a h r h u n d e r t

lisches P h ä n o m e n und bald Teil der

nach Schottischem

Sozialstruktur des Landes, weil sie auf-

Bald jedoch setzte sich der Einfluss der

grund ihres uralten Ursprungs, des

Großloge von L o n d o n durch und es

hohen gesellschaftlichen Stands ihrer

entstanden

Mitglieder und des Schutzes, den ihr die

Ritus, wo man Vertreter der Orangisten

Politik gewährte, ein

d u r c h a u s an-

(die für eine Restauration des Fürsten-

ziehendes Modell darstellte. Das ver-

hauses waren) e m p f i n g und sich für

breitete sich auch sehr bald auf d e m

Newtons

Kontinent,

weniger

denkerische Schriften interessierte. Die

gradlinig als das britannische Vorbild.

von der Regierung misstrauisch beäugte

Als die Werkmaurerei zugunsten der

Freimaurerei e r f u h r mit ihrer immer

spekulativen Freimaurerei aufgegeben

größeren

w u r d e , f ü h r t e dies nämlich zu Über-

Wandlung, als dass sie ihre Adepten

lagerungen m i t anderen hermetischen

vermehrt unter Offizieren gewann. Die

Lehren. D a r ü b e r hinaus sollte in der

»Militärlogen« w u r d e n zu einem Phä-

zweiten Hälfte des 18. J a h r h u n d e r t s die

nomen, das mit der Zeit auch außerhalb

eher »politische« Entscheidung für eine

der niederländischen Grenzen Verbrei-

nach Staaten organisierte, engmaschige

tung f a n d , um bis heute fortzudauern.

Verbreitung nationaler Logen treten.

N a c h der Restauration der Oranier

So hatten beispielsweise in der Republik

gründeten die niederländischen Frei-

der Sieben Vereinigten Provinzen der

maurer

N i e d e r l a n d e die ersten Logen um die

Loge, die erste von L o n d o n u n a b h ä n -

allerdings

weit

Logen

Ritus gearbeitet.

nach

Wissenschaft

Verbreitung

Englischem

und

insofern

frei-

eine

1756 die G r o o t e Nationale

Unter den kulturellen Aktivitäten der Freimaurer im Habsburgerreich sind zahlreiche verlegerische Initiativen hervorzuheben (hier eine Buchhandlung in Lüttich).

42


Die »nationalen« Logen Katharinas II. verhielt sich den Freimaurern gegenüber nicht eindeutig.

gige Großloge. Auf der iberischen Halbinsel hatte die Freimaurerei vor allem in Spanien einen schweren Stand. D a s ganze 1 8 . J a h r h u n d e r t hindurch nahmen die Probleme mit der Inquisition nicht ab. Zusätzlich zu den päpstlichen Verurteilungen gab es ein Herrscherdekret gegen die Logen, die als Keim-

kollidierten,

zellen

illegal erklärt und geschlossen wurden.

der

Subversivität

betrachtet

w u r d e n . Im nahen Portugal

sodass

alle Logen

für

jedoch

In den von den katholischen H a b s -

waren Herrscher und Regierung der

burgern beherrschten Gebieten w a r den

Freimaurerei mit der Zeit immer güns-

Logen ein öffentliches Wirken unter-

tiger gesinnt.

sagt. Mit der Thronbesteigung Josephs

In Russland erlebte die Freimaurerei

II. ( 1 7 8 0 - 1 7 9 0 ) erlebte die österreichi-

unter der Regierung K a t h a r i n a s II.

sche Freimaurerei jedoch einen »Früh-

( 1 7 6 2 - 1 7 9 6 ) eine Blüte, w a s auch an

ling«: Es entstanden wissenschaftliche

den

zum

Zirkel und verlegerische Initiativen, be-

übrigen Europa lag. Der H a u p t o r g a -

deutende Persönlichkeiten und Künstler

nisator des freimaurerischen Systems in

wurden

Russland, der die Logen nach Eng-

folgenden

lischem

nisierung der

intensiveren

Ritus

Beziehungen

mit

den

Logen

der

Mitglieder. Zeit

In

fand

der d a r a u f eine

Reorga-

Logen auf nationaler

Strikten O b s e r v a n z vereinigen konnte

Basis statt, in die zahlreiche Staatsbe-

{siehe S. 52), w a r sogar Staatssekretär

amte eingebunden waren. So erließ der

im Dienste der Z a r i n . Besonders in

Kaiser schließlich im J a h r 1785, viel-

Sankt Petersburg hatten die Logen nach

leicht infolge der Ereignisse um die Illu-

Schwedischer Lehrart (mit mystischen

minaten (siehe S. 4 6 - 4 9 ) , oder weil die

und Templerritualen) freie H a n d und

Logen durch ihre Verbreitung n u n m e h r

stellten eine F o r m der geheimen O p -

ein Instrument darstellten, das politi-

position

gegen

dar.

schen D r u c k ausüben konnte, das so-

Politiker

und

wurden

genannte »Freimaurerpatent«. Fortan

Freimaurer u n d zahlreiche Initiativen

waren Freimaurerorganisationen legal,

versuchten, das Land zu

»europäi-

aber anderseits wurden ihre Mitglieder

sieren«, bis diese Bestrebungen mit der

registriert und genauestens k o n t r o l -

Innen- und Außenpolitik Katherinas II.

liert.

die

Regierung

Intellektuelle

43


Wechselwirkung mit der Geschichte _

Die Logen in Italien Im aus vielen Staaten bestehenden Ita-

dachte auch über eine neue politische

lien w a r die Organisation einer »na-

Rolle der Freimaurerei nach. Sie sollte

tionalen«

Adelige, Militärpersonen und Richter

Freimaurerei

unmöglich.

Dennoch verbreitete sich die Freimau-

vereinen,

rerei auch in den italienischen Klein-

politische Einmischung der Kirche zu

staaten

stärken, die

(selbstverständlich

mit Aus-

um

den im

Staat gegen

die

Königreich Neapel

n a h m e des Kirchenstaates). Sie stand

wieder die Inquisition einführen wollte.

oft unter dem Schutz von Herrschern

Die Kirche setzte die Lettera apolo-

wie

gética auf den Index, wodurch jede Tä-

dem

Franz

von

toskanischen Lothringen

Großherzog oder

Viktor

tigkeit

der

Freimaurerei

auf J a h r e

Amadeus von Savoyen.

blockiert wurde. Ab 1763 w u r d e die

Die ersten Logen im Königreich Neapel

freimaurerische Aktivität wieder in-

waren

tensiv a u f g e n o m m e n und sah sich von

Militärlogen.

Später s t a n d e n

zwei Strömungen einander gegenüber,

Neuem

eine

zweier Strömungen k o n f r o n t i e r t . Die

hermetisch-spiritualistische

und

mit

der

Gegensätzlichkeit

eine rationalistische. Z u m Großmeister

eine,

der neapolitanischen Loge w u r d e Rai-

Schottischen Ritus nahe und wurde von

m o n d o di Sangro, Fürst von Sansevero

der Königin Maria Carolina protegiert,

ernannt. In seiner 1750 veröffentlichten

die später bedeutende kulturelle In-

Lettera

Fürst

stitutionen wie die Königliche Aka-

nicht n u r die M e r k m a l e des freimau-

demie d e r Wissenschaften ins Leben

rerischen

seiner

rufen sollte. Die andere, d e m Eng-

Beziehungen zur Kabbala dar, sondern

lischen Ritus verbundene Richtung war

apologética

stellte

Gedankenguts

der und

aristokratische,

stand

dem

Der Verschleierte Christus in der

Cappella Sansevero in Neapel. Der Fürst von Sansevero ließ die Familienkapelle völlig »umbauen*, um daraus einen Freimauertempel zu machen.

44


Die Logen in Italien Der Markusplatz von Venedig, auf einem Gemälde L. Carlevaris'. Zu den kuriosesten Werken mit Bezug auf die venezianische Freimaurerei gehört eine Komödie von C. Goldoni, Die neugierigen Frauen

von 1753, die von einer Damenloge, einer sogenannten »Adoptivloge« handelt. WHMW mehr an neuen Formen der Politik

III., seit seiner Jugend ein Beschützer

interessiert.

den

der Logen, erreichte die piemontesische

Theorien der bayrischen Illuminaten

Freimaurerei einen großen Handlungs-

(siehe S. 4 6 - 4 9 ) sollten einen Teil der

spielraum und eine noch nie da ge-

neapolitanischen Freimaurerei radika-

wesene Präsenz sowie einen großen Ein-

lisieren und eine bedeutende Rolle beim

fluss im In- und Ausland.

Ausbruch der Aufstände von

In Venedig schließlich verbreitete sich

Die K o n t a k t e

mit

1799

spielen.

die

In Norditalien verbreitete sich die Frei-

Weise erst spät, auch wenn sich die be-

maurerei relativ spät. In der damals

deutendsten

habsburgischen Lombardei hatte die

damaligen Geisteslebens (z. B. Goldoni,

Loge von C r e m o n a die größte Bedeu-

Gozzi und Casanova) f ü r sie interes-

tung, was ihrem Organisator, dem Abt

sierten. Die Schaffung einer örtlichen

Bianchi zu verdanken war, dem es ge-

Gruppierung

lang, Beziehungen z u m kulturell fort-

Strikten Observanz w a r n u r von kurzer

schrittlichsten Flügel der europäischen

Dauer. Der Versuch, als Gemeinschaft

und nordamerikanischen Freimaurerei

zur R e f o r m des Staates politischen

zu knüpfen.

Druck auszuüben, hatte die Schließung

Im Königreich Sardinien dominierte das

sämtlicher Logen zur Folge.

Modell

der

Militärlogen.

Mit

Freimaurerei

auf

systematische

Persönlichkeiten

nach

dem

Ritus

des

der

der

Thronbesteigung von Viktor Amadeus

45


Wechselwirkung mit der Geschichte _

Die bayrischen Illuminaten Der »Fall« der bayrischen Illuminaten

kalismus herangereift, den er aber

stützte die Behauptung, die Freimaurer

nicht offen zeigen konnte, um nicht

w ä r e n f ü r den A u s b r u c h der Franzö-

seinen Lehrstuhl zu verlieren. Dies und

sischen

verantwortlich.

seine Leidenschaft f ü r rituelle Initi-

Dieser O r d e n , f ü r die freimaurerische

ationen sowie der Traum, eine auf Frei-

Revolution

Historiografie große

die

politische

»vielleicht Abweichung

erste der

Freimaurerei« (M. M o r a m a r c o ) , wurde 1776 in Ingolstadt von A d a m Weish a u p t gegründet, der d o r t Professor für kanonisches Recht war. O b w o h l Weish a u p t das Jesuitenkolleg besucht hatte, w a r in ihm ein heftiger Antikleri-

46

Goethe in der C a m p a g n a von ]. H. W.

Tischbein (1786). Angesichts seines intellektuellen Formats und der Tiefe seiner Gedanken mutet es eigenartig an, dass Goethe, als er dem bayerischen Illuminatenorden beitrat, nicht gewusst haben soll, ob es sich nun um ein utopisches humanitäres Projekt handelte oder um einen konkreten Plan, der auf politische Umwälzungen abzielte.


Die bayrischen Illuminaten Der Antijesuitismus war ein Phänomen des 18. Jh., das vor allem unter den Intellektuellen immer stärker auftrat. Ein Beispiel dafür ist dieser Stich, der den Baum der Gesellschaft Jesu darstellt, umgeben von einer antiklerikalen Schrift. Einige Wissenschaftler nahmen an, die Jesuiten hätten versucht, die Freimaurerei zu infiltrieren und zu kontrollieren.

32*föi.OGJ5 O l I i X i l M ' V k f a b

heit, Gütergemeinschaft und Kosmo-

aus

politismus begründete Gesellschaft auf-

stehende

zubauen,

die

Meister, Illuminatus maior oder Schot-

Gründe, die ihn bewogen, eine Geheim-

tischer Novize und Illuminatus dirigens

gesellschaft ins Leben zu rufen. An der

oder Schottischer Ritter). Die Spitze

freimaurerischen Organisation schätzte

w u r d e von einer Klasse gebildet, die die

er das Vorgehen in Graden oder Stufen,

Mysterien lehren sollte (Priester, Re-

was auch seinen O r d e n prägte. Auf eine

gent, Prinzeps, Magus/Philosophus und

Vorbereitungsklasse (Novize, Minerval,

Rex/Doctus). Wahrscheinlich hat sich

Illuminatus minor) folgte eine zweite,

Weishaupt für die Definition und die

w a r e n wahrscheinlich

freimaurerischen Klasse

Graden

(Lehrling,

be-

Geselle,

47


Wechselwirkung mit der Geschichte _ »Inhalte« der Grade der Mitarbeit des

andere noch in jüngerer Zeit die These

Freiherrn Adolf von Knigge bedient, der

eines umstürzlerischen Plans. So be-

den

war,

hauptet der französische Autor S. Hutin

nachdem er in der Freimaurerei nach

mir Entschiedenheit, Weishaupt habe

Schottischem Ritus die höchsten Grade

sich angesichts der Missbräuche und

erlangt hatte. Später entzweiten sich die

Ungerechtigkeiten der Gesellschaft sei-

beiden, weil Knigge dem Katholizismus

ner Zeit nicht darauf beschränkt, von

treu blieb, auch w e n n er Weishaupts

einer Ä n d e r u n g zu t r ä u m e n , sondern

Radikalität in sozialer Hinsicht teilte.

beschlossen, ein Komplott zur völligen

Knigge hatte sich bereits an einem Ver-

Erneuerung der Welt zu organisieren.

such der Reformation der Strikten O b -

D a f ü r habe es nur einen Weg gegeben,

servanz beteiligt (siehe S. 52). Diese

nämlich die systematische Ausbildung

streng hierarchische O r g a n i s a t i o n sah

von Agitatoren. Zu diesem Zweck habe

sich

Templer-

m a n eine mächtige Geheimgesellschaft

Ziel, einen den

gründen müssen, die Schritt für Schritt

Illuminaten

als

beigetreten

Bewahrerin

tradition, mit dem Malteserrittern

der

ähnlichen

Staat

zur

die gesamte Freimaurerei durchsetzen

R e t t u n g des C h r i s t e n t u m s zu bilden.

konnte

Knigge wollte wohl der Strikten Obser-

heime Gesellschaften, Bonn 1973). Tat-

vanz

den

sache ist, dass die bayrische Polizei zu-

Illuminaten eine neue Richtung geben,

fällig den Iluminatenorden betreffende

d u r c h die freimaurerische Utopien zu

Geheimpapiere f a n d , diesen für illegal

realen

Reformen führen

erklärte und seine A u f h e b u n g verfügte,

sollten, um Europa vom zwiefachen

wobei Weishaupt 1 7 8 5 in Abwesenheit

Joch der katholischen Kirche und dem

zum Tode verurteilt w u r d e . Dieser war

Ancien Régime zu befreien.

nach G o t h a geflüchtet und blieb d o r t

Der sehr erfolgreiche Illuminatenorden

bis zu seinem Tode im Jahr 1830 als un-

konnte

tadeliger

durch

den

politischen

sogar

Kontakt

mit

Persönlichkeiten

wie

(Unsichtbare Herrscher und ge-

Hauslehrer

des

jüngeren

regierenden

Herzogs.

Goethe und hochrangige deutsche Aris-

Sohnes

t o k r a t e n in seinen Reihen begrüßen.

Die Geschichte von den bayrischen

W ä h r e n d die einen ausschließen, dass

Illuminaten erregte überall

die Mitglieder des Ordens, auch an den

Aufsehen, was die Freimaurerei in ihrer

höchsten Spitzen der Hierarchie, je

Gesamtheit in Verruf brachte. Die »Ver-

irgendeinem

schwörungstheorie«

konkreten

kurzfristigen

des

enormes

gelangte

auch

politischen Projekt folgten und über

schnell in die Vereinigten Staaten, wo

einen revolutionären Utopismus, der

aber George Washington als Freimaurer

v o m M y t h o s des »edlen Wilden« be-

und

seelt war, hinausgingen, unterstützten

teidigte.

48

Politiker die Freimaurerei ver-


Die bayrischen Illuminaten

George Washington (1732-1799), von 1789-1797 Präsident der Vereinigten Staaten, war überzeugter Freimaurer. Er wurde 1752 in der Fredericksburg Lodge No. 4 in Virginia aufgenommen und am 4. August 1753 Meister. Hier ist er mit den freimaurerischen Insignien dargestellt. Rundherum entfalten sich Bilder, die mit der Freimaurerei zusammenhängen. In den Rundbildern oben kann man die Porträts von Lafayette und Jackson sehen. So wie Washington gab es noch viele Freimaurer, die das höchste politische Amt des Landes bekleideten.

49


f S / ^ Wechselwirkung mit der Geschichte

Die »Rache« der Freimaurer Bei der Theorie von einem K o m p l o t t , lig« geworden sei, spielte die reakdas im Fall der bayrischen Illuminaten tionäre Publizistik eine wichtige Rolle. (siehe S. 4 6 - 4 9 )

erfolgreich vereitelt

Deren typischste Vertreter waren der

w o r d e n und durch den Verlauf der radikale, während der SchreckensherrFranzösischen Revolution »augenfäl- schaft inhaftierte Louis Cadet de Gassicourt sowie der in

England

im

Exil weilende Jesuit Augustin de Barruel. Cadet de Gassicourt hauptete tombeau ques

bein

I.e

de

Jac-

Molay,

der

Templerorden, dessen

Erbe

die

Freimaurerei

an-

Die »gerechte Rache« des Jacques de Molay, die die Freimauercrei an Ludwig XVI. verübte: Illustration der antifreimaurerischen Schrift von L. C. de Gassicourt für den Essay Le tombeau de Jaques Molay ou Histoire secrète des initiés anciens et modernes, templiers, francs maçons, illuminés et recherche sur leur influence dans la révolution française,

Paris 1797.

50


getreten habe, bilde das erste Glied einer Kette von Verschwörern, die ununterbrochen bis zum Sturm auf die Bastille tätig gewesen seien. Barruel ging noch weiter: In seinen Mémoires pour servir à

l'histoire du Jacobinisme

ließ er alle

Bewegungen oder Per-

sönlichkeiten, die sich je in der Geschichte gegen die bestehende O r d n u n g erhoben hatten, Teil einer jahrhundertealten Verschwörung sein, angefangen

bei

den

Fantasierekonstruktion einer heldenhaften Episode der Templer im Heiligen Land. Trotz der Schwärmerei für das Rittertum, die für das aristokratische ebenso wie das bürgerliche Milieu seit dem 18. Jh. bezeichnend war, schadete die unbegründete Behauptung der Freimaurerei, der Templerorden existiere immer noch. Denn auf sie übertrugen ihre Gegner nun die gleichen Anschuldigungen der Falschheit, des Okkultismus und sogar des Satanismus, die jahrhundertelang gegen die Templer vorgebracht wurden.

mittelalterlichen

Häretikern bis hin zu Robespierre. Dies

Tempelritters geweissagt. M a n munkel-

festigte in der Öffentlichkeit die Le-

te, Ludwig XVI., letzter König von

gende, Jacques de Molay, der letzte

Frankreich und eben der letzte N a c h -

Großmeister der Tempelritter, der von

k o m m e Philipps des Schönen, habe den

Philipp dem Schönen gemeinsam mit

H e n k e r nach seinem N a m e n gefragt,

Papst Clemens V. z u m Tod auf dem

bevor er am 2 1 . J a n u a r 1 7 9 3 guilloti-

Scheiterhaufen verurteilt w o r d e n war,

niert w u r d e . Dieser a n t w o r t e t e , er sei

hätte unter Beteuerung seiner Unschuld

als Templer

den Tod des letzten N a c h k o m m e n s

Jacques de Molay zu vollstrecken. Die

seines Verfolgers durch die H a n d eines

Farben des Bildes wurden noch düsterer

bereit,

die

Rache

für

51


Wechselwirkung mit der Geschichte _ P

"

i

Die »Rittersysteme« Kapitel von Clermont Das Kapitel von Clermont entstand 1754 in Frankreich, inspiriert durch die Schottischen Meister der Freimaurerei von Lyon (1741-1743}. In Frankreich verschwand es schnell, in Deutschland verbreitete es sich über die Berliner Loge Zu den drei Weltkugeln rasch und ivar von 1759 bis 1764 aktiv. In einer makabren Zeremonie beziehen sich Grad fünf und sechs des Systems auf den ungerechten Tod Jacques de Molays. Das Klerikat der Tempelherren Vom protestantischen Pastor J. A. Freiherr von Starck erfunden und ausgearbeitet, wurde das Klerikat 1772 durch die Strikte Observanz des Freiherrn von Hund anerkannt. Es basierte auf einer historischen Fälschung. Im Mittelalter habe unabhängig vom Ritterkorps ein geistlicher Zweig der Templerherren existiert. Er sei Hüter eines im Orient von den Essenern übernommenen Geheimwissens gewesen. Das Klerikat ging zur gleichen Zeit wie die

52

Strikte Observanz unter, auch wenn man sich zuvor getrennt hatte. Doch Starck hatte sein Ziel erreicht, er war von der deutschen Hocharistokratie anerkannt worden. Strikte Observanz (Rektifizierte Freimaurerei) Die Strikte Observanz wurde vom Reichsfreiherrn K. G. von Hund und Altengrottkau, Erbherr von Lipse (1722-1776) in der Oberlausitz ins Leben gerufen. Dieser war angeblich von » Unbekannten Oberen« mit der Wiederherstellung des Templerordens beauftragt worden. Zwischen 1751 und 1755 wurden Struktur, Rituale und administrative Organisation festgelegt, aber das System war erst ab 1763/64 aktiv. Es sah einen inneren Orden vor, zu dem man ab dem sechsten Grad Zutritt hatte und der drei Kategorien Initiierter umfasste: die Ritter (Aristokraten), die Armigeri, d. h. Knappen (Großbürger), und die Socii et Amici Ordinis (Fürsten oder Hoheiten, denen man >


Die »Rache« der Freimaurer

> keinen Eid zur Gehorsamkeit abverlangen konnte). Hund strebte eine Vorherrschaft seines Systems an. Er forderte daher, auch die Logen, die nach angelsächsischem Modell nur die ersten drei Grade praktizierten, sollten auf die Rituale der Strikten Observanz zurückgreifen und sich der Autorität ihres Provinzial-Großmeisters unterwerfen. Logen, die das System insgesamt annehmen wollten, mussten sich »rektifizieren« lassen, indem sie sich unterordneten und den » Unbekannten Oberen« Gehorsam schworen. Die Strikte Observanz erlangte praktisch die Kontrolle über die deutsche Freimaurerei. Später verlor sie an Ansehen, um schließlich 1782 beim Konvent der europäischen Freimaurer in Wilhelmsbad zu Grabe getragen zu werden. Orden der Chevaliers Bienfaisants de la Cité Sainte (Wohltätige Ritter der Heiligen Stadt) Das System der Strikten Observanz erfuhr in diesem Orden seine letzte bedeutende Wandlung. Beim freimaure-

tischen Convent National des Gaules 1778 in Lyon wurde sein Entstehen offiziell registriert. In dem französischen Orden wurde die Templeridee mystisch weiterentwickelt und eine Emanzipation von der deutschen Führung eingeleitet. Zwar wurde im Namen nicht direkt auf den Templerorden angespielt, um nicht die weltlichen und geistlichen Autoritäten Frankreichs zu brüskieren, da ja ein französischer König und ein Papst in Avignon die Aufhebung des Ordens dekretiert hatten, Emblem des Höchsten Grades war jedoch ein Grab, über dem ein Adler und ein Pelikan mit den Buchstaben J. M. (Jacques de Molay) dargestellt waren, ergänzt durch das lateinische Motto Ecce quod superest (Siehe, was überlebt). J. B. Willermoz gründete den Orden. Er wollte der freimaurerischen Idee der Menschenliebe neues Leben einhauchen und stellte das Thema der Brüderlichkeit wieder in den Mittelpunkt. Der Orden war jedoch deutlich esoterisch geprägt und sah für begüterte Ritter zwei speziell ihnen zugängliche Grade vor.

durch den Hinweis, selbst die Guillotine

der Gegner des Ordens. Ihre Ursprünge

sei von einem Freimaurer e r f u n d e n

sind innerhalb der Freimaurerei dort zu

worden, dem Arzt und Wissenschaftler

suchen, wo der mittelalterliche freie

Joseph-Ignace Guillotin.

M a u r e r d u r c h den Ritter überlagert

Die Verbindung Templer - Freimaurer

wurde, w a s im Ansatz bereits bei R a m -

entsprang jedoch nicht nur der Fantasie

say geschah (siehe S. 3 1 - 3 3 ) . Außerdem

Auf der Seite nebenan sinnt König Gustav III. von Schweden (von 1771 bis 1792 auf dem Thron) in Anwesenheit von Minerva und Justitia über die Revolution nach. Seit dieser Herrscher 1770 in die Freimaurerei aufgenommen wurde, hatte der Orden immer Mitglieder aus höchsten Hofkreisen. Der Schwedische Ritus, der bis heute in der Freimaurerei von Schweden, Norwegen, Dänemark und Island eine Monopolstellung hat, behielt templerische Nuancen bei, die er aus den Kontakten mit der Strikten Observanz erworben hatte. Er ist der einzige, bei dem der letzte Grad (Ritter-Kommandeur mit dem roten Kreuz) zugleich vom Souverän verliehene bürgerliche Auszeichnung ist.

53


Wechselwirkung mit der Geschichte _

Miniatur mit der Hinrichtung des Jacques de Molay, letzter Großmeister der Tempelritter., Mit dieser Tat nahm die Legende von der »Rache der Templer« ihren Anfang.

entstand in den verschiedenen Logen des europäischen Festlands ein lebhaftes

esoterisches

Interesse,

ins-

besondere f ü r die Alchcmie und die Kabbala. So hatte sich im O r d e n eine Legende bilden k ö n n e n : Die Templer, Bewahrer einer orientalischen Geheimlehre, sollen die d u r c h den König von Frankreich u n d den Papst in R o m (1312)

dekretierte

Verurteilung

in

Schottland im Verborgenen überlebt und der Freimaurerei ihre Spiritualität und Weisheit vermacht haben.

54


Die A u f n a h m e der Templerlegende in Symbolik und Rituale der Logen hatte bedeutende Auswirkungen: • sie ließ verschiedene Systeme entstehen, die sich von Deutschland aus, wo sie ihren Anfang nahmen, schnell auf der ganzen Welt verbreiteten; • sie schwächte die Verbindungen zur operativen Tradition, vor allem im Hinblick auf die Bedeutung, die der Initiation

beizumessen

ist,

und

knüpfte enge Verbindungen zur hermetisch-esoterischen und zur Rosenkreuzertradition; • sie g a b zweifelhaften Persönlichkeiten R a u m , die sich unter jenen Anhänger schufen, die glaubten, Grad auf Grad an das »Geheimnis der Freimaurer« h e r a n z u k o m m e n , das eins sein

sollte

geheimnis«,

mit

dem

und

»Templer-

meinten,

sich

bereichern zu k ö n n e n , sobald der Templerorden wieder im Besitz seiner Güter sei, um diese unter den »Initiierten« aufzuteilen; • der Templer Jacques de M o l a y überlagerte die Figur des H i r a m (siehe S. 2 4 - 2 9 ) , dessen Legende symbolisch um den Aspekt der »Rache« erweitert w u r d e . Dies stärkte bei Außenstehenden die Überzeugung, die

Freimaurerei

würde

der

Ge-

schichte einen Lauf aufzwingen, der von »Unbekannten Oberen« gewollt war, und sei jeden M o m e n t in der Lage, deren Pläne Realität werden zu lassen.

Die Templeridee schwächte die Verbindung mit der operativen Tradition in den Logen, indem sie den hermetischen und esoterischen Traditionen Raum gab (oben: rechte Tafel aus dem Garten der Lüste von H. Bosch. Auf der nebenstehenden Seite ein Stich mit dem Herd des Alchemisten.

55


Wechselwirkung mit der Geschichte _

Die Logen und die Kultur Seit

ihrer

Gründung

zeichnen

sich

angelegte

Kompositionen

wie

das

des Musikers

und

Logen durch Geselligkeit aus. M a n traf

Carmen saeculare

sich in einem Gast- oder Kaffeehaus, in

Schachspielers F.-A. Philidor { 1 7 2 6 -

einem Bierlokal oder Privathaus vor

1795). Bald sollten sich immer mehr

allem zu festlichen Gelegenheiten wie

M u s i k e r der Freimaurerei

zum Beispiel der A u f n a h m e eines neuen

und ihren eigenen Beitrag zum musika-

Bruders oder Festen zu Ehren Johannes

lischen Erbe der Freimaurerei leisten.

des Täufers. Diese Z u s a m m e n k ü n f t e

Große Musiker wie Gluck, Haydn und

wurden von Festmählern, Schauspielen

M o z a r t waren Logenmitglieder. Neben

und Musik begleitet. In L o n d o n zum

Händcis

Messias

Beispiel war das freimaurerische Leben

Jennens)

und

zu Beginn des 1 8 . J a h r h u n d e r t s beson-

von

ders mit musikalischen Darbietungen

rühmtesten

und A u f f ü h r u n g e n von Shakespeares

onen« von Wolfgang Amadeus Mozart:

Werken verbunden.

Die Maurerfreude (K. 471), die Maure-

annähern

(Libretto:

Charles

der Neunten

Beethoven

Symphonie

stammen

die

be-

»Freimaurerkompositi-

rische Trauermusik (K. 477), die Kleine Die Musik

Freimaurerkantate

Vor allem Musik spielte eine wichtige

schließlich die O p e r Die Zauberflöte.

Rolle. Anderson hatte in seinem Kon-

Bei den Ersteren handelt es sich um

stitutionenbuch eine Reihe von Volks-

kurze Partituren, die für kleines Orches-

liedern aufgenommen, geeignet zur Ver-

ter geschrieben w u r d e n , einen feier-

anschaulichung

lichen R h y t h m u s aufweisen und als li-

Geschichte

der

von

Ursprung

und

Organisation.

Sie

turgische

Musik

(K. 623)

gedacht

sind,

und

um

w u r d e n w ä h r e n d der Logenversamm-

Augenblicke der Freude oder der Trauer

lungen gesungen. Insbesondere Musik

in der Gemeinschaft festlich zu be-

schien das Konzept eines Universums

gehen; T h e m a ist immer die »Brüder-

ausdrücken zu k ö n n e n , das vom ur-

lichkeit«. Anders liegt der Fall bei der

sprünglichen

Zauberflöte.

Chaos

zu

einer

na-

Die

Oper

erlaubte

es

Ordnung

M o z a r t , alle Themen zu streifen, die ihn

übergeht. Von daher faszinierte viele

damals fesselten: Tod und Wieder-

Freimaurer das Studium der musika-

geburt, Beziehung zwischen Irdischem

lischen Harmonie. Es entstanden Trak-

und

tate, Libretti u n d A l m a n a c h e zur Ver-

P r ü f u n g als notwendiger Weg zur uni-

breitung der M u s i k , aber a u c h breit

versellen Liebe.

türlichen

56

und

rationalen

Überirdischem,

Initiation

und


Die Logen und die Kultur Porträt Wolf gang Amadeus Mozarts (17561791). In seinem Todesjahr wurde in Wien Die Zauberflöte uraufgeführt. Ihr Librettist E. Schikaiteder war wie Mozart Freimaurer. Das Werk spielt auf verschiedenste Weise darauf an und dokumentiert neben der rationalistischen Strömung eine weitere Richtung der Freimaurerei des IS. Jh., für die der Mystizismus und die Schwärmerei für geheimnisvolle Szenarien aus dem Orient charakteristisch waren. Der Raum In den Augen von Freimaurern w a r e n auch die Architektur und die O r g a nisation des Raumes als Darstellung einer idealen Weltordnung von großer Bedeutung. Dies wurde umso wichtiger, je mehr die Zahl der Mitglieder und die soziale Bedeutung stieg, und je mehr

korationen die Tugend als unabding-

jene Strömungen auftraten, die sich auf

bare Basis für die Aristokratie preist.

den Hermetismus und die Rosenkreuzer

Ebenfalls in dieser Zeit nehmen die

bezogen. Im vorangegangenen Jahr-

Symbole (siehe S. 1 1 2 - 1 1 7 ) und ihre

hundert hatte der pfälzische Kurfürst in

festgelegte A n o r d n u n g im Raum grund-

Heidelberg rosenkreuzerische Vorstel-

sätzlich an Wichtigkeit zu. Die Frei-

lungen vom Universum in seinen Gär-

maurerei w a r zur Zeit des aufgeklärten

ten zum Ausdruck gebracht. Ähnlich

Despotismus derart populär, dass diese

versuchte nun die Freimaurerei, das ei-

Art von Raumdekoration auch für an-

gene kulturelle Erbe, die eigenen Regeln

dere, nicht in engerem Sinne freimaure-

und Prinzipien auf eigens für die Zere-

rische Z u s a m m e n h ä n g e ü b e r n o m m e n

monien erdachte u n d geplante R ä u m e

wurde, wie z u m Beispiel die Sala della.

zu übertragen. In der zweiten Hälfte des

adunanze in der Akademie der Wissen-

18. J a h r h u n d e r t s sollten viele G e b ä u d e

schaften in Turin belegt.

errichtet oder f ü r diese Zwecke umgestaltet werden. Die berühmtesten sind

Die Wissenschaft

die M a s o n Hall in L o n d o n u n d die

Von A n f a n g an bestanden sehr enge

Cappella Sansevero in Neapel. Diese

Verbindungen zwischen der Welt der

ließ R a i m o n d o di Sangro in einen Frei-

Wissenschaft und der Freimaurerei. Be-

maurertempel u m w a n d e l n , dessen De-

reits die ersten englischen Logen stan-

57


Wechselwirkung mit der Geschichte _

Eine Arbeit des englischen Architekten und Freimaurers John Soane. Es handelt sich um einen Entwurf für das Haus, das Soane für sich selbst erbaute (heute ein öffentliches Museum). Die Besonderheit dieses Werks, das Anspielungen auf das Mittelalter, Zitate von Piranesi und Bezüge auf den Symbolismus eines anderen Freimaurers, ]. C. Deiafosse, bietet, besteht darin, dass diese Räumlichkeit für die Unterbringung des Heizkessels gedacht war.

den den Kreisen der Royal Society, der

Prinzipien von Hierarchie, O r d n u n g

1662 offiziell a n e r k a n n t e n britischen

und Frieden eingerichtet hatte. Was die

Akademie

sehr

Freimaurer interessierte, w a r die Paral-

nahe. G r o ß e Bedeutung für die G r o ß -

lelität zwischen der natürlichen und der

loge von L o n d o n hatte N e w t o n . Er for-

sozialen O r d n u n g .

mulierte

eine

Dieses Thema sollte sowohl in England

äußerst ergiebige neue N a t u r p h i l o s o -

als auch auf dem europäischen Festland

phie, die jedoch nicht die Religion ver-

einen großen Teil des Jahrhunderts hin-

leugnete. Die Wissenschaft, und das

durch präsent sein. Das Interesse an der

gefiel den Freimaurern, erklärte, wie

N a t u r hatte z u m Ziel, eine neue Ge-

Gott als Baumeister die N a t u r nach den

schichtsphilosophie zu begründen. Da-

58

der Wissenschaften,

die

Grundlagen

für


Die Logen und die Kultur

her entstanden neue öffentliche und private Wissenschaftsinstitutionen wie die Akademien der Wissenschaften in Turin und Neapel, das M u s e e de Paris oder die Königlich Böhmische Gesellschaft der Wissenschaften in Prag. M a n stellte naturkundliche

Sammlungen

zusam-

Eine Sitzung von Mesmers Société de l'Harmonie. Das Baquet, eine zugedeckte hölzerne Wanne, aus der Schnüre herausschauen, soll die magnetischen Strömungen auffangen. Der Mesmerismus stellt die letzte Krise der Freimaurerei im 18. Jahrhundert dar, vor allem für diejenigen, die nie auf den magischen Aspekt verzichtet hatten,

men und publizierte Zeitschriften und Bücher. Sie beschäftigten sich mit den

Wien arbeitender Arzt, der sich mit

verschiedensten

der

»animalischem Magnetismus« beschäf-

zur Physiognomik.

tigt hatte, vertrat die These, es wäre

Mathematik

bis

Themen,

von

Diese Vielfalt von Interessen und Initia-

möglich,

tiven barg jedoch ein Risiko: Die »zwei-

Zwecke zu nutzen. Er w a r von Wien

te (mystische) Seele« der Freimaurerei,

nach Paris gegangen, wo er eine Société

die die Magie niemals abgelehnt hatte,

de l'Harmonie gegründet hatte.

neigte von N a t u r aus dazu, zweifel-

konnte man gegen Bezahlung in die Ge-

h a f t e n Persönlichkeiten wie M e s m e r

heimnisse des Magnetismus eingeweiht

und Cagliostro R a u m zu geben.

werden.

Franz A n t o n Mesmer, ein zunächst in

machte der Mesmerismus als Therapie

diesen

Etwa

für

ein

therapeutische

Jahrzehnt

Dort

lang

59


Wechselwirkung mit der Gcschichte Die Hoffnung, die vom Großen Baumeister Aller Welten »geordnete« Organisation der Natur auf den sozialen Bereich übertragen zu können, war in der englischen Freimaurerei, die stark dem Newtonismus verbunden war, immer präsent (hier stellt Britannia Isaac Newton einen jungen Mathematiker vor). deren Bedeutung erneuerte. Ein G r o ß teil der Begriffe (Statuten, Kapitel, Orden, Meister usw.) ging auf die mittelalterliche Tradition

zurück.

Andere

w a r e n N e u e r u n g e n , die die ursprüngliche

Bedeutung

komplett

beiseite-

ließen. Das W o r t »Konvent« zum Beispiel bezeichnet in der Alltagssprache einfach den Sitz einer Religionsgemeinschaft, in der Freimaurersprache bedeutet es »Versammlung«, in Erinnerung an und Theorie Furore. Mesmers Schriften

die Versammlung von Wilhelmsbad, die

wurden in den Logen a u f m e r k s a m gele-

eben in einem Konvent stattgefunden

sen und rege kommentiert. M a n machte

hatte. Und das W o r t »Konstitution«

den Versuch, die ursprünglich zur Be-

bezeichnete nun weder eine Sammlung

h a n d l u n g von Krankheiten Einzelner

legislativer Bestimmungen von höchster

entwickelte Theorie des »animalischen

politischer Autorität wie zur römischen

Magnetismus« auch auf die Gesamtge-

Kaiserzeit,

sellschaft a n z u w e n d e n . Die Attacken

geistlicher Art wie im Mittelalter, son-

der offiziellen Wissenschaft und das aus-

dern eine Reihe von Prinzipien, die dem

ufernde Auftreten von Scharlatanen, die

geordneten Leben einer Gesellschaft,

sich den Mesmerismus zunutze mach-

hier den Freimaurern, zugrunde lag.

ten, hatten schließlich eine offizielle Inter-

Wie der Begriff »Konstitution«, so

vention des Königs und letztlich 1785

w u r d e n auch viele a n d e r e W ö r t e r wie

die Ausweisung Mesmers zur Folge.

Gesellschaft, Freiheit und öffentliche

noch

besondere

Regeln

Wahl aus dem n o r m a l e n SprachgeD a s Wort

b r a u c h entliehen. Besonders das W o r t

In den Logen arbeitete m a n auch an

»Aufklärung« w a r von großer Bedeu-

einem neuen sprachlichen Kodex, der

tung. W u r d e der Begriff in der Vergan-

traditionelle

genheit wohl ausschließlich im reli-

60

Begriffe

aufnahm

und


Die Logen und die Kultur Links: B. Franklin; unten: Die Verfasser der Unabhängigkeitserklärung der

Vereinigten Staaten von Amerika, alle Freimaurer. Unter den vielen Tätigkeiten Franklins sei seine Arbeit als Publizist und Verleger erwähnt.

giösen Bereich verwendet, nämlich im

Die Epoche des aufgeklärten Despo-

Sinne der A u f k l ä r u n g des Menschen

tismus zeichnete sich durch eine fort-

dank göttlicher Anleitung, so versteht

schreitende Alphabetisierung und eine

m a n darunter in der Freimaurerei den

R e f o r m der Bildungssysteme aus. Um

Kampf

den

gegen

Aberglauben

Unwissenheit

mithilfe

der

und

Vernunft

wachsenden

gerecht

zu

werden,

Bildungshunger förderte

die

(siehe S. 4 0 - 4 1 ) . In den Freimaurerdia-

Freimaurerei die Publikation g r o ß e r

logen, eine Schrift, die weitverbreitet

Werke, wie die Ubersetzung der Two

und Grundlage vielfältiger Diskussio-

Treatises of government (Über die Re-

nen war, meint Lessing, n u r durch die

gierung) von Locke, die Scienza della

Vernunft könne das w a h r e Wesen der

legislazione (System der Gesetzgebung)

Freimaurerei erforscht und begriffen

von Filangieri oder die Lettere ame-

werden.

ricane mit einem Vorwort von Franklin. Vor allem aber gab es eine große Produktion einfacher und kostengünstiger Publikationen, die sich entweder der Bildung der neuen Mitglieder widmeten oder für Werbezwecke bestimmt waren. In Umlauf gebracht w u r d e n auch die Texte der in den Logen gehaltenen Vorträge, Almanache mit Hinweisen auf freimaurerische Feste und die Logenadressen sowie Katechismen u n d Zeitschriften.

61


Wechselwirkung mit der Geschichte _

Napoleon: Eine »gelenkte« Karriere? Die glänzende Karriere des 1769 in

nach Italien und Ägypten, der Aufstieg

Ajacco geborenen Napoleon Bonaparte

z u m Konsul ... Von dem M o m e n t a n ,

ist ungewöhnlich. N a c h seinem Ab-

da er m i t der Eroberung Toulons von

schied von der Pariser Militärakademie

sich reden gemacht hatte, genügten ihm

- davor hatte er die von ßrienne besucht

zehn J a h r e , in denen er von Erfolg zu

- w u r d e er mit n u r f ü n f u n d z w a n z i g

Erfolg eilte, um z u m Kaiser der Fran-

Jahren General. Er hatte einen Plan aus-

zosen gekrönt zu werden.

gearbeitet, der es den Truppen des Kon-

Von der Theorie, N a p o l e o n habe in

vents ermöglichte, das von den Eng-

K o n t a k t mit einer mächtigen Geheim-

ländern besetzte Toulon zu erobern.

gesellschaft, den Illuminaten, gestan-

Der Rest ist Geschichte: seine Heirat

den,

mit Josephine de Beauharnais, die ihm

nichts. Diese seien trotz Verbot durch-

die Türen zu den Salons im Paris des

aus noch aktiv gewesen (siehe S. 4 6 -

Direktoriums

49). Er soll an einem unterirdischen O r t

öffnete,

die

Feldzüge

erzählen

die

Geschichtsbücher

in der römischen C a m p a g n a aufgen o m m e n worden sein. Als ihm während der Zeremonie die Insignien des Grades und die phrygische Mütze, die in Frankreich (Jakobinermütze) und den Vereinigten Staaten als Symbol der Freiheit galt, überreicht wurden, soll der rituelle Satz gesprochen w o r d e n sein: »Achte gut d a r a u f , die K o p f b e d e c k u n g der Freiheit nicht mit der Krone zu tau-

Porträt des jugendlichen Napoleon von J.-L. David. Der französische Historiker Michelet (1798-1874) hob die geheimnisvolle und frühreife Anziehungskraft dieser außergewöhnlichen Persönlichkeit hervor und meinte, der Maler habe ihm eine »vollkommen düstere Unpersönlichkeit« verliehen, die »zauberhaft wirkt«.

62


Napoleon: Eine »gelenkte« Karriere?

Mausoleum zum Gedächtnis an den Übergang Napoleons über den Moni Cents, in einem Entwurf von G. Selva aus dem Jahr 1808, der sich die » Agyptomanie« jener Zeit zunutze macht.

«

sehen«. Hieraus erklärt m a n den Z u -

UH

ermächtigte der Kaiser seinen Bruder

sammenbruch des Mythos Napoleon ab 1812. Dieser sei unvermeidlich gewe-

Joseph Bonaparte, die ihm angetragene

sen, da er aus Ehrgeiz die Anordnungen

Großmeisterschaft anzunehmen. Als die

der mächtigen Oberen nicht befolgt

Freimaurerei d a r a u f h i n von W ü r d e n -

habe. Andere Autoren glauben, N a p o -

trägern des Empire buchstäblich über-

leon sei w ä h r e n d des Ägyptenfeldzugs

r a n n t w u r d e , sei sie gezwungen ge-

auf M a l t a in eine Militärloge aufge-

wesen, auf alles zu verzichten, w a s zu

n o m m e n w o r d e n . S. Hutin meint, die

einer Emanzipation des Geistes hätte

Expedition nach Ägypten habe in mi-

beitragen k ö n n e n oder etwas anderes

litärischer Hinsicht darauf abgezielt,

als Bewunderung für die Diktatur zum

den Engländern den Weg nach Indien

Ausdruck gebracht hätte. (La franc-

abzuschneiden, gleichzeitig habe sie

maçonnerie

N a p o l e o n ermöglicht, mehrere unsicht-

adeptes, Bd. I.: L'apprenti).

bare

Menschheit zu

Auch der englische Historiker P. Part-

treffen (Unsichtbare Herrscher und ge-

ner, Autor einer brillanten Studie über

heime

die Templer, teilt diese Ansicht im We-

Herrscher der Gesellschaften).

rendue

intelligible

à

ses

O. Wirth, der in den ersten Jahrzehnten

sentlichen. Er zitiert den Schriftsteller

des zwanzigsten Jahrhunderts im Grand

Charles

Orient

war,

zufolge die französischen Freimaurer,

schreibt dagegen, N a p o l e o n habe an-

ungeachtet ihrer Z a h l - der G r a n d

fänglich

verbieten

Orient zählte 1814 gut 9 0 5 Logen -

wollen. Dagegen sprach jedoch, dass

keinerlei G e f a h r f ü r das Regime dar-

m a n nur zu fürchten hatte, w a s m a n

gestellt hätten, weil die Bewegung in

zwang, sich zu verstecken. Deswegen

Widersprüche verstrickt sowie ohne

von die

Frankreich

aktiv

Freimaurerei

Nodier

(1780-1844),

dem-

Einfluss und sinnentleert gewesen sei.

63


Wechselwirkung mit der Geschichte _

Italien: Auf dem Weg zum Risorgimento Auch die Freimaurerei in Italien war na-

zwar von der Freimaurerei beeinflusst,

poleonisch geprägt (siehe S. 6 2 - 6 3 ) . In

doch die konspirativen Gewohnheiten

Mailand w a r 1805 der Grande Oriente

und der Aktivismus waren ein Erbe der

d'Italia entstanden. 1806 waren die Sta-

revolutionären Clubs vom Ende des

tut!

18. Jahrhunderts.

Generali della

Franca

Massotteria

in Italia ausgearbeitet w o r d e n . Hinige

Einer der wichtigsten italienischen Ge-

Mitglieder des O r d e n s bewunderten

h e i m b ü n d e w a r die C a r b o n e r í a (Köh-

Napoleon oder hatten sich einfach nur

lerei), die möglicherweise aus der Loge

der aktuellen Situation angepasst. Al-

Philadelphia hervorgegangen war. Letz-

lerdings wuchs die Zahl derer mit der

tere hatte Unzufriedene aus Teilen der

Zeit immer stärker, die sich der fran-

Armee und der französischen Freimau-

zösischen »Tyrannei« widersetzen wol-

rerei versammelt und sich in ganz

lten und bereits anderen Geheimbünden

Europa verbreitet, wobei sie mit einigen

unterschiedlicher

Aus-

ihrer Vertreter auch in die Logen des

waren.

Deren

Königreichs Italien vordrang. Die Car-

Symbolik

wurde

bonería, von der gesichert ist, dass ihre

richtung

ideologischer

beigetreten

Organisation

und

Mazzini und Garibaldi begegnen sich in Marseille (1833). Int 19. Jh. waren es nicht nur die Konservativen, die glaubten, die Freimaurerei habe die Aufgabe, die politische und soziale Ordnung zu revolutionieren, sondern auch die eigenen Mitglieder. Die Zeitschrift »Ri vista massonica« z. B. ging so weit, die Garibaldiner als »neue Templer« zu bezeichnen.

64


Italien: Auf dem Weg zum Risorgimento

Porträt Giuseppe Mazzinis. Der Genueser Patriot gehörte zu jenen, die sich dafür einsetzten, dass die Unterordnung unter Frankreich und das Weiterbestehen jakobinischer Töne aus den italienischen Geheimbünden verschwand: »Der Fortschritt der Völker besteht beute darin, sich von Frankreich zu emanzipieren«, erklärte er und fügte hinzu: »Der Fortschritt Frankreichs besteht in seiner Emanzipation vom 18. Jahrhundert und der alten Revolution«. Existenz den Regierungsbehörden seit 1808 bekannt war, entwickelte sich vor allem in Süditalien und infiltrierte ihrerseits die neapolitanischen Logen. Im

Gleichheit und Brüderlichkeit verlang-

Laufe der Zeit trat an die Stelle des ur-

te, so verpflichtete m a n sich beim zwei-

sprünglichen demokratischen und egali-

ten bereits, für eine republikanische

tären Geistes der Geheimgesellschaften

Verfassung zu k ä m p f e n , u n d mit dem

ein liberaler Patriotismus, der als Ziel

dritten

die Unabhängigkeit und eine zum eng-

Privateigentums und zu einer Güter-

lischen ähnliche Verfassung hatte.

und Arbeitsgemeinschaft.

Nach

der Restauration,

zur

Abschaffung

des

vom

Es w a r jedoch die Carboneria, die in

Wiener Kongress eingeleitet, arbeiteten

dem Bemühen um eine geeinte »Na-

die geheimen Vereinigungen weiter und

tion« erste k o n k r e t e Ergebnisse durch

fanden ihre Mitglieder unter Offizieren,

konspirative

Intellektuellen, Studenten und m a n c h -

spielte Giuseppe Mazzini ( 1 8 0 5 - 1 8 7 2 )

mal

eine wichtige Rolle, zumindest in ideel-

auch

in

den

1815

dann

anderen

Volks-

Arbeit

erzielte.

Dabei

schichten.

ler Hinsicht. Von allen italienischen Pa-

In Italien k a m zur Carboneria im Süden

trioten w a r er derjenige, der Positionen

die Societä dei Sublimi Maestri Perfetti

vertrat, die den Vorstellungen der Frei-

im N o r d e n hinzu. Diese n a h m den Platz

maurer vom Menschen und seiner Rol-

der Adelfia ein, die in den ersten Jahren

le in der Welt am nächsten w a r e n . Er

nach der Restauration aktiv gewesen

hatte auch Kontakte zum esoterischen

war. Hier waren, unter Filippo Buona-

Mephis- und Misraim-Ritus, in d e m die

rotti ( 1 7 6 1 - 1 8 3 7 ) , die radikalsten Posi-

ägyptische mysteriosophische Tradition

tionen zu finden.

von großer Bedeutung war. Diesem Ri-

Während

der

erste

Grad

nur

den

Schwur z u m deistischen Glauben, zu

tus schloss sich auch Giuseppe Garibaldi ( 1 8 1 7 - 1 8 8 2 ) a n .

65


Wechselwirkung mit der Geschichte _

Die »romantische« Freimaurerei Lange w u r d e die R o m a n t i k als ideo-

Bestätigung suchte oder Fluchten in die

logische und kulturelle Stimme der Res-

Z u k u n f t , in die Utopie auslöste, was

tauration angesehen, vor allem in Hin-

eine Beschäftigung mit der Gegenwart

blick

der

ausschloß. Goethe meinte, das Roman-

Versuch, diese Bewegung politisch zu

tische verkörpere »das K r a n k e « , und

deuten, führt auf Abwege, denn sie zog

die moderne Psychologie bestätigt seine

Revolutionäre wie Konservative, Pro-

Diagnose in gewisser Hinsicht. R. Le

gressive wie R e a k t i o n ä r e an. Gemein

Forestier k a m zu einem ähnlichen Urteil

w a r ihnen eine Weitsicht jenseits der

hinsichtlich der Geschichte der Frei-

realen Antriebskräfte der Geschichte,

maurerei, als er den Ursprung des Tem-

die zu einer H i n w e n d u n g z u m Ab-

pler-Phänomens untersuchte (siehe S.

soluten f ü h r t e und in der Vergangenheit

5 3 - 5 5 ) . Er meinte, in der zweiten Häl-

auf

Deutschland.

Aber

Der Alte und Angenommene Schottische Ritus Die rasche Verbreitung der Freimaurerei in den Vereinigten Staaten erklärt sich nicht zuletzt aus dem Bedürfnis, feste Formen der Versammlung zu finden, die sich auf ein historisch-kulturelles Erbe beziehen, das diejenigen, die bereits in der neuen Welt siedelten, und diejenigen, die aus den unterschiedlichsten Gründen dorthin emigrierten, miteinander verband. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts spiegelten die Logen in den Vereinigten Staaten die europäische Logenlandschaft wider. Es gab also neben symbolischen Logen, das heißt diejenigen, die in die drei Basisgrade einweihten, auch andere, die nach dem Schottischen Ritus die Hochgrade oder Erkenntnisstufen praktizierten. Hier bezog man sich auf den Ritus von Herodom, auch »Ritus der Kaiser des Orients und Okzidents« genannt, der wie das Kapitel von Clermont mit der Templerbewegung (siehe S.53-55)

66

verzahnt war. Am 31. Mai 1801 wurde in Charleston in South Carolina der erste Oberste Rat des 33. und letzten Grades des Alten und Angenommenen Schottischen Ritus gegründet. Dieser sollte jede ältere Form des Schottischen Ritus erneuern und ersetzen, auch in Europa einschließlich Italiens. Zu Italien sei vermerkt, dass »eine stabile Organisation der Zentren der italienischen Freimaurerei in den Jahren 1814-1859 aufgrund der politisch-militärischen Geschehnisse zumindest teilweise verschwunden war und es meistens die Inhaber der Hochgrade nach Schottischem Ritus waren, die die Initiationen weitergaben und so ein Fortbestehen der Freimaurerei gewährleisteten. Dies erklärt, warum der Ritus in Italien nach der Einigung und bis in die ersten Jahrzehnte des zwanzigsten Jahrhunderts hinein so berühmt war« (M. Moramarco: Nuova Enciclopedia MassonicaJ.


Die »romantische« Freimaurerei Beatrice wendet sich

an Dante von William Blake (1757-1827), Täte Gallery, London. Blake ist der esoterischen Freimaurerei auch heute noch sehr teuer, die unter anderem eine geistige Verwandtschaft zu seiner Spiritualität empfindet, die ihn zu dem Ausspruch brachte: »Jene, die ihre Sehnsucht zu zügeln wissen, können das nur, weil ihre Sehnsucht schwach genug ist, um beherrscht zu werden«.

fte des 18. Jahrhunderts hätten die Mys-

Kirche Christi oder Kirche der ersten

tiker die Philosophie der A u f k l ä r u n g

Christen«

ersetzt, so sei das »unterdrückte« reli-

wechselhaften Geschichte um 1840 auf-

giöse Gefühl in psychopathischer Form

hörte zu existieren.

wiederaufgetaucht

Der Schriftsteller Gérard de Nerval

(Die

templerische

und okkultistische Freimaurerei im

genannt,

die

nach

einer

18.

( 1 8 0 8 - 1 8 5 5 ) versuchte die Bewegung

und 19. Jahrhundert, Bd. I: Die Strikte

der Tempelritter in Frankreich wieder-

Observanz). Im Zeitalter der Romantik

zubeleben. Er war Freimaurer, stand

war die Templerbewegung nämlich wei-

aber

terhin

Spielarten

verschiedenen Okkultisten. Den Ur-

M o d e , angefangen mit der Loge der

sprung der Freimaurerei sah er in einer

Ritter vom Kreuz, die d e m G r a n d

Synthese zwischen der christlichen Tra-

Orient

dition und der Spiritualität der Völker

in

verschiedensten

in Frankreich

angeschlossen

auch

in

enger

des N a h e n

Palaprat gründete einen Orden, der von

Drusen, die die historischen Templer

einer

während ihres Aufenthaltes im Heiligen

Mittelalter-

vor

allem

zu

war. Und der Arzt R a y m o n d Fabrefantasiereichen

Ostens,

Beziehung

der

sehnsucht geprägt war. Er löste sich

Land beeinflusst hatten.

aber bald von der Freimaurerei u n d

Persönlichkeiten

m ü n d e t e 1828 in die Konstitution der

und Nerval verband die Abneigung

»erhabenen Einweihung, auch Heilige

gegen den katholischen Klerikalismus.

wie

Fabré-Palaprat

67


Wechselwirkung mit der Geschichte _ Um die Werte der esoterischen Freimau-

Epoche der Romantik darf m a n jedoch

rerei zu verbreiten, g r ü n d e t e der eine

keinesfalls auf die Templerbewegung

eine

reduzieren.

Kirche,

während

der

andere

Templer und D r u s e n , allerdings o h n e

Der

jedes historische F u n d a m e n t , als ideale

( 1 7 5 3 - 1 8 2 1 ) war ein Gegner liberaler

Modelle für eine Opposition darstellte,

und demokratischer Ideen und vertrat

in der sich damals die unterschied-

rigide, dogmatische Positionen sowohl

lichsten Kräfte sammeln sollten, um

im Bereich der Politik als auch der Kon-

sich

Miss-

fession. Er war ein unermüdlicher Ver-

bräuche durch Klerus und Feudalherren

teidiger des absoluten Primates der ka-

zu stellen.

tholischen Religion und hielt engen

In den Vereinigten Staaten hingegen

Anschluss an den christlichen Glauben

entwickelte sich Rittermaurerei in der

für notwendig, nicht n u r um das allen

Diskretion und Verschwiegenheit der

Menschen gemeinsame »geistliche Be-

Logen. Eine der auffälligsten Persön-

dürfnis« zu befriedigen, sondern auch,

lichkeiten w a r dabei der General Albert

um das Ideal der universalen Brüder-

Pike ( 1 8 0 9 - 1 8 9 1 ) . Pike, 1850 in Little

lichkeit Wirklichkeit werden zu lassen.

Rock in A r k a n s a s in die Freimaurerei

Der Philosoph Maine de Biran ( 1 7 6 6 -

eingeweiht, wechselte zwischen seiner

1824) w a r Mitglied beim G r a n d Orient

juristischen und militärischen Tätigkeit.

de France. Sein Denken g e w ä h r t Ein-

gegen

die

anhaltenden

Savoyarde

Joseph

de

Maistre

Im Krieg gegen M e x i k o f ü h r t e er eine

blick in den Übergang der französischen

Schwadron Kavalleristen an, im Bürger-

Freimaurerei vom Deismus und vom

krieg kämpfte er auf der Seite der Kon-

religiösen Skeptizismus der Aufklärung

föderierten. Aber vor allem studierte er

und der Revolutionszeit hin zu Formen

die »heiligen Sprachen« (Hebräisch,

einer angewandten Spiritualität. Diese

Sanskrit und Persisch) und die indo-ira-

wird

nischen Religionen. Diese Kenntnisse

Schmerz, dem Tod und dem Mysterium

flössen in die Ausarbeitung der G r a d e

der Unsterblichkeit der Seele motiviert.

des

Sein

Schottischen

Ritus

ein,

dessen

von der

Tagebuch

Begegnung mit d e m

(1792-1824)

weist

» G r o ß k o m m a n d e u r des Obersten Rates

typisch romantische Gedanken auf, wie

der Südlichen Jurisdiktion« er 1859

das Bedürfnis, hinab zu den Wurzeln

wurde. Doch trotz allem w a r auch Pike

der eigenen Innerlichkeit zu steigen, zu-

Kind

vom

erst einer auf sich selbst bezogenen

sezessionistischen Milieu von Arkansas,

Freiheit zu folgen und die Beziehungen

sprach er sich gegen den Beitritt far-

zwischen den Leidenschaften der Seele

biger M ä n n e r in die Freimaurerei aus.

und der M o r a l auszuloten. N a c h den

Die Geschichte der Freimaurerei in der

Geschehnissen

68

seiner

Zeit:

beeinflusst

der

Schreckensherr-


Die »romantische« Freimaurerei Ein Büro der Bank of England, das nach einem Entwurf des freimaurerischen Architekten J. Soane (1753-1837) entstand. Zu Zeiten der Romantik gab es eine lebhafte und weitverbreitete Präsenz von Freimaurern in allen Bereichen der Kultur, von der Architektur (erwähnt sei auch J. Hoban, der das Weiße Haus in Washington entwarf) bis zur Musik (F. Liszt, N. Paganini, H. Berlioz), von der Literatur (R.Burns.F.M. Klinger, W.Scott) zur Wissenschaft (L.-N. Carnot, P. S. Laplace, E. Jenner).

schaft b e r u f t er sich auf jene »Weis-

schichte und als auch in der N a t u r zwei

heit«, die die Menschheit vergessen zu

im Wesentlichen ähnliche Mittel Gottes

haben scheint. Gegen N a p o l e o n hegt er

zur Erziehung der Menschheit. Schlegel

Misstrauen. M i t A n b r u c h der Res-

lobte die menschliche Schöpferkraft, die

tauration sollen die aufgeklärten Kräfte

sich hauptsächlich frei und spontan in

einen Ausgleich zwischen dem Wohl der

der Dichtung ausdrücke. J. G. Fichte

Bürger und einer stabilen legitimen Re-

( 1 7 6 2 - 1 8 1 4 ) , der Urheber des Idea-

gierung fördern.

lismus, setzte den realen gesellschaft-

Wichtig für die R o m a n t i k waren die

lichen Verhältnissen

deutschen Freimaurer J.

G. H e r d e r

»philosophische Revolution« entgegen,

( 1 7 4 4 - 1 8 0 3 ) und F. Schlegel ( 1 7 7 8 -

die auf der Vorherrschaft des »Geistes«

1829). Herder sah sowohl in der Ge-

gegründet war.

eine ehrgeizige


Wechselwirkung mit der Geschichte _

Freimaurerei und Sozialismus Gemäßigter

Adel

liberales

Ängste gegenüber mehr oder minder ge-

Bürgertum brachten nach dem Auf-

heimen Versammlungen. D a v o n be-

stand von Paris im J a h r e 1830 anstelle

troffen w a r auch die Freimaurerei, ob-

von

Nachfolger

wohl sie sich, n a c h d e m sie sich unter

Ludwigs XVIII., Louis Philippe von

N a p o l e o n zu sehr exponiert und die

Orleans

wirt-

Konsequenzen d a r a u s zu tragen hatte,

Frankreichs

nun darauf achtete, sich rigoros aus

Charles

X.,

auf den

schaftliche

und

dem Thron.

Entwicklung

Die

unter der Herrschaft von Louis Philippe

politischen

verschärfte die sozialen S p a n n u n g e n ,

Wenn es tatsächlich stimmt, dass der

Debatten

die in mehrere, blutig unterdrückte

m o d e r n e Begriff »Sozialismus«

Revolten mündeten. Der sich daraufhin

ersten Mal 1830 vom Saint-Simonisten

entwickelnde Sozialismus verbreitete

P. Leroux, Mitglied der Loge Droits de

sich rasch und entfachte von N e u e m

l'Homme

von

rauszuhalten.

Grasse,

zum

verwendet

wurde, lassen sich bestenfalls

Ver-

bindungen

der

Freimaurerei

mit

dem sogenannten »utopischen Ein Stich, der Fouriers sogenannte »Pagesses« darstellt (aus einem der sozialistischen Bewegung gewidmeten Buch des 19. Jh.). Ähnlichkeiten und eventuelle Beziehungen zwischen der Freimaurerei und dem utopischen Sozialismus scheinen nur moralischer Art zu sein: beide haben eine humanitäre Gesinnung.

70


Freimaurerei und Sozialismus

Der Volksaufstand vom Juli 1830 in Paris. Während der Regierung von Louis Philippe beschäftigte sich die französische Freimaurerei, die unter den Diskussionen zwischen Grand Orient und Oberstem Rat litt, vor allem mit internen Problemen und enthielt sich jeder Stellungnahme in politischer oder sozialer Hinsicht. Trotz diverser Versuche (1835 und 1841) war es jedoch unmöglich, eine Einigung der Riten herbeizuführen. Infolge der politischen Umwälzungen von 1848 lösten sich die sieben Logen vom Obersten Rat ab, um die Grande Loge Nationale de France zu bilden. Sie war zwar in ihrer Heimat nicht anerkannt, aber es gelang ihr, Beziehungen zur ausländischen Freimaurerei zu knüpfen, bevor sie im Januar 1851 von der Polizei für aufgelöst erklärt wurde.

71


Wechselwirkung mit der Geschichte _ Unterschiede zwischen Sozialismus und Freimaurerei »[...] das heutige Ziel einer Vereinigung wie der Euren muss sein [...], die Wahrheit und die Arbeit bei den Massen zu verbreiten, kein gegebenes Wort zu halten, das quasi ein Privileg der Eingeweihten ist, das man einander unter Überzeugten anvertraut, ohne Verbreitung nach außen. Zu sehr noch nehmen wir jetzt, da es doch weit weniger nötig ist, das Verhalten und den Gestus von Verschwörern ein. Die ökonomischen und moralischen Evolutionen und Revolutionen (...) macht man jetzt nicht mehr, wie manchmal die Politik, aus dem Impuls und der Beschlussfassung weniger geheimer Verbrüderter heraus, die einem Losungswort gehorchen und einem Zeichen treu sind. Man kann in dieser so grundlegenden Materie nichts Stabiles

erhalten, das nicht von den meisten oder den Stärkeren, die niemals wenige sein könnten, gewollt würde. Etwas, das nicht sozusagen das Resultat der Dinge selbst ist, des objektiven und subjektiven, materiellen und moralischen Grades an Entwicklung der Fakten, auf denen agiert wird, sowie der Menschen, die agieren müssen, oder die sich zumindest den neuen und ersehnten Arten des Tuns und des Lebens anpassen müssen. Auch die politischen Revolutionen heute (für diejenigen, die diesem Ziel Bedeutung beimessen), heute, da wir keine Fremdherrschaften mehr am Hals haben: Man könnte sie nicht in aller Stille vorbereiten, freimaurerisch, im Dunkel privater Versammlungen, ohne Öffentlichkeit und ohne Echo.«

Oben: Ausschnitt aus einer an junge Menschen gerichteten Rede Turatis, in der er die wesentliche Neuerung der sozialistischen Bewegung nach der Einigung Italiens hervorhebt: man kapselt sich nicht mehr in Logen und konspirativen Clubs ab.

72


Freimaurerei und Soziaiismus

Die Lehre ist ein Thema, das sowohl den Freimaurern als auch den Sozialisten am Herzen liegt. Auf der nebenstehenden Seite ein »idealer Kindergarten« aus Fouriers Phalanstère. Auf dieser Seite der Buchdeckel des Buches Cuore (1905) von Edmondo De Amicis. Durch seine Mitgliedschaft sowohl hei den Freimaurern als auch den Sozialisten verwirklichte der ligurische Schriftsteller seine Ideale der Humanität und Solidarität, wie er sie auch in seinen Erzählungen für Kinder zum Ausdruck brachte. Sozialismus« herstellen. Hier sind vor allem die Ansätze von Claude-Henri de Rouvroy, Graf von Saint-Simon ( 1 7 6 0 1825)

und

François

M. C.

Fourier

( 1 7 7 2 - 1 8 3 7 ) zu nennen, die auf einem allgemeinen Unitarismus basierten, zum Teil von christlichen Grundsätzen inspiriert. Es heißt, die beiden hätten eine frcimaurerische Bildung genossen. In ihrem

Werk

lässt

allerdings

Buonarroti (siehe S. 65) und Louis-

keinerlei Interesse für den initiatischen

Auguste Blanqui ( 1 8 0 5 - 1 8 8 1 ) entschie-

Charakter

den revolutionäre Züge.

des

sich

Ordens

erkennen.

Fourier sagt sogar, die Möglichkeit, die

N o c h viel gegensätzlicher erscheinen

der O r d e n böte, werde nicht f ü r eine

die theoretischen Positionen erstens im

soziale und moralische Reform der

Werk von P.-J. Proudhon ( 1 8 0 9 - 1 8 6 5 ) ,

Gesellschaft genutzt, wie es eigentlich

der selbst Freimaurer war, und zweitens

seine Pflicht wäre.

im

Was das Aktivwerden angeht, unter-

Sozialismus«, wie K. M a r x (1818—

scheiden sich Freimaurerei und Sozia-

1883) seine zusammen mit F. Engels

lismus s t a r k . So erinnerten sich die

(1820-1895)

Sozialisten an François-Noël Babeuf,

nannte.

der 1796 eine Verschwörung angezet-

Tatsächlich stehen die Thesen vom Pri-

telt hatte, um das D i r e k t o r i u m zu

m a t der Wirtschaft, v o m spezifisch

stürzen und eine »Republik der Glei-

Menschlichen in Produktionsverhält-

chen« zu errichten. Der Sozialismus

nissen,

bekam

schichtliches Prinzip sowie die Ab-

vor

allem

durch

Filippo

sogenannten

vom

»wissenschaftlichen

ausgearbeitete

Klassenkampf

Lehre

als

ge-

73


Wechselwirkung mit der Geschichte _

lehnung der Religion völlig a u ß e r h a l b der »Grenzen« der Freimaurerei (siehe

Ein Symbolbild des Sozialismus von Giuseppe l'ellizzari da Volpedo (1868-1907).

S. 1 0 2 - 1 0 3 ) . Dies hat nicht verhindert, dass einzelne

»Und seit damals w a r mir klar, dass die

Freimaurer in den Reihen sozialistischer

Freimaurerei einen gewissen Einfluss

Verbände kämpften. In Italien wäre als

auf den italienischen Sozialismus aus-

Beispiel Andrea Costa ( 1 8 5 1 - 1 9 1 0 ) zu

übt. Es k a m vor, dass bestimmte Ver-

e r w ä h n e n . Er w a r s o w o h l nachgeord-

haltensweisen der parlamentarischen

neter Großmeister des G r a n d e Oriente

Fraktion,

d'Italia als auch G r ü n d e r des Partito

gewisser Gremien das Ergebnis von

Socialista Rivoluzionario di R o m a g n a

Verhandlungen waren, die in den Logen

(1881) und erster gewählter sozialis-

stattgefunden

tischer Abgeordneter (1882) in Italiens

irdische P h ä n o m e n hatte so gewaltige

parlamentarischer

Offi-

Ausmaße, dass [...] die Sozialistische

zielle sozialistische Organe machten der

Partei fast einstimmig die Unvereinbar-

Freimaurerei zu Beginn des zwanzigsten

keit zwischen Freimaurerei und Partei

J a h r h u n d e r t s den V o r w u r f , ihre h u -

proklamiert hat«.

manitären Ansprüche hätten die Partei

Auch unmittelbar nach d e m Zweiten

geschwächt, eine Position, die auf dem

Weltkrieg und in den 1970er-Jahren

Kongress von A n c o n a 1 9 1 4 vertreten

machten sich sozialistische Kreise in Ita-

w u r d e . Mussolini fasste sie elf J a h r e

lien Sorgen, Kontakte zu Geheimgesell-

später

schaften würden dem Image der Partei

74

Geschichte.

folgendermaßen

zusammen:

gewisser

hatten.

Zeitungen

Dieses

und

unter-


Freimaurerei und Sozialismus Die Militärs kontrollieren den Präsidentenpalast von Santiago nach dem Staatsstreich, der die Regierung Salvador Allendcs niederschlug und diesen das Leben kostete.

nisse aufrechtzuerhalten. So konnten zwei Persönlichkeiten der lateinamerikanischen Freimaurerwelt das höchste politische Staatskönnten

amt ausüben: Lazaro Cardenas, Prä-

Druck auf das nationale politische Le-

sident der Republik M e x i k o zwischen

ben ausüben.

1934 und 1940, der eine Agrarreform

Völlig anders w a r e n dagegen die Be-

und die Verstaatlichung der Erdölin-

ziehungen zwischen Freimaurerei und

dustrie förderte, und Salvador Allende,

Sozialismus

der

schaden

oder

in

Freimaurer

Lateinamerika.

Hier

1970

mit

Unterstützung

der

musste eine Einheitsfront gebildet wer-

sozialistischen, kommunistischen, radi-

den (nicht zufällig n a h m und nimmt

kalen und katholischen Kräfte, die in

hier immer auch die katholische Kirche

der Koalition der Unidad Populär ver-

d a r a n teil), um Diktaturen Paroli zu

einigt w a r e n , Präsident der Republik

bieten und sich gegen Wirtschaftskräfte

Chile wurde. Allende war Meister vom

zu w e h r e n , die unter zynischer Ver-

Stuhl der Loge H i r a m Nr. 66 in San-

achtung elementarster Menschenrechte

tiago; er fiel 1973 Pinochets Staats-

entschlossen sind, soziale Missverhält-

streich zum Opfer.

75


Wechselwirkung mit der Geschichte _

Freimaurerei und geeintes Italien Der geeinte Oriente

Staat und der Grande

d'Italia

Bis zum Zweiten Unabhängigkeitskrieg arbeiteten viele Freimaurer im Untergrund und brachten ihren persönlichen Idealismus theoretisch und praktisch für das sogenannte italienische »Risorgimento« ein. M i t der

Bildung eines italienischen

G r a n d e Oriente 1859 strebte der Orden, ausgehend von der Loge Ausonia in Turin, nach einer eigenen institutionellen Identität. In einer geschichtlichen Situation, in der m a n sich unmöglich

einer

politischen

Position

enthalten konnte, kamen die Initiatoren größtenteils aus d e m politischen Umfeld Camillo Cavours. Auch unter diesem Aspekt unterschieden sie sich von der Freimaurerei

nach Schottischem

Ritus, die in Palermo sehr rege w a r und in der sich die garibaldinischen Patrioten nur so drängten. Erst 1874 hatte m a n sich auf eine einheitliche Freimaurerkonstitution geeinigt, die in R o m erlassen w u r d e , das erst seit drei J a h r e n

Das von Ettore Ferrari ausgeführte Denkmal für Giordano Bruno befindet sich auf dem Campo dei Fiori in Rom.

H a u p t s t a d t des geeinten Italien war.

1894 mindestens acht gab. Die härteste

Tatsächlich w a r e n sich beide Richtun-

w a r im Jahr 1884 die Enzyklika Huma-

gen bezüglich der »Römischen Frage«

narum genus von Leo XIII. Dieser Papst

einig. Beide verband auch weiterhin ein

dachte nicht d a r a n , auf die weltliche

lebhafter Antiklerikalismus, nicht zu-

M a c h t der Kirche zu verzichten, über-

letzt als A n t w o r t auf wiederholte anti-

zeugt davon, sie sei für den Pontifex un-

freimaurerische

abdingbar zum

Äußerungen

des

Papstes, w o v o n es zwischen 1 8 2 1 und

76

Schutz der Freiheit

geistlicher M a c h t . Zwischen 1886 und


Freimaurerei und geeintes Italien

1890 gab es einen Versöhnungsversuch mit dem italienischen Staat, aber die Verhandlungen mit Francesco Crispi, einem

Staatsmann

mit

freimaure-

Die Abgeordneten des ersten italienischen Parlaments (in dessen Reihen es viele Freimaurer gab), einzeln porträtiert von Peter van Elven.

zu

Brunos s t a m m t e von Ettore Ferrari,

keinem Ergebnis. Möglicherweise führ-

dem späteren Großmeister des Grande

te auch die Enthüllung des D e n k m a l s

Oriente d'Italia.

für G i o r d i a n o Bruno 1889 auf dem

Generell t r u g die Freimaurerei in den

C a m p o dei Fiori in Rom dazu, dass sich

Jahren, in denen ein geeinter italie-

die

nischer Staat entstand, viel zur Bildung

rischem

Hintergrund,

führten

Beziehungen des Vatikans

zum

Quirinal verschlechterten. Bei dieser

einer neuen

Gelegenheit n a h m e n über dreitausend

schicht bei. Diese entsprach jenem Bür-

Freimaurer an der Feier teil und ließen

gertum, das sich als Erbe jener Werte

den »Märtyrer des freien Gedankens«

fühlte, um die es in den Kämpfen des

hochleben.

Risorgimento gegangen war.

Das Denkmal

Giordano

italienischen

Führungs-

77


Wechselwirkung mit der Geschichte _ Reproduktion eines Siegels des Rito Simbolico Italiano, der sich 1876 in Mailand konstituierte und bis heute aktiv ist. Unter den italienischen Logen war diese in der Frage um die moralische Bildung der italienischen Führungsklasse in der Vergangenheit am sensibelsten.

Was die Ideologie betrifft, w a r e n die

u n u n t e r b r o c h e n f ü h r t e , und A d r i a n o

Losungen eher von a b s t r a k t e n Prin-

Lemmi,

zipien inspiriert: Fortschritt, Brüderlich-

Oriente d'Italia zwischen 1 8 8 5 und

keit, Solidarität, Lob der Arbeit, Eini-

1895, verband eine gemeinsame gari-

g u n g der verschiedenen Gesellschafts-

baldinische Vergangenheit sowie eine

klassen ... Der Konflikt mit der katho-

enge Freundschaft.

lischen Kirche und die g r o ß e n Dif-

Seit Ende des 19. Jahrhunderts suchten

ferenzen in der wirtschaftlichen und

die Spitzen des Staates das Gespräch

sozialen O r d n u n g der verschiedenen

mit

italienischen

wenn

Regionen

trugen

nicht

der es

Großmeister

italienischen um

des

Grande

Freimaurerei,

die g r o ß e n

politisch-

eben zur Verwirklichung dieser Prin-

ökonomischen T h e m e n der Zeit ging.

zipien bei. Symbolfigur dieser Epoche

Lemmi, der im Ruf eines »Bankiers des

war

Carducci

Risorgimento« stand, w a r 1892 in den

( 1 8 3 5 - 1 9 0 7 ) , ein Intellektueller und

Finanzskandal der Banca R o m a n a ver-

radikaler Freimaurer. Er stieg in der Ära

wickelt. Um zu verhindern, dass der

des politischen Erfolgs von Francesco

Skandal der Freimaurerei schade, trat er

Crispi zu den höchsten O r d e n s g r a d e n

1 8 8 5 von seinem Amt als Großmeister

auf.

zurück, o b w o h l er vor Gericht frei-

der

Dichter

Giosue

gesprochen worden war. Die

»profanen Projektionen«

lienischen

der ita-

Freimaurerei

Der Skandal der Banca R o m a n a hatte auch Giovanni Giolitti zum Rücktritt

Francesco Crispi, der die die Regie-

gezwungen, der von 1892 bis 1 8 9 3 ,

rungsgeschäfte von 1 8 8 7 bis 1896 fast

w ä h r e n d einer U n t e r b r e c h u n g der Re-

78


Freimaurerei und geeintes Italien Giosue Carducci (hier während einer iversitätsvorlesung) war der vielleicht berühmteste Freimaurer des geeinten Italien, sei es in seiner Rolle als »Staatsdichter«, sei es als Lehrer und Gelehrter.

j e d m politischen Lager gab es Persönlichkeiten, die der

Freimaurerei

verbunden waren. Ernesto

Nathan,

der von 1896 bis 1904 den O r d e n leitete,

meinte

dazu: »Die politische Farbe [der Freimaurerei]

ist

das Weiß, die Syngierungstätigkeit Crispis, das A m t des

these

Ministerpräsidenten

und

Schwarz, der Verneinung des Lichtes«.

1910 gewählter Senator wurde. Die so-

Die konservativen und liberalen N a -

genannte »Ära Giolitti« begann tat-

tionalisten

sächlich erst 1903 und endete 1913. Im

freimaurerischen

Laufe dieses Jahrzehnts wurde der Na-

Verbündeten der radikal-sozialistischen

tionalismus, den s o w o h l konservative

Blöcke.

als auch demokratische Kräfte gut-

entweder in der Tatsache zu suchen

hießen, z u m gemeinsamen Nenner ver-

sein, dass viele militante D e m o k r a t e n

schiedenster politischer Ideologien. In

Z u f l u c h t in den Logen gesucht hatten,

innehatte

aller

Die

anderen

sahen

Farben

jedoch

außer

in

den

Organisationen die

Gründe

dafür

mögen

79


Wechselwirt

mit der Geschichte

Die Freimaurerei fand sich gegenüber Mussolini in der Situation wieder, von der Verbündeten-Rolle in die »feindliche« Rolle geraten zu sein. Oben: Verhaftung nach einer interventionistischen Veranstaltung. Unten: Auszüge aus der Rede zur Vorlage des Antifreimaurergesetzes. Mussolini behauptete, dass die italienische Gesellschaft von einer Schar mittelmäßiger Männer beherrscht werde, die nur an die Macht kamen, weil sie Freimaurer seien.

Aus der Rede Mussolinis vor dem Parlament (16. Mai 1925) » Während dieser Monate in der Regierung [...] habe ich festgestellt, dass die Freimaurerei ihre Männer in dem, was ich den Lebensnerv des italienischen Lebens nenne, untergebracht hat. Es ist beispiellos, dass Beamte höchsten Ranges die Logen frequentieren, die Logen informieren, Befehle von den Logen erhalten. Es gibt keinen Zweifel daran, dass die empfindlichsten Institutionen des Staates [...] unter dem Einfluss der Freimaurerei gelitten haben und leiden. Das ist unzulässig, das muss aufhören.« Und schließlich endet Mussolini mit der Erklärung: »Die

80

Freimaurerei hat uns bekämpft, sie hat uns schikaniert, sie hat versucht, uns zu teilen und zu zersetzen, und in bestimmten Städten ist es ihr gelungen, ein Dissidententum zu schaffen, das idiotischer als üblich ist, weil es diese unterirdischen Ursprünge hat. Aus all diesen Gründen, wenn es nicht noch andere gäbe, sind ivir in unserem vollen und sakrosankten Recht, uns zu verteidigen und anzugreifen«. Das Gesetz zum Verbot von Geheimgesellschaften, das Mussolini vorschlug und mit Bezügen ausschließlich auf die Freimaurerei illustrierte, wurde 3 Tage später angenommen.


Freimaurerei und geeintes Italien als im reaktionären Biennium der Regierung

Pelloux

gegen

Ende

des

19. Jahrhunderts die Sektionen der Parteien geschlossen und die oppositionelle Presse abgeschafft wurde, oder aber auch in den anhaltenden Auseinandersetzungen mit der Kirche von R o m (siehe S. 7 6 - 7 7 ) . Jedenfalls attackierte zum Beispiel der liberale Philosoph Benedetto

Croce

(1866-1952)

auf

Grundlage dieser Überzeugung »die

Giovanni Giolitti. Die guten Beziehungen zwischen dem politischen Block Giolittis und der italienischen Freimaurerei gingen in die Brüche, als der Staatsmann gegenüber den Klerikalen und in der Frage des Interventionismus nachgab.

idiotische Freimaurerreligion« als ein Erbe,

das

man

der

Französischen

Revolution zu verdanken habe. Auf der anderen Seite ließ sich die ideologische Polemik in einer historischen Epoche nicht vermeiden, in der die italienische Freimaurerei

offenbar

nicht

die

Weisheit oder den Willen besaß, sich »profaner Projektionen« zu enthalten,

w a r e n . W ä h r e n d eines Konventes der

wie der freimaurerische Historiker A.

W ü r d e n t r ä g e r des Schottischen Ritus

A. Mola schreibt.

aus verschiedenen, alliierten und neu-

Die fragwürdigste dieser »Projektio-

tralen Ländern im Jahr 1917 in Paris

nen« w a r vielleicht die offen inter-

stimmte auch die italienische Vertretung

ventionistische Position zu Beginn des

einer grundsätzlichen Forderung zu: die

Ersten Weltkriegs. Der G r a n d e Oriente

vom

stellte sich nämlich an die Seite von

rungen ethnisch gemischter Regionen

Konservativen, Liberalen, Demokraten,

sollten nach Kriegsende mittels eines

Anhängern

Anarcho-Syn-

Referendums über die eigenen Grenzen

dikalisten und Anarchisten und sprach

abstimmen d ü r f e n . Der G r a n d e Ori-

sich für einen Kriegseintritt Italiens aus.

ente, des Verrates beschuldigt, wider-

D a m i t riskierte er, die Z u s t i m m u n g der

sprach der von seiner Vertretung in

Basis zu verlieren. Zu dieser zählten

Paris

nämlich a u c h Befürworter der Neu-

unterstützte hingegen offiziell die An-

tralität, die dem Block Giolittis oder der

sprüche der nationalistischen Front auf

Sozialistischen Partei nahe standen und

die Gebiete der Adriaküste im östlichen

absolut

Mittelmeer sowie der Kolonien.

Mazzinis,

keine

»Interventionisten«

Konflikt

betroffenen

eingenommenen

Bevölke-

Position

und

81


Wechselwirkung mit der Geschichte

Freimaurerei made in USA Die Geschichte der Freimaurerei ge-

rischen und der kollektiven Geschichte

staltet sich in den Vereinigten Staaten

mit sich. H ä u f i g hatten politische und

deutlich anders als in romanischen

wirtschaftliche F ü h r u n g s k r ä f t e hohe

Ländern. Die Institution ist seit den

Positionen in der Freimaurerhierarchie

1730er-Jahren

inne. So w a r e n zahlreiche Präsidenten

in

den

Vereinigten

Staaten engmaschig verbreitet, heute

Mitglieder

zählt man d o r t 49 Großlogen mit mehr

Freimaurerei, die sich als eine Art Labor

als drei Millionen

zur

Mitgliedern. Die

der

leadersbip

nordamerikanischen des

Landes

erwies.

Vielfalt der religiösen Konfessionen hat

Aber auch in den USA konnte sich die

verhindert, dass ein langer Konflikt mit

Freimaurerei

der katholischen Kirche die gleichen

ganz entziehen und gewisse Wider-

schädlichen Folgen nach sich gezogen

sprüchlichkeiten waren unvermeidlich.

hätte wie in Europa. Dies brachte eine

Ein Beispiel d a f ü r ist eine Ä u ß e r u n g

engere und gleichzeitig transparentere

gegen

Verflechtung zwischen der freimaure-

1948, w a s ja dem Prinzip widerspricht,

den

Konfrontationen

Kommunismus

nicht

im J a h r

Theodore Roosevelt (1858-1919), einer der Präsidenten der USA, der auch Freimaurer war. Während seines Mandates (1901-1908) erweiterte er den Einfluss der USA in Lateinamerika, indem er die Tendenz des US-amerikanischen Kapitals unterstützte, dem Kontinent den sogenannten »Dollarimperialismus« aufzuzwingen. Bereits seit den Zeiten J. Monroes (Präsident von 1816-1824 und ebenfalls Freimaurer) verbarg diese Tendenz ganz reale monopolistische Wirtschaftsinteressen hinter dem Bild eines Landes, das die Freiheit der Völker vor dem europäischen Kolonialismus verteidigte.

82


Freimaurerei made in USA Arbeiter am Fließband bei Ford in Detroit, die das berühmte Modell »T« zusammensetzen, das erste serienmäßig hergestellte Automobil der Geschichte. als Institution auf die Politik keinen Einfluss zu nehmen. N o c h größeres Unbehagen löst die Frage n a c h den Beziehungen zur farbigen Bevölkerung aus. Die Freimaurerei sagte sich zwar von Organisationen wie dem Ku Klux Klan los, aber m a n darf nicht vergessen, dass ausgerechnet Albert Pike (siebe S. 68), dem m a n die Aufstellung der in den USA immer noch praktizierten schottischen Grade verdankt, dem moderaten Flügel des Klans angehörte. Einer rassistischen Tradition folgend, setzen sich in einigen Staaten Logen noch immer ausschließlich aus Weißen zusammen, auch wenn Schwarzen rein

anderem a n , dass für bestimmte Ge-

formal

verwehrt

hirnarten das Denken eine Q u a l sei.

würde. Diese ziehen es andrerseits vor,

Das biblische Gebot »Du sollst nicht

in den ausschließlich Farbigen vor-

stehlen« interpretierte er reduzierend

behaltenen

zusammen-

als das heilige F u n d a m e n t des Privat-

zukommen, die nach dem Gründer der

eigentums. Aus Positionen heraus, die

ersten derartigen Loge seit Ende des

dem

18. J a h r h u n d e r t s Prince Hall genannt

genau entgegengesetzt waren, sah auch

werden. Heute gibt es neununddreißig

er in der Arbeit das, was den Menschen

dieser Logen.

positiv a u s m a c h t . Vor allem aber för-

Henry Ford ( 1 8 6 3 - 1 9 4 7 ) , der 1903 die

derte er eine antisemitische Kampagne

nach ihm benannte Automobilgesell-

und erreichte 1921, dass ein restriktives

schaft g r ü n d e t e , passte als Freimau-

Einwanderungsgesetz

rermeister der Loge Palestine in Detroit

wurde, das zum Ziel hatte, die Einwan-

die freimaurerische Ethik einer Welt-

derung von Juden in die Vereinigten

sicht a n , die von einem intellektuellen

Staaten von Amerika einzuschränken.

der

Eintritt

nicht

Großlogen

Elitedenken geprägt war.

wissenschaftlichen

Sozialismus

verabschiedet

Z u r Ver-

teidigung des Fließbands führte er unter

83


Wechselwirkung mit der Geschichte

Der Faschismus ... Im Jahr 1908 stand die italienische Freimaurerei (Grande Oriente d'Italia, mit Sitz im Palazzo Giustiniani) vor einer Spaltung, die zur Einsetzung eines Obersten Rates an der Piazza del Gesü in Rom führte, der vier Jahre danach beim Internationalen Konvent der Obersten Räte des Schottischen Ritus zugelassen wurde. Insbesondere die Freimaurerei von der Piazza del Gesü unterstützte den Aufstieg des Faschismus. Bereits 1919 hatte sie die Besetzung von Fiume unter dem Kommando von Gabriele d A n n u n z i o unterstützt. Aber auch der Großmeister des Grande Oriente, Domizio Torrigiani, wünschte nach dem sogenannten »Marsch auf Rom« der Regierung Benito Mussolinis Erfolg. Ein Jahr danach erklärte er jedoch, einige Grund-

prinzipien, z. B. die Freiheit, seien unverzichtbar. Torrigiani wurde daraufhin von der Regierung auf die Liparischen Inseln verbannt. Wenn man grundsätzlich der These folgt, die Freimaurerei von der Einigung Italiens bis zum Faschismus sei »die wahre und authentische Partei des italienischen Bürgertums« gewesen (E. Ragionieri: Storia d'Italia: dall'Unitä a oggi, Turin 1976), konnte der Orden nur die Sichtweiscn dieser Schicht und deren ernsthafte Schwierigkeiten Ende des Ersten Weltkriegs widerspiegeln. Die Wirtschaft war zusammengebrochen. Die Militärs waren bitter enttäuscht wegen des gebrochenen Versprechens, als Ausgleich für die Opfer an der Front Ländereien zu bekommen. Da war das Bedürfnis der Katholiken, ihre Identität zu definieren, indem sie sich sowohl von den Liberalen als auch den Sozialisten abhoben. Dann gab es noch Forderungen von Arbeitern und Gewerkschaften, die

Der »Marsch auf Rom« am 28. Oktober 1922.

84


Der Faschismus...

Eine bewaffnete Gruppe der »Roten Garden« in einer besetzten Fabrik in Turin (September 1920). Die Furcht, Italien könnte es der Sowjetunion gleichtun und die Initiativen der Arbeiter könnten in eine radikale Veränderung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Ordnung des Landes umschlagen, ist einer der Gründe, mit denen sich die Toleranz und Unterstützung von Seiten der staatlichen Bürokratie und des Militärs gegenüber den herrschenden faschistischen Schlägertrupps erklären lassen. als Bedrohung empfunden wurden und

Luigi Capello, der am »Marsch auf

die Angst vor einer »bolschewistischen

Rom« teilnahm. Als Letzterer allerdings

Revolution« auch in Italien schürten.

1925 aufgefordert wurde, sich zwischen

N a c h der Besetzung der Fabriken im

seiner Mitgliedschaft im Orden oder in

J a h r 1920 ließ die A n n a h m e , n u r ein

der Partei zu entscheiden, stand er zu

»starker

»rote

seinem Freimaurertum. Anschließend

Gefahr« abwenden, Großgrundbesitzer

wurde er zu dreißig Jahren Kerker ver-

im Süden sowie Gutsbesitzer und In-

urteilt, weil er angeblich ein Attentat

dustrielle im N o r d e n zusammenrücken,

auf das Leben des Duce geplant hatte.

die sich vom Kampf der Tagelöhner und

Unter den Freimaurern der Vereinigten

Arbeiter bedroht fühlten. In dem Block

Staaten machte m a n sich Sorgen wegen

sammelten sich auch Teile der Armee

der italienischen » U n r u h e n « . »Italie-

und der Bürokratie, ein nicht unerheb-

nisch« w a r im Z u s a m m e n h a n g mit den

licher Teil der freimaurerischen Basis

Ereignissen um Salsedo, Sacco und

Italiens. D a s Biennium von 1 9 2 0 - 1 9 2 2

Vanzetti

w a r eine Zeit interner Konflikte f ü r die

chistisch«

Freimaurerei. Es gab w o h l n u r sehr

Marsch auf R o m traf bei den dortigen

wenige

einem

Brüdern ein Beruhigungstelegramm der

U b a l d o Triaca, »Freundschaftsbürge«

Großloge ein: Italien sei endlich in eine

beim G r a n d Orient von Frankreich und

Ära der O r d n u n g und des Friedens

überzeugter Antifaschist, u n d einem

eingetreten.

Staat«

könne

Affinitäten

die

zwischen

ein

Synonym

geworden.

für Nach

»anardem

85


Wechselwirkung mit der Geschichte _ Die Freimaurer, die trotz der feindlichen Haltung des faschistischen Regimes keinerlei Dissens erklärten, waren zahlreich. Wegen seiner Bedeutung soll hier einer von ihnen, der Geschäftsführer der FIAT, Vittorio Valletta, erwähnt werden, der es verstand, die Firmenpolitik mit großem Geschick durch die gesamte Ära des Faschismus hindurch zu lenken (auf dem Foto eine Presse in der FIATFabrik).

Die Zeugenschaft Giovanni Amendolas Giovanni Amendola gehörte zu Zeiten des Aufstiegs des Faschismus zu den konsequentesten Vertretern der Freimaurerei und war bereit, für seine Prinzipien persönlich einzustehen. Er war 1920 Unterstaatssekretär im Finanzministerium, gründete dann »Ii Mondo«, die letzte der Zeitungen, die sich dem Regime ergaben. Nach dem Mord an Matteotti im Juni 1924 protestierte er heftig gegen dessen Mörder und ihre Auftraggeber, obwohl er bereits im Dezember des

86

Vorjahres bei einem Spaziergang im historischen Zentrum Roms von vier »Schwarzhemden« verprügelt worden war. Ein Jahr danach wurde er ein zweites Mal brutal zusammengeschlagen, wieder in Rom. Ein drittes Mal in Lucca sollte sich als tödlich erweisen. Im französischen Exil in Cannes starb er im April 1926 an den Folgen seiner Verletzungen. Sein Grabstein auf dem Friedhof der Croisette trägt die Inschrift: »Hier lebt Giovanni Amendola und wartet...«


Links: Giovanni Amendola, Freimaurer und Liberaler, gedenkt in Florenz des sozialistischen Abgeordneten und Generalsekretärs der PSU Giacomo Matteotti, der ermordet wurde, weil er das Klima der Einschüchterung angeprangert hatte, in dem sich die Wahlen von 1924 abspielten. Benito Mussolini startete im Februar 1923 eine antifreimaurerische Kampagne und forderte die Mitglieder der faschistischen Partei a u f , jede Verbind u n g zu den Logen zu lösen. Der Protest des Großmeisters Domizio Torrigiani wurde durch den amerikanischen Präsidenten W. G. H a r d i n g , 32. Grad des Alten und Angenommenen Schottischen Ritus, unterstützt. Er erklärte, er sei nicht bereit, die Akkreditierung

liches Rundschreiben, das einen gründ-

des neuen italienischen Botschafters in

lichen Kampf gegen die Freimaurerei

den USA entgegenzunehmen, wenn die

nahelegte.

Feindseligkeiten gegen die Freimaurerei

präsentierte ein Antifreimaurergesetz

in Italien nicht unterblieben. Nach dem

(siehe S. 80). N a c h dessen Billigung im

Tod H a r d i n g s wurden

November 1925 sah sich Domizio Tor-

faschistischen

Attacken

die brutalen

persönlich

die

rigiani zur Auflösung des O r d e n s ge-

Logen allerdings wieder aufgenommen.

zwungen. Im O k t o b e r 1926 wurde die

Großes Gewicht hatte dabei sicherlich

Obedienz (Großloge) von der Piazza del

die Position des aggressiven, antibür-

Gesü ebenfalls aufgelöst.

gerlichen und populistischen Flügels des

Brüder, die die eigene spirituelle u n d

Faschismus, denn dieser sah in den

moralische Identität hartnäckig ver-

liberalen Freimaurern, die der Partei

teidigten, riskierten nun Gefängnis, Ver-

beigetreten

und

b a n n u n g oder Exil. Und es gab jene

opportunistische, einzig von M a c h t -

Brüder, die weiterhin hoch angesehene

hunger beseelte Leute. Dazu k a m die

Positionen in der italienischen Gesell-

Position der katholischen Ex-Natio-

schaft bekleideten, wie Vittorio Valletta

nalisten, die erst seit wenigen M o n a t e n

( 1 8 8 3 - 1 9 6 7 ) , der von 1929 bis 1946

vermehrt in die Partei geströmt waren.

Generaldirektor und Geschäftsführer

1925 verbreitete die Partei ein vertrau-

von FIAT war.

waren,

gegen

Mussolini

ehrgeizige

87


Wechselwirkung mit der Geschichte _

.. und der Nationalsozialismus Am

30.Januar

1933

wurde

Adolf

Hitler Reichskanzler und die N S D A P begann alle anderen politischen Kräfte in Deutschland auszuschalten. Die Partei hatte unter Hitler und mit Unterstützung Alfred Rosenbergs eine Ideologie e n t w o r f e n , die sich auf die Überlegenheit der

»arischen

Rasse«

berief, die das Recht habe, sich auf jede erdenkliche Art und Weise zu schützen. A u ß e r d e m nützte m a n die Angst vor dem Bolschewismus, der die schlimmste und gefährlichste Verkörperung einer degenerierten und inferioren Menschheit sei, die mit dem J u d e n t u m gleichgesetzt wurde. Im Hinblick auf die historische und kulturelle Realität der dämonisierten Kräfte w u r d e dieses Bild noch zusätzlich verzerrt durch die Überzeugung,

die

Freimaurerei

sei

der

»lange Arm des internationalen Judent u m s « ; gemeinsamen hätten sie es auf die Weltherrschaft abgesehen. N a t ü r l i c h hatte die Freimaurerei mit d e m K o m m u n i s m u s ü b e r h a u p t nichts gemein. Im 18. J a h r h u n d e r t war der Orden in Russland sehr s t a r k . Erst 1 8 2 2 w u r d e er d u r c h ein Dekret des Z a r e n geächtet. N a c h einem schwachen Wiederaufleben zu Beginn des 20. J a h r hunderts (Freimaurerei der Duma) mit einer politisch den Menschewiken nahe stehenden Orientierung, h a t t e er d e m Sieg der Bolschewiken nicht stand-

88

Französische Ausgabe der Protokolle der Weisen von Zion, eine berühmte Fälschung, die Anfang des 20. Jh in Russland entstand. Den angeblichen Verschwörern, die beabsichtigten, sich der Weltherrschaft zu bemächtigen, schreibt man folgende Absicht zu: »So lange wir noch nicht zur Herrschaft gelangt sind, müssen wir [...] in der ganzen Welt die Zahl der Freimaurerlogen möglichst vermehren. Wir werden den Einfluß der Logen dadurch verstärken, dass wir ihnen alle Persönlichkeiten zuführen, die in der Öffentlichkeit eine hervorragende Rolle spielen [...]. In diesen Logen werden die Fäden aller umstürzlerischen und freisinnigen Bestrebungen zusammenlaufen. [...] Die geheimsten Pläne der Staatskunst werden uns am Tage ihrer Entstehung bekannt werden und sofort unserer Leitung verfallen. [...] Zu den Mitgliedern der Loge werden fast alle Polizeispitzel der Welt gehören, deren Tätigkeit für uns ganz unentbehrlich ist.«


... und der Nationalsozialismus

Bild vom KZ Birkenau. Die nationalsozialistische Propaganda, Juden und Freimaurer seien gleichermaßen Feinde der Menschheit, hatte zur Folge, dass auch mehrere Hundert »arische« Freimaurer in Konzentrationslagern interniert wurden.

I

halten können. Außerdem hatte die

Die deutsche Freimaurerei war 1 9 3 5

Dritte Internationale in M o s k a u 1 9 2 2

auf Befehl der Reichsregierung und des

offiziell erklärt, K o m m u n i s m u s und

Innenministers verboten w o r d e n . Bei

Freimaurerei seien unvereinbar. Diese

der Machtergreifung Hitlers 1933 g a b

strebe nämlich eine Einigung zwischen

es neun Großlogen, drei sogenannte

den verschiedenen Gesellschaftsklassen

Altpreußische und sechs H u m a n i t ä r e .

an und habe antimaterialistische An-

Die Altpreußischen hatten eine natio-

sätze. Darüber hinaus wurde ihr unter-

nalistischere Ausrichtung und nahmen

stellt, sie sei einer kapitalistischen Ge-

ausschließlich Mitglieder christlichen

sellschaftssicht verpflichtet. Schließlich

Glaubens auf. Die H u m a n i t ä r e n stan-

überlebten in der Sowjetunion die aus

den der G r o ß e n Loge von England

dem

19. J a h r h u n d e r t s

näher. Sie hatten sich gleich 1 9 3 3 zur

stammenden Vorurteile gegen die Juden

Selbstauflösung entschlossen, während

u n d die Theorie vom Komplott des in-

eine der Altpreußischen Großlogen ver-

ternationalen Zionismus. Andererseits

suchte,

vertrat der Nationalsozialist J. Streicher

indem sie die ihr unterstehenden Logen

1935,

den

aufforderte, das Ritual zu ändern und

V ö l k e r b u n d aufgenommen wurde, die

jeglichen Bezug auf das Alte Testament

These, die Regierungen jener Länder,

zu eliminieren. Der N a m e H i r a m (siehe

die für eine A u f n a h m e gestimmt hatten,

S. 2 5 - 2 8 ) sollte durch »Baumeister«

müssten Verbindungen zu der geheimen

ersetzt werden. M a n verzichtete auf das

Weltregierung h a b e n , die aus

Geheimnis

Rußland

als

des

die Sowjetunion

in

drei-

im

Regime

weiterzuleben,

der Einweihung.

»Kom-

hundert Personen bestünde, die alle jü-

petente Funktionäre« der Partei und des

discher »Rasse« und Freimaurer seien.

Staates k o n n t e n an den Arbeiten der

89


Wechselwirkung mit der Geschichte _ Logen teilnehmen. M a n verpflichtete

zialismus, generell hatte die Freimau-

sich, die »arische H e r k u n f t « der M i t -

rerei

glieder zu überprüfen. Aber auch diese

Chance. So w u r d e sie in Spanien und

Loge, die sich in Deutsch-Christlicher

Portugal

Orden u m b e n a n n t hatte, überlebte nur

demokratischen

kurz. Erst Verlauf und Ausgang des

Ausrichtung w ä h r e n d der D i k t a t u r e n

Krieges setzten der deutschen Pro-

von Francisco Franco beziehungsweise

paganda

Antonio

gegen

die

»jüdisch-

bei totalitären wegen

Salazar

Regimes keine

ihrer und

vorwiegend antiklerikalen

verfolgt.

Auf der

ein

anderen Seite hat sie in diesen Ländern

Ende. Ironie des Schicksals ist, dass

einen mächtigen Gegner im O p u s Dei.

diese

aus-

Diese seit 1928 aktive katholische Or-

gerechnet in jenem Deutschland a u f -

ganisation hat das erklärte Ziel, dass

g e f l a m m t war, in dem im J a h r h u n d e r t

ihre Mitglieder die Botschaft des Evan-

zuvor die von Kaiser Wilhelm I. pro-

geliums stärker in ihr privates, beruf-

tegierte

be-

liches, politisches und soziales Leben in-

schlossen hatte, keine Juden in ihren

tegrieren. Das O p u s Dei ist hierarchisch

»christlichen«

aufzunehmen.

strukturiert und bindet seine Mitglieder

O b n u n Faschismus oder N a t i o n a l s o -

durch eine Reihe von Pflichten an sich.

freimaurerische

Verschwörung«

Verschwörungstheorie

Großloge

Royal

Schoß

York

Freimaurerei und die Welt des Kommunismus Die antifreimaurerischen Positionen der Sowjetunion weiteten sich ab dem Vierten Kongress der Dritten Internationale (1922) auf alle Parteien aus, die sich auf ihn bezogen, und nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges auf alle Länder des Ostblocks. Daher wurden die Logen Ungarns (1950), der Tschechoslowakei, Polens und der DDR per Staatsdekret aufgelöst. In Italien hingegen wurde der Freimaurerei, auch wenn sie als eine rein bürgerliche Kraft angesehen wurde, nach der Bildung der Kommunistischen Partei 1921 durchaus die Achtung Antonio Gramscis zuteil. Er schätzte ihre Effizienz, den staatsbürgerlichen Sinn und ihre Distanz zu den klerikalen und reaktionären politischen Kräften. Auch Palmiro Togliatti enthielt sich, in einer generellen Neueinschätzung der »aufgeklärten« Aspekte der bürger-

90

lichen Kultur, einer Dämonisierung. E. Berlinguer und Giorgio Amendola (Sohn von Giovanni, Partisan, Politiker und Autor) stimmten auch in jüngerer Zeit nicht in den Chor jener ein, die die Freimaurerei in ihrer Gesamtheit als Deckmantel für nationale und internationale politische Intrigen und als Netzwerk mehr oder auch weniger legaler Geschäfte deuteten. Vielleicht, weil sie die grundlegenden ideellen Werte vor Augen hatten, da beide einen Freimaurer als Vater gehabt hatten. Besondere Erwähnung verdienen China, wo den Logen mit europäischem Ansatz, deren Mitglieder Angehörige ausländischer Unternehmen im Land sind, die Arbeit gestattet wurde, sowie Kuba, wo die Freimaurerei trotz einiger Spannungen vom Castro-Regime nie für illegal erklärt wurde.


.und der Nationalsozialismus

Ein türkisches Kaffeehaus. Bis heute hängt in jedem öffentlichen Raum ein Bildnis Mustafa Kemals, genannt Atatürk, der »Vater der Türken« (hier auf einem Foto über der Uhr zu sehen). und 1 9 2 3 als gewählter Präsident der jungen Republik bis zu seinem Tode 1938 unangefochtenes Staatsoberhaupt war. Er war Mitglied der Loge Machedonia Resorta et Veritas in Saloniki, die nach der italienischen Konstitution arbeitete. Im Laufe der Diktatur ging er immer stärker auf Distanz zur Freimaurerei. Diese stellte ihre Tätigkeit in der Türkei 1935 schließlich ganz ein. Die Hauptziele

Mustafa

Kemals

waren

unter anderem die Säkularisierung und Modernisierung des Staates. Er schaffte das Kalifat ab, setzte das allgemeine Wahlrecht durch, erklärte die Gleichheit der Geschlechter, ü b e r n a h m das lateinische Alphabet für die türkische Dazu gehören Verschwiegenheit und

Sprache, den gregorianischen Kalender

Gehorsam (zum Beispiel n u r bei Pries-

und das Dezimalsystem. Dieser laizis-

tern zu beichten, die dem O p u s Dei an-

tischen »Öffnung« entsprach allerdings

gehören, oder sich im Gespräch dem zu-

auch die Verfolgung einer Richtung, die

ständigen geistlichen Leiter »anzuver-

in der islamischen Welt von tiefer eso-

trauen«). D a s O p u s Dei forciert die Ak-

terischer Bedeutung ist: der Sufismus.

tivität seiner höheren Kader »in der

Ein solches Verhalten, unverständlich

Welt«. Ihnen sind die Instrumente der

bei

Politik, der Finanzwelt und der Kultur

Prägung, scheint die These zu be-

durchaus erlaubt, um »die Gesellschaft

stätigen, dass eine Partei oder eine Per-

zu Gott z u r ü c k z u f ü h r e n « . Einzigartig

son, die beabsichtigt, sich z u m ab-

ist der Fall der Türkei, wo M u s t a f a

soluten Mittelpunkt des Lebens aller zu

Kemal

der

m a c h e n , unausweichlich andere For-

Revolte der »Jungtürken« den letzten

men »konstruktiver« Spiritualität eli-

Sultan M o h a m m e d VI. abgesetzt hatte

minieren muss.

Atatürk

an

der

Spitze

einem

Mann

freimaurerischer

91


/ v ^ Wechselwirkung mit der Gcschichte _

Heute in Italien Die Wiederauferstehung der Freimau-

Richter und Staatsanwälte C S M sich

rerei im Nachkriegsitalien erfolgte sehr

gegen eine Mitgliedschaft von Richtern

rasch, allerdings w a r sie, ebenso wie die

bei der Freimaurerei ausgesprochen hat

politische Landschaft, bemerkenswert

- und, vor allem in der Vergangenheit,

zersplittert. Es gibt tausend kleine Strö-

Persönlichkeiten aus der Welt des Thea-

mungen, ihre »reguläre« Form aber hat

ters, des Films und des Fernsehens.

sie als G r a n d e Oriente d'ltalia, der

Bleibt die Frage, w a s jemanden in Ita-

1972 von der Vereinigten Großloge von

lien dazu bringen k a n n , der Freimau-

England a n e r k a n n t w u r d e . Ihm unter-

rerei beizutreten. Einem freimaurer-

stehen etwa 6 0 0 Logen mit insgesamt

ischen Historiker zufolge handelt es

18 0 0 0 Mitgliedern. Der Verwaltungs-

sich um eine idealistische Motivation:

sitz befindet sich in Rom in der Medici-

»Die

Villa II Vascello. Dem anderen großen

schaftlern, Staatsmännern, Kulturschaf-

italienischen F r e i m a u r e r v e r b a n d , der

fenden, Künstlern und qualifizierten

G r a n Loggia Nazionale, deren Sitz sich

Selbständigen in der Freimaurerei lässt

im Palazzo Vitelleschi an der Piazza del

a n n e h m e n , dass in der Loge eine Syn-

Gesü in R o m befindet, sind etwa 2 5 0 Logen mit 6 0 0 0 Mitgliedern untergeordnet. In den Regionen Toskana, Umbrien und Kalabrien sowie in der Rom a g n a , v o r allem in der Gegend um R a v e n n a , ist die Logentätigkeit besonders rege. Soziologisch gesehen gibt es in Italien eine starke Tradition der Militärlogen. Stark vertreten sind jedoch auch Politiker - man spricht von etwa siebzig Parlamentariern —, Arzte, Rechtsanwälte, Juristen, Physiker, Universitätslehrer, Richter - o b w o h l der Oberste R a t der Francesco Crispi (1818-1901), viele Jahre Ministerpräsident im geeinten Italien, war eines der Mitglieder der Loge Propaganda, Vorläuferin der Loge P2.

92

massive

Präsenz von Wissen-


Heute in Italien Ein Zeugnis für die Bedeutung der Adepten der Freimaurerei ist das monumentale freimaurerische Pantheon, das sich auf dem Friedhof Carnpo Verano in Rom befindet. Der Skandal um die Loge P2 Innerhalb des Prozesses der Wiederherstellung von Traditionen und des Findens einer modernen Identität w a r e n die Ereignisse um die Loge P2 der italienischen Freimaurerei ganz bestimmt nicht zuträglich. Wie sehr m a n dies auch als »Verirrung« ansehen mag, für die Mitglieder selbst kam jedenfalls auch ans Licht, dass es innerhalb des Ordens eine Gruppe gab, die skrupellos Geschäfte machte und sogar umstürzthese von Wissenschaft und Freiheit,

lerische Pläne hatte. Jedenfalls beschä-

das

und

digte das die Reputation der Freimau-

>Spontaneität<, zwischen >Natürlichkcit<

rerei sehr, auch wenn sich der G r a n d e

und rationaler Organisation gesucht

Oriente nun an die Verfügungen der so-

wird« (A. A. M o l a : Storia della Mas-

genannten »legge Spadolini sulla P2«

soneria in Italia, in: Storia d'Italia: dalla

von 1981 hält. Dieses Gesetz verbietet

civiltä

neben der beschuldigten Loge generell

heißt zwischen >Ordnung<

latina

alla

nostra

Repubblica, auch

alle Geheimlogen und ordnet an, dass

manche den Wunsch, ihrer Sehnsucht

die Mitgliederlisten zugänglich zu sein

nach

mithilfe

haben. N o c h zu Beginn der 1990er-

ritueller Erfahrungen eine esoterische

J a h r e ergab eine U m f r a g e , dass 3 1 %

N o t e zu geben. H ö r t m a n allerdings auf

der Italiener die Freimaurerei als »eine

das, w a s auch viele freimaurerische

Vereinigung zum Karrieremachen« und

M e i n u n g s m a c h e r als Gefahr sehen, so

weitere 2 7 % als »eine gefährliche anti-

könnte m a n a n n e h m e n , für viele Per-

demokratische Organisation« ansahen.

sonen stünden weniger noble Interessen

Die Z w e c k m ä ß i g k e i t solcher Vereini-

im Vordergrund, als vielmehr die Hoff-

gungen begründete m a n damit, dass

nung,

unter

Ambulanzen, Spitäler, Stipendien etc.

Brüdern Vorteile zu erlangen, oder ein-

von der Freimaurerei finanziert w ü r -

fach das Vergnügen, einem exklusiven

den, w o f ü r m a n »die Koordinierung

»Club« anzugehören.

durch eine Loge b r a u c h e n könnte, zu

Novara

1981).

geistiger

durch

Sicher

haben

Veredelung

die

Solidarität

93


Wechselwirkung mit der Geschichte _

Die Überschrift eines Artikels in der Zeitschrift »L'Espresso«. Er bezieht sich auf die Möglichkeit, als Freimaurer der italienischen Partei der Demokratischen Linken beizutreten. Dies sollte eigentlich durch den Artikel 8 der Verfassung ausgeschlossen sein, der den Beitritt zu einer Partei als »unvereinbar mit einer Mitgliedschaft oder der Teilnahme an Vereinigungen, die eine vertrauliche Bindung und Formen der gegenseitigen Unterstützung mit sich bringen«, bezeichnet. deren Mitgliedern Personen aus den verschiedensten Bereichen des sozialen Lebens gehören« (Ambesi). Dass allerdings ein Gemeinschaftsgeist das ethische Ziel

eines Licio Gelli

heitsdienste

saßen,

in

besonderem

gewesen sein soll, der 1 9 6 5 der Frei-

Licht. Der Bericht der Untersuchungs-

maurerei beitrat und innerhalb kür-

kommission gelangt zu zwei interes-

zester Zeit Meister vom Stuhl der Loge

santen Schlussfolgerungen: Gelli gehört

P2 wurde, die »geheim«, aber trotzdem

den Geheimdiensten in einer Spitzen-

mit d e m G r a n d e Oriente im Palazzo

f u n k t i o n an. Die Loge P2 und Gelli

Giustiniani v e r b u n d e n war, mutet zu-

zeigen, wie stark die amerikanische

mindest zweifelhaft an. Gelli verfügte

Freimaurerei und der CIA auf den

über Verbindungen zur internationalen

Palazzo Giustiniani seit seiner Wieder-

Finanzwelt, zu Geheimdiensten und zu

ö f f n u n g in der Nachkriegszeit Einfluss

den

Diesbezüglich

n e h m e n « . Im zweiten Band der Enci-

schrieben die Richter, die sich mit dem

clopedia Massonica vom O k t o b e r 1997

1980 erfolgten Bombenanschlag auf

steht zu lesen: »Der Fall P2 ist sozu-

den Bahnhof von Bologna

beschäf-

sagen ein Beispiel f ü r zwiefache Anti-

tigten, dessen Ermittlung Gelli massiv

freimaurerei. Dies ergab sich einerseits

behindert

»Vor d e m H i n t e r -

daraus, dass ein kleiner Bereich inner-

grund, dass Gelli den militärischen Be-

halb der Freimaurerei, in dem Allein-

reichen eine generelle Aufmerksamkeit

gänge und verschiedene Strömungen

z u k o m m e n ließ, erscheint jene Auf-

aus Politik und Wirtschaft miteinander

merksamkeit, die der kleinen Elite von

verflochten

Offizieren galt, die nacheinander im

rechten Pfad abgekommen war. Auf der

K o m m a n d o der verschiedenen Sicher-

anderen Seite hagelte es seitens der

94

Armeespitzen.

hatte:

waren,

gründlich

vom


Heute in Italien Licio Gelli. Am Vorabend des Urteils des Obersten Gerichtshofs, der am 22. April 1998 seine Verurteilung zu 12 Jahren Gefängnis bestätigte, floh er aus der Villa in Arezzo, wo er überwacht wurde. Das gab neuen Gerüchten Nahrung, die P2 habe überlebt. Politik und Wirtschaft sowie des ihnen hörigen Journalismus undifferenzierte Attacken.« Dem gewöhnlichen Bürger bleiben jedenfalls Zweifel: Wem kommt die Aufgabe zu, die »Verirrungen« einer Institution aufzudecken und ihnen vorzubeugen? Jenen, die an ihrer Spitze

Verantwortung tragen, oder jenen, die, auch außerhalb dieser Organisationen, die Folgen dieser Vcrirrung tragen müssen? Solche Fragen haben natürlich nur in einer funktionierenden Demokratie einen Sinn.

P = Propaganda Das P der bekannten Abkürzung P2 bedeutet »Propaganda«. Das ist der I Name einer Loge, die 1877 mit dem I Ziel entstand, »diejenigen Männer I aktiv und an den Orden gebunden und in direkter Beziehung zum Grande Oriente zu halten, die sonst ihrer sozialen Position wegen den regulären Logen nicht beitreten und an deren Arbeit nicht teilnehmen könnten« (U. Bacci: II libro del Massone Italiano, Bologna 1972). Dies trug sich in einem historischen Klima zu, in dem viele Mitglieder der Freimaurerei eine sehr wichtige Rolle bei der Neuordnung des geeinten italienischen Staates spielten. Tatsächlich zählten zu den Mitgliedern dieser Loge Namen wie G. Garibaldi, die Politiker A. Saffi, G. Zanardelli, I A. Bertani und F. Crispi, der Rechts• philosoph G. Bovio und der Dichter G. Carducci. Dass solche »sozialen Positionen« unvereinbar mit der Teilnahme an der regulären Logenarbeit sein könnten, ist verständlich. Da aber die Freimaurerei die Teilnahme an diesen Arbeiten für den

Aufbau und den spirituellen Weg des Einzelnen als essenziell ansieht, lässt sich daraus erkennen, dass hier seit den Anfängen der Loge Propaganda Interessen besonders profaner Natur nachgegangen wurde. Diese Einschätzung wird durch die Tatsache bestätigt, dass bereits ein erster Skandal, nämlich jener der Banca Romana von 18921893, in den einige der Logenmitglieder verwickelt waren, eine Krise dieser »atypischen« Loge verursacht hatte. Nach der Ära des Faschismus bildete sie sich wieder neu und fügte die Ziffer 2 hinzu, um ihre alte Tradition zu betonen: unter den noch aktiven Logen konnte sie sich nämlich eines Alters rühmen, dem nur die Loge Santorre di Santarosa von Alessandria überlegen war. Dieses Wiedererwachen erfolgte »von Seiten des Grande Oriente immer mit dem Ziel, eine Loge unter der Hand zu haben, die die angesehensten Vertreter der Staatsorgane und der freien Berufe versammelte« (A. C. Ambesi: I Maestri del Tempio, Milano 1995).

95


Wechselwirkung mit der Geschichte _

Die weltweite Freimaurerei England ist das Land, in d e m der Pro-

von einer eventuellen E r h o l u n g nach

zentsatz der Freimaurer im Vergleich

den

zur Gesamtheit der erwachsenen männ-

rungen in diesen Teilen der Welt absieht.

lichen Bevölkerung am höchsten ist. Im

Da eine detaillierte Analyse hier nicht

N o r d e n liegt er mit 1 5 % höher als im

möglich ist, sollen k n a p p e Informa-

restlichen Land (8%).

tionen ein Bild der »Geografie der Frei-

Allein in London sind gut 1800 Logen

maurerei« wenigstens skizzieren.

radikalen

politischen

Verände-

aktiv. Auch in Australien und in den Vereinigten Staaten gibt es weite Ge-

Ägypten: Hier arbeitet ein irregulärer

biete, die einen Anteil von über 5% ha-

G r o ß o r i e n t von Ägypten mit Sitz in

ben und es gibt keine Logen, in denen

Alexandria.

der Anteil der Brüder unter 1 % der Bevölkerung liegt. Im Gegensatz dazu ist

Belgien: Es gibt eine dichte freimaure-

die freimaurerische Präsenz in einem

rische Präsenz. Aber wie in Frankreich

Großteil Afrikas, in China und großen

gibt

Teilen Asiens völlig zu vernachlässigen.

(Grand Orient) als reguläre. Letztere

Ähnlich verhält es sich in den Ländern

werden seit 1 9 7 9 von einer G r a n d e

des ehemaligen Ostblocks, wenn m a n

Loge de Belgique organisiert.

es

mehr

irreguläre

Großlogen

Unter den US-arnerikanischen Logen zeichneten sich einige dadurch aus, dass sie berühmte Persönlichkeiten aufnahmen, die sich der »Forschung« widmeten. Das ist der Fall bei der Loge Kane Nr. 454 in New York. Sie heißt nach dem Bruder E. K. Kane (1820-1857), einem der ersten Arktisforscher. Dann nahm sie R. E. Peary auf, der 1909 als erster den Nordpol erreichte, und den Freimaurer-Meister R. E. Byrd, der 5 Jahre lang isolieit in der Arktis verbrachte, nachdem er als erster im Flugzeug den Pol überflogen hatte (das Bild zeigt die Ankunft der Hilfe im Jahr 1934 auf einer Zeichnung von A. Beltrame für die Illustrierte »Domenica del Corriere«).


Die weltweite Freimaurerei Ansicht von Rio de Janeiro. Der Gran Oriente do Brasil bat seit seiner mühseligen Konstitution im Jahr 1822 (der Großmeister, Kaiser Pedro 1., stellte im gleichen Jahr die Aktivität ein, die jedoch bald wieder aufgenommen wurde) bis heute ununterbrochen gearbeitet.

Brasilien: Die brasilianische Freimau-

Finnland: Die 1924 entstandene Groß-

rerei zählt 120 0 0 0 Mitglieder, wobei

loge von Finnland weist rituelle Merk-

die eine Hälfte dem G r a n Oriente do

male nordamerikanischer H e r k u n f t auf,

Brasil angehört. Die andere Hälfte ist in

neben weniger stark ausgeprägten eng-

einer beträchtlichen Anzahl von Groß-

lischen Einflüssen. Die schwedische

logen organisiert. Einige davon haben

Sprachminderheit ist der Großloge von

eine besondere historisch-geografische

Schweden unterstellt.

Verbindung zu den einzelnen Bundesstaaten des Landes.

Frankreich: Die französische Freimaurerei zählt mindestens 8 0 0 0 0 Mit-

Deutschland: Zu den Vereinigten Groß-

glieder, mehr als doppelt so viele wie in

logen

Italien. Diese sind hauptsächlich in der

Deutschlands

unterschiedliche

gehören

und

fünf

unabhängige

irregulären

Loge

Grand

Orient

de

Großlogen. Zwei sind im Wesentlichen

France organisiert. Die Irregularität, die

traditionell ausgerichtet, eine weitere ist

auf das Jahr 1877 zurückgeht, entstand

christlich

d u r c h eine A b ä n d e r u n g des Artikels 1

orientiert.

Die

restlichen

beiden sind die American-Canadian

der Konstitutionen-,

G r a n d Lodge (ACGL) und die G r a n d

Zweidrittelmehrheit

Lodge

in

m u n g bei einer Versammlung, ersetzte

G e r m a n y (GL BFG), die ihre Ent-

der G r a n d Orient die Erklärung »die

stehung der starken NATO-Präsenz im

französische Freimaurerei bekennt als

Land verdanken.

Grundprinzip den Glauben an Gott und

of British

Free

Masons

gestützt

auf eine

durch

Abstim-

97


Wechselwirkung mit der Gcschichte Ein Siegel der deutschen Großloge Drei Weltkugeln, in der noch Einflüsse der Neutempler vorhanden sind, was auf die Zeit ihrer Entstehung zurückgeht (Mitte des 18. Jh.).

die Unsterblichkeit der Seele« durch

dass die Mitglieder sich auf eine m o n o -

den G r u n d s a t z der »unbedingten Ge-

theistische Religion (siehe S. 1 0 2 - 1 0 3 )

wissensfreiheit«. So w u r d e n jene »Gren-

beriefen, sah m a n im H i n d u i s m u s im

zen« überschritten, deren Einhaltung es

Wesentlichen als gegeben an, da dieser

gestatten, die Anerkennung der United

- trotz eines scheinbar ungebremsten

G r a n d Lodge of England und infolge-

Polytheismus - die Vielfalt der heiligen

dessen das Patent der Regularität zu

M a n i f e s t a t i o n e n auf die Einheit von

erhalten. Z u r regulären Freimaurerei

B r a h m a n , das höchste Sein, zurück-

g e h ö r t hingegen die 1 9 1 3 gegründete

führt.

G r a n d e Loge N a t i o n a l e Française in Neuilly.

Island: N a c h d e m sie sich von der Vorm u n d s c h a f t der dänischen Freimaurerei

Griechenland: 1 9 4 0 konstituierte sich

emanzipiert hat, ist die Freimaurerei auf

die Großloge von Griechenland, die

der Insel in der Großloge von Island

auch während der Obristendiktatur ak-

nach Schwedischem Ritus (siehe S. 5 2 -

tiv blieb.

53) beheimatet. Die Zahl der Mitglieder ist, gemessen an der geringen Bevöl-

Indien: N a c h langer Präsenz englischer

kerungsdichte des Landes, sehr hoch.

Freimaurer entstand die Großloge von

Der

Indien erst 1961. Die Voraussetzung,

S. Björnsson, w a r ihr Großmeister.

98

erste

Präsident

der

Republik,


Die weltweite Freimaurerei

Israel: 1953 entstanden, hat die G r o ß loge des Staates Israel heute über 3 0 0 0 Mitglieder

unterschiedlichster

ethni-

scher und religiöser H e r k u n f t . J a p a n : N a c h dem Zweiten Weltkrieg begann die Freimaurerei sich im Land zu verbreiten. 1957 wurde die Großloge

Auf den Ghats, den Stufen von Varanasi (früher Benares) lesen die Priester heilige Texte und machen Weissagungen für die Gläubigen. Die Vereinbarkeit von Hinduismus und Freimaurerei wurde in den 1860er-Jahren in der freimaurerischen Presse diskutiert, als ein Brahmane (ein Angehöriger der Priesterkaste) in die Meridian Lodge No. 34S aufgenommen wurde.

von J a p a n gegründet, die heute 4 0 0 0

hohe Politiker mit freimaurerischem

Mitglieder hat. Eine Anpassung der

Hintergrund hervorgebracht hat, n ä m -

Rituale an die japanische Kultur ist

lich mindestens sechs Premierminister

noch im Gange.

seit J. A. M a c d o n a l d (1815-1891), der als Urheber der

Jordanien: Die Großloge von Jordanien

kanadischen

Kon-

föderation gilt.

ist mit d e m Grand Orient de France verbunden.

Kuba: Mit 20 0 0 0 Mitgliedern ist Kuba das einzige kommunistische L a n d , in

Kanada: Hier sind etwa eine halbe Mil-

dem es der Freimaurerei gelungen ist,

lion Brüder in einer Tradition aktiv, die,

eine Basis für eine Koexistenz mit dem

so wie auch in den Vereinigten Staaten,

Staat zu finden.

99


Wechselwirkung mit der Geschichte _ Siegel der niederländischen Freimaurerei.

Liberia: Hier arbeitet die Großloge

Österreich: Die Großloge von Öster-

Prince Hall (siehe S. 83). Z w e i ihrer

reich w u r d e erst 1919 gegründet. Sie

Großmeister sind Präsidenten der Re-

scheint jedoch im Wesentlichen in der

publik geworden.

Linie der reinen freimaurerischen Tradition zu liegen.

Mexiko: Hier gibt es über 40 0 0 0 Brüder, die in zahlreichen Logen organisiert

Peru: Die G r a n Logia de la Republica

sind, von denen einige der Freimaurerei

de Peru hebt sich von der lateiname-

der

rikanischen Freimaurerei insbesondere

Vereinigten

Staaten

sehr

nahe

stehen.

d u r c h ihr konkretes soziales Engagement im Land ab.

Niederlande:

Der

Grootoosten

der

Nederlanden ist mit 7 0 0 0 Mitgliedern

Philippinen: Die nationale Großloge hat

eine der aktivsten Logen von E u r o p a

15 0 0 0 Mitglieder. Damit k a n n sich das

und hält an der maurerischen Tradition

Land

fest.

Dichte an Mitgliedern im Vergleich zu

der

größten

zahlenmäßigen

allen anderen Ländern Asiens rühmen. N o r w e g e n : Hier wird der Schwedische Ritus gepflegt (siehe S. 5 2 - 5 3 ) , der auf

Portugal: Hier arbeiten die von England

16 0 0 0 Brüder zählen k a n n .

anerkannte Grande Loja Legal de Portu-

100


gal und die gerichtlich als Großloge

Südafrika: Von den zwölf im Lande

anerkannte Grande Loja Regulär de

existierenden Großlogen ist nur eine,

Portugal.

die sich 1961 konstituierte, als Großloge von Südafrika unabhängig; sechs

Schweden: Die Wiege des Schwedischen

Distriktlogen arbeiten nach englischer

Ritus (siehe S. 5 2 - 5 3 ) kann sich einer

Konstitution, weitere vier nach schot-

»königlichen« Freimaurerei rühmen, da

tischer Konstitution, drei Provinzial-

der Herrscher traditionell das Amt des

logen nach irischer Konstitution, und

Großmeisters innehat.

eine ist schließlich dem Großorient der Niederlande angeschlossen.

Schweiz: Hier arbeitet die reguläre Grande Loge Suisse Alpine mit 3500

Türkei: Etwa 4 5 0 0 Brüder bekennen

Mitgliedern. Geringere Bedeutung hat

sich zu einer Freimaurerei, die im

die irreguläre Grande Loge Suisse, die

Wesentlichen europäisch geprägt ist.

in den 1960er-Jahren entstand. Zaire: Im dortigen Grand Orient, der Spanien: Das Bild wird von einer Groß-

belgisch geprägt und daher irregulär ist,

loge von Spanien beherrscht, die sich

vollzieht sich gerade ein Prozess der An-

parallel

der

passung an die lokale Bantukultur, so-

demokratischen Freiheiten dieses Lan-

wohl in Hinblick auf die Rituale als

des (1978) wieder konstituieren konn-

auch auf die Symbolik.

zur

Wiedereroberung

te. Es gibt jedoch auch einen Grande Oriente, der mit der irregulären Freimaurerei Frankreichs verbunden ist.

101


Besser verstehen

Der »reguläre« freimaurerische Horizont Im Vergleich zu anderen Regularien

d u r c h drei oder mehr regulär kon-

bezeichnet die Freimaurerei an erster

stituierte Logen gegründet werden«);

Stelle

oder

die U n t e r o r d n u n g der Zugehörigkeit

Landmarken als »regulär«. Diese legen

zur Freimaurerei unter den Glauben an

die

den

die

landmarks

Trennungslinie

(Grenzen) zwischen

dem

Allmächtigen

Baumeister

aller

»Drinnen« und » D r a u ß e n « fest und

Welten und seinen offenbarten Willen;

werden von allen Logen a n e r k a n n t und

die Notwendigkeit, die eigenen Ver-

b e w a h r t , wie unterschiedlich auch die

pflichtungen über dem geöffneten Buch

internen Gegebenheiten sein mögen.

der Gesetze oder in seinem Angesicht

1919

anzunehmen; die oberste und unbeding-

lauteten

sie

folgendermaßen:

• Monotheismus

te A u t o r i t ä t der Großloge über alle

• G l a u b e an die Unsterblichkeit der

Logen, die ihr unterstehen; der Ausschluss von Frauen; das Buch der Ge-

Seele

setze sowie Zirkel und Winkel müssen

• Das Buch der Gesetze • Legende des Dritten Grades

(des

w ä h r e n d der

»Arbeiten«

vorhanden

»Meistergrades« aus der Hiramsle-

sein; Religion oder Politik sind aus den

gende: siehe S. 2 5 - 2 8 )

Logendiskussionen fernzuhalten.

• Geheimnis

Die Principles w u r d e n 1949 dahinge-

• Die Symbole, geschöpft aus dem

hend erweitert, dass es gestattet ist, die

Bauhüttengebrauch • Freie G e b u r t u n d männliches Geschlecht des Maurers Dazu k a m e n 1 9 2 9 übergeordnet die Basic Principles. Ein Teil davon sind die L a n d m a r k e n , die restlichen Prinzipien betrafen die M o d a l i t ä t e n

der Kon-

stitution einer neuen Loge (jede »Großloge muss von Rechts wegen durch eine gebührend a n e r k a n n t e Großloge oder Siegel des Grande Oriente d'Italia, der aktiven regulären Obedienz in Italien.

102


Der »reguläre« freimaurerische Horizont

Frontispiz der deutschen Ausgabe der Bibel, die von Luther übersetzt wurde. Die Freiheit des Freimaurers von konfessionellen Bindungen, unter der einzigen Bedingung, dem Monotheismus anzugehören, sowie die Verbreitung der Freimaurerei auf der ganzen Welt und somit auch in Gebieten, die nicht christlich geprägt sind, haben mit der Zeit dazu geführt, als Buch der Gesetze auch andere Texte als die Bibel zu akzeptieren, sofern es sich um einen traditionellen religiösen Kodex handelt.

Bibel durch verschiedene heilige Texte

der aufgelisteten Grenzen, Prinzipien

zu

traditionelle

und Ziele ist das Kriterium, nach dem

religiöse Schriften sind. Die Verpflich-

die reguläre Obedienz definiert wird.

t u n g zum Gehorsam gegenüber den

Die regulären Obedienzen in ihren na-

jeweiligen Landesgesetzen wird erneut

tionalen A u s f o r m u n g e n beziehen sich

bestätigt. Die Institution ist zur poli-

dann

tischen N e u t r a l i t ä t verpflichtet, unab-

rien, die ihre Aktivitäten regeln. Die

hängig vom Recht jeden Mitglieds,

o b e n e r w ä h n t e n Grundregeln sind je-

eigene Meinungen zu öffentlichen An-

doch für alle verbindlich und definieren

gelegenheiten zu haben. Die Einhaltung

die freimaurerische Identität.

ersetzen,

sofern es

auf

Konstitutionen

und

Regula-

103


Besser verstehen.

Die Initiationsgrade werden

Konstituierung der Großloge von Eng-

durch eine Initiation die Werte weiter-

land zum ersten M a l erwähnt, als sich

gegeben, auf denen eine Gemeinschaft

die spekulative Richtung durchgesetzt

basiert. Es ist aber nur teilweise legitim,

hatte. In der freimaurerischen Tradition

dieses Konzept auf die freimaurerische

verwendete m a n

Initiation zu übertragen. Die Grade

nahme«.

stellen zwar in gewisser Hinsicht ä h n -

Die Freimaurerei b e r u f t sich auf ihre

lich wie bei N a t u r v ö l k e r n Übergangs-

operativen Anfänge, die sich in den

riten mit spiritueller Bedeutung dar, je-

ersten beiden Graden wiederfinden. Es

d o c h ist die Initiation eines

neuen

sind die Grade des Lehrlings und des

Adepten in den Tempel nicht die »Tra-

Gesellen, die den f ü r die mittelalter-

dierung« einer eindeutig definierten

lichen

Wahrheit, sondern eher die Verpflich-

zwei Stufen entsprechen. Die A u f n a h -

tung, die Wahrheit »konstruktiv« und

mezeremonien sind ziemlich k o m p l e x

so weit wie möglich innerhalb der

und weichen

»Grenzen« der Königlichen Kunst zu

Gesetzgebungen voneinander ab. Im

suchen (siehe S. 102-103). Auch wurde

Wesentlichen aber ist ein Austausch von

der Begriff »Initiation« erst nach der

Fragen und Antworten vorgesehen. Für

In

traditionellen

Kulturen

Freien

den

Begriff »Auf-

M a u r e r vorgesehenen

in

den verschiedenen

Der Initiationsritus in Italien Ein Freimaurer, der nicht mehr aktiv ist, erzählte einer Frauenzeitschrift von seiner Aufnahme. »Zuerst haben sie mich in die Dunkle Kammer geführt, wo sie mich baten, '• schriftlich einige rituelle Fragen zu beantworten. Dann, nachdem ich eine Art Testament gemacht hatte, haben sie mir ein Hosenbein aufgerollt, einen Schuh ausgezogen und Hemd und Krawatte geöffnet. Dies symbolisiert den Zustand der Unordnung, in der sich der Profane befindet. Schließlich haben sie mich mit einer Kapuze über dem Kopf in den Tempel gebracht, wo ich den Eid und eine Reihe ritueller

104

Sätze aussprechen musste. Erst dann nahmen sie mir die Kapuze vom Kopf und ich habe den Saal voller Personen gesehen, die mit Kapuzen verhüllt waren und symbolische Schwerter gegen mich richteten, um die geeigneten Energien auf mich zu lenken. Schließlich haben sie mir die Kleidung wieder gerichtet, ein Zeichen des Übergangs von der Unordnung zur Ordnung. Sie haben mir den Schurz, das Symbol der Arbeit, und die weißen Handschuhe übergeben, mit dem Wunsch, dass meine Hände immer rein bleiben mögen. Dann nahmen sie sich die Kapuzen herunter: Ich war Freimaurer geworden.«


Die Initiationsgrade

den ersten Grad wird die Bewusstheit für die freimaurerische Tradition in ihren historischen und symbolischen Aspekten ü b e r p r ü f t (»Woher kommen wir?«). Für den zweiten Grad geht es um die Erlangung von Selbstbewusstheit, als Individuen wie als Mitglieder der

freimaurerischen

Versammlung

(»Wer sind wir?«). Im Hinblick auf die Symbolik korrespondiert das vom Lehrling gegebene Versprechen der Loyalität dem O r d e n gegenüber mit dem E m p f a n g des freimaurerischen Lichts und der Zeichen und Worte, die ihn als Freimaurer erkennen lassen. In der Zeremonie für die Beförderung in den zweiten Grad wird das größere Licht, das man erreicht hat, durch den überall präsenten

Flam-

menden Stern symbolisiert. Die Instruktionen f ü r diese beiden Grade (eng. lectures), die in katechetischer Form abgehalten werden, entstanden aus der Arbeit einiger Freimaurer, die zwischen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und der ersten Hälfte des 19. J a h r h u n d e r t s aktiv w a r e n : der Engländer W. Preston ( 1 7 4 2 - 1 8 1 8 ) , der Amerikaner

T.Smith

Webb

(1771-

1819), der d e m Symbol der M a u r e r kelle große Bedeutung beimaß, und die beiden

Engländer

W. H u t c h i n s o n

( 1 7 3 2 - 1 8 1 4 ) und G . Oliver ( 1 7 8 2 1867). Oliver berief sich auf die Bedeutung des Evangelisten J o h a n n e s in der maurerischen Tradition und betonte als anglikanischer Pastor die N ä h e zwi-

Eines der ersten Beispiele für die Kodifizierung der Symbole zum Gebrauch der Lehrlinge, 1745 in einer Erläuterung des freimaurerischen Systems in Frankreich veröffentlicht.

105


Besser verstehen. DerFlammende Stern. Unten: Wappen des Ritters Kadosh, 30. Grad des Alten und Angenommenen Schottischen Ritus.

A b s c h a f f u n g einiger Grade. D a r u m ist ab dem 4. Grad (Geheimer Meister) bis zum 33. G r a d (Souveräner GeneralGroßinspektor)

eine detaillierte

Be-

trachtung unmöglich. Die symbolischen Inhalte erweitern die Hiramslegende und spielen auf die Bibel a n , etwa die sehen Christentum und Freimaurerei.

Bundeslade, ebenso wie auf die Ritter-

Die Initiation in die blaue Freimaurerei

tradition,

wird vom Meistergrad gekrönt, der im

Rosenkreuzer.

Gegensatz zu den ersten beiden später

Einer der a u ß e r h a l b der Freimaurerei

ausgearbeitet wurde. M a n weiß, dass er

o f t sehr missverstanden G r a d e ist der

bis

Grad des Ritters Kadosh oder auch

1770

nicht

von

allen

Logen

die Tempelritter

und

die

praktiziert w u r d e . Der erreichte Be-

Ritter vom Weißen

wusstseinsgrad versetzt den Freimaurer

Adler. Dieser bezieht sich, in Ver-

n u n in die Lage, sich die dritte entscheidende Frage der spirituellen Reise (iter) zu stellen: »Wohin gehen wir?« Mit anderen Worten, »er wird über die freimaurerische ars moriendi belehrt. Er erlebt die heilige Geschichte des H i r a m (siehe

S. 2 5 - 2 8 )

und

ersteht

nach

seinem Bild in der Welt des Geistes wieder auf« (M. M o r a m a r c o ) . Komplexer sind die Wertigkeiten und die Symbolik der zusätzlichen Grade, die z u m Schottischen Ritus gehören. Sie weisen darüber hinaus in den Ritualen der verschiedenen Länder auch bemerkenswerte Unterschiede auf. In einigen Fällen f ü h r t e ihre Vereinfachung zur

106

und Schwarzen


Die Initiationsgrade

bindung mit der Templerlegende, explizit auf den Tod Jacques de M o l a y s (siehe S. 5 0 - 5 3 ) . Spirituelles Leitmotiv ist hier stets das T h e m a von Tod und Wiedergeburt

und

das

initiatische

T h e m a der Loslösung. Aber wie in vielen Mythen, in denen der Held oder der G o t t den M ä c h t e n der Finsternis unterliegt, muss das O p f e r gerächt werden. So wird dieser Grad der Grad der Rache genannt, in d e m Sinne, dass m a n d a f ü r k ä m p f e n muss, Wahrheit und Gerechtigkeit zum Sieg über das Böse zu verhelfen. O f t glaubten jedoch Uneingeweihte, die Rache der Templer sei wortwörtlich eines der Ziele der Freimaurerei und sie drohe jedem, der sich ihren Plänen widersetzen w ü r d e . Außer dem Alten und Angenommenen Schottische Ritus praktizieren

auch

andere freimaurerische Systeme die H o c h g r a d e , wie der Memphis-Misrain und der Rektifizierte Schottische Ritus. Beim Memphis-Misrain Ritus handelt es sich um einen

»deistischen u n d

spiritualistischen« Ritus, der an keine spezielle Religion gebunden ist und dem Einzelnen

völlige

Meinungsfreiheit

lässt. Es gibt 95 Grade. Sie müssten, meint

R.

Ambelain,

als

eine

Art

Der Titel der Monografie, deren Buchdeckel hier abgebildet ist, gibt über den Inhalt Aufschluss (Die Grade der Freimaurerei nach Altem und Angenommenem Schottischem Ritus). Im Zentrum der Illustration thront das Siegel des 33. Grades mit dem Motto Deus meumque Jus (»Gott und mein Recht«). Dieser Grad wird einer begrenzten Zahl von Brüdern verliehen, entweder um eine langjährige maurerische Treue zu belohnen (Italien), oder für einen besonderen Verdienst dem Orden oder der Menschheit gegenüber (USA).

Wandelgang betrachtet werden, in dem die alten freimaurerischen Grade, die nicht mehr praktiziert werden, ruhten, nicht als Werteskala. Der Ritus mache es möglich, alle Strömungen, die je in der Freimaurerei existiert h a b e n , zu studieren und zu erlernen.

107


Besser verstehen.

Das »Maurergeheimnis « In

der

ersten

Hälfte

des

18.Jahr-

ter verschlossenen T ü r e n , über deren

hunderts verbreitete sich die spekulative

»Arbeiten« die Teilnehmer absolutes

Freimaurerei von England aus über

Stillschweigen bewahren mussten, Ini-

ganz Europa. Das wird mit der Faszina-

tiationszeremonien, Riten des Über-

tion erklärt, die das sie umgebende Ge-

gangs von einem Grad zum anderen ...

heimnis ausübte: mysteriöse Symbole,

Das Schweigegebot ist zweifelsohne ein

Erkennungsworte, Versammlungen hin-

Erbe der Z ü n f t e . Denn es lag im lnteres-

Noch in den ersten Jahrzehnten des 20. Jh. lieferte O.Wirth, der dem Grand Orient de France verbunden war und dessen Schriften bis heute zitiert werden, eine alchemistische Lesart der freimaurerischen Symbole. Positionen wie diese und die okkultistische Periode der kontinentalen Freimaurerei haben unfreiwillig dazu beigetragen, die Missverständnisse über das wahre Wesen des »Maurergeheimnisses« aufrecht zu erhalten. Nebenstehend: eines seiner Werke in einer italienischen Auflage aus dem Jahr 1992.

108


Das »Maurergeheimnis« Johannes der Täufer auf einem Gemälde von A. Salaino aus dem 16. Jh. Die Großloge von London konstituierte sich am Tag des Johannisfests. Diese Tatsache nutzte man zu einer bestimmten Interpretation der Geschichte der Freimaurerei, um deren enge Verwandtschaft zu esoterischen Gesellschaften, die lange vor dem 18. Jh. aktiv waren, und ihren Zugang zu den diesbezüglichen Geheimnissen zu beweisen. Tatsächlich genoss der heilige Johannes eine besondere Verehrung bei den Templern, die dieser Interpretationslinie zufolge ihre offizielle Verfolgung überlebt haben sollen, sowie bei den Rosenkreuzern.

se der spezialisierten H a n d w e r k e r , ihr

heit, andererseits aber ist nicht zu

Wissen über Verfahren, Techniken und

leugnen, dass m a n , abgesehen von einer

Fertigkeiten, die sie im Verlauf der gut

typisch angelsächsischen Liebe zur Tra-

sieben Jahre dauernden Lehre erworben

dition,

hatten, geheim zu halten. Z w a r gab es

hatte, dass das Freimaurergeheimnis ein

mit dem Übergang von der operativen

w u n d e r b a r e s Mittel zur Mitglieder-

zur spekulativen Freimaurerei keinen

w e r b u n g war. So auch in katholischen

G r u n d mehr für diese Verschwiegen-

Ländern, wo es die erste päpstliche

zweifelsohne

auch

erkannt

109


Besser verstehen. Bannbulle (siehe S. 36) g a b , Interven-

k a m also nicht nur aus purer Neugier,

tionen der Inquisition sowie Publi-

die m a n vor »verschlossenen Türen«

kationen u n d Schmähschriften, die ein

empfindet, sondern wegen der von den

negatives Bild von der Freimaurerei ver-

Brüdern »offengelegten« Inhalte. Hinzu

breiteten. Sie w u r d e als G e h e i m b u n d

k a m die Überzeugung, die Freimaurerei

für wenige Adepten beschrieben, die

hüte und bewahre tatsächlich ein Erbe

sich zu schändlichen Zielen verschwo-

höheren Wissens, das sie von den Ge-

ren hätten, und trotzdem hatte sie

heimwissenschaften ü b e r n o m m e n hat-

großen Zulauf.

te. M a n meinte, den größten Beitrag zu

Der Papst verurteilte das »Freimaurer-

diesem Erbe könnten n u r die Alchemie

geheimnis«, das f ü r die Verfasser von

und die Kabbala geliefert haben. Aber

Schmähschriften

willkommenes

da s c h w a n g ein Missverständnis mit,

T h e m a war. Die Absicht, sich zu ver-

das vielleicht auch n o c h heute nicht

teidigen, brachte die Freimaurer dazu,

restlos aufgeklärt ist: die Überzeugung,

die Verschwiegenheit, nicht aber das

es gebe ein reales Freimaurergeheimnis,

»Geheimnis« zu verletzen. So verbrei-

das Nicht-Mitgliedern zwar unzugäng-

teten sie ihre Ziele und Rituale. M i t

lich,

einem Wort, sie machten W e r b u n g für

D a s »Geheimnis« der Freimaurerei ist

ein

sich. Wer sich der Freimaurerei näherte,

aber durchaus v o r h a n d e n sei.

aber ihr besonderer esoterischer Cha-

Stich aus Atalanta fugiens, einem Handbuch der Alchemie aus dem 17. Jh. Die Steine, die im Himmel, in den Händen der Jünglinge und auf dem Boden auftauchen, stellen vielleicht den Stein der Weisen dar, den zwar alle sehen, dessen »Geheimnis« aber nur die Weisen ergründen können.

110


Detail des Mosaiks in der Kathedrale von Otranto. Die Arche als geschützter und sicherer Ort wurde manchmal mit der Freimaurerloge verglichen. rakter.

Es

liegt

in

der spirituellen

Inhalt, k ö n n e das deutsche Wort Ge-

Dimension der Suche des Einzelnen,

heimnis einen Hinweis liefern, weil es

sowie in der geistigen N a h r u n g und den

Heim und heimlich enthalte: etwas, das

Anregungen, die aus der Bruderbindung

mir ganz und gar im

erwachsen. K. Kerenyi meint, m a n

»Geheimnis« sei daher jene Sphäre des

dürfe nicht glauben, die Mitglieder

Menschen, die er, solange er Mensch

einer antiken Gesellschaft hätten nicht

sei, nicht aufgeben könne und wolle. Es

allgemein gewusst, w o r u m es sich bei

sei das Unsagbare.

Geheimen gehört.

den geheimen Riten oder Mysterien gehandelt habe. W a r u m also die Verschwiegenheit? Das, w a s die erste Geheimgesellschaft mit der nachfolgenden verbinde, sei das Geheimnis per se. Zu der Frage, ob etwas Ähnliches existiere, ein Geheimnis per se, unabhängig vom

111


Besser verstehen.

Die Symbolik Die Freimaurerei vereint eine Reihe von

grad. Dabei spielen sie — je nach kultu-

Symbolsystemen, die sich in der Ge-

reller Tradition - auf das spirituelle

schichte der Esoterik durchgesetzt ha-

Bauwerk an. Das W i n k e l m a ß k a n n

ben. Dies m a c h t ihre Entschlüsselung

Symbol sein für die »Rechtschaffen-

schwierig.

heit«

Beinahe unverfälscht erhielt sich die

»Rechtwinkeligkeit der Materie«. Der

operative Symbolik, angefangen

bei

Zirkel symbolisiert die geistige Arbeit

W i n k e l m a ß und Zirkel. Sie sind ein

des Einzelnen an sich selbst. Ein wei-

Erbe der alten Baukorporationen. Das

teres symbolisches »Paar«

W i n k e l m a ß steht für den Grad des

tiefer Bedeutung, Setzwaage und Senk-

Lehrlings, der Zirkel f ü r den Meister-

blei, laden zur M e d i t a t i o n ein: die

oder

die

Beherrschung

der

mit sehr

Schematische Darstellung des Tempels, des »heiligsten« Raumes in einer Freimaurerloge. Der Tempel stellt die summa der überlieferten Symbole des Ordens und des Initiationswegs dar. Neben den beschriebenen Symbolen ist auf die Säulen hinzuweisen (die an die Säulen im Tempel Salomonis erinnern) sowie auf die Knoten, die für die Kette der Brüderlichkeit in der Freimaurerei stehen.

1. 2. 3. 4. 5. 6.

Meister vom Stuhl 1. Aufseher 2. Aufseher Redner Schriftführer Schatzmeister

112

7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.

Armenbruder Kandelaber Experte Ordner 1. Schaffner 2. Schaffner Wachthabender


Die Symbolik / ^ C Aquarell von William Blake, das das mittelalterliche Bildthema des Allmächtigen Baumeisters aller Welten aufgreift, der sich mithilfe des Zirkels die Welt erschafft.

Manifestation des Geistes im Universum;

man

muss

ihn bearbeiten, um zur Quelle a u f z u steigen. Auch die Metalle

gehören

zur mineralischen Symbolik. In der ersten Phase des Initiationsrituals wird d e m Kandidaten alles weggen o m m e n , w a s er an

Metallischem

Setzwaage über die gleichmachende

bei sich trägt. Einerseits bedeutet das

M a c h t des Todes, das Senkblei über die

die A u f f o r d e r u n g , sich in die Armen

Möglichkeit, von der Erde aus den

und Wehrlosen hineinzufühlen, andrer-

Himmel zu erreichen, wenn m a n den

seits werden im engeren esoterischem

rechten Pfad der Tugend nicht verlässt.

Sinne auch die Beziehungen zwischen

Unter den vielen operativen Symbolen

den sieben klassischen Metallen (Blei,

sind noch H a m m e r und Meißel zu

Zinn, Eisen, Gold, Kupfer, Quecksilber

erwähnen, die für die Kraft des Willens

und Silber) zu den lebenswichtigen

und der Vernunft bei der »Arbeit am

O r g a n e n des Körpers hergestellt. Die

rauen Stein« stehen.

Wegnahme der Metalle ist daher auch

Der Stein ist in der freimaurerischen

eine M a h n u n g , sich darauf zu besinnen,

Symbolik ein Erbe der Hermetiker. Er

dass m a n sich von der Körperlichkeit

steht f ü r den niedrigsten Grad der

lösen muss, um sich dem symbolischen

113


Besser verstehen Der Buchstabe »G« In der komplexen alphabetischen und kryptografischen Symbolik, deren sich die Freimaurerei bedient, ist der Buchstabe »G«, der im Zentrum des »Flammenden Sterns« steht, nicht eindeutig zu interpretieren. In Italien wird er als Anfangsbuchstabe der Abkürzung G. A. D. U. verstanden (Grande Architetto dell'Universo), oder auch als Hinweis auf Begriffe wie Geometrie, Gnosis, Generation usw. Im Deutschen kann er für Geometrie, Gesetz, Gott stehen. In der angelsächsischen Kultur wird überwiegend auf das Wort God Bezug genommen, aber manche meinen auch, dass er als Anfangsbuchstabe von Geometry zu verstehen sei. In diesem Falle ist der Ursprung des Symbols in der deistischen und mechanistischen

Periode der Freimaurerei zu suchen, als in der englischen Kultur der Newtonismus vorherrschte. Im Französischen soll das »G« drei Bedeutungen haben: Gloire (in Bezug auf Gott), Grandeur (in Bezug auf den Meister der Loge), Geometrie (in Bezug auf die Brüder). Und dann gibt es schließlich noch andere Erklärungen, die etwa das »G« auf eine grafische Umwandlung des entsprechenden griechischen Buchstabens Gamma zurückführen, in der Form dem Winkelmaß ähnlich, das in den englischen Logen des 18. Jahrhunderts im Zentrum des Flammenden Sterns stand, oder auch auf eine Vereinfachung des uralten Sanskrit-Symbols der Swastika, dem Rad der universellen Bewegung.

Tod als spiritueller Wiedergeburt zu

Sei es, dass man den Kreis als kosmi-

stellen. Auch die geometrische Sym-

schen Bereich seiner Manifestation vom

bolik ü b e r n a h m die Freimaurerei aus

Mittelpunkt aus deutet (der Punkt), sei

traditionellem Wissen. Besonders den

es, dass m a n ihn als Lauf der Sonne

P u n k t u n d den Kreis k a n n m a n ver-

oder als wiederkehrenden Zyklus der

schiedentlich

Allmächtigen

Sternzeichen sieht. Auch die a s t r o n o -

Baumeister aller Welten zurückführen.

mische Symbolik hat in der Freimaure-

auf

den

Ein sehr komplexes, klassisches maurerisches Symbol. In der Deutung von O.Wirth drückt das Dreieck mit dem Auge in der Mitte das Prinzip der Bewusstheit aus. Die Strahlen stellen die Aktivität dar oder auch die konstante Expansion des Seins. Der Wolkenkranz spielt auf das zyklische Wesen der expansiven Emanationen an, die sich unter dem Druck ihrer Begegnung verdichten. Alles sei ein Entwurf des Seins in der unendlichen Vielfalt seiner Manifestationen, denn alles sei gleichzeitig dreifach und eins.

114


Die astronomische Symbolik gehört wie alle traditionellen Symbole auch zur freimaurerischen Überlieferung. Auf dem Bild eine Darstellung des Himmelsfirmaments auf dem sogenannten Sternenmantel Kaiser Heinrichs II., Diözesanmuseum, Bamberg.

Freimaurerei, die sich an die Herrlichkeit

des

All-

mächtigen

Bau-

meisters

aller

Welten

wendet«

(M. M o r a m a r c o ) . Es von

versteht

sich

selbst,

dass

geometrische und numerische

Sym-

rei stets breiten R a u m eingenommen.

bolik eng verbunden sind. Die Basis ist

Das am häufigsten zu findende Symbol

hier die Arithmosophie, die m a n nicht

ist jedoch das Dreieck, das oft das Auge

mit Zahlenmagie

Gottes umschließt. In der pythago-

Von der lebenden N a t u r h a t die Frei-

räischen Tradition stellt es den Aufstieg

maurerei sowohl eine Pflanzen- als auch

vom Vielfachen z u m Einen dar, in der

eine Tiersymbolik übernommen. In der

christlichen Tradition die Dreifaltigkeit

Ersteren dominiert die Akazie, die be-

(Sein als G e d a n k e , Liebe und M a c h t ) .

reits in den Anfängen der Freimaurerei

Aber das »maurerische Dreieck k a n n

präsent war. Sie steht für die Unsterb-

symbolisch

Richtungsvektor

lichkeit. In der Hiramslegende steht

gelesen werden. In diesem Sinne sym-

diese Pflanze mit seinem Begräbnis in

bolisiert es in seiner Ausrichtung nach

Z u s a m m e n h a n g . Aus der Bibel wurden

oben die Arbeit oder die dynamis der

schließlich die Libanonzeder (der 2 2 .

auch

als

verwechseln

darf.

115


Besser verstehen

Grad des Alten u n d A n g e n o m m e n e n Schottischen Ritus heißt zum Beispiel »Ritter der Königlichen

Axt«

oder

»Prinz von Libanon«), der Granatapfel,

Das Alphabet der Freimaurerei. Die vielen rechtwinkeligen Buchstaben erinnern an den Winkel, das Maßinstrument, das zur freimaurerischen Symbolik gehört.

der den Tempel Salomonis schmückte

der H a h n (Wachsamkeit), der Pelikan

und wie die Getreideähre auf Frucht-

(Selbstopfcr aus Liebe), der Phönix (Un-

barkeit und Fülle anspielt, sowie die

sterblichkeit),

Rose ü b e r n o m m e n , die in der Rosen-

Stärke),

kreuzersymbolik eine zentrale Rolle

Reinheit) und die Bienen (Fleiß) auf.

spielt. Unter den Tiersymbolen fallen

Eine grundlegende Rolle spielt in den

das

der

Löwe

Lamm

(spirituelle

(Unschuld

und

verschiedenen Ordensritualen auch die Farbsymbolik. In einer Farbskala, die bis z u m Dunkelblau reicht, ist die wichtigste Farbe das Azurblau. Es bezeichnet das System der drei ursprünglichen Freimaurergrade und ist darüber hinaus eine Besonderheit des Meistergrades. Weiß und Schwarz (Licht und Finsternis) sind auf d e m schachbrettartigen Fußboden des Tempels ein Paar, während man, wegen seiner Strahlkraft, Goldgelb für die Q u a s t e n und f ü r die Fleiß und Beständigkeit, wofür die Bienen ein Symbol sind, werden jedem Freimaurer' bruder abverlangt.

116


Die Symbolik /^C Eine Synthese der freimaurerischen Symbolik. Bemerkenswert sind unter anderem zwei Akazienzweige, mit denen die Todesanzeigen von Freimaurern geschmückt werden. Borten der freimaurerischen Fahnen verwendet. G r ü n symbolisiert den Gegensatz von

Licht

(Lichtabsorption

durch Chorophyll) und Dunkel (die Vegetation versenkt ihre Wurzeln in den Schoß der Erde); es ist die traditionelle Farbe des G r a n d e Oriente d'Italia. R o t steht generell für Aktivität, Sehnsucht und Durchsetzungskraft. N u n noch ein letzter Blick auf die Symbolik des menschlichen Körpers. Hier

Lebens ist. Wichtig ist auch die Nabel-

steht das Auge im Mittelpunkt, ein ural-

schnur, die mit dem n u r von Freimau-

tes Symbol der Göttlichkeit, das Organ

rern gebrauchten Wort Cable-Tow be-

des Lichts. Es ist ein weiteres Bild des

zeichnet

Paares P u n k t und Kreis (Pupille und

Bindung an, die alle Brüder auf der Welt

Iris). Eine wichtige Rolle spielt in der

miteinander vereint. Der Totenkopf ver-

englischen

auch

weist auf die notwendige Reflexion über

das Herz, das, so der Esoteriker R. Gué-

den Tod, bevor m a n sich auf den Weg

non, Sitz und Bewahrer des kosmischen

von Erneuerung und Erhöhung begibt.

Freimaurertradition

wird.

Dies

spielt

auf

die

Mittelalterliche Miniatur, die einen Pelikan zeigt, der seine Kinder mit seinem eigenen Fleisch füttert. Der Pelikan, der das Selbstopfer aus Liebe repräsentiert, war auch in der christlichen Iltonografie ein häufig verwendetes Symbol.

117


Besser verstehen

Das Kleid macht den Freimaurer? Die maurerische »Bekleidung« besteht

verschiedenen Graden ä n d e r t , k a n n er

aus symbolischen Kleidungsstücken wie

immer wieder neue Bedeutungen an-

dem Schurz, den H a n d s c h u h e n oder

nehmen.

dem

internen,

Ein weiteres klassisches Kleidungsstück

rituellen Gebrauch bestimmt ist, hat sie

sind die weißen H a n d s c h u h e , die der

jedoch einen ganz anderen Stellenwert

Kandidat in der in manchen Initiations-

Collar.

Da

sie

zum

als das religiöse H a b i t oder die Unif o r m . D a b e i b e r u f t sie sich auf einen n u r unter den Brüdern funktionierenden Code. Ihr Ziel ist es, den Einzelnen einzuladen, sich mit der Folgerichtigkeit des eigenen spirituellen, maurerischen Weges auseinanderzusetzen. Der Schurz ist ein Symbol, das seinen U r s p r u n g in der operativen Freimaurerei hat und der realen Arbeitswelt der M a u r e r entlehnt ist. In der spekulativen Freimaurerei jedoch hat er als Symbol noch weitere Bedeutungen. Seine Farbe z u m Beispiel, das Weiß, symbolisiert, dass es für den Lehrling unerlässlich ist, unschuldig u n d rein zu sein. D a r ü b e r hinaus dient er als um die Taille geschlungene klare Trennungslinie, die einen oberen und einen unteren Teil des Körpers definiert. Sie verweist d a r a u f , dass es wichtig ist, d e m oberen Teil, H e r z u n d Geist, den Vorzug zu geben und den unteren, die Triebe, zu beherrschen. Da sich seine Symbolik in den

Kleidung des Gesellengrades, die an den mittelalterlichen, operativen Ursprung der Freimaurerei erinnern soll.


Das Kleid macht den Freimaurer?

Porträt des großen deutschen Dichters J. W. Goethe. Als er nach seiner Initiation zur Freimaurerei die Handschuhe empfing, schrieb er Charlotte von Stein: »Ein geringes Geschenk, dem Ansehn nach, wartet auf Sie, wenn Sie wiederkommen. Es hat aber das merckwürdige dass ichs nur Einem Frauenzimmer ein einzigesmal in meinem Leben schencken kan.«

Zeremonien

erhält.

Im

Mittelalter

schmückten Ritter ihre Helme mit den H a n d s c h u h e n ihrer D a m e n . Und tatsächlich ist beim Ritual der beiden weißen H a n d s c h u h e , die dem neuen Adepten übergeben w e r d e n , noch immer der eine f ü r ihn bestimmt, der andere für die Frau, die er liebt oder am meisten achtet. Generell soll dieses

Collar in der blauen Freimaurerei eine

Kleidungsstück

die

präzise F u n k t i o n an, während es bei

H ä n d e rein zu halten, aber auch, die

den anderen nur auf den Initiationsgrad

Sphäre des Heiligen (Einrichtung und

hindeutet.

Symbole des Tempels) vor jeglicher »Be-

Der

schmutzung« oder Profanierung zu be-

Kleidung hat besonders in der Ini-

schützen. Einige Wissenschaftler mein-

tiationszeremonie des Lehrlings große

en, die weißen H a n d s c h u h e stünden

Bedeutung (siehe Kasten auf S. 104).

dafür, dass m a n sich nicht, auch nicht in

Die unordentliche Kleidung und das

übertragenem Sinne, mit d e m Blute

Fehlen eines Schuhs stellen einerseits

Hirams befleckt habe (siehe S. 2 5 - 2 8 ) .

den verwirrten Zustand des »Profanen«

Das Collar ist ein Symbol, das für eine

(Nichteingeweihten) dar, bevor er den

hohe Funktion in der Logenhierarchie

Tempel betritt, andrerseits steht er für

steht. Es bringt nicht n u r Autorität und

die notwendige D e m u t , die derjenige

Ehre mit sich (das Dreieck mit der

besitzen sollte, der sich einer Initiation

Spitze

Rang-

unterzieht. Die symbolische Bedeutung

abzeichen), sondern soll, um den H a l s

dieser zweiten Auslegung wird noch

getragen,

Verantwortung

verstärkt, wenn beim Ritual die Metalle

bewusst m a c h e n , die mit M a c h t a u s -

weggenommen werden (siehe S. 1 1 3 -

übung einhergeht. Im Übrigen zeigt das

114).

nach

daran

unten

auch

die

erinnern,

ist

ein

symbolische

Eingriff

in

die

119


Besser verstehen.

Zweck und Ziele des Ordens Die Freimaurerei ist so facettenreich

Die Freimaurerei teilt mit einem Groß-

und

hat eine d e r a r t komplexe und

teil der religiösen und ethischen Kon-

widersprüchliche Geschichte, dass man

zepte der Geschichte die Überzeugung,

ihr w e d e r einheitliche n o c h k o n s t a n t e

der Mensch sei vervollkommnungsfähig

Zielsetzungen zuschreiben k a n n . Daher

(perfektibel). D a h e r schlägt sie dem

kann m a n nur die von der Freimaurerei

Individuum den Weg spiritueller Ent-

selbst geäußerten Ziele betrachten und

wicklung vor. Es handelt sich für jeden

sich zu diesem Z w e c k jener Publika-

um einen gänzlich a u t o n o m e n und sub-

tionen bedienen, die vor allem in jüng-

jektiven Weg, auch w e n n das »heilige«

erer Zeit die Missverständnisse, die den O r d e n umgeben und zu einem g r o ß e n Teil auf Desinformation beruhen, aufzuklären versuchen.

120

Stich aus der Tabula Cebetis, der in Gestalt einer Stadt mit mehreren Mauerringen den Weg der Veredelung des Einzelnen darstellt.


Zweck und Ziele des Ordens

Ambiente des Tempels sowie das Bewusstsein, zum »Corpus« einer Loge zu gehören,

grundsätzlich

Mittel

zur

Orientierung sind. Auf der anderen Seite ermöglicht die »korporative Dimension«, die von jedem Bruder erreichten

Resultate

miteinander

zu

teilen, was auch ein kollektives Weiterkommen

bedeutet, das sich in der

äußeren Welt nicht n u r durch philanthropische

Initiativen

widerspiegeln

sollte, sondern auch d u r c h ein Engagement für eine »wahre, gesunde und nicht parteiische Gerechtigkeit« z u m

Die Rückseite einer Dollarbanknote, die im linken Kreis das freimaurerische Bild einer stumpfen Pyramide trägt, über der das allsehende Auge des Allmächtigen Baumeisters aller Welten schwebt. Die Pyramide ist ein Symbol für die Vollendung des Werkes. Aber die Hervorhebung der Ziegel weist auch zusammen mit dem Motto f A n n u i t Coeptis N o v u s

Ordo Saeculorum: »Eine neue Epoche winkt den Initiierten«) daraufhin, das das Ziel des initiatischen Weges das Ergebnis einer fortschreitenden »Konstruktion« ist. Dasselbe Symbol schmückt auch den Meditationsraum des UNO-Hauptquartiers in New York.

Wohl der gesamten Menschheit (U. Gorel Porciatti).

gagements des Freimaurers, der das

D a s letzte Ziel ist nämlich die welt-

Projekt der Rettung nicht an einen Gott

u m s p a n n e n d e Bruderschaft, w a s sich

delegiert, s o n d e r n d a r a n mitarbeitet,

im

indem er den »Königsweg der Pflicht«

ethischen

Statut

der

regulären

Freimaurerei niederschlägt, die von der

durchläuft (M. M o r a m a r c o ) .

gemeinsamen A b s t a m m u n g vom All-

Die freimaurerische Literatur hält es f ü r

mächtigen

Welten

unerlässlich, die Verbindung zur opera-

überzeugt ist. Das ist auch der Ursprung

tiven Tradition lebendig zu halten und

der Wahrheitsliebe und somit der »kon-

hebt daher die konstruktive Arbeit als

struktiven« N a t u r des spirituellen En-

F u n d a m e n t der spirituellen Disziplin

Baumeister

aller

121


Besser verstehen. Kathedrale von Chartres. Das Labyrinth oder auch der Weg, auf dem man zum Heiligen gelangt, ist ebenfalls ein freimaurerisches Symbol. Der Fürst von Sansevero entwarf es eigenhändig für seine Kapelle in Neapel.

hervor. Dies erlaubt es, auch das letzte

Die Begräbnisrituale stellen die Re-

Ziel der persönlichen Veredelung des

flexion über den Tod in den Vorder-

Einzelnen genauer zu erklären. In der

grund, damit er als innere Wiedergeburt

freimaurerischen Ethik, die die psycho-

überwunden werden k a n n . Sie können

logischen Kehrseiten dieser Frage nicht

m a k a b e r erscheinen und h a b e n w o h l

übergeht, ermöglicht die Arbeit, die

unter den »Profanen« einige Missver-

Grenzen des Ich zu überschreiten und

ständnisse verursacht. Aber es steht

sich in ein organisches Ganzes zu in-

außer Zweifel, dass die Freimaurerei,

tegrieren, das nicht, wie der M e n s c h ,

indem sie sich dieser Frage stellte, be-

d e m T o d u n t e r w o r f e n ist. D a s voll-

reits im Voraus Schäden vorbeugen

endete Werk bleibt, es überleben die

konnte, die in der Psyche des Einzelnen

Gefährten, mit denen m a n es realisiert

und in der Gesellschaft insgesamt durch

hat, es nützt neuen Generationen ... In

die Verdrängung des Gedankens an den

diesem Sinne ist die Arbeit eine Vor-

Tod entstehen können.

w e g n a h m e der Unsterblichkeit, die ein

Wenn das Ziel des Freimaurerordens

f ü r den normalen Menschen psycho-

die

logisches Bedürfnis befriedigt, das für

Einzelnen ist, der d u r c h einen völlig

den Freimaurer

der

individuellen Weg seinen Platz gegen-

»Grenzen« (siehe S. 102) seiner eigenen

über dem Höchsten Sein und seinen

Identität ist.

N ä c h s t e n begreift, so strahlt all dies

122

aber

nur

eine

persönliche

Veredelung

des


Zweck und Ziele des Ordens Ein Stich, der Voltaire (16941778) in Sanssouci im Gespräch mit seinem Schüler Friedrich dem Großen darstellt.

natürlich auch auf das praktische Leben

auf den Garten Eden z u r ü c k f ü h r e n -

zurück. N a c h dem freimaurerischen

der Anteil

Kodex muss der Freimaurer ein ehr-

unter den Mitgliedern ungewöhnlich

licher Bürger, ein guter Vater, eine acht-

groß war. Die Frage lautet also: Was hat

bare und tolerante Persönlichkeit sein,

diese Menschen dazu gebracht, Frei-

k u r z u m , ein Mensch von starker und

maurer zu werden? Eventuell ist m a n

unzweifelhafter Moral.

heute in Italien infolge der Geschehnis-

Dies mag zwar die Verbreitung des Or-

se um die Loge P2 versucht, den Ent-

dens als »positive, aber freie« Orga-

schluss zur Mitgliedschaft als eine Art

illustrer Persönlichkeiten

nisation begründen, aber es erklärt

»Geschäftemacherei« zu sehen. Von

nicht jene Besonderheit, die die Frei-

Persönlichkeiten wie George Washing-

maurerei

ihrer Konstitution in

t o n und den Vätern der amerikanischen

London im Jahr 1717 auszeichnete: die

Verfassung k a n n m a n das aber be-

Mitgliedschaft

Personen.

stimmt nicht behaupten. Auch w e n n

Liest m a n einen der zahlreichen Texte

der Beitritt in eine Loge vom jungen

zur Geschichte der Freimaurerei, so

General N a p o l e o n B o n a p a r t e als eine

stellt man fest, dass im Verhältnis zur ei-

Art »Garantie« f ü r seine zukünftige

gentlich kurzen Existenz des O r d e n s -

Karriere angesehen w u r d e , so k a n n

m a n sollte sich hüten, fantasievolle H y -

man

pothesen in Betracht zu ziehen, die ihn

Preußen sicherlich nicht unterstellen,

seit

berühmter

das

einem

Friedrich

II.

von

123


Besser verstehen. Links: Die Philosophie Nietzsches, die von der faschistischen und nationalsozialistischen Ideologie auf paradoxe Weise interpretiert und verdreht wurde, könnte als Gegensatz zu freimaurerischen Prinzipien erscheinen. In Wirklichkeit aber war der Philosoph, hier von Edvard Münch porträtiert, ein überzeugter Freimaurer.

Auf der folgenden Seite: Blick in den Innenraum der Kathedrale von Chartres, die von mittelalterlichen Freien Maurern erbau wurde.

der ja bereits dem Erbrecht nach König

nomen, Wissenschaftler und Dichter (es

war.

m a g genügen, für Italien Alfieri und

Etwas scheint allerdings sehr charakter-

Carducci zu erwähnen). Besonders im

istisch zu sein: Freimaurer mit einem in-

18. J a h r h u n d e r t , dem J a h r h u n d e r t der

tellektuellen Beruf sind zahlreich, be-

A u f k l ä r u n g , w a r es einem Intellek-

sonders Künstler (und unter diesen

tuellen fast unmöglich »kein Freimau-

nehmen die M u s i k e r in der gesamten

rer zu sein«. Und d a n n g a b es wieder

Geschichte

Zeiten der Krise.

der

Freimaurerei

einen

bedeutenden Platz ein, v o n H ä n d e l ,

Eines lässt sich jedoch wohl sagen: es

H a y d n , Gluck und Beethoven bis hin zu

sind die T h e m e n , die viele

Sibelius und Stockhausen), Philosophen

Geister« in die freimaurerische Gemein-

(von Voltaire

schaft gezogen haben. Dazu gehört die

124

bis

Nietzsche), Ö k o -

»große



Besser verstehen Überzeugung, der Mensch sei zur Ver-

das Ziel, das der Orden sich setzt; und

vollkommnung fähig, oder die gemein-

die Mittel, die er einsetzt, sind, wenn sie

same Solidarität und der Wunsch, mit

nicht verfälscht werden, friedfertig und

persönlichem

der

klar. Das Ziel ist, den Menschen zu ver-

Realisierung des Entwurfes des All-

edeln, den Einzelnen, denjenigen, der

mächtigen Baumeisters auf Erden mit-

sich

zuarbeiten, und zwar gemäß dem ei-

meditieren, begreifen zu lassen, dass er

genen spirituellen Weg und den eigenen

Botschafter des Höchsten und Teil des

Begabungen. Wenn das Bild stimmt,

Ganzen ist, und dass diese Teile im

kann man die Worte eines Bruders nur

Ganzen durch einen einzigen Mörtel

unterschreiben, der sich leidenschaft-

miteinander verbunden sind: die Liebe«

lich der Vertiefung der freimaurerischer

(U. Gorel Porciatti).

Engagement

an

Spiritualität gewidmet hat: »Groß ist

veredeln

will,

ihn

denken,


Quellen Aus der schier endlosen Reihe von Schriften über die Freimaurerei werden hier nur die Titel angegeben, auf deren Grundlage dieses Buch entstanden ist.

A. C. Ambesi: I Maestri del Tempio, Mailand 1995 A. C. Ambesi: Le societä esoteriche, Mailand 1994 E. Bonvincini: I gradi della Massoneria di Rito Scozzese Antico e Accettato, Foggia 1997 E. Bonvincini: Massoneria di Rito Scozzese, Rom 1988 G. Cipriani: I mandanti. II patto strategico tra Massoneria, mafia e poteri politici, Rom 1993 F. Cordova: Massoneria e politica in Italia (1892-1908), Bari 1985 G. Di Bernardo: Filosofia della Massoneria. L'immagine massonica dell'uomo, Padua 1989 U. Gorel Porciatti: Simbologia massonica: gradi scozzesi, Rom 1981 U. Gorel Porciatti: Simbologia massonica: Massoneria azzurra, Rom 1947 S. Hutin: Unsichtbare Herrscher und geheime Gesellschaften, Bonn 1973 R. Le Forestier: Die templerische und okkultistische Freimaurerei im 18. und

19.Jahrhundert, Bd. I: Die Strikte Observanz, Leimen 1987 A. A. Mola: Storia della Massoneria dalle origini ai nostri giorni, Mailand 1994 A. A. Mola: Storia della Massoneria in Italia, in: Storia d'Italia: dalla civiltà latina alla nostra Repubblica, Novara 1981 M. Moramarco: Nuova Enciclopedia Massonica, 3 Bde, Foggia 1996-1997 P. Partner: The murdered magicians. The Templars and their myth, Oxford 1982 L. Sessa: La Massoneria. L'antico mistero delle origini, Foggia 1997 L. Sessa: L'evoluzione della Massoneria: dagli alti gradi ul Rito Scozzese Antico e Accettato, Foggia 1997 L. Troisi: Dizionario Massonico, Foggia 1999 O. Wirth: La franc-maçonnerie rendue intelligible à ses adeptes, Bd.I: L'apprenti, Bd. II: Le compagnon, Paris 1999

127


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.