FERNIDEE Nr. 2 (2022)

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DER FLUSS SPUKT Tagesspiegel-Autor Christian Vooren über seine Flusskreuzfahrt auf dem Mekong zwischen dem Goldenen Dreieck, Luang Prabang und Vientiane Manchmal, wenn eine besonders knifflige Passage bevorsteht, wirft Mr. Vansee ein paar Bananen in den Fluss. Bevor die Crew isst, streut jeder eine kleine Portion Reis über Bord. Die Gaben sind für Naga, die Riesenschlange, und für überhaupt alle Kreaturen, deren Anwesenheit Ungemach verspricht. Damit will der Kapitän den Wassergeistern signalisieren: „Wir sind hier, wir wollen nichts Böses.“ Es kann also niemand behaupten, die Mannschaft des Schiffes tue nicht alles für die Sicherheit ihrer Passagiere. Mr. Vansee – wenn er nach seinem Vornamen gefragt wird, winkt er müde ab, den könne sowieso kein Europäer richtig aussprechen – ist Kapitän auf dem Mekong. Der 49-Jährige fürchtet den Fluss, gleichzeitig lebt er von ihm. Er fährt Touristen über jenen Abschnitt, den nur wenige Schiffe sonst befahren. Vom Goldenen Dreieck im Norden, das für sein Opium berüchtigte Grenzgebiet zwischen Thailand, Laos und Myanmar, 358 Kilometer stromabwärts bis Luang Prabang, der bei Backpackern beliebten Stadt im Westen von Laos. Kreuzfahrten werden in dieser Gegend kaum angeboten. Weiter südlich, im Mekongdelta in Vietnam, ist das anders. Da wird der Fluss kilometerbreit und bequem schiffbar. Doch hier, im mittleren Teil, wo er streckenweise die Grenze zwischen Thailand und Laos bildet, reichen die beiden Uferseiten mitunter bis auf 50 Meter aneinander. Kein Platz für Massentourismus. Aber was heißt schon Kreuzfahrt. Mit der Vorstellung von riesigen Kreuzern, Menschenfrachtern, die durch die Adria dampfen und deren Passagierzahlen sich in Busladungen messen lassen, hat das alles nichts zu tun. Kaum zwei Dutzend Passagiere sind 4

an Bord. Ober- und Unterdeck, 45 Meter lang, acht breit. Einen Meter Tiefgang. In jedes Rettungsboot der Aida passen mehr Menschen. Der Fluss windet sich, die Ufer kommen näher und entfernen sich wieder, wie auf einer Schaukel. Schiffsschaukel. Scharfkantige Felsen spalten den Flusslauf in zwei Teile, an seinen Ufern fläzen sich im Schatten der dicht bewachsenen Steilhänge Rinder und Ziegen im Sand. Man möchte es ihnen möglichst gleichtun, dreht also die Liege auf der Sonnenterrasse mit Blick Richtung Steuerbord, lässt sich treiben, wie es die Reisekataloge anpreisen, mit knapp 20 Stundenkilometern gerade langsam genug, um keinen Wechsel von schroffem Vulkangestein zu grünen Hügeln zu verpassen und zu Hütten aus Bambus, die sich zu einem Dorf zusammentun. Es wird früh dunkel, gegen 17 Uhr legt das Schiff an einer Sandbank an. Genug Licht und Zeit für eine Abkühlung. Der Fluss zerrt an den Waden. Der Kapitän mahnt, nicht zu weit reinzugehen. Schiebt es auf die Strömung, meint auch die Geister. Die Schiffscrew richtet derweil das Barbecue auf der Sandbank an, entzündet ein Feuer, hängt Lampions an Palmenblättern auf. Nach dem Essen wird Lao Lao serviert. Landestypischer Reisschnaps, den die Frauen in den umliegenden Dörfern brennen. Brennt auch in der Kehle wie selten ein Schnaps zuvor. Der Fluss bestimmt den Tagesrhythmus, auch den der Reisenden. Gefahren wird nur, wenn es die Sicht zulässt. Am nächsten Morgen verzögert sich das Ablegen, weil vom Bug aus vor lauter


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