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Der Fluss spukt (von Christian Vooren

DER FLUSS SPUKT

Tagesspiegel-Autor Christian Vooren über seine Flusskreuzfahrt auf dem Mekong zwischen dem Goldenen Dreieck, Luang Prabang und Vientiane

Manchmal, wenn eine besonders knifflige Passage bevorsteht, wirft Mr. Vansee ein paar Bananen in den Fluss. Bevor die Crew isst, streut jeder eine kleine Portion Reis über Bord. Die Gaben sind für Naga, die Riesenschlange, und für überhaupt alle Kreaturen, deren Anwesenheit Ungemach verspricht. Damit will der Kapitän den Wassergeistern signalisieren: „Wir sind hier, wir wollen nichts Böses.“ Es kann also niemand behaupten, die Mannschaft des Schiffes tue nicht alles für die Sicherheit ihrer Passagiere. Mr. Vansee – wenn er nach seinem Vornamen gefragt wird, winkt er müde ab, den könne sowieso kein Europäer richtig aussprechen – ist Kapitän auf dem Mekong.

Der 49-Jährige fürchtet den Fluss, gleichzeitig lebt er von ihm. Er fährt Touristen über jenen Abschnitt, den nur wenige Schiffe sonst befahren. Vom Goldenen Dreieck im Norden, das für sein Opium berüchtigte Grenzgebiet zwischen Thailand, Laos und Myanmar, 358 Kilometer stromabwärts bis Luang Prabang, der bei Backpackern beliebten Stadt im Westen von Laos.

Kreuzfahrten werden in dieser Gegend kaum angeboten. Weiter südlich, im Mekongdelta in Vietnam, ist das anders. Da wird der Fluss kilometerbreit und bequem schiffbar. Doch hier, im mittleren Teil, wo er streckenweise die Grenze zwischen Thailand und Laos bildet, reichen die beiden Uferseiten mitunter bis auf 50 Meter aneinander. Kein Platz für Massentourismus. Aber was heißt schon Kreuzfahrt. Mit der Vorstellung von riesigen Kreuzern, Menschenfrachtern, die durch die Adria dampfen und deren Passagierzahlen sich in Busladungen messen lassen, hat das alles nichts zu tun. Kaum zwei Dutzend Passagiere sind an Bord. Ober- und Unterdeck, 45 Meter lang, acht breit. Einen Meter Tiefgang. In jedes Rettungsboot der Aida passen mehr Menschen.

Der Fluss windet sich, die Ufer kommen näher und entfernen sich wieder, wie auf einer Schaukel. Schiffsschaukel. Scharfkantige Felsen spalten den Flusslauf in zwei Teile, an seinen Ufern fläzen sich im Schatten der dicht bewachsenen Steilhänge Rinder und Ziegen im Sand.

Man möchte es ihnen möglichst gleichtun, dreht also die Liege auf der Sonnenterrasse mit Blick Richtung Steuerbord, lässt sich treiben, wie es die Reisekataloge anpreisen, mit knapp 20 Stundenkilometern gerade langsam genug, um keinen Wechsel von schroffem Vulkangestein zu grünen Hügeln zu verpassen und zu Hütten aus Bambus, die sich zu einem Dorf zusammentun.

Es wird früh dunkel, gegen 17 Uhr legt das Schiff an einer Sandbank an. Genug Licht und Zeit für eine Abkühlung. Der Fluss zerrt an den Waden. Der Kapitän mahnt, nicht zu weit reinzugehen. Schiebt es auf die Strömung, meint auch die Geister. Die Schiffscrew richtet derweil das Barbecue auf der Sandbank an, entzündet ein Feuer, hängt Lampions an Palmenblättern auf. Nach dem Essen wird Lao Lao serviert. Landestypischer Reisschnaps, den die Frauen in den umliegenden Dörfern brennen. Brennt auch in der Kehle wie selten ein Schnaps zuvor.

Der Fluss bestimmt den Tagesrhythmus, auch den der Reisenden. Gefahren wird nur, wenn es die Sicht zulässt. Am nächsten Morgen verzögert sich das Ablegen, weil vom Bug aus vor lauter

Nebel kaum das Heck zu sehen ist. Früher oder später jedoch teilt die Sonne den Dunst, bis er bloß noch als dünner weißer Streifen über den Ufern hängt. Dann wird es auf der Brücke munter. Mr. Vansee dreht das Steuerrad flink nach rechts, sein Kollege drückt den Schubhebel nach vorn. Vor den beiden Kapitänen stapeln sich leere Teller auf dem Armaturenbrett, hinter ihnen zwei Stockbetten. Die Brücke ist zugleich Arbeitsplatz, Küche, Schlaf- und Aufenthaltsraum.

Vansee steuert das Schiff flussabwärts, sein Kollege übernimmt in die Gegenrichtung. Das hat wenig mit Arbeitsteilung zu tun, es geht vielmehr darum, dass nur jeweils einer von ihnen in der Lage wäre, das Schiff unfallfrei durch die Tücken des Stroms zu lotsen.

„Wir sind etwa 50 bis 60 Kapitäne, die diesen Abschnitt mit einem Schiff in der Größe befahren können“, sagt Vansee. Der Mekong ist einer der unberechenbarsten Flüsse überhaupt. Der Laote kennt die Hindernisse, die sich auftun können. Fährt ohne Sonar und Echolot, würde sowieso nichts bringen. Es gibt nicht einmal eine Karte, die wäre binnen Tagen überholt. Verlauf, Strömung, Wasserstand – all das wandelt sich fortwährend. Ein Zertifikat oder einen Führerschein hat Vansee nicht, wer hätte ihm auch die Prüfung abnehmen sollen? Wie fast alle Kapitäne der Region stammt er aus einer Frachterfamilie, lernte schon als Kind auf kleinen Motorbooten, bekam dann die Verantwortung für ein längeres Schiff, fuhr schließlich große Reisfrachter. Kaum einer kennt den Fluss besser als er.

Zeit zum Ausruhen haben Vansee und seine Crew erst, wenn die Passagiere für Ausflüge das Schiff verlassen. Dann besuchen die Touristen eines der umliegenden Dörfer, stolpern über freilaufende Hühner, dabei brauchen sie doch ihre Hände und Füße, um sich mit den Bewohnern zu verständigen. Oder sie besichtigen einige der Tempel, die von innen derart bunt ausgeleuchtet sind, dass Besucher sich in einem Weihnachtsdekogeschäft in Las Vegas wähnen. Einsam ist es am Ufer selten, obwohl es wild und schier undurchdringbar scheint. Mehr als 60 Millionen Menschen in Südostasien sind vom Mekong abhängig. Er lässt die Felder gedeihen, Fischer ernähren aus ihm ihre Familien. Jedes Jahr werden allein in Laos 42 000 Tonnen Fisch aus dem Fluss gefangen, meist mit einfachen Netzen und kleinen Motorbooten. Noch immer waschen sich die meisten Menschen aus den Dörfern in ihm. Nur gehen sie niemals weiter ins Wasser, als sie stehen können. Sie fürchten die Naga-Schlange, die sich von Menschen ernähren soll. Der Theravada-Buddhismus, der hier die dominierende Religion ist, hat viele solcher animistischen Glaubenstraditionen toleriert. Oder sie gleich ganz annektiert.

Riesenschlangen, Untiefen, scharfe Felsen – kaum verwunderlich, dass Mr. Vansee dem Fluss misstraut. Obendrein machen ihm jetzt auch noch Menschen das Bootsmannsleben schwer. China hat mindestens fünf Staudämme gebaut, Laos selbst einen. Mehrere weitere sind geplant. Die Landwirtschaft profitiert davon, dass sich die Jahreszeiten nicht mehr auf Dürre oder Überschwemmungen reduzieren lassen. Die Wasserkraftwerke versorgen nach und nach auch die entlegenen Dörfer mit Strom. Umweltschützer sorgen sich, dass die Artenvielfalt im Fluss bedroht wird. Weiter stromabwärts befürchten vor allem die Vietnamesen, dass bei ihnen nicht genug Wasser ankommt. Mr. Vansee spürt die Auswirkungen schon jetzt täglich. Der Fluss wird immer schwieriger zu lesen. Wenn die Chinesen eine Schleuse öffnen, kann es passieren, dass binnen Minuten der Pegel in Laos um mehrere Meter steigt. Oder sie halten das Wasser zurück, was ihn sinken lässt und die Schifffahrt noch gefährlicher macht. Da helfen auch keine Bananen mehr.

Erschienen im Tagesspiegel, Ausgabe vom 29. April 2018

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