Inhaltsverzeichnis Vorwort Die Ursprünge Ein Durcheinander von Theorien Die Rosenkreuzer In England zu Beginn des 18. Jahrhunderts Von der operativen zur spekulativen Freimaurerei Den Stuarts treu? Eine Vergangenheit »nach Maß« Jenseits des Ärmelkanals Verbreitung
8 12 14 18 22 24 30 30
Wechselwirkung mit der Geschichte Freimaurerei, Staat und Kirche Aufklärung und Freimaurerei
36 40
Die Die Die Die
42 44 46 50
»nationalen« Logen Logen in Italien bayrischen Illuminaten »Rache« der Freimaurer
Die Logen und die Kultur Napoleon: Eine »gelenkte« Karriere? Italien: Auf dem Weg zum Risorgimento
56 62 64
Die »romantische« Freimaurerei Freimaurerei und Sozialismus Freimaurerei und geeintes Italien Freimaurerei made in USA Der Faschismus ...
66 70 76 82 84
... und der Nationalsozialismus Heute in Italien
88 92
Die weltweite Freimaurerei
96
Besser verstehen Der »reguläre« freimaurerische Horizont
102
Die Initiationsgrade
104
Das »Maurergeheimnis«
108
Die Symbolik
112
Das Kleid macht den Freimaurer?
IIB
Zweck und Ziele des Ordens
120
Quellen
127
Vorwort Wer sich über die Freimaurerei informieren will, hat unter einer Fülle von Titeln die Qual der Wahl. Daher erhebt diese Einführung keinen Anspruch auf eine erschöpfende Behandlung dieser Thematik, sondern will vielmehr Grundinformationen zu einer Institution liefern, die seit jeher zu vielen Missverständnissen und Verdrehungen Anlass gab. Das Buch beschäftigt sich mit der Geburt der Freimaurerei im modernen Sinne (Die Ursprünge). Es beleuchtet, wie sehr die Ziele und Programme der Freimaurerei von der Epoche der Aufklärung ge-
prägt wurden, nicht nur hinsichtlich der Politik, sondern auch im Hinblick auf die vorherrschenden ideologischen und kulturellen Strömungen, und wie sich das auf die Art ihrer weltweiten Verbreitung auswirkte (Wechselwirkung mit der Geschichte). Der letzte Abschnitt (Besser verstehen) versucht, dem Leser durch die Vermittlung notwendiger Kenntnisse einen »Leitfaden« an die Hand zu geben, mit dessen Hilfe er die freimaurerische Auffassung von der Welt und vom Menschen, so wie er ist oder sein sollte, entziffern kann.
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Die Ursprünge
Ein Durcheinander von Theorien Die Hypothesen zum Ursprung der Freimaurerei sind so zahlreich, dass es schier unmöglich wäre, sie alle hier einer eingehenden Betrachtung unterziehen zu wollen. Eine Monografie zu diesem Thema macht dies deutlich: »Bei einer 1909 erfolgten Untersuchung von
zweihundertsechs bis dato veröffentlichten historischen Werken, die sich mit den Ursprüngen des Freimaurertums befassen, traten neununddreißig unterschiedliche Ansichten zutage« (L. Sessa:
IM
tero
origini).
delle
Massoneria.
Llantico
mis-
Reproduktion eines pompeianischen Mosaiks, das 1878 an einer Stelle entdeckt wurde, an der ein römisches Collegium seinen Sitz gehabt haben soll: Setzwaage und Senkblei über einem Totenschädel (der physische Tod). Darunter schwebt ein Schmetterling (die unsterbliche Seele) über dem Lebensrad (die biologischen Zyklen). Bilder wie dieses führten in der Freimaurerei zu der Überzeugung, an eine uralte Tradition anzuknüpfen.
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Ein Durcheinander von Theorien
Einer der vielen fantasiereichen Theorien zum Ursprung der Freimaurerei zufolge stammen die Logen von den Bauleuten ab, die den Turm von Babel errichteten (oben: die Turmยกumstelle auf einem Mosaik in der Markuskirche zu Venedig).
9
^ ^ ^
Die
Ursprünge
Im Foucaultschen Pendel von U. Eco wird aus reinem intellektuellen Vergnügen heraus versucht, einen organischen Entwurf zu erschaffen, in dem alle esoterischen und hermetischen »Seelen« vorkommen, die oft als Ursprung der Freimaurerei bezeichnet werden.
In dieser Liste stößt man sogar auf Theorien, die behaupten, die Freimaurerei habe bereits vor der Erschaffung der Welt bestanden, und andere wieder halten sie für zumindest ebenso alt wie die Schöpfung und sprechen vom Bestehen einer Freimaurerloge im Paradies. Viele sehen den Ursprung der Freimaurerei in grauer Vorzeit oder aber in einem der bedeutenden Augenblick der Menschheit, die die Bibel beschreibt: bei den Überlebenden der Sintflut oder den Bauleuten des Turms zu Babel. Häufig wird , auch in späterer Zeit, eine Verbindung zum Judentum hergestellt. Vor allem sollen die ersten »Maurer« tatsächlich die Erbauer des Tempels in Jerusalem gewesen sein. Letztere Hy10
pothese gehört zu einer weiteren Gruppe von Legenden, die in die sogenannten gotischen Konstitutionsschriften. der operativen Zünfte des Bauhandwerks Aufnahme fanden. In diesem Zusammenhang spielt Salomon eine ähnliche Rolle wie Euklid und Pythagoras, was auch auf den geografischen Verlauf der traditionellen »Maurerweisheit« von ihrer Wiege, dem Orient, über das antike Griechenland bis hin zu den Britischen Inseln verweisen soll. Deutlich operativen (d. h. ursprünglich handwerksbezogenen) Sinn hatte diese »Weisheit« dort, wo man die ersten Maurer unter den Mitgliedern der Collegia Artificum oder Fabrorum im antiken Rom sehen wollte, unter den Magistri Comacini, die bereits in langobardischer Zeit tätig waren, unter den deutschen Steinmetzen und den französischen Compagnonnages, um schließlich bei den englischen und schottischen Free-Masons (Freien Maurern) anzukommen. Als man jedoch vermehrt auf komplexe Symbole und Rituale sowie auf Verj schwiegenheit Wert legte, wurde die Freimaurerei in die Nähe von Mysterienkulten und esoterischem Wissen gerückt, ohne dass dabei irgendeine
Ein Durcheinander von Theorien ^ ^ ^
Detail eines Fensters der Kathedrale von Chartres, auf dem ein Ritterzweikampf dargestellt ist. Die Hypothese, der Ursprung der Freimaurerei sei auf die Tempelritter zurückzuführen, fand im Lauf der Geschichte zahlreiche Anhänger.
noch so abgelegene Tradition ausgelassen wurde: die der Ägypter ebenso wie die der Chaldäer, Essener, Druiden oder Rosenkreuzer. Großen Erfolg hatten die »militärischen Theorien«. Diese brachten den Ursprung der Freimaurerei mit dem Rittertum in Verbindung, genauer gesagt mit dem Zeitalter der Kreuzzüge und den militärischen Ritterorden, insbesondere den Tempelrittern. Schließlich soll auf jene politischen Theorien hingewiesen werden, die die Ereignisse rund um den englischen Thron (siehe S. 22-23) ins Spiel brin-
gen, sowie auf die Hypothese, die im englischen Philosophen Francis Bacon (1561-1626) den Begründer der Freimaurerei sieht. Eine seriöse freimaurerische Historiografie ermöglichte es, Licht in dieses Durcheinander zu bringen, indem sie die verschiedenen Positionen in Beziehung zum ideologischen und kulturellen Kontext ihrer Entstehungszeit setzte. Doch derjenige, der sich mit der Freimaurerei befasst, hat es mit einer Symbolsprache zu tun, was Missverständnissen Tür und Tor öffnen kann, nimmt man die Formulierungen wörtlich.
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^ ^ ^ Die Ursprünge
Die Rosenkreuzer Besondere Aufmerksamkeit verdient die
erschafft
Theorie zum Entstehen der Freimaure-
creutzes an die Gelehrten
rei, die die Rosenkreuzer ins Spiel
schrieben.
deß
Hochgeehrten
Darüber
Rosen-
Europas ge-
hinaus
erschien
bringt. N i c h t weil sie im Vergleich zu
1616
a n d e r e n glaubwürdiger wäre, sondern
tiani
weil das Rosenkreuzertum — oder viel-
Bis heute steht jedoch nicht fest, ob die
mehr die Vereinigungen, die sich selbst
Bruderschaft, von der diese Texte spre-
als Erben der rosenkreuzerischen Tra-
chen, tatsächlich existierte. Vielleicht
dition ausriefen - seit d e m 19. Jh. mit
handelte es sich um eine »imaginäre Ta-
d e r Freimaurerei m a n c h m a l in engem
felrunde«, einen Kreis »wahrer« Weiser,
K o n t a k t stand.
der sich als Hüter geheimen Wissens für
Die Rosenkreuzerbewegung t r a t erst-
eine Erneuerung der Menschheit ein-
mals zu Beginn des 17. J a h r h u n d e r t s
setzte und die N a t u r in göttlichem Aus-
a u f , als in Deutschland zwei Traktate
m a ß beherrschen konnte. Für eine Ver-
veröffentlicht w u r d e n : 1614 die Fama
breitung dieses Idealtyps des Weisen in
Fraternitatis
des
einer von Religionskriegen gezeichneten
R. C.
Zeit - als letzter f l a m m t e 1 6 1 8 der
sowie 1615 die Confessio Fraternitatis
Dreißigjährige Krieg auf - sollen die
Oder
A n h ä n g e r der Alchemie, der n a t ü r -
Oder
Hochwohllöhlichen Bekanntnuß
Brüderschaft Ordens der
des
löblichen
Brud-
die
Chymische Hochzeit:
Rosencreutz anno
Chris-
1459.
lichen Magie, der Kabbala und der m a gischen Astrologie gesorgt haben. Sie w a r e n Erben des Hermetismus der Renaissance, hatten aber a u c h am Re-
Anima mundi. Stich aus einem Werk von Robert Fludd (1574—1637), einem englischen Arzt, Erbe der hermetischen Tradition der Renaissance und vermutlich Rosenkreuzer. Er lebte in London in der Coleman Street nahe dem Gebäude, in dem sich damals die London Masons Company befand. Es ist nicht auszuschließen, dass er als »angenommener« Freimaurer beigetreten war und einen gewissen Einfluss auf das Entstehen der spekulativen Freimaurerei ausübte.
12
Die Rosenkreuzer
Gott misst die Welt mit seinem Zirkel, anglofranzösische Bibelillustration aus dem 14. Jh. In seinem Essay The scripture references to the rose croix
ritual (1979) betont A. C. F Jackson den
»Mystizismus«, der als stufenweise Annäherung an eine wahrheitsgetreue Interpretation des Willens des Großen Baumeisters aller Welten und die Unterwerfung unter diesen verstanden wird.
formeifer und der Sehnsucht nach geistiger
Erneuerung
teil,
die
für
das
Europa jener Zeit so charakteristisch waren. Aktuellere Positionen in der Historiografie der Beziehung zwischen Freimau-
mene«
rerei und Rosenkreuzern schließen eine
S. 18-21).
Übereinstimmung beider Strömungen
Die
ebenso aus wie die Hypothese, die
(siehe S. 2 4 - 2 9 ) und die Definition des
Fi'eimaurerei sei eine rosenkreuzerische
Meistergrades könnte Bezug auf jenen
»Geburt«. Doch womöglich wurde der
Christian Rosenkreutz nehmen, der von
Entwurf einer O r d n u n g der »löblichen
Andreae als G r ü n d e r der Bruderschaft
Bruderschaft« in Fama, Confessio und
eingeführt und mit der spirituellen Fra-
Chytnischer Hochzeit von den Statuten
gestellung nach Tod und Wiedergeburt
der operativen Freimaurerei
in
(Werk-
Logenmitglieder w a r e n (siehe
freimaurerische
Zusammenhang
Hiramslegende
gebracht
wird.
maurerei) inspiriert. Eine Autorschaft
Die
des Verfassers der
Chymischen Hoch-
Yates wertet die Traktate als »Zeichen«
zeit,
ein
lutherischer
eines Geheimplans, der in den ersten
Pastor aus Württemberg und Anhänger
Jahren der Herrschaft Jakobs I. heran-
der spirituellen Alchcmie, für die beiden
gereift sei. Er habe alle Kräfte des Pro-
ersten
gesichert.
testantismus antikatholisch und anti-
Andererseits k ö n n t e das lebhafte und
habsburgisch ausrichten wollen. Dieser
dauerhafte
Theorie zufolge hatte die englische
J.V. Andreae,
Texte
ist
Interesse
nicht an
rosenkreu-
englische
Historikerin
Frances
zerischen Traktaten in England auch ei-
Freimaurerei
nige Persönlichkeiten mit esoterischem
bewegung
Interesse erfasst h a b e n , die zu Zeiten
schloss explizite konfessionelle Ent-
des Übergangs von der operativen zur
scheidungen oder Formen jeglicher po-
spekulativen Freimaurerei »angenom-
litischer Konspiration seit jeher aus.
mit der
wenig
Rosenkreuzer-
gemein,
denn sie
13
Die Ursprünge
In England zu Beginn des 18. Jahrhunderts Im Wesentlichen ist man sich einig über die Geburtsstunde der Freimaurerei im modernen Sinn: es war das St. JohanniFest am 14. Juni 1717. Damals versammelten sich die Verantwortlichen von vier Londoner »Logen« im alehouse Goose and Gridiron (Zur Gans und zum Bratrost). Nach dem normalen Programm, der sogenannten Arbeit, wurde die Gründung einer weltweiten Großen Mutter löge verabschiedet. Sie sollte sämtliche freimaurerischen Vereinigungen zusammenfassen und gewährleisten, dass Statuten und Symbole den Regeln entsprachen. Als Logen (lodges auf Englisch, loges auf Französisch) wurden im Mittelalter auf Kathedralenbauplätzen eingerichtete Hütten und Lauben bezeichnet. Dort fanden die hoch spezialisierten und in Zünften organisierten Bauleute Zuflucht vor schlechtem Wetter und besprachen Arbeitsfragen. Aus diesen mittelalterlichen Dombauhütten leitete sich auch die Bedeutung des Ausdrucks »Maurerei« her, der oft als Synonym für den Begriff »Freimaurerei« verwendet wird. In England nannte man einen für den Steinmetz besonders geeigneten Stein nämlich free stone. Analog dazu hieß der Steinmetz free-mason. Frankreich seinerseits über-
14
setzte die englischen Begriffe mit pierre franque respektive franc-maçon. Es existiert jedoch noch eine andere etymologische Deutung des Begriffs: freemason oder franc-maçon bedeutet wörtlich »freier Maurer«. Im Mittelalter war nämlich derjenige »befreit« und daher frei (free, franc), der als Mitglied einer Zunft seiner Arbeit an jedem beliebigen Ort nachgehen konnte. Die »Freien Maurer« unterschieden
Auf der gegenüberliegenden Seite: gotische Bauhandwerker bei der Arbeit, Miniatur aus der Mitte des 15. Jh. Lange hat man diskutiert, ob diese Bauleute wohl Kenntnisse und Geheimnisse esoterischer Natur besaßen, und ob Freimaurerei diesem Umstand ihr Erbe zu verdanken habe. Historisch erwiesen ist jedoch, dass die Verschwiegenheit (die übrigens in Statuten ab dem 14. Jh. dokumentiert ist) vor allem die speziellen Techniken des Berufs betraf. Die Techniken waren das eigentliche Erbe der Zünfte, insbesondere der Meister, die die Bauhütte leiteten. Sie waren bemerkenswerte Persönlichkeiten: nachdem sie auf der niedrigsten Stufe (Steinmetzlehrling) angefangen und sich qualifiziert hatten, indem sie von Stadt zu Stadt durch einen großen Teils Europas reisten, um andere Erfahrungen zu machen und neue Techniken kennenzulernen, waren sie Selbständige in höherer sozialer Position, oft in vertrauter Beziehung zu den Mächtigen.
I n England z u Beginn des 18. Jahrhunderts ^ ^ ^
n s
1
Âť
sich von den einfachen Maurern durch einen hĂśheren Grad technischer Spezialisierung. Sie hielten Jahrhunderte hindurch, auch nach dem Niedergang der
Gotik, die Tradition des Zunftwesens aufrecht, indem sie internen Statuten gehorchten. Diese wurden mehr oder weniger von lokalen Gegebenheiten ge15
UnUfttfUHMt
Das Zunftwesen in England: Craft Im Italienischen hat das Wort »Arte« (Kunst) neben vielen anderen Bedeutungen auch eine historisch-soziologische, nämlich »Zunft«. Es kann auch generell Zusammenschlüsse von Handwerkern und Kaufleuten meinen, die bis zur Französischen Revolution so ihren Ausdruck für eine berufliche Identität, fachliche Interessen und ein Zusammengehörigkeitsgefühl fanden. In England gibt es den Begriff » C r a f t « ,
prägt, den berühmten Old Charges, jene in über hundert Versionen existierenden »Alten Pflichten«, deren älteste überlieferte Fassung um 1390 entstand. Außerdem verwendeten sie das sogenannte Mason Word, das »Maurerwort« (das heißt, ein Zeichen oder eine Parole, die es den Mitgliedern ermöglichte, einander zu erkennen oder vielleicht einfach die Gelegenheitsarbeiter und Lehrlinge von den Gesellen zu unterscheiden). Ihre Vereinigungen nannten sie auch weiterhin »Loge«. Erst viel später, nachdem 1717 die moderne Freimaurerei entstanden war, sollte dieser Begriff wieder ihre Versammlungsorte bezeichnen, die allerdings völlig anders waren als die auf den mittelalterlichen Dombaustellen. Bis dahin pflegte man Versammlungen in öffentlichen Lokalen (Bierstuben und Gasthäuser) abzuhalten, wie etwa jenes, in dem die Großloge von London gegründet wurde. Andererseits scheint das Gasthaus auch ein für das soziale
16
der ebenso wie das italienische »Arte« in seiner Bedeutimg immer auf eine besondere Fähigkeit oder Geschicklichkeit hinweist. C r a f t kann generell eine richtige Kunst oder den Handel bezeichnen, sowie Gruppierungen von Personen, die Kunst ausüben oder Handel treiben. In freimaurerischem Zusammenhang bezieht sich das Wort auf die Gesamtheit der Freimaurer; wo auch immer sie sich befinden mögen.
Milieu der Angehörigen der alten englischen Logen geeigneter Ort gewesen zu sein. Im 17. Jahrhundert waren gebildete Adelige (die sogenannten Accepted
Masons)
in
den
Bruder-
schaften der Steinmetze gar nicht so selten, wie zahlreiche Dokumente belegen. Dennoch waren Handwerker bis zum ersten Viertel des 18. Jahrhunderts in jenen Bruderschaften weiterhin in der Überzahl. »Tatsächlich waren die englischen Logen von Anfang an und bis in unsere Tage eine Art Club«, schreibt R. Le Forestier in Die templerische und okkultistische Freimaurerei im 18. und 19. Jahrhundert. »Hier kam zu dem den Engländern eigenen Vergnügen, zu festen Zeiten einen Abend unter Männern zu verbringen, noch der Gebrauch eines bilderreichen Wortschatzes hinzu und die Pflege der alten Bräuche, die ihrem traditionalistischen Geist besonders entsprach. Die Freemasonry war eine spezifisch englische Einrichtung, eine
In England zu Beginn des 18.Jahrhunderts
Eine Fantasterekonstmktian des Goose and Gridiron Alehouse (Zur Gans und zum Bratrost) auf einem Aquarell. In dem Londoner Bierhaus hatten sich 1717 die Mitglieder von vier Logen versammelt, die den Kern der Londoner Großloge bilden sollten. Die Unterstützer der Initiative waren der Althistoriker George Payne (der zweiter Großmeister wurde), der Pastor James Anderson ¿siehe S. 19) und Jean Desaguliers, Sohn eines Hugenottenflüchtlings. Mit diesem historischen Treffe tiy das etwa dreißig Grundbesitzer, etwa zehn Adelige und ebenso viele Offiziere zusammen mit Handwerkern und Kaufleuten versammelte, begann in England jene Vereinheitlichung der Organisation und des Logenlebens, die eine offizielle Unterstützung der Regierung gewährleisten sollte.
bodenständige
Schöpfung,
die
den
gesellschaftlichen Gewohnheiten und den Anlagen einer ihrer Vergangenheit
rismus und nationaler Egoismus niemals daran dachten, die Welt zu verändern.«
leidenschaftlich verbundenen Nation entsprach, deren insularer Partikula17
Die Ursprünge
Von der operativen zur spekulativen Freimaurerei Als neben den »Freien Maurern«, zu denen längst auch Schmiede und Tapezierer zählten, vermehrt Adelige, Bürger und Intellektuelle in freimaurerische Organisationen eintraten, wandelte sich die operative Freimaurerei, wie sie sich im Wesentlichen bis zu Be-
Stich, der die Gründung der Royal Society (1660) unter den Auspizien Karls II. Stuart glorifiziert. Zu den Gründern gehörten Moray und Ashmole, die jeweils von einer Loge in Edinburgh und in Warrington 1641 bzw. 1646 »angenommen << (aeeepted) worden waren. Das Leben der beiden Persönlich ketten dokumentiert den Übergang von der operativen zur spekulativen Freimaurerei, lässt aber auch auf enge Verbindungen zwischen der englischen Freimaurerei und den kulturellen Interessen der Royal Society schließen.
18
ginn des 18. Jahrhunderts erhalten hatte, zur spekulativen Freimaurerei. Die führenden Positionen der Großloge von London, die anfänglich von sozial oder kulturell unbedeutenden Personen eingenommen worden waren, gingen auf angesehene Persönlichkeiten über,
Von der operativen zur spekulativen Freimaurerei
Die Neugier für eine Wissenschaft, die sich von der spirituellen Dimension löste, war einer der Kritikpunkte der Traditionalisten an der spekulativen Wende der englischen Freimaurerei (auf einer Lithografie aus dem 18 Jh. werden die Gesetze der Statik »anthropomorph« illustriert).
was eine Bedeutungssteigerung der Loge im In- und Ausland bedeutete. Das hatte Folgen. Einerseits sollte nun die einfache Vergangenheit der Freimaurerei neu interpretiert und geadelt werden, andrerseits musste ein Programm entworfen werden, das die unterschiedlichen Gesellschaftsschichten vereinte und die Theorie von einer »geistigen Bruderschaft« über alle Schranken hinweg stützte. Mit der ersten Aufgabe betraute der Herzog von Montagu den ersten Großmeister der Londoner Großloge, den presbyterianischen Pastor James Anderson (1684-1739). Dessen Konstitu-
tionenbuch von 1723 war eine radikale Revision der alten gotischen Konstitutionen. Als typischer »Polygraf« seiner Zeit lieferte Anderson der Freimaurerei einen tadellosen Stammbaum. Andrerseits glich er die jahrhundertealten Statuten der einzelnen Logen miteinander ab und vereinfachte sie. Die durch Andersons Werk erzielte Wirkung wurde verstärkt durch die »Werbeaktion« des anglikanischen Freimaurers John Theophilus Desaguliers (1683-1744), Sohn eines französischen Pastors, der aus religiösen Gründen nach England geflüchtet war. Er war bei den aristokratischen und
19
kulturellen Eliten seiner Zeit gut einge-
menschlichen und spirituellen Gaben zu
f ü h r t (man hatte ihn
perfektionieren und ein Vorbild an
1714 in die
Londoner Royal Society aufgenommen)
Rechtschaffenheit zu sein.
und teilte deren Interesse f ü r die Wis-
Das rückt die These zurecht, (englische)
senschaft. Die Traditionalisten meinten,
Freimaurer hätten jenen D e m o k r a t i -
er habe die geistig-spirituelle Bedeutung
sierungsprozess angestoßen, der Ende
des initiatischen iter (Reise) und der
des 18. J a h r h u n d e r t s in die Erklärung
operativen und bodenständigen Essenz
der
verwässert.
w e n n es vereinzelt philanthropische
Z u r Erreichung des zweiten Ziels wurde
und reformistische Ansprüche gegeben
mit
Alten
haben m a g , so hat es sich dabei nicht
Konstitutionenbuchs
um ein allgemeines »operatives« Pro-
der
Pflichten
Veröffentlichung und
des
der
Menschenrechte
mündete.
Auch
ein
g r a m m gehandelt. Die Englische Lehr-
»freier M a n n von gutem Ruf« zu sein.
art, auch blaue Freimaurerei g e n a n n t ,
Freiheit w a r hier allerdings nicht in
w a r eher ein aktualisiertes Zunftwesen,
politischem Sinne zu verstehen, sondern
das zwar Werte wie Z u s a m m e n a r b e i t
als Freiheit von (religiösen) Vorurteilen.
oder gegenseitige Hilfe hochhielt, dies
Analog dazu stellte die Gleichheit kein
aber im Wesentlichen zum Vorteil der
absolutes Prinzip dar, sondern w u r d e
Mitglieder, die sich der Hierarchie un-
als Gleichheit der Rechte in Bezug auf
terzuordnen hatten.
die gleichen Fähigkeiten aufgefasst. Da-
Die englische Freimaurerei nach der
mit w u r d e de facto ein elitärer Ton an-
Veröffentlichung von Andersons Kon-
geschlagen, demzufolge eine Bruder-
stitutionenbuch fand nicht die Zustim-
schaft n u r zwischen Personen möglich
m u n g aller Logen. Der Widerstand der
war, die bereit w a r e n , die eigenen
»traditionalistischeren« Logen gipfelte
von
einem
Adepten
gefordert,
Freimaurer und bürgerliche Gesellschaft, nach den Alten Pflichten »Der Maurer ist ein friedfertiger Untertan der bürgerlichen Gewalt, wo er auch wohnet und arbeitet, und muß sich nie in Meuterei oder Verschwörung gegen den Frieden und die Wohlfahrt der Nation einlassen [...]. Denn gleichwie Krieg, Blutvergießen und Verwirrung der Maurerei immer nachteilig gewesen sind, so waren auch vor alters Könige und Fürsten sehr geneigt, die Zunftgenossen ihrer Fried-
20
fertigkeit und Treue wegen, wodurch sie den bösen Leumund ihrer Gegner mit der Tat widerlegten, aufzumuntern und die Ehre der Brüderschaft zu fördern, welche immer in Friedenszeiten blühte. Sollte daher ein Bruder ein Empörer gegen den Staat sein, so muss er nicht in seiner Empörung bestärkt werden, obgleich er als ein unglückseliger Mann zu bemitleiden ist«.
Von der operativen zur spekulativen Freimaurerei
Ein Blick auf die Kathedrale St. Peter von York, die in sich verschiedene Phasen der englischen Gotik vereint. Links davon der Turm der katholischen Kirche St. Wilfrid. Aufgrund ihrer eigenen älteren Wurzeln machte die Yorker Freimaurerei der Londoner Freimaurerei ihren Anspruch auf Überlegenheit streitig. Ihren ersten Großmeister sahen sie im christlichen König Edwin, der um 600 n. Ghr. den Grundstein für die Kathedrale gelegt haben soll.
in der Proklamation einer Großloge von
ziale Sicherheit. Das Parlament erklärte
All-England in York (1725) sowie in
1799 Vereinigungen für unrechtmäßig,
der
in der ein Schwur geleistet wurde. N a c h
Gründung
einer
unabhängigen
Obedienz im Jahre 1751, den Ancients
der
oder Antients. Den » M o d e m s « w u r d e
reicher Persönlichkeiten in höchsten
auch
vorgeworfen, dem
Ritual
Intervention
politisch
einfluss-
die
Ordenspositionen musste f o r t a n jähr-
unverzichtbare Bindung an die christ-
lich dem örtlichen Friedensrichter eine
liche Tradition geraubt zu haben. Eine
Mitgliederliste vorgelegt werden. D a s
Wiedervereinigung f a n d erst 1 8 1 3 mit
zerstreute zwar Verdächtigungen und
der G r ü n d u n g der Vereinigten G r o ß -
Vorurteile k a u m , doch glitt die eng-
loge der Alten Freimaurer von England
lische Freimaurerei so wenigstens nicht
statt.
in die Illegalität ab.
Freimaurerische Rituale weckten große Neugier, m a n n a h m sogar an, die geheimen »Arbeiten« gefährdeten die so-
21
Die Ursprünge
D e n Stuarts treu? zwischen
Regierungsjahren J a k o b s II. durchge-
Freimaurern und J a k o b i t e n sind u n -
setzt hatte. M a n wollte versuchen, die
geklärt. Einerseits wird von einer Über-
absolute M o n a r c h i e wiedereinzusetzen,
einstimmung v o n Werten
Ab-
sich -vor den aufsteigenden sozialen
sichten gesprochen, anderseits dieser
Schichten zu schützen und den Ka-
Frage keinerlei Bedeutung beigemessen.
tholizimus
In
stützen.
Mögliche
England
Verbindungen
entstand
und
nach
der so-
bedingungslos
zu
unter-
g e n a n n t e n Glorious Revolution von
So soll die Freimaurerei bereits 1 6 6 0
1688,
König
eine wesentliche Rolle gespielt h a b e n ,
J a k o b II. Stuart zur A b d a n k u n g ge-
als der T h r o n von Karl II. wieder-
z w u n g e n hatte, eine jakobitische Strö-
erobert wurde, dem Sohn jenes Karls L,
m u n g . Als J a k o b i t e n bezeichnete m a n
auf dessen Verurteilung und Hinrich-
dem Königshaus treu gebliebene Legiti-
t u n g Cromwell bestanden hatte. Karl II.
misten. Sie unterstützten die politische
soll ihr in seinem Exil beigetreten sein
und ideologische Linie, die sich in den
und so k o n k r e t e Hilfe f ü r seine Rück-
die
den
katholischen
kehr auf den T h r o n erhalten haben. Als A n e r k e n n u n g soll er der Freimaurerei die Bezeichnung Royal Art verliehen h a b e n , in H e r v o r h e b u n g ihres Verdienstes, wirksam zur Restauration der Monarchie beigetragen zu haben. Hierher r ü h r t eine symbolische Interpretation der Hiramslegende (siehe S. 2 4 29):
der
Tempel
repräsentiere
die
M o n a r c h i e selbst, H i r a m , der e r m o r dete Baumeister, sei niemand a n d e r e r als Karl I., H e n r i e t t a - M a r i e de Bourbon, Gemahlin Karls I., sei die Witwe, Karl II. Eine vermutlich jeglichen historischen Fundamentes entbehrende Tradition sieht in der Unterstützung, die ihm die Freimaurer entgegenbrachten, einen jener Faktoren, die ihm zur Wiedererlangung des Thrones verholfen haben sollen.
22
Den Stuarts treu? Königin Anna, Tochter Jakobs II. und Gemahlin Georgs von Dänemark, war die letzte Stuart und folgte ihrem Schwager Wilhelm III. von Oranien-Nassau auf den Thron von England. Das Gemälde von P. Angelis, das heute in der National Portrait Gallery in London hängt, stellt sie beim Empfang der Ritter vom Hosenbandorden dar. Die Theorie einer Verschwörung zwischen Jakobiten, katholischen Freimaurern und Vertretern des Schottischen Andreasordens, deren Fäden angeblich in Frankreich mit dem Ziel zusammengelaufen seien, die durch die Vertreibung Jakobs II. eroberte politische und religiöse Freiheit zunichte zu machen, scheint in den Kreisen deutscher protestantischer Freimaurer entstanden zu sein. Die Idee, die katholische Kirche plane mithilfe der Jesuiten, die Kontrolle über die Feimaurerei zu erlangen, zirkulierte am Ende des 18. Jh. erneut. In diesem Zusammenhang entstand die »stuartistische« Lesart der Hiramslegende . und schließlich konnte der exilierte
Ordnung fügten, waren die Zusammen-
J a k o b II., Bruder und Nachfolger Karls
setzung der Logen, ihr Erscheinungs-
II., konsequenterweisc nur der Sohn der
bild, ihre Intentionen und Praxis keines-
Witwe sein. Diese Verbindung von his-
wegs homogen. Für jakobitische Kräfte
torischen
Symbolen
war es aus Sicherheitsgründen leichter,
wurde unter anderem herangezogen,
sich a u ß e r h a l b Englands zu organisie-
um den
U r s p r u n g der sogenannten
ren. Sicher ist jedenfalls, die Freimaure-
H o c h g r a d e des Schottischen Ritus zu
rei ließ der jakobitischen Strömung
erklären (siehe S. 3 2 - 3 3 ) . Diese sind
keine einstimmige Unterstützung zu-
allerdings erst ab 1 7 3 8 genau d o k u -
kommen. Später scheint der Prätendent
mentiert.
J a k o b III.,
Diese offensichtliche zeitliche Diskre-
Georg, bei Papst Clemens XII. interve-
p a n z schließt jedoch nicht aus, dass
niert zu h a b e n , d a m i t dieser 1 7 3 7 die
Beziehungen zwischen Freimaurern und
kleine
Jakobiten existiert haben könnten. Be-
schließen lasse und 1738 die Freimau-
vor die Logen sich in eine zentralisierte
rerei offiziell verurteile (siehe S. 38).
Tatsachen
und
genannt
jakobitische
Ritter
Loge
von
in
St.
Rom
23
Die Ursprünge
Eine Vergangenheit »nach Maß« Konstitutionenbuchs
W e r k m a u r e r zu steigern. Er stellt die
von Pastor Anderson (siehe S. 1 8 - 2 1 )
These auf, im Verborgenen seien bereits
erhellt den U r s p r u n g einer Reihe selt-
den
sam
his-
Kenntnisse über den alten Orient ins
torischer Fakten und Personen sowie
A b e n d l a n d vermittelt und so b e w a h r t
echter Legenden. Diesem Buch ist die
w o r d e n . N e b e n Pythagoras, der seine
Geschichte der Freimaurerei in Form
Weisheit den in Babylon gefangenen
eines Vorworts den Statuten voran-
Ägyptern u n d Juden verdanken soll,
gestellt,
der
treten in der Galerie der Persönlich-
Steinmetz- und M a u r e r z ü n f t e entlehnt,
keiten, die die Glieder einer ununter-
jedoch etwas vereinfacht sind.
brochenen geheimen Kette bilden, auch
Anderson bearbeitete einen Stoff, den
die chaldäischen Magier auf, vor allem
bereits die Kleriker im Mittelalter aus-
aber König Salomon. Dieser soll ein
gesponnen hatten, um das Ansehen der
leuchtendes Beispiel unter den antiken
Die
Lektüre
des
miteinander
die
den
verquickter
alten
Regeln
Urmenschen
offenbarte
höhere
Herrschern gewesen sein, die der Royal Art, so Anderson, ihren Schutz gewährt hätten. So konnte die Königliche Kunst »mit göttlicher Anleitung beim Bau der Bundeslade und des Tempels Salomonis« zur Vollendung gelangen. Z u m Rückgriff auf die alttestamentarische Figur des Salomon und das suggestive Bild des Tempels k o m m t die Hiramslegende hinzu; sie ist f ü r ein Verständnis der freimaurerischen Sym-
Frontispiz der Originalausgabe des Konstitutionenbuchs von Anderson,
1723 in der Londoner Fleet Street gedruckt (5723 nach dem Freimaurerkalender). Die freimaurerische Datierung hängt mit der Theorie vom alttestamentarischen Ursprung der Freimaurerei zusammen. Anderson legte diese im historischen Teil dar, der den konstitutiven Regeln vorangestellt ist.
24
Eine Vergangenheit »nach Maß«
bolwelt wesentlich. Die Bibel erzählt im Ersten Buch der Könige von H i r a m , der über
Tyrus
im
heutigen
Libanon
herrschte und Salomon mit Baumaterialien und spezialisierten Arbeitern wertvolle Hilfe beim Bau des Tempels leistete. Im Zweiten Buch der Chronik wird ein anderer H i r a m , Sohn einer Witwe aus dem Stamm N a p h t a l i s (die Freimaurer
bezeichneten
»Söhne
Witwe«),
der
sich
vom
als
gleich-
namigen König von Tyrus anstelle des eigentlich verabredeten Getreides, der Gerste, des Öls und des Weins zu Salomon gesandt, damit er beim Bau. des Tempels mitwirke. Dieser Hiram besaß die Fähigkeit, »jeden Plan zu verstehen«. Der Legende zufolge ist H i r a m der Baumeister des Tempels. Dieser H i r a m inspizierte jeden Tag in der Mittagspause die Baustelle, als ihm einmal drei Maurer, die sich im fast vollendeten Tempel verborgen hatten, eine Falle stellten. Sie wollten die Preisgabe des geheimen Losungsworts erzwingen, mit dem er seinen Lohn erhielt.
Er weigerte sich und wollte
fliehen. Doch an jedem der drei Tempelportale lauerte einer der drei Komplizen, die ihn solange schlugen, bis er
Allegorie der Geometrie auf einem Stich aus dem 16. Jh., der ihre enge Verbindung zur Baukunst hervorhebt. Mit der Berufung auf Pythagoras, die Ägypter und die Chaldäer als » Vorgeschichten der Weisheit« in der Historie der Freimaurerei soll diese Verbindung bestätigt werden.
starb. Die M ö r d e r verscharrten H i r a m s Leichnam unter Bauschutt; um Mitter-
der Suche. Aus Furcht, H i r a m k ö n n t e
nacht holten sie ihn und begruben ihn
das G e h e i m w o r t verraten h a b e n , be-
auf einem Hügel in der Nähe. Derweil
schlossen sie, es durch das erste Wort zu
sorgte sich Salomon wegen der Ab-
ersetzen, das bei H i r a m s Wiederauf-
wesenheit seines Baumeisters und be-
findung gesprochen w ü r d e . Zufällig
a u f t r a g t e f ü n f z e h n »gute Brüder« mit
entdeckten sie den Leichnam, als einer
25
Die Ursprünge Eines der drei monumentalen Eingangsportale zum großen äußeren Hof des Tempels Salomonis nach einer Rekonstruktion, die auf der Bibel basiert. Zwar wird das Bild des Tempels in der freimaurerischen Kultur mit dem Erbe der Bauleute, die ihn errichteten, und mehr noch mit den Freien Maurern des Mittelalters in Zusammenhang gebracht, aber das tiefgehendste, metahistorische und universelle Erbe ist doch »jenes des Menschen auf der Suche nach der Wahrheit, des
IIIITy|HWJ(l»
h o m o religiosus im
authentischesten Sinne« (M. Moramarco).
der Suchenden, der sich zum Ausruhen
dem G r a b e n zu ziehen, hielt er v o m
auf einen Erdhügel gesetzt hatte, be-
Knochen gelöstes Fleisch in der H a n d
merkte, dass die Erde dort vor Kurzem
und m a n h ö r t e eine Stimme deutlich
erst umgegraben w o r d e n war. Der Tote
sagen: »Mac-Benac«. D a s w u r d e z u m
lag in einer Grube, die »sechs Fuß nach
neuen Geheimwort des Meisters, so wie
O s t e n , sechs F u ß nach Westen und
sie es vereinbart hatten. Um den Körper
sechs F u ß in der Tiefe« m a ß . Von
schließlich herauszuholen, legte sich ei-
Salomon erhielten sie den Befehl, den
ner der Brüder auf den Leichnam und
Körper zu holen, damit er feierlich im
schob ihm einen Arm unter den Rü-
Sandel
bei-
cken. Auf diese Weise h o b er ihn H a n d
gesetzt werden k ö n n t e . Als einer der
an H a n d , Wange an Wange, F u ß an
Brüder H i r a m s Arm packte, um ihn aus
Fuß,
26
Sanctorum
des
Tempels
Knie
an Knie
und
Hand
an
Oben: Ruinen einer Tempelritterburg, Teil jenes Netzwerks von Militärbauten, die den Orden der Hospitaliter und Templer anvertraut waren, um die vier christlichen Reiche des Heiligen Landes zu verteidigen, insbesondere die Stadt Jerusalem mit dem Tempel Salomonis. Rechts: Detail des FuĂ&#x;bodenmosaiks der Kathedrale von Otranto, Apulien, mit einer Darstellung KĂśnig Salomons.
27
Die Ursprünge Int Freimaurertempel werden die Vorstellungen von »Grenze« (die Säulen) und » Unendlichkeit« (die Himmelskuppel, die an der Decke dargestellt ist) symbolisch dargestellt.
Sommersonnenwende
Tag- und Nachtgleiche
Wintersonnenwende
Rücken heraus; fortan w u r d e n diese
teuer ist, d e m Adepten auf esoterische
Stellen die »fünf Meisterpunkte« ge-
Weise Anregungen. D a s ist von der
nannt.
Legende, f ü r die so-
sprachlichen Deutung durch die Bibel-
g e n a n n t e n H o c h g r a d c d u r c h weitere
exegeten unabhängig, die ja exoterisch,
Details angereichert, dient zur Erklä-
das heißt nicht initiatisch ist. A. Pike
rung vieler freimaurerischer Rituale.
schreibt in seinem
Die gesamte freimaurerische u n d ins-
Dogma of the first Three Degrees of the
besondere die biblische Symbolik ver-
Ancient
bindet viele aus der operativen Traditi-
Freemasonry, im Altertum habe m a n
on stammende Elemente — zum Beispiel
geglaubt, die menschliche Seele müsse,
H i r a m , der sich als Baumeister seiner
um zu ihrem Ursprung zurückzukehren,
heiligen Aufgabe bewusst ist - mit mys-
durch
teriosophischen Anklängen
verschie-
w ä h r e n d die Leiter sieben O r d n u n g e n
denen Ursprungs. So bieten der Tempel,
oder Stufen habe, ähnlich wie die Leiter
Salomon oder auch das mächtige Bild
in den Mysterien des M i t h r a s k u l t s ,
der Jakobsleiter, das der Freimaurerei
jenem Symbol für die Wissenschaft.
Diese
angelsächsischer Tradition
lieb
and
sieben
Buch
Accepted
Sphären
Moral and
Scottish
Rite
aufsteigen,
und
Auf der nächsten Seite: Die Tugendleiter, aus einem Manuskript des 12. Jh. Hier wird eine der möglichen Bedeutungen der biblischen Vision von der Jakobsleiter dargestellt und erklärt (Genesis 28, 10-14; 16-19). Auch die englischen Freimaurer interpretieren die Stufen der Jakobsleiter als Darstellung menschlicher Tugenden, insbesondere von Glaube, Hoffnung und Caritas, das heißt die Liebe, die die Aufrichtigkeit des Glaubens beweist und die Hoffnung nährt. Aber die Jakobsleiter suggeriert auch eine »Vorstellung, die so alt wie die Menschheit selbst zu sein scheint, von einem heiligen Ort, an dem sich die Mauern und Gesetze der irdischen Welt auflösen können« (G. Campbell). In diesem Sinne ist das Symbol der Jakobsleiter verwandt mit dem Symbol des Salomonischen Tempels.
28
E i n e V e r g a n g e n h e i t Âť n a c h Mal?ÂŤ
/ v ^ Die Ursprünge
Jenseits des Ärmelkanals Z w i s c h e n 1 7 2 5 und 1 7 3 0 verbreitete
religiösen Bereich noch in weiter Ferne
sich die Free-Masonery in Frankreich.
lag, von der Revolution ganz zu schwei-
Anfänglich
Institut
gen, waren die Ideologie der ersten
britannique, w u r d e d a n n aber bald zur
französischen Freimaurer noch konser-
Franc-Maçonnerie,
Anleh-
vativ: Sie begnügten sich damit, »auf ih-
n u n g an den englischen Begriff. His-
ren Schalmeien wie bisher die An-
torikern
Haupt-
nehmlichkeiten brüderlicher Liebe und
ursachen für eine so wohlwollende und
den Reiz sentimentaler Nächstenliebe
schnelle A u f n a h m e in der damals herr-
zu preisen. Sie blieben loyale Diener
schenden Anglomanie, aber auch im
ihres Staatsoberhauptes und übten auch
Zauber der geheimnisvollen Aura dieser
weiterhin die Religion aus, in die sie
neuen
hineingeboren waren« (R. Le Forestier:
nannte
zufolge
in
sie
sich
engerer
lagen
Versammlungsart.
die
Und
die
philanthropische Botschaft r ü h r t e die
Die
templerische
»empfindsamen Herzen«.
Freimaurerei im
und
okkultistische
18. und 19. Jh.).
Es k a n n von einer substanziellen Oberflächlichkeit der f r ü h e n französischen Freimaurerei gesprochen werden. Da die A u f k l ä r u n g im politischen und
30
Die Franc-Maçonneric (auf dem Bild die Versammlung in einer Loge) stand anfangs in keinerlei revolutionärem Zusammenhang, sondern war schlicht eine Modeerscheinung.
Jenseits des Ärmelkanals Burg von Eilean Donau in Schottland, von hier brachen 1314 die Männer von Robert Bruce zum Kampf gegen die englischen Truppen auf. Die Verknüpfung des Schottischen Ritus mit den Templern, die mit diesen Ereignissen in Verbindung gebracht wurden, beruht wahrscheinlich auf einer Legende. In diesem Zusammenhang ist vielleicht von Bedeutung, dass die Burg Anfang des 17. Jh. als Zufluchtsort für die Jakobiten diente, denen die englischen Kanonen am 10. Mai 1719 eine Niederlage beibrachten. So überrascht es keineswegs, dass die
sammenfasste. Hier sollen einige aus
französischen Logen den effektvollen
Frankreich geflüchtete Tempelritter auf-
Charakter
genommen worden sein, die angeblich
der
Initiations-
und
Er-
hebungszeremonien, das Tafeln, die
dem
Einrichtung der Versammlungsräume
Robert Bruce gegen Edward I. von Eng-
sowie Bräuche und Symbolik stärker
land in der Schlacht von Bannockburn
betonten. Gleichzeitig n a h m e n sie ex-
(1314) zur Seite gestanden hatten, um
trem unkritisch die unterschiedlichsten
d a n n als Belohnung die Befugnis zur
Legenden
freimaurerische
höchsten Kontrolle über die besagte
»Tradition« auf. Im Vergleich zu den
Loge zu erhalten. Das Überleben dieser
ursprünglichen drei englischen Stufen
alten Form der Free-Masonry bis ins
schwoll die Zahl neuer Grade unglaub-
18. Jahrhundert soll die nicht gesicherte
über
die
künftigen
schottischen
König
lich an: von 1745 bis etwa 1775 konnte
mystisch-hermetische
m a n über hundert zählen, ohne dass sie
Rosenkreuzer
übrigens einem einheitlichen Plan ent-
(siehe S. 12-13).
sprochen hätten.
Aber unter den - auch freimaurerischen
Den Schottischen Ritus f ü h r t m a n in
- Historikern herrscht die Überzeugung
der traditionellen freimaurerischen Li-
vor, dass das Attribut »schottisch«
teratur auf die Mutterloge von Kil-
nichts mit dem geografischen Kontext
winning (eben in Schottland) zurück,
zu tun hat. Einige sehen einen Z u -
die die Bauleute der dortigen gotischen
sammenhang mit der Nationalität von
Kathedralen in einer Bruderschaft zu-
Andre-Michel de Ramsay (1686-1743),
Tradition
gewährleistet
der
haben
31
Die Ursprünge Die »Kreuzzug-Vergangenheit« der Freimaurerei »Zur Zeit der Kreuzzüge nach Palästina vereinten sich mehrere Fürsten, Adelige und Bürger und taten ein Gelübde, die christlichen Kirchen im heiligen Lande wiederherzustellen und sich zu bemühen, die Bauart derselben auf ihre erste Einrichtung zurückzuführen. Sie verständigten sich über mehrere alte Zeichen und aus der Religion entnommene Symbolworte, um sich daran vor den Ungläubigen und Sarazenen zu erkennen /...]. Einige Zeit nachher verband sich unser Orden
aufs Engste mit den Rittern des Heiligen Johannes von Jerusalem. Seit dieser Zeit tragen alle unsere Logen den Namen Logen des heiligen Johannes /.../. Die Könige, Fürsten und Herren errichteten bei der Rückkehr in ihre Staaten verschiedene Logen. Zur Zeit der letzten Kreuzzüge sah man schon mehrere Logen in Italien, in Spanien, in Frankreich und von da aus in Schottland, wegen der engen Verbindung der Schotten mit den Franzosen. «
der nach Frankreich übergesiedelt und »Großredner der Großloge« geworden war, übrigens ein von der französischen Freimaurerei eingeführtes Amt, das es in England nicht gab. Anlässlich einer Begegnung zwischen den Vertretern verschiedener Logen am 21. März 1737 bereitete Ramsay eine Rede vor, die nach ihrer Veröffentlichung auf große Resonanz stoßen sollte, auch wenn sie damals gar nicht gehalten wurde. Ramsay schlug nicht, wie viele glauben, die Schaffung zusätzlicher Grade vor, er beschränkte sich auf die Behauptung, die Schottische Freimaurerei sei an Reinheit der Tradition allen anderen überlegen. Genau das sollte das Auftreten der bereits existierenden Schottischen Meister noch stärken, »die an Zahl wuchsen, weil sie sich Rechte anmaßten, die ihnen andere Freimaurer gar nicht zuerkennen wollten, und die begannen, sich in Versammlungen separat von den normalen Logen zu treffen.
Dort arbeiteten sie Reformpläne aus, die zur Schaffung der höheren Grade führten. Sei es aufgrund einer besseren Deutung des freimaurerischen Konzeptes, sei es wegen der Notwendigkeit, eine schrecklich nivellierende Flut um jeden Preis einzudämmen, sei es auch aus Ehrgeiz und aus dem Wunsch heraus, sich zu unterscheiden [...], sicher ist, dass die Idee auf große Zustimmung stieß« (U. Gorel Porciatti: Simbologia Massonica. Gradi Scozzesi). Wo auch immer der Ursprung des Attributs »schottisch« zu suchen ist, die Gepflogenheit, ein freimaurerisches System, das Hochgrade über die ersten drei, allen Riten gemeinsamen Grade hinaus vorsieht, »schottisch« zu nennen, setzte sich bald durch und gilt auch noch heute.
32
André-Michel de Ramsay
Ramsay war sich sehr wahrscheinlich nicht bewusst, dass sein Discours tief greifende Folgen für die kontinentale Freimaurerei hatte. Sein erklärtes Ziel
Jenseits des Ärmelkanals Der Kardinal André-Hercule de Fleury (1653-1743), Premierminister Ludwigs XV. In der Hoffnung, den Verdacht der politisch Mächtigen und der Kirche gegen die noch junge französische Freimaurerei zu zerstreuen, unterbreitete Ramsay ihm den Text des Discours, den er am 21. März 1737 auf einem Freimaurertreffen vortragen wollte. Doch der Kardinal brachte Ramsay davon ab, seine Rede zu halten, und einige Tage später untersagte er generell die Aktivitäten von Freimaurerlogen in Frankreich. war eine »große intellektuelle N a t i o n « , eine universale Bruderschaft auserwählter Geister, die Weise und Künstler vereinen sollte. Aber das ethische Modell, dessen er sich bediente, um das Porträt
und kriegerische Fürsten«, die g e m ä ß
eines idealen Freimaurers zu zeichnen,
der vom Apostel Paulus gegebenen De-
w a r seinem Wesen nach nicht mehr das
finition
des »mittelalterlichen freien Maurers«,
lebendigen Tempel des Höchsten er-
sondern das des Ritters. Nicht mehr das
leuchten,
Arbeitsumfeld der gotischen D o m b a u -
wollten«.
h ü t t e w a r m a ß g e b e n d , sondern der
Faszinierend war auch das exotische
Kreuzfahrer, der einer religiösen Auf-
Milieu,
gabe treu mit seiner Waffe diente.
Ägypten, wo die Freimaurerei ihren An-
Ramsay meinte, der N a m e Free-Masons
fang genommen habe und Jahrhunderte
dürfe von den Brüdern nicht »im buch-
lang durch die okkultistische Traditio-
stäblichen,
materiellen
nen eifersüchtig bewacht und bewahrt
Sinne« verstanden werden, »als wenn
w o r d e n sei. Die Lehren und Symbole
unsere Stifter einfache Steinarbeiter
der freimaurerischen Hochgrade weisen
gewesen wären oder nur Kunstlieb-
ab etwa 1760 mehr oder weniger expli-
haber,
vervoll-
zite Anspielungen auf die verschiedenen
»nur ge-
Geheimwissenschaften auf. Dies reichte
groben
welche
die
und
Künste
k o m m n e n wollten«, schickte
Architekten,
oder
welche
des
wahren
erbauen
der
Christen und
geheimnisvolle
»die
schützen
Orient,
ihre
von der Magie über die Geometrie bis
Fähigkeiten und ihre Güter zur Erbau-
zur heiligen Arithmetik, von der Kab-
ung äußerer Tempel darbringen wol-
bala bis zur Alchemie. Von Frankreich
lten«. Die w a h r e n G r ü n d e r der Frei-
aus verbreitete sich der Schottische
maurerei waren nach Ramsay »fromme
Ritus d a n n über ganz Europa.
33
Die Ursprünge
Verbreitung In der Geschichte der m o d e r n e n Frei-
Im nächsten Teil des Buches sollen die
maurerei lassen sich mit Blick auf die
Schicksale dieser beiden Stränge im his-
Lehre zwei Tendenzen erkennen. Die
torischen Kontext behandelt werden.
eine S t r ö m u n g w a r von einem un-
Z u v o r muss aber noch betrachtet wer-
dogmatischen
den, w a n n und wo der O r d e n außer-
Christentum
inspiriert
sowie dem Vertrauen in die V e r n u n f t
halb Englands Fuß fasste.
und in die M a c h t des Denkens als
Die G r o ß l o g e von L o n d o n , die einge-
Mittel zur Veredelung des Menschen.
sehen hatte, dass der Zersplitterung ent-
Sie hielt an einem durch Nächstenliebe
gegengewirkt und einheitliche Logen-
geprägten Verhalten
statue und -Symbole geschaffen werden
zeugung
fest,
die
und der Überbürgerliche
Ge-
müssten, stieß in Irland (1725) und
meinschaft sei durch eine »aufgeklärte«
Schottland (1736) bald auf Resonanz.
H a n d h a b u n g der Staatsmacht zur Ver-
Inzwischen w a r 1730 die Freimaurerei
vollkommnung
zweite
in Indien angelangt, w ä h r e n d in Ame-
Strömung hingegen tendierte dazu, der
rika 1733 die erste »reguläre« Loge ge-
spiritualistischen
initiatischen
gründet wurde. Auf dem europäischen
K o m p o n e n t e des O r d e n s , der esote-
Festland g a b es außer in Frankreich
rischen Tradition u n d dem
elitären
Logen in Österreich (1727), Russland
Aspekt mehr Gewicht zu verleihen. Auf
(1731), Holland (1734) und Sachsen
diese zweite S t r ö m u n g lassen sich die
(1738). In Italien entstanden seit 1730
H o c h g r a d e zurückführen.
Logen in vielen größeren Städten.
fähig. und
Die
Ein »klassisches« Bild vom Initiationsritus eines Neophyten bzw. Neuaufgenommenen.
34
Ignaz von Loyola, der Begründer des Jesuitenordens. Im Gegensatz zu dem, was die ineisten glauben, förderten die Jesuiten, anders als die Dominikaner, offene und fortschrittliche Ideen auf wissenschaftlichem Gebiet. Ihre Vorsichtsmaßnahmen entsprangen Befürchtungen »universalistischer« Natur (sie waren unter anderem außergewöhnliche Missionare), da sie in der katholischen Kirche die einzige Körperschaft sahen, die in der Lage war, dem religiösen Zerfall, der Krise der traditionellen politischen Institutionen sowie der sozialen Instabilität entgegenzutreten, die Europa von der protestantischen Reformation bis zum sogenannten »aufgeklärten Despotismus« des 18. Jh. prägten. Bis 1740 w u r d e die Vormachtstellung der Londoner Großloge k a u m in Frage gestellt.
Erst
die
Entwicklung
der
französischen Freimaurerei ließ in der weltweiten Organisation unterschiedliche Riten und ideologische Ansätze a u f k o m m e n , sodass die Einheit der Freimaurerei zerbrach. D a s hing auch mit der Verbreitung des Schottischen Ritus z u s a m m e n [siehe S. 3 1 - 3 3 ) . Ei-
Jesuiten instrumentalisiert worden. Ob
nige Wissenschaftler sahen darin einen
die Jesuiten in der zweiten H ä l f t e des
»Störversuch« der Jesuiten. Diese hät-
achtzehnten J a h r h u n d e r t s bei den Ge-
ten versucht, die H o c h g r a d e auf eine
schehnissen im O r d e n eine Rolle ge-
der operativen Tradition f r e m d e Art
spielt h a b e n oder nicht, sei dahinge-
umzugestalten,
um auf diese Weise
stellt. Die von den Logen praktizierte
Kontrolle über den Orden zu erlangen.
Toleranz f ü r unterschiedliche Konfes-
Diese These f a n d noch in jüngerer Zeit
sionen stieß in katholischen L ä n d e r n
Anhänger (C. Francovich: Storia della
aber eindeutig auf den Widerstand der
Massoneria in Italia
Kirche.
dalle
origini alla
rivoluzione francese, Florenz 1974). In diesem
Zusammenhang
wird
be-
h a u p t e t , R a m s a y selbst sei d u r c h die
35
Wechselwirkung mit der Geschichte _
Freimaurerei, Staat und Kirche Ramsays Discours (siehe S. 31-33) berichtet nicht nur von den Veränderungen, die sich in der Freimaurerei vollzogen, als diese sich von England aus auf dem Kontinent verbreitete, er offenbart auch, dass jene Logen, die in einem absolutistischen und katholischen Klima arbeiteten, eine Formel für das Zusammenleben mit der jeweiligen Macht finden mussten. Ein konkretes Beispiel verdeutlicht diese Problematik.
Johann Coustos, Abkömmling einer nach Frankreich emigrierten protestantischen Familie von Goldschmieden und Edelsteinschneidern Schweizer Ursprungs, hatte 1736 in Paris eine Loge gegründet, die seinen Namen trug. Später nach Portugal übergesiedelt, wurde er 1743 wegen seiner freimaurerischen Aktivitäten von der Inquisition verhaftet und zur Galeere verurteilt. Auf diplomatischen Weg erreichte die englische Regierung ein Jahr später
Exkommunikation und Inquisition Das Motiv für die Stellungnahmen der kirchlichen Obrigkeit gegenüber der Freimaurerei (Päpstliche Bulle In Eminenti, 1738, und Providas, 1751) dürfte in beiden Fällen politischer Natur gewesen sein. Franz III. Herzog von Lothringen, der spätere Kaiser Franz I. Stephan und Gemahl Maria Theresias, seit Kurzem Großherzog von Toskana, wurde bereits 1731 in England in eine Freimaurerloge aufgenommen. Er war ein Gegner kirchlicher Einmischung in Angelegenheiten des Staates. Anlass zu einer ersten Auseinandersetzung bot der großherzogliche Entschluss, eine Kongregation für die Armen einzusetzen, ohne auf die Bedingungen des Papsts einzugehen. Eine zweite Gelegenheit lieferte das Edikt zur Einschränkung kirchlichen Grundbesitzes und geistlicher Pfründe. Die Überzeugung, solche Anordnungen seien der Existenz einer antipäpstlichen Partei zu verdanken, die sich in einer Freimaurerloge eingenistet habe, führte zum dem
36
Entschluss, die Inquisition einzuschalten. Das Inquisitionsgericht konnte eigentlich nur in Fällen von Ketzerei einschreiten. Won daher arbeitete man daran, die Freimaurerei wegen der Verbreitung deistischer und freidenkerischer Thesen zu verurteilen. Die Wirkung der päpstlichen Bullen hatte aber keine Niederlage der Freimaurerei zur Folge, sondern eher die Verwandlung einer Art Brauchtum in ein politisches Phänomen. Die antifreimaurerische Offensive, die sich einer unendlichen Reihe von Texten, Broschüren, Schmähschriften, Anschuldigungen und Unwahrheiten bediente, führte nicht zum Verschwinden oder zur Verringerung der Logen, sondern bot im Gegenteil der Freimaurerei die Gelegenheit, ihre eigene Rolle und ihre Grundsätze neu zu definieren, indem sie den Wert der Toleranz und das Ziel einer Erneuerung des Menschen und der Vervollkommnung der bürgerlichen Tugenden bekräftigte.
Freimaurerei, Staat und Kirche Paris, Invalidendom. Im Auftrag des Sonnenkönigs Ludwigs XIV. errichtet, dokumentiert er die Förderung der Kunst zum Ruhme des Herrschers. In Zusammenhang damit steht auch die Tatsache, dass sich die französische Freimaurerei auf eine vornehme und ritterliche Vergangenheit berief und ein immer stärkeres Interesse daran hatte, Mitglieder der Aristokratie in ihren Reihen aufzunehmen. Wie L. Sessa (L'evoluzione della Mas-
soneria^ schreibt: »Die adelige Schicht zur Zeit Ludwigs X V., die sich verzweifelt an den Pomp klammerte, mit dem in der goldenen Ära des Sonnenkönigs gefeiert worden war, hätte keinerlei Anregung oder Faszination für eine Berufsvereinigung verspürt, die im Wesentlichen auf der Emanzipation des Menschen durch die Arbeit basierte, denn diese Schicht betrachtete Arbeit als schwächende, entehrende Tätigkeit, die die unteren Klassen unterschied, insbesondere das niedere Volk.« seine Freilassung und Coustos konnte
mit der Inquisition zu rechnen hatten,
nach
seine
sondern auch, dass sich die gesell-
Memoiren veröffentlichte. In der Lei-
schaftliche H e r k u n f t der Mitglieder von
tung der Pariser Loge war ihm 1737 der
Freimaurerlogen zu verändern begann,
Herzog von Villeroy nachgefolgt, ein
indem an die Stelle der traditionellen
Adeliger, der die Gunst Ludwigs XV.
Zünfte
genossfdie Loge nannte sich nun Cous-
werkern die Aristokratie t r a t . So ge-
tos-Villeroy). Diese Geschichte m a c h t
sehen wird die N e u d e u t u n g des sagen-
nicht nur deutlich, dass die Freimaurer
umwobenen
in katholischen Ländern immer noch
sprünge der Freimaurerei verständlich,
London
gehen,
wo
er
von
Künstlern
und
Hintergrunds
Hand-
der
Ur-
37
Wechselwirkung mit der Geschichte _ Der »unsterbliche« Graf von SaintGermain, der im 18. Jh. behauptete, das Elixier des Lebens entdeckt zu haben.
denn eine Berufung auf die Kreuzritter verlieh dem Orden mehr Ansehen und sollte ihm zugleich das Wohlwollen der katholischen Kirche und der französischen Monarchie sichern, die zur Zeit der Kreuzzüge ja Verbündete gewesen waren. Erfolgreich war das aber nur hinsichtlich der Einbindung der Aristokratie. So bekleidete 1738 der Herzog von Antin das Amt des Großmeisters, das ab 1743 über zwanzig Jahre hindurch der Graf von Clermont innehatte, der gleich im ersten Jahr die Großloge von Frankreich gründete (l'Anglaise genannt), die den Niedergang der »stuartistischen« und katholischen Strömung in der französischen Freimaurerei einleitete. Die Kirche hingegen revidierte ihre Haltung nicht, sondern verschärfte sie sogar noch. Bereits Kardinal de Fleury, Premierminister Ludwigs XV., hatte Ramsay (siehe S. 31-33) seine Unterstützung versagt und ihn angewiesen,
38
seinen freimaurerischen Aktivitäten zu entsagen. (Tatsächlich ist in Ramsays letzten sechs Lebensjahren über eine aktive Rolle nichts mehr bekannt.) Darüber hinaus verbot der Kardinal die Tätigkeit der Freimaurerlogen in Frankreich. Papst Clemens XII. schließlich drohte 1738 mit der Bulle In Eminenti allen Freimaurern mit der Exkommunikation. Besonders die ambivalente Position der Logen gegenüber der Offenbarung verurteilte er als inakzeptabel. Auch wenn diese Initiative praktisch ohne Auswirkungen blieb, die »stuartistische« Strömung schwächte sie doch. Und durch die offizielle Stellungnahme der Kirche in Rom entstand eine deutlich antifreimaurerische Haltung. In Frankreich entschied sich die Kirche, die sich von Rom unabhängig gemacht hatte, anders. Hier »kontrollierte« man die Logen, deren Großmeister sogar dazu aufriefen, die Messe zu besuchen.
Freimaurerei, Staat und Kirche
Gegen die Mitte des 18. Jh. hatte die Freimaurerei immer mehr Kontakte zu esoterischen Strรถmungen, die gar nicht zu ihr gehรถrten (oben: Der Baum der hermetischen Philosophie).
39
Wechselwirkung mit der Geschichte _
Aufklärung und Freimaurerei In der zweiten H ä l f t e des 18. J a h r h u n -
A u f k l ä r u n g lag in England, wo sich im
derts w a r die A u f k l ä r u n g die intel-
J a h r h u n d e r t zuvor die empiristische
lektuelle Bewegung mit der g r ö ß t e n
Philosophie und die neue Wissenschaft
Tragweite und geografischen Ausdeh-
durchgesetzt hatten. Ihre starke Ver-
nung.
ver-
breitung ging hingegen von Frankreich
schiedenen Sprachen (deutsch, englisch,
aus, von d o r t überrollte sie d a n n das
französisch, italienisch, spanisch) eine
östliche
Lichtmetaphorik. So sollte das Wesen
Länder betraf sie nur teilweise, da sie
eines G e d a n k e n s zum Ausdruck k o m -
d o r t mit der katholischen Kirche zu
men, dessen Ziel es war, die Finsternis
rechnen hatte.
der Unwissenheit und der Vorurteile zu
Vor allem in Frankreich boten Freimau-
erhellen. Die Vernunft sollte zum Wohle
rerlogen wie Salons, wo die gleichen
des Einzelnen wie der Gemeinschaft
Persönlichkeiten verkehrten, Gelegen-
konstruktiv eingesetzt werden.
heit, Intellektuelle und Staatslenker zu-
Der
Aufklärung
Begriff e n t h ä l t
und
in
Freimaurerei
Europa.
Die
mediterranen
ent-
sammenzubringen, w a s eine Verbrei-
wickelten sich zur selben Zeit und ihre
t u n g der neuen Ideen begünstigte. Die
geografische Verbreitung verlief in ähn-
bedeutendsten französischen Aufklärer
liche Richtungen. Der U r s p r u n g der
wie Voltaire ( 1 6 9 4 - 1 7 7 8 ) , D. Diderot
François-Marie Arouct de Voltaire (16941778), der eindrucksvollste Vertreter der französischen Aufklärung, verkörpert auch einen Typus des Freimaurers in der zweiten Hälfte des 18. Jh. Als herausragend »konstruktiver« Geist bewies er eine außergewöhnliche »Fähigkeit, sich konkret in die in Entwicklung begriffenen Situationen hineinzuversetzen, sich der Umstände, die sich ändern, bewusst zu sein und die Richtungen zu nutzen, die sich in den politischen Beziehungen ebenso wie in den theoretischen Reflexionen abzeichnen« (P. Alatri).
40
Aufklärung und Freimaurerei ( 1 7 1 3 - 1 7 8 4 ) oder M.-J. Caritat, M a r -
Freimaurerei als Institution fortan beim
quis von Condorcet (1743-1794) waren
Thema Politik wahren sollte.
Freimaurer. Und so auch der Großteil
Auch war den Aufklärern nicht nur die
der
Salon von M a d a m e
Verantwortung f ü r die Französische
Helvetius, die nach dem Tode ihres
Revolution in die Schuhe geschoben
Gemahls, eines Philosophen der sen-
worden, sondern auch für deren blutige
sualistischen Richtung, in Auteuil regel-
Folgen und insbesondere für die Schre-
mäßig dessen geistige Erben um sich
ckensherrschaft. Und die »Verschwö-
versammelte. Diese, »Ideologen« ge-
rungstheorie« sah auch die Freimaurer
n a n n t (weil sie nach dem Ursprung der
am Werk, w a s diese in eine Vertei-
Ideen forschten), hatten enge Kontakte
digungshaltung drängte.
Gäste
im
zu Benjamin Franklin (1706-1790). Er war das Vorbild eines M a n n e s der Wissenschaft, der nicht verschmähte, einer politisch »gerechten Sache« zu folgen: dem Kampf der Vereinigten Staaten für die Unabhängigkeit von England. So k a m es, dass die sogenannten »Ideologen« die Französische Revolution unterstützten, aber wie die Girondisten durch Robespierre und die Jakobiner eine Niederlage erlitten. In der Geschichte der Freimaurerei w a r dies die weitesgehende Ö f f n u n g des O r dens nach außen, bevor er sich, was die Beziehungen zur Politik betrifft, definitiv in Schweigen hüllte. So preist Esquisse progres
d'uti
tableau
historique
de l'esprit humain
von
des Con-
dorcet (1793-1794) die Revolution, obw o h l der Autor es auf der Flucht schrieb, n a c h d e m der Konvent seine Verhaftung befohlen hatte (er w u r d e am 14. Mai 1794 gefangen genommen und brachte sich anschließend in seiner Zelle um). Ein solches Werk ist aber unvereinbar mit der »Diskretion«, die die
Wie fast alle französische Aufklärer waren auch Diderot und d'Alembert Freimaurer (hier das Frontispiz der Encyclopédie mit der Apotheose der Wissenschaften).
41
/ ' N r ^ Wechselwirkung mit der Geschichte
Die »nationalen« Logen Anfangs w a r die Freimaurerei ein eng-
Wende vom 17. z u m 18. J a h r h u n d e r t
lisches P h ä n o m e n und bald Teil der
nach Schottischem
Sozialstruktur des Landes, weil sie auf-
Bald jedoch setzte sich der Einfluss der
grund ihres uralten Ursprungs, des
Großloge von L o n d o n durch und es
hohen gesellschaftlichen Stands ihrer
entstanden
Mitglieder und des Schutzes, den ihr die
Ritus, wo man Vertreter der Orangisten
Politik gewährte, ein
d u r c h a u s an-
(die für eine Restauration des Fürsten-
ziehendes Modell darstellte. Das ver-
hauses waren) e m p f i n g und sich für
breitete sich auch sehr bald auf d e m
Newtons
Kontinent,
weniger
denkerische Schriften interessierte. Die
gradlinig als das britannische Vorbild.
von der Regierung misstrauisch beäugte
Als die Werkmaurerei zugunsten der
Freimaurerei e r f u h r mit ihrer immer
spekulativen Freimaurerei aufgegeben
größeren
w u r d e , f ü h r t e dies nämlich zu Über-
Wandlung, als dass sie ihre Adepten
lagerungen m i t anderen hermetischen
vermehrt unter Offizieren gewann. Die
Lehren. D a r ü b e r hinaus sollte in der
»Militärlogen« w u r d e n zu einem Phä-
zweiten Hälfte des 18. J a h r h u n d e r t s die
nomen, das mit der Zeit auch außerhalb
eher »politische« Entscheidung für eine
der niederländischen Grenzen Verbrei-
nach Staaten organisierte, engmaschige
tung f a n d , um bis heute fortzudauern.
Verbreitung nationaler Logen treten.
N a c h der Restauration der Oranier
So hatten beispielsweise in der Republik
gründeten die niederländischen Frei-
der Sieben Vereinigten Provinzen der
maurer
N i e d e r l a n d e die ersten Logen um die
Loge, die erste von L o n d o n u n a b h ä n -
allerdings
weit
Logen
Ritus gearbeitet.
nach
Wissenschaft
Verbreitung
Englischem
und
insofern
frei-
eine
1756 die G r o o t e Nationale
Unter den kulturellen Aktivitäten der Freimaurer im Habsburgerreich sind zahlreiche verlegerische Initiativen hervorzuheben (hier eine Buchhandlung in Lüttich).
42
Die »nationalen« Logen Katharinas II. verhielt sich den Freimaurern gegenüber nicht eindeutig.
gige Großloge. Auf der iberischen Halbinsel hatte die Freimaurerei vor allem in Spanien einen schweren Stand. D a s ganze 1 8 . J a h r h u n d e r t hindurch nahmen die Probleme mit der Inquisition nicht ab. Zusätzlich zu den päpstlichen Verurteilungen gab es ein Herrscherdekret gegen die Logen, die als Keim-
kollidierten,
zellen
illegal erklärt und geschlossen wurden.
der
Subversivität
betrachtet
w u r d e n . Im nahen Portugal
sodass
alle Logen
für
jedoch
In den von den katholischen H a b s -
waren Herrscher und Regierung der
burgern beherrschten Gebieten w a r den
Freimaurerei mit der Zeit immer güns-
Logen ein öffentliches Wirken unter-
tiger gesinnt.
sagt. Mit der Thronbesteigung Josephs
In Russland erlebte die Freimaurerei
II. ( 1 7 8 0 - 1 7 9 0 ) erlebte die österreichi-
unter der Regierung K a t h a r i n a s II.
sche Freimaurerei jedoch einen »Früh-
( 1 7 6 2 - 1 7 9 6 ) eine Blüte, w a s auch an
ling«: Es entstanden wissenschaftliche
den
zum
Zirkel und verlegerische Initiativen, be-
übrigen Europa lag. Der H a u p t o r g a -
deutende Persönlichkeiten und Künstler
nisator des freimaurerischen Systems in
wurden
Russland, der die Logen nach Eng-
folgenden
lischem
nisierung der
intensiveren
Ritus
Beziehungen
mit
den
Logen
der
Mitglieder. Zeit
In
fand
der d a r a u f eine
Reorga-
Logen auf nationaler
Strikten O b s e r v a n z vereinigen konnte
Basis statt, in die zahlreiche Staatsbe-
{siehe S. 52), w a r sogar Staatssekretär
amte eingebunden waren. So erließ der
im Dienste der Z a r i n . Besonders in
Kaiser schließlich im J a h r 1785, viel-
Sankt Petersburg hatten die Logen nach
leicht infolge der Ereignisse um die Illu-
Schwedischer Lehrart (mit mystischen
minaten (siehe S. 4 6 - 4 9 ) , oder weil die
und Templerritualen) freie H a n d und
Logen durch ihre Verbreitung n u n m e h r
stellten eine F o r m der geheimen O p -
ein Instrument darstellten, das politi-
position
gegen
dar.
schen D r u c k ausüben konnte, das so-
Politiker
und
wurden
genannte »Freimaurerpatent«. Fortan
Freimaurer u n d zahlreiche Initiativen
waren Freimaurerorganisationen legal,
versuchten, das Land zu
»europäi-
aber anderseits wurden ihre Mitglieder
sieren«, bis diese Bestrebungen mit der
registriert und genauestens k o n t r o l -
Innen- und Außenpolitik Katherinas II.
liert.
die
Regierung
Intellektuelle
43
Wechselwirkung mit der Geschichte _
Die Logen in Italien Im aus vielen Staaten bestehenden Ita-
dachte auch über eine neue politische
lien w a r die Organisation einer »na-
Rolle der Freimaurerei nach. Sie sollte
tionalen«
Adelige, Militärpersonen und Richter
Freimaurerei
unmöglich.
Dennoch verbreitete sich die Freimau-
vereinen,
rerei auch in den italienischen Klein-
politische Einmischung der Kirche zu
staaten
stärken, die
(selbstverständlich
mit Aus-
um
den im
Staat gegen
die
Königreich Neapel
n a h m e des Kirchenstaates). Sie stand
wieder die Inquisition einführen wollte.
oft unter dem Schutz von Herrschern
Die Kirche setzte die Lettera apolo-
wie
gética auf den Index, wodurch jede Tä-
dem
Franz
von
toskanischen Lothringen
Großherzog oder
Viktor
tigkeit
der
Freimaurerei
auf J a h r e
Amadeus von Savoyen.
blockiert wurde. Ab 1763 w u r d e die
Die ersten Logen im Königreich Neapel
freimaurerische Aktivität wieder in-
waren
tensiv a u f g e n o m m e n und sah sich von
Militärlogen.
Später s t a n d e n
zwei Strömungen einander gegenüber,
Neuem
eine
zweier Strömungen k o n f r o n t i e r t . Die
hermetisch-spiritualistische
und
mit
der
Gegensätzlichkeit
eine rationalistische. Z u m Großmeister
eine,
der neapolitanischen Loge w u r d e Rai-
Schottischen Ritus nahe und wurde von
m o n d o di Sangro, Fürst von Sansevero
der Königin Maria Carolina protegiert,
ernannt. In seiner 1750 veröffentlichten
die später bedeutende kulturelle In-
Lettera
Fürst
stitutionen wie die Königliche Aka-
nicht n u r die M e r k m a l e des freimau-
demie d e r Wissenschaften ins Leben
rerischen
seiner
rufen sollte. Die andere, d e m Eng-
Beziehungen zur Kabbala dar, sondern
lischen Ritus verbundene Richtung war
apologética
stellte
Gedankenguts
der und
aristokratische,
stand
dem
Der Verschleierte Christus in der
Cappella Sansevero in Neapel. Der Fürst von Sansevero ließ die Familienkapelle völlig »umbauen*, um daraus einen Freimauertempel zu machen.
44
Die Logen in Italien Der Markusplatz von Venedig, auf einem Gemälde L. Carlevaris'. Zu den kuriosesten Werken mit Bezug auf die venezianische Freimaurerei gehört eine Komödie von C. Goldoni, Die neugierigen Frauen
von 1753, die von einer Damenloge, einer sogenannten »Adoptivloge« handelt. WHMW mehr an neuen Formen der Politik
III., seit seiner Jugend ein Beschützer
interessiert.
den
der Logen, erreichte die piemontesische
Theorien der bayrischen Illuminaten
Freimaurerei einen großen Handlungs-
(siehe S. 4 6 - 4 9 ) sollten einen Teil der
spielraum und eine noch nie da ge-
neapolitanischen Freimaurerei radika-
wesene Präsenz sowie einen großen Ein-
lisieren und eine bedeutende Rolle beim
fluss im In- und Ausland.
Ausbruch der Aufstände von
In Venedig schließlich verbreitete sich
Die K o n t a k t e
mit
1799
spielen.
die
In Norditalien verbreitete sich die Frei-
Weise erst spät, auch wenn sich die be-
maurerei relativ spät. In der damals
deutendsten
habsburgischen Lombardei hatte die
damaligen Geisteslebens (z. B. Goldoni,
Loge von C r e m o n a die größte Bedeu-
Gozzi und Casanova) f ü r sie interes-
tung, was ihrem Organisator, dem Abt
sierten. Die Schaffung einer örtlichen
Bianchi zu verdanken war, dem es ge-
Gruppierung
lang, Beziehungen z u m kulturell fort-
Strikten Observanz w a r n u r von kurzer
schrittlichsten Flügel der europäischen
Dauer. Der Versuch, als Gemeinschaft
und nordamerikanischen Freimaurerei
zur R e f o r m des Staates politischen
zu knüpfen.
Druck auszuüben, hatte die Schließung
Im Königreich Sardinien dominierte das
sämtlicher Logen zur Folge.
Modell
der
Militärlogen.
Mit
Freimaurerei
auf
systematische
Persönlichkeiten
nach
dem
Ritus
des
der
der
Thronbesteigung von Viktor Amadeus
45
Wechselwirkung mit der Geschichte _
Die bayrischen Illuminaten Der »Fall« der bayrischen Illuminaten
kalismus herangereift, den er aber
stützte die Behauptung, die Freimaurer
nicht offen zeigen konnte, um nicht
w ä r e n f ü r den A u s b r u c h der Franzö-
seinen Lehrstuhl zu verlieren. Dies und
sischen
verantwortlich.
seine Leidenschaft f ü r rituelle Initi-
Dieser O r d e n , f ü r die freimaurerische
ationen sowie der Traum, eine auf Frei-
Revolution
Historiografie große
die
politische
»vielleicht Abweichung
erste der
Freimaurerei« (M. M o r a m a r c o ) , wurde 1776 in Ingolstadt von A d a m Weish a u p t gegründet, der d o r t Professor für kanonisches Recht war. O b w o h l Weish a u p t das Jesuitenkolleg besucht hatte, w a r in ihm ein heftiger Antikleri-
46
Goethe in der C a m p a g n a von ]. H. W.
Tischbein (1786). Angesichts seines intellektuellen Formats und der Tiefe seiner Gedanken mutet es eigenartig an, dass Goethe, als er dem bayerischen Illuminatenorden beitrat, nicht gewusst haben soll, ob es sich nun um ein utopisches humanitäres Projekt handelte oder um einen konkreten Plan, der auf politische Umwälzungen abzielte.
Die bayrischen Illuminaten Der Antijesuitismus war ein Phänomen des 18. Jh., das vor allem unter den Intellektuellen immer stärker auftrat. Ein Beispiel dafür ist dieser Stich, der den Baum der Gesellschaft Jesu darstellt, umgeben von einer antiklerikalen Schrift. Einige Wissenschaftler nahmen an, die Jesuiten hätten versucht, die Freimaurerei zu infiltrieren und zu kontrollieren.
32*föi.OGJ5 O l I i X i l M ' V k f a b
heit, Gütergemeinschaft und Kosmo-
aus
politismus begründete Gesellschaft auf-
stehende
zubauen,
die
Meister, Illuminatus maior oder Schot-
Gründe, die ihn bewogen, eine Geheim-
tischer Novize und Illuminatus dirigens
gesellschaft ins Leben zu rufen. An der
oder Schottischer Ritter). Die Spitze
freimaurerischen Organisation schätzte
w u r d e von einer Klasse gebildet, die die
er das Vorgehen in Graden oder Stufen,
Mysterien lehren sollte (Priester, Re-
was auch seinen O r d e n prägte. Auf eine
gent, Prinzeps, Magus/Philosophus und
Vorbereitungsklasse (Novize, Minerval,
Rex/Doctus). Wahrscheinlich hat sich
Illuminatus minor) folgte eine zweite,
Weishaupt für die Definition und die
w a r e n wahrscheinlich
freimaurerischen Klasse
Graden
(Lehrling,
be-
Geselle,
47
Wechselwirkung mit der Geschichte _ »Inhalte« der Grade der Mitarbeit des
andere noch in jüngerer Zeit die These
Freiherrn Adolf von Knigge bedient, der
eines umstürzlerischen Plans. So be-
den
war,
hauptet der französische Autor S. Hutin
nachdem er in der Freimaurerei nach
mir Entschiedenheit, Weishaupt habe
Schottischem Ritus die höchsten Grade
sich angesichts der Missbräuche und
erlangt hatte. Später entzweiten sich die
Ungerechtigkeiten der Gesellschaft sei-
beiden, weil Knigge dem Katholizismus
ner Zeit nicht darauf beschränkt, von
treu blieb, auch w e n n er Weishaupts
einer Ä n d e r u n g zu t r ä u m e n , sondern
Radikalität in sozialer Hinsicht teilte.
beschlossen, ein Komplott zur völligen
Knigge hatte sich bereits an einem Ver-
Erneuerung der Welt zu organisieren.
such der Reformation der Strikten O b -
D a f ü r habe es nur einen Weg gegeben,
servanz beteiligt (siehe S. 52). Diese
nämlich die systematische Ausbildung
streng hierarchische O r g a n i s a t i o n sah
von Agitatoren. Zu diesem Zweck habe
sich
Templer-
m a n eine mächtige Geheimgesellschaft
Ziel, einen den
gründen müssen, die Schritt für Schritt
Illuminaten
als
beigetreten
Bewahrerin
tradition, mit dem Malteserrittern
der
ähnlichen
Staat
zur
die gesamte Freimaurerei durchsetzen
R e t t u n g des C h r i s t e n t u m s zu bilden.
konnte
Knigge wollte wohl der Strikten Obser-
heime Gesellschaften, Bonn 1973). Tat-
vanz
den
sache ist, dass die bayrische Polizei zu-
Illuminaten eine neue Richtung geben,
fällig den Iluminatenorden betreffende
d u r c h die freimaurerische Utopien zu
Geheimpapiere f a n d , diesen für illegal
realen
Reformen führen
erklärte und seine A u f h e b u n g verfügte,
sollten, um Europa vom zwiefachen
wobei Weishaupt 1 7 8 5 in Abwesenheit
Joch der katholischen Kirche und dem
zum Tode verurteilt w u r d e . Dieser war
Ancien Régime zu befreien.
nach G o t h a geflüchtet und blieb d o r t
Der sehr erfolgreiche Illuminatenorden
bis zu seinem Tode im Jahr 1830 als un-
konnte
tadeliger
durch
den
politischen
sogar
Kontakt
mit
Persönlichkeiten
wie
(Unsichtbare Herrscher und ge-
Hauslehrer
des
jüngeren
regierenden
Herzogs.
Goethe und hochrangige deutsche Aris-
Sohnes
t o k r a t e n in seinen Reihen begrüßen.
Die Geschichte von den bayrischen
W ä h r e n d die einen ausschließen, dass
Illuminaten erregte überall
die Mitglieder des Ordens, auch an den
Aufsehen, was die Freimaurerei in ihrer
höchsten Spitzen der Hierarchie, je
Gesamtheit in Verruf brachte. Die »Ver-
irgendeinem
schwörungstheorie«
konkreten
kurzfristigen
des
enormes
gelangte
auch
politischen Projekt folgten und über
schnell in die Vereinigten Staaten, wo
einen revolutionären Utopismus, der
aber George Washington als Freimaurer
v o m M y t h o s des »edlen Wilden« be-
und
seelt war, hinausgingen, unterstützten
teidigte.
48
Politiker die Freimaurerei ver-
Die bayrischen Illuminaten
George Washington (1732-1799), von 1789-1797 Präsident der Vereinigten Staaten, war überzeugter Freimaurer. Er wurde 1752 in der Fredericksburg Lodge No. 4 in Virginia aufgenommen und am 4. August 1753 Meister. Hier ist er mit den freimaurerischen Insignien dargestellt. Rundherum entfalten sich Bilder, die mit der Freimaurerei zusammenhängen. In den Rundbildern oben kann man die Porträts von Lafayette und Jackson sehen. So wie Washington gab es noch viele Freimaurer, die das höchste politische Amt des Landes bekleideten.
49
f S / ^ Wechselwirkung mit der Geschichte
Die »Rache« der Freimaurer Bei der Theorie von einem K o m p l o t t , lig« geworden sei, spielte die reakdas im Fall der bayrischen Illuminaten tionäre Publizistik eine wichtige Rolle. (siehe S. 4 6 - 4 9 )
erfolgreich vereitelt
Deren typischste Vertreter waren der
w o r d e n und durch den Verlauf der radikale, während der SchreckensherrFranzösischen Revolution »augenfäl- schaft inhaftierte Louis Cadet de Gassicourt sowie der in
England
im
Exil weilende Jesuit Augustin de Barruel. Cadet de Gassicourt hauptete tombeau ques
bein
I.e
de
Jac-
Molay,
der
Templerorden, dessen
Erbe
die
Freimaurerei
an-
Die »gerechte Rache« des Jacques de Molay, die die Freimauercrei an Ludwig XVI. verübte: Illustration der antifreimaurerischen Schrift von L. C. de Gassicourt für den Essay Le tombeau de Jaques Molay ou Histoire secrète des initiés anciens et modernes, templiers, francs maçons, illuminés et recherche sur leur influence dans la révolution française,
Paris 1797.
50
getreten habe, bilde das erste Glied einer Kette von Verschwörern, die ununterbrochen bis zum Sturm auf die Bastille tätig gewesen seien. Barruel ging noch weiter: In seinen Mémoires pour servir à
l'histoire du Jacobinisme
ließ er alle
Bewegungen oder Per-
sönlichkeiten, die sich je in der Geschichte gegen die bestehende O r d n u n g erhoben hatten, Teil einer jahrhundertealten Verschwörung sein, angefangen
bei
den
Fantasierekonstruktion einer heldenhaften Episode der Templer im Heiligen Land. Trotz der Schwärmerei für das Rittertum, die für das aristokratische ebenso wie das bürgerliche Milieu seit dem 18. Jh. bezeichnend war, schadete die unbegründete Behauptung der Freimaurerei, der Templerorden existiere immer noch. Denn auf sie übertrugen ihre Gegner nun die gleichen Anschuldigungen der Falschheit, des Okkultismus und sogar des Satanismus, die jahrhundertelang gegen die Templer vorgebracht wurden.
mittelalterlichen
Häretikern bis hin zu Robespierre. Dies
Tempelritters geweissagt. M a n munkel-
festigte in der Öffentlichkeit die Le-
te, Ludwig XVI., letzter König von
gende, Jacques de Molay, der letzte
Frankreich und eben der letzte N a c h -
Großmeister der Tempelritter, der von
k o m m e Philipps des Schönen, habe den
Philipp dem Schönen gemeinsam mit
H e n k e r nach seinem N a m e n gefragt,
Papst Clemens V. z u m Tod auf dem
bevor er am 2 1 . J a n u a r 1 7 9 3 guilloti-
Scheiterhaufen verurteilt w o r d e n war,
niert w u r d e . Dieser a n t w o r t e t e , er sei
hätte unter Beteuerung seiner Unschuld
als Templer
den Tod des letzten N a c h k o m m e n s
Jacques de Molay zu vollstrecken. Die
seines Verfolgers durch die H a n d eines
Farben des Bildes wurden noch düsterer
bereit,
die
Rache
für
51
Wechselwirkung mit der Geschichte _ P
"
™
—
—
—
—
i
—
—
Die »Rittersysteme« Kapitel von Clermont Das Kapitel von Clermont entstand 1754 in Frankreich, inspiriert durch die Schottischen Meister der Freimaurerei von Lyon (1741-1743}. In Frankreich verschwand es schnell, in Deutschland verbreitete es sich über die Berliner Loge Zu den drei Weltkugeln rasch und ivar von 1759 bis 1764 aktiv. In einer makabren Zeremonie beziehen sich Grad fünf und sechs des Systems auf den ungerechten Tod Jacques de Molays. Das Klerikat der Tempelherren Vom protestantischen Pastor J. A. Freiherr von Starck erfunden und ausgearbeitet, wurde das Klerikat 1772 durch die Strikte Observanz des Freiherrn von Hund anerkannt. Es basierte auf einer historischen Fälschung. Im Mittelalter habe unabhängig vom Ritterkorps ein geistlicher Zweig der Templerherren existiert. Er sei Hüter eines im Orient von den Essenern übernommenen Geheimwissens gewesen. Das Klerikat ging zur gleichen Zeit wie die
52
Strikte Observanz unter, auch wenn man sich zuvor getrennt hatte. Doch Starck hatte sein Ziel erreicht, er war von der deutschen Hocharistokratie anerkannt worden. Strikte Observanz (Rektifizierte Freimaurerei) Die Strikte Observanz wurde vom Reichsfreiherrn K. G. von Hund und Altengrottkau, Erbherr von Lipse (1722-1776) in der Oberlausitz ins Leben gerufen. Dieser war angeblich von » Unbekannten Oberen« mit der Wiederherstellung des Templerordens beauftragt worden. Zwischen 1751 und 1755 wurden Struktur, Rituale und administrative Organisation festgelegt, aber das System war erst ab 1763/64 aktiv. Es sah einen inneren Orden vor, zu dem man ab dem sechsten Grad Zutritt hatte und der drei Kategorien Initiierter umfasste: die Ritter (Aristokraten), die Armigeri, d. h. Knappen (Großbürger), und die Socii et Amici Ordinis (Fürsten oder Hoheiten, denen man >
Die »Rache« der Freimaurer
> keinen Eid zur Gehorsamkeit abverlangen konnte). Hund strebte eine Vorherrschaft seines Systems an. Er forderte daher, auch die Logen, die nach angelsächsischem Modell nur die ersten drei Grade praktizierten, sollten auf die Rituale der Strikten Observanz zurückgreifen und sich der Autorität ihres Provinzial-Großmeisters unterwerfen. Logen, die das System insgesamt annehmen wollten, mussten sich »rektifizieren« lassen, indem sie sich unterordneten und den » Unbekannten Oberen« Gehorsam schworen. Die Strikte Observanz erlangte praktisch die Kontrolle über die deutsche Freimaurerei. Später verlor sie an Ansehen, um schließlich 1782 beim Konvent der europäischen Freimaurer in Wilhelmsbad zu Grabe getragen zu werden. Orden der Chevaliers Bienfaisants de la Cité Sainte (Wohltätige Ritter der Heiligen Stadt) Das System der Strikten Observanz erfuhr in diesem Orden seine letzte bedeutende Wandlung. Beim freimaure-
tischen Convent National des Gaules 1778 in Lyon wurde sein Entstehen offiziell registriert. In dem französischen Orden wurde die Templeridee mystisch weiterentwickelt und eine Emanzipation von der deutschen Führung eingeleitet. Zwar wurde im Namen nicht direkt auf den Templerorden angespielt, um nicht die weltlichen und geistlichen Autoritäten Frankreichs zu brüskieren, da ja ein französischer König und ein Papst in Avignon die Aufhebung des Ordens dekretiert hatten, Emblem des Höchsten Grades war jedoch ein Grab, über dem ein Adler und ein Pelikan mit den Buchstaben J. M. (Jacques de Molay) dargestellt waren, ergänzt durch das lateinische Motto Ecce quod superest (Siehe, was überlebt). J. B. Willermoz gründete den Orden. Er wollte der freimaurerischen Idee der Menschenliebe neues Leben einhauchen und stellte das Thema der Brüderlichkeit wieder in den Mittelpunkt. Der Orden war jedoch deutlich esoterisch geprägt und sah für begüterte Ritter zwei speziell ihnen zugängliche Grade vor.
durch den Hinweis, selbst die Guillotine
der Gegner des Ordens. Ihre Ursprünge
sei von einem Freimaurer e r f u n d e n
sind innerhalb der Freimaurerei dort zu
worden, dem Arzt und Wissenschaftler
suchen, wo der mittelalterliche freie
Joseph-Ignace Guillotin.
M a u r e r d u r c h den Ritter überlagert
Die Verbindung Templer - Freimaurer
wurde, w a s im Ansatz bereits bei R a m -
entsprang jedoch nicht nur der Fantasie
say geschah (siehe S. 3 1 - 3 3 ) . Außerdem
Auf der Seite nebenan sinnt König Gustav III. von Schweden (von 1771 bis 1792 auf dem Thron) in Anwesenheit von Minerva und Justitia über die Revolution nach. Seit dieser Herrscher 1770 in die Freimaurerei aufgenommen wurde, hatte der Orden immer Mitglieder aus höchsten Hofkreisen. Der Schwedische Ritus, der bis heute in der Freimaurerei von Schweden, Norwegen, Dänemark und Island eine Monopolstellung hat, behielt templerische Nuancen bei, die er aus den Kontakten mit der Strikten Observanz erworben hatte. Er ist der einzige, bei dem der letzte Grad (Ritter-Kommandeur mit dem roten Kreuz) zugleich vom Souverän verliehene bürgerliche Auszeichnung ist.
53
Wechselwirkung mit der Geschichte _
Miniatur mit der Hinrichtung des Jacques de Molay, letzter Großmeister der Tempelritter., Mit dieser Tat nahm die Legende von der »Rache der Templer« ihren Anfang.
entstand in den verschiedenen Logen des europäischen Festlands ein lebhaftes
esoterisches
Interesse,
ins-
besondere f ü r die Alchcmie und die Kabbala. So hatte sich im O r d e n eine Legende bilden k ö n n e n : Die Templer, Bewahrer einer orientalischen Geheimlehre, sollen die d u r c h den König von Frankreich u n d den Papst in R o m (1312)
dekretierte
Verurteilung
in
Schottland im Verborgenen überlebt und der Freimaurerei ihre Spiritualität und Weisheit vermacht haben.
54
Die A u f n a h m e der Templerlegende in Symbolik und Rituale der Logen hatte bedeutende Auswirkungen: • sie ließ verschiedene Systeme entstehen, die sich von Deutschland aus, wo sie ihren Anfang nahmen, schnell auf der ganzen Welt verbreiteten; • sie schwächte die Verbindungen zur operativen Tradition, vor allem im Hinblick auf die Bedeutung, die der Initiation
beizumessen
ist,
und
knüpfte enge Verbindungen zur hermetisch-esoterischen und zur Rosenkreuzertradition; • sie g a b zweifelhaften Persönlichkeiten R a u m , die sich unter jenen Anhänger schufen, die glaubten, Grad auf Grad an das »Geheimnis der Freimaurer« h e r a n z u k o m m e n , das eins sein
sollte
geheimnis«,
mit
dem
und
»Templer-
meinten,
sich
bereichern zu k ö n n e n , sobald der Templerorden wieder im Besitz seiner Güter sei, um diese unter den »Initiierten« aufzuteilen; • der Templer Jacques de M o l a y überlagerte die Figur des H i r a m (siehe S. 2 4 - 2 9 ) , dessen Legende symbolisch um den Aspekt der »Rache« erweitert w u r d e . Dies stärkte bei Außenstehenden die Überzeugung, die
Freimaurerei
würde
der
Ge-
schichte einen Lauf aufzwingen, der von »Unbekannten Oberen« gewollt war, und sei jeden M o m e n t in der Lage, deren Pläne Realität werden zu lassen.
Die Templeridee schwächte die Verbindung mit der operativen Tradition in den Logen, indem sie den hermetischen und esoterischen Traditionen Raum gab (oben: rechte Tafel aus dem Garten der Lüste von H. Bosch. Auf der nebenstehenden Seite ein Stich mit dem Herd des Alchemisten.
55
Wechselwirkung mit der Geschichte _
Die Logen und die Kultur Seit
ihrer
Gründung
zeichnen
sich
angelegte
Kompositionen
wie
das
des Musikers
und
Logen durch Geselligkeit aus. M a n traf
Carmen saeculare
sich in einem Gast- oder Kaffeehaus, in
Schachspielers F.-A. Philidor { 1 7 2 6 -
einem Bierlokal oder Privathaus vor
1795). Bald sollten sich immer mehr
allem zu festlichen Gelegenheiten wie
M u s i k e r der Freimaurerei
zum Beispiel der A u f n a h m e eines neuen
und ihren eigenen Beitrag zum musika-
Bruders oder Festen zu Ehren Johannes
lischen Erbe der Freimaurerei leisten.
des Täufers. Diese Z u s a m m e n k ü n f t e
Große Musiker wie Gluck, Haydn und
wurden von Festmählern, Schauspielen
M o z a r t waren Logenmitglieder. Neben
und Musik begleitet. In L o n d o n zum
Händcis
Messias
Beispiel war das freimaurerische Leben
Jennens)
und
zu Beginn des 1 8 . J a h r h u n d e r t s beson-
von
ders mit musikalischen Darbietungen
rühmtesten
und A u f f ü h r u n g e n von Shakespeares
onen« von Wolfgang Amadeus Mozart:
Werken verbunden.
Die Maurerfreude (K. 471), die Maure-
annähern
(Libretto:
Charles
der Neunten
Beethoven
Symphonie
stammen
die
be-
»Freimaurerkompositi-
rische Trauermusik (K. 477), die Kleine Die Musik
Freimaurerkantate
Vor allem Musik spielte eine wichtige
schließlich die O p e r Die Zauberflöte.
Rolle. Anderson hatte in seinem Kon-
Bei den Ersteren handelt es sich um
stitutionenbuch eine Reihe von Volks-
kurze Partituren, die für kleines Orches-
liedern aufgenommen, geeignet zur Ver-
ter geschrieben w u r d e n , einen feier-
anschaulichung
lichen R h y t h m u s aufweisen und als li-
Geschichte
der
von
Ursprung
und
Organisation.
Sie
turgische
Musik
(K. 623)
gedacht
sind,
und
um
w u r d e n w ä h r e n d der Logenversamm-
Augenblicke der Freude oder der Trauer
lungen gesungen. Insbesondere Musik
in der Gemeinschaft festlich zu be-
schien das Konzept eines Universums
gehen; T h e m a ist immer die »Brüder-
ausdrücken zu k ö n n e n , das vom ur-
lichkeit«. Anders liegt der Fall bei der
sprünglichen
Zauberflöte.
Chaos
zu
einer
na-
Die
Oper
erlaubte
es
Ordnung
M o z a r t , alle Themen zu streifen, die ihn
übergeht. Von daher faszinierte viele
damals fesselten: Tod und Wieder-
Freimaurer das Studium der musika-
geburt, Beziehung zwischen Irdischem
lischen Harmonie. Es entstanden Trak-
und
tate, Libretti u n d A l m a n a c h e zur Ver-
P r ü f u n g als notwendiger Weg zur uni-
breitung der M u s i k , aber a u c h breit
versellen Liebe.
türlichen
56
und
rationalen
Überirdischem,
Initiation
und
Die Logen und die Kultur Porträt Wolf gang Amadeus Mozarts (17561791). In seinem Todesjahr wurde in Wien Die Zauberflöte uraufgeführt. Ihr Librettist E. Schikaiteder war wie Mozart Freimaurer. Das Werk spielt auf verschiedenste Weise darauf an und dokumentiert neben der rationalistischen Strömung eine weitere Richtung der Freimaurerei des IS. Jh., für die der Mystizismus und die Schwärmerei für geheimnisvolle Szenarien aus dem Orient charakteristisch waren. Der Raum In den Augen von Freimaurern w a r e n auch die Architektur und die O r g a nisation des Raumes als Darstellung einer idealen Weltordnung von großer Bedeutung. Dies wurde umso wichtiger, je mehr die Zahl der Mitglieder und die soziale Bedeutung stieg, und je mehr
korationen die Tugend als unabding-
jene Strömungen auftraten, die sich auf
bare Basis für die Aristokratie preist.
den Hermetismus und die Rosenkreuzer
Ebenfalls in dieser Zeit nehmen die
bezogen. Im vorangegangenen Jahr-
Symbole (siehe S. 1 1 2 - 1 1 7 ) und ihre
hundert hatte der pfälzische Kurfürst in
festgelegte A n o r d n u n g im Raum grund-
Heidelberg rosenkreuzerische Vorstel-
sätzlich an Wichtigkeit zu. Die Frei-
lungen vom Universum in seinen Gär-
maurerei w a r zur Zeit des aufgeklärten
ten zum Ausdruck gebracht. Ähnlich
Despotismus derart populär, dass diese
versuchte nun die Freimaurerei, das ei-
Art von Raumdekoration auch für an-
gene kulturelle Erbe, die eigenen Regeln
dere, nicht in engerem Sinne freimaure-
und Prinzipien auf eigens für die Zere-
rische Z u s a m m e n h ä n g e ü b e r n o m m e n
monien erdachte u n d geplante R ä u m e
wurde, wie z u m Beispiel die Sala della.
zu übertragen. In der zweiten Hälfte des
adunanze in der Akademie der Wissen-
18. J a h r h u n d e r t s sollten viele G e b ä u d e
schaften in Turin belegt.
errichtet oder f ü r diese Zwecke umgestaltet werden. Die berühmtesten sind
Die Wissenschaft
die M a s o n Hall in L o n d o n u n d die
Von A n f a n g an bestanden sehr enge
Cappella Sansevero in Neapel. Diese
Verbindungen zwischen der Welt der
ließ R a i m o n d o di Sangro in einen Frei-
Wissenschaft und der Freimaurerei. Be-
maurertempel u m w a n d e l n , dessen De-
reits die ersten englischen Logen stan-
57
Wechselwirkung mit der Geschichte _
Eine Arbeit des englischen Architekten und Freimaurers John Soane. Es handelt sich um einen Entwurf für das Haus, das Soane für sich selbst erbaute (heute ein öffentliches Museum). Die Besonderheit dieses Werks, das Anspielungen auf das Mittelalter, Zitate von Piranesi und Bezüge auf den Symbolismus eines anderen Freimaurers, ]. C. Deiafosse, bietet, besteht darin, dass diese Räumlichkeit für die Unterbringung des Heizkessels gedacht war.
den den Kreisen der Royal Society, der
Prinzipien von Hierarchie, O r d n u n g
1662 offiziell a n e r k a n n t e n britischen
und Frieden eingerichtet hatte. Was die
Akademie
sehr
Freimaurer interessierte, w a r die Paral-
nahe. G r o ß e Bedeutung für die G r o ß -
lelität zwischen der natürlichen und der
loge von L o n d o n hatte N e w t o n . Er for-
sozialen O r d n u n g .
mulierte
eine
Dieses Thema sollte sowohl in England
äußerst ergiebige neue N a t u r p h i l o s o -
als auch auf dem europäischen Festland
phie, die jedoch nicht die Religion ver-
einen großen Teil des Jahrhunderts hin-
leugnete. Die Wissenschaft, und das
durch präsent sein. Das Interesse an der
gefiel den Freimaurern, erklärte, wie
N a t u r hatte z u m Ziel, eine neue Ge-
Gott als Baumeister die N a t u r nach den
schichtsphilosophie zu begründen. Da-
58
der Wissenschaften,
die
Grundlagen
für
Die Logen und die Kultur
her entstanden neue öffentliche und private Wissenschaftsinstitutionen wie die Akademien der Wissenschaften in Turin und Neapel, das M u s e e de Paris oder die Königlich Böhmische Gesellschaft der Wissenschaften in Prag. M a n stellte naturkundliche
Sammlungen
zusam-
Eine Sitzung von Mesmers Société de l'Harmonie. Das Baquet, eine zugedeckte hölzerne Wanne, aus der Schnüre herausschauen, soll die magnetischen Strömungen auffangen. Der Mesmerismus stellt die letzte Krise der Freimaurerei im 18. Jahrhundert dar, vor allem für diejenigen, die nie auf den magischen Aspekt verzichtet hatten,
men und publizierte Zeitschriften und Bücher. Sie beschäftigten sich mit den
Wien arbeitender Arzt, der sich mit
verschiedensten
der
»animalischem Magnetismus« beschäf-
zur Physiognomik.
tigt hatte, vertrat die These, es wäre
Mathematik
bis
Themen,
von
Diese Vielfalt von Interessen und Initia-
möglich,
tiven barg jedoch ein Risiko: Die »zwei-
Zwecke zu nutzen. Er w a r von Wien
te (mystische) Seele« der Freimaurerei,
nach Paris gegangen, wo er eine Société
die die Magie niemals abgelehnt hatte,
de l'Harmonie gegründet hatte.
neigte von N a t u r aus dazu, zweifel-
konnte man gegen Bezahlung in die Ge-
h a f t e n Persönlichkeiten wie M e s m e r
heimnisse des Magnetismus eingeweiht
und Cagliostro R a u m zu geben.
werden.
Franz A n t o n Mesmer, ein zunächst in
machte der Mesmerismus als Therapie
diesen
Etwa
für
ein
therapeutische
Jahrzehnt
Dort
lang
59
Wechselwirkung mit der Gcschichte Die Hoffnung, die vom Großen Baumeister Aller Welten »geordnete« Organisation der Natur auf den sozialen Bereich übertragen zu können, war in der englischen Freimaurerei, die stark dem Newtonismus verbunden war, immer präsent (hier stellt Britannia Isaac Newton einen jungen Mathematiker vor). deren Bedeutung erneuerte. Ein G r o ß teil der Begriffe (Statuten, Kapitel, Orden, Meister usw.) ging auf die mittelalterliche Tradition
zurück.
Andere
w a r e n N e u e r u n g e n , die die ursprüngliche
Bedeutung
komplett
beiseite-
ließen. Das W o r t »Konvent« zum Beispiel bezeichnet in der Alltagssprache einfach den Sitz einer Religionsgemeinschaft, in der Freimaurersprache bedeutet es »Versammlung«, in Erinnerung an und Theorie Furore. Mesmers Schriften
die Versammlung von Wilhelmsbad, die
wurden in den Logen a u f m e r k s a m gele-
eben in einem Konvent stattgefunden
sen und rege kommentiert. M a n machte
hatte. Und das W o r t »Konstitution«
den Versuch, die ursprünglich zur Be-
bezeichnete nun weder eine Sammlung
h a n d l u n g von Krankheiten Einzelner
legislativer Bestimmungen von höchster
entwickelte Theorie des »animalischen
politischer Autorität wie zur römischen
Magnetismus« auch auf die Gesamtge-
Kaiserzeit,
sellschaft a n z u w e n d e n . Die Attacken
geistlicher Art wie im Mittelalter, son-
der offiziellen Wissenschaft und das aus-
dern eine Reihe von Prinzipien, die dem
ufernde Auftreten von Scharlatanen, die
geordneten Leben einer Gesellschaft,
sich den Mesmerismus zunutze mach-
hier den Freimaurern, zugrunde lag.
ten, hatten schließlich eine offizielle Inter-
Wie der Begriff »Konstitution«, so
vention des Königs und letztlich 1785
w u r d e n auch viele a n d e r e W ö r t e r wie
die Ausweisung Mesmers zur Folge.
Gesellschaft, Freiheit und öffentliche
noch
besondere
Regeln
Wahl aus dem n o r m a l e n SprachgeD a s Wort
b r a u c h entliehen. Besonders das W o r t
In den Logen arbeitete m a n auch an
»Aufklärung« w a r von großer Bedeu-
einem neuen sprachlichen Kodex, der
tung. W u r d e der Begriff in der Vergan-
traditionelle
genheit wohl ausschließlich im reli-
60
Begriffe
aufnahm
und
Die Logen und die Kultur Links: B. Franklin; unten: Die Verfasser der Unabhängigkeitserklärung der
Vereinigten Staaten von Amerika, alle Freimaurer. Unter den vielen Tätigkeiten Franklins sei seine Arbeit als Publizist und Verleger erwähnt.
giösen Bereich verwendet, nämlich im
Die Epoche des aufgeklärten Despo-
Sinne der A u f k l ä r u n g des Menschen
tismus zeichnete sich durch eine fort-
dank göttlicher Anleitung, so versteht
schreitende Alphabetisierung und eine
m a n darunter in der Freimaurerei den
R e f o r m der Bildungssysteme aus. Um
Kampf
den
gegen
Aberglauben
Unwissenheit
mithilfe
der
und
Vernunft
wachsenden
gerecht
zu
werden,
Bildungshunger förderte
die
(siehe S. 4 0 - 4 1 ) . In den Freimaurerdia-
Freimaurerei die Publikation g r o ß e r
logen, eine Schrift, die weitverbreitet
Werke, wie die Ubersetzung der Two
und Grundlage vielfältiger Diskussio-
Treatises of government (Über die Re-
nen war, meint Lessing, n u r durch die
gierung) von Locke, die Scienza della
Vernunft könne das w a h r e Wesen der
legislazione (System der Gesetzgebung)
Freimaurerei erforscht und begriffen
von Filangieri oder die Lettere ame-
werden.
ricane mit einem Vorwort von Franklin. Vor allem aber gab es eine große Produktion einfacher und kostengünstiger Publikationen, die sich entweder der Bildung der neuen Mitglieder widmeten oder für Werbezwecke bestimmt waren. In Umlauf gebracht w u r d e n auch die Texte der in den Logen gehaltenen Vorträge, Almanache mit Hinweisen auf freimaurerische Feste und die Logenadressen sowie Katechismen u n d Zeitschriften.
61
Wechselwirkung mit der Geschichte _
Napoleon: Eine »gelenkte« Karriere? Die glänzende Karriere des 1769 in
nach Italien und Ägypten, der Aufstieg
Ajacco geborenen Napoleon Bonaparte
z u m Konsul ... Von dem M o m e n t a n ,
ist ungewöhnlich. N a c h seinem Ab-
da er m i t der Eroberung Toulons von
schied von der Pariser Militärakademie
sich reden gemacht hatte, genügten ihm
- davor hatte er die von ßrienne besucht
zehn J a h r e , in denen er von Erfolg zu
- w u r d e er mit n u r f ü n f u n d z w a n z i g
Erfolg eilte, um z u m Kaiser der Fran-
Jahren General. Er hatte einen Plan aus-
zosen gekrönt zu werden.
gearbeitet, der es den Truppen des Kon-
Von der Theorie, N a p o l e o n habe in
vents ermöglichte, das von den Eng-
K o n t a k t mit einer mächtigen Geheim-
ländern besetzte Toulon zu erobern.
gesellschaft, den Illuminaten, gestan-
Der Rest ist Geschichte: seine Heirat
den,
mit Josephine de Beauharnais, die ihm
nichts. Diese seien trotz Verbot durch-
die Türen zu den Salons im Paris des
aus noch aktiv gewesen (siehe S. 4 6 -
Direktoriums
49). Er soll an einem unterirdischen O r t
öffnete,
die
Feldzüge
erzählen
die
Geschichtsbücher
in der römischen C a m p a g n a aufgen o m m e n worden sein. Als ihm während der Zeremonie die Insignien des Grades und die phrygische Mütze, die in Frankreich (Jakobinermütze) und den Vereinigten Staaten als Symbol der Freiheit galt, überreicht wurden, soll der rituelle Satz gesprochen w o r d e n sein: »Achte gut d a r a u f , die K o p f b e d e c k u n g der Freiheit nicht mit der Krone zu tau-
Porträt des jugendlichen Napoleon von J.-L. David. Der französische Historiker Michelet (1798-1874) hob die geheimnisvolle und frühreife Anziehungskraft dieser außergewöhnlichen Persönlichkeit hervor und meinte, der Maler habe ihm eine »vollkommen düstere Unpersönlichkeit« verliehen, die »zauberhaft wirkt«.
62
Napoleon: Eine »gelenkte« Karriere?
Mausoleum zum Gedächtnis an den Übergang Napoleons über den Moni Cents, in einem Entwurf von G. Selva aus dem Jahr 1808, der sich die » Agyptomanie« jener Zeit zunutze macht.
«
sehen«. Hieraus erklärt m a n den Z u -
UH
ermächtigte der Kaiser seinen Bruder
sammenbruch des Mythos Napoleon ab 1812. Dieser sei unvermeidlich gewe-
Joseph Bonaparte, die ihm angetragene
sen, da er aus Ehrgeiz die Anordnungen
Großmeisterschaft anzunehmen. Als die
der mächtigen Oberen nicht befolgt
Freimaurerei d a r a u f h i n von W ü r d e n -
habe. Andere Autoren glauben, N a p o -
trägern des Empire buchstäblich über-
leon sei w ä h r e n d des Ägyptenfeldzugs
r a n n t w u r d e , sei sie gezwungen ge-
auf M a l t a in eine Militärloge aufge-
wesen, auf alles zu verzichten, w a s zu
n o m m e n w o r d e n . S. Hutin meint, die
einer Emanzipation des Geistes hätte
Expedition nach Ägypten habe in mi-
beitragen k ö n n e n oder etwas anderes
litärischer Hinsicht darauf abgezielt,
als Bewunderung für die Diktatur zum
den Engländern den Weg nach Indien
Ausdruck gebracht hätte. (La franc-
abzuschneiden, gleichzeitig habe sie
maçonnerie
N a p o l e o n ermöglicht, mehrere unsicht-
adeptes, Bd. I.: L'apprenti).
bare
Menschheit zu
Auch der englische Historiker P. Part-
treffen (Unsichtbare Herrscher und ge-
ner, Autor einer brillanten Studie über
heime
die Templer, teilt diese Ansicht im We-
Herrscher der Gesellschaften).
rendue
intelligible
à
ses
O. Wirth, der in den ersten Jahrzehnten
sentlichen. Er zitiert den Schriftsteller
des zwanzigsten Jahrhunderts im Grand
Charles
Orient
war,
zufolge die französischen Freimaurer,
schreibt dagegen, N a p o l e o n habe an-
ungeachtet ihrer Z a h l - der G r a n d
fänglich
verbieten
Orient zählte 1814 gut 9 0 5 Logen -
wollen. Dagegen sprach jedoch, dass
keinerlei G e f a h r f ü r das Regime dar-
m a n nur zu fürchten hatte, w a s m a n
gestellt hätten, weil die Bewegung in
zwang, sich zu verstecken. Deswegen
Widersprüche verstrickt sowie ohne
von die
Frankreich
aktiv
Freimaurerei
Nodier
(1780-1844),
dem-
Einfluss und sinnentleert gewesen sei.
63
Wechselwirkung mit der Geschichte _
Italien: Auf dem Weg zum Risorgimento Auch die Freimaurerei in Italien war na-
zwar von der Freimaurerei beeinflusst,
poleonisch geprägt (siehe S. 6 2 - 6 3 ) . In
doch die konspirativen Gewohnheiten
Mailand w a r 1805 der Grande Oriente
und der Aktivismus waren ein Erbe der
d'Italia entstanden. 1806 waren die Sta-
revolutionären Clubs vom Ende des
tut!
18. Jahrhunderts.
Generali della
Franca
Massotteria
in Italia ausgearbeitet w o r d e n . Hinige
Einer der wichtigsten italienischen Ge-
Mitglieder des O r d e n s bewunderten
h e i m b ü n d e w a r die C a r b o n e r í a (Köh-
Napoleon oder hatten sich einfach nur
lerei), die möglicherweise aus der Loge
der aktuellen Situation angepasst. Al-
Philadelphia hervorgegangen war. Letz-
lerdings wuchs die Zahl derer mit der
tere hatte Unzufriedene aus Teilen der
Zeit immer stärker, die sich der fran-
Armee und der französischen Freimau-
zösischen »Tyrannei« widersetzen wol-
rerei versammelt und sich in ganz
lten und bereits anderen Geheimbünden
Europa verbreitet, wobei sie mit einigen
unterschiedlicher
Aus-
ihrer Vertreter auch in die Logen des
waren.
Deren
Königreichs Italien vordrang. Die Car-
Symbolik
wurde
bonería, von der gesichert ist, dass ihre
richtung
ideologischer
beigetreten
Organisation
und
Mazzini und Garibaldi begegnen sich in Marseille (1833). Int 19. Jh. waren es nicht nur die Konservativen, die glaubten, die Freimaurerei habe die Aufgabe, die politische und soziale Ordnung zu revolutionieren, sondern auch die eigenen Mitglieder. Die Zeitschrift »Ri vista massonica« z. B. ging so weit, die Garibaldiner als »neue Templer« zu bezeichnen.
64
Italien: Auf dem Weg zum Risorgimento
Porträt Giuseppe Mazzinis. Der Genueser Patriot gehörte zu jenen, die sich dafür einsetzten, dass die Unterordnung unter Frankreich und das Weiterbestehen jakobinischer Töne aus den italienischen Geheimbünden verschwand: »Der Fortschritt der Völker besteht beute darin, sich von Frankreich zu emanzipieren«, erklärte er und fügte hinzu: »Der Fortschritt Frankreichs besteht in seiner Emanzipation vom 18. Jahrhundert und der alten Revolution«. Existenz den Regierungsbehörden seit 1808 bekannt war, entwickelte sich vor allem in Süditalien und infiltrierte ihrerseits die neapolitanischen Logen. Im
Gleichheit und Brüderlichkeit verlang-
Laufe der Zeit trat an die Stelle des ur-
te, so verpflichtete m a n sich beim zwei-
sprünglichen demokratischen und egali-
ten bereits, für eine republikanische
tären Geistes der Geheimgesellschaften
Verfassung zu k ä m p f e n , u n d mit dem
ein liberaler Patriotismus, der als Ziel
dritten
die Unabhängigkeit und eine zum eng-
Privateigentums und zu einer Güter-
lischen ähnliche Verfassung hatte.
und Arbeitsgemeinschaft.
Nach
der Restauration,
zur
Abschaffung
des
vom
Es w a r jedoch die Carboneria, die in
Wiener Kongress eingeleitet, arbeiteten
dem Bemühen um eine geeinte »Na-
die geheimen Vereinigungen weiter und
tion« erste k o n k r e t e Ergebnisse durch
fanden ihre Mitglieder unter Offizieren,
konspirative
Intellektuellen, Studenten und m a n c h -
spielte Giuseppe Mazzini ( 1 8 0 5 - 1 8 7 2 )
mal
eine wichtige Rolle, zumindest in ideel-
auch
in
den
1815
dann
anderen
Volks-
Arbeit
erzielte.
Dabei
schichten.
ler Hinsicht. Von allen italienischen Pa-
In Italien k a m zur Carboneria im Süden
trioten w a r er derjenige, der Positionen
die Societä dei Sublimi Maestri Perfetti
vertrat, die den Vorstellungen der Frei-
im N o r d e n hinzu. Diese n a h m den Platz
maurer vom Menschen und seiner Rol-
der Adelfia ein, die in den ersten Jahren
le in der Welt am nächsten w a r e n . Er
nach der Restauration aktiv gewesen
hatte auch Kontakte zum esoterischen
war. Hier waren, unter Filippo Buona-
Mephis- und Misraim-Ritus, in d e m die
rotti ( 1 7 6 1 - 1 8 3 7 ) , die radikalsten Posi-
ägyptische mysteriosophische Tradition
tionen zu finden.
von großer Bedeutung war. Diesem Ri-
Während
der
erste
Grad
nur
den
Schwur z u m deistischen Glauben, zu
tus schloss sich auch Giuseppe Garibaldi ( 1 8 1 7 - 1 8 8 2 ) a n .
65
Wechselwirkung mit der Geschichte _
Die »romantische« Freimaurerei Lange w u r d e die R o m a n t i k als ideo-
Bestätigung suchte oder Fluchten in die
logische und kulturelle Stimme der Res-
Z u k u n f t , in die Utopie auslöste, was
tauration angesehen, vor allem in Hin-
eine Beschäftigung mit der Gegenwart
blick
der
ausschloß. Goethe meinte, das Roman-
Versuch, diese Bewegung politisch zu
tische verkörpere »das K r a n k e « , und
deuten, führt auf Abwege, denn sie zog
die moderne Psychologie bestätigt seine
Revolutionäre wie Konservative, Pro-
Diagnose in gewisser Hinsicht. R. Le
gressive wie R e a k t i o n ä r e an. Gemein
Forestier k a m zu einem ähnlichen Urteil
w a r ihnen eine Weitsicht jenseits der
hinsichtlich der Geschichte der Frei-
realen Antriebskräfte der Geschichte,
maurerei, als er den Ursprung des Tem-
die zu einer H i n w e n d u n g z u m Ab-
pler-Phänomens untersuchte (siehe S.
soluten f ü h r t e und in der Vergangenheit
5 3 - 5 5 ) . Er meinte, in der zweiten Häl-
auf
Deutschland.
Aber
Der Alte und Angenommene Schottische Ritus Die rasche Verbreitung der Freimaurerei in den Vereinigten Staaten erklärt sich nicht zuletzt aus dem Bedürfnis, feste Formen der Versammlung zu finden, die sich auf ein historisch-kulturelles Erbe beziehen, das diejenigen, die bereits in der neuen Welt siedelten, und diejenigen, die aus den unterschiedlichsten Gründen dorthin emigrierten, miteinander verband. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts spiegelten die Logen in den Vereinigten Staaten die europäische Logenlandschaft wider. Es gab also neben symbolischen Logen, das heißt diejenigen, die in die drei Basisgrade einweihten, auch andere, die nach dem Schottischen Ritus die Hochgrade oder Erkenntnisstufen praktizierten. Hier bezog man sich auf den Ritus von Herodom, auch »Ritus der Kaiser des Orients und Okzidents« genannt, der wie das Kapitel von Clermont mit der Templerbewegung (siehe S.53-55)
66
verzahnt war. Am 31. Mai 1801 wurde in Charleston in South Carolina der erste Oberste Rat des 33. und letzten Grades des Alten und Angenommenen Schottischen Ritus gegründet. Dieser sollte jede ältere Form des Schottischen Ritus erneuern und ersetzen, auch in Europa einschließlich Italiens. Zu Italien sei vermerkt, dass »eine stabile Organisation der Zentren der italienischen Freimaurerei in den Jahren 1814-1859 aufgrund der politisch-militärischen Geschehnisse zumindest teilweise verschwunden war und es meistens die Inhaber der Hochgrade nach Schottischem Ritus waren, die die Initiationen weitergaben und so ein Fortbestehen der Freimaurerei gewährleisteten. Dies erklärt, warum der Ritus in Italien nach der Einigung und bis in die ersten Jahrzehnte des zwanzigsten Jahrhunderts hinein so berühmt war« (M. Moramarco: Nuova Enciclopedia MassonicaJ.
Die »romantische« Freimaurerei Beatrice wendet sich
an Dante von William Blake (1757-1827), Täte Gallery, London. Blake ist der esoterischen Freimaurerei auch heute noch sehr teuer, die unter anderem eine geistige Verwandtschaft zu seiner Spiritualität empfindet, die ihn zu dem Ausspruch brachte: »Jene, die ihre Sehnsucht zu zügeln wissen, können das nur, weil ihre Sehnsucht schwach genug ist, um beherrscht zu werden«.
fte des 18. Jahrhunderts hätten die Mys-
Kirche Christi oder Kirche der ersten
tiker die Philosophie der A u f k l ä r u n g
Christen«
ersetzt, so sei das »unterdrückte« reli-
wechselhaften Geschichte um 1840 auf-
giöse Gefühl in psychopathischer Form
hörte zu existieren.
wiederaufgetaucht
Der Schriftsteller Gérard de Nerval
(Die
templerische
und okkultistische Freimaurerei im
genannt,
die
nach
einer
18.
( 1 8 0 8 - 1 8 5 5 ) versuchte die Bewegung
und 19. Jahrhundert, Bd. I: Die Strikte
der Tempelritter in Frankreich wieder-
Observanz). Im Zeitalter der Romantik
zubeleben. Er war Freimaurer, stand
war die Templerbewegung nämlich wei-
aber
terhin
Spielarten
verschiedenen Okkultisten. Den Ur-
M o d e , angefangen mit der Loge der
sprung der Freimaurerei sah er in einer
Ritter vom Kreuz, die d e m G r a n d
Synthese zwischen der christlichen Tra-
Orient
dition und der Spiritualität der Völker
in
verschiedensten
in Frankreich
angeschlossen
auch
in
enger
des N a h e n
Palaprat gründete einen Orden, der von
Drusen, die die historischen Templer
einer
während ihres Aufenthaltes im Heiligen
Mittelalter-
vor
allem
zu
war. Und der Arzt R a y m o n d Fabrefantasiereichen
Ostens,
Beziehung
der
sehnsucht geprägt war. Er löste sich
Land beeinflusst hatten.
aber bald von der Freimaurerei u n d
Persönlichkeiten
m ü n d e t e 1828 in die Konstitution der
und Nerval verband die Abneigung
»erhabenen Einweihung, auch Heilige
gegen den katholischen Klerikalismus.
wie
Fabré-Palaprat
67
Wechselwirkung mit der Geschichte _ Um die Werte der esoterischen Freimau-
Epoche der Romantik darf m a n jedoch
rerei zu verbreiten, g r ü n d e t e der eine
keinesfalls auf die Templerbewegung
eine
reduzieren.
Kirche,
während
der
andere
Templer und D r u s e n , allerdings o h n e
Der
jedes historische F u n d a m e n t , als ideale
( 1 7 5 3 - 1 8 2 1 ) war ein Gegner liberaler
Modelle für eine Opposition darstellte,
und demokratischer Ideen und vertrat
in der sich damals die unterschied-
rigide, dogmatische Positionen sowohl
lichsten Kräfte sammeln sollten, um
im Bereich der Politik als auch der Kon-
sich
Miss-
fession. Er war ein unermüdlicher Ver-
bräuche durch Klerus und Feudalherren
teidiger des absoluten Primates der ka-
zu stellen.
tholischen Religion und hielt engen
In den Vereinigten Staaten hingegen
Anschluss an den christlichen Glauben
entwickelte sich Rittermaurerei in der
für notwendig, nicht n u r um das allen
Diskretion und Verschwiegenheit der
Menschen gemeinsame »geistliche Be-
Logen. Eine der auffälligsten Persön-
dürfnis« zu befriedigen, sondern auch,
lichkeiten w a r dabei der General Albert
um das Ideal der universalen Brüder-
Pike ( 1 8 0 9 - 1 8 9 1 ) . Pike, 1850 in Little
lichkeit Wirklichkeit werden zu lassen.
Rock in A r k a n s a s in die Freimaurerei
Der Philosoph Maine de Biran ( 1 7 6 6 -
eingeweiht, wechselte zwischen seiner
1824) w a r Mitglied beim G r a n d Orient
juristischen und militärischen Tätigkeit.
de France. Sein Denken g e w ä h r t Ein-
gegen
die
anhaltenden
Savoyarde
Joseph
de
Maistre
Im Krieg gegen M e x i k o f ü h r t e er eine
blick in den Übergang der französischen
Schwadron Kavalleristen an, im Bürger-
Freimaurerei vom Deismus und vom
krieg kämpfte er auf der Seite der Kon-
religiösen Skeptizismus der Aufklärung
föderierten. Aber vor allem studierte er
und der Revolutionszeit hin zu Formen
die »heiligen Sprachen« (Hebräisch,
einer angewandten Spiritualität. Diese
Sanskrit und Persisch) und die indo-ira-
wird
nischen Religionen. Diese Kenntnisse
Schmerz, dem Tod und dem Mysterium
flössen in die Ausarbeitung der G r a d e
der Unsterblichkeit der Seele motiviert.
des
Sein
Schottischen
Ritus
ein,
dessen
von der
Tagebuch
Begegnung mit d e m
(1792-1824)
weist
» G r o ß k o m m a n d e u r des Obersten Rates
typisch romantische Gedanken auf, wie
der Südlichen Jurisdiktion« er 1859
das Bedürfnis, hinab zu den Wurzeln
wurde. Doch trotz allem w a r auch Pike
der eigenen Innerlichkeit zu steigen, zu-
Kind
vom
erst einer auf sich selbst bezogenen
sezessionistischen Milieu von Arkansas,
Freiheit zu folgen und die Beziehungen
sprach er sich gegen den Beitritt far-
zwischen den Leidenschaften der Seele
biger M ä n n e r in die Freimaurerei aus.
und der M o r a l auszuloten. N a c h den
Die Geschichte der Freimaurerei in der
Geschehnissen
68
seiner
Zeit:
beeinflusst
der
Schreckensherr-
Die »romantische« Freimaurerei Ein Büro der Bank of England, das nach einem Entwurf des freimaurerischen Architekten J. Soane (1753-1837) entstand. Zu Zeiten der Romantik gab es eine lebhafte und weitverbreitete Präsenz von Freimaurern in allen Bereichen der Kultur, von der Architektur (erwähnt sei auch J. Hoban, der das Weiße Haus in Washington entwarf) bis zur Musik (F. Liszt, N. Paganini, H. Berlioz), von der Literatur (R.Burns.F.M. Klinger, W.Scott) zur Wissenschaft (L.-N. Carnot, P. S. Laplace, E. Jenner).
schaft b e r u f t er sich auf jene »Weis-
schichte und als auch in der N a t u r zwei
heit«, die die Menschheit vergessen zu
im Wesentlichen ähnliche Mittel Gottes
haben scheint. Gegen N a p o l e o n hegt er
zur Erziehung der Menschheit. Schlegel
Misstrauen. M i t A n b r u c h der Res-
lobte die menschliche Schöpferkraft, die
tauration sollen die aufgeklärten Kräfte
sich hauptsächlich frei und spontan in
einen Ausgleich zwischen dem Wohl der
der Dichtung ausdrücke. J. G. Fichte
Bürger und einer stabilen legitimen Re-
( 1 7 6 2 - 1 8 1 4 ) , der Urheber des Idea-
gierung fördern.
lismus, setzte den realen gesellschaft-
Wichtig für die R o m a n t i k waren die
lichen Verhältnissen
deutschen Freimaurer J.
G. H e r d e r
»philosophische Revolution« entgegen,
( 1 7 4 4 - 1 8 0 3 ) und F. Schlegel ( 1 7 7 8 -
die auf der Vorherrschaft des »Geistes«
1829). Herder sah sowohl in der Ge-
gegründet war.
eine ehrgeizige
Wechselwirkung mit der Geschichte _
Freimaurerei und Sozialismus Gemäßigter
Adel
liberales
Ängste gegenüber mehr oder minder ge-
Bürgertum brachten nach dem Auf-
heimen Versammlungen. D a v o n be-
stand von Paris im J a h r e 1830 anstelle
troffen w a r auch die Freimaurerei, ob-
von
Nachfolger
wohl sie sich, n a c h d e m sie sich unter
Ludwigs XVIII., Louis Philippe von
N a p o l e o n zu sehr exponiert und die
Orleans
wirt-
Konsequenzen d a r a u s zu tragen hatte,
Frankreichs
nun darauf achtete, sich rigoros aus
Charles
X.,
auf den
schaftliche
und
dem Thron.
Entwicklung
Die
unter der Herrschaft von Louis Philippe
politischen
verschärfte die sozialen S p a n n u n g e n ,
Wenn es tatsächlich stimmt, dass der
Debatten
die in mehrere, blutig unterdrückte
m o d e r n e Begriff »Sozialismus«
Revolten mündeten. Der sich daraufhin
ersten Mal 1830 vom Saint-Simonisten
entwickelnde Sozialismus verbreitete
P. Leroux, Mitglied der Loge Droits de
sich rasch und entfachte von N e u e m
l'Homme
von
rauszuhalten.
Grasse,
zum
verwendet
wurde, lassen sich bestenfalls
Ver-
bindungen
der
Freimaurerei
mit
dem sogenannten »utopischen Ein Stich, der Fouriers sogenannte »Pagesses« darstellt (aus einem der sozialistischen Bewegung gewidmeten Buch des 19. Jh.). Ähnlichkeiten und eventuelle Beziehungen zwischen der Freimaurerei und dem utopischen Sozialismus scheinen nur moralischer Art zu sein: beide haben eine humanitäre Gesinnung.
70
Freimaurerei und Sozialismus
Der Volksaufstand vom Juli 1830 in Paris. Während der Regierung von Louis Philippe beschäftigte sich die französische Freimaurerei, die unter den Diskussionen zwischen Grand Orient und Oberstem Rat litt, vor allem mit internen Problemen und enthielt sich jeder Stellungnahme in politischer oder sozialer Hinsicht. Trotz diverser Versuche (1835 und 1841) war es jedoch unmöglich, eine Einigung der Riten herbeizuführen. Infolge der politischen Umwälzungen von 1848 lösten sich die sieben Logen vom Obersten Rat ab, um die Grande Loge Nationale de France zu bilden. Sie war zwar in ihrer Heimat nicht anerkannt, aber es gelang ihr, Beziehungen zur ausländischen Freimaurerei zu knüpfen, bevor sie im Januar 1851 von der Polizei für aufgelöst erklärt wurde.
71
Wechselwirkung mit der Geschichte _ Unterschiede zwischen Sozialismus und Freimaurerei »[...] das heutige Ziel einer Vereinigung wie der Euren muss sein [...], die Wahrheit und die Arbeit bei den Massen zu verbreiten, kein gegebenes Wort zu halten, das quasi ein Privileg der Eingeweihten ist, das man einander unter Überzeugten anvertraut, ohne Verbreitung nach außen. Zu sehr noch nehmen wir jetzt, da es doch weit weniger nötig ist, das Verhalten und den Gestus von Verschwörern ein. Die ökonomischen und moralischen Evolutionen und Revolutionen (...) macht man jetzt nicht mehr, wie manchmal die Politik, aus dem Impuls und der Beschlussfassung weniger geheimer Verbrüderter heraus, die einem Losungswort gehorchen und einem Zeichen treu sind. Man kann in dieser so grundlegenden Materie nichts Stabiles
erhalten, das nicht von den meisten oder den Stärkeren, die niemals wenige sein könnten, gewollt würde. Etwas, das nicht sozusagen das Resultat der Dinge selbst ist, des objektiven und subjektiven, materiellen und moralischen Grades an Entwicklung der Fakten, auf denen agiert wird, sowie der Menschen, die agieren müssen, oder die sich zumindest den neuen und ersehnten Arten des Tuns und des Lebens anpassen müssen. Auch die politischen Revolutionen heute (für diejenigen, die diesem Ziel Bedeutung beimessen), heute, da wir keine Fremdherrschaften mehr am Hals haben: Man könnte sie nicht in aller Stille vorbereiten, freimaurerisch, im Dunkel privater Versammlungen, ohne Öffentlichkeit und ohne Echo.«
Oben: Ausschnitt aus einer an junge Menschen gerichteten Rede Turatis, in der er die wesentliche Neuerung der sozialistischen Bewegung nach der Einigung Italiens hervorhebt: man kapselt sich nicht mehr in Logen und konspirativen Clubs ab.
72
Freimaurerei und Soziaiismus
Die Lehre ist ein Thema, das sowohl den Freimaurern als auch den Sozialisten am Herzen liegt. Auf der nebenstehenden Seite ein »idealer Kindergarten« aus Fouriers Phalanstère. Auf dieser Seite der Buchdeckel des Buches Cuore (1905) von Edmondo De Amicis. Durch seine Mitgliedschaft sowohl hei den Freimaurern als auch den Sozialisten verwirklichte der ligurische Schriftsteller seine Ideale der Humanität und Solidarität, wie er sie auch in seinen Erzählungen für Kinder zum Ausdruck brachte. Sozialismus« herstellen. Hier sind vor allem die Ansätze von Claude-Henri de Rouvroy, Graf von Saint-Simon ( 1 7 6 0 1825)
und
François
M. C.
Fourier
( 1 7 7 2 - 1 8 3 7 ) zu nennen, die auf einem allgemeinen Unitarismus basierten, zum Teil von christlichen Grundsätzen inspiriert. Es heißt, die beiden hätten eine frcimaurerische Bildung genossen. In ihrem
Werk
lässt
allerdings
Buonarroti (siehe S. 65) und Louis-
keinerlei Interesse für den initiatischen
Auguste Blanqui ( 1 8 0 5 - 1 8 8 1 ) entschie-
Charakter
den revolutionäre Züge.
des
sich
Ordens
erkennen.
Fourier sagt sogar, die Möglichkeit, die
N o c h viel gegensätzlicher erscheinen
der O r d e n böte, werde nicht f ü r eine
die theoretischen Positionen erstens im
soziale und moralische Reform der
Werk von P.-J. Proudhon ( 1 8 0 9 - 1 8 6 5 ) ,
Gesellschaft genutzt, wie es eigentlich
der selbst Freimaurer war, und zweitens
seine Pflicht wäre.
im
Was das Aktivwerden angeht, unter-
Sozialismus«, wie K. M a r x (1818—
scheiden sich Freimaurerei und Sozia-
1883) seine zusammen mit F. Engels
lismus s t a r k . So erinnerten sich die
(1820-1895)
Sozialisten an François-Noël Babeuf,
nannte.
der 1796 eine Verschwörung angezet-
Tatsächlich stehen die Thesen vom Pri-
telt hatte, um das D i r e k t o r i u m zu
m a t der Wirtschaft, v o m spezifisch
stürzen und eine »Republik der Glei-
Menschlichen in Produktionsverhält-
chen« zu errichten. Der Sozialismus
nissen,
bekam
schichtliches Prinzip sowie die Ab-
vor
allem
durch
Filippo
sogenannten
vom
»wissenschaftlichen
ausgearbeitete
Klassenkampf
Lehre
als
ge-
73
Wechselwirkung mit der Geschichte _
lehnung der Religion völlig a u ß e r h a l b der »Grenzen« der Freimaurerei (siehe
Ein Symbolbild des Sozialismus von Giuseppe l'ellizzari da Volpedo (1868-1907).
S. 1 0 2 - 1 0 3 ) . Dies hat nicht verhindert, dass einzelne
»Und seit damals w a r mir klar, dass die
Freimaurer in den Reihen sozialistischer
Freimaurerei einen gewissen Einfluss
Verbände kämpften. In Italien wäre als
auf den italienischen Sozialismus aus-
Beispiel Andrea Costa ( 1 8 5 1 - 1 9 1 0 ) zu
übt. Es k a m vor, dass bestimmte Ver-
e r w ä h n e n . Er w a r s o w o h l nachgeord-
haltensweisen der parlamentarischen
neter Großmeister des G r a n d e Oriente
Fraktion,
d'Italia als auch G r ü n d e r des Partito
gewisser Gremien das Ergebnis von
Socialista Rivoluzionario di R o m a g n a
Verhandlungen waren, die in den Logen
(1881) und erster gewählter sozialis-
stattgefunden
tischer Abgeordneter (1882) in Italiens
irdische P h ä n o m e n hatte so gewaltige
parlamentarischer
Offi-
Ausmaße, dass [...] die Sozialistische
zielle sozialistische Organe machten der
Partei fast einstimmig die Unvereinbar-
Freimaurerei zu Beginn des zwanzigsten
keit zwischen Freimaurerei und Partei
J a h r h u n d e r t s den V o r w u r f , ihre h u -
proklamiert hat«.
manitären Ansprüche hätten die Partei
Auch unmittelbar nach d e m Zweiten
geschwächt, eine Position, die auf dem
Weltkrieg und in den 1970er-Jahren
Kongress von A n c o n a 1 9 1 4 vertreten
machten sich sozialistische Kreise in Ita-
w u r d e . Mussolini fasste sie elf J a h r e
lien Sorgen, Kontakte zu Geheimgesell-
später
schaften würden dem Image der Partei
74
Geschichte.
folgendermaßen
zusammen:
gewisser
hatten.
Zeitungen
Dieses
und
unter-
Freimaurerei und Sozialismus Die Militärs kontrollieren den Präsidentenpalast von Santiago nach dem Staatsstreich, der die Regierung Salvador Allendcs niederschlug und diesen das Leben kostete.
nisse aufrechtzuerhalten. So konnten zwei Persönlichkeiten der lateinamerikanischen Freimaurerwelt das höchste politische Staatskönnten
amt ausüben: Lazaro Cardenas, Prä-
Druck auf das nationale politische Le-
sident der Republik M e x i k o zwischen
ben ausüben.
1934 und 1940, der eine Agrarreform
Völlig anders w a r e n dagegen die Be-
und die Verstaatlichung der Erdölin-
ziehungen zwischen Freimaurerei und
dustrie förderte, und Salvador Allende,
Sozialismus
der
schaden
oder
in
Freimaurer
Lateinamerika.
Hier
1970
mit
Unterstützung
der
musste eine Einheitsfront gebildet wer-
sozialistischen, kommunistischen, radi-
den (nicht zufällig n a h m und nimmt
kalen und katholischen Kräfte, die in
hier immer auch die katholische Kirche
der Koalition der Unidad Populär ver-
d a r a n teil), um Diktaturen Paroli zu
einigt w a r e n , Präsident der Republik
bieten und sich gegen Wirtschaftskräfte
Chile wurde. Allende war Meister vom
zu w e h r e n , die unter zynischer Ver-
Stuhl der Loge H i r a m Nr. 66 in San-
achtung elementarster Menschenrechte
tiago; er fiel 1973 Pinochets Staats-
entschlossen sind, soziale Missverhält-
streich zum Opfer.
75
Wechselwirkung mit der Geschichte _
Freimaurerei und geeintes Italien Der geeinte Oriente
Staat und der Grande
d'Italia
Bis zum Zweiten Unabhängigkeitskrieg arbeiteten viele Freimaurer im Untergrund und brachten ihren persönlichen Idealismus theoretisch und praktisch für das sogenannte italienische »Risorgimento« ein. M i t der
Bildung eines italienischen
G r a n d e Oriente 1859 strebte der Orden, ausgehend von der Loge Ausonia in Turin, nach einer eigenen institutionellen Identität. In einer geschichtlichen Situation, in der m a n sich unmöglich
einer
politischen
Position
enthalten konnte, kamen die Initiatoren größtenteils aus d e m politischen Umfeld Camillo Cavours. Auch unter diesem Aspekt unterschieden sie sich von der Freimaurerei
nach Schottischem
Ritus, die in Palermo sehr rege w a r und in der sich die garibaldinischen Patrioten nur so drängten. Erst 1874 hatte m a n sich auf eine einheitliche Freimaurerkonstitution geeinigt, die in R o m erlassen w u r d e , das erst seit drei J a h r e n
Das von Ettore Ferrari ausgeführte Denkmal für Giordano Bruno befindet sich auf dem Campo dei Fiori in Rom.
H a u p t s t a d t des geeinten Italien war.
1894 mindestens acht gab. Die härteste
Tatsächlich w a r e n sich beide Richtun-
w a r im Jahr 1884 die Enzyklika Huma-
gen bezüglich der »Römischen Frage«
narum genus von Leo XIII. Dieser Papst
einig. Beide verband auch weiterhin ein
dachte nicht d a r a n , auf die weltliche
lebhafter Antiklerikalismus, nicht zu-
M a c h t der Kirche zu verzichten, über-
letzt als A n t w o r t auf wiederholte anti-
zeugt davon, sie sei für den Pontifex un-
freimaurerische
abdingbar zum
Äußerungen
des
Papstes, w o v o n es zwischen 1 8 2 1 und
76
Schutz der Freiheit
geistlicher M a c h t . Zwischen 1886 und
Freimaurerei und geeintes Italien
1890 gab es einen Versöhnungsversuch mit dem italienischen Staat, aber die Verhandlungen mit Francesco Crispi, einem
Staatsmann
mit
freimaure-
Die Abgeordneten des ersten italienischen Parlaments (in dessen Reihen es viele Freimaurer gab), einzeln porträtiert von Peter van Elven.
zu
Brunos s t a m m t e von Ettore Ferrari,
keinem Ergebnis. Möglicherweise führ-
dem späteren Großmeister des Grande
te auch die Enthüllung des D e n k m a l s
Oriente d'Italia.
für G i o r d i a n o Bruno 1889 auf dem
Generell t r u g die Freimaurerei in den
C a m p o dei Fiori in Rom dazu, dass sich
Jahren, in denen ein geeinter italie-
die
nischer Staat entstand, viel zur Bildung
rischem
Hintergrund,
führten
Beziehungen des Vatikans
zum
Quirinal verschlechterten. Bei dieser
einer neuen
Gelegenheit n a h m e n über dreitausend
schicht bei. Diese entsprach jenem Bür-
Freimaurer an der Feier teil und ließen
gertum, das sich als Erbe jener Werte
den »Märtyrer des freien Gedankens«
fühlte, um die es in den Kämpfen des
hochleben.
Risorgimento gegangen war.
Das Denkmal
Giordano
italienischen
Führungs-
77
Wechselwirkung mit der Geschichte _ Reproduktion eines Siegels des Rito Simbolico Italiano, der sich 1876 in Mailand konstituierte und bis heute aktiv ist. Unter den italienischen Logen war diese in der Frage um die moralische Bildung der italienischen Führungsklasse in der Vergangenheit am sensibelsten.
Was die Ideologie betrifft, w a r e n die
u n u n t e r b r o c h e n f ü h r t e , und A d r i a n o
Losungen eher von a b s t r a k t e n Prin-
Lemmi,
zipien inspiriert: Fortschritt, Brüderlich-
Oriente d'Italia zwischen 1 8 8 5 und
keit, Solidarität, Lob der Arbeit, Eini-
1895, verband eine gemeinsame gari-
g u n g der verschiedenen Gesellschafts-
baldinische Vergangenheit sowie eine
klassen ... Der Konflikt mit der katho-
enge Freundschaft.
lischen Kirche und die g r o ß e n Dif-
Seit Ende des 19. Jahrhunderts suchten
ferenzen in der wirtschaftlichen und
die Spitzen des Staates das Gespräch
sozialen O r d n u n g der verschiedenen
mit
italienischen
wenn
Regionen
trugen
nicht
der es
Großmeister
italienischen um
des
Grande
Freimaurerei,
die g r o ß e n
politisch-
eben zur Verwirklichung dieser Prin-
ökonomischen T h e m e n der Zeit ging.
zipien bei. Symbolfigur dieser Epoche
Lemmi, der im Ruf eines »Bankiers des
war
Carducci
Risorgimento« stand, w a r 1892 in den
( 1 8 3 5 - 1 9 0 7 ) , ein Intellektueller und
Finanzskandal der Banca R o m a n a ver-
radikaler Freimaurer. Er stieg in der Ära
wickelt. Um zu verhindern, dass der
des politischen Erfolgs von Francesco
Skandal der Freimaurerei schade, trat er
Crispi zu den höchsten O r d e n s g r a d e n
1 8 8 5 von seinem Amt als Großmeister
auf.
zurück, o b w o h l er vor Gericht frei-
der
Dichter
Giosue
gesprochen worden war. Die
»profanen Projektionen«
lienischen
der ita-
Freimaurerei
Der Skandal der Banca R o m a n a hatte auch Giovanni Giolitti zum Rücktritt
Francesco Crispi, der die die Regie-
gezwungen, der von 1892 bis 1 8 9 3 ,
rungsgeschäfte von 1 8 8 7 bis 1896 fast
w ä h r e n d einer U n t e r b r e c h u n g der Re-
78
Freimaurerei und geeintes Italien Giosue Carducci (hier während einer iversitätsvorlesung) war der vielleicht berühmteste Freimaurer des geeinten Italien, sei es in seiner Rolle als »Staatsdichter«, sei es als Lehrer und Gelehrter.
j e d m politischen Lager gab es Persönlichkeiten, die der
Freimaurerei
verbunden waren. Ernesto
Nathan,
der von 1896 bis 1904 den O r d e n leitete,
meinte
dazu: »Die politische Farbe [der Freimaurerei]
ist
das Weiß, die Syngierungstätigkeit Crispis, das A m t des
these
Ministerpräsidenten
und
Schwarz, der Verneinung des Lichtes«.
1910 gewählter Senator wurde. Die so-
Die konservativen und liberalen N a -
genannte »Ära Giolitti« begann tat-
tionalisten
sächlich erst 1903 und endete 1913. Im
freimaurerischen
Laufe dieses Jahrzehnts wurde der Na-
Verbündeten der radikal-sozialistischen
tionalismus, den s o w o h l konservative
Blöcke.
als auch demokratische Kräfte gut-
entweder in der Tatsache zu suchen
hießen, z u m gemeinsamen Nenner ver-
sein, dass viele militante D e m o k r a t e n
schiedenster politischer Ideologien. In
Z u f l u c h t in den Logen gesucht hatten,
innehatte
aller
Die
anderen
sahen
Farben
jedoch
außer
in
den
Organisationen die
Gründe
dafür
mögen
79
Wechselwirt
mit der Geschichte
Die Freimaurerei fand sich gegenüber Mussolini in der Situation wieder, von der Verbündeten-Rolle in die »feindliche« Rolle geraten zu sein. Oben: Verhaftung nach einer interventionistischen Veranstaltung. Unten: Auszüge aus der Rede zur Vorlage des Antifreimaurergesetzes. Mussolini behauptete, dass die italienische Gesellschaft von einer Schar mittelmäßiger Männer beherrscht werde, die nur an die Macht kamen, weil sie Freimaurer seien.
Aus der Rede Mussolinis vor dem Parlament (16. Mai 1925) » Während dieser Monate in der Regierung [...] habe ich festgestellt, dass die Freimaurerei ihre Männer in dem, was ich den Lebensnerv des italienischen Lebens nenne, untergebracht hat. Es ist beispiellos, dass Beamte höchsten Ranges die Logen frequentieren, die Logen informieren, Befehle von den Logen erhalten. Es gibt keinen Zweifel daran, dass die empfindlichsten Institutionen des Staates [...] unter dem Einfluss der Freimaurerei gelitten haben und leiden. Das ist unzulässig, das muss aufhören.« Und schließlich endet Mussolini mit der Erklärung: »Die
80
Freimaurerei hat uns bekämpft, sie hat uns schikaniert, sie hat versucht, uns zu teilen und zu zersetzen, und in bestimmten Städten ist es ihr gelungen, ein Dissidententum zu schaffen, das idiotischer als üblich ist, weil es diese unterirdischen Ursprünge hat. Aus all diesen Gründen, wenn es nicht noch andere gäbe, sind ivir in unserem vollen und sakrosankten Recht, uns zu verteidigen und anzugreifen«. Das Gesetz zum Verbot von Geheimgesellschaften, das Mussolini vorschlug und mit Bezügen ausschließlich auf die Freimaurerei illustrierte, wurde 3 Tage später angenommen.
Freimaurerei und geeintes Italien als im reaktionären Biennium der Regierung
Pelloux
gegen
Ende
des
19. Jahrhunderts die Sektionen der Parteien geschlossen und die oppositionelle Presse abgeschafft wurde, oder aber auch in den anhaltenden Auseinandersetzungen mit der Kirche von R o m (siehe S. 7 6 - 7 7 ) . Jedenfalls attackierte zum Beispiel der liberale Philosoph Benedetto
Croce
(1866-1952)
auf
Grundlage dieser Überzeugung »die
Giovanni Giolitti. Die guten Beziehungen zwischen dem politischen Block Giolittis und der italienischen Freimaurerei gingen in die Brüche, als der Staatsmann gegenüber den Klerikalen und in der Frage des Interventionismus nachgab.
idiotische Freimaurerreligion« als ein Erbe,
das
man
der
Französischen
Revolution zu verdanken habe. Auf der anderen Seite ließ sich die ideologische Polemik in einer historischen Epoche nicht vermeiden, in der die italienische Freimaurerei
offenbar
nicht
die
Weisheit oder den Willen besaß, sich »profaner Projektionen« zu enthalten,
w a r e n . W ä h r e n d eines Konventes der
wie der freimaurerische Historiker A.
W ü r d e n t r ä g e r des Schottischen Ritus
A. Mola schreibt.
aus verschiedenen, alliierten und neu-
Die fragwürdigste dieser »Projektio-
tralen Ländern im Jahr 1917 in Paris
nen« w a r vielleicht die offen inter-
stimmte auch die italienische Vertretung
ventionistische Position zu Beginn des
einer grundsätzlichen Forderung zu: die
Ersten Weltkriegs. Der G r a n d e Oriente
vom
stellte sich nämlich an die Seite von
rungen ethnisch gemischter Regionen
Konservativen, Liberalen, Demokraten,
sollten nach Kriegsende mittels eines
Anhängern
Anarcho-Syn-
Referendums über die eigenen Grenzen
dikalisten und Anarchisten und sprach
abstimmen d ü r f e n . Der G r a n d e Ori-
sich für einen Kriegseintritt Italiens aus.
ente, des Verrates beschuldigt, wider-
D a m i t riskierte er, die Z u s t i m m u n g der
sprach der von seiner Vertretung in
Basis zu verlieren. Zu dieser zählten
Paris
nämlich a u c h Befürworter der Neu-
unterstützte hingegen offiziell die An-
tralität, die dem Block Giolittis oder der
sprüche der nationalistischen Front auf
Sozialistischen Partei nahe standen und
die Gebiete der Adriaküste im östlichen
absolut
Mittelmeer sowie der Kolonien.
Mazzinis,
keine
»Interventionisten«
Konflikt
betroffenen
eingenommenen
Bevölke-
Position
und
81
Wechselwirkung mit der Geschichte
Freimaurerei made in USA Die Geschichte der Freimaurerei ge-
rischen und der kollektiven Geschichte
staltet sich in den Vereinigten Staaten
mit sich. H ä u f i g hatten politische und
deutlich anders als in romanischen
wirtschaftliche F ü h r u n g s k r ä f t e hohe
Ländern. Die Institution ist seit den
Positionen in der Freimaurerhierarchie
1730er-Jahren
inne. So w a r e n zahlreiche Präsidenten
in
den
Vereinigten
Staaten engmaschig verbreitet, heute
Mitglieder
zählt man d o r t 49 Großlogen mit mehr
Freimaurerei, die sich als eine Art Labor
als drei Millionen
zur
Mitgliedern. Die
der
leadersbip
nordamerikanischen des
Landes
erwies.
Vielfalt der religiösen Konfessionen hat
Aber auch in den USA konnte sich die
verhindert, dass ein langer Konflikt mit
Freimaurerei
der katholischen Kirche die gleichen
ganz entziehen und gewisse Wider-
schädlichen Folgen nach sich gezogen
sprüchlichkeiten waren unvermeidlich.
hätte wie in Europa. Dies brachte eine
Ein Beispiel d a f ü r ist eine Ä u ß e r u n g
engere und gleichzeitig transparentere
gegen
Verflechtung zwischen der freimaure-
1948, w a s ja dem Prinzip widerspricht,
den
Konfrontationen
Kommunismus
nicht
im J a h r
Theodore Roosevelt (1858-1919), einer der Präsidenten der USA, der auch Freimaurer war. Während seines Mandates (1901-1908) erweiterte er den Einfluss der USA in Lateinamerika, indem er die Tendenz des US-amerikanischen Kapitals unterstützte, dem Kontinent den sogenannten »Dollarimperialismus« aufzuzwingen. Bereits seit den Zeiten J. Monroes (Präsident von 1816-1824 und ebenfalls Freimaurer) verbarg diese Tendenz ganz reale monopolistische Wirtschaftsinteressen hinter dem Bild eines Landes, das die Freiheit der Völker vor dem europäischen Kolonialismus verteidigte.
82
Freimaurerei made in USA Arbeiter am Fließband bei Ford in Detroit, die das berühmte Modell »T« zusammensetzen, das erste serienmäßig hergestellte Automobil der Geschichte. als Institution auf die Politik keinen Einfluss zu nehmen. N o c h größeres Unbehagen löst die Frage n a c h den Beziehungen zur farbigen Bevölkerung aus. Die Freimaurerei sagte sich zwar von Organisationen wie dem Ku Klux Klan los, aber m a n darf nicht vergessen, dass ausgerechnet Albert Pike (siebe S. 68), dem m a n die Aufstellung der in den USA immer noch praktizierten schottischen Grade verdankt, dem moderaten Flügel des Klans angehörte. Einer rassistischen Tradition folgend, setzen sich in einigen Staaten Logen noch immer ausschließlich aus Weißen zusammen, auch wenn Schwarzen rein
anderem a n , dass für bestimmte Ge-
formal
verwehrt
hirnarten das Denken eine Q u a l sei.
würde. Diese ziehen es andrerseits vor,
Das biblische Gebot »Du sollst nicht
in den ausschließlich Farbigen vor-
stehlen« interpretierte er reduzierend
behaltenen
zusammen-
als das heilige F u n d a m e n t des Privat-
zukommen, die nach dem Gründer der
eigentums. Aus Positionen heraus, die
ersten derartigen Loge seit Ende des
dem
18. J a h r h u n d e r t s Prince Hall genannt
genau entgegengesetzt waren, sah auch
werden. Heute gibt es neununddreißig
er in der Arbeit das, was den Menschen
dieser Logen.
positiv a u s m a c h t . Vor allem aber för-
Henry Ford ( 1 8 6 3 - 1 9 4 7 ) , der 1903 die
derte er eine antisemitische Kampagne
nach ihm benannte Automobilgesell-
und erreichte 1921, dass ein restriktives
schaft g r ü n d e t e , passte als Freimau-
Einwanderungsgesetz
rermeister der Loge Palestine in Detroit
wurde, das zum Ziel hatte, die Einwan-
die freimaurerische Ethik einer Welt-
derung von Juden in die Vereinigten
sicht a n , die von einem intellektuellen
Staaten von Amerika einzuschränken.
der
Eintritt
nicht
Großlogen
Elitedenken geprägt war.
wissenschaftlichen
Sozialismus
verabschiedet
Z u r Ver-
teidigung des Fließbands führte er unter
83
Wechselwirkung mit der Geschichte
Der Faschismus ... Im Jahr 1908 stand die italienische Freimaurerei (Grande Oriente d'Italia, mit Sitz im Palazzo Giustiniani) vor einer Spaltung, die zur Einsetzung eines Obersten Rates an der Piazza del Gesü in Rom führte, der vier Jahre danach beim Internationalen Konvent der Obersten Räte des Schottischen Ritus zugelassen wurde. Insbesondere die Freimaurerei von der Piazza del Gesü unterstützte den Aufstieg des Faschismus. Bereits 1919 hatte sie die Besetzung von Fiume unter dem Kommando von Gabriele d A n n u n z i o unterstützt. Aber auch der Großmeister des Grande Oriente, Domizio Torrigiani, wünschte nach dem sogenannten »Marsch auf Rom« der Regierung Benito Mussolinis Erfolg. Ein Jahr danach erklärte er jedoch, einige Grund-
prinzipien, z. B. die Freiheit, seien unverzichtbar. Torrigiani wurde daraufhin von der Regierung auf die Liparischen Inseln verbannt. Wenn man grundsätzlich der These folgt, die Freimaurerei von der Einigung Italiens bis zum Faschismus sei »die wahre und authentische Partei des italienischen Bürgertums« gewesen (E. Ragionieri: Storia d'Italia: dall'Unitä a oggi, Turin 1976), konnte der Orden nur die Sichtweiscn dieser Schicht und deren ernsthafte Schwierigkeiten Ende des Ersten Weltkriegs widerspiegeln. Die Wirtschaft war zusammengebrochen. Die Militärs waren bitter enttäuscht wegen des gebrochenen Versprechens, als Ausgleich für die Opfer an der Front Ländereien zu bekommen. Da war das Bedürfnis der Katholiken, ihre Identität zu definieren, indem sie sich sowohl von den Liberalen als auch den Sozialisten abhoben. Dann gab es noch Forderungen von Arbeitern und Gewerkschaften, die
Der »Marsch auf Rom« am 28. Oktober 1922.
84
Der Faschismus...
Eine bewaffnete Gruppe der »Roten Garden« in einer besetzten Fabrik in Turin (September 1920). Die Furcht, Italien könnte es der Sowjetunion gleichtun und die Initiativen der Arbeiter könnten in eine radikale Veränderung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Ordnung des Landes umschlagen, ist einer der Gründe, mit denen sich die Toleranz und Unterstützung von Seiten der staatlichen Bürokratie und des Militärs gegenüber den herrschenden faschistischen Schlägertrupps erklären lassen. als Bedrohung empfunden wurden und
Luigi Capello, der am »Marsch auf
die Angst vor einer »bolschewistischen
Rom« teilnahm. Als Letzterer allerdings
Revolution« auch in Italien schürten.
1925 aufgefordert wurde, sich zwischen
N a c h der Besetzung der Fabriken im
seiner Mitgliedschaft im Orden oder in
J a h r 1920 ließ die A n n a h m e , n u r ein
der Partei zu entscheiden, stand er zu
»starker
»rote
seinem Freimaurertum. Anschließend
Gefahr« abwenden, Großgrundbesitzer
wurde er zu dreißig Jahren Kerker ver-
im Süden sowie Gutsbesitzer und In-
urteilt, weil er angeblich ein Attentat
dustrielle im N o r d e n zusammenrücken,
auf das Leben des Duce geplant hatte.
die sich vom Kampf der Tagelöhner und
Unter den Freimaurern der Vereinigten
Arbeiter bedroht fühlten. In dem Block
Staaten machte m a n sich Sorgen wegen
sammelten sich auch Teile der Armee
der italienischen » U n r u h e n « . »Italie-
und der Bürokratie, ein nicht unerheb-
nisch« w a r im Z u s a m m e n h a n g mit den
licher Teil der freimaurerischen Basis
Ereignissen um Salsedo, Sacco und
Italiens. D a s Biennium von 1 9 2 0 - 1 9 2 2
Vanzetti
w a r eine Zeit interner Konflikte f ü r die
chistisch«
Freimaurerei. Es gab w o h l n u r sehr
Marsch auf R o m traf bei den dortigen
wenige
einem
Brüdern ein Beruhigungstelegramm der
U b a l d o Triaca, »Freundschaftsbürge«
Großloge ein: Italien sei endlich in eine
beim G r a n d Orient von Frankreich und
Ära der O r d n u n g und des Friedens
überzeugter Antifaschist, u n d einem
eingetreten.
Staat«
könne
Affinitäten
die
zwischen
ein
Synonym
geworden.
für Nach
»anardem
85
Wechselwirkung mit der Geschichte _ Die Freimaurer, die trotz der feindlichen Haltung des faschistischen Regimes keinerlei Dissens erklärten, waren zahlreich. Wegen seiner Bedeutung soll hier einer von ihnen, der Geschäftsführer der FIAT, Vittorio Valletta, erwähnt werden, der es verstand, die Firmenpolitik mit großem Geschick durch die gesamte Ära des Faschismus hindurch zu lenken (auf dem Foto eine Presse in der FIATFabrik).
Die Zeugenschaft Giovanni Amendolas Giovanni Amendola gehörte zu Zeiten des Aufstiegs des Faschismus zu den konsequentesten Vertretern der Freimaurerei und war bereit, für seine Prinzipien persönlich einzustehen. Er war 1920 Unterstaatssekretär im Finanzministerium, gründete dann »Ii Mondo«, die letzte der Zeitungen, die sich dem Regime ergaben. Nach dem Mord an Matteotti im Juni 1924 protestierte er heftig gegen dessen Mörder und ihre Auftraggeber, obwohl er bereits im Dezember des
86
Vorjahres bei einem Spaziergang im historischen Zentrum Roms von vier »Schwarzhemden« verprügelt worden war. Ein Jahr danach wurde er ein zweites Mal brutal zusammengeschlagen, wieder in Rom. Ein drittes Mal in Lucca sollte sich als tödlich erweisen. Im französischen Exil in Cannes starb er im April 1926 an den Folgen seiner Verletzungen. Sein Grabstein auf dem Friedhof der Croisette trägt die Inschrift: »Hier lebt Giovanni Amendola und wartet...«
Links: Giovanni Amendola, Freimaurer und Liberaler, gedenkt in Florenz des sozialistischen Abgeordneten und Generalsekretärs der PSU Giacomo Matteotti, der ermordet wurde, weil er das Klima der Einschüchterung angeprangert hatte, in dem sich die Wahlen von 1924 abspielten. Benito Mussolini startete im Februar 1923 eine antifreimaurerische Kampagne und forderte die Mitglieder der faschistischen Partei a u f , jede Verbind u n g zu den Logen zu lösen. Der Protest des Großmeisters Domizio Torrigiani wurde durch den amerikanischen Präsidenten W. G. H a r d i n g , 32. Grad des Alten und Angenommenen Schottischen Ritus, unterstützt. Er erklärte, er sei nicht bereit, die Akkreditierung
liches Rundschreiben, das einen gründ-
des neuen italienischen Botschafters in
lichen Kampf gegen die Freimaurerei
den USA entgegenzunehmen, wenn die
nahelegte.
Feindseligkeiten gegen die Freimaurerei
präsentierte ein Antifreimaurergesetz
in Italien nicht unterblieben. Nach dem
(siehe S. 80). N a c h dessen Billigung im
Tod H a r d i n g s wurden
November 1925 sah sich Domizio Tor-
faschistischen
Attacken
die brutalen
persönlich
die
rigiani zur Auflösung des O r d e n s ge-
Logen allerdings wieder aufgenommen.
zwungen. Im O k t o b e r 1926 wurde die
Großes Gewicht hatte dabei sicherlich
Obedienz (Großloge) von der Piazza del
die Position des aggressiven, antibür-
Gesü ebenfalls aufgelöst.
gerlichen und populistischen Flügels des
Brüder, die die eigene spirituelle u n d
Faschismus, denn dieser sah in den
moralische Identität hartnäckig ver-
liberalen Freimaurern, die der Partei
teidigten, riskierten nun Gefängnis, Ver-
beigetreten
und
b a n n u n g oder Exil. Und es gab jene
opportunistische, einzig von M a c h t -
Brüder, die weiterhin hoch angesehene
hunger beseelte Leute. Dazu k a m die
Positionen in der italienischen Gesell-
Position der katholischen Ex-Natio-
schaft bekleideten, wie Vittorio Valletta
nalisten, die erst seit wenigen M o n a t e n
( 1 8 8 3 - 1 9 6 7 ) , der von 1929 bis 1946
vermehrt in die Partei geströmt waren.
Generaldirektor und Geschäftsführer
1925 verbreitete die Partei ein vertrau-
von FIAT war.
waren,
gegen
Mussolini
ehrgeizige
87
Wechselwirkung mit der Geschichte _
.. und der Nationalsozialismus Am
30.Januar
1933
wurde
Adolf
Hitler Reichskanzler und die N S D A P begann alle anderen politischen Kräfte in Deutschland auszuschalten. Die Partei hatte unter Hitler und mit Unterstützung Alfred Rosenbergs eine Ideologie e n t w o r f e n , die sich auf die Überlegenheit der
»arischen
Rasse«
berief, die das Recht habe, sich auf jede erdenkliche Art und Weise zu schützen. A u ß e r d e m nützte m a n die Angst vor dem Bolschewismus, der die schlimmste und gefährlichste Verkörperung einer degenerierten und inferioren Menschheit sei, die mit dem J u d e n t u m gleichgesetzt wurde. Im Hinblick auf die historische und kulturelle Realität der dämonisierten Kräfte w u r d e dieses Bild noch zusätzlich verzerrt durch die Überzeugung,
die
Freimaurerei
sei
der
»lange Arm des internationalen Judent u m s « ; gemeinsamen hätten sie es auf die Weltherrschaft abgesehen. N a t ü r l i c h hatte die Freimaurerei mit d e m K o m m u n i s m u s ü b e r h a u p t nichts gemein. Im 18. J a h r h u n d e r t war der Orden in Russland sehr s t a r k . Erst 1 8 2 2 w u r d e er d u r c h ein Dekret des Z a r e n geächtet. N a c h einem schwachen Wiederaufleben zu Beginn des 20. J a h r hunderts (Freimaurerei der Duma) mit einer politisch den Menschewiken nahe stehenden Orientierung, h a t t e er d e m Sieg der Bolschewiken nicht stand-
88
Französische Ausgabe der Protokolle der Weisen von Zion, eine berühmte Fälschung, die Anfang des 20. Jh in Russland entstand. Den angeblichen Verschwörern, die beabsichtigten, sich der Weltherrschaft zu bemächtigen, schreibt man folgende Absicht zu: »So lange wir noch nicht zur Herrschaft gelangt sind, müssen wir [...] in der ganzen Welt die Zahl der Freimaurerlogen möglichst vermehren. Wir werden den Einfluß der Logen dadurch verstärken, dass wir ihnen alle Persönlichkeiten zuführen, die in der Öffentlichkeit eine hervorragende Rolle spielen [...]. In diesen Logen werden die Fäden aller umstürzlerischen und freisinnigen Bestrebungen zusammenlaufen. [...] Die geheimsten Pläne der Staatskunst werden uns am Tage ihrer Entstehung bekannt werden und sofort unserer Leitung verfallen. [...] Zu den Mitgliedern der Loge werden fast alle Polizeispitzel der Welt gehören, deren Tätigkeit für uns ganz unentbehrlich ist.«
... und der Nationalsozialismus
Bild vom KZ Birkenau. Die nationalsozialistische Propaganda, Juden und Freimaurer seien gleichermaßen Feinde der Menschheit, hatte zur Folge, dass auch mehrere Hundert »arische« Freimaurer in Konzentrationslagern interniert wurden.
I
halten können. Außerdem hatte die
Die deutsche Freimaurerei war 1 9 3 5
Dritte Internationale in M o s k a u 1 9 2 2
auf Befehl der Reichsregierung und des
offiziell erklärt, K o m m u n i s m u s und
Innenministers verboten w o r d e n . Bei
Freimaurerei seien unvereinbar. Diese
der Machtergreifung Hitlers 1933 g a b
strebe nämlich eine Einigung zwischen
es neun Großlogen, drei sogenannte
den verschiedenen Gesellschaftsklassen
Altpreußische und sechs H u m a n i t ä r e .
an und habe antimaterialistische An-
Die Altpreußischen hatten eine natio-
sätze. Darüber hinaus wurde ihr unter-
nalistischere Ausrichtung und nahmen
stellt, sie sei einer kapitalistischen Ge-
ausschließlich Mitglieder christlichen
sellschaftssicht verpflichtet. Schließlich
Glaubens auf. Die H u m a n i t ä r e n stan-
überlebten in der Sowjetunion die aus
den der G r o ß e n Loge von England
dem
19. J a h r h u n d e r t s
näher. Sie hatten sich gleich 1 9 3 3 zur
stammenden Vorurteile gegen die Juden
Selbstauflösung entschlossen, während
u n d die Theorie vom Komplott des in-
eine der Altpreußischen Großlogen ver-
ternationalen Zionismus. Andererseits
suchte,
vertrat der Nationalsozialist J. Streicher
indem sie die ihr unterstehenden Logen
1935,
den
aufforderte, das Ritual zu ändern und
V ö l k e r b u n d aufgenommen wurde, die
jeglichen Bezug auf das Alte Testament
These, die Regierungen jener Länder,
zu eliminieren. Der N a m e H i r a m (siehe
die für eine A u f n a h m e gestimmt hatten,
S. 2 5 - 2 8 ) sollte durch »Baumeister«
müssten Verbindungen zu der geheimen
ersetzt werden. M a n verzichtete auf das
Weltregierung h a b e n , die aus
Geheimnis
Rußland
als
des
die Sowjetunion
in
drei-
im
Regime
weiterzuleben,
der Einweihung.
»Kom-
hundert Personen bestünde, die alle jü-
petente Funktionäre« der Partei und des
discher »Rasse« und Freimaurer seien.
Staates k o n n t e n an den Arbeiten der
89
Wechselwirkung mit der Geschichte _ Logen teilnehmen. M a n verpflichtete
zialismus, generell hatte die Freimau-
sich, die »arische H e r k u n f t « der M i t -
rerei
glieder zu überprüfen. Aber auch diese
Chance. So w u r d e sie in Spanien und
Loge, die sich in Deutsch-Christlicher
Portugal
Orden u m b e n a n n t hatte, überlebte nur
demokratischen
kurz. Erst Verlauf und Ausgang des
Ausrichtung w ä h r e n d der D i k t a t u r e n
Krieges setzten der deutschen Pro-
von Francisco Franco beziehungsweise
paganda
Antonio
gegen
die
»jüdisch-
bei totalitären wegen
Salazar
Regimes keine
ihrer und
vorwiegend antiklerikalen
verfolgt.
Auf der
ein
anderen Seite hat sie in diesen Ländern
Ende. Ironie des Schicksals ist, dass
einen mächtigen Gegner im O p u s Dei.
diese
aus-
Diese seit 1928 aktive katholische Or-
gerechnet in jenem Deutschland a u f -
ganisation hat das erklärte Ziel, dass
g e f l a m m t war, in dem im J a h r h u n d e r t
ihre Mitglieder die Botschaft des Evan-
zuvor die von Kaiser Wilhelm I. pro-
geliums stärker in ihr privates, beruf-
tegierte
be-
liches, politisches und soziales Leben in-
schlossen hatte, keine Juden in ihren
tegrieren. Das O p u s Dei ist hierarchisch
»christlichen«
aufzunehmen.
strukturiert und bindet seine Mitglieder
O b n u n Faschismus oder N a t i o n a l s o -
durch eine Reihe von Pflichten an sich.
freimaurerische
Verschwörung«
Verschwörungstheorie
Großloge
Royal
Schoß
York
Freimaurerei und die Welt des Kommunismus Die antifreimaurerischen Positionen der Sowjetunion weiteten sich ab dem Vierten Kongress der Dritten Internationale (1922) auf alle Parteien aus, die sich auf ihn bezogen, und nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges auf alle Länder des Ostblocks. Daher wurden die Logen Ungarns (1950), der Tschechoslowakei, Polens und der DDR per Staatsdekret aufgelöst. In Italien hingegen wurde der Freimaurerei, auch wenn sie als eine rein bürgerliche Kraft angesehen wurde, nach der Bildung der Kommunistischen Partei 1921 durchaus die Achtung Antonio Gramscis zuteil. Er schätzte ihre Effizienz, den staatsbürgerlichen Sinn und ihre Distanz zu den klerikalen und reaktionären politischen Kräften. Auch Palmiro Togliatti enthielt sich, in einer generellen Neueinschätzung der »aufgeklärten« Aspekte der bürger-
90
lichen Kultur, einer Dämonisierung. E. Berlinguer und Giorgio Amendola (Sohn von Giovanni, Partisan, Politiker und Autor) stimmten auch in jüngerer Zeit nicht in den Chor jener ein, die die Freimaurerei in ihrer Gesamtheit als Deckmantel für nationale und internationale politische Intrigen und als Netzwerk mehr oder auch weniger legaler Geschäfte deuteten. Vielleicht, weil sie die grundlegenden ideellen Werte vor Augen hatten, da beide einen Freimaurer als Vater gehabt hatten. Besondere Erwähnung verdienen China, wo den Logen mit europäischem Ansatz, deren Mitglieder Angehörige ausländischer Unternehmen im Land sind, die Arbeit gestattet wurde, sowie Kuba, wo die Freimaurerei trotz einiger Spannungen vom Castro-Regime nie für illegal erklärt wurde.
.und der Nationalsozialismus
Ein türkisches Kaffeehaus. Bis heute hängt in jedem öffentlichen Raum ein Bildnis Mustafa Kemals, genannt Atatürk, der »Vater der Türken« (hier auf einem Foto über der Uhr zu sehen). und 1 9 2 3 als gewählter Präsident der jungen Republik bis zu seinem Tode 1938 unangefochtenes Staatsoberhaupt war. Er war Mitglied der Loge Machedonia Resorta et Veritas in Saloniki, die nach der italienischen Konstitution arbeitete. Im Laufe der Diktatur ging er immer stärker auf Distanz zur Freimaurerei. Diese stellte ihre Tätigkeit in der Türkei 1935 schließlich ganz ein. Die Hauptziele
Mustafa
Kemals
waren
unter anderem die Säkularisierung und Modernisierung des Staates. Er schaffte das Kalifat ab, setzte das allgemeine Wahlrecht durch, erklärte die Gleichheit der Geschlechter, ü b e r n a h m das lateinische Alphabet für die türkische Dazu gehören Verschwiegenheit und
Sprache, den gregorianischen Kalender
Gehorsam (zum Beispiel n u r bei Pries-
und das Dezimalsystem. Dieser laizis-
tern zu beichten, die dem O p u s Dei an-
tischen »Öffnung« entsprach allerdings
gehören, oder sich im Gespräch dem zu-
auch die Verfolgung einer Richtung, die
ständigen geistlichen Leiter »anzuver-
in der islamischen Welt von tiefer eso-
trauen«). D a s O p u s Dei forciert die Ak-
terischer Bedeutung ist: der Sufismus.
tivität seiner höheren Kader »in der
Ein solches Verhalten, unverständlich
Welt«. Ihnen sind die Instrumente der
bei
Politik, der Finanzwelt und der Kultur
Prägung, scheint die These zu be-
durchaus erlaubt, um »die Gesellschaft
stätigen, dass eine Partei oder eine Per-
zu Gott z u r ü c k z u f ü h r e n « . Einzigartig
son, die beabsichtigt, sich z u m ab-
ist der Fall der Türkei, wo M u s t a f a
soluten Mittelpunkt des Lebens aller zu
Kemal
der
m a c h e n , unausweichlich andere For-
Revolte der »Jungtürken« den letzten
men »konstruktiver« Spiritualität eli-
Sultan M o h a m m e d VI. abgesetzt hatte
minieren muss.
Atatürk
an
der
Spitze
einem
Mann
freimaurerischer
91
/ v ^ Wechselwirkung mit der Gcschichte _
Heute in Italien Die Wiederauferstehung der Freimau-
Richter und Staatsanwälte C S M sich
rerei im Nachkriegsitalien erfolgte sehr
gegen eine Mitgliedschaft von Richtern
rasch, allerdings w a r sie, ebenso wie die
bei der Freimaurerei ausgesprochen hat
politische Landschaft, bemerkenswert
- und, vor allem in der Vergangenheit,
zersplittert. Es gibt tausend kleine Strö-
Persönlichkeiten aus der Welt des Thea-
mungen, ihre »reguläre« Form aber hat
ters, des Films und des Fernsehens.
sie als G r a n d e Oriente d'ltalia, der
Bleibt die Frage, w a s jemanden in Ita-
1972 von der Vereinigten Großloge von
lien dazu bringen k a n n , der Freimau-
England a n e r k a n n t w u r d e . Ihm unter-
rerei beizutreten. Einem freimaurer-
stehen etwa 6 0 0 Logen mit insgesamt
ischen Historiker zufolge handelt es
18 0 0 0 Mitgliedern. Der Verwaltungs-
sich um eine idealistische Motivation:
sitz befindet sich in Rom in der Medici-
»Die
Villa II Vascello. Dem anderen großen
schaftlern, Staatsmännern, Kulturschaf-
italienischen F r e i m a u r e r v e r b a n d , der
fenden, Künstlern und qualifizierten
G r a n Loggia Nazionale, deren Sitz sich
Selbständigen in der Freimaurerei lässt
im Palazzo Vitelleschi an der Piazza del
a n n e h m e n , dass in der Loge eine Syn-
Gesü in R o m befindet, sind etwa 2 5 0 Logen mit 6 0 0 0 Mitgliedern untergeordnet. In den Regionen Toskana, Umbrien und Kalabrien sowie in der Rom a g n a , v o r allem in der Gegend um R a v e n n a , ist die Logentätigkeit besonders rege. Soziologisch gesehen gibt es in Italien eine starke Tradition der Militärlogen. Stark vertreten sind jedoch auch Politiker - man spricht von etwa siebzig Parlamentariern —, Arzte, Rechtsanwälte, Juristen, Physiker, Universitätslehrer, Richter - o b w o h l der Oberste R a t der Francesco Crispi (1818-1901), viele Jahre Ministerpräsident im geeinten Italien, war eines der Mitglieder der Loge Propaganda, Vorläuferin der Loge P2.
92
massive
Präsenz von Wissen-
Heute in Italien Ein Zeugnis für die Bedeutung der Adepten der Freimaurerei ist das monumentale freimaurerische Pantheon, das sich auf dem Friedhof Carnpo Verano in Rom befindet. Der Skandal um die Loge P2 Innerhalb des Prozesses der Wiederherstellung von Traditionen und des Findens einer modernen Identität w a r e n die Ereignisse um die Loge P2 der italienischen Freimaurerei ganz bestimmt nicht zuträglich. Wie sehr m a n dies auch als »Verirrung« ansehen mag, für die Mitglieder selbst kam jedenfalls auch ans Licht, dass es innerhalb des Ordens eine Gruppe gab, die skrupellos Geschäfte machte und sogar umstürzthese von Wissenschaft und Freiheit,
lerische Pläne hatte. Jedenfalls beschä-
das
und
digte das die Reputation der Freimau-
>Spontaneität<, zwischen >Natürlichkcit<
rerei sehr, auch wenn sich der G r a n d e
und rationaler Organisation gesucht
Oriente nun an die Verfügungen der so-
wird« (A. A. M o l a : Storia della Mas-
genannten »legge Spadolini sulla P2«
soneria in Italia, in: Storia d'Italia: dalla
von 1981 hält. Dieses Gesetz verbietet
civiltä
neben der beschuldigten Loge generell
heißt zwischen >Ordnung<
latina
alla
nostra
Repubblica, auch
alle Geheimlogen und ordnet an, dass
manche den Wunsch, ihrer Sehnsucht
die Mitgliederlisten zugänglich zu sein
nach
mithilfe
haben. N o c h zu Beginn der 1990er-
ritueller Erfahrungen eine esoterische
J a h r e ergab eine U m f r a g e , dass 3 1 %
N o t e zu geben. H ö r t m a n allerdings auf
der Italiener die Freimaurerei als »eine
das, w a s auch viele freimaurerische
Vereinigung zum Karrieremachen« und
M e i n u n g s m a c h e r als Gefahr sehen, so
weitere 2 7 % als »eine gefährliche anti-
könnte m a n a n n e h m e n , für viele Per-
demokratische Organisation« ansahen.
sonen stünden weniger noble Interessen
Die Z w e c k m ä ß i g k e i t solcher Vereini-
im Vordergrund, als vielmehr die Hoff-
gungen begründete m a n damit, dass
nung,
unter
Ambulanzen, Spitäler, Stipendien etc.
Brüdern Vorteile zu erlangen, oder ein-
von der Freimaurerei finanziert w ü r -
fach das Vergnügen, einem exklusiven
den, w o f ü r m a n »die Koordinierung
»Club« anzugehören.
durch eine Loge b r a u c h e n könnte, zu
Novara
1981).
geistiger
durch
Sicher
haben
Veredelung
die
Solidarität
93
Wechselwirkung mit der Geschichte _
Die Überschrift eines Artikels in der Zeitschrift »L'Espresso«. Er bezieht sich auf die Möglichkeit, als Freimaurer der italienischen Partei der Demokratischen Linken beizutreten. Dies sollte eigentlich durch den Artikel 8 der Verfassung ausgeschlossen sein, der den Beitritt zu einer Partei als »unvereinbar mit einer Mitgliedschaft oder der Teilnahme an Vereinigungen, die eine vertrauliche Bindung und Formen der gegenseitigen Unterstützung mit sich bringen«, bezeichnet. deren Mitgliedern Personen aus den verschiedensten Bereichen des sozialen Lebens gehören« (Ambesi). Dass allerdings ein Gemeinschaftsgeist das ethische Ziel
eines Licio Gelli
heitsdienste
saßen,
in
besonderem
gewesen sein soll, der 1 9 6 5 der Frei-
Licht. Der Bericht der Untersuchungs-
maurerei beitrat und innerhalb kür-
kommission gelangt zu zwei interes-
zester Zeit Meister vom Stuhl der Loge
santen Schlussfolgerungen: Gelli gehört
P2 wurde, die »geheim«, aber trotzdem
den Geheimdiensten in einer Spitzen-
mit d e m G r a n d e Oriente im Palazzo
f u n k t i o n an. Die Loge P2 und Gelli
Giustiniani v e r b u n d e n war, mutet zu-
zeigen, wie stark die amerikanische
mindest zweifelhaft an. Gelli verfügte
Freimaurerei und der CIA auf den
über Verbindungen zur internationalen
Palazzo Giustiniani seit seiner Wieder-
Finanzwelt, zu Geheimdiensten und zu
ö f f n u n g in der Nachkriegszeit Einfluss
den
Diesbezüglich
n e h m e n « . Im zweiten Band der Enci-
schrieben die Richter, die sich mit dem
clopedia Massonica vom O k t o b e r 1997
1980 erfolgten Bombenanschlag auf
steht zu lesen: »Der Fall P2 ist sozu-
den Bahnhof von Bologna
beschäf-
sagen ein Beispiel f ü r zwiefache Anti-
tigten, dessen Ermittlung Gelli massiv
freimaurerei. Dies ergab sich einerseits
behindert
»Vor d e m H i n t e r -
daraus, dass ein kleiner Bereich inner-
grund, dass Gelli den militärischen Be-
halb der Freimaurerei, in dem Allein-
reichen eine generelle Aufmerksamkeit
gänge und verschiedene Strömungen
z u k o m m e n ließ, erscheint jene Auf-
aus Politik und Wirtschaft miteinander
merksamkeit, die der kleinen Elite von
verflochten
Offizieren galt, die nacheinander im
rechten Pfad abgekommen war. Auf der
K o m m a n d o der verschiedenen Sicher-
anderen Seite hagelte es seitens der
94
Armeespitzen.
hatte:
waren,
gründlich
vom
Heute in Italien Licio Gelli. Am Vorabend des Urteils des Obersten Gerichtshofs, der am 22. April 1998 seine Verurteilung zu 12 Jahren Gefängnis bestätigte, floh er aus der Villa in Arezzo, wo er überwacht wurde. Das gab neuen Gerüchten Nahrung, die P2 habe überlebt. Politik und Wirtschaft sowie des ihnen hörigen Journalismus undifferenzierte Attacken.« Dem gewöhnlichen Bürger bleiben jedenfalls Zweifel: Wem kommt die Aufgabe zu, die »Verirrungen« einer Institution aufzudecken und ihnen vorzubeugen? Jenen, die an ihrer Spitze
Verantwortung tragen, oder jenen, die, auch außerhalb dieser Organisationen, die Folgen dieser Vcrirrung tragen müssen? Solche Fragen haben natürlich nur in einer funktionierenden Demokratie einen Sinn.
P = Propaganda Das P der bekannten Abkürzung P2 bedeutet »Propaganda«. Das ist der I Name einer Loge, die 1877 mit dem I Ziel entstand, »diejenigen Männer I aktiv und an den Orden gebunden und in direkter Beziehung zum Grande Oriente zu halten, die sonst ihrer sozialen Position wegen den regulären Logen nicht beitreten und an deren Arbeit nicht teilnehmen könnten« (U. Bacci: II libro del Massone Italiano, Bologna 1972). Dies trug sich in einem historischen Klima zu, in dem viele Mitglieder der Freimaurerei eine sehr wichtige Rolle bei der Neuordnung des geeinten italienischen Staates spielten. Tatsächlich zählten zu den Mitgliedern dieser Loge Namen wie G. Garibaldi, die Politiker A. Saffi, G. Zanardelli, I A. Bertani und F. Crispi, der Rechts• philosoph G. Bovio und der Dichter G. Carducci. Dass solche »sozialen Positionen« unvereinbar mit der Teilnahme an der regulären Logenarbeit sein könnten, ist verständlich. Da aber die Freimaurerei die Teilnahme an diesen Arbeiten für den
Aufbau und den spirituellen Weg des Einzelnen als essenziell ansieht, lässt sich daraus erkennen, dass hier seit den Anfängen der Loge Propaganda Interessen besonders profaner Natur nachgegangen wurde. Diese Einschätzung wird durch die Tatsache bestätigt, dass bereits ein erster Skandal, nämlich jener der Banca Romana von 18921893, in den einige der Logenmitglieder verwickelt waren, eine Krise dieser »atypischen« Loge verursacht hatte. Nach der Ära des Faschismus bildete sie sich wieder neu und fügte die Ziffer 2 hinzu, um ihre alte Tradition zu betonen: unter den noch aktiven Logen konnte sie sich nämlich eines Alters rühmen, dem nur die Loge Santorre di Santarosa von Alessandria überlegen war. Dieses Wiedererwachen erfolgte »von Seiten des Grande Oriente immer mit dem Ziel, eine Loge unter der Hand zu haben, die die angesehensten Vertreter der Staatsorgane und der freien Berufe versammelte« (A. C. Ambesi: I Maestri del Tempio, Milano 1995).
95
Wechselwirkung mit der Geschichte _
Die weltweite Freimaurerei England ist das Land, in d e m der Pro-
von einer eventuellen E r h o l u n g nach
zentsatz der Freimaurer im Vergleich
den
zur Gesamtheit der erwachsenen männ-
rungen in diesen Teilen der Welt absieht.
lichen Bevölkerung am höchsten ist. Im
Da eine detaillierte Analyse hier nicht
N o r d e n liegt er mit 1 5 % höher als im
möglich ist, sollen k n a p p e Informa-
restlichen Land (8%).
tionen ein Bild der »Geografie der Frei-
Allein in London sind gut 1800 Logen
maurerei« wenigstens skizzieren.
radikalen
politischen
Verände-
aktiv. Auch in Australien und in den Vereinigten Staaten gibt es weite Ge-
Ägypten: Hier arbeitet ein irregulärer
biete, die einen Anteil von über 5% ha-
G r o ß o r i e n t von Ägypten mit Sitz in
ben und es gibt keine Logen, in denen
Alexandria.
der Anteil der Brüder unter 1 % der Bevölkerung liegt. Im Gegensatz dazu ist
Belgien: Es gibt eine dichte freimaure-
die freimaurerische Präsenz in einem
rische Präsenz. Aber wie in Frankreich
Großteil Afrikas, in China und großen
gibt
Teilen Asiens völlig zu vernachlässigen.
(Grand Orient) als reguläre. Letztere
Ähnlich verhält es sich in den Ländern
werden seit 1 9 7 9 von einer G r a n d e
des ehemaligen Ostblocks, wenn m a n
Loge de Belgique organisiert.
es
mehr
irreguläre
Großlogen
Unter den US-arnerikanischen Logen zeichneten sich einige dadurch aus, dass sie berühmte Persönlichkeiten aufnahmen, die sich der »Forschung« widmeten. Das ist der Fall bei der Loge Kane Nr. 454 in New York. Sie heißt nach dem Bruder E. K. Kane (1820-1857), einem der ersten Arktisforscher. Dann nahm sie R. E. Peary auf, der 1909 als erster den Nordpol erreichte, und den Freimaurer-Meister R. E. Byrd, der 5 Jahre lang isolieit in der Arktis verbrachte, nachdem er als erster im Flugzeug den Pol überflogen hatte (das Bild zeigt die Ankunft der Hilfe im Jahr 1934 auf einer Zeichnung von A. Beltrame für die Illustrierte »Domenica del Corriere«).
Die weltweite Freimaurerei Ansicht von Rio de Janeiro. Der Gran Oriente do Brasil bat seit seiner mühseligen Konstitution im Jahr 1822 (der Großmeister, Kaiser Pedro 1., stellte im gleichen Jahr die Aktivität ein, die jedoch bald wieder aufgenommen wurde) bis heute ununterbrochen gearbeitet.
Brasilien: Die brasilianische Freimau-
Finnland: Die 1924 entstandene Groß-
rerei zählt 120 0 0 0 Mitglieder, wobei
loge von Finnland weist rituelle Merk-
die eine Hälfte dem G r a n Oriente do
male nordamerikanischer H e r k u n f t auf,
Brasil angehört. Die andere Hälfte ist in
neben weniger stark ausgeprägten eng-
einer beträchtlichen Anzahl von Groß-
lischen Einflüssen. Die schwedische
logen organisiert. Einige davon haben
Sprachminderheit ist der Großloge von
eine besondere historisch-geografische
Schweden unterstellt.
Verbindung zu den einzelnen Bundesstaaten des Landes.
Frankreich: Die französische Freimaurerei zählt mindestens 8 0 0 0 0 Mit-
Deutschland: Zu den Vereinigten Groß-
glieder, mehr als doppelt so viele wie in
logen
Italien. Diese sind hauptsächlich in der
Deutschlands
unterschiedliche
gehören
und
fünf
unabhängige
irregulären
Loge
Grand
Orient
de
Großlogen. Zwei sind im Wesentlichen
France organisiert. Die Irregularität, die
traditionell ausgerichtet, eine weitere ist
auf das Jahr 1877 zurückgeht, entstand
christlich
d u r c h eine A b ä n d e r u n g des Artikels 1
orientiert.
Die
restlichen
beiden sind die American-Canadian
der Konstitutionen-,
G r a n d Lodge (ACGL) und die G r a n d
Zweidrittelmehrheit
Lodge
in
m u n g bei einer Versammlung, ersetzte
G e r m a n y (GL BFG), die ihre Ent-
der G r a n d Orient die Erklärung »die
stehung der starken NATO-Präsenz im
französische Freimaurerei bekennt als
Land verdanken.
Grundprinzip den Glauben an Gott und
of British
Free
Masons
gestützt
auf eine
durch
Abstim-
97
Wechselwirkung mit der Gcschichte Ein Siegel der deutschen Großloge Drei Weltkugeln, in der noch Einflüsse der Neutempler vorhanden sind, was auf die Zeit ihrer Entstehung zurückgeht (Mitte des 18. Jh.).
die Unsterblichkeit der Seele« durch
dass die Mitglieder sich auf eine m o n o -
den G r u n d s a t z der »unbedingten Ge-
theistische Religion (siehe S. 1 0 2 - 1 0 3 )
wissensfreiheit«. So w u r d e n jene »Gren-
beriefen, sah m a n im H i n d u i s m u s im
zen« überschritten, deren Einhaltung es
Wesentlichen als gegeben an, da dieser
gestatten, die Anerkennung der United
- trotz eines scheinbar ungebremsten
G r a n d Lodge of England und infolge-
Polytheismus - die Vielfalt der heiligen
dessen das Patent der Regularität zu
M a n i f e s t a t i o n e n auf die Einheit von
erhalten. Z u r regulären Freimaurerei
B r a h m a n , das höchste Sein, zurück-
g e h ö r t hingegen die 1 9 1 3 gegründete
führt.
G r a n d e Loge N a t i o n a l e Française in Neuilly.
Island: N a c h d e m sie sich von der Vorm u n d s c h a f t der dänischen Freimaurerei
Griechenland: 1 9 4 0 konstituierte sich
emanzipiert hat, ist die Freimaurerei auf
die Großloge von Griechenland, die
der Insel in der Großloge von Island
auch während der Obristendiktatur ak-
nach Schwedischem Ritus (siehe S. 5 2 -
tiv blieb.
53) beheimatet. Die Zahl der Mitglieder ist, gemessen an der geringen Bevöl-
Indien: N a c h langer Präsenz englischer
kerungsdichte des Landes, sehr hoch.
Freimaurer entstand die Großloge von
Der
Indien erst 1961. Die Voraussetzung,
S. Björnsson, w a r ihr Großmeister.
98
erste
Präsident
der
Republik,
Die weltweite Freimaurerei
Israel: 1953 entstanden, hat die G r o ß loge des Staates Israel heute über 3 0 0 0 Mitglieder
unterschiedlichster
ethni-
scher und religiöser H e r k u n f t . J a p a n : N a c h dem Zweiten Weltkrieg begann die Freimaurerei sich im Land zu verbreiten. 1957 wurde die Großloge
Auf den Ghats, den Stufen von Varanasi (früher Benares) lesen die Priester heilige Texte und machen Weissagungen für die Gläubigen. Die Vereinbarkeit von Hinduismus und Freimaurerei wurde in den 1860er-Jahren in der freimaurerischen Presse diskutiert, als ein Brahmane (ein Angehöriger der Priesterkaste) in die Meridian Lodge No. 34S aufgenommen wurde.
von J a p a n gegründet, die heute 4 0 0 0
hohe Politiker mit freimaurerischem
Mitglieder hat. Eine Anpassung der
Hintergrund hervorgebracht hat, n ä m -
Rituale an die japanische Kultur ist
lich mindestens sechs Premierminister
noch im Gange.
seit J. A. M a c d o n a l d (1815-1891), der als Urheber der
Jordanien: Die Großloge von Jordanien
kanadischen
Kon-
föderation gilt.
ist mit d e m Grand Orient de France verbunden.
Kuba: Mit 20 0 0 0 Mitgliedern ist Kuba das einzige kommunistische L a n d , in
Kanada: Hier sind etwa eine halbe Mil-
dem es der Freimaurerei gelungen ist,
lion Brüder in einer Tradition aktiv, die,
eine Basis für eine Koexistenz mit dem
so wie auch in den Vereinigten Staaten,
Staat zu finden.
99
Wechselwirkung mit der Geschichte _ Siegel der niederländischen Freimaurerei.
Liberia: Hier arbeitet die Großloge
Österreich: Die Großloge von Öster-
Prince Hall (siehe S. 83). Z w e i ihrer
reich w u r d e erst 1919 gegründet. Sie
Großmeister sind Präsidenten der Re-
scheint jedoch im Wesentlichen in der
publik geworden.
Linie der reinen freimaurerischen Tradition zu liegen.
Mexiko: Hier gibt es über 40 0 0 0 Brüder, die in zahlreichen Logen organisiert
Peru: Die G r a n Logia de la Republica
sind, von denen einige der Freimaurerei
de Peru hebt sich von der lateiname-
der
rikanischen Freimaurerei insbesondere
Vereinigten
Staaten
sehr
nahe
stehen.
d u r c h ihr konkretes soziales Engagement im Land ab.
Niederlande:
Der
Grootoosten
der
Nederlanden ist mit 7 0 0 0 Mitgliedern
Philippinen: Die nationale Großloge hat
eine der aktivsten Logen von E u r o p a
15 0 0 0 Mitglieder. Damit k a n n sich das
und hält an der maurerischen Tradition
Land
fest.
Dichte an Mitgliedern im Vergleich zu
der
größten
zahlenmäßigen
allen anderen Ländern Asiens rühmen. N o r w e g e n : Hier wird der Schwedische Ritus gepflegt (siehe S. 5 2 - 5 3 ) , der auf
Portugal: Hier arbeiten die von England
16 0 0 0 Brüder zählen k a n n .
anerkannte Grande Loja Legal de Portu-
100
gal und die gerichtlich als Großloge
Südafrika: Von den zwölf im Lande
anerkannte Grande Loja Regulär de
existierenden Großlogen ist nur eine,
Portugal.
die sich 1961 konstituierte, als Großloge von Südafrika unabhängig; sechs
Schweden: Die Wiege des Schwedischen
Distriktlogen arbeiten nach englischer
Ritus (siehe S. 5 2 - 5 3 ) kann sich einer
Konstitution, weitere vier nach schot-
»königlichen« Freimaurerei rühmen, da
tischer Konstitution, drei Provinzial-
der Herrscher traditionell das Amt des
logen nach irischer Konstitution, und
Großmeisters innehat.
eine ist schließlich dem Großorient der Niederlande angeschlossen.
Schweiz: Hier arbeitet die reguläre Grande Loge Suisse Alpine mit 3500
Türkei: Etwa 4 5 0 0 Brüder bekennen
Mitgliedern. Geringere Bedeutung hat
sich zu einer Freimaurerei, die im
die irreguläre Grande Loge Suisse, die
Wesentlichen europäisch geprägt ist.
in den 1960er-Jahren entstand. Zaire: Im dortigen Grand Orient, der Spanien: Das Bild wird von einer Groß-
belgisch geprägt und daher irregulär ist,
loge von Spanien beherrscht, die sich
vollzieht sich gerade ein Prozess der An-
parallel
der
passung an die lokale Bantukultur, so-
demokratischen Freiheiten dieses Lan-
wohl in Hinblick auf die Rituale als
des (1978) wieder konstituieren konn-
auch auf die Symbolik.
zur
Wiedereroberung
te. Es gibt jedoch auch einen Grande Oriente, der mit der irregulären Freimaurerei Frankreichs verbunden ist.
101
Besser verstehen
Der »reguläre« freimaurerische Horizont Im Vergleich zu anderen Regularien
d u r c h drei oder mehr regulär kon-
bezeichnet die Freimaurerei an erster
stituierte Logen gegründet werden«);
Stelle
oder
die U n t e r o r d n u n g der Zugehörigkeit
Landmarken als »regulär«. Diese legen
zur Freimaurerei unter den Glauben an
die
den
die
landmarks
Trennungslinie
(Grenzen) zwischen
dem
Allmächtigen
Baumeister
aller
»Drinnen« und » D r a u ß e n « fest und
Welten und seinen offenbarten Willen;
werden von allen Logen a n e r k a n n t und
die Notwendigkeit, die eigenen Ver-
b e w a h r t , wie unterschiedlich auch die
pflichtungen über dem geöffneten Buch
internen Gegebenheiten sein mögen.
der Gesetze oder in seinem Angesicht
1919
anzunehmen; die oberste und unbeding-
lauteten
sie
folgendermaßen:
• Monotheismus
te A u t o r i t ä t der Großloge über alle
• G l a u b e an die Unsterblichkeit der
Logen, die ihr unterstehen; der Ausschluss von Frauen; das Buch der Ge-
Seele
setze sowie Zirkel und Winkel müssen
• Das Buch der Gesetze • Legende des Dritten Grades
(des
w ä h r e n d der
»Arbeiten«
vorhanden
»Meistergrades« aus der Hiramsle-
sein; Religion oder Politik sind aus den
gende: siehe S. 2 5 - 2 8 )
Logendiskussionen fernzuhalten.
• Geheimnis
Die Principles w u r d e n 1949 dahinge-
• Die Symbole, geschöpft aus dem
hend erweitert, dass es gestattet ist, die
Bauhüttengebrauch • Freie G e b u r t u n d männliches Geschlecht des Maurers Dazu k a m e n 1 9 2 9 übergeordnet die Basic Principles. Ein Teil davon sind die L a n d m a r k e n , die restlichen Prinzipien betrafen die M o d a l i t ä t e n
der Kon-
stitution einer neuen Loge (jede »Großloge muss von Rechts wegen durch eine gebührend a n e r k a n n t e Großloge oder Siegel des Grande Oriente d'Italia, der aktiven regulären Obedienz in Italien.
102
Der »reguläre« freimaurerische Horizont
Frontispiz der deutschen Ausgabe der Bibel, die von Luther übersetzt wurde. Die Freiheit des Freimaurers von konfessionellen Bindungen, unter der einzigen Bedingung, dem Monotheismus anzugehören, sowie die Verbreitung der Freimaurerei auf der ganzen Welt und somit auch in Gebieten, die nicht christlich geprägt sind, haben mit der Zeit dazu geführt, als Buch der Gesetze auch andere Texte als die Bibel zu akzeptieren, sofern es sich um einen traditionellen religiösen Kodex handelt.
Bibel durch verschiedene heilige Texte
der aufgelisteten Grenzen, Prinzipien
zu
traditionelle
und Ziele ist das Kriterium, nach dem
religiöse Schriften sind. Die Verpflich-
die reguläre Obedienz definiert wird.
t u n g zum Gehorsam gegenüber den
Die regulären Obedienzen in ihren na-
jeweiligen Landesgesetzen wird erneut
tionalen A u s f o r m u n g e n beziehen sich
bestätigt. Die Institution ist zur poli-
dann
tischen N e u t r a l i t ä t verpflichtet, unab-
rien, die ihre Aktivitäten regeln. Die
hängig vom Recht jeden Mitglieds,
o b e n e r w ä h n t e n Grundregeln sind je-
eigene Meinungen zu öffentlichen An-
doch für alle verbindlich und definieren
gelegenheiten zu haben. Die Einhaltung
die freimaurerische Identität.
ersetzen,
sofern es
auf
Konstitutionen
und
Regula-
103
Besser verstehen.
Die Initiationsgrade werden
Konstituierung der Großloge von Eng-
durch eine Initiation die Werte weiter-
land zum ersten M a l erwähnt, als sich
gegeben, auf denen eine Gemeinschaft
die spekulative Richtung durchgesetzt
basiert. Es ist aber nur teilweise legitim,
hatte. In der freimaurerischen Tradition
dieses Konzept auf die freimaurerische
verwendete m a n
Initiation zu übertragen. Die Grade
nahme«.
stellen zwar in gewisser Hinsicht ä h n -
Die Freimaurerei b e r u f t sich auf ihre
lich wie bei N a t u r v ö l k e r n Übergangs-
operativen Anfänge, die sich in den
riten mit spiritueller Bedeutung dar, je-
ersten beiden Graden wiederfinden. Es
d o c h ist die Initiation eines
neuen
sind die Grade des Lehrlings und des
Adepten in den Tempel nicht die »Tra-
Gesellen, die den f ü r die mittelalter-
dierung« einer eindeutig definierten
lichen
Wahrheit, sondern eher die Verpflich-
zwei Stufen entsprechen. Die A u f n a h -
tung, die Wahrheit »konstruktiv« und
mezeremonien sind ziemlich k o m p l e x
so weit wie möglich innerhalb der
und weichen
»Grenzen« der Königlichen Kunst zu
Gesetzgebungen voneinander ab. Im
suchen (siehe S. 102-103). Auch wurde
Wesentlichen aber ist ein Austausch von
der Begriff »Initiation« erst nach der
Fragen und Antworten vorgesehen. Für
In
traditionellen
Kulturen
Freien
den
Begriff »Auf-
M a u r e r vorgesehenen
in
den verschiedenen
Der Initiationsritus in Italien Ein Freimaurer, der nicht mehr aktiv ist, erzählte einer Frauenzeitschrift von seiner Aufnahme. »Zuerst haben sie mich in die Dunkle Kammer geführt, wo sie mich baten, '• schriftlich einige rituelle Fragen zu beantworten. Dann, nachdem ich eine Art Testament gemacht hatte, haben sie mir ein Hosenbein aufgerollt, einen Schuh ausgezogen und Hemd und Krawatte geöffnet. Dies symbolisiert den Zustand der Unordnung, in der sich der Profane befindet. Schließlich haben sie mich mit einer Kapuze über dem Kopf in den Tempel gebracht, wo ich den Eid und eine Reihe ritueller
104
Sätze aussprechen musste. Erst dann nahmen sie mir die Kapuze vom Kopf und ich habe den Saal voller Personen gesehen, die mit Kapuzen verhüllt waren und symbolische Schwerter gegen mich richteten, um die geeigneten Energien auf mich zu lenken. Schließlich haben sie mir die Kleidung wieder gerichtet, ein Zeichen des Übergangs von der Unordnung zur Ordnung. Sie haben mir den Schurz, das Symbol der Arbeit, und die weißen Handschuhe übergeben, mit dem Wunsch, dass meine Hände immer rein bleiben mögen. Dann nahmen sie sich die Kapuzen herunter: Ich war Freimaurer geworden.«
Die Initiationsgrade
den ersten Grad wird die Bewusstheit für die freimaurerische Tradition in ihren historischen und symbolischen Aspekten ü b e r p r ü f t (»Woher kommen wir?«). Für den zweiten Grad geht es um die Erlangung von Selbstbewusstheit, als Individuen wie als Mitglieder der
freimaurerischen
Versammlung
(»Wer sind wir?«). Im Hinblick auf die Symbolik korrespondiert das vom Lehrling gegebene Versprechen der Loyalität dem O r d e n gegenüber mit dem E m p f a n g des freimaurerischen Lichts und der Zeichen und Worte, die ihn als Freimaurer erkennen lassen. In der Zeremonie für die Beförderung in den zweiten Grad wird das größere Licht, das man erreicht hat, durch den überall präsenten
Flam-
menden Stern symbolisiert. Die Instruktionen f ü r diese beiden Grade (eng. lectures), die in katechetischer Form abgehalten werden, entstanden aus der Arbeit einiger Freimaurer, die zwischen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und der ersten Hälfte des 19. J a h r h u n d e r t s aktiv w a r e n : der Engländer W. Preston ( 1 7 4 2 - 1 8 1 8 ) , der Amerikaner
T.Smith
Webb
(1771-
1819), der d e m Symbol der M a u r e r kelle große Bedeutung beimaß, und die beiden
Engländer
W. H u t c h i n s o n
( 1 7 3 2 - 1 8 1 4 ) und G . Oliver ( 1 7 8 2 1867). Oliver berief sich auf die Bedeutung des Evangelisten J o h a n n e s in der maurerischen Tradition und betonte als anglikanischer Pastor die N ä h e zwi-
Eines der ersten Beispiele für die Kodifizierung der Symbole zum Gebrauch der Lehrlinge, 1745 in einer Erläuterung des freimaurerischen Systems in Frankreich veröffentlicht.
105
Besser verstehen. DerFlammende Stern. Unten: Wappen des Ritters Kadosh, 30. Grad des Alten und Angenommenen Schottischen Ritus.
A b s c h a f f u n g einiger Grade. D a r u m ist ab dem 4. Grad (Geheimer Meister) bis zum 33. G r a d (Souveräner GeneralGroßinspektor)
eine detaillierte
Be-
trachtung unmöglich. Die symbolischen Inhalte erweitern die Hiramslegende und spielen auf die Bibel a n , etwa die sehen Christentum und Freimaurerei.
Bundeslade, ebenso wie auf die Ritter-
Die Initiation in die blaue Freimaurerei
tradition,
wird vom Meistergrad gekrönt, der im
Rosenkreuzer.
Gegensatz zu den ersten beiden später
Einer der a u ß e r h a l b der Freimaurerei
ausgearbeitet wurde. M a n weiß, dass er
o f t sehr missverstanden G r a d e ist der
bis
Grad des Ritters Kadosh oder auch
1770
nicht
von
allen
Logen
die Tempelritter
und
die
praktiziert w u r d e . Der erreichte Be-
Ritter vom Weißen
wusstseinsgrad versetzt den Freimaurer
Adler. Dieser bezieht sich, in Ver-
n u n in die Lage, sich die dritte entscheidende Frage der spirituellen Reise (iter) zu stellen: »Wohin gehen wir?« Mit anderen Worten, »er wird über die freimaurerische ars moriendi belehrt. Er erlebt die heilige Geschichte des H i r a m (siehe
S. 2 5 - 2 8 )
und
ersteht
nach
seinem Bild in der Welt des Geistes wieder auf« (M. M o r a m a r c o ) . Komplexer sind die Wertigkeiten und die Symbolik der zusätzlichen Grade, die z u m Schottischen Ritus gehören. Sie weisen darüber hinaus in den Ritualen der verschiedenen Länder auch bemerkenswerte Unterschiede auf. In einigen Fällen f ü h r t e ihre Vereinfachung zur
106
und Schwarzen
Die Initiationsgrade
bindung mit der Templerlegende, explizit auf den Tod Jacques de M o l a y s (siehe S. 5 0 - 5 3 ) . Spirituelles Leitmotiv ist hier stets das T h e m a von Tod und Wiedergeburt
und
das
initiatische
T h e m a der Loslösung. Aber wie in vielen Mythen, in denen der Held oder der G o t t den M ä c h t e n der Finsternis unterliegt, muss das O p f e r gerächt werden. So wird dieser Grad der Grad der Rache genannt, in d e m Sinne, dass m a n d a f ü r k ä m p f e n muss, Wahrheit und Gerechtigkeit zum Sieg über das Böse zu verhelfen. O f t glaubten jedoch Uneingeweihte, die Rache der Templer sei wortwörtlich eines der Ziele der Freimaurerei und sie drohe jedem, der sich ihren Plänen widersetzen w ü r d e . Außer dem Alten und Angenommenen Schottische Ritus praktizieren
auch
andere freimaurerische Systeme die H o c h g r a d e , wie der Memphis-Misrain und der Rektifizierte Schottische Ritus. Beim Memphis-Misrain Ritus handelt es sich um einen
»deistischen u n d
spiritualistischen« Ritus, der an keine spezielle Religion gebunden ist und dem Einzelnen
völlige
Meinungsfreiheit
lässt. Es gibt 95 Grade. Sie müssten, meint
R.
Ambelain,
als
eine
Art
Der Titel der Monografie, deren Buchdeckel hier abgebildet ist, gibt über den Inhalt Aufschluss (Die Grade der Freimaurerei nach Altem und Angenommenem Schottischem Ritus). Im Zentrum der Illustration thront das Siegel des 33. Grades mit dem Motto Deus meumque Jus (»Gott und mein Recht«). Dieser Grad wird einer begrenzten Zahl von Brüdern verliehen, entweder um eine langjährige maurerische Treue zu belohnen (Italien), oder für einen besonderen Verdienst dem Orden oder der Menschheit gegenüber (USA).
Wandelgang betrachtet werden, in dem die alten freimaurerischen Grade, die nicht mehr praktiziert werden, ruhten, nicht als Werteskala. Der Ritus mache es möglich, alle Strömungen, die je in der Freimaurerei existiert h a b e n , zu studieren und zu erlernen.
107
Besser verstehen.
Das »Maurergeheimnis « In
der
ersten
Hälfte
des
18.Jahr-
ter verschlossenen T ü r e n , über deren
hunderts verbreitete sich die spekulative
»Arbeiten« die Teilnehmer absolutes
Freimaurerei von England aus über
Stillschweigen bewahren mussten, Ini-
ganz Europa. Das wird mit der Faszina-
tiationszeremonien, Riten des Über-
tion erklärt, die das sie umgebende Ge-
gangs von einem Grad zum anderen ...
heimnis ausübte: mysteriöse Symbole,
Das Schweigegebot ist zweifelsohne ein
Erkennungsworte, Versammlungen hin-
Erbe der Z ü n f t e . Denn es lag im lnteres-
Noch in den ersten Jahrzehnten des 20. Jh. lieferte O.Wirth, der dem Grand Orient de France verbunden war und dessen Schriften bis heute zitiert werden, eine alchemistische Lesart der freimaurerischen Symbole. Positionen wie diese und die okkultistische Periode der kontinentalen Freimaurerei haben unfreiwillig dazu beigetragen, die Missverständnisse über das wahre Wesen des »Maurergeheimnisses« aufrecht zu erhalten. Nebenstehend: eines seiner Werke in einer italienischen Auflage aus dem Jahr 1992.
108
Das »Maurergeheimnis« Johannes der Täufer auf einem Gemälde von A. Salaino aus dem 16. Jh. Die Großloge von London konstituierte sich am Tag des Johannisfests. Diese Tatsache nutzte man zu einer bestimmten Interpretation der Geschichte der Freimaurerei, um deren enge Verwandtschaft zu esoterischen Gesellschaften, die lange vor dem 18. Jh. aktiv waren, und ihren Zugang zu den diesbezüglichen Geheimnissen zu beweisen. Tatsächlich genoss der heilige Johannes eine besondere Verehrung bei den Templern, die dieser Interpretationslinie zufolge ihre offizielle Verfolgung überlebt haben sollen, sowie bei den Rosenkreuzern.
se der spezialisierten H a n d w e r k e r , ihr
heit, andererseits aber ist nicht zu
Wissen über Verfahren, Techniken und
leugnen, dass m a n , abgesehen von einer
Fertigkeiten, die sie im Verlauf der gut
typisch angelsächsischen Liebe zur Tra-
sieben Jahre dauernden Lehre erworben
dition,
hatten, geheim zu halten. Z w a r gab es
hatte, dass das Freimaurergeheimnis ein
mit dem Übergang von der operativen
w u n d e r b a r e s Mittel zur Mitglieder-
zur spekulativen Freimaurerei keinen
w e r b u n g war. So auch in katholischen
G r u n d mehr für diese Verschwiegen-
Ländern, wo es die erste päpstliche
zweifelsohne
auch
erkannt
109
Besser verstehen. Bannbulle (siehe S. 36) g a b , Interven-
k a m also nicht nur aus purer Neugier,
tionen der Inquisition sowie Publi-
die m a n vor »verschlossenen Türen«
kationen u n d Schmähschriften, die ein
empfindet, sondern wegen der von den
negatives Bild von der Freimaurerei ver-
Brüdern »offengelegten« Inhalte. Hinzu
breiteten. Sie w u r d e als G e h e i m b u n d
k a m die Überzeugung, die Freimaurerei
für wenige Adepten beschrieben, die
hüte und bewahre tatsächlich ein Erbe
sich zu schändlichen Zielen verschwo-
höheren Wissens, das sie von den Ge-
ren hätten, und trotzdem hatte sie
heimwissenschaften ü b e r n o m m e n hat-
großen Zulauf.
te. M a n meinte, den größten Beitrag zu
Der Papst verurteilte das »Freimaurer-
diesem Erbe könnten n u r die Alchemie
geheimnis«, das f ü r die Verfasser von
und die Kabbala geliefert haben. Aber
Schmähschriften
willkommenes
da s c h w a n g ein Missverständnis mit,
T h e m a war. Die Absicht, sich zu ver-
das vielleicht auch n o c h heute nicht
teidigen, brachte die Freimaurer dazu,
restlos aufgeklärt ist: die Überzeugung,
die Verschwiegenheit, nicht aber das
es gebe ein reales Freimaurergeheimnis,
»Geheimnis« zu verletzen. So verbrei-
das Nicht-Mitgliedern zwar unzugäng-
teten sie ihre Ziele und Rituale. M i t
lich,
einem Wort, sie machten W e r b u n g für
D a s »Geheimnis« der Freimaurerei ist
ein
sich. Wer sich der Freimaurerei näherte,
aber durchaus v o r h a n d e n sei.
aber ihr besonderer esoterischer Cha-
Stich aus Atalanta fugiens, einem Handbuch der Alchemie aus dem 17. Jh. Die Steine, die im Himmel, in den Händen der Jünglinge und auf dem Boden auftauchen, stellen vielleicht den Stein der Weisen dar, den zwar alle sehen, dessen »Geheimnis« aber nur die Weisen ergründen können.
110
Detail des Mosaiks in der Kathedrale von Otranto. Die Arche als geschützter und sicherer Ort wurde manchmal mit der Freimaurerloge verglichen. rakter.
Es
liegt
in
der spirituellen
Inhalt, k ö n n e das deutsche Wort Ge-
Dimension der Suche des Einzelnen,
heimnis einen Hinweis liefern, weil es
sowie in der geistigen N a h r u n g und den
Heim und heimlich enthalte: etwas, das
Anregungen, die aus der Bruderbindung
mir ganz und gar im
erwachsen. K. Kerenyi meint, m a n
»Geheimnis« sei daher jene Sphäre des
dürfe nicht glauben, die Mitglieder
Menschen, die er, solange er Mensch
einer antiken Gesellschaft hätten nicht
sei, nicht aufgeben könne und wolle. Es
allgemein gewusst, w o r u m es sich bei
sei das Unsagbare.
Geheimen gehört.
den geheimen Riten oder Mysterien gehandelt habe. W a r u m also die Verschwiegenheit? Das, w a s die erste Geheimgesellschaft mit der nachfolgenden verbinde, sei das Geheimnis per se. Zu der Frage, ob etwas Ähnliches existiere, ein Geheimnis per se, unabhängig vom
111
Besser verstehen.
Die Symbolik Die Freimaurerei vereint eine Reihe von
grad. Dabei spielen sie — je nach kultu-
Symbolsystemen, die sich in der Ge-
reller Tradition - auf das spirituelle
schichte der Esoterik durchgesetzt ha-
Bauwerk an. Das W i n k e l m a ß k a n n
ben. Dies m a c h t ihre Entschlüsselung
Symbol sein für die »Rechtschaffen-
schwierig.
heit«
Beinahe unverfälscht erhielt sich die
»Rechtwinkeligkeit der Materie«. Der
operative Symbolik, angefangen
bei
Zirkel symbolisiert die geistige Arbeit
W i n k e l m a ß und Zirkel. Sie sind ein
des Einzelnen an sich selbst. Ein wei-
Erbe der alten Baukorporationen. Das
teres symbolisches »Paar«
W i n k e l m a ß steht für den Grad des
tiefer Bedeutung, Setzwaage und Senk-
Lehrlings, der Zirkel f ü r den Meister-
blei, laden zur M e d i t a t i o n ein: die
oder
die
Beherrschung
der
mit sehr
Schematische Darstellung des Tempels, des »heiligsten« Raumes in einer Freimaurerloge. Der Tempel stellt die summa der überlieferten Symbole des Ordens und des Initiationswegs dar. Neben den beschriebenen Symbolen ist auf die Säulen hinzuweisen (die an die Säulen im Tempel Salomonis erinnern) sowie auf die Knoten, die für die Kette der Brüderlichkeit in der Freimaurerei stehen.
1. 2. 3. 4. 5. 6.
Meister vom Stuhl 1. Aufseher 2. Aufseher Redner Schriftführer Schatzmeister
112
7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.
Armenbruder Kandelaber Experte Ordner 1. Schaffner 2. Schaffner Wachthabender
Die Symbolik / ^ C Aquarell von William Blake, das das mittelalterliche Bildthema des Allmächtigen Baumeisters aller Welten aufgreift, der sich mithilfe des Zirkels die Welt erschafft.
Manifestation des Geistes im Universum;
man
muss
ihn bearbeiten, um zur Quelle a u f z u steigen. Auch die Metalle
gehören
zur mineralischen Symbolik. In der ersten Phase des Initiationsrituals wird d e m Kandidaten alles weggen o m m e n , w a s er an
Metallischem
Setzwaage über die gleichmachende
bei sich trägt. Einerseits bedeutet das
M a c h t des Todes, das Senkblei über die
die A u f f o r d e r u n g , sich in die Armen
Möglichkeit, von der Erde aus den
und Wehrlosen hineinzufühlen, andrer-
Himmel zu erreichen, wenn m a n den
seits werden im engeren esoterischem
rechten Pfad der Tugend nicht verlässt.
Sinne auch die Beziehungen zwischen
Unter den vielen operativen Symbolen
den sieben klassischen Metallen (Blei,
sind noch H a m m e r und Meißel zu
Zinn, Eisen, Gold, Kupfer, Quecksilber
erwähnen, die für die Kraft des Willens
und Silber) zu den lebenswichtigen
und der Vernunft bei der »Arbeit am
O r g a n e n des Körpers hergestellt. Die
rauen Stein« stehen.
Wegnahme der Metalle ist daher auch
Der Stein ist in der freimaurerischen
eine M a h n u n g , sich darauf zu besinnen,
Symbolik ein Erbe der Hermetiker. Er
dass m a n sich von der Körperlichkeit
steht f ü r den niedrigsten Grad der
lösen muss, um sich dem symbolischen
113
Besser verstehen Der Buchstabe »G« In der komplexen alphabetischen und kryptografischen Symbolik, deren sich die Freimaurerei bedient, ist der Buchstabe »G«, der im Zentrum des »Flammenden Sterns« steht, nicht eindeutig zu interpretieren. In Italien wird er als Anfangsbuchstabe der Abkürzung G. A. D. U. verstanden (Grande Architetto dell'Universo), oder auch als Hinweis auf Begriffe wie Geometrie, Gnosis, Generation usw. Im Deutschen kann er für Geometrie, Gesetz, Gott stehen. In der angelsächsischen Kultur wird überwiegend auf das Wort God Bezug genommen, aber manche meinen auch, dass er als Anfangsbuchstabe von Geometry zu verstehen sei. In diesem Falle ist der Ursprung des Symbols in der deistischen und mechanistischen
Periode der Freimaurerei zu suchen, als in der englischen Kultur der Newtonismus vorherrschte. Im Französischen soll das »G« drei Bedeutungen haben: Gloire (in Bezug auf Gott), Grandeur (in Bezug auf den Meister der Loge), Geometrie (in Bezug auf die Brüder). Und dann gibt es schließlich noch andere Erklärungen, die etwa das »G« auf eine grafische Umwandlung des entsprechenden griechischen Buchstabens Gamma zurückführen, in der Form dem Winkelmaß ähnlich, das in den englischen Logen des 18. Jahrhunderts im Zentrum des Flammenden Sterns stand, oder auch auf eine Vereinfachung des uralten Sanskrit-Symbols der Swastika, dem Rad der universellen Bewegung.
Tod als spiritueller Wiedergeburt zu
Sei es, dass man den Kreis als kosmi-
stellen. Auch die geometrische Sym-
schen Bereich seiner Manifestation vom
bolik ü b e r n a h m die Freimaurerei aus
Mittelpunkt aus deutet (der Punkt), sei
traditionellem Wissen. Besonders den
es, dass m a n ihn als Lauf der Sonne
P u n k t u n d den Kreis k a n n m a n ver-
oder als wiederkehrenden Zyklus der
schiedentlich
Allmächtigen
Sternzeichen sieht. Auch die a s t r o n o -
Baumeister aller Welten zurückführen.
mische Symbolik hat in der Freimaure-
auf
den
Ein sehr komplexes, klassisches maurerisches Symbol. In der Deutung von O.Wirth drückt das Dreieck mit dem Auge in der Mitte das Prinzip der Bewusstheit aus. Die Strahlen stellen die Aktivität dar oder auch die konstante Expansion des Seins. Der Wolkenkranz spielt auf das zyklische Wesen der expansiven Emanationen an, die sich unter dem Druck ihrer Begegnung verdichten. Alles sei ein Entwurf des Seins in der unendlichen Vielfalt seiner Manifestationen, denn alles sei gleichzeitig dreifach und eins.
114
Die astronomische Symbolik gehört wie alle traditionellen Symbole auch zur freimaurerischen Überlieferung. Auf dem Bild eine Darstellung des Himmelsfirmaments auf dem sogenannten Sternenmantel Kaiser Heinrichs II., Diözesanmuseum, Bamberg.
Freimaurerei, die sich an die Herrlichkeit
des
All-
mächtigen
Bau-
meisters
aller
Welten
wendet«
(M. M o r a m a r c o ) . Es von
versteht
sich
selbst,
dass
geometrische und numerische
Sym-
rei stets breiten R a u m eingenommen.
bolik eng verbunden sind. Die Basis ist
Das am häufigsten zu findende Symbol
hier die Arithmosophie, die m a n nicht
ist jedoch das Dreieck, das oft das Auge
mit Zahlenmagie
Gottes umschließt. In der pythago-
Von der lebenden N a t u r h a t die Frei-
räischen Tradition stellt es den Aufstieg
maurerei sowohl eine Pflanzen- als auch
vom Vielfachen z u m Einen dar, in der
eine Tiersymbolik übernommen. In der
christlichen Tradition die Dreifaltigkeit
Ersteren dominiert die Akazie, die be-
(Sein als G e d a n k e , Liebe und M a c h t ) .
reits in den Anfängen der Freimaurerei
Aber das »maurerische Dreieck k a n n
präsent war. Sie steht für die Unsterb-
symbolisch
Richtungsvektor
lichkeit. In der Hiramslegende steht
gelesen werden. In diesem Sinne sym-
diese Pflanze mit seinem Begräbnis in
bolisiert es in seiner Ausrichtung nach
Z u s a m m e n h a n g . Aus der Bibel wurden
oben die Arbeit oder die dynamis der
schließlich die Libanonzeder (der 2 2 .
auch
als
verwechseln
darf.
115
Besser verstehen
Grad des Alten u n d A n g e n o m m e n e n Schottischen Ritus heißt zum Beispiel »Ritter der Königlichen
Axt«
oder
»Prinz von Libanon«), der Granatapfel,
Das Alphabet der Freimaurerei. Die vielen rechtwinkeligen Buchstaben erinnern an den Winkel, das Maßinstrument, das zur freimaurerischen Symbolik gehört.
der den Tempel Salomonis schmückte
der H a h n (Wachsamkeit), der Pelikan
und wie die Getreideähre auf Frucht-
(Selbstopfcr aus Liebe), der Phönix (Un-
barkeit und Fülle anspielt, sowie die
sterblichkeit),
Rose ü b e r n o m m e n , die in der Rosen-
Stärke),
kreuzersymbolik eine zentrale Rolle
Reinheit) und die Bienen (Fleiß) auf.
spielt. Unter den Tiersymbolen fallen
Eine grundlegende Rolle spielt in den
das
der
Löwe
Lamm
(spirituelle
(Unschuld
und
verschiedenen Ordensritualen auch die Farbsymbolik. In einer Farbskala, die bis z u m Dunkelblau reicht, ist die wichtigste Farbe das Azurblau. Es bezeichnet das System der drei ursprünglichen Freimaurergrade und ist darüber hinaus eine Besonderheit des Meistergrades. Weiß und Schwarz (Licht und Finsternis) sind auf d e m schachbrettartigen Fußboden des Tempels ein Paar, während man, wegen seiner Strahlkraft, Goldgelb für die Q u a s t e n und f ü r die Fleiß und Beständigkeit, wofür die Bienen ein Symbol sind, werden jedem Freimaurer' bruder abverlangt.
116
Die Symbolik /^C Eine Synthese der freimaurerischen Symbolik. Bemerkenswert sind unter anderem zwei Akazienzweige, mit denen die Todesanzeigen von Freimaurern geschmückt werden. Borten der freimaurerischen Fahnen verwendet. G r ü n symbolisiert den Gegensatz von
Licht
(Lichtabsorption
durch Chorophyll) und Dunkel (die Vegetation versenkt ihre Wurzeln in den Schoß der Erde); es ist die traditionelle Farbe des G r a n d e Oriente d'Italia. R o t steht generell für Aktivität, Sehnsucht und Durchsetzungskraft. N u n noch ein letzter Blick auf die Symbolik des menschlichen Körpers. Hier
Lebens ist. Wichtig ist auch die Nabel-
steht das Auge im Mittelpunkt, ein ural-
schnur, die mit dem n u r von Freimau-
tes Symbol der Göttlichkeit, das Organ
rern gebrauchten Wort Cable-Tow be-
des Lichts. Es ist ein weiteres Bild des
zeichnet
Paares P u n k t und Kreis (Pupille und
Bindung an, die alle Brüder auf der Welt
Iris). Eine wichtige Rolle spielt in der
miteinander vereint. Der Totenkopf ver-
englischen
auch
weist auf die notwendige Reflexion über
das Herz, das, so der Esoteriker R. Gué-
den Tod, bevor m a n sich auf den Weg
non, Sitz und Bewahrer des kosmischen
von Erneuerung und Erhöhung begibt.
Freimaurertradition
wird.
Dies
spielt
auf
die
Mittelalterliche Miniatur, die einen Pelikan zeigt, der seine Kinder mit seinem eigenen Fleisch füttert. Der Pelikan, der das Selbstopfer aus Liebe repräsentiert, war auch in der christlichen Iltonografie ein häufig verwendetes Symbol.
117
Besser verstehen
Das Kleid macht den Freimaurer? Die maurerische »Bekleidung« besteht
verschiedenen Graden ä n d e r t , k a n n er
aus symbolischen Kleidungsstücken wie
immer wieder neue Bedeutungen an-
dem Schurz, den H a n d s c h u h e n oder
nehmen.
dem
internen,
Ein weiteres klassisches Kleidungsstück
rituellen Gebrauch bestimmt ist, hat sie
sind die weißen H a n d s c h u h e , die der
jedoch einen ganz anderen Stellenwert
Kandidat in der in manchen Initiations-
Collar.
Da
sie
zum
als das religiöse H a b i t oder die Unif o r m . D a b e i b e r u f t sie sich auf einen n u r unter den Brüdern funktionierenden Code. Ihr Ziel ist es, den Einzelnen einzuladen, sich mit der Folgerichtigkeit des eigenen spirituellen, maurerischen Weges auseinanderzusetzen. Der Schurz ist ein Symbol, das seinen U r s p r u n g in der operativen Freimaurerei hat und der realen Arbeitswelt der M a u r e r entlehnt ist. In der spekulativen Freimaurerei jedoch hat er als Symbol noch weitere Bedeutungen. Seine Farbe z u m Beispiel, das Weiß, symbolisiert, dass es für den Lehrling unerlässlich ist, unschuldig u n d rein zu sein. D a r ü b e r hinaus dient er als um die Taille geschlungene klare Trennungslinie, die einen oberen und einen unteren Teil des Körpers definiert. Sie verweist d a r a u f , dass es wichtig ist, d e m oberen Teil, H e r z u n d Geist, den Vorzug zu geben und den unteren, die Triebe, zu beherrschen. Da sich seine Symbolik in den
Kleidung des Gesellengrades, die an den mittelalterlichen, operativen Ursprung der Freimaurerei erinnern soll.
Das Kleid macht den Freimaurer?
Porträt des großen deutschen Dichters J. W. Goethe. Als er nach seiner Initiation zur Freimaurerei die Handschuhe empfing, schrieb er Charlotte von Stein: »Ein geringes Geschenk, dem Ansehn nach, wartet auf Sie, wenn Sie wiederkommen. Es hat aber das merckwürdige dass ichs nur Einem Frauenzimmer ein einzigesmal in meinem Leben schencken kan.«
Zeremonien
erhält.
Im
Mittelalter
schmückten Ritter ihre Helme mit den H a n d s c h u h e n ihrer D a m e n . Und tatsächlich ist beim Ritual der beiden weißen H a n d s c h u h e , die dem neuen Adepten übergeben w e r d e n , noch immer der eine f ü r ihn bestimmt, der andere für die Frau, die er liebt oder am meisten achtet. Generell soll dieses
Collar in der blauen Freimaurerei eine
Kleidungsstück
die
präzise F u n k t i o n an, während es bei
H ä n d e rein zu halten, aber auch, die
den anderen nur auf den Initiationsgrad
Sphäre des Heiligen (Einrichtung und
hindeutet.
Symbole des Tempels) vor jeglicher »Be-
Der
schmutzung« oder Profanierung zu be-
Kleidung hat besonders in der Ini-
schützen. Einige Wissenschaftler mein-
tiationszeremonie des Lehrlings große
en, die weißen H a n d s c h u h e stünden
Bedeutung (siehe Kasten auf S. 104).
dafür, dass m a n sich nicht, auch nicht in
Die unordentliche Kleidung und das
übertragenem Sinne, mit d e m Blute
Fehlen eines Schuhs stellen einerseits
Hirams befleckt habe (siehe S. 2 5 - 2 8 ) .
den verwirrten Zustand des »Profanen«
Das Collar ist ein Symbol, das für eine
(Nichteingeweihten) dar, bevor er den
hohe Funktion in der Logenhierarchie
Tempel betritt, andrerseits steht er für
steht. Es bringt nicht n u r Autorität und
die notwendige D e m u t , die derjenige
Ehre mit sich (das Dreieck mit der
besitzen sollte, der sich einer Initiation
Spitze
Rang-
unterzieht. Die symbolische Bedeutung
abzeichen), sondern soll, um den H a l s
dieser zweiten Auslegung wird noch
getragen,
Verantwortung
verstärkt, wenn beim Ritual die Metalle
bewusst m a c h e n , die mit M a c h t a u s -
weggenommen werden (siehe S. 1 1 3 -
übung einhergeht. Im Übrigen zeigt das
114).
nach
daran
unten
auch
die
erinnern,
ist
ein
symbolische
Eingriff
in
die
119
Besser verstehen.
Zweck und Ziele des Ordens Die Freimaurerei ist so facettenreich
Die Freimaurerei teilt mit einem Groß-
und
hat eine d e r a r t komplexe und
teil der religiösen und ethischen Kon-
widersprüchliche Geschichte, dass man
zepte der Geschichte die Überzeugung,
ihr w e d e r einheitliche n o c h k o n s t a n t e
der Mensch sei vervollkommnungsfähig
Zielsetzungen zuschreiben k a n n . Daher
(perfektibel). D a h e r schlägt sie dem
kann m a n nur die von der Freimaurerei
Individuum den Weg spiritueller Ent-
selbst geäußerten Ziele betrachten und
wicklung vor. Es handelt sich für jeden
sich zu diesem Z w e c k jener Publika-
um einen gänzlich a u t o n o m e n und sub-
tionen bedienen, die vor allem in jüng-
jektiven Weg, auch w e n n das »heilige«
erer Zeit die Missverständnisse, die den O r d e n umgeben und zu einem g r o ß e n Teil auf Desinformation beruhen, aufzuklären versuchen.
120
Stich aus der Tabula Cebetis, der in Gestalt einer Stadt mit mehreren Mauerringen den Weg der Veredelung des Einzelnen darstellt.
Zweck und Ziele des Ordens
Ambiente des Tempels sowie das Bewusstsein, zum »Corpus« einer Loge zu gehören,
grundsätzlich
Mittel
zur
Orientierung sind. Auf der anderen Seite ermöglicht die »korporative Dimension«, die von jedem Bruder erreichten
Resultate
miteinander
zu
teilen, was auch ein kollektives Weiterkommen
bedeutet, das sich in der
äußeren Welt nicht n u r durch philanthropische
Initiativen
widerspiegeln
sollte, sondern auch d u r c h ein Engagement für eine »wahre, gesunde und nicht parteiische Gerechtigkeit« z u m
Die Rückseite einer Dollarbanknote, die im linken Kreis das freimaurerische Bild einer stumpfen Pyramide trägt, über der das allsehende Auge des Allmächtigen Baumeisters aller Welten schwebt. Die Pyramide ist ein Symbol für die Vollendung des Werkes. Aber die Hervorhebung der Ziegel weist auch zusammen mit dem Motto f A n n u i t Coeptis N o v u s
Ordo Saeculorum: »Eine neue Epoche winkt den Initiierten«) daraufhin, das das Ziel des initiatischen Weges das Ergebnis einer fortschreitenden »Konstruktion« ist. Dasselbe Symbol schmückt auch den Meditationsraum des UNO-Hauptquartiers in New York.
Wohl der gesamten Menschheit (U. Gorel Porciatti).
gagements des Freimaurers, der das
D a s letzte Ziel ist nämlich die welt-
Projekt der Rettung nicht an einen Gott
u m s p a n n e n d e Bruderschaft, w a s sich
delegiert, s o n d e r n d a r a n mitarbeitet,
im
indem er den »Königsweg der Pflicht«
ethischen
Statut
der
regulären
Freimaurerei niederschlägt, die von der
durchläuft (M. M o r a m a r c o ) .
gemeinsamen A b s t a m m u n g vom All-
Die freimaurerische Literatur hält es f ü r
mächtigen
Welten
unerlässlich, die Verbindung zur opera-
überzeugt ist. Das ist auch der Ursprung
tiven Tradition lebendig zu halten und
der Wahrheitsliebe und somit der »kon-
hebt daher die konstruktive Arbeit als
struktiven« N a t u r des spirituellen En-
F u n d a m e n t der spirituellen Disziplin
Baumeister
aller
121
Besser verstehen. Kathedrale von Chartres. Das Labyrinth oder auch der Weg, auf dem man zum Heiligen gelangt, ist ebenfalls ein freimaurerisches Symbol. Der Fürst von Sansevero entwarf es eigenhändig für seine Kapelle in Neapel.
hervor. Dies erlaubt es, auch das letzte
Die Begräbnisrituale stellen die Re-
Ziel der persönlichen Veredelung des
flexion über den Tod in den Vorder-
Einzelnen genauer zu erklären. In der
grund, damit er als innere Wiedergeburt
freimaurerischen Ethik, die die psycho-
überwunden werden k a n n . Sie können
logischen Kehrseiten dieser Frage nicht
m a k a b e r erscheinen und h a b e n w o h l
übergeht, ermöglicht die Arbeit, die
unter den »Profanen« einige Missver-
Grenzen des Ich zu überschreiten und
ständnisse verursacht. Aber es steht
sich in ein organisches Ganzes zu in-
außer Zweifel, dass die Freimaurerei,
tegrieren, das nicht, wie der M e n s c h ,
indem sie sich dieser Frage stellte, be-
d e m T o d u n t e r w o r f e n ist. D a s voll-
reits im Voraus Schäden vorbeugen
endete Werk bleibt, es überleben die
konnte, die in der Psyche des Einzelnen
Gefährten, mit denen m a n es realisiert
und in der Gesellschaft insgesamt durch
hat, es nützt neuen Generationen ... In
die Verdrängung des Gedankens an den
diesem Sinne ist die Arbeit eine Vor-
Tod entstehen können.
w e g n a h m e der Unsterblichkeit, die ein
Wenn das Ziel des Freimaurerordens
f ü r den normalen Menschen psycho-
die
logisches Bedürfnis befriedigt, das für
Einzelnen ist, der d u r c h einen völlig
den Freimaurer
der
individuellen Weg seinen Platz gegen-
»Grenzen« (siehe S. 102) seiner eigenen
über dem Höchsten Sein und seinen
Identität ist.
N ä c h s t e n begreift, so strahlt all dies
122
aber
nur
eine
persönliche
Veredelung
des
Zweck und Ziele des Ordens Ein Stich, der Voltaire (16941778) in Sanssouci im Gespräch mit seinem Schüler Friedrich dem Großen darstellt.
natürlich auch auf das praktische Leben
auf den Garten Eden z u r ü c k f ü h r e n -
zurück. N a c h dem freimaurerischen
der Anteil
Kodex muss der Freimaurer ein ehr-
unter den Mitgliedern ungewöhnlich
licher Bürger, ein guter Vater, eine acht-
groß war. Die Frage lautet also: Was hat
bare und tolerante Persönlichkeit sein,
diese Menschen dazu gebracht, Frei-
k u r z u m , ein Mensch von starker und
maurer zu werden? Eventuell ist m a n
unzweifelhafter Moral.
heute in Italien infolge der Geschehnis-
Dies mag zwar die Verbreitung des Or-
se um die Loge P2 versucht, den Ent-
dens als »positive, aber freie« Orga-
schluss zur Mitgliedschaft als eine Art
illustrer Persönlichkeiten
nisation begründen, aber es erklärt
»Geschäftemacherei« zu sehen. Von
nicht jene Besonderheit, die die Frei-
Persönlichkeiten wie George Washing-
maurerei
ihrer Konstitution in
t o n und den Vätern der amerikanischen
London im Jahr 1717 auszeichnete: die
Verfassung k a n n m a n das aber be-
Mitgliedschaft
Personen.
stimmt nicht behaupten. Auch w e n n
Liest m a n einen der zahlreichen Texte
der Beitritt in eine Loge vom jungen
zur Geschichte der Freimaurerei, so
General N a p o l e o n B o n a p a r t e als eine
stellt man fest, dass im Verhältnis zur ei-
Art »Garantie« f ü r seine zukünftige
gentlich kurzen Existenz des O r d e n s -
Karriere angesehen w u r d e , so k a n n
m a n sollte sich hüten, fantasievolle H y -
man
pothesen in Betracht zu ziehen, die ihn
Preußen sicherlich nicht unterstellen,
seit
berühmter
das
einem
Friedrich
II.
von
123
Besser verstehen. Links: Die Philosophie Nietzsches, die von der faschistischen und nationalsozialistischen Ideologie auf paradoxe Weise interpretiert und verdreht wurde, könnte als Gegensatz zu freimaurerischen Prinzipien erscheinen. In Wirklichkeit aber war der Philosoph, hier von Edvard Münch porträtiert, ein überzeugter Freimaurer.
Auf der folgenden Seite: Blick in den Innenraum der Kathedrale von Chartres, die von mittelalterlichen Freien Maurern erbau wurde.
der ja bereits dem Erbrecht nach König
nomen, Wissenschaftler und Dichter (es
war.
m a g genügen, für Italien Alfieri und
Etwas scheint allerdings sehr charakter-
Carducci zu erwähnen). Besonders im
istisch zu sein: Freimaurer mit einem in-
18. J a h r h u n d e r t , dem J a h r h u n d e r t der
tellektuellen Beruf sind zahlreich, be-
A u f k l ä r u n g , w a r es einem Intellek-
sonders Künstler (und unter diesen
tuellen fast unmöglich »kein Freimau-
nehmen die M u s i k e r in der gesamten
rer zu sein«. Und d a n n g a b es wieder
Geschichte
Zeiten der Krise.
der
Freimaurerei
einen
bedeutenden Platz ein, v o n H ä n d e l ,
Eines lässt sich jedoch wohl sagen: es
H a y d n , Gluck und Beethoven bis hin zu
sind die T h e m e n , die viele
Sibelius und Stockhausen), Philosophen
Geister« in die freimaurerische Gemein-
(von Voltaire
schaft gezogen haben. Dazu gehört die
124
bis
Nietzsche), Ö k o -
»große
Besser verstehen Überzeugung, der Mensch sei zur Ver-
das Ziel, das der Orden sich setzt; und
vollkommnung fähig, oder die gemein-
die Mittel, die er einsetzt, sind, wenn sie
same Solidarität und der Wunsch, mit
nicht verfälscht werden, friedfertig und
persönlichem
der
klar. Das Ziel ist, den Menschen zu ver-
Realisierung des Entwurfes des All-
edeln, den Einzelnen, denjenigen, der
mächtigen Baumeisters auf Erden mit-
sich
zuarbeiten, und zwar gemäß dem ei-
meditieren, begreifen zu lassen, dass er
genen spirituellen Weg und den eigenen
Botschafter des Höchsten und Teil des
Begabungen. Wenn das Bild stimmt,
Ganzen ist, und dass diese Teile im
kann man die Worte eines Bruders nur
Ganzen durch einen einzigen Mörtel
unterschreiben, der sich leidenschaft-
miteinander verbunden sind: die Liebe«
lich der Vertiefung der freimaurerischer
(U. Gorel Porciatti).
Engagement
an
Spiritualität gewidmet hat: »Groß ist
veredeln
will,
ihn
denken,
Quellen Aus der schier endlosen Reihe von Schriften über die Freimaurerei werden hier nur die Titel angegeben, auf deren Grundlage dieses Buch entstanden ist.
A. C. Ambesi: I Maestri del Tempio, Mailand 1995 A. C. Ambesi: Le societä esoteriche, Mailand 1994 E. Bonvincini: I gradi della Massoneria di Rito Scozzese Antico e Accettato, Foggia 1997 E. Bonvincini: Massoneria di Rito Scozzese, Rom 1988 G. Cipriani: I mandanti. II patto strategico tra Massoneria, mafia e poteri politici, Rom 1993 F. Cordova: Massoneria e politica in Italia (1892-1908), Bari 1985 G. Di Bernardo: Filosofia della Massoneria. L'immagine massonica dell'uomo, Padua 1989 U. Gorel Porciatti: Simbologia massonica: gradi scozzesi, Rom 1981 U. Gorel Porciatti: Simbologia massonica: Massoneria azzurra, Rom 1947 S. Hutin: Unsichtbare Herrscher und geheime Gesellschaften, Bonn 1973 R. Le Forestier: Die templerische und okkultistische Freimaurerei im 18. und
19.Jahrhundert, Bd. I: Die Strikte Observanz, Leimen 1987 A. A. Mola: Storia della Massoneria dalle origini ai nostri giorni, Mailand 1994 A. A. Mola: Storia della Massoneria in Italia, in: Storia d'Italia: dalla civiltà latina alla nostra Repubblica, Novara 1981 M. Moramarco: Nuova Enciclopedia Massonica, 3 Bde, Foggia 1996-1997 P. Partner: The murdered magicians. The Templars and their myth, Oxford 1982 L. Sessa: La Massoneria. L'antico mistero delle origini, Foggia 1997 L. Sessa: L'evoluzione della Massoneria: dagli alti gradi ul Rito Scozzese Antico e Accettato, Foggia 1997 L. Troisi: Dizionario Massonico, Foggia 1999 O. Wirth: La franc-maçonnerie rendue intelligible à ses adeptes, Bd.I: L'apprenti, Bd. II: Le compagnon, Paris 1999
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