celluloid Nr. 3/2013 Mai/Juni EUR 5.00
gegr端ndet 2000
filmmagazin
ARTIG. NICHT BRAV.
OLGAKURYLENKO RICHARD LINKLATER I ISABELLE HUPPERT I Steven Soderbergh I DANNY ELFMAN I OLIVIER ASSAYAS
LÉA SEYDOUX KACEY MOTTET KLEIN GILLIAN ANDERSON
WINTERDIEB SISTER
Crossing Europe 2013 Eröffnungsfilm
EIN FILM VON URSULA MEIER
AB 26. APRIL IM KINO
arti g , nicht bra v
celluloid
filmmagazin Ausgabe 3/2013 - 14. jahrgang Mai/Juni 2013
COVER
EDITORIAL
Liebe Leser,
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Olga Kurylenko Mit „To the Wonder“ schafft das einstige Bond-Girl den Umstieg ins ernste Fach. Wir trafen die gebürtige Ukrainerin zum Interview
Was kommt eigentlich nach Haneke? Ist der Hype um den österreichischen Film vielleicht nur eine Blase, wie man sie von der Börse kennt? Will heißen: Hat der Erfolg eine Basis, eine Substanz? Eine Frage, die die Branche zurecht beschäftigt. Und wie ist das mit den stetig darbenden Zuschauerzahlen für den heimischen Film im Inland? Ideas, anyone? Wir haben in dieser Ausgabe in einer ausgedehnten Fotostrecke elf derzeitige StudentInnen der Wiener Filmakademie vor den Vorhang gebeten, um nachzufragen, wie es um den Nachwuchs bestellt ist. Die Auswahl der StudentInnen haben sie untereinander selbst getroffen, sie geht quer durch alle Studienrichtungen. In einem Fragebogen teilen sie mit uns ihre Gedanken zum österreichischen Film, zu ihrer persönlichen Motivation, Filmschaffende zu werden und zur Lage der Arbeitssituation. Überraschend viele von ihnen sind bei etlichen Themen einer Meinung. Zugleich kristallisieren sich auch durchwegs eigenständige Künstlerpersönlichkeiten heraus. Das Ergebnis finden Sie auf Seite 34.
FEATURES 18 22 24 26 30 31 32 34
Steven Soderbergh Mit „Side Effects“ erzählt der Regisseur einen ungemein spannenden Thriller. Wir sprachen mit ihm, bevor er seine oftmals angekündigte Berufspause einlegt. Danny Elfman wird 60 Tim Burtons Lieblings-Komponist ist einer von Hollywoods meist- beschäftigten Musiker Jean-Paul Belmondo ist 80 „Bébel“ plant einen neuen Film Richard Linklater labert über seinen Laberfilm „Before Midnight“, in dem Julie Delpy und Ethan Hawke zum dritten Mal als Paar auftreten Olivier Assayas im Gespräch über „Die wilde Zeit“, in dem er seine Jugend Revue passieren lässt Isabelle Huppert über das Gefühl, eine Geisel von Brillante Mendoza zu sein Schlagerstar Ein österreichischer Dokumentarfilm blickt hinter die Kulissen der Volksmusik Filmzukunft Was kommt nach Haneke? Elf FilmstudentInnen über ihre Vorstellungen vom Beruf Filmemacher
FILMKRITIK 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57
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In diesem Sinne viel Vergnügen beim Lesen wünscht Ihnen
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Winterdieb Stoker No Captive Diamantenfieber Mutter und Sohn Schulden G.m.b.H. Ihr werdet Euch noch wundern Laurence Anyways The Grandmaster
Matthias greuling
Chefredakteur & Herausgeber celluloid@gmx.at
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TriviaScope: Johanna Orsini-Rosenberg Neues vom österreichischen Filmwunder News & Events: Identities, Vienna Independent Shorts Fernsehen & Heimkino: Der deutsche TV-Krimi in der Krise DVD & Blu-ray Der kleine Stampf
Fotos: Tuma; Filmladen; Constantin; Mobilefilm
RUBRIKEN
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celluloid O N L I N E : w w w . celluloid - filmmaga z in . com celluloid 3/2013
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TRI VIA SCO PE Diagonale/Alexi Pelekanos
Interessantes, neues und amüsantes aus der welt des films
johanna
orsini-rosenberg
Johanna Orsini-Rosenberg, Jahrgang 1968, hat einen klingenden Namen. Alter Adel. Die Eltern, Brigitte und Felix Orsini-Rosenberg sind Architekten. Aber keine Sorge: Man braucht für Frau Orsini-Rosenberg keine Audienz im klassischen Sinn. Im echten Leben lebt sie nämlich einen ziemlich bodenständigen Umgang. Ist gesellig, fröhlich, hellwach. Trinkt auch mal eine Runde „Kalaschnikov“ mit, wenn bei der Diagonale in Graz die Nightline im Kunsthaus brodelt. Und steht dort am Ende als Siegerin auf der Bühne: Ausgezeichnet für ihre furiose Performance als beste Hauptdarstellerin in Daniel Hoesls viel beachtetem „Soldate Jeannette“, der
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nach seiner Weltpremiere in Sundance auch in Rotterdam zu sehen war und dort den Hivos Tiger Award bekam. Ein Film wie eine Revolution gegen ausgelutschte Konventionen. Gedreht mit 65.000 Euro und ohne Drehbuch, zirkelnd um eine Frau (Orsini-Rosenberg), die sich von materiellem Wohlstand verabschieden muss - und will. Für Orsini-Rosenberg ist „Soldate Jeannette“ erst der zweite Film, nach einem Auftritt in „Mahler auf der Couch“ (2009) von Percy Adlon. Sonst ist Orsini-Rosenberg auf den Theaterbühnen von Burg, Volkstheater und in Göttingen zu sehen. Gern hat man sie auch für Kurzfilme gebucht, darunter für Arbeiten
von Hüseyin Tabak, Josef Dabernig und Jessica Hausner. Eine brotlose Kunst eigentlich. Auch für „Soldate Jeanette“ wurde sie - wie auch der Rest des Teams - nicht bezahlt. „Aber gut bekocht hat man uns“, lacht Orsini-Rosenberg. Die 3000 Euro Preisgeld von der Diagonale sind da eine späte und bescheidene Entschädigung. Aber die braucht jemand vom Format einer Johanna OrsiniRosenberg gar nicht. Denn sie wusste schon mit vier, dass sie eines Tages Schauspielerin werden würde. „Soldate Jeannette“ sollte dafür sorgen, dass man sie nun noch viel öfter zu Gesicht bekommt. Man geht dann zur Audienz einfach ins Kino. :-)
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TRI VIA SCO PE
Matt Damon in einem ersten Szenenfoto aus Sony Pictures‘ „Elysium“ (im Kino ab 23. August)
Interessantes, neues und amüsantes aus der welt des films
utopische
Sony Pictures
fantasien
Vier Jahre nach „District 9“, seinem Debüt als demiurgischer Regisseur, entwirft Neill Blomkamp mehr als eine Welt – er remodelliert unsere irdische Erde in Kombination mit einer darüber schwebenden, titelgebenden Raumstation Elysium; ein überirdischer Fortsatz des Planeten, der die Reichen, Schönen und ewig Gesunden beherbergt. Dem Trailer nach zu schließen hat der Regisseur diese Station als eine Variante eines sogenannten Stanford Torus konzipiert, eine vage an ein Donut erinnernde Konstruktion, die 1975 von der NASA tatsächlich als mögliches Habitat der Zukunft erdacht wurde. Im Film haben sich die Privilegierten vor dem zivilisatorischen Zerfall, der die Erde im Jahr 2159 heimsucht, dorthin gerettet, und verteidigen
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ihren Status mit schwer bewaffneten Robotern unter der Führung von Jodie Foster als Jessica Delacourt. Dieser gut abgeschirmten Insel der Seligen steht jedoch eine Infiltration durch einen überdurchschnittlich beharrlichen Stellvertreter der verzweifelnden Erdenbürger bevor: Mit einem angemessen futuristischen Anzug ausgestattet, will sich Matt Damon alias Max Coburn Zugang zu Elysium und damit zu essentieller medikamentöser Versorgung verschaffen. Nun ist weder die Vision der kaputten und zerstrittenen Erde noch die Idee des Durchschnittstypen, der ebenjene Welt zu retten versucht, besonders unverbraucht; das entscheidende Kernstück wird wohl
die schwebende Raumstation und Blomkamps Umgang mit ihr als Projektionsfläche utopischer Fantasien sein. Inwieweit er die Parteien in gut und böse unterteilt, ob er die populistische Perspektive der armen Erdenbürger wählt oder den Zuseher eventuell dazu verführen kann, selbst auf Elysium leben zu wollen und in ein moralisches Dilemma zwingt; all das wird maßgeblich sein für die letztendliche Qualität des Filmes. Gelingt es ihm, den Subtext in ähnlicher Weise wie in „District 9“ anzureichern und trotz des Blockbuster-Charmes Ambivalenz zu bewahren, könnte „Elysium“ durchaus zu einem der interessantesten Mainstream Filme des Jahres werden. Alexander Lohninger
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NEUES
VOM
FOLGE 1
o ffensichtlich
unendlichen
ÖSTERREICHISCHEN
FILMWUNDER IN WIEN HATTE TOM CRUISE EINE TOLLE ZEIT. VOR ALLEM SEIN BESUCH BEIM WELTRAUMSPRINGER FELIX BAUMGARTNER HAT IHM DEM VERNEHMEN NACH FREUDE GEMACHT.
STEFAN RUZOWITZKY WIRD „STRATOS THE MOVIE“ DANN INSZENIEREN.
I look better than him. I do. For sure. „Stratos - The Movie“ is gonna be a hit. With me in it. We‘re gonna make Felix the executive producer.
So Mr. Cruise, I heard you do your own stunts. That‘s cute.
Wartet‘s auf mich! Die Leut‘ sind heut ganz narrisch auf uns. Das is‘ ja wie beim Oscar da! Michael, wäre die Dame nichts für deinen US-Film?
Wart‘, ich frag g‘schwind die Susi...
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FORTSETZUNG FOLGT...
Fotos: Alexander Tuma
UNTERDESSEN BAHNT SICH ANDERNORTS EBENSO EINE NEUE ZUSAMMENARBEIT AN
Ich schau eh viel besser aus als er. Und ich hab‘ 3 Weltrekorde! Den Anzug trag‘ ich dann auch in Cannes, wenn ich Ozzy Osbourne treffe. Steht mir einfach. Ich bin gut, JA!
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OLGA KURYLENKO
ist eines dieser Models, die man auf der Straße entdeckte und die hinterher nicht nur James Bond und Tom Cruise den Kopf verdreht hat, sondern auch Terrence Malick. Mit dem drehte sie „To the Wonder“, einen der schönsten Bilderräusche der letzten Jahre. Wir trafen Kurylenko zum Gespräch.
FEST DER SCHÖN HEIT 10
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Foto: Tuma
Olga Kurylenko vor dem Belvedere bei ihrem Wien-Besuch anlässlich der Premiere von „Oblivion“ am 2. April
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In „Oblivion“ (derzeit im Kino) spielt Kurylenko die Ehefrau von Tom Cruise - in einer von der Apokalypse zerstörten Welt
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2005 dreht sie auch Filme - und James Bond brachte ihr den Durchbruch. Normalerweise sind die Rollen als Bond-Girls wahre KarriereEndstationen, doch für Kurylenko dürfte der Auftritt in „Ein Quantum Trost“ (2008) eine Initialzündung gewesen sein. Wir trafen Olga Kurylenko in Wien zum Interview. Frau Kurylenko, Sie sind derzeit mit dem Sci-Fi-Film „Oblivion“ in den Kinos. Warum glauben Sie, sind ScienceFiction-Filme für uns so interessant? OLGA KURYLENKO: Ich glaube, dass wir uns alle fragen, wie denn die Zukunft sein wird. Das ist die Frage, die sich jeder fortwährend stellt. Denn worüber denken wir Menschen denn nach? Manchmal über die Vergangenheit, wenn wir darüber reflektieren.
Über die Gegenwart denken wir hingegen kaum nach, denn dazu sind wir alle viel zu beschäftigt. Aber jeder fragt sich doch, was morgen sein wird, das beschäftigt uns. Die Zukunft ist ja das einzige Unbekannte dieser drei Zeiten: Vergangenheit und Gegenwart kennen wir. Die Zukunft kann nervenaufreibend sein, aufregend oder unheimlich. Wir wissen es nicht. Die Science Fiction-Filme füttern diese Sehnsucht nach der unbekannten Zukunft. Denn dort gibt es seltsame Wesen, Kreaturen, verrückte Maschinen, die denken oder sprechen können. Das beflügelt unsere Phantasie. Wie sieht es da mit Ihrer Phantasie aus? Die meisten solcher Filme entstehen heute vor dem Green Screen, die Schauspieler bekommen ja gar nicht
Foto: Universal Pictures
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ugegeben, die vorläufige Filmografie von Olga Kurylenko lässt nicht unbedingt auf eine Karriere voller Qualitätsarbeiten schließen. Die bisherigen Auftritte der 1979 in der Ukraine geborenen Schauspielerin beschränkten sich großteils auf Aufputz-Rollen in mehr oder weniger sinnfreien Blockbustern (siehe Seite 15) wie „Hitman“ (2007) oder „Max Payne“ (2008). Doch Kurylenko mausert sich zur ernstzunehmenden Aktrice - spätestens mit Terrence Malicks „To the Wonder“ beweist sie ihren Mut zu unkonventionelleren Projekten. Mit 13 wurde Kurylenko in Moskau von der Straße weg als Model gecastet, mit 16 zog sie nach Paris, mit 18 zierte sie die Covers von Elle, Marie Claire und Vogue. Seit
Einen Ausschnitt aus unserem Video-Interview finden Sie unter http://bit.ly/119Vkq5
Foto: Constantin Film
Filmkritik Filmstart: 31.05.13
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TO THE WONDER
it dem Alter wird dieser Mann offenbar richtig produktiv: Terrence Malick („Badlands“, „The Tree of Life“) hat bisher in 40 Jahren nur sechs abendfüllende Spielfilme gedreht, zwischen denen manchmal sogar 20 Jahre lagen. Aber mit 70 hat der öffentlichkeitsscheue Regisseur, der 2011 die Goldene Palme für „The Tree of Life“ bekam, gleich vier neue Filme in Planung, drei davon sollen noch 2013 erscheinen. Dafür macht sich der Regisseur rar: Malick tritt nie in der Öffentlichkeit auf, es gibt kein aktuelles Foto von ihm, nur eines, das mindestens 15 Jahre alt ist. Dieser Ausnahmekünstler hat seinen späten, intensiven Schaffensdrang nun mit seinem neuesten Film bestätigt: „To the Wonder“, ein elegisches, aber auch episches Liebesdrama, wurde bei seiner Weltpremiere im Wettbewerb um den Goldenen Löwen in Venedig im September 2012 gleichermaßen mit Applaus und Buh-Rufen bedacht; viele Kritiker sprachen von einer inhaltsleeren Restverwertung von „Tree fo Life“, auch, weil der Film in diesem ganz eigentümlichen visuellen Stil einer sich ständig bewegenden Untersicht verbleibt, die schon „Tree of Life“ eine beinahe kindliche Perspektive auf die Welt verlieh. Andere monierten die offensichtliche Verliebtheit des Regisseurs in die wunderschönen Züge seiner Hauptdarstellerin Olga Kurylenko; das Ex-Bond-Girl aus „Ein Quantum Trost“ lässt sich als (traum-) tänzerische Frau auf der Suche nach wahrer Liebe sprichwörtlich in die Arme von Ben
Affleck fallen und (lust)wandelt einer Ballerina gleich durch unzählige Sonnenauf- und –untergänge. Eine Altherrenphantasie sei das, eine ästhetisierte Fleischbeschau zwischen sexy Augenaufschlag und Körperbildern einer elfenhaften Kindfrau. Natürlich, so kann man diesen Film sehen, aber man kann auch hinter den Effekt von Malicks Bildern blicken, auf den Kern dieser poetischen, feinsinnigen Abbildung über das Betrügen und über das Betrogenwerden. Die Geschichte erschließt sich über die sehnsüchtigen Bilder und die noch sehnsüchtigeren, philosophischen Voice-Over-Texte der Protagonisten. Klassisch filmisch aufgelöste Szenen und Sequenzen gibt es hier nicht, alles gleitet wundersam ineinander, ist ein ruhiger Fluss ohne sichtbare Ufer, wie das Leben selbst. Die Struktur des Films gleicht mehr einer fließenden, nach allen Richtungen offenen Komposition denn einer abgeschlossenen Filmerzählung im 3-Akte-Schema. CLIMB UP THE STEPS „To the Wonder“ beginnt als Liebesromanze am Mont St. Michel in Frankreich, zu dem das verliebte Paar Marina und Neil (Kurylenko, Affleck) pilgert. „We climbed up the steps to the wonder“, heißt es im Off, während sie die Stufen emporsteigen und oben in gemeinsamer Glückseligkeit verharren. Später wird man in „To the Wonder“ wieder Stufen sehen, auf die Malick überdeutlich hinweist; es sind die Stufen zu einem Stundenhotel, in dem Marina Neil mit einem Fremden be-
trügen wird, weil sich in ihrer Gefühlswelt so einiges verschoben hat. Aber auch Neil wird mit seiner Jugendliebe Jane (Rachel McAdams) intim. Ein Priester (Javier Bardem) zweifelt dazwischen immer wieder an seiner Gottes-Berufung und bringt damit Malicks Thema auf den Punkt: Das Konzept einer lebenslangen, ewig lodernden Liebe darf zumindest angezweifelt werden, und niemand kann darauf vertrauen, die eigenen Gefühle auf Dauer bändigen zu können. „To the Wonder“ ist zudem ein Zeugnis von Terrence Malicks ungeheurem Urverständnis für die Ästhetik der Natur und die überwältigende Kraft der tiefstehenden Sonne, die alles Tun in ihrem Lichte romantisiert, verklärt, aber auch bedrohlich werden lassen kann. Der visuelle Link zu „Tree of Life“ weist aber keine Resteverwertung übrig gebliebener Ideen auf, sondern erweitert das Spektrum des Familiendramas um den Aspekt der romantischen Verklärung zwischenmenschlicher Beziehungen, aus denen es meist ein böses Erwachen gibt. „To the Wonder“ ist eine visuell wie auch erzählerisch intelligente Auseinandersetzung mit der „Lust & Trust“Unvereinbarkeit modernen Zusammenlebens. Er ist aber auch eine betörend schöne Abbildung seelischer Pein und sehnsüchtiger Erwartung. Wenn Olga Kurylenko den ganzen Film über immer wieder im Spitzlicht der Sonne tanzt, dann sind das schwebendleichtfüßige Momente voller kinematografischer Kraft, in einem der schönsten Filme seit vielen Jahren. Matthias Greuling
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Durchbruch als BondGirl an der Seite von Daniel Craig in „Ein Quantum Trost“ (auf DVD und Blu-ray erhältlich)
kommt, ist „To the Wonder“ von Terrence Malick. Konträrer geht’s wohl kaum. Dass „Oblivion“ und „To the Wonder“ fast zur selben Zeit in die Kinos kommen, ist natürlich toll, denn sie sind sehr unterschiedlich. Es wäre ja schade, wenn ich gleich zwei Sci-Fi-Filme hintereinander gemacht hätte. Ich mag die Abwechslung an meinem Beruf. Man kann keinerlei Parallelen zwischen diesen beiden Filmen finden. Für „To the Wonder“ gab es keinerlei Drehbuch. Für „Oblivion“ dafür ein umso präziseres. Und das musste auch so sein, denn ein Sci-Fi-Film wie dieser, der so aufwändig ist und so viele Maschinen, Installationen und technische Dinge enthält, braucht eine genaue Anleitung. Wenn man da nicht präzise ist, wenn man da nicht probt und monatelang an den Sets baut, geht das Vorhaben schlicht daneben. Mit Terrence Malick war es genau andersrum. Es gab keine Sets. Nur eine Kamera, die auf der Schulter getragen wurde und die mir folgte, von einem Feld ins nächste. Alles ist sehr natürlich. Man hat das Gefühl, man dreht einen Dokumentarfilm, dabei ist es Fiktion. Die Story wird dir nicht auf einem Blatt Papier aufgeschrieben, sondern Malick erzählt sie dir mit seinen eigenen Worten. Malick dreht von morgens bis abends, er macht keine Pausen. Beim Dreh zu „Oblivion“ hingegen gab es viele Pausen. Denn wenn man das Studio in die Luft jagt, muss man es nachher wieder sauber kriegen. Aber in Terrence Malicks Filmen explodiert nichts! Und er improvisiert auch gerne. Was wiederum dazu führt, dass er niemals probt. mit, in welchem Setting sie spielen, bevor sie nicht den fertigen Film aus dem Rechner sehen. Als ich das Drehbuch zu „Oblivion“ bekam - ich sage es Ihnen ganz ehrlich - konnte ich mir unter vielen Figuren oder Beschreibungen rein gar nichts vorstellen. Erst als ich die visuellen Entwürfe dazu sah, wurde mir klar, wie der Film aussehen würde. Aber das ist ganz logisch. Denn auf dem Papier stehen ja nur Worte, und wenn Sie einen Sessel oder einen Tisch beschreiben, dann kann sich jeder darunter etwas vorstellen. Aber wenn man einen Science-Fiction-Film ohne Bilder
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liest, und dann steht da „Raumschiff in Form einer Blase“ oder „Drone“, weiß man nicht, was das ist. Erst die Storyboards brachten Licht ins Dunkel. Regisseur Joseph Kosinski hat mir mit seinen Entwürfen eine ganz neue Welt gezeigt. Er selbst hat einen Background in Architektur, entwirft also für sein Leben gerne, und die Geschichte, die er erzählt, entstammt auch seiner Feder. Er hat sie als Graphic Novel veröffentlicht, und vieles, was er erzählt, hatte er daher bereits vorab prävisualisiert. Der zweite Film, der nun in die Kinos
Das bedeutet, Malick stößt seine Schauspieler in gewisser Weise ins kalte Wasser? Malick hat mir nur erzählt, worum es geht. Ich sog wie ein Schwamm alles in mich auf, was er sagte und wurde so zu der Figur, die ich spiele. Das heißt, ich hatte irgendwann das Gefühl, gar nicht mehr spielen zu müssen, sondern nur noch zu sein. Das führte auch dazu, dass ich in der Rolle blieb, wenn wir nicht drehten. Und dass Malick mich manchmal filmte, ohne, dass ich es wusste. Hinzu kommt, dass Malick gerne spontan etwas an seinem Konzept ändert. Das heißt,
Die Filme von Olga Kurylenko
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Fotos: TCFHE; Filmverleiher, zVG
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1 PARIS, JE T‘AIME (2006) Im Segment „Quartier de la Madeleine“ des Episodenfilms spielte Kurylenko eine Vampirin. 2 HITMAN (2007) war Kurylenkos erster Auftritt in einem US-Blockbuster. Der Regisseur war Franzose: Xavier Gens. 3 MAX PAYNE (2008) Bald schien sie auf das rote Seidenhemdchen abonniert und schmachtete diesmal an Mark Wahlbergs Brust. 4 JAMES BOND: EIN QUANTUM TROST (2008) war ihr internationaler Durchbruch im gefährlichen Metier der Bond-Girls. 5 KIROT (2009) Es folgten die typischen After-Bond-Rollen: In „Kirot“ war sie eine von der russischen Mafia zur Killerin Gezwungene. 6 CENTURION (2010) In dem pseudohistorischen Action-Adventure stand Olga bereits neben Michael Fassbender auf dem Plakat. 7 THERE BE DRAGONS (2011) Kurylenkos erster Ausflug ins „Anspruchsvollere“, in Roland Joffés Kriegsdrama. 8 SEVEN PSYCHOPATHS (2012) Gleich nach „To the Wonder“ wirkte sie in Martin McDonaghs Ensemble-Crime-Comedy mit. 9 THE EXPATRIATE (2012) Mit Aaron Eckhart und dem bayerischen Regisseur Philipp Stölzl („Nordwand“) drehte sie diesen Thriller. 10 EMPIRES OF THE DEEP (2014) heißt Kurylenkos neues Projekt: In der Sci-Fi-Story der Regisseure Michael French und Scott Miller
wird es um die in einer mystischen Welt angesiedelte Beziehung zwischen einem Menschen und einer Meerjungfrau gehen.
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Foto: Constantin Film
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Bilderrausch in der untergehenden Sonne: „To the Wonder“ dreht sich um die Liebe und die Frage, ob sie Vergnügen oder Pflicht ist
man ist als Schauspieler niemals wirklich vorbereitet darauf, was als nächstes kommt. Das half mir zum Beispiel, mich noch besser auf die Figur zu konzentrieren. Würden Sie ihn als sehr spontanen Filmemacher bezeichnen? Ja und nein. Denn zugleich überlässt Malick auch nichts dem Zufall. Er will immer verschiedene Versionen von dem drehen, was er sich vorstellt. Das bringt mit sich, dass am Ende viel mehr Material entsteht, als dann im Film landet. Man hätte daraus sicher fünf Filme machen können. Malick ist sehr wichtig, dass er sich die Entwicklung der Geschichte während des Drehens offen hält. Es kann sich also jederzeit Entscheidendes verändern. Alles entsteht also erst später beim Schnitt? Ja, genau. Zuerst gab es zum Beispiel ein
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sehr trauriges Ende bei „To the Wonder“, doch jetzt hat er sich für eine andere Version entschieden. Er muss ständig mit dem Material spielen können, dreht mehrere Enden und sogar Anfänge, und kann dann damit experimentieren. „To the Wonder“ ist kein einfacher Film, das ist klar. Aber es lohnt sich, ihn anzusehen, weil er sehr viel Tiefgang bietet. Und weil er so wunderbar über die Magie von Beziehungen spricht. Man bekommt bei „To the Wonder“ auch den Eindruck, es wäre ein immerwährender, einziger Tanz. Malicks Anweisungen gingen immer in die Richtung, niemals mit der Bewegung vor der Kamera aufzuhören. Er sagte: Tanze, laufe, egal, aber bitte bleib niemals stehen. Meine Figur hat das aber perfekt beschrieben, vor allem ihre Verrücktheit, denn sie ist in einem emotional sehr schwierigen Stadium, bei dem
sich Hochs und Tiefs ständig abwechseln. Was ist Ihrer Meinung nach die These, die dieser Film verfolgt? „To the Wonder“ dreht sich um die Liebe. Es geht um die Frage, ob die Liebe ein Vergnügen oder eine Pflicht ist. Javier Bardems Figur, ein Priester, meint, sie sei eine Pflicht. Aber kann sie das sein? Im Film heiratet mich Ben Afflecks Figur aus Pflichtbewusstsein. Während sich meine Figur immerzu selbst zerstört, durch diese Liebe. Der Film wirft aber die Frage auf, ob es nicht um mehr geht als um eine persönliche Liebe zwischen zwei Menschen, nämlich um eine sehr umspannende Liebe zur Natur und zu Gott. Und wenn man das weiterdenkt, dann geht es eigentlich um die Frage, ob man die persönliche Liebe braucht, um die allgemeine überhaupt zu verstehen. Interview: Matthias Greuling/Paul Heger
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interview Steven Soderbergh im celluloid-Gespräch über „Side Effects“,
und warum er jetzt eine längere Pause vom Filmemachen braucht.
Doppelt so gut wie
Kubrick
Fotos: Tuma; Constantin
Filmstart: 26.04.13
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Jude Law traut seinen Augen nicht, in Steven Soderberghs „Side Effects“
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ange Zeit galt Steven Soderbergh als das Wunderkind des amerikanischen Independentkinos. Mit „Sex, Lügen und Video“ erhielt er 1989 als jüngster Regisseur überhaupt die Goldene Palme in Cannes. Seinen frühen Erfolg quotierte er mit den Worten „Von nun an kann es nur noch bergab gehen“. Er sollte sich irren, denn es ging stetig bergauf. Spätestens seit seiner Doppelnominierung als bester Regisseur bei den Oscars 2001 für „Erin Brokovich“ und „Traffic“ und seinem Gaunerkomödien-Triple mit der „Oceans“-Reihe war Soderbergh im künstlerisch anspruchsvollen Hollywoodolymp angekommen. Sein neuester und neben dem Fernsehfilm „Behind the Candelabra“ (mit dem er heuer im Wettbewerb von Cannes steht) vermutlich für eine längere Zeit letzter Kinofilm ist „Side Effects“ mit Jude Law und Roony Mara. Ein Film über die vermeintlichen Nebenwirkungen von Antidepressiva. Zumindest in der ersten halben Stunde. celluloid: Mister Soderbergh, eigentlich sollten wir über ihren neuesten Film „Side Effects“ sprechen. Aber das müssen wir erstmal hinten anstellen. Es gibt immer wieder Gerüchte, dass sie aufhören wollen mit dem Filmemachen. Was ist da dran? Steven Soderbergh: Ja, es stimmt. Ich will eine Pause machen. Keiner weiß, wie lange sie sein wird. Sind Sie müde? Nicht müde, eher ausgelaugt. Ich brauche
einen Neustart. Es ist, als würde ich immer und immer wieder gegen eine Wand rennen. Ich muss die Dinge einfach mal aus einem anderen Winkel betrachten können. Liegt es an Ihnen und Ihrer Kreativität oder am System? Es gibt viele verschiedene Faktoren. Ich muss sie auch gar nicht alle kennen. Alles, was ich wissen muss, ist, dass es für mich Zeit wird, mich von meiner Filmemacherhaut zu lösen und eine neue wachsen zu lassen. Der Gedanke reift in mir schon seit über fünf Jahren. Die Dinge verändern sich. „Side Effects“ und „Magic Mike“ waren zwei Filme, die eigentlich nicht geplant waren. Ich bin bei „Moneyball“ rausgeflogen und habe stattdessen „Haywire“ gemacht. Da habe ich Channing Tatum kennengelernt, und ehe ich es mich versah, steckte ich mitten in den Vorbreitungen zu „Magic Mike“. Das sind alles Filme, die ich auf keinen Fall bereue, aber ich merke, dass es Zeit für einen Tapetenwechsel wird. Ist ein Leben ohne Film für Sie überhaupt möglich? Natürlich. Seit ich 12 war, bin ich ein Filmnerd. Das ist eine lange Zeit, um von etwas besessen zu sein. Ich habe viel Zeit ins Filmgeschäft investiert. Wenn man Quanität vor Qualität setzt, bin ich doppelt so gut wie Stanley Kubrick. Wird es so einfach sein, eine Obsession abzustreifen und mit anderen Dingen weiterzumachen? Ja, vor allem wenn es sich so anfühlt, als
ob man mit der Obsession nicht weiterleben kann – zumindest nicht so, dass es sich gut anfühlt. Spätestens beim nächsten Film würde sich das richtige Gefühl nicht mehr einstellen. Ich kann nicht mehr einfach so auf ein Set gehen und denken, ich hätte hier alles im Griff. Ich liebe diesen Job zu sehr, um ihn nur noch halbherzig zu machen. Es wird Zeit, Platz zu machen für eine neue, frische Generation von Filmemachern. Leute, die noch brennen. Die Frage der nächsten Jahre wird sein, ob ich dieses Gefühl irgendwann wieder haben werden kann. Kann ich wieder ein Amateur werden? Um ehrlich zu sein, ich weiß nicht, ob ich das alles einfach wegspülen kann. Aber ich werde es versuchen. Wie haben Sie sich auf diesen Abschied vorbereitet? Ich wusste, dass 2012 mein letztes Arbeitsjahr wird und habe jeden Tag mit einem roten Stift in einem Kalender durchgestrichen. Das Hintergrundbild auf meinem Telefon ist ein Bild von mir, wie ich den 31. Dezember durchstreiche. Ich wusste einfach, dass ich an diesem Tag mit allen Filmen fertig bin. Der 31. Dezember 2012 war das Ende eines Kapitels. Das war mehr als befriedigend. Das letzte „X“ zu machen. Und danach kam ein tiefes Loch? Nein, gar nicht. Vor ein paar Wochen habe ich meinen Bruder getroffen – das erste Mal seit langem. Er hat sofort zu mir gesagt, ich sähe anders aus. Einfach viel präsenter. Das muss ein Zeichen sein. Einfach, weil ich nichts im Nacken sitzen habe, keinen Film,
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interview
Fotos: Constantin Fotos: Filmladen
„Filme wie ‚Side Effects‘ sind vor 20 Jahren aus der Mode gekommen“
Kollegen mit unterschiedlichen Berufsvorstellungen: Catherine ZetaJones und Jude Law in „Side Effects“
kein Drehbuch, das meine Aufmerksamkeit fordert. Ich stecke das erste Mal seit 15 Jahren nicht bis zum Hals in den Vorbereitungen für irgendeinen Film. Im Notfall können Sie ja auch zu Tabletten greifen. Wie Roony Mara in „Side Effects“. Sie werden lachen. Ich habe erst heute morgen eine Tablette genommen. Einen Betablocker. Um mich für die Interviews auf ein gewisses Level zu puschen. Die Dinger helfen da wahre Wunder. Das sagen Sie einfach so, obwohl Ihr Film eine Art Abrechnung mit der amerikanischen Pharmaindustrie ist. Zumindest im ersten Drittel. Kann man „Side Effects“ als eine Art Kommentar über den Medikamentenmissbrauch in den USA verstehen? Wenn Sie so wollen, ja. Wobei mich in erster Linie die Interaktion zwischen der Pharmakologie, den Ärzten und der Gesetzgebung gereizt hat. Das kollidiert doch in jeder Hinsicht. Um ehrlich zu sein: Ich selbst hatte noch nie eine Depression, ich kenne zwar viele Leute, die darunter gelitten haben, weiß aber nicht, wie sich das genau anfühlt. Ich kann mir nur vage vorstellen, dass man zu allem bereit wäre, um da rauszukommen. In diesem Fall dann eben mit Antidepressiva – Nebenwirkungen hin oder her?
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Rooney Mara und ihr Film-Ehemann Channing Tatum geraten an die Grenzen psychischer Belastung
Es geht doch gar nicht so sehr um den Medikamentenmissbrauch, sondern einfach nur darum, dass die depressiven Phasen nicht zu tief und die manischen nicht zu hoch sein sollten. Es geht darum, eine Balance zu finden. Ich glaube, letztendlich ist dieser Ausgleich auf einem einigermaßen normalen Level am Ende des Tages effektiver, als von einem Haus springen zu wollen. Zur gleichen Zeit fühlt es sich aber auch nicht wie das echte Leben an. Ein Dilemma, aus dem auch ein Film nicht raus helfen kann. Ein Grund dafür, dass Ihr Film nach knapp 35 Minuten in eine vollkommen andere Richtung driftet und zu einem Psychothriller wird? In gewisser Weise ja. Diese falsche Fährte war schon im Skript einfach nur ein genialer Schachzug. Nach den ersten Seiten dachte ich, ok, es geht um eine junge Frau mit einem Problem. Und dann kommt alles ganz anders. Der Drehbuchautor Scott Z. Burns hat mich damit schon in „Contagion“ überrascht: Eben nicht das Offensichtliche zu tun, sondern den Zuschauer hinten rum zu überraschen. Damit kann man den Zuschauer aber auch schnell verärgern. Na und? In Amerika gab es allen Ernstes Leute, die sagten, sie hätten gerne einen Film nur über Depressionen gesehen. Aber genau das will ich doch nicht. Das ist doch dumm und langweilig. Das will ich im Kino nicht se-
hen. Keiner will das. Das sehen wir doch schon im echten Leben jeden Tag auf der Straße. Es ist doch geradezu genial, dass Scott Z. Burns hier den sozialen Kontext als trojanisches Pferd nutzt und diesen Thriller darin versteckt, um ihn dann langsam mitten im Film frei zu lassen. Filme wie „Side Effects“ haben im amerikanischen Kino eine lange Tradition und sind vor knapp zwanzig Jahren aus der Mode gekommen. Ich sage nur Hitchcock. Sie scheinen solche Experimente zu lieben. Das Publikum mit etwas zu konfrontieren, das ihren Sehgewohnheiten widerspricht. Einer muss das Publikum ja fordern. Aber man muss auch immer vorsichtig sein mit Experimenten. Vor allem damit, nicht zu viel Geld auszugeben und im Notfall in den Sand zu setzen. Ein guter Freund hat mir mal verraten, dass er nach „Voll Frontal“ so sauer auf mich war, dass er mich am liebsten umgebracht hätte. Er konnte einfach nicht glauben, dass ich einen Film so enden lasse. Wie haben Sie reagiert? Ich hatte in dem Fall keine andere Wahl. Der Film musste so enden. Am Ende des Tages geht es doch um den stummen Vertrag zwischen Publikum und Filmemacher. Das auszuloten war spannend. Es ist ein schmaler Grat, aber genau darum geht es beim Filmemachen. Kino ist immer eine Grenzerfahrung. Interview: Anna Wollner
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porträt
Der Herr der
Töne
DANNY ELFMAN. „Filmmusiken zu er-
schaffen ist zehnmal so schwer, als in einer Band zu sein“, sagt der Filmkomponist, der Ende Mai 60 wird. Elfman hat die Blockbuster-Musik der vergangenen 30 jahre maßgeblich mitgestaltet
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ch starre auf meine Keyboards und auf den Monitor, trinke Kaffee, experimentiere herum und arbeite dann bis zwei Uhr nachts.“ Wenn Danny Elfman von seiner Arbeit erzählt, wirkt es so, als ist die Angst vor einem leeren Blatt Papier ständig spürbar. Er braucht Ruhe, um zu komponieren, ist gerne für sich und tüftelt intensiv an den Umsetzungen seiner Ideen für einen Soundtrack. Oft experimentiert er herum. Das liegt daran, dass Elfman mit ganz unterschiedlichen Musikstilen aufgewachsen und speziell am Anfang seiner Karriere sehr viel gereist ist. Der am 29. Mai 1953 in Los Angeles geborene Sohn eines Lehrerehepaars, interessierte sich schon in jungen Jahren dafür, selbst zu musizieren und lernte als erstes Geige. Später kamen Posaune, Schlagzeug sowie weitere Perkussioninstrumente hinzu, die er mal als seine „erste Liebe“ bezeichnete, aber auch Klavier, Gitarre und Gesang. Nachdem er bereits in der Highschool eine Ska-Band gegründet hatte, ging er nach Frankreich, bereiste mehrere Teile Afrikas und experimentierte mit Musik aus Bali. Die Mischung aus verschiedenen Musikstilen, Einflüsse unterschiedlichster Herkunft, aber auch alle Formen von zum Teil absurdem Theater faszinierten ihn. Als kleiner Junge ging er viel ins Kino. Einmal erwähnte er in einem Interview, dass er quasi in einem „örtlichen Kino in L.A. mit Horror-, Fantasy- und Abenteuerfilmen aufgewachsen“ ist. „Es war Bernard Herrmann, dessen Musik mich nicht mehr losließ“, so Elfman. „Als ich elf Jahre alt war, sah ich ‚Der Tag an dem die Erde stillstand’. Da merkte ich, was
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für einen Einfluss die Filmmusik haben kann. Später kam noch eine Leidenschaft für Nino Rota hinzu“. Diese Faszination für Horror- und Science-Fiction-Filme war es auch, die Tim Burton und Danny Elfman immer geteilt haben. „Sein Idol war Vincent Price und meines war Peter Lorre. Das hat wohl unsere Beziehung definiert: der Gefolterte und der Folterer“, sagte er auf der Comic Con in San Diego. VON DER BAND INS FILMGESCHÄFT Doch bevor die beiden Künstler sich kennen lernten, und fortan gemeinsam an 15 Filmen arbeiteten, musizierte Elfman in zwei Bands. Die erste nannte sich „Le Grand Magic Circus“ und umfasste 15 Musiker. Die zweite, mit immerhin acht Musikern, hieß „The Mystic Knights of Oingo Boingo“. Sein älterer Bruder Richard gründete sie 1972. Später wurde sie in das prägnantere „Oingo Boingo“ umbenannt. Vier Jahre später wurde Danny zum Chef und machte seine erste Soundtrack-Erfahrung. 1978 wirkte er an der Filmmusik zu „Forbidden Zone“ mit, die noch keinen bleibenden Eindruck hinterließ, aber die kreativen Klänge von „Oingo Boingo“ weckten das Interesse des damals gerade 27-jährigen Regieneulings Tim Burton. Der plante nach seiner Arbeit als Disney-Zeichner und Schöpfer von Kurzfilmen seinen ersten Spielfilm. „Tim kam auf mich zu, als ich in der Band Oingo Boingo war“, so Danny Elfman, „und ich wusste zu der Zeit nicht, was er von mir wollte. Er sagte, er wollte Musik für einen Film über Pee Wee Herman, an dem er saß. Ich fragte: einen Song? Und er sagte, nein, einen Soundtrack! Da war ich verwirrt. Dann
hat es mir viel Spaß gemacht. Ich dachte nicht darüber nach, was andere über die Musik denken. Ich hatte ja einen anderen Job und musste mich nicht darum bemühen, den eines Filmmusikkomponisten zu bekommen. Ich beschloss, mir keine Gedanken darüber zu machen, ob ich danach an weiteren Filmen arbeiten werde.“ Die Newcomer verstanden sich prächtig, spielten mit verrückten musikalischen Ideen und verwendeten passend zur kindlichen Hauptfigur sogar Kinderspielzeug zur Klangerzeugung. „Zu der Zeit war Tim Burton nicht bekannt“, sagt Elfman. „Wir sind zusammen bekannt geworden. Jedes Mal wenn er dann an einem anderen Film arbeitete, fragte er mich, ob ich wieder dazu kommen wollte. Was ich auch tat. Als nächstes machte er ‚Beetlejuice’, für mich war es aber schon der fünfte Film. Er drehte dann ‚Batman’, der für mich zur zehnten Filmmusik wurde.“ Dank Burton wurden auch andere Regisseure und Produzenten auf Elfmans Künste aufmerksam, doch eine so lange anhaltende Zusammenarbeit wie mit Burton ergab sich nie. „Jeder seiner Filme erlaubte es mir, mich neu zu definieren“, sagt Elfman. „Erst war ich der, der die Komödien macht, dann der mit den schrägen Ideen, dann der mit der großen epischen Musik, dann der, der die Liebesromanze orchestriert. Tim erlaubte es mir, mit allen Genres zu experimentieren. Das hat mir neue Türen geöffnet.“ So folgten ganz unterschiedliche Themen für Filme wie „Midnight Run“, „Dick Tracy“, „Sommersby“, „Mission Impossible“ und „Spider-Man“. Und welche Vorgehensweise hat Dan-
Meilensteine einer Karriere: Elfman schrieb unter anderem die Filmmusiken zu „Beetlejuice“ (1988), „Batman“ (1989), „Good Will Hunting“ (1997), „Oz the Great and Powerful“ (2013), „Spider-Man 3“ (2007) und „Mission Impossible“ (1996)
ny Elfman nun genau, wenn er wieder mal vor einem leeren Blatt Papier sitzt? „Zuerst einmal muss man sich selbst suchen, herausfinden was der eigene Klang und die Motivation sind. Außerdem muss man bereit sein, unglaublich hart dafür zu arbeiten. Filmmusiken zu erschaffen ist zehnmal so schwer, wie in einer Band zu sein.“ Und das liegt wohl nicht nur an der Einsamkeit, der Diskussion mit Regisseuren, Produzenten und Studioverantwortlichen. Sechs bis zwölf Wochen hat er zumeist nur Zeit, um einen kompletten Soundtrack zu erschaffen. Nach seinen Angaben kommt alle zwei oder drei Tage ein Regisseur vorbei und man diskutiert die entstandenen Klänge und Melodien. Da ist man nicht immer einer Meinung. Zweimal zerstritten sich Elfman und Burton so sehr, dass der Regisseur bei den Filmen „Ed Wood“
und „Sweeney Todd“ mit anderen Komponisten zusammen arbeitete. Doch man vertrug sich wieder. „Wir brauchten einfach eine Pause“, sagt Burton beschwichtigend. Geradezu traumatisch verlief die Arbeit mit Sam Raimi an „Spider-Man 2“, dem Elfman vorwarf, ihm nicht genug Zeit zu lassen und ständig dreinzureden. SCHWIERIGKEITEN BEI „BATMAN“ Auch der erste „Batman“-Film war nicht einfach, so Elfman: „Es war der schwerste Job, denn das Studio und der Produzent wollten mich nicht dabei haben, sondern nur Regisseur Tim Burton, der damals aber noch keine Macht und nur lustige kleine Komödien gedreht hatte. Eine Zeit lang sollten Michael Jackson das Batman-Thema, Prince das Joker-Thema und George Michael das Liebesthema erschaf-
fen. Ich sollte der Kapitän des Ganzen sein, mag aber keine Schiffe. Ich bin gegangen, sie arbeiteten mit einem anderen Komponisten, holten mich zurück, und ich forderte, dass ich allein daran arbeitete. Dann ist der Soundtrack ja auch ganz okay geworden.“ Bescheiden ist er geblieben, der dreifache Vater, der seit dem Jahr 2003 mit der Schauspielerin Bridget Fonda verheiratet ist, viermal für einen Oscar nominiert war und inzwischen über 100 Soundtracks komponiert hat. Das liegt wohl auch daran, dass er sich selbst nicht so wichtig nimmt und viel Humor hat. „Ich weiß, dass andere Komponisten Farben sehen oder Gerüche in der Nase haben, wenn sie komponieren, aber bei mir ist nur alles grau. Es ist so, als wenn man in den Dreck greift und nach seltenen Steinen sucht.“ Siegfried Tesche
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hommage
BĂŠbel
Jean-Paul Belmondo 2011 am roten Teppich bei den Filmfestspielen in Cannes, wo man ihn fĂźr sein Lebenswerk ehrte
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Foto: Alexander Tuma
verlernt das lachen nicht
JEAN-PAUL BELMONDO.
Am 9. April wurde die Filmlegende 80 Jahre alt. An den Ruhestand denkt Belmondo nicht - er hat einen neuen Film in Planung, nach über fünf Jahren Leinwandabsenz.
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ch dachte nie daran, eines Tages berühmt zu werden. Ich war gerade gut genug für Nebenrollen, clevere Dienstboten und listige Bauern zum Beispiel. Mit meinem Gesicht hatte ich nichts von einem Verführer an mir, und zu jener Zeit spielte das Äußere noch eine wichtige Rolle. Was ich damals nicht vorausahnte, kann ich noch kaum glauben.“ Diese Aussage stammt aus dem Jahr 1960. Gerade war Jean-Luc Godards Film „Außer Atem“ in die Pariser Kinos gekommen, und der damals 27-jährige Sohn eines Bildhauers und einer Tänzerin war plötzlich in aller Munde. Vier Jahre zuvor hatte er erstmals vor der Kamera gestanden, doch sein neunter Filmauftritt bescherte ihm schon Weltgeltung. Belmondo ist als kleiner Gangster zu sehen, der einen Wagen klaut, einen Mann erschießt und bei der von Jean Seberg gespielten Zeitungsverkäuferin in Paris Unterschlupf findet. Der Film gilt als der Klassiker der „Nouvelle Vague“. Dass der undisziplinierte Schüler, frühere Fußballer und Boxer Belmondo, der aus einer Prügelei unter Gleichaltrigen mit einer kaputten Nase hervorging, mal als Star oder gar als Idol gefeiert werden würde, war ihm immer suspekt. Zwar entwickelt er schon früh eine Begeisterung für die Kunst, schätzt die Musik von Mozart und die bildhauerischen Fähigkeiten seines Vaters, aber die Schauspielerei ergreift er erst, nachdem er sich das Einverständnis seiner Eltern geholt hat. Ein Freund namens André Brunot rät ihm ab, und die „zermatschte Salzkartoffel“, wie er seine Nase damals nannte, war sicherlich auch nicht hilfreich. Aber Belmondo boxt sich, im wahrsten Sinne des Wortes, durch. Was beim Boxsport gilt, den er mit Leidenschaft betreibt, gilt für ihn auch beim Schauspiel. Vier Jahre lang besucht er das Konservatorium. Freunde bezeichnen ihn als „aufrichtig, gerade, natürlich und nicht snobistisch.“ Auch bescheiden ist der junge Mann, der mit einer Ente durch Paris kurvt und sich viel in Museen aufhält. Schon mit 17 Jahren steht er auf der Bühne, geht mit Theaterstücken auf Tournee und feiert erste Achtungserfolge. „Ich glaube, dass ich Charme besitze“, sagt er einmal, recht bescheiden über seine Leistungen. Regisseure und Kollegen sehen das wohl anders, denn sein Ansehen steigt. Die Rollen werden verantwortungsvoller. Aber auch die Damenwelt
wird auf den jungen Mann aufmerksam. Am 27. Januar 1959 heiratet Belmondo im Alter von gerade mal 25 Jahren zum ersten Mal. Die Ehe mit Reneé Constant hält knappe sieben Jahre. Bis dahin ist er dreifacher Vater. Eine außereheliche Beziehung zu Ursula Andress führte zur Trennung. Später kommen eine weitere Ehe und ein viertes Kind hinzu. Beruflich war Belmondo, der von seinen Landsleuten damals schon zärtlich „Bébel“ genannt wurde, wesentlich erfolgreicher. Vor allem Philippe de Brocas überdrehte Komödie „Abenteuer in Rio“ aus dem Jahr 1964 verschaffte ihm einen Schub. Er drehte wie verrückt, zum Teil bis zu fünf Filme pro Jahr, und beweist, dass er nicht nur mit vielschichtigen Charakteren wie Gangstern, Abenteurern und Draufgängern brillieren kann, sondern auch als raubeiniger Komödiant, der sich nicht vor gefährlichen Stunts drückt. Später
„Ich werde versuchen, 98 Jahre alt zu werden“ jean-paul belmondo
sagte er dazu: „Ich glaube, dass alles zu seiner Zeit richtig ist. Ich habe damals, als ich auch körperlich noch in der Verfassung dazu war, diese Action Filme gedreht. Da konnte ich Stunts machen, aus dem Hubschrauber fallen, oder über Dächer springen. Aber seit ich ‚Kean’ gespielt habe im Pariser Théâtre Marigny, habe ich mich verändert. Da war für mich die Zeit gekommen ernstere Rollen anzunehmen. Ich habe mich ja zunächst in den Filmen der so genannten ‚Nouvelle Vague’ engagiert und dann erst in Action Filmen mitgespielt. Man kann das vielleicht mit dem Beruf eines Malers vergleichen. Er durchlebt ja auch verschiedene Schaffensperioden und erfährt immer wieder andere Phasen in seinem Leben, in denen es immer wieder Neues gibt und auch geben muss.“ Seine actionreiche Schaffensperiode endete nach den Dreharbeiten des Films „Der Boss“, bei denen er sich bei einem Stunt am Kopf verletzte. Speziell in den 70er und 80er Jahren war Jean-Paul Belmondo dank Filmen wie „Der Unverbesserliche“, „Der Windhund“, „Fröhliche Ostern“ und „Der Puppenspieler“ ins leichte Fach gewechselt und wurde als euro-
päischer Action-Star zum Publikumsliebling. Eine kleine Anekdote, wie er sich auch über dieses Image lustig machte, mag das verdeutlichen. Nach einem Publicity-Auftritt und einer Pressekonferenz im Münchner Hotel Bayerischer Hof, verließ er den Raum, ging auf eine Glasstür zu, tat so als wenn er sie nicht sah, und krachte mit dem Kopf dagegen. Doch das Entsetzen der ihn begleitenden Herrschaften, wozu der Autor dieses Artikels zählt, wich schnell einem herzhaften Lachen, denn Belmondo hatte den Zusammenprall nur gespielt, fasste sich nur kurz an den vermeintlich lädierten Kopf, lachte ebenfalls herzhaft und öffnete danach die Glastür – selbstverständlich unverletzt. Eine Person, um die viel Aufhebens gemacht wurde, wollte er nie sein, aber die Lacher hatte er immer gerne auf seiner Seite. „Wenn man ein Star ist, ist man nichts weiter als eine Toilettenseife“, sagte er zu dem Brimborium um seine Person und sah das Ganze durchaus selbstkritisch. „An dem Tag wo die Seife nicht mehr schäumt, gibt sich keiner die Mühe, sie aufzubrauchen, selbst wenn die Hälfte davon noch da ist“. Dass er sich dennoch so lange im Filmgeschäft gehalten hat, ist nicht nur seiner Bescheidenheit geschuldet, sondern sicher auch der Tatsache, dass Belmondo sich immer darum gekümmert hat, gute Leute als Partner zu haben und mit guten Regisseuren zu arbeiten. „Wir sind auf dieser Welt, um uns zu bemühen, stets zu lernen“, hat er einmal Mozart zitiert, dessen Stil und Musik er schätzt. Nach über 80 Filmen hatte er sich 2008 von der Präsenz vor der Kamera zurück gezogen, doch verschiedenen Quellen nach dürfte „Bébel“ rückfällig geworden sein: Demnach wird er in diesem Jahr in der Claude Lelouch Komödie „Les Bandits Manchots“ wieder auf der Leinwand auftauchen. Nach einem Schlaganfall im Jahr 2001 dachten viele schon, dass man ihn nicht mehr öffentlich sieht, doch Belmondo kämpfte sich zurück und nahm 2011 bei den Filmfestspielen in Cannes einen Preis für sein Lebenswerk entgegen. Er kam mit schlohweißen Haaren, breitem Lachen, sehr viel jüngerer Freundin und Gehstock. Bis zum Lebensende zurückziehen will er sich nämlich nicht: „In Frankreich gab es mal den Schauspieler Charles Vanel“, so Belmondo. „Der hat gespielt, bis er 96 Jahre alt war. Ich werde versuchen, 98 zu werden.“ Siegfried Tesche
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interview RICHARD LINKLATER hat mit Julie Delpy und Ethan Hawke zum dritten Mal
dialoglastiges Beziehungsleben inszeniert und nennt es diesmal „Before Midnight“.
Das Labern
geht weiter
A
ller Guten Dinge sind drei. Vorerst zumindest. Denn niemand kann sagen, ob und wann wir Jesse (Ethan Hawke) und Celine (Julie Delpy) erneut als ewig quasselndes Pärchen im Kino sehen werden. Bisher lag der durchschnittliche Rhythmus bei neun Jahren: 1995 streiften sie in „Before Sunrise“ als Jugendliche eine Nacht lang durch Wien, 2004 trafen sie sich in „Before Sunset“ in Paris wieder und ließen alte Zeiten Revue passieren. Jetzt, 2013, haben die beiden eine Art Bilderbuchehe mit Kind und Kegel. In „Before Midnight“, dem dritten Film über die romantische und zugleich beziehungsverkorkste Liebe zwischen Jesse und Celine, geht die Familie auf Urlaub nach Griechenland. Gleich zu Beginn steht eine schier endlose Szene im Auto der beiden, in der (in nur einem einzigen Take) die verschiedenen, teils banalen Facetten des Ehealltags besprochen werden, während am Rücksitz ihre beiden Zwillinge schlafen. Später ergießt sich der Wortschwall der beiden im gemeinsamen Gespräch zwischen ihnen und ihren Urlaubs-Gastgebern; es geht um Literatur, Kunst, die Liebe und das Leben an sich. Langsam steuert die Debatte auf die Frage zu, ob romantische Gefühle dauerhaft anhalten können. Im Prinzip unterscheiden sich die Filme von Richard Linklaters Reihe kaum voneinander; überall wird gern und viel gesprochen, auch die Inhalte sind die gleichen. Sie ändern sich nur im Lichte des fortschreitenden Alters, wenn man Meinungen von früher revidiert
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oder eben bestätigt. Ein ausgefeiltes, sensibel erdachtes Drehbuch lag dem wie immer aus einem Mix aus Leichtigkeit und Schwere inszenierten Beziehungsfilm zugrunde. celluloid traf Regisseur Richard Linklater in Berlin zum Gespräch. celluloid: „Before Sunrise“, „Before Sunset“ und jetzt „Before Midnight“: Das scheint ja eine echte Lebensaufgabe von Ihnen zu sein. RICHARD LINKLATER: Sieht ganz so aus, ja! Als wir 1994 den ersten Film drehten, hätte wohl niemand gedacht, dass es irgendwann mal zwei Fortsetzungen davon geben würde. Wir haben zwar nach dem ersten Film darüber gewitzelt, dass man die Geschichte fortsetzen könnte, aber niemand meinte das ernst. Ethan, Julie und ich haben mittlerweile eine langjährige Beziehung, in der sich das dann einfach ergeben hat. Die eigentliche Herausforderung bei der Reihe bestand darin, den zweiten Teil zu drehen, denn der würde sich direkt mit dem ersten messen müssen. Nachdem der zweite Teil 2004 also fertig gestellt war, lag ein dritter Teil natürlich automatisch nahe. Wie entwickeln Sie den Fortgang dieser Filmreihe? Es geht immer auf die gleiche Weise los: Wir machen Witze darüber, wie es wäre, einen weiteren Film zu machen. Dem voran gehen aber sechs, sieben Jahre, in denen wir gar nicht darüber sprechen, weil wir einfach keinen Bezug dazu finden. Die Ideen, die wir uns dann erzählen, haben allesamt et-
was Witziges, sind aber nicht ernst gemeint. Dann treten wir in eine Phase ein, in der es ernst wird. Wir setzen uns zusammen und entwickeln eine Geschichte. Wir sind ja auch privat befreundet, das funktioniert immer sehr ungezwungen. Worin liegt denn für Sie das Potenzial zwischen diesem Leinwandpärchen? Warum sind Jesse und Celine mittlerweile drei Filme wert? Ich glaube, es liegt stark an Julie Delpy und Ethan Hawke. Das sind zwei sehr gute Schauspieler, die auch Freunde sind und eine sehr gute Chemie zueinander haben. Es liegt wahrscheinlich sehr an ihren Persönlichkeiten, dass sich die Zuschauer noch immer für sie interessieren. Wenn Julie und Ethan jemals etwas miteinander gehabt hätten, wären wir wohl heute nicht hier. Wir sahen uns immer mehr als künstlerische Paarung, als künstlerisch verheiratet. Ist „Before Midnight“ nun der Schlusspunkt? Viele Menschen denken, die Trilogie ist nun abgeschlossen. Aber wir haben das nie gesagt. Denken Sie nur an Truffauts „Antoine Doinel“-Filme, die hörten auch nicht nach dem dritten auf. Das Problem wird nur: Uns gehen langsam die Filmtitel aus. Ich glaube, wir werden künftig die Jahreszeiten einsetzen. „Before Spring“ oder „Before Winter“ vielleicht. Oder wir wechseln zu „After“. Nach diesem Film nun haben wir erst mal keinerlei Idee, wie die Geschichte weitergehen könnte. Das ist ja das Geheimnis dieser Zusammenarbeit: Es braucht sehr lange Zeit,
Filmladen
Filmstart: 07.06.13
Glücklich, und doch sorgenschwer: Celine (Julie Delpy) und Jesse (Ethan Hawke) wälzen in „Before Midnight“ erneut Beziehungsprobleme.
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interview
bis wir wieder zu einem neuen Anlauf ansetzen können. Wie haben sich Julie und Ethan über die Jahre für Sie verändert? Als wir 1995 begannen, war meine Tochter ein Jahr alt, heute geht sie ins College. Wir drei haben insgesamt acht Kinder mittlerweile, das Leben vergeht sehr schnell. Aber haben wir uns verändert? Das ist ein bisschen das Thema des Films: Verändern wir uns wirklich? Viele würden sagen, äußerlich haben wir uns nicht wirklich verändert, außer, dass wir ein wenig älter sind. Aber innerlich haben wir uns sehr wohl verändert. Wir haben mehr Erfahrung, mehr Wissen, mehr Beziehungen. Gibt es bei der gemeinsamen Drehbucharbeit auch Reibungspunkte? Also Themen, bei denen Sie sich in die Haare kriegen? Lustigerweise streiten wir uns nie über die landläufig typischen Männer- und Frauenthemen. Wir drei haben diese Figuren ja erfunden, und wir stecken auch in ihnen drin. Julie steckt mehr in Celine, Ethan mehr in Jesse, und ich zu ziemlich gleichen Teilen in beiden. Wenn es etwas in diesen Figuren gibt, was nicht jedem von uns dreien gefällt, dann landet es auch nicht im Film, da sind wir ziemlich rigoros. Das Großartige an Filmen ist ja, dass man darin nicht wie in einer Band agieren muss. Man dreht einen Film zusammen, dann trennen sich die Wege, und später macht man wieder einen gemeinsam. Bei einer Band ist das wie eine lebenslange Beziehung: Man macht ein Album nach dem anderen, immer mit den gleichen Leuten. Gleich zu Beginn des Films werden wir Zeuge einer minutenlangen, ungeschnittenen Autofahrt der Protagonisten. Wie improvisiert sind die Dialoge in „Before Midnight“? Die Improvisation findet bei uns während des Drehbuchschreibens statt. Wir sitzen um den Tisch herum und gehen Szene für Szene durch, lachen viel, probieren neue Dialoge aus und so weiter. Während des Drehs ist es dann damit vorbei. Auch, wenn die Dialoge zufällig und spontan wirken – ich kann mich
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bei allen drei Filmen nicht an einen einzigen Dialogsatz erinnern, der nicht auf dem Papier stand. Ich weiß, das klingt seltsam, aber es ist so. Wir bleiben sehr genau beim Drehbuch, das klingt vielleicht langweilig. Spannender wäre es, zu erzählen, dass wir einfach die Kamera hingestellt und drauflos gefilmt haben. Aber ich glaube, so funktioniert Filmemachen nicht. War es für Sie einfach, die Produzenten von „Before Midnight“ zu überzeugen? Es ist über die Jahre viel schwerer geworden, Filme wie diesen zu machen. Man muss als Regisseur immer einfallsreicher werden, um die Budgets noch weiter zu drücken, denn die Studios ziehen nicht mehr mit. Mein Film „Bernie“ (2011) zum Beispiel, in dem Jack Black seine beste Rolle spielt und dafür sogar für den Golden Globe nominiert wurde, hatte auch noch Shirley MacLaine und Matthew McConaughey mit an Bord. Das sind alles große Stars, und trotzdem konnte ich den Film zuerst nicht finanzieren. Vor zehn Jahren wäre das noch ein kleiner Studiofilm gewesen, aber heute – keine Chance für kleine Filme. Wenn es nicht mal Sie und ein solcher prominenter Cast schaffen, die Finanzierung aufzustellen, was machen dann die jungen Filmemacher in den USA, die noch keiner kennt? Paradoxerweise ist die Zeit heute die günstigste, um mit dem Filmemachen zu beginnen. Denn die Technik von Heute ist leistbar geworden. Man kann einen Film mit einer Digitalkamera drehen, ihn am eigenen Laptop schneiden und sogar noch ein DI-Finish (Digital Intermediate) anfertigen für nahezu Null Budget. Das Drehen der Filme ist aber nicht so sehr das Problem. Eher der Prozess, damit sie auch gesehen werden können und ihr Publikum finden. Machen Sie bei Ihren Filmen auch technische Abstriche, um das Budget klein zu halten? Nein, ich habe ohnehin nie die groß bud-
getierten Filme gedreht. Ich habe immer sparsam gedreht, und alle drei Filme mit Ethan und Julie haben – sogar inflationsbereinigt – dasselbe gekostet. Nie mehr als drei Millionen Dollar. Sie sprachen das Vertriebsproblem an, das gerade kleine Filme heute haben. Wäre das Internet mit all seinen On-Demand-Möglichkeiten da nicht eine Alternative zum Kino? Ich habe einen Film gedreht, der hieß „A Scanner Darkly“. Er war kein großer Hit an der Kinokasse, aber später wurde er übers Web mehrere Millionen Mal herunter geladen. Das ist schade, denn die Leute wären sicher bereit gewesen, ein paar Dollar dafür zu bezahlen. Es ist schon die Schuld der Filmindustrie selbst, keine Mechanismen gefunden zu haben, um Piraterie zu stoppen. Man könnte die Filme ja gleichzeitig zum Kinostart auch als Video-on-Demand anbieten. Sie sind kein Verfechter der derzeitigen Verwertungskette, mit Kino als Premierenstatus? Natürlich will jeder Filmemacher sein Werk im Kino auf der großen Leinwand sehen, auch ich träume immer davon. Aber ich sehe mir auch viele Filme in meinem privaten Home Theatre an, drehe das Licht ab und fühle mich wie im Kino. Jetzt, da sie eine Trilogie haben: Haben Sie wirklich noch keine Idee, wie die Geschichte von Jesse und Celine weitergehen könnte? Vielleicht, wenn beide in Pension sind? Ja, eine Trilogie klingt nach etwas Großem, Wichtigem. Endlich! Ich habe schon eine Idee: Wir machen einen Film mit ihnen, 40 Jahre in der Zukunft, wenn sie 80 sind. Nur, dass der Film schon in drei Jahren rauskommt und wir sie digital altern lassen. Wenn das passiert, dann können Sie sagen: Sie waren dabei, als diese großartige Idee entstand. Eigentlich war es ja Ihre Idee (lacht). Interview: Matthias Greuling
Versuche der Eherettung: Einchecken im Romantikhotel
Filmladen; Tuma
Richard Linklater: „Filme wie dieser sind immer schwerer finanzierbar.“
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interview
olivier assayas
Filmstart: 31.05.13
Meine
REVOLUTION D
ieser Film ist wirklich sehr persönlich“, sagt der französische Regisseur Olivier Assayas. „Die wilde Zeit“ (Original: „Après Mai“), der beim Filmfestival von Venedig im Wettbewerb Premiere hatte, ist die Geschichte von jugendlichen Revoluzzern, die in den 70er Jahren in der Pariser Vorstadt für Unruhe sorgen, Protestplakate malen, Sprayer-Aktionen durchführen und Flugzettel mit politischen Parolen drucken – um gegen bestehende soziale und politische Verhältnisse aufzubegehren. Im Interview spricht der 57-Jährige über seinen Film. celluloid: Monsieur Assayas, inwieweit erzählt „Die wilde Zeit“ auch Ihre eigene Jugendgeschichte? Olivier Assayas: Es ist mein persönlichster Film bisher. Aber ich glaube nicht an ein autobiografisches Kino, und nicht alles,
Assayas: „Ich schildere naive Träume junger Menschen aus den 70ern, wie auch ich einer war“
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was man im Film sieht, ist tatsächlich passiert. Was mir wichtiger war, ist, eine gewisse Stimmung der 70er Jahre, so wie ich sie erlebt habe, einzufangen. Das beginnt ja bei den Drehorten, beim Dekor und den Autos. Auch bei der Kleidung, ja sogar bei den Flugzetteln, die wir damals von Hand druckten. Oder die Plattencover von damals. Das sind alles Dinge, die meine Generation definiert haben. Nach meinem Film „Carlos“ (2010) über den gleichnamigen Terroristen, der ja auch in den 70er Jahren spielt, hatte ich das Gefühl, diese Zeit nicht nur aus politischer, sondern auch aus persönlicher Sicht wiedergeben zu müssen. Das passiert mir häufig bei meinen Filmen: Dass sie sich quasi automatisch ergeben und sich mir aufdrängen. Dabei ist Ihnen wichtig, nicht von der 68er-Generation zu berichten, sondern bewusst von jener Zeit der 70er Jahre, in denen Revolutionen jeder Art gerade bei der Jugend beliebt waren. Genau. Die 70er waren eine Zeit, in denen man so ziemlich alles ausprobiert hat, was möglich ist. Das hat es zuvor und auch danach nie mehr gegeben. Ich schildere die sehr naiven Träume junger Menschen von damals, wie ich auch einer war. Alle erträumten sich eine bessere Welt und dachten, das sie wirklich etwas verändern könnten. Erst in den 80ern wurden sie alle brutal in die Realität zurückgeholt. Gerade auf der optischen Ebene funktioniert „Die wilde Zeit“ hervorragend. Die Stimmung ist ganz wunderbar rekonstruiert. Wie gehen Sie dabei vor?
Steht das alles bereits im Drehbuch? Nein, gar nicht. Ich bin ein sehr knapp formulierender Drehbuchschreiber. Denn wenn ich da alles reinschreiben würde, was ich mir denke, würde mich das später beim Drehen verrückt machen, geradezu einengen. Ich mag es lieber, wenn ich die Geschichte nach dem Schreiben am Set noch weiterentwickeln kann. Bis zu einem gewissen Grad muss man natürlich vorplanen, wegen der Geldgeber und auch wegen der Schauspieler, die das Drehbuch ja als Arbeitsunterlage brauchen. Aber die visuelle Gestaltung lasse ich mir völlig offen, um den Stoff ständig überarbeiten und verbessern zu können. Im Film geht es auch um Liebe und sexuelle Erfahrungen, dennoch scheinen diese Dinge anders als noch bei den 68ern eine Nebenrolle zu spielen. Damals in dem Alter fühlte es sich normal an, sich eher politisch oder künstlerisch zu engagieren als emotional. Ich erinnere mich, dass ich stets ein Beobachter der sexuellen Revolution der 60er war. Damals war das „Ich“ in einer Liebesaffäre nicht sehr bedeutend. In heutigen Filmen sind Jugendliche oft fanatisch obsessiv, wenn es um Sex geht; sie sind getrieben von Lust – solche Porträts finde ich grotesk. Die 70er brachten sicher ein Freiheitsdenken in sexueller Hinsicht, vor allem, weil Sex bis dahin kaum diskutiert wurde. Aber im Vordergrund stand nie der Sex, sondern immer die Sache, für die gerade gekämpft wurde. Die eigenen Emotionen waren sicher nicht das Zentrum der Welt. Interview: Matthias Greuling
Fotos: Polyfilm; Tuma
hat in „Die wilde Zeit“ seine eigene Jugend in den 70er Jahren aufgearbeitet.
ISABELLE HUPPERT im celluloid-Interview
über Brillante Mendoza, Michael Haneke und den Zustand des französischen Kinos. Eine Kritik zu „Captive“ finden Sie auf Seite 51.
Mein Beruf ist nicht
gefährlich I
m Jahr 2001 entführen einige Mitglieder der islamischen Abu-Sayyaf-Separatistengruppe Touristen und Entwicklungshelfer aus einer Ferienanlage auf einer südphilippinischen Insel. Dieses wahre Ereignis hat Brillante Mendoza nun in seinem Film „Captive“ nachgestellt, Isabelle Huppert spielt eine der Geiseln (siehe unsere Kritik auf Seite 51). Wir trafen Huppert in Paris zum Gespräch. celluloid: Mme Huppert, man sagt, Brillante Mendoza hätte sie alle, die die Geiseln spielen, nicht vom Set weggehen lassen, damit sie die Atmosphäre einer Geiselnahme besser spüren. Stimmt das? ISABELLE HUPPERT: Teilweise ja, aber ich denke nicht, dass sich eine solche Atmosphäre tatsächlich herstellen lässt. Ein Schauspieler zu sein in einem solchen Film, das ist schon etwas anderes als eine echte Geisel. Der Film dreht sich um ein schreckliches und leider sehr aktuelles Thema. Mendoza schafft es sehr gut, diese Stimmung von Angst und Erschöpfung zu transportieren. Dieser Film war anders als alle Filme, die ich jemals gedreht habe. Mendoza versuchte, die Szenerie wie in einer Doku einzufangen. Am ersten Drehtag kannten sich die Darsteller alle nicht. Wir wurden in das Boot gesteckt und mitten in die Filmhandlung geworfen, um möglichst die realen Bedingungen der Entführung zu durchleben. Sie spielen eine Entwicklungshelferin, sagten aber, dass Sie hier nicht einmal eine Figur darstellten, denn es gab gar keine Figur. Das stimmt. Unsere Figuren war mehr auf die physischen Handlungen der Entführung ausgelegt. Da gab es für uns Schauspieler nichts zu psychologisieren. Aber gab Ihnen der Dreh Einblick in die Psychologie einer solchen Wahnsinnstat? Ja, ich konnte verstehen, weshalb manche
Geiseln ein „Stockholm-Syndrom“ entwickeln. Denn der Mensch will ja in erster Linie überleben und versucht, der Ausweglosigkeit etwas entgegenzusetzen. Und wenn das eben nur über eine Zuneigung zum Geiselnehmer geht, dann macht er das. Ich lebte fünf Wochen in dieser „Geiselnahme“, das ist natürlich nicht mit echten Geiselnahmen vergleichbar. Das klingt fast wie ein Experiment. Ja, und auch der Umstand, dass wir ständig herumgeschupst wurden, von einem Ort zum anderen, ohne zu wissen, wie es weitergeht, war anstrengend. Das muss man erst lernen. Mein Interesse an dem Film ist aber trotzdem nur schauspielerischer Natur. Ich wollte mit Mendoza arbeiten, mir wäre egal gewesen, zu welchem Thema. Der Film war trotz des Themas recht komfortabel zu drehen, wenn auch nicht so komfortabel, als würde man in Paris unterm Eifelturm filmen. Wenn man einen Film dreht, ist das immer weniger schlimm, als es auf der Leinwand aussieht. Wie komfortabel ist es denn, zum Beispiel mit jemandem wie Michael Haneke zu drehen? Ich habe mich sehr über den Oscar für Haneke gefreut, er hat ihn wirklich verdient. Mit ihm zu arbeiten, ist sehr einfach. Er hat eine klare Vision, das hilft mir sehr. Dann kann ich als Schauspielerin sehr unbefangen in eine Rolle hineingehen und mich überraschen lassen. Wenn Haneke einen mag - und ich glaube, dass er mich mag - dann macht das Spielen in seinen Filmen mir und ihm große Freude. Ist diese Freude auch ein Faktor bei Ihrer Entscheidung, welche Rolle Sie annehmen? Ich bin sehr wählerisch. Ich habe aber kein Rezept. Manchmal ist die Entscheidung für oder gegen eine Rolle der schwierigste Teil meiner Arbeit. Habe ich mich erst einmal entschieden, fällt es mir relativ leicht, einen Part zu spielen. Ich wähle heute am liebsten
Filmstart: 17.05.13
nach den Regisseuren aus, die die Projekte realisieren. Viele Regisseure nennen Sie angstfrei. Was meinen sie damit und stimmt das auch? Ich weiß nicht, wieso ich Angst haben sollte, denn der Beruf ist ja nicht gefährlich. Man könnte es tapfer nennen, sich fünf Wochen in den philippinischen Dschungel zu begeben. Ich sage dazu hingegen nur: Ich drehe einen weiteren Film. Warum interessieren Sie sich so sehr für eher dunkle Charaktere? Weil sie meistens die interessanteren sind. Das sind Rollen, die sich für Schauspieler auszahlen. Es gab eine Zeit im Kino, da gab es in großen, leichtfüßigen Filmen auch großartige Rollen. Das ist weniger geworden. Ja, es gibt sie noch, bei Woody Allen zum Beispiel. Aber heute sind die spannenderen Filme die, die Abgründe untersuchen. Sie sind eine der Ikonen des französischen Films. Wie ist es denn um den bestellt? Wir produzieren immer noch sehr viele Filme, die Branche ist sehr lebendig. Aber wie überall auf der Welt scheint es auch hier das Problem zu geben, dass man immer weniger Qualität produziert. Es gibt eine große Schere zwischen den großen, kommerziellen Filmen und den so genannten kleinen künstlerischen. In der Mitte bleibt wenig übrig. Dabei ist dieser Bereich der „mittelgroßen“ Filme genau jener, der immer wieder großartige französische Filme hervorgebracht hat. Nur werden solche Filme immer schwerer finanzierbar. Ob das nun an der Krise liegt oder nicht, weiß ich nicht. Es wird jedenfalls schwerer, ein gewisses Niveau zu halten. Es ist nicht unmöglich, aber ich sehe rund um mich, dass viele Regisseure, die ich kenne, mehr und mehr darum kämpfen müssen, ihre Projekte durchzubringen. Am Ende schaffen sie es, aber zu welchem Preis? Interview: Matthias Greuling
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dokumentarfilm „SCHLAGERSTAR“ Marc Pircher ist der
Mittelpunkt der gleichnamigen Doku von Marco Antoniazzi und Gregor Stadlober über die Hintergründe des Feuerwerks der Gemütlichkeit in der Volksmusik. Mitschunkeln ist ausnahmsweise erlaubt.
Filmstart: 31.05.13
Schwiegersohn und
Rampensau „Zickezacke, zickezacke“, schreit Marc Pircher. Das Publikum skandiert zurück: „Hoi, hoi, hoi“. Dann setzt der Schlagerstar zu seinem bisher größten Hit an. „Sieben Sünden“, die Masse tobt. „Nummer eins: Erst mal will ich dich küssen“, singt Pircher, „Nummer zwei: Ich berühr deine Lippen. Nummer drei: In Gedanken will ich nicht nur tanzen“. Die Hemdsärmel hat Pircher lässig aufgekrempelt. Der junge Mann, er ist 35, könnte auch als charmanter Vertreter von Staubsaugern arbeiten oder als Hotelmanager durchgehen. Aber Marc Pircher verdient sein Geld mit Schlagermusik. Trotz seines jungen Alters ist er bereits 20 Jahre im Geschäft, ein alter Hase sozusagen. Er spielte schon als Kind die Harmonika und hatte 1995 seinen ersten Auftritt im „Musikantenstadl“. Die Branche hat Pircher, den einstigen kleinen, putzigen Musikanten, zu einem Großverdiener gemacht, sie hat ihm in den zwei Jahrzehnten aber auch die Illusionen geraubt: „Zuerst kommt die Mafia, dann die Prostitution und gleich danach die Volksmusik“, sagt er einmal resignierend in Marco Antoniazzis und Gregor Stadlobers Dokumentarfilm „Schlagerstar“. Die beiden Filmemacher haben Pircher ein Jahr lang begleitet und ihm dabei
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zugesehen, wie er versucht, seinen Traum vom allseits geliebten Musik-Star zu leben. „Für mich war es ein Sprung ins kalte Wasser, weil ich nicht wusste, wie die Sache ausgeht und ob ein objektiver Blick erhalten bleibt“, sagt Pircher im celluloid-Gespräch über seine Mitwirkung am Film. „Marco und Gregor hatten diesen Blick, weil sie die Vorurteile, die sie gegen die Volksmusikbranche hatten, ausgeblendet haben. Das gab mir die Möglichkeit, zu zeigen, dass in der volkstümlichen Musik nicht nur lauter Trotteln sind, sondern, dass dort wirklich hart gearbeitet wird. Wenn man da erfolgreich sein will, hat man einen Full-Time-Job“. ÄRGERLICH Und man muss sich viel ärgern. Kein Wunder also, dass Marc Pircher sich zum Mafia-Prostitution-Volksmusik-Dreiklang hat hinreißen lassen. „Es hängt viel von den Leuten ab, mit denen man arbeitet. Es gibt Leute, mit denen man kann, und dann gibt es Leute, mit denen geht es nicht. Bei dieser Aussage hatte ich mich mal wieder über jemanden geärgert, mit dem ich nicht kann“, sagt Pircher. Das Idyll, dass Pircher wie eine Hochglanzverpackung um sich herum aufgebaut hat, ist
der zentrale Punkt in „Schlagerstar“. Selbst im Backstage-Bereich bei seinen Auftritten ist Pircher „der Marc“, den man anfassen kann, der die meisten seiner Fans beim Vornamen kennt und sich auch zu ihnen an den Stammtisch setzt. Das ist die Imagepflege des erfolgreichen, naturverbundenen Tiroler Burschen, der so natürlich rüberkommt, als wäre er seit 20 Jahren dein Nachbar. Wahrscheinlich stimmt das auch in gewisser Weise: Denn abgesehen von den zahllosen Meet-and-Greets mit Händeschütteln und Fotomachen und den Auftritten in den Stammlokalen seiner Fanclubs ist Marc Pircher ein ständiger Begleiter vieler Fans: Daheim rotieren seine CDs oft im Powerplay. Antoniazzi und Stadlober haben dieses Dasein als ewige Rampensau mit einer großen Demut vor der Arbeit eingefangen. Zugleich ist die Rampensau in der Projektion der Fans auch der ideale Schwiegersohn, die heiße Affäre, der zuverlässige Partner, der immer fröhliche Stimmungsmacher. Marc Pircher vereint all diese Funktionen in sich, und er trägt diese Last mit großer Energie. Immer auf Achse, ein sich selbst erhaltendes Atomkraftwerk mit zu heißen Brennstäben. Ein Perpetuum mobile, das als Produkt sich selbst verkauft.
Mobilefilm
„Schlagerstar“ ist mit dem Rastlosen nicht nur auf den Bühnen des Landes unterwegs, sondern auch vor den Auftritten, bei Besprechungen von Choreografien, im Tonstudio beim Einsingen seines Hits „Ich schwör“, beim Durchhören und Abändern der neu aufgenommenen CD, bei Autogrammstunden und Fototerminen. Es ist eine heile Welt, die Pircher verkauft, und er glaubt letztlich selbst an sie, sonst wäre das unmöglich. Das Kunststück dieses sehr aufschlussreichen Dokumentarfilms ist, die vielfach belächelte Volksmusik-Szene zu durchleuchten, ohne sich über sie lustig zu machen. Mit großer Ernsthaftigkeit lassen die Filmemacher ihren Protagonisten genug Raum; die sorgen ganz von selbst dafür, dass man die vermeintliche Lächerlichkeit ihrer Lieder und Texte richtig einordnet: Nicht das künstlerische Niveau zählt hier, sondern die geschickte Suggestion vom Heimatbegriff, von Geborgenheit und Tradition. Mit nichts anderem verdienen derzeit auch die wie Pilze aus dem Boden sprießenden Brauchtumsmagazine à la „Servus“ ihr Geld. Die Menschen haben ein Bedürfnis nach Werten, nach Zielen, nach Richtung im Leben. Die Volksmusik gibt sie ihnen, weil sie nicht nach draußen schielt, in die weite Welt,
sondern ausschließlich aus dem Eigenen, dem Ursprünglichen schöpft. Marc Pircher hat das verstanden: „Wenn ich über meine Heimat Tirol singe, dann schwingt da ein kritischer Ton mit. Ich halte mich zwar politisch raus, weil mir die politische Farbe egal ist. Aber mir ist schon wichtig, dass meine Heimat Tirol so bleiben kann, wie sie ist. Und das möchte ich transportieren in meinen kritischen Liedern“, sagt er. HARTER WETTKAMPF Er ist damit aber nicht allein: „Schlagerstar“ thematisiert am Rande auch den starken Wettbewerb in der Branche, zeigt, wie die Allmacht des ORF auch bestimmt, wer im Hauptabend auftreten kann und wer nicht. Ein heiß umkämpftes Feld: „Auch die Stars der Branche müssen darum kämpfen, in solchen Sendungen dabei zu sein“, sagt Pircher. „Es gibt ja immer mehr Gruppen, und immer weniger Plattformen, wo sie auftreten können. Nicht der, der am schönsten singt, kommt in die Sendungen, sondern der, der am schnellsten ist und die klügere Taktik hat“. Hier spricht der Geschäftsmann. Eine neue CD ist zum Filmstart am 31. Mai ebenfalls fertig. Für Pircher sozusagen das Rückgrat seiner Karriere: „Ohne Auftritte ist es
Marc Pircher in seinem Element: Ein Perpetuum mobile, das ausschließlich sich selbst verkauft.
nie gegangen. Mit Auftritten verdient man das zehnfache von einem CD-Umsatz, und zwar in kurzer Zeit. Die CD ist aber das wichtigste Marketingtool, das Aufmerksamkeit auf neue Nummern lenkt, damit man damit später wieder auf eine Tournee gehen kann. Niemand würde dich buchen, wenn du fünf Jahre lang nur die gleichen Lieder singst“. „Schlagerstar“ zeigt, dass Marc Pircher dieses Geschäft verinnerlicht hat: 200 Mal pro Jahr steht er auf der Bühne. Seine eigenen Shows dauern selten kürzer als drei Stunden und hinterlassen eine Fangemeinde im Ausnahmezustand. Und insgeheim wippen die Füße auch im Kino mit, wenn Pircher zum wiederholten Male seinen Croud Pleaser „Anna Lena“ intoniert. Der Branchenexperte Peter Draxl von Universal Music Austria bringt es auf den Punkt: „Ab Mitternacht und ab einem Promill funktioniert das, egal, ob einer tagsüber FM4 hört oder nicht“. „Zickezacke, zickezacke“. Wie breitenwirksam die Harmonika-Barden selbst unter anspruchsvollen Kinogängern sind, zeigte sich auch bei der diesjährigen Diagonale: Dort gewann „Schlagerstar“ den Publikumspreis, an dem mutmaßlich auch die Ohrwürmer des Musikanten schuld sind. „Hoi, hoi, hoi“. Matthias Greuling
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filmzukunft NACHWUCHS. Was kommt nach Haneke,
Seidl & Co.? Wir haben elf Filmstudenten der Wiener Filmakademie getroffen - sie gehören zur nächsten Filmemacher-Generation, die das Erbe einer erfolgsverwöhnten Branche antritt.
Michael Podogil, Regie Achmed Abdel-Salam, Buch
Sebastian Mayr, Regie Vanessa Gräfingholt, Regie Ernst Golda, Produktion
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Fotos: Matthias Greuling. Licht: Franz Bruckner
helden von morgen
Carolina Steinbrecher, Kamera Florian Pochlatko, Regie Sebastian Schreiner, Schnitt Theresa Winkler, Produktion
Lola Basara, Produktion
Christoph Loidl, Schnitt celluloid 3/2013
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filmzukunft
ICH STUDIERE FILM, WEIL...
...ich mich so vorerst geschickt davor gedrückt habe, meine Projekte in der freien Wildbahn realisieren zu müssen. ...ich gehofft habe auf diesem Weg, Gleichgesinnte wie Sebastian Schreiner (Montage) und Marie-Thérèse Zumtobel (Kamera) zu finden, mit denen man sich unter der Käseglocke Filmschule zwischen Theorie und Praxis gemeinsam weiterentwickeln kann, um dort das eigene Süppchen zu kochen, welches mir und anderen halt manchmal schmeckt und meistens nicht. Somit bleibt man hungrig und kann mit allen Sinnen weiter ausprobieren. WELCHE GEFAHR BIRGT DIE UNTERTEILUNG VON FILM IN KUNST UND WARE?
Wenn man etwas unterteilt, dann bedeutet das eine aktive Handlung und/oder Bewegung, aus der heraus zwei Teile entstehen. Diese kann von Anderen weitergeführt werden, indem sie die Unterteilung aufheben und somit erneut ein neues Ganzes entsteht. Kunst ist für mich der Prozess, und die Ware das Ergebnis, das beim Betrachter wieder zu einem Prozess führt, und so fort. Ob ich es ihm/ihr entgeltlich, oder unentgeltlich anbiete? Da Filme machen meist viel kostet, geht sich das unentgeltlich nur über Förderungen aus, womit man in der nächsten Abhängigkeit landet u.s.w...
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celluloid 3/2013
...es ist jetzt 06:15, der Mitbewohner im Drehstress, ich in der Postproduktion, keiner hat Kaffee gekauft und der Billa macht erst um 7:15 auf. WELCHE VOR- UND NACHTEILE HAT EINE UNIVERSITÄRE FILMAUSBILDUNG?
In diesem Fall bedingt der Vor- den Nachund der Nach- den Vorteil. Ich kann dazu keine Liste schreiben, sondern nur als Beispiel anführen, dass die meisten Mentoren, die einem hier als Professoren und Dozenten begegnen, natürlich ihre Schablonen des Filmemachens propagieren. Wenn man versucht, sich dieser Vorlage gegen das eigene Ich anzupassen, kann dies zu einschneidenden Erlebnissen führen, über die man wiederum eine Chance hat, seinem eigenen „Stil“ näher zukommen. WIE SIND DIE BEDINGUNGEN FÜR JUNGE FILMEMACHER IN ÖSTERREICH?
Top! WAS GILT ES, ZU VERBESSERN?
Hhm,... WIE SIEHST DU DAS VIEL BESCHWORENE „ÖSTERREICHISCHE FILMWUNDER“?
Gerade gar nicht, da ich jetzt leider los muss, um die Untertitel für meinen Abschlußfilm weiter zu bearbeiten, und mir
Fotos: Matthias Greuling
Vanessa Gräfingholt NAME: Vanessa Gräfingholt GEBOREN IN: Ennepetal, D ALTER: 30 STUDIENRICHTUNG: Regie AN DER FILMAKADEMIE SEIT: 2008 BEI FOLGENDEN PROFESSOREN: Michael Haneke, Peter Patzak FILME (AUSWAHL): „Tuppern“ (2013, Diagonale: Lobende Erwähnung), „Here We Go“ (2011), „Carmen“ (2010, 1. Platz Alpinale Vorarlberg), „Songs of Love“ (2008), „Emma“ (2008)
nichts Bereicherndes dazu einfällt, und ich während ich das hier schreibe bereits anzweifle, dass die vorherigen Antworten dieses Kriterium erfüllen, aber vielleicht beim nächsten Interview und wie man in meiner Heimat so schön sagt: Et is wie et is. WIE SIEHT DEINE VORSTELLUNG VOM SPÄTEREN LEBEN ALS FILMSCHAFFENDE AUS?
Siehe oben.
Florian Pochlatko ICH STUDIERE FILM, WEIL:
Ich wollte eigentlich nie studieren. Und schon gar nicht Film. Ich hatte schlechte Erfahrungen mit der Schule gemacht und wollte dann möglichst schnell möglichst unabhängig sein. Insgeheim war mir das Filmemachen immer das Liebste, und das wollte ich mir aufgrund meiner schlechten Erfahrungen nicht durch Institutionalisierung kaputt machen lassen. In der Arbeitswelt als Angestellter im kreativen Bereich war ich dann eigentlich sehr schnell unabhängig, aber ich habe auch schnell gemerkt, dass hier alle schon ein fertiges Studium haben und schön langsam ihre Träume und Wünsche mit der harten Realität abgleichen und/oder Familien gründen. Dafür bin ich mir noch zu jung vorgekommen, und ich wollte mir so früh meine Illusionen nicht nehmen lassen. Ich hab auch das Gefühl gehabt, mich da nicht wirklich künstlerisch entfalten zu können, da alles in irgendeiner Form geschäftsorientiert war/ist. Da habe ich kurzerhand beschlossen, doch lieber Kunst zu studieren. Über den Umweg eines
Studiums der Bildenden Kunst bin ich dann doch an die Filmakademie gegangen. WELCHE VOR- UND NACHTEILE HAT EINE UNIVERSITÄRE FILMAUSBILDUNG?
Ich glaube, dass man das nicht allgemein beurteilen kann. Es kommt sicher total auf die Uni an, für die man sich entscheidet, da sie sich in meinen Augen alle fundamental in Sachen Mentalität und Ideologie unterscheiden. Ein positiver gemeinsamer Nenner aller Einrichtungen ist sicher, dass man nicht mehr alleine als armer Irrer seine Filme machen muss, sondern einen Verbund hat, in dem man mit anderen armen einsamen Irren seine Filme machen kann. Da bilden sich wirklich Bünde, die noch lange im Leben halten. Das Paradoxon ist sicher, dass es dennoch einen starken Konkurrenzdruck gibt unter Leuten, die eigentlich Verbündete sind. Der geht aber nicht unbedingt von den Studenten aus und auch nicht von den Lehrkörpern, sondern von irgendetwas, das dazwischen liegt. Vielleicht von der Angst nicht gut genug zu sein, die wahrscheinlich
in jedem, der sich auf diesen Weg begibt, steckt. Diese Angst wird mit Vorliebe geschürt. Die einen zerbrechen daran, die anderen pusht sie zur Hochform. Prinzipiell aber halte ich diese Atmosphäre des Drucks für höchst antikreativ. WIE SIND DIE BEDINGUNGEN FÜR JUNGE FILMEMACHER IN ÖSTERREICH?
Es ist ein sehr langer Weg, sich als junger Filmschaffender zu etablieren. Gott sei Dank verlassen viele Junge die eingetreten Pfade, gehen eigene Wege und brechen alte, verkrustete Methoden auf. Auch unter den arrivierten Silberrückenproduzenten in Österreich scheint sich Mut zu jungen Filmemachern breit zu machen. Es brodelt und zischt und faucht und raucht an allen Ecken und Enden im Moment. Echte Aufbruchsstimmung! Das is schön und ermutigt alle mitzuziehen. Hoff ich. WAS GILT ES, ZU VERBESSERN?
Ich habe den Eindruck, dass es sehr schwierig ist für junge Filmemacher, die sich ausserhalb universitärer Einrichtungen bewegen, Fuß zu fassen innerhalb des Förderund Festivalbetriebes. Ich finde, dass das „nichtinstitutionalisierte“ Filmschaffen eine größere Chance verdient hat. WIE SIEHST DU DAS VIEL BESCHWORENE „ÖSTERREICHISCHE FILMWUNDER“?
Ich find‘s super und schön! Aber ich hoffe, dass die Aufmerksamkeit auch in die Nischen sickert und die größer werdende Zahl der auch hierzulande Interessierten auch an den unscheinbareren Wundern teilnimmt, die die österreichische Filmlandschaft zu bieten hat. Auch ausserhalb der WM-Saison und den Abfahrtsläufen sind die Berge schön.
NAME: Florian Pochlatko GEBOREN IN: Graz ALTER: 26 STUDIENRICHTUNG: Regie AN DER FILMAKADEMIE SEIT: 2008 BEI FOLGENDEN PROFESSOREN: Michael Haneke FILME (AUSWAHL): „Erdbeerland“ (2012, Diagonale: Bester Kurzspielfilm), „KoenigLeopold - Heat the water“ (2011), BMWF Drehbuchpreis für das Treatment zu „Frösche sterben“ (2010), „Running Sushi“ (2006)
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filmzukunft
Lola Basara
Fotos: Matthias Greuling
NAME: Lola Basara GEBOREN IN: Karlovac, Kroatien ALTER: 28 STUDIENRICHTUNG: Produktion AN DER FILMAKADEMIE SEIT: Oktober 2011 BEI FOLGENDEN PROFESSOREN: Danny Krausz FILME (AUSWAHL): Produktion der Filme „Vadim“ (2012; Teilnahme an über 30 Festivals, etliche Preise), „Der Held“ (2013; Premiere Diagonale 2013, „Corben“ (in Vorproduktion)
ICH STUDIERE FILM, WEIL ich mir mein Le-
ben ohne Filmemachen nicht vorstellen kann und ich immer Filme gemacht habe und auf die Filmakademie wollte. Nun bin ich über Umwege auch hier gelandet und glaube, auch fix hier hinzugehören. WELCHE GEFAHR BIRGT DIE UNTERTEILUNG VON FILM IN KUNST UND WARE?
So eine Unterteilung ist meiner Meinung nach beim Film nicht möglich, da Film beides zugleich ist. Es wäre meiner Meinung nach sogar noch wünschenswerter, dass österreichische Filme mehr MainstreamCharakter bekämen. Durch die höhere Anzahl an Kinobesuchern wäre Filmemachen lukrativer, es könnten mehr Filme gemacht werden (die Quantität sagt sicherlich nichts über die Qualität aus) und die Filmemacher könnten auch von ihrem Beruf leben. WELCHE VOR- UND NACHTEILE HAT EINE UNIVERSITÄRE FILMAUSBILDUNG?
Die Vorteile eines Filmstudiums sehe ich in der Möglichkeit, Kontakte innerhalb der jungen Kunstszene zu knüpfen, einer vertiefenden künstlerischen Entwicklung und der Möglichkeit für die Suche nach seiner eigenen Ausdrucksfähigkeit in einem geschützten Rahmen der Akademie. Die Unterstützung von der Universität mit Equipment, bis jetzt auch Filmmaterial
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und Kopierwerksarbeiten sind weitere sehr fundamentale Gründe, warum eine Filmausbildung nur von Vorteil sein kann. Ohne Filmakademie hätte ich wohl nie auf 16mm gedreht und somit nie wichtige Erfahrungen machen können. Nachteile kann ich in dem Zusammenhang nicht wirklich nennen. Es stellt sich nur die Frage für mich, wie die Qualität des Studiums sein wird, wenn nicht mehr auf Film gedreht werden kann.
Ausbildung in die Filmbranche einzutauchen und erste professionelle Arbeitserfahrungen in dem Bereich machen zu können und Branchenkontakte zu knüpfen. Eine Ausbildung zu machen und dabei 40 Stunden für ein Monatsgehalt von 400 Euro über vier Monate lang - sprich das ganze Semester - zu arbeiten, ist sehr unrealistisch und nicht menschenwürdig. Solche Angebote gehören verboten. Man sollte sich gegen so etwas wehren.
WIE SIND DIE BEDINGUNGEN FÜR JUNGE FILMEMACHER IN ÖSTERREICH?
WIE SIEHST DU DAS VIEL BESCHWORENE „ÖSTERREICHISCHE FILMWUNDER“?
Nur weil man auf der Filmakademie studiert oder studiert hat, bringt das in der Branche sicherlich keine großen Vorteile. Was zählt, sind Erfahrung und Kontakte in der Branche und natürlich das eigene Können. Das alles sind Dinge, die ziemlich schwer zu erlangen sind, vor allem wenn man nichts als die universitäre Ausbildung und keine Arbeitserfahrung vorweisen kann. Und die Erfahrung ist eigentlich sehr schwer zu erlangen, noch dazu ist die Konkurrenz relativ groß. Das ist wohl auch der Grund, weswegen viele Studenten die Uni als geschütztes Gebiet nicht verlassen möchten, um nicht mit der rauen Realität konfrontiert zu werden.
Das österreichische Filmwunder ist meiner Meinung nach noch nicht groß genug. Vor allem die junge österreichische Szene hat noch viel mehr Potenzial. Um ein echtes österreichisches Filmwunder zu schaffen, muss mehr Geld seitens des Staates und der Förderstellen in Filme gesteckt werden, vor allem aber in junge, motivierte und innovative Filmemacher und Projekte, die den österreichischen Film aufblühen lassen und ein Publikum an sich reißen können.
WAS GILT ES, ZU VERBESSERN?
Es sollten mehr Möglichkeiten für junge Filmschaffende geschaffen werden, um neben der
WIE SIEHT DEINE VORSTELLUNG VOM SPÄTEREN LEBEN ALS FILMSCHAFFENDE AUS?
Ich möchte Filme machen, die ein Publikum finden und gesehen werden und nicht nur nur Förderstellen und Kritikern gefallen. Ein Film ist ein Medium und keine Psychotherapie für den Regisseur/die Regisseurin.
Sebastian Schreiner NAME: Sebastian Schreiner GEBOREN IN: Schärding ALTER: 28 STUDIENRICHTUNG: Schnitt AN DER FILMAKADEMIE SEIT: 2008 BEI FOLGENDEN PROFESSOREN: Michael Hudecek FILME (AUSWAHL): „Tuppern“ (R: V. Gräfingholt, Diagonale 2013), „Der Held“ (Peter Hengl, Diagonale 2013), „Zuhause“ (A.K. Wohlgenannt, 2012), „This Is a Gut Togehter“ (Patrick Vollrath, 2011)
ICH STUDIERE FILM, WEIL:
Ich war keiner dieser Frühberufenen die schon mit 10 mit der Videokamera herumhantiert haben. Ich kam über das Visuals machen zum Filmschnitt. Im Jahr 2002 gründeten wir Onan, ein VJ/DJ Kollektiv, bei einer Frühschoppen-Runde in Schärding am Inn. Dadurch kam ich auf die Idee, dass Filmschnitt spannend sein könnte. Dann führten mich meine Wege über das Filmcollege Wien bis an die Filmakademie. http://oe1.orf.at/artikel/278107 WELCHE GEFAHR BIRGT DIE UNTERTEILUNG VON FILM IN KUNST UND WARE?
Ich finde, bei Filmkunst ist diese Unterteilung einfach nicht gegeben, es ist fließend; Film kommt vom Jahrmarkt, und schon immer zahlte der Zuseher Entgelt, um einen Film zu sehen. Das finde ich richtig. Natürlich ließen sich Filme in Österreich ohne Filmförderung nicht finanzieren, aber diese Unterscheidung mache ich einfach nicht. Man stößt bei der Herstellung eines Films auch beim Produzieren schon an finanzielle Hürden, was aber daran liegt, dass viele spezialisierte Menschen an der Erschaffung eines Films mitwirken. Man kann halt allein sehr schwer einen Film machen, und ich glaube da verpufft sehr viel kreative Energie, die man ansonsten besser nützen könnte. Deswegen ist das Budget einfach etwas, mit
dem man genau so kreativ arbeiten muss, wie mit allen anderen Sachen beim Film. WELCHE VOR- UND NACHTEILE HAT EINE UNIVERSITÄRE FILMAUSBILDUNG?
Der grosse Vorteil ist, dass man das „Spiel des Lebens“ ohne Druck spielen kann, man hat mehr Möglichkeiten, sich auszuprobieren, herumzuexperimentieren, und darf auch mal versagen. Wenn ich hier an der Filmakademie an einem Film schneide, kann ich wirklich jede Möglichkeit, die mir einfällt, ausprobieren. Diese Zeit habe ich dann draußen in der Filmindustrie einfach nicht, dort ist es wichtiger, schnell zu sein, unter Druck zu funktionieren. Diesen Vorteil kann man der universitären Ausbildung aber auch als Nachteil ankreiden, weil der Einstieg in den Beruf durch diese Umstellung sehr schwer sein kann. WIE SIND DIE BEDINGUNGEN FÜR JUNGE FILMEMACHER IN ÖSTERREICH?
Ich finde, die Situation ist ertragbar aber noch lange nicht gut, klar gibt es durch das Werkstättenprojekt jetzt doch einige Filme von jungen Filmemachern, aber das könnten doch noch viel mehr sein, und auch die Fördergremien könnten mehr Mut beweisen und dem Nachwuchs öfter eine Chance geben, auch wenn es kommerziell weniger erfolgreiche Aussichten gibt.
WAS GILT ES, ZU VERBESSERN?
Ich glaube, dass die österreichischen Produktionen mehr Mut zum Risiko brauchen, vor allem auch zu Genre-Arbeiten. Da haben wir in Österreich doch einigen Aufholbedarf, es gibt zu wenige Genrefilme in diesem Land. WIE SIEHST DU DAS VIEL BESCHWORENE „ÖSTERREICHISCHE FILMWUNDER“?
Ich hoffe, dass es sich auf die Fördergelder positiv auswirken wird, und vor allem dass der österreichische Film nicht nur ein internationaler Festivalfilm bleiben wird, sondern dass es endlich auch gelingt, die österreichischen Zuschauer zu animieren, in die eigenen Filme zu gehen. WIE SIEHT DEINE VORSTELLUNG VOM SPÄTEREN LEBEN ALS FILMSCHAFFENDER AUS?
Wie alle hoffe ich, einmal von dem Beruf leben zu können. Keine Ahnung, ob ich in zwei Jahren noch Lust auf Filmemachen habe, oder ob mich etwas anderes mehr interessiert. Die Frage ist schwer zu beantworten, gerade in Österreich, wo wir als Filmschaffende so sehr von der Filmförderung und dem Wohlwollen der Politik abhängig sind. Finanzkrisen, die Leistungsgesellschaft, das Urheberrecht (für uns auch nicht unwichtig): Das alles kann erhebliche Auswirkungen auf meine berufliche Zukunft haben.
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Sebastian Mayr ICH STUDIERE FILM, WEIL...
...es das ist, was ich schon immer machen wollte. Ich hab schon mit 18 angefangen, beim Film zu arbeiten und neben dem Publizistik-Studium Filme gedreht. Das ich jetzt auch noch Film studiere...davon habe ich früher geträumt. WELCHE GEFAHR BIRGT DIE UNTERTEILUNG VON FILM IN KUNST UND WARE?
Ich sehe keine Gefahr in der Unterteilung und auch keinen Sinn. Genauso gut könnte man nach den Konsequenzen von der Unterteilung zwischen Arthousekino und Mainstream fragen, und allein die Begriffsklärung würde mir zu lange dauern und dann trotzdem unscharf bleiben. WELCHE VOR- UND NACHTEILE HAT EINE UNIVERSITÄRE FILMAUSBILDUNG?
Ich glaube, es ist eine Frage des Typs, ob die universitäre Ausbildung für einen persönlich hilfreich ist oder nicht. Einerseits haben wir
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großartige Professoren - ich glaube da ist für jeden was dabei. Man ist in einem großen Netzwerk aus Freunden, Kameraden und Professoren, bekommt Unterstützung, um zu experimentieren und kann aus seinen Fehlern lernen. Ein Nachteil ist, dass man in dieser Institution, die dazu da ist, Filmemachern das Filmemachen zu lehren, schnell den Faden verlieren kann, worum es einem selber eigentlich geht. WIE SIND DIE BEDINGUNGEN FÜR JUNGE FILMEMACHER IN ÖSTERREICH?
Ich glaube kaum, dass es Länder in Europa gibt, in denen die Situation für junge Filmemacher besser ist als in Österreich. Im Vergleich zu manchen Nachbarländern leben wir im Schlaraffenland. WAS GILT ES, ZU VERBESSERN?
Die Besucherzahlen im Kino. WIE SIEHST DU DAS VIEL BESCHWORENE
NAME: Sebastian Mayr GEBOREN IN: Salzburg ALTER: 30 STUDIENRICHTUNG: Regie AN DER FILMAKADEMIE SEIT: 2009 BEI FOLGENDEN PROFESSOREN: Michael Haneke, Wolfgang Thaler FILME (AUSWAHL): „11. September (AT)“ (2013, in Postproduktion), „Stalemate“ (2012), „Petze“ (Camerimage Polen), „Chronos“ (Shortynale 2011, beste Umsetzung), „Drunter sind wir alle nackt“ (Preis Landshuter Filmfest) „ÖSTERREICHISCHE FILMWUNDER“?
Es ist schön, wenn große Filme große Preise gewinnen, und es hat Österreich auf die Landkarte des Kinos gesetzt, ähnlich wie beim Wintersport. Der Diskurs, der im Zuge dessen entsteht, kann nur hilfreicher sein als keine Debatten zu führen. Trotzdem halte ich die Bezeichnung für falsch. Sie lenkt ab von den Erfolgen, die wenigen großen Filmemachern zu verdanken sind und erinnert an Cordoba. WIE SIEHT DEINE VORSTELLUNG VOM SPÄTEREN LEBEN ALS FILMSCHAFFENDER AUS?
Eigentlich genau so wie jetzt, nur sind die Filme dann länger und alle werden bezahlt für das, was sie gerne tun.
Theresa Winkler NAME: Theresa Winkler GEBOREN IN: Graz ALTER: 23 STUDIENRICHTUNG: Produktion AN DER FILMAKADEMIE SEIT: Oktober 2012 BEI FOLGENDEN PROFESSOREN: Danny Krausz, Peter Patzak, Thomas Benesch, Götz Spielmann, Michael Hudecek
Ich habe schon bei einigen Kurz-, Kino- und TV-Filmen mitgewirkt, unter anderem bei „Spanien“ von Anja Salomonowitz und „Grenzgänger“ von Florian Flicker, selbst bin ich aber erst am Beginn, im Bereich der Regie eigene Filme zu machen. Mein letzter war die Kurzdokumentation „Rouven“, in der ich eine Freundin und ihren vier Monate alten Sohn beim Stillen dokumentiert und mich auf die zwischenmenschliche Verbindung der beiden konzentriert habe; also das Angreifen, Berühren, Spüren und Fühlen der beiden während des Essens. ICH STUDIERE FILM, WEIL..:
...es viele Möglichkeiten des Ausdrucks in nur einem Medium bietet. Ich mag den Aspekt, dass ein Film nur dann funktionieren kann, wenn das Team zusammenarbeitet; wenn jede/r einzelne am Set weiß, was er/ sie zu tun hat und das Bestmögliche leistet. Teamwork und das Zusammenarbeiten unterschiedlicher Departments ist ein sehr spannendes Thema für mich. Ich studiere Produktion, weil ich eine Verbindungsstelle zwischen all diesen verschiedenen Departments sein möchte und gerne Filme machen würde, die innovativ und in ihrer Form neuartig sind. Mich faszinieren Filme in jeder Form, ihr Zustandekommen, ihr Dasein und – hin und wieder – ihr Aufdringlichsein. Film kann einen zerreißen, berühren, verwirren, etwas in einem bewegen, verändern und gleichzeitig für jeden Zuseher unterschiedlich sein. Das ist eine Eigenschaft, die mich fasziniert und immer weiter forschen lässt, mich neugierig hält. WELCHE VOR- UND NACHTEILE HAT EINE UNIVERSITÄRE FILMAUSBILDUNG?
Die Vorteile, Film an einer Universität zu studieren, sehe ich darin, dass man an einem Ort ist, an dem lauter andere inspirierende
und speziell für Film brennende Menschen sind, die alle das gleiche machen möchten. Man kann sich ein Netzwerk aufbauen, mit anderen Studierenden Filme machen, herausfinden, mit wem man gut, gerne und produktiv zusammenarbeiten kann – was einem später nur helfen kann.
Fotos: Matthias Greuling
MEINE FILME UND ERFOLGE:
WIE SIND DIE BEDINGUNGEN FÜR JUNGE FILMEMACHER IN ÖSTERREICH?
Es könnte einem auf jeden Fall leichter gemacht werden, Förderungen zu bekommen. Als junges kleines, noch unbekanntes Team hat man meistens nicht wirklich ein großes Budget und teilweise ist es schwierig, ein wenig Geld aufzustellen und gefördert zu bekommen. Aber mit viel Energie und Zeit, Konsequenz und einem starken Willen schafft man es dann doch immer irgendwie. Zum Glück gibt es hin und wieder noch wahnsinnig nette Lokale und Menschen, welche dann einen Tag lang ein ganzes Filmteam gratis zum Essen einladen, uns gratis in ihren Wohnungen und Häusern drehen lassen, umsonst in unseren Filmen spielen und manch andere unglaubliche Sache tun! Also ein riesen Dankeschön an all jene Menschen, die es uns ermöglichen, unsere Filme zu produzieren und uns so tatkräftig unterstützen.
junge Filmemacher und deren Kurzfilme. Der Kurzfilm könnte auch von den Kinos mehr Aufmerksamkeit bekommen, um ihn für das Publikum außerhalb von Festivals interessant zu machen. WIE SIEHST DU DAS VIEL BESCHWORENE „ÖSTERREICHISCHE FILMWUNDER“?
Ich finde es schön, dass der österreichische Film Aufmerksamkeit bekommt! Ob man da nun von einem Filmwunder reden kann, weiß ich nicht so recht, weil gute Filme gab es immer schon. Österreich ist aber definitiv ein Land, welches sich im Arthaus-Bereich einen guten Namen gemacht hat. Filmwunder wäre es für mich, wenn durch all die Preise, Ehrungen und „Wundersagungen“ auch die Politik mehr Interesse zeigen würde und den Kulturressorts im Allgemeinen nicht die Förderungen kürzen würde.
WAS GILT ES, ZU VERBESSERN?
Ich denke, wenn die jeweiligen Förderstellen mehr Zeit hätten, um sich die Projekte anzusehen und durchzulesen, wäre es auch für junge unbekannte Filmemacher einfacher an eine kleine Förderung zu kommen. Aber da anscheinend aufgrund der großen Nachfrage und der anscheinend fehlenden Zeit das nicht wirklich möglich ist, werden meistens die schon etwas bekannteren Leute gefördert. Ich fände es auch spannend, wenn es eine eigene Kurzfilmförderung geben würde, explizit ausgeschrieben für
WIE SIEHT DEINE VORSTELLUNG VOM SPÄTEREN LEBEN ALS FILMSCHAFFENDE AUS? In den nächsten Jahren möchte ich einmal mein Studium an der Filmakademie abschließen, an der Uni noch viele Filme produzieren und an vielen Filmen mithelfen. In Zukunft möchte ich wieder mehr in der „freien Wildbahn“ der Branche arbeiten und mich mehr mit „creative producing“ auseinander setzen. Das ist auf jeden Fall ein Bereich, der mich an der Produktion sehr fasziniert!
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filmzukunft
Carolina Steinbrecher ...ich mir kein besseres Studium hätte aussuchen können.
im filmischen Bereich Dinge auszuprobieren, die man im „echten“ Berufsfeld dann wahrscheinlich selten machen kann.
WELCHE GEFAHR BIRGT DIE UNTERTEILUNG VON FILM IN KUNST UND WARE?
WIE SIND DIE BEDINGUNGEN FÜR JUNGE FILMEMACHER IN ÖSTERREICH?
ICH STUDIERE FILM, WEIL...
Ehrlich gesagt, kenne ich diese Gefahr nicht. Ein Film ist ein Film und erweckt im Menschen verschiedene Gefühle und Reaktionen. Jeder Film kann unterschiedliche Assoziationen bewirken, die man vorher als Filmemacher nie geahnt hätte. Das ist das Großartige an diesem Medium, und eine Theoretisierung und Unterteilung dieser Dinge habe ich noch nie nachvollziehen können. WELCHE VOR- UND NACHTEILE HAT EINE UNIVERSITÄRE FILMAUSBILDUNG?
WAS GILT ES, ZU VERBESSERN?
Ich sehe die Problematik in der Förderlandschaft, da viele Studenten auch mit eigenen finanziellen Mitteln Filme verwirklichen. Es ist selbst für renommierte Filmemacher in Österreich schwierig, ein adäquates Budget auf die Beine zu stellen. WIE SIEHST DU DAS VIEL BESCHWORENE „ÖSTERREICHISCHE FILMWUNDER“?
Es ist schön zu sehen, wenn Filme, bei denen man mitwirken konnte, großen Anklang finden und auch international Preise gewin-
WIE SIEHT DEINE VORSTELLUNG VOM SPÄTEREN LEBEN ALS FILMSCHAFFENDE AUS?
Diese Frage gab es schon beim Bewerbungsbogen für die Filmakademie und die Antwort ist zum Glück immer noch die selbe: Super leiwand!
NAME: Carolina Steinbrecher GEBOREN IN: Wien ALTER: 25 STUDIENRICHTUNG: Kamera AN DER FILMAKADEMIE SEIT: 2010 BEI FOLGENDEN PROFESSOREN: Christian Berger, Wolfgang Thaler FILME (AUSWAHL): „Mein Stein“ (R: Guy Lichtenstein) lief am Jüdischen Filmfestival, „Ein alter Mann“ (R: Mathias Seebacher) ist gerade in der Postproduktion. Musikvideos für Lukas Plöchl, Yela, Locoto und TheBigEmpty.
Fotos: Matthias Greuling
Der größte Vorteil liegt im sozialen Netz, da wir auf der Filmakademie mit unterschiedlichen Menschen in verschiedenen Konstellationen zusammenarbeiten. Ohne die Hilfe und Kritik der anderen Studenten könnte man sich nicht weiter entwickeln. Des weiteren gibt es einem die Möglichkeit
Jeder angehende Filmemacher muss für sich eine Möglichkeit finden, seine Träume zu verwirklichen. Dabei geht es eher darum, eine Nische zu finden und auf diesem Weg seinen Enthusiasmus nicht zu verlieren.
nen. Leider musste ich allerdings bemerken, dass dieser Hype sehr starke Medienpräsenz hat, jedoch die Kinobesucherzahlen gering bleiben. Daher wünsche ich mir, dass der österreichische Film auch beim Publikum als Kunstform akzeptiert wird. Wir machen Filme für Menschen und nicht für die Festivals.
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Christoph Loidl ICH STUDIERE FILM, WEIL:
Ich war irgendwie immer von Film umgeben. Mein Vater ist sehr filmbegeistert und schon im Deutsch-Unterricht an einem doch eher konservativen Gymnasium schrieben wir Filmkritiken. Davon inspiriert, veranstalteten wir mit Klassenkollegen regelmäßige Filmabende, wo dann auch Ideen zu Kurzfilmen entstanden – leider nur am Papier, wir scheiterten beim Drehen. Beim Theater- Film- und Medienwissenschafts-Studium hoffte ich mein Interesse vertiefen zu können, doch das war mir zu theoretisch und so bin ich dann beim Schnitt an der Filmakademie gelandet. WELCHE GEFAHR BIRGT DIE UNTERTEILUNG VON FILM IN KUNST UND WARE?
Die Unterteilung würde nur das eine oder andere Extrem hervorrufen, äußerst künstlerische, oder auch äußerst kommerzielle Filme. Dabei sind ja auch manchmal gerade die Filme interessant, denen es gelingt, beides zu vereinen. WELCHE VOR- UND NACHTEILE HAT EINE UNIVERSITÄRE FILMAUSBILDUNG?
Die Filmakademie gibt uns Raum für Experimente. Hier haben wir Zeit, um das Handwerk des filmischen Erzählens zu erlernen. Es dürfen Fehler gemacht werden, die dir nicht gleich deinen Job kosten. Unter den Studierenden hat sich seit Jahren ein Netzwerk aufgebaut. WIE SIND DIE BEDINGUNGEN FÜR JUNGE FILMEMACHER IN ÖSTERREICH?
Schwierig, auch wir sind abhängig von Förderungen, wobei uns die Filmakademie natürlich unterstützt. Oft reicht das Geld aber nicht und wir müssen zusätzliche Ressourcen aufstellen. Um Kurzfilme machen zu können, müssen wir gratis arbeiten, aber dadurch müssen wir unseren Lebensunterhalt anders bestreiten, was immer wieder dazu führt, dass man auf vielen Hochzeiten gleichzeitig tanzen muss. Trotzdem: Gerade in letzter Zeit finden immer wieder junge FilmemacherInnen aus der Filmakademie, ihren Weg in „die Branche“. WAS GILT ES, ZU VERBESSERN?
Ich finde es gut, dass z.B. der Film „Deine Schönheit ist nichts Wert...“ von der DOR Film gefördert und somit zu einem regulären Spielfilm wurde. An der Filmakademie gibt es eine gewisse Grenze von 60-MinutenFilmen. Um längere Filme zu entwickeln,
braucht man eine Produktionsfirma. Ich hoffe, dass es in Zukunft ähnliche Projekte geben wird, welche eine Unterstützung von Außen bekommen.
WIE SIEHST DU DAS VIEL BESCHWORENE „ÖSTERREICHISCHE FILMWUNDER“?
Ich freue mich natürlich sehr über Michael Hanekes Oscar und die internationale Anerkennung von österreichischen Produktionen bei den großen Filmfestivals weltweit. Ob sich das auf die heimische Filmwirtschaft niederschlägt, bezweifle ich. WIE SIEHT DEINE VORSTELLUNG VOM SPÄTEREN LEBEN ALS FILMSCHAFFENDER AUS?
Ich hoffe, dass ich später als Filmeditor an interessanten Projekten mitarbeiten kann. Dabei ist es für mich nicht ausschließlich das Ziel, vom Filmschnitt leben zu können, sondern an Kinospiel- und Dokumentarfilmen mitzuarbeiten, die mich persönlich interessieren, und mit Filmschaffenden zusammenzuarbeiten, die spannende Geschichten erzählen wollen.
NAME: Christoph Loidl GEBOREN IN: Oberndorf bei Salzburg ALTER: 30 STUDIENRICHTUNG: Schnitt AN DER FILMAKADEMIE SEIT: 2007 BEI FOLGENDEN PROFESSOREN: Michael Hudecek FILME (AUSWAHL): „Hello Democracy“ (2013, Doku), „Deine Schönheit Ist Nichts Wert...“ (2012, R: Hüseyin Tabak, Bester Schnitt Ankara Filmfest, Antalya Filmfest), „Bis einer weint“ (2010)
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Michael Podogil ICH STUDIERE FILM, WEIL...
...ich einer der Glücklichen bin, die das dürfen. Ich habe die Chance, mich und das Medium Film in einer sicheren Umgebung auszuprobieren. Außerdem ist man im Studium von Gleichgesinnten umgeben, mit denen man ein halbes Jahr lang an zwölf Minuten Film arbeitet, als ginge es um unser Leben – geht es ja eigentlich auch. Das ist unglaublich erfüllend. Ich will Filme machen, Geschichten erzählen und gut darin sein. Ich hoffe, dass ich mit den Möglichkeiten, die mir dieses Studium bietet, diese Ziele erreichen werde. WELCHE GEFAHR BIRGT DIE UNTERTEILUNG VON FILM IN KUNST UND WARE?
Ich bin davon überzeugt, jeder Filmemacher möchte, dass sein Film erfolgreich ist. Das ist nicht negativ. Außerdem ist das Filmemachen unendlich teuer. Das bedeutet, dass man ohne Erfolg auch sehr schwer einen neuen Film finanzieren wird können. Also kommt man nicht darum herum, auch seine „Kunst“ wie eine Ware anzupreisen und zu verkaufen.
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WELCHE VOR- UND NACHTEILE HAT EINE UNIVERSITÄRE FILMAUSBILDUNG?
Vier Dinge bietet die Filmakademie: Erfolgreiche Professoren, motivierte Kollegen, modernes Equipment und die persönliche Reputation, angenommen worden zu sein. Das alles ist aber kein Garant dafür, selbst gute Filme zu machen – aber man hat eine Chance. Und diese Chance will man so gut wie möglich nutzen, was einen selbst unter starken Erfolgsdruck setzen kann. Ich glaube aber, dass man durch das Studium einen großen Startvorteil gegenüber anderen jungen Menschen hat, die nicht in so ein Netzwerk eingebunden sind. WIE SIND DIE BEDINGUNGEN FÜR JUNGE FILMEMACHER IN ÖSTERREICH?
Wie gesagt, ist das Filmemachen unendlich teuer. Die Finanzierung eines Studentenfilmes ist nur deswegen möglich, weil alle Beteiligten unentgeltlich mitarbeiten und die Universität das Equipment stellt. Selbst dann bleiben noch Kosten, die nur über Förderungen aus der öffentlichen Hand gemeistert werden können.
NAME: Michael Podogil GEBOREN IN: Wien ALTER: 27 STUDIENRICHTUNG: Regie AN DER FILMAKADEMIE SEIT: 2009 BEI FOLGENDEN PROFESSOREN: Michael Haneke FILME (AUSWAHL): „Max Steiner Orchestra“ (Viraler Spot; 2013), „Wichsvorlage“ (2012), „Cultus: Karfreitag“ (Doku, 2011, ORF) „Die größte Sängerbörse der Welt“ (Doku, 2011, ORF) „The Horror the Horror: Wilderness“ (Musikvideo)
Nach dem Studium stellt sich dann ein einfaches Problem: Es kann nicht jeder Absolvent der Akademie Filmregisseur werden, da es für die Finanzierung so vieler Filme gar nicht genügend Geld gibt. Aber ich glaube, dass man mit Leidenschaft und harter Arbeit an seinem Ziel arbeiten muss – dann hat man eine Chance. WIE SIEHST DU DAS VIEL BESCHWORENE „ÖSTERREICHISCHE FILMWUNDER“?
Die internationalen Filmerfolge kommen allen Filmschaffenden in diesem Land zugute. Es wird eine Aufmerksamkeit geschaffen, die der österreichische Film schon lange nicht mehr hatte. Das bedeutet hoffentlich, dass diesem Kunstzweig in Österreich von staatlicher- und auch von Zuseherseite mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. WIE SIEHT DEINE VORSTELLUNG VOM SPÄTEREN LEBEN ALS FILMSCHAFFENDER AUS?
Ich hoffe, dass ich mich auch in Zukunft an den unterschiedlichsten Projekten unter Beweis stellen darf. Das bleibt sicher ein tiefes Bestreben in mir.
Fotos: Matthias Greuling
filmzukunft
Achmed Abdel-Salam ICH STUDIERE FILM, WEIL:
Schon als Kind war ich fasziniert von der Kraft der Bilder im Fernsehen. Ich habe meine liebsten Trickfilmhelden nachgezeichnet, später selbst Figuren erfunden und ganze Comichefte gestaltet. Das Erzählen in Bildern hat mich also von Anfang an begleitet. Die ersten Kinobesuche waren dann der Eintritt in eine neue, phantastische Welt. In der Videothek meiner Eltern habe ich mir fortan täglich zumindest einen Film angesehen. Manchmal war ich so geschickt, dass ich mir auch verbotene Titel aus einem der Regale schnappen konnte. Ich begann zu schreiben, Ideen zu entwickeln und eigene kleine Filme zu realisieren. Das Verfassen der ersten Drehbücher und mein wachsender Wissensdurst trieben mich schließlich soweit, dass ich mich noch eingehender mit der Materie beschäftigen wollte. Der Schritt an die Filmakademie hat sich also ganz organisch vollzogen. WELCHE GEFAHR BIRGT DIE UNTERTEILUNG VON FILM IN KUNST UND WARE?
Eine solche Unterteilung führt zu einem verzerrten Bild. Die Grenzen verschwimmen nämlich ohnehin. Die Gefahr besteht darin, dass man übersieht, dass auch der sogenannte Kunstfilm schon in der Vorproduktion Warencharakter hat. Man reicht den Stoff ein, dann wird sofort abgewogen. Man berät sich über den künstlerischen Wert, die Publikumswirksamkeit des Stoffes, etc. Das alles sind sehr wirtschaftliche Überlegungen.
dafür entwickeln, welche Stoffe einem liegen. In weiterer Folge, was das „richtige“ Medium dafür ist. Das Internet wird für viele zu einer immer interessanteren Plattform. Soziale Netzwerke bieten beispielsweise eine gute Möglichkeit, durch virales Marketing Aufmerksamkeit auf ein Projekt zu ziehen. Außerdem darf man sich von anfänglichen Misserfolgen nicht entmutigen lassen. WAS GILT ES, ZU VERBESSERN?
Die allgemeine finanzielle Situation. Die Gelder müssen aufgestockt werden. WIE SIEHST DU DAS VIEL BESCHWORENE „ÖSTERREICHISCHE FILMWUNDER“?
Mit zusammengekniffenen Augen. Wir werden gerne als Nation des Kunstfilms gesehen. Das ist aber ein Stempel, der uns aufgedrückt wird. Vor allem, weil Kunstfilm oft mit einer gewissen Schwere und Trostlosigkeit verbunden wird. Internationale Erfol-
ge sind natürlich etwas Positives, gleichzeitig tut sich im Inneren zu wenig. Erfreulicherweise wächst aber das Publikumsinteresse und der Wunsch nach Diversität wird stärker. Heute werden auch immer mehr Genrestoffe bei den Förderstellen eingereicht. WIE SIEHT DEINE VORSTELLUNG VOM SPÄTEREN LEBEN ALS FILMSCHAFFENDER AUS?
In meinen Augen wird sich unsere Filmlandschaft in den nächsten zehn Jahren grundlegend verändern. Eine neue Generation an Filmschaffenden rückt nach. Auch der Wert einer gut funktionierenden Filmwirtschaft wird immer deutlicher, kreative Zusammenschlüsse werden wichtiger. Ich erhoffe mir für die Zukunft, Teil dieser neuen Generation zu sein. Neben dem Wunsch, Drehbücher zu verkaufen, könnte ich mir auch vorstellen, das eine oder andere Projekt selbst zu realisieren. NAME: Achmed Abdel-Salam GEBOREN IN: Wien ALTER: 30 STUDIENRICHTUNG: Drehbuch AN DER FILMAKADEMIE SEIT: 2010 BEI FOLGENDEN PROFESSOREN: Walter Wippersberg, Götz Spielmann FILME (AUSWAHL): „Schleudern“ (2011, Buch und Regie) „Freigänger“ (2013, Buch und Regie) in Arbeit, „Der Rand“ (Kinospielfilmtreatment) Carl Mayer Förderungspreis 2013
WELCHE VOR- UND NACHTEILE HAT EINE UNIVERSITÄRE FILMAUSBILDUNG?
Als Filmstudent wird man ganz automatisch Teil eines relativ großen Netzwerks. Kontakte entstehen schon sehr früh, in manchen Fällen erleichtern sie dann auch den Einstieg in die Branche. Das ist ein großer Vorteil, den man gegenüber Quereinsteigern oder Autodidakten hat. Man befindet sich in einem „geschützten Rahmen“ und kann experimentieren. Der Nachteil hierbei ist wahrscheinlich, dass man die Studienzeit sehr ausdehnt, bevor man den ersten Schritt hinaus wagt. WIE SIND DIE BEDINGUNGEN FÜR JUNGE FILMEMACHER IN ÖSTERREICH?
Neben den wirtschaftlichen Faktoren, die es zu überwinden gilt, sollte man ein Gespür
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NAME: Ernst Golda GEBOREN IN: Wien ALTER: 25 STUDIENRICHTUNG: Produktion, Drehbuch AN DER FILMAKADEMIE SEIT: 2009 BEI FOLGENDEN PROFESSOREN: Danny Krausz, Gerlinde Semper, Götz Spielmann FILME (AUSWAHL): „Paula & Fritz“ (2011), „Waschtag“ (2012), „Tempus Fug’it“ (2013) – Drehbuch und Produktion „15. Internationales Filmfestival der Filmakademie Wien 2013“ – Festival-Leitung
ICH STUDIERE FILM, WEIL...
...vieles andere wahrscheinlich nicht so spannend wäre. WELCHE GEFAHR BIRGT DIE UNTERTEILUNG VON FILM IN KUNST UND WARE?
Film ist Kunst und wird als Ware gehandelt. Die Gefahr besteht wahrscheinlich in einer strikten Trennung, die ich nicht wirklich für möglich oder sinnvoll halte. WELCHE VOR- UND NACHTEILE HAT EINE UNIVERSITÄRE FILMAUSBILDUNG?
In meinen Augen liegt der wesentliche Vorteil unserer universitären Filmausbildung darin, dass wir (auch) das „Handwerk“ Film erlernen. Das heißt, die Arbeit mit den Geräten und dem Material, sowie die Arbeit miteinander im Team. Eine künstlerische Veranlagung und kreativ zu sein, liegt einem im Blut und ist schwer durch Noten zu erfassen. Wenn man als
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Foto: Matthias Greuling
filmzukunft
Ernst Golda kreative Person aber durch die richtige/n Werkzeuge und Anleitung von einer Ausbildungsstätte unterstützt wird, kann das nur Vorteile haben. WIE SIND DIE BEDINGUNGEN FÜR JUNGE FILMEMACHER IN ÖSTERREICH?
Die Bedingungen für junge Filmschaffende in Österreich sind nicht schlecht, aber die eigentliche Frage ist doch: Wie sind die Bedingungen für die Verwirklichung ihrer Ideen und Filme? WAS GILT ES, ZU VERBESSERN?
Eine wünschenswerte Verbesserung wäre mehr Mut der Geldgeber zu ‚außergewöhnlichen’ und vor allem ‚atypischen’ Filmprojekten, um eine Genre-Vielfalt zu erzielen. Als kleines Filmland muss man sich über die Vielfalt definieren. WIE SIEHST DU DAS VIEL BESCHWORENE
„ÖSTERREICHISCHE FILMWUNDER“?
Ich finde es schön, dass der österreichische Film im In- und Ausland solche Erfolge feiert und würde mich freuen, auch in den nächsten Jahren eine Österreicherin / einen Österreicher bei den Oscars zu sehen. Hoffentlich verhelfen uns diese Erfolge im Ausland zu noch besseren Bedingungen im Inland, damit noch mehr Filme, die sich am internationalen Markt behaupten können, hier in unserem Land entstehen. WIE SIEHT DEINE VORSTELLUNG VOM SPÄTEREN LEBEN ALS FILMSCHAFFENDER AUS?
Ich finde, die österreichische Filmlandschaft und die Filmschaffenden haben sehr viel Potenzial, und deswegen freue ich mich auf die Zukunft und alle Projekte, die es zu verwirklichen gilt.
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WINTERDIEB
Ursula Meier zeigt in „Winterdieb“ eine hervorragend gespielte Studie über Geschwisterliebe und Mutterersatz.
Thimfilm
Film &Kritik
I
m Brennpunkt von Ursula Meiers „Winterdieb“ steht der zwölfjährige Simon (Kacey Mottet Klein): Um sich und seine ältere Schwester Louise (Léa Seydoux) finanziell über Wasser halten zu können, stiehlt Simon die Winterausrüstung wohlhabender Touristen und verkauft sein Diebesgut an Nachbarskinder und Gastarbeiter in jenem Skigebiet, in welches er beinahe täglich via Seilbahn fährt. Die wiederholten Berg- und Talfahrten, die Simon auf sich nimmt, verdeutlichen klarerweise seinen Versuch, aus seinem persönlichen Tal der Tristesse auszubrechen. Das Hinauf-Streben manifestiert sich einerseits in Simons materiellen Ambitionen, sprich: Geld. Oben in den Bergen, so glaubt er, spielt letzteres keine wirkliche Rolle. Die reichen Touristen kaufen sich ganz einfach neue Dinge, sobald diese abhanden gehen. Fast noch offensichtlicher ist sein Streben nach Liebe und Geborgenheit: Simon, der mit seiner arbeitslosen Schwester Louise (Léa Seydoux) in einem schmucklosen Arbeiterbau wohnt, ist praktisch auf sich alleine gestellt; von Schule gar keine Rede. Trotz der zwischenzeitlichen Hoffnungsblitze entfremdet
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sich Louise immer mehr. Selbst an Weihnachten zieht sie es vor, mit einem ihrer austauschbaren Liebhaber das Weite zu suchen. Simon, dessen Gefühlslage wohl irgendwo zwischen Resignation, Gleichgültigkeit und Tapferkeit angesiedelt ist, bleibt eigentlich keine Zeit, Kind zu sein. Obwohl er immer wieder ertappt, gestellt und sogar verprügelt wird, bleibt Simon unerbittlich und setzt seine Raubzüge kompromisslos fort. Sein verwegenes, beinahe heroisch-aufopferndes Verhalten hebt ihn selbstverständlich von allen anderen Kindern ab – das Aufbrechen dieses äußeren Schutzschildes ist eigentlich nur eine Frage der Zeit. BERG UND TAL Die schwindelerregende Formensprache von Ursula Meiers „Winterdieb“, die zahlreichen Auf- und Untersichten, sind offensichtlich der Kulisse des Spielfilmes geschuldet. Der vertikale „Winterdieb“ lebt vom Widerspruch der beiden Welten in den Bergen und im Tal. So stehen samt-seidige, milchig-weiße Bilder einer idyllischen Winterkulisse der trüb-nebeligen Atmosphäre des Tals gegenüber. Die Berge, die Simon und Louise von allen Seiten her einkesseln, sind
Sinnbild von Ursula Meiers subtilem Familiendrama, dessen sonderbare Bruder-SchwesterBeziehung aus, so glaubt man, dem Fehlen der Elternfiguren hervorgeht. Simons unterschwellige Eifersucht auf die Liebhaber der enigmatischen Schwester lassen jedoch fast schon auf eine Variante des Ödipuskomplex schließen. Simon, dessen Liebe zu seiner mütterlichen Schwester kaum erwidert wird, versucht folglich, ebendiese zu erkaufen und findet im Stehlen einen potenten Mutterersatz. Eine Ersatzmutter findet er außerdem in einer der wohlhabenden Touristinnen, die zu einer der wenigen Konstanten in seinem Leben wird. Die wiederkehrenden Momente der Spannung und Spannungen entfalten sich besonders durch das hervorragende Spiel der zentralen Charaktere von Meiers zeitlosem, beinahe anachronistischem „Winterdieb“. Matthias K. Heschl
WINTERDIEB F/CH 2012. Regie: Ursula Meier. Mit Kacey Mottet Klein, Léa Seydoux, Martin Compston FILMSTART: 26.04.2013
STOKER - DIE UNSCHULD ENDET
ABC-Films
Park Chan-wooks erster englischsprachiger Film mit Mia Wasikowska und Nicole Kidman traut seinen Zuschauern nicht.
I
ndia (Mia Wasikowska), ein blasses, stummes Mädchen mit langen braunen Haaren, steht auf einer Straße und schaut fasziniert einen Abgrund hinab. Schon die ersten Bilder von „Oldboy“-Regisseur Park Chan-Wooks englischsprachigem Filmdebüt machen klar, dass „Stoker“ vor allem durch seine Bildmetaphern zum Zuschauer spricht. So wie der Moment, in dem eine Spinne an Indias Bein empor krabbelt und sie zusieht, wie diese unter ihrem Rock verschwindet, ganz so, als gehöre sie zu ihrem Wesen. Doch auch der Filmname gibt einen ersten Hinweis: „Stoker“ bedeutet Anheizer, Aufrührer, und ganz eindeutig bezieht sich der Titel nicht nur auf den Familiennamen, sondern auch auf den unbekannten Onkel Charlie (Matthew Goode), der nach dem Tod seines Bruders aus dem Nichts auftaucht. An der Seite ihrer gefühlskalten Mutter (Nicole Kidman) sieht India in aller Stille mit an, wie dieser ins Haus zieht und ihrer Mutter alsbald beachtlich nahe kommt. Doch was der Onkel wirklich will, ist das Mädchen. Und dabei geht er über Leichen. Was India nicht abstößt. Ganz im Gegenteil… Die Faszination des Regisseurs mit dem Bösen, dem Brutalen, lässt ihn auch hier nicht
los. Er taucht seine Figuren in eine artifizielle Welt, die der Realität nahe kommt, sie aber doch letztendlich mehr in Richtung Gothic Horror-Märchen trägt. India, in ihrer jugendlichen Schönheit, scheint fast ein Schneewittchen zu sein – allerdings weiß man schon seit „Léon der Profi“, dass man unschuldigen Mädchengesichtern nicht unbedingt trauen sollte. Das ist wie mit kleinen Katzen: so süß, dass man schnell die Krallen vergisst. Doch ihre Unschuld fasziniert, genauso wie die lupenreinen Bilder, die Chung Chung-Hoon, Park Chan-Wooks Lieblingskameramann, hier einfängt. Komponiert sind die Bilder in einem Rhythmus, der einen immer weiter einsaugt in den Film, wie ein Herz, welches immer schneller, aber nie zu schnell schlägt – eine subtile Taktik, die das Morbide, die leise Gefahr und den Horror stets sanft untermalt. VOLLER ANSPIELUNGEN Das klingt alles ganz fantastisch, doch es folgt ein „aber“. Die vielen Versatzstücke, Bildmetaphern und Referenzen wollen sich einfach nicht so recht zu einem großen Ganzen fügen. Doch schlimmer noch sind die unendlich vielen Anspielungen, die mehr als die Hälfte des Filmes
ausmachen. Ein Teaser jagt den anderen, fast möchte man meinen, der Film traut seinen Zuschauern nicht und will sicher gehen, dass es auch alle kapieren. Tun sie auch— leider viel zu früh, was dem Spannungsbogen nicht hilft. Ein wenig mehr Vertrauen in die eigene Geschichte hätte wirklich gut getan. So wird es wohl für einige Zuschauer bei der Auflösung zu einer Enttäuschung kommen, denn nach so viel bedeutungsschwangerem Hinweise-Sähen, erwartet man doch etwas Überraschendes. Doch der große Knall bleibt aus. Das kann man negativ sehen, oder auch nicht. Denn es bleibt trotzdem die Möglichkeit, sich an den perfiden Details der Geschichte zu erfreuen und zusammen mit Park Chan-Wook Spaß an den Abgründen der menschlichen Natur zu haben. Beatrice Behn
STOKER F/PH/GB 2012. Regie: Park Chanwook. Mit Mia Wasikowska, Nicole Kidman, Matthew Goode FILMSTART: 10.05.2013
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filmkritik
NO
Filmladen
Regisseur Pablo Larraín komplettiert mit „No“ seine Trilogie über das Chile unter Pinochet. Diesmal erzählt er, wie man mit einer Werbekampagne einen Diktator stürzt.
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ie wird ein Diktator gestürzt? Durch Gewalt, Verrat oder Blutvergießen? „¡No!“ - Chile hat es der Welt gezeigt; eine Werbekampagne brachte Augusto Pinochet zu Fall. Chile, 1988. Augusto Pinochet ist seit 1973 an der Macht, doch der internationale Druck zwingt ihn, ein Referendum durchzuführen, um über die Fortsetzung seiner Präsidentschaft zu entscheiden. Die Opposition erhält 15 Minuten Fernsehzeit täglich zu später Stunde, um sich Gehör zu verschaffen und die ängstliche Bevölkerung zur Wahl zu motivieren. Die unterdrückten Bürger denken Anfangs an einen reinen Pro Forma-Akt des Regimes und glauben nicht an eine reelle Chance einer fairen Abstimmung. René Saavedra (Gael García Bernal), der Sohn eines Exilanten, hat einen gut bezahlten Job als Werbemacher, lebt getrennt von seiner Frau und interessiert sich keineswegs für Politik. Dem jungen Kreativen sind nur sein Sohn Simón (Pascal Montero) und sein Eigentum wichtig. Mehr aus Stolz denn aus Integrität nimmt er den Auftrag an, die ¡No! - Kampagne umzusetzen. Worauf er sich einlässt, wird ihm erst bewusst, als seine Familie in Gefahr ist.
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Die ¡No! – Kampagne ist schrill, bunt, laut und optimistisch und eckt sogar bei einigen der Oppositionellen an. Junge Menschen tanzen und feiern in Zeiten von Angst und Verfolgung. Nach anfänglicher Skepsis erlangen die Spots dennoch große Medienwirksamkeit. Als die Mitarbeiter von ¡No! merken, dass sie bespitzelt und verfolgt werden, wird René klar, dass auch sein Sohn Ziel von Attacken sein kann. Mit der deutlicher werdenden Bedrohung wächst allerdings auch Renés politisches Bewusstsein und sein Wille, die Kampagne zum Sieg zu führen. TRILOGIE Der chilenische Regisseur Pablo Larraín schließt mit „¡No!“ nach „Post Mortem – Santiago 73“ und „Tony Manero“ eine Trilogie über das Chile unter Pinochet ab. „¡No!“ ist im Vergleich zu seinen beiden Vorgängern weniger düster; er zeichnet sich durch eine gewisse Leichtigkeit und Freude aus. Larraíns Hybrid aus Spiel- und Dokumentarfilm überzeugt durch eine Besonderheit. Da 30 Prozent des Films aus Archivmaterial besteht, wurde beschlossen, ebenfalls im 4:3-Format zu drehen, um die Optik der 80er Jahre zu erhalten. Dabei entscheidend war,
dass mehrere Umatic-Kameras gebaut wurden, mit denen der charakteristische Look produziert werden konnte. Durch diese ungewohnte Drehweise wirken zwar die Bilder etwas unscharf, aber das Archivmaterial konnte unauffällig eingeflochten werden. „Unsere Idee war, dass alles, was wir drehen, nahtlos mit dem originalen Material kombiniert werden kann. Das stellte eine immense Herausforderung für alle Gewerke dar, Szenenbild, Kostüm, Maske, bis hin zum Casting“, sagt Larraín. Der Film wurde in Cannes uraufgeführt und erhielt eine Nominierung für den Auslands-Oscar. Mit ein Grund dafür ist auch das Schauspiel von Gael García Bernal, der es schafft, der Figur des Saavedra Platz und Spielraum zu geben und den Zuseher mit dem nötigen Humor, mit Ernsthaftigkeit und Durchsetzungskraft ins Chile der 80er Jahre zurück zu versetzen. Teresa Losonc NO CHILE/USA/MEX 2012. Regie: Pablo Larraín. Mit Gael García Bernal, Alfredo Castro, Antonia Zegers, Luis Gnecco FILMSTART: 09.05.2013
CAPTIVE
Thimfilm
Ein dramatischer Film-Plot und eine französische Leinwand-Ikone garantieren noch kein gelungenes Kinoerlebnis.
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enn schon „True Story“, dann puristisch und im Doku-Format, sagen die einen. Leinwand-Realismus lebt auch von fiktionaler Zuspitzung, meinen die anderen: An der Verfilmung „wahrer“ Begebenheiten scheiden sich die cineastischen Geister. „Ich habe eine Ausgangsidee, darauf basierend suche ich Geschichten, Fakten, Figuren – alles, was in das Drehbuch hineinkommt. Ich lasse mich von dem inspirieren, was um mich herum geschieht“, erläutert Regisseur Brillante Mendoza sein Konzept der „gefundenen Geschichten“ – eine Mischform der erwähnten Positionen, die im Entführungsdrama „Captive“ zum Einsatz kommt: Im Jahr 2001 stürmen Mitglieder der islamistischen Terrorgruppe Abu Sayyaf eine philippinische Ferieninsel und entführen zwanzig Touristen. Das Ziel des so genannten „Dos Palmas“-Kidnapping: Geld für den Kampf um die Errichtung eines islamischen Gottesstaates auf den Südinseln der Philippinen zu erpressen. Die 377 Tage dauernde Gefangenschaft endet nicht nur für einige der Geiseln in einem Blutbad, auch zahlreiche Terroristen und Soldaten werden getötet. Soweit die Fakten des realen Entführungs-
falls, die Mendoza als Grundlage für seine Version der Ereignisse dienen. Anhand einer fiktiven französischen Sozialarbeiterin, die wie die anderen Verschleppten den Repressalien der Kidnapper und den halbherzigen Befreiungsversuchen des philippinischen Militärs ausgesetzt ist, zeichnet der philippinische Filmemacher ein bedrückendes Klima der Angst und des Hasses nach. Die von Leinwand-Ikone Isabelle Huppert verkörperte Thérèse wird dabei zu den Augen und Ohren des Zusehers, der beobachten kann, wie Menschen in einer Extremsituation mit ihren Gefühlen und Moralvorstellungen umgehen. Einige verzweifeln, andere finden sich mit ihrer Lage ab oder gehen sogar eine symbiotische Beziehung mit den Tätern ein – solidarisieren sich mit den Kidnappern und deren Zielen. SEMI-DOKUMENTARISCH Mendoza beleuchtet diesen gruppendynamischen Prozess, bei dem die Grenzen zwischen „Gut“ und „Böse“ zunehmend verschwimmen, mit verwackelter Handkamera und episodenhaftem Erzählstil, was den insgesamt semi-dokumentarischen Charakter der Inszenierung noch verstärkt.
Als soziologische Versuchsanordnung funktioniert „Captive“, als Kinoerlebnis ist das Leinwand-Psychogramm aber nur bedingt geeignet: Eine stringente Dramaturgie und einen klaren Erzählfokus sucht man vergeblich. Auch bei der Figurenzeichnung bleibt Mendoza an der Oberfläche, gibt nur rudimentäre Einblicke in die Lebensgeschichten der Protagonisten und bleibt viele Antworten auf Fragen nach den politisch-religiösen Hintergründen schuldig. Das (filmische) Resultat: Der zu Recht als Meister der Darstellung existenzieller Gefühle gefeierte Regisseur kreiert zwar eine authentische Atmosphäre, die den Überlebenskampf der Geiseln nachfühlbar macht, die Menschen hinter der Opferrolle bleiben aber abstrakt. Selbst die empathische Isabelle Huppert muss dieser Form der Inszenierung Tribut zollen und kann nur in einigen Szenen ihre Qualitäten als Charakterdarstellerin ausspielen. Jürgen Belko CAPTIVE F/PH/GB 2012. Regie: Brillante Mendoza. Mit Isabelle Huppert, Katherine Mulville, Marc Zanetta FILMSTART: 17.05.2013
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filmkritik
DIAMANTENFIEBER
Polyfilm
Das Sozialmärchen mit dem James Bond-Titel lässt einen Wiener Teenager zu Robin Hood werden. Anstatt gegen Könige und Sheriffs wird nun gegen das Jugendamt und die Sozialbürokratie gekämpft.
D
er 15-jährige Hans (Johannes Nussbaum, Diagonale-Schauspielpreis) treibt sich gern in der Gegend um den Wiener Stephansdom herum – „weil hier das Geld sitzt“, wie uns von zwei superreichen Tussen klargemacht wird. Zu den Superreichen gehört Hans nicht, vielmehr muss er nach dem Tod seiner Eltern für seine vier jüngeren Geschwister und seine kranke Oma im Alleingang sorgen, das Jugendamt sitzt ihm bereits im Nacken. „Hast du meine Lieblingszuckerl mit?“ fragt der kleine Bruder. Hans, abgeklärt: „Du weißt ja, dass ich mir die ned leisten kann. Die musst selbst stehlen oder so.“ Denn genau das tut Hans auch, wenn auch nicht Zuckerl, sondern weitaus Wertvolleres: Im regen Wiener Stadttreiben klaut er Brieftaschen, Uhren und Schmuck von (reichen) Passanten. Für seinen Onkel Fritz (Josef Hader), der falsche Diamanten an die High Society verkauft, spielt Hans zudem den Fahrradkurier. Doch dann lernt er Melanie (Anna Posch) kennen, die unter ihren steinreichen Eltern leidend schon mal ihren Kopf ins heiße Backrohr steckt. Die beiden tun sich zusammen, um gegen Erwachsene, die Wirtschaftskrise und die Sozialbürokratie zu kämpfen …
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Österreichisches Märchen. Peter Kern ist bekannt für seine Vorliebe für das Verrückte und Trashige. In „Diamantenfieber“ geht er jedoch überraschend massentaugliche Wege, auch wenn der Untertitel „Kauf dir einen bunten Luftballon“ verrät, dass der Film so geradlinig dann doch nicht ist. Beginnt „Diamantenfieber“ als düstere Sozialkritik (Bourgeoisie trifft auf Pöbel), wandelt er sich zur Mitte hin in eine Krimiparodie, während er im letzten Drittel zu einem Kinderfilm im Stil der „4 Freunde“ abdriftet. Dass der bunte Genremix beabsichtigt war, ist Kern durchaus zuzutrauen – trotzdem hätte etwas mehr Kontinuität dem Film gut getan. Vor allem aber will „Diamantenfieber“ eines sein: ein modernes, durch und durch österreichisches Sozialmärchen, das seine Anleihen an „Robin Hood“ gar nicht erst verstecken will. Der junge Held bestiehlt die Reichen, um zu überleben, prangert dabei soziale Missstände an und rettet nebenher noch die reiche Adelstochter aus ihrem goldenen Käfig. Dass es dabei nichts anderes als ein (erzwungenes) Happy End geben kann, versteht sich von selbst. So glatt das alles auch sein mag, so ver-
heerend sind Kerns Giftpfeile, die er in „Diamantenfieber“ gegen Politik und Co. schießt: Da winken SPÖ-Mitglieder, u. a. Kanzler Faymann himself, gönnerhaft und Luftküsschenverteilend der Menge zu, während lautstark von „Chancengleichheit für alle“ gesprochen wird. Hans‘ Antwort: Er klaut die Armbanduhr des lächelnden Altkanzlers Franz Vranitzky. In den folgenden Szenen wird Hans noch dazu von den Institutionen Wien Energie und Wiener Wohnen das Leben schwer gemacht. Letztere haben eine Drehgenehmigung in ihren Hallen übrigens verweigert. Dem Märchen hat’s keinem Abbruch getan – im Gegenteil, wie Kern meint: „Wir haben mit diesem Film Wiener Wohnen und Wien Energie, die Menschen, die in Not geraten sind, den Strom sperren und bei Minustemperaturen frieren lassen, ein Denkmal gesetzt. Und der süße Hund meiner Schwester hat dazu ein Gackerl gemacht.“ Manuel Simbürger DIAMANTENFIEBER Ö 2012. Regie: Peter Kern. Mit Johannes Nussbaum, Anna Posch, Josef Hader, Stefanie Fürstenberg FILMSTART: 24.05.2013
MUTTER UND SOHN
Filmladen
Korruption im Kleinen: Der Rumäne Calin Peter Netzer zeigt in seinem Berlinale-Gewinner „Mutter und Sohn“, wie man mit Schmiergeld (nicht nur) in seiner Heimat dem Knast entkommt.
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rgendwann, da passiert die Katastrophe: Ein Mann rast zu schnell mit dem Auto, fährt ein Kind an und das Kind ist tot. In „Mutter und Sohn“ des in Rumänien geborenen Regisseurs Calin Peter Netzer geht es aber nicht um die gebrochene Familie, die den Tod ihres vierzehnjährigen Sohnes zu verkraften hat. Es geht nicht darum, wie Unfallfahrer Barbu mit seiner Schuld umgeht. Alles dreht sich um Barbus Mutter Cornelia (Luminita Gheorghiu). Und die ist nahezu besessen von ihrem längst erwachsenen Sohn. Ihr „Baby“ nennt sie ihn, ihr einziges „Kind“. Und das große Kind ist um jeden Preis vor einer Gefängnisstrafe zu beschützen. Als wohlhabende Architektin mit einflussreichem Bekanntenkreis lässt sie ihre Kontakte zugunsten des Sohnes spielen. Fragen nach Verantwortung sind Fragen der Schmiergeldhöhe. In der menschlichen Tragödie sieht Cornelia nur Probleme, die mit kühlem Kopf analytisch zu lösen sind: also unter einem Lügenkonstrukt verschwinden sollen. „Bitte lass mich raus!“, sagt einmal der Sohn zur Mutter. Er sitzt im Auto und seine Worte sprechen soviel mehr an als die verriegelte Wagentür. Es ist der erste, aber sehr
späte Moment, in dem er die Mutter-Fesseln aufbricht und endlich selbst handelt. Denn in 107 Minuten Filmlänge rückt die Kamera kaum von der Mutterfigur ab, ihre Dauerpräsenz durchdringt die Narration. Die Geschichte ihres Sohnes Barbu wird schlichtweg ihre Geschichte, die dem Sohn lange nur Nebenauftritte zwischen Lähmung und passivagressiver Rebellion zugesteht. Überhaupt vergeht Zeit, bis Barbu nicht nur in Gesprächen über ihn, sondern erstmals persönlich im Film auftritt. NÜCHTERN & KÜHL Zwar spielt das Drama in Rumänien, die Themen Korruption oder Kluft zwischen Reich und Arm sind aber keine zwingend rumänischen. Es ist eine rein private Geschichte, die Ko-Autor Razvan Radulescu und Regisseur Calin Peter Netzer erzählen. Ihr Stil: nüchtern, kühl, kein Wort zuviel. Während der Film anfangs ein wenig dahindümpelt, scheint es die Narration ganz mit dem Sohn zu halten: ab seinem ersten Auftreten wächst ihre Kraft und liefert dann doch recht starke Momente. Weit und breit herrscht zwischen den Figuren Distanz, die einzige Nähe schaffen
beunruhigende halbnahe und nahe Kameraeinstellungen. In potentiell menschlich „nahen“ Situationen erweist sich die Mutter als Zumutung. „Immerhin ist es ein besser aussehendes Haus“ fällt ihr ein, als sie die einkommensschwache Familie des getöteten Jungens besucht und vor deren Grundstück parkt. Sie fleht die Familie aufgelöst an, von einer Klage gegen den Sohn abzusehen und zeigt in ihren ehrlichsten Momenten nur, dass sie eine Egoistin ist, die nichts verstanden hat. „Bitte richten Sie mein Kind nicht zugrunde“, sagt sie zu den Trauernden. „Sie haben noch ein anderes Kind, aber ich habe nur ihn.“ Luminita Gheorghiu (bekannt aus dem rumänischen Palme d’or-Gewinner „4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage“) meistert die komplexe Mutterrolle herausragend. Auf der Berlinale hat „Mutter und Sohn“ den Goldenen Bären für den besten Langfilm gewonnen. Sandra Nigischer MUTTER UND SOHN RO 2012, Regie: Calin Peter Netzer. Mit: Luminita Gheorghiu, Bogdan Dumitrache, Ilinca Goia FILMSTART: 23.05.2013
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filmkritik
SCHULDEN G.M.B.H.
Stadtkino
Das Geschäft mit den Schulden: Eva Eckert zeigt in ihrem Dokumentarfilm „Schulden G.m.b.H.“, wie die Eintreiber von Rückständen arbeiten - und ist dabei nüchtern, aber nicht ohne Ironie.
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ls gut geölte Maschine präsentiert der Dokumentarfilm „Schulden G.m.b.H.“ jene Branche, die ihr Kapital aus dem finanziellen Unglück der Anderen schlägt. Nüchtern betrachtet, aber nicht ohne Ironie. Der erste Gerichtsvollzug des Films läuft selbstverständlich und routiniert ab – wie auch alle anderen gezeigten Handlungen der Schuldnerjäger (es sind fast ausschließlich Männer): keiner zu Hause, das Türschloss wird lautstark aufgebrochen, die Wohnung durchsucht, kaum noch etwas zu holen, ein Teppich, eine Ledercouch vielleicht, die Nachbarn bezeugen. Bevor es so weit kommt wie hier, lassen Bezirksgericht, Bank oder Inkassobüro ihre Mahnungen per Post oder von ihren Schergen persönlich zustellen. Ihr Ton ist bestimmt, wird aber nicht ausfallend – zumindest vor der Kamera. „Darf ich eintreten, danke!“, „Zeigen’s mir Ihr Geldbörsel!“ dürfen die Vollstrecker einfordern. Dabei tritt die Kamera nicht – wie aus der handelsüblichen investigativen/voyeuristischen Fernsehreportage gewohnt – mit dem Forderungseintreiber verbündet auf und in die Wohnungen der säumigen Mitbürger ein. Nur der weiterhin mitgeschnittene O-Ton des
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Gesprächs gibt Aufschluss über die Situation hinter angelehnten Türen und garantiert so einen wesentlich intimeren, und dennoch anonymisierten Dialog. Überhaupt interessiert sich der Film nur indirekt für die Psychologien, Sichtweisen oder Schuldigkeit der Schuldner. Sie tauchen lediglich als Gegenspieler im Wettkampf der Exekutionsdienstleister oder als Schützlinge der Schuldenberatung auf. Die Strategien und Arbeitsabläufe, sowie das Kräftespiel der ökonomischen und rechtlichen Interessen des Schuldenexekutionsapparats bilden den Fokus der Untersuchung von Regisseurin Eva Eckert. Die Filmemacherin legt gekonnt die Absurdität von wahnwitzigen Zinsberechnungsformeln, Versteigerungen wertlosen Pfandguts oder entleerten Orten der kapitalistischen Traumversprechen, wie Autohaus, Kasino oder dem Fertighaussupermarkt „Blaue Lagune“ frei. Komisches Potenzial besitzen vor allem rhetorische Eigentore oder Selbstdarstellungseinlagen der Akteure, denen Eckert ausreichend Platz zur Entfaltung einräumt. Einziger Wermutstropfen: Stellenweise hebt sich „Schulden G.m.b.H.“ in Sachen Recher-
cheumfang und Ästhetik vom weniger anspruchsvollen Verwandten TV-Reportage nur geringfügig ab. Der groteske Schuldenkreis schließt sich, spätestens als ein Wiener Privatdetektiv schmunzelnd verrät, dass er selbst vom Jäger zum Gejagten wurde, als er ins Fadenkreuz der Kirchensteuereintreiber geriet. Schon zu Beginn räumt der Film mit der Idee einer exotischen Spezies von Verschuldeten auf: „Die Hälfte der Österreicher ist privat verschuldet, 70% der Gläubiger sind Banken“, informiert ein Textinsert. Eigentlich keine Überraschung beim zunehmend kultivierten Konsum auf Pump – egal ob das neue Smartphone in Ratenzahlungen oder der Luxusschlitten mit Leasingvertrag. Schlussendlich, so ein Mitarbeiter der Schuldenberatung, verdienen Gläubiger am meisten an den Kunden, die zahlungsfähig bleiben, aber ihre Schulden niemals abbezahlen können. Martin Krammer SCHULDEN G.M.B.H. Ö 2013. Regie: Eva Eckert. Dokumentarfilm FILMSTART: 24.05.2013
IHR WERDET EUCH NOCH WUNDERN
Thimfilm
Alain Resnais und die Wirkkraft des Theaters: In seinem neuen Film betrachtet er seine Charaktere beim Betrachten einer Projektion - oder doch nicht?
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ls dramaturgisches Sprungbrett in Alain Resnais’ „Ihr werdet euch noch wundern“ fungiert ein Bote – eine eigentlich recht plumpe Art, einen Film zu beginnen: Per Telefonanruf überbringt er die Nachricht vom Tod eines Theaterregisseurs, dessen letzter Wille es wiederum vorsieht, alle adressierten Charaktere in seinem Haus zu versammeln. Dort bittet der tote Regisseur die Versammelten mittels einer Videobotschaft, eine Neuinszenierung seines Stückes „Euridyce“ zu bewerten; ein Stück, das alle in der Vergangenheit unter seiner Regie aufgeführt haben – das Stück wird ihnen sogleich über eine Kinoleinwand präsentiert. Anfangs scheint die Projektion bloß vorrübergehend in „Ihr werdet euch noch wundern“ eingebettet, mit Fortdauer wird das Stück-im-Stück jedoch zum zentralen, treibenden Momentum von Resnais‘ Filminszenierung, und die Trennlinien zwischen dem Projizierten und der eigentlichen Handlung des Spielfilmes verblassen. Resnais verlagert „Ihr werdet euch noch wundern“ dadurch auf eine stark psychologische Ebene; über Assoziationen und Imaginationen der einzelnen Charaktere verquickt der französische
Regisseur Szenen aus deren vergangenen Aufführungen mit jenen auf der Leinwand. Die Erinnerungen der betrachtenden Schauspieler korrespondieren nicht selten mit den Empfindungen der ausführenden Darsteller der Neuinszenierung von „Euridyce“ – die Betrachter treten in lebhafte Interaktion mit der Leinwand. IRRITIERENDES SPIEL Die repetitiven Muster von „Ihr werdet euch noch wundern“ wirken anfangs irritierend und verstörend: Durch das Nebeneinanderstellen und Aneinanderreihen identischer Szenen – gespielt von unterschiedlichen Darstellern, vor unterschiedlichen Kulissen – unterstreicht Resnais die parallelen Gefühlswelten aller Schauspieler und öffnet die zeitliche und räumliche Dimension des filmischen Kammerspiels in alle Richtungen. Der exzessive Einsatz von Überblendungen und Splitscreen verdeutlicht diese Strategie, verschiedene (Gefühls)-Ebenen des Schauspiels verbinden zu wollen, auch auf handwerklich-formale Weise. Schummrig-weiche Einstellungen gliedern sich nahtlos in eine oszillierende Formensprache ein und verbild-
lichen die diesig-schleierhafte Atmosphäre, die dem Spielfilm einerseits Nachdruck gibt, die ihn anderseits auch so flüchtig erscheinen lässt. Resnais’ „Ihr werdet euch noch wundern“ fußt aufgrund seines Sujets auf einem für den Film wohl eher antiquierten Theater-Gestus, welcher sich durch Parameter wie Zwischentitel, die Gliederung in Akte oder stark überzeichnetes Schauspiel ausdrückt. Schließlich ist „Ihr werdet euch noch wundern“ nicht viel mehr, als das bloße Betrachten der Charaktere bei deren Betrachtung einer Projektion – oder doch nicht? Trotz der extremen Dialoglastigkeit und hochgradig komplexen Teilstrukturen vermag es Alain Resnais’ Spielfilm zwischenzeitlich zuzupacken, ehe er sich trotz des außerordentlich renommierten Ensembles (Mathieu Amalric, Lambert Wilson, Michel Piccoli, Sabine Azéma, u.a.) in den endlosen Dialogen verliert, einem entgleitet. Matthias K. Heschl IHR WERDET EUCH NOCH... ... wundern. F 2012. Regie: Alain Resnais. Mit Mathieu Amalric, Lambert Wilson, Michel Piccoli FILMSTART: 07.06.2013
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filmkritik
LAURENCE ANYWAYS
Thimfilm
Xavier Dolans dritter Langfilm verdient diese Bezeichnung: In drei Stunden Spielzeit liefert das Drama visuelle und erzählerische Ruhelosigkeit, bis dem Film irgendwann die Luft ausgeht.
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urz, nachdem Hochschul-Literaturprofessor Laurence Alia (Melvil Poupaud) beginnt, sich als Frau zu kleiden, verliert er seinen Job. Zwei Worte hinterlässt Laurence der Schulleitung an der Tafel: „ecce homo“ - „Sehet, der Mensch.“ Mit den selben Worten hat Pontius Pilatus den gegeißelten, Dornen gekrönten Jesus vorgeführt, weil er keine Schuld an ihm gefunden hat. Das Volk forderte daraufhin die Kreuzigung Jesu. Kaum Szenen, kaum Bilder in „Laurence Anyways“, die nicht mit Bedeutungen aufgeladen sind. Im dritten Spielfilm des erst 23-jährigen frankokanadischen Regisseurs Xavier Dolan liefern sich Zitate einen kräftigen Schlagabtausch. Hieronymus Boschs Renaissance-Gemälde „Die Kreuztragung“ schneidet Dolan quer mit dem blutenden Gesicht von Laurence nach einer Schlägerei. In „Schweigen der Lämmer“-Manier befreit sich ein Schmetterling aus seinem Mund. Dann wieder mixt Xavier Dolan Stile, die intensiv gegeneinander arbeiten. Beethoven, Brahms und Tschaikowski geben sich im Soundtrack mit Duran Duran, Céline Dion und Depeche Mode die Klinke in die Hand. Bild-Text- oder Bild-Ton-Scheren sind mehr Regel als Ausnah-
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me in einem Film, der vor allem eines ist: Ein audiovisueller, mit reichlich Ironie gespickter Exzess, der nicht zur Ruhe kommt. Leider aber kommt auch die Handlung nicht zur Ruhe: Sie zieht sich über fast drei Stunden. In „Laurence Anyways“ fragt Xavier Dolan nach den Bedingungen von Liebe und erzählt von der leidenschaftlichen On-Off-Beziehung zwischen Laurence und seiner Freundin Fred (Suzanne Clément) ab dem Ende der 80er-Jahre bis ans Ende der 90er-Jahre. In diesem Jahrzehnt gesteht Laurence seiner Freundin, dass er sich als Frau fühlt und endlich sein wahres Leben leben möchte - aber nach wie vor mit Fred zusammen sein will. LUFT RAUS „Ich werde sterben“ kündigt er seine äußerliche Identitätsänderung an und löst ein Wechselspiel aus Liebe, Irritation und Befremdung aus. Zu wenig Energie hat die Story per se nicht, aber über die lange Erzählstrecke hinweg fehlt ihr die Kraft, ihr geht schlichtweg die Luft aus. Stille, ruhige, tiefe Momente sind selten in diesem Film, aber wirken: Die Kündigungsszene, die mit dem „ecce homo“-Schriftzug endet, ist eine der reduzierter gehaltenen
Szenen im Film - mit ernstem Inhalt: Die Schulleitung hält fest, dass Transsexualität nach dem Klassifizierungssystem der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung als psychische Störung gelte (die WHO kommt übrigens zu dem selben Schluss). An anderer Stelle ist zarte, stille Vertrautheit spürbar, als sich Laurence das erste Mal neben seiner Freundin schminkt. In diesen Begegnungen, den Dialogen und im Visuellen liegen Xavier Dolans Stärken, was er schon in den Vorgängerfilmen „I Killed My Mother“ (2009) und „Les Amours imaginaires“ (2010) bewiesen hat. Die langwierige und problemlos kürzbare Geschichte aber vermisst die Würze, die Dolan auf visueller Ebene verpulvert. So ist „Laurence Anyways“ kein Scheitern, aber auch kein bemerkenswerter Erfolg. Sandra Nigischer
LAURENCE ANYWAYS CA 2012, Regie: Xavier Dolan. Mit: Melvil Poupaud, Suzanne Clément, Nathalie Baye, Monia Chokri FILMSTART: 21.06.2013
THE GRANDMASTER
Thimfilm
Großartige Kampfszenen, ja. Aber reicht das schon für einen guten Film? Wong Kar-Wais „The Grandmaster“ enttäuscht.
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er Eröffnungsfilm der diesjährigen Berlinale war ein wahrer Martial-ArtsBilderregen. Das macht schon die Eröffnungssequenz klar, die von unbeschreiblicher Schönheit zeugt. Ein Kampf – oder fast schon besser – ein Tanz in strömendem Regen; wie hätte es auch anders sein sollen in einem Film von Wong Kar-Wai. In grauen, fast schon schwarz-weiß-düsteren Bildern fängt er eine Kampfszene ein. Im Mittelpunkt sein treuer Schauspieler Tony Leung als Kung-Fu-Legende Ip Man. Im strömenden Regen mit weißem Strohhut kämpft er gegen eine gegnerische Kung-FuKämpfer-Armada. Wong Kar-Wai zeigt diesen Kampf nicht nur, er zelebriert ihn: minutenlang mit wunderschönen Nahaufnahmen und Wiederholungen. Regentropfen, die in Pfützen fallen, geschnitten gegen Schläge auf Körper. In beiden Bildern spritzen die Wassertropfen. Mal in Zeitlupe, mal extra schnell. Auch das nicht schmerzhaft, sondern eher poetisch. Allerdings mit einer unnötigen Leere der Bildkraft. Und da ist schon der Haken an „The Grandmaster“. Der einstige Hoffnungsträger des Weltkinos erzählt hier die Lebensgeschichte
des Großmeisters Ip Man, Lehrer von Bruce Lee und in China eine Legende. Dabei ist Ip Mans Lebensgeschichte für Wong Kar-Wai aber nur der Anlass, um in eben jenen poetisch komponierten Bildern von der Faszination der Martial-Arts-Künste zu erzählen. Es ist ein Hybridfilm. Weder reines Martial Arts, noch Biopic. Seine Schauspieler, allen voran Tony Leung, hat er über Jahre hinweg in die harte Kunst des Kung-Fu-Kämpfens eingearbeitet, allein Leung hat ein Jahr lang täglich trainiert, sich etliche Knochen gebrochen, um als Ip Man fit und glaubhaft zu sein. Zwischen Wong und Leung besteht eine MeisterSchüler-Beziehung wie im Kung Fu. KAMPF-EPOS Dennoch – aus einer einst vierstündigen Rohversion von „The Grandmaster“ ist ein 115 Minuten dauerndes Kampfepos entstanden. Das Kürzen hat nicht gut getan, fallen doch immer wieder Figuren aus dem Ensemble von einer unsichtbaren Bühne und tauchen nie wieder auf. Andere Erzählstränge laufen genauso ins Leere wie Ip Man als eigentlicher Held der Geschichte über Strecken von der Bildfläche verschwindet. Grandios werden das einige finden. Um
ehrlich zu sein, ist es schlichtweg verwirrend. Vielleicht liegt es an unseren Sehgewohnheiten, aber anders als in seinen wahren Meisterwerken wie „In the Mood for Love“ oder „Chunking Express“ lässt Wong KarWai hier keinerlei emotionale Nähe zu. Sein, Wissen und Handeln seien die Grundlagen für einen wahren Kung-Fu-Meister heißt es an einer Stelle des Films. Schon hier hätte man stutzig werden können, denn in dieser Aufzählung fehlen die gerade fürs Kino so wichtigen Emotionen. Nicht nur im Kung Fu, leider auch in „The Grandmaster“. Ein KungFu-Epos wollte Wong Kar-Wai drehen. Eine Enttäuschung ist es geworden. Anna Wollner
THE GRANDMASTER HK/CHINA/F 2012. Regie: Wong Kar-Wai. Mit Tony Leung Chiu Wai, Zhang Wiyi, Chang Chen FILMSTART: 28.06.2013
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Fotos: Identities 2013
News &Events „Mosquita y Mari“: Berührende Coming-of-Age-Story zweier mexikanischer Mädchen
Queere Identität Das Wiener Queer-Filmfestival identities findet von 6. bis 16. Juni statt.
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om 6. bis 16. Juni 2013 findet erneut das mittlerweile kultige queere Filmfestival identities statt. Seit bereits rund 20 Jahren zeigen ausgewählte Wiener Kinos (Gartenbaukino, Filmcasino und Top Kino) im 2-Jahres-Rhythmus zehn Tage lang Filme aus dem Genre „Queer Cinema“. Heißt: Die ganze Bandbreite des filmischen, aber auch sexuellen Seins wird an diesen Tagen auf die große Leinwand gebracht. Vielfalt statt Mainstream – worum es bei „queer“ eben geht. Obwohl: „Mainstream“ sollte man ja nicht sagen. Zumindest nicht, wenn es nach iden-
„Yossi“, die Fortsetzung des berühmten Queer Cinema-Hits „Yossi und Jagger“
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tities-Gründerin und –Organisatorin Barbara Reumüller geht. „Der Begriff ‚Mainstream‘ drängt uns erneut an den Rand der Gesellschaft – ein Ort, an dem weder Lesben, Schwule, Transsexuelle noch unser Festival hingehören“, betont Reumüller im Gespräch mit celluloid. Gegen den Begriff „Minderheiten-Festival“ wehrt sich Reumüller zu Recht – denn bei identities, das in den letzten Jahren stark gewachsen ist, treffen sich bei weitem nicht nur Personen aus der Gay-Community, sondern auch „FilmliebhaberInnen und gesetztere Hetero-Ehepaare“, wie Reumüller es ausdrückt. „Queer bedeutet, alles in Frage zu stellen. Eine umfassende Identitätsbandbreite anzubieten, in der sich jeder und jede wiederfindet und mit der mann/frau an der Gesellschaft teilhaben kann. Wir wollen an gesellschaftlichen Kategorien, Einteilungen und Etikettierungen rütteln.“ Horizonterweiterung. Dass dafür ein Filmfestival der richtige Ort ist, davon ist Reumüller überzeugt. „Ich glaube nach wie vor an die große verändernde Wirkung des Kinos. Kino ist Weltreise und Horizonterweiterung. Zudem muss Gesellschaftsveränderung an allen Orten stattfinden – vom Billa bis zum Filmfestival.“ Genau diese Bandbreite zeigt sich auch in der Auswahl der Filme: identities bietet große Hollywood-Filme genauso wie
kleine Arthousefilme oder natürlich Klassiker. Hauptsache, beim Publikum wird das Denken angeregt, dass es mehr gibt als das traditionelle Mutter-Vater-Kind-Konstrukt. Auch dieses Jahr bietet identities wieder eine bunte Filmmischung. Wir empfehlen ganz besonderes folgende Filme, die allesamt Österreich-Premiere feiern: Die Komödie „The Perfect Family“ mit Kathleen Turner als Vorzeige-Hausfrau Eileen Cleary, die zur „Katholischen Frau des Jahres“ nominiert wurde. Da passen ihr natürlich der Ehemann mit ehemals großem Alkoholproblem, der untreue Sohn und die lesbische Tochter so gar nicht ins perfekte Familienbild. Ernster geht es in „Keep the Lights on“ zu, ein sensibles Romantik-Drama über ein schwules Liebespaar, das mit aller Leidenschaft um den Fortbestand seiner Beziehung kämpft. „Mosquita y Mari“ ist eine berührende (und autobiografische) Coming-of-age-Story zweier mexikanischer Mädchen aus Immigrantenfamilien, die sich immer stärker zueinander hingezogen fühlen. Und dann ist da noch „Yossi“, die Fortsetzung des berühmten Queer Cinema-Hits „Yossi und Jagger“, der dort beginnt, wo sein Vorgänger aufhörte: Der ehemalige Offizier Yossi, mittlerweile erfolgreicher Kardiologe, wagt nach dem Tod seines Geliebten einen Neustart. Manuel Simbürger INFOS: www.identities.at
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news&events
VIS wird 10
Die Vienna Independent Shorts finden von 28. Mai bis 2. Juni statt – finanziell sollte sich das Festival möglichst bald konsolidieren.
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Für die Jubiläumsausgabe wurden heuer aus rund 3.000 gesichteten Kurzfilmen, die eine Länge von 30 Minuten nicht überschreiten dürfen (im Übrigen das einzige Kriterium für eine VIS-Einreichung), insgesamt 76 Werke für die Schienen „Fiction & Documentary“, „Animation Avantgarde“ und „ÖsterreichWettbewerb“ ausgewählt. „Wir haben uns diesmal ein wenig von Kathryn Bigelows außergewöhnlichem Science-Fiction-Film ,Strange Days‘ inspirieren lassen und den Titel als thematisches Leitmotiv gewählt. Mehrere kuratierte Programme werden sich dabei mit Krise und Revolution in der filmischen Darstellung und mit den kleinen Seltsamkeiten des Seins beschäftigen. Außerdem starten wir eine Reise durch die Geschichte des surrealen Kinos und begeben uns mit animiertem Horror und poppigem Porno in die Randgebiete des kurzen Films“, verrät Ebner, dem mutige Herangehensweisen sowie das (vielleicht nur halb geglückte) Experiment wichtiger sind als der (handwerklich) perfekte Film. FÖRDERUNG ERWÜNSCHT Für den Österreich-Wettbewerb entschied sich das VISTeam für 20 Filme aus 298 Einreichungen, die erstmals zur Hälfte von Filmemacherinnen bestritten werden, durchaus Überraschungspotenzial bieten und zum Teil ihre Uraufführungen feiern werden. Die Auswahl fiel aber nicht leicht: „Es blutet einem schon das Herz, weil viele sehr gute Filme nicht berücksichtigt
Mehr unter www.viennashorts.com
Fotos: VIS; zVg
ass es uns noch gibt!“, schmunzelt Daniel Ebner, der künstlerische Leiter der Vienna Independent Shorts (VIS), resümierend und lässt dabei unzweifelhaft bescheidenen Stolz mitschwingen. Und diesen hat sich das mittlerweile größte Kurzfilmfestival Österreichs, das mit der kommenden Ausgabe von 28. Mai bis 2. Juni 2013 sein zehnjähriges Bestehen feiert, auch verdient. „Als wir mit dem Festival begonnen haben, waren wir eine heterogene Gruppe von Anfang 20-jährigen Studierenden, alle filmverrückt, ohne Geld, aber ausgestattet mit vielen Ideen“, so Ebner über die Anfänge. Unvoreingenommenheit, Entdeckergeist, Neugierde und die Faszination für die kurze Form waren von Beginn an die wichtigsten Eckpunkte des engagierten, kreativen, Studentenprojekts, dessen Profil von Jahr zu Jahr geschärft wurde, den programmtechnischen und organisatorischen Feinschliff erhielt und heute eine nicht mehr wegzudenkende Plattform für den Kurzfilm darstellt. In den letzten zehn Jahren wurden nicht nur das Vermittlungs- und theoretische Angebot ausgebaut, fruchtbare Programmpartnerschaften wie etwa mit dem Animationsfilmverband ASIFA Austria oder dem Österreichischen Filmmuseum gepflegt, sondern auch zahlreiche heimische und internationale Filmschaffende wie z.B. Virgil Widrich, Mara Matuschka sowie Miranda July und Ben Rivers mit Personalen gewürdigt.
werden können“, so Ebner. Feierlich eröffnet werden die VIS im Wiener Gartenbaukino; als zusätzliche Hauptspielstätte konnte das Künstlerhaus Kino am Karlsplatz gewonnen werden; einige Spezialprogramme werden zudem erstmals im Österreichischen Filmmuseum präsentiert. Vergeben werden mittlerweile Preise im Wert von knapp 22.000 Euro, darunter die Vienna Short Film Awards in der Höhe von 2.000 bis 4.000 Euro in den Hauptwettbewerbskategorien sowie einige Publikumspreise. Neu sind das Casinos Austria Kurzfilmstipendium in der Höhe von 2.500 Euro, das junge österreichische Filmschaffende auf ihrem Weg unterstützen soll, und der erstmals verliehene Preis der Jugendjury. Außerdem wird heuer – ebenfalls zum ersten Mal – das beste österreichische Musikvideo gekürt. Apropos Geld: Auf Sponsoren, die öffentliche Hand und nicht zuletzt auf die mehr als 20 ehrenamtlichen Mitarbeiter ist die Cineasten-Veranstaltung weiterhin angewiesen. So gut das Festival inhaltlich und organisatorisch aufgestellt ist, finanziell hinkt es immer noch hinterher. Ebner: „Das Internationale KurzFilmFestival in Hamburg, mit dem wir heuer kooperieren und das in einigen Belangen mit uns vergleichbar ist, wird von der Stadt Hamburg etwa mit 200.000 Euro im Jahr unterstützt – das ist in etwa das Doppelte unseres Gesamtbudgets. Ein Drittel davon bestreiten wir mittlerweile aus Eigenmitteln, was für ein Festival unserer Größenordnung enorm ist. Würde man die unbezahlte Eigenleistung in diese Rechnung mit hineinnehmen, dann finanzieren wir uns sogar nur zu einem Fünftel über öffentliche Gelder.“ Bleibt zu hoffen, dass sich die VIS finanziell konsolidieren, denn sonst, so Ebner, wird es das Festival trotz aller momentanen Euphorie nicht mehr allzu lange geben. Carolin Rosmann
Highlights aus dem Programm der Vienna Independent Shorts 2013: „Die Telefonbuchpolka“ von Benjamin Swiczinsky, „Prawn Red Hot Love“ von Momoko Seto (Artists in Residence) und „Aquarium“ von Philippe Grégoire (von links)
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Nach ruf Jess Franco
IN SEINEM BANNE Zum Tod des spanischen Regisseurs Jess Franco (1930 - 2013).
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lles begann mit einer bildhübschen, dunkelhaarigen Frau, die sich vor pechschwarzem Hintergrund halbnackt zu lasziver Musik (zu vernehmen sind u.a. die gehauchten Worte „I am … ecstasy“) minutenlang und wie in Trance auf einer Bühne räkelt. Die Kamera ist dabei hemmungslos in Bewegung, zoomt und liebkost ihren Körper und seine Bewegungen. Der Film, der seinen Zuschauern diesen Einstieg gönnt, heißt „Vampyros Lesbos“ (1970) und er etabliert auf diese Weise eine Atmosphäre, die einen gefangen nimmt – die typisch ist für das Schaffen des wohl umtriebigsten aller B-, C- oder was weiß ich auch immer Regisseure: Jess Franco. Zehn Jahre ist es her, dass ich mit diesem Film und somit mit Francos Universum in Berührung gekommen bin. Seitdem bin ich gefangen, „in a Jess Franco state of mind“ wie Autor und Produzent Robert Monell seinen dem Regisseur gewidmeten Blog nennt. Knapp 200 Filme hat Franco laut Imdb gemacht, vermutlich waren es viele mehr, die der Mann mit den tausend Pseudonymen (darunter Clifford Brown, Adolf M. Frank, Frank Hollmann oder Lulu Laverne) zu verantworten hat, die zahllosen alternativen Schnittfassungen nicht eingerechnet. In seiner produktivsten Zeit Anfang der 80er Jahre kam er schon mal auf 15 pro Jahr. Thema – Variation – Improvisation. Die Abkürzung seines Vornamens Jesús auf Jess
kommt nicht von ungefähr. Jess Franco hatte den „Jazz“ im Blut, begann seine Karriere Anfang der 50er Jahre als Musiker und wechselte erst nach und nach zum Film. Durch sein Werk ziehen sich nur wenige, dafür aber umso prägnantere Obsessionen: Frauen, die unter Einfluss anderer, meist geheimnisvoll aufgeladenen Frauen stehen und sich ihrer Libido hingeben. Bei diesen „Fabelwesen“ handelte es sich meistens um wunderschöne lebende Tote, Vampire, Kannibalinnen. Von dieser Konstellation geht ein großer Teil von Francos Filmen aus, ob nun sein wohl bekanntester, der oben genannte „Vampyros Lesbos“ oder „La comtesse perverse“ oder „Entfesselte Begierde“ oder „Lust für Frankenstein“ oder … Die Liste kann beliebig lange fortgesetzt werden. Kennt man einen, kennt man alle? Mitnichten! Francos Filmuniversum will durchforstet werden – wem es sich eröffnet, gibt es ständig neues zu entdecken und zu bestaunen. EROTIK UND EDEL-TRASH Seine ersten Filme dreht Franco in den 60er Jahren noch in Spanien an der Zensur vorbei, dann führt ihn sein Weg nach England, wo er bei Produzent Harry Alan Towers erstmals mit größerem Budget seine Visionen umsetzen kann. Dann kurbelt er für Arthur Brauners CCC-Film Erotikreißer und Edgar Wallace Stoffe runter, bevor er in Frankreichs Edeltrash-Schmiede Euroci-
né Heimat findet. Schließlich führt ihn sein Weg zum Schweizer Produzenten Erwin C. Dietrich, für den er den Frauengefängnisfilm „erfindet“ und seine große „Jack the Ripper“ Verfilmung mit Klaus Kinski dreht. Anfang der 80er Jahre kehrt Franco nach Spanien zurück, dreht Abenteuer- und Horrorfilme, jeweils mit viel nackter Haut angereichert. Dann verliert sich seine Spur im Pornobusiness, anders als etwa sein italienischer Kollege Joe D’Amato hingegen kehrt Franco immer wieder auf die große Leinwand zurück. Huldigungen von Tarantino und Lars von Trier tun ihr übriges und der einst als „schlechteste Regisseur der Welt“ verschrieene Franco wird Anfang des neuen Jahrtausends wiederentdeckt. Die Cinématheque française würdigt ihn 2007 mit einer Retrospektive, 2009 folgt der Goya fürs Lebenswerk. Arbeitsmüde wurde er nie, von schwerer Krankheit gezeichnet, führte er noch im Rollstuhl sitzend Regie. Seine Frau und Muse Lina Romay verstarb bereits letztes Jahr an Krebs und nun ist Franco wenige Tage nach dem Kinostart seines letzten Films „Al Pereira vs. the Alligator Ladies“ am 2. April 2013 an einem Schlaganfall gestorben. Es zeichnet jeden großen „Auteur“ aus, wenn er seine eigene Filmsprache gefunden und kompromisslos umgesetzt hat. Den meisten gelingt dies bei nicht mal 20 Filmen. Jess Franco ist es bei 200 gelungen. Gracias y hasta luego! Florian Widegger
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Fernsehen abschied von den &Heimkino bakelit-bullen Nach dem Abgang von Josef Matula ist der deutsche Freitagskrimi in der Krise.
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in letztes Mal stieg er aus seinem Alfa. Trug seine Lederjacke, die in all den 299 vorangegangenen Folgen gefühlsmäßig immer die Gleiche war. So wie der Mann selbst: Claus Theo Gärtner alias Josef Matula ist zwar faltiger geworden, aber wirklich jung wirkte er ohnehin nie. Nun hat Gärtner seine Ermittlungen eingestellt, nachdem er seit 1981 in allen 300 Folgen der freitäglichen Krimiserie „Ein Fall für zwei“ wie ein Großstadtcowboy Nachforschungen angestellt hat. Versuch einer Erneuerung des Freitags-Krimis: Katharina Böhm ist „Die Chefin“
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Mit der Einstellung von „Ein Fall für zwei“ schickt das ZDF den dienstältesten Schnüffler des deutschen Fernsehens in Rente; aber nicht nur ihn: In Wahrheit markiert das auch das Ende einer Ära. Der Freitagskrimi, maßgeblich vom ZDF erfunden, dominierte das deutsche Fernsehverhalten von den 60er bis zu den 90er Jahren nachhaltig: Er war der erste Fixtermin am Wochenende. „Ein Fall für zwei“ hatte anfangs 15 Millionen Zuschauer pro Folge - ein wahrer Straßenfeger. Doch das Fernsehvolk ist untreu geworden: Zuletzt interessierte der Krimi immerhin noch 5,8 Millionen. WOHL DRAPIERTE LEICHEN Der Freitagskrimi war früher ein Familienereignis. Von der Oma bis zum Kind, das ausnahmsweise zusehen durfte, waren alle dabei. Die Krimis waren durchaus jugendfrei. Jedes Playstation-Spiel für 3-Jährige ist heute brutaler als alte Folgen von „Derrick“, „Der Alte“ oder „Der Kommissar“. Dort lagen die Leichen meist wohl drapiert auf teuren Wohnzimmerteppichen, in Blutlachen, die nach Fruchtspiegel oder Himbeersaft aussahen. Brutale Action gab es nicht, sondern meist sachliche Ermittlerarbeit in braun furnierten Pressspanplatten-Kommissariaten. Sätze wie „Wir kommen sofort“ sprach man in graue Bakelit-Telefone. Das ZDF hatte sich so einen wahren Fundus an Fernsehgeschichte erschaffen: „Der Kommissar“ (1969-1976) mit Erik Ode brachte es auf 97 Folgen. Es war der klassischste Freitagskrimi: Obwohl das Farbfernsehen längst erfunden war, drehte man alle Folgen in Schwarzweiß, was der Reihe eine „Film Noir“Ästhetik verlieh; die Protagonisten qualmten und soffen darin, als gäbe es kein Morgen. Geraucht und getrunken wird in modernen, von US-Serien beeinflussten TV-Filmen kaum
mehr; es gilt als Tabu und widerspricht der Vorstellung von der „guten“ Polizei. Horst Tappert ermittelte ab 1974 in 281 Folgen als „Derrick“ und war durchaus modern: Es gab kaum eine Folge, in der der weißhaarige Toupet-Träger im Trenchcoat nicht in einer dieser 80er-Jahre Diskotheken zwischen Nutten und Zuhältern abhing, während er auf Harry und den Wagen wartete. „Der Alte“ (seit 1977) machte als erste Reihe den Wechsel der Protagonisten möglich: Auf Siegfried Lowitz folgte nach 100 Fällen Rolf Schimpf, der 2007 in Pension ging. Walter Kreye übernahm in Folge 323, seit Ende 2012, ab Folge 366, ermittelt Jan-Gregor Kremp, 51, unter diesem Titel. „Der Alte“ ist gar nicht mehr so alt; Die Serie verschwindet mehr und mehr in der Bedeutungslosigkeit. Immerhin war sie einmal modern: In ihr arbeitete der erste schwarze Polizist des deutschen Fernsehens - Henry Johnson, gespielt von Charles M. Huber. Hinter dem Erfolg der Krimis standen im Prinzip nur zwei Männer: Produzent Helmut Ringelmann (1926-2011) und Autor Herbert Reinecker (1914-2007), der sämtliche Drehbücher zu „Der Kommissar“ und „Derrick“ schrieb. Sie definierten den deutschen Krimi fernab internationaler Vorbilder; kaum Action, dafür viele Gespräche, um komplizierte Fälle in nur 60 Minuten lösen zu können. Gemordet wurde auffällig oft in München, in den vornehmsten Schwabinger Wohnzimmern zwischen gediegener kalter Geflügelplatte und schwerem Dessertwein, dann, wenn halt die Eifersuchtsgefahr am größten ist. Es gab und gibt weltweit im Fernsehen keine Entsprechung zu diesem bourgeois-biederen Krimimilieu, das die Regel war, bevor das deutsche Fernsehen glaubte, es müsse sich amerikanisieren.
Fotos: ORF
Aus nach 300 Schnüfflereinsätzen: Claus Theo Gärtner hat den „Fall für zwei“ abgegeben, der ORF zeigt aber dennoch weiterhin alte Folgen
„Ein Fall für zwei“ war schon ein kleiner Blick in diese Richtung: Der Privatdetektiv Matula hat nicht umsonst in Frankfurt ermittelt, Deutschlands einziger Stadt mit vielen Hochhäusern. Die westernhafte Outlaw-Masche blieb dann aber trotz der Kulisse auffallend deutsch, also: spießig und altbacken. PSEUDO-CINEASTISCH Doch seit der schier unausweichlichen Flut an US-Produktionen sind die TV-Produzenten vom deutschen Weg abgedriftet. War der „Tatort“ zu Beginn noch eine 90-minütige Exposition des klassischen deutschen Krimis, so wurde er mehr und mehr amerikanisiert: Optisch dominiert ein pseudo-cineastischer Stil, der mit geringer Tiefenschärfe und kontrastreich ausgeleuchteten Settings arbeitet. Bei „Derrick“ hingegen waren die fein möblierten Schwabinger Tatorte jedenfalls meist schön gleichmäßig beleuchtet. Den Höhepunkt der US-Anbiederung erreichte man kürzlich mit dem ersten Hamburger „Tatort“ mit Til Schweiger, in dem
es völlig egal war, was der Kommissar sagte (man verstand ihn ohnehin nicht), weil nur mehr die Inszenierung der Action zählte, deren rastlose Kamera dann doch nur Hollywood für Arme zeigte. Ob sich das mit der für heuer geplanten Rückkehr von Götz George in seine Paraderolle als „Schimanski“ ändert, darf bezweifelt werden: Die Erzählstrukturen gehorchen heute anderen Tempi, was Schimanski sicher „Scheiße“ findet, und weshalb eine alte Folge von „Derrick“ heute so herrlich antiquiert wirkt. Die Klassiker von einst verkaufen sich übrigens gut auf DVD. Längst hat das ZDF begonnen, den Freitagskrimi umzubauen, zu erneuern. Mit dem „Derrick“-Nachfolger „Siska“ hatte man zwischen 1998 und 2008 noch respektable Erfolge. Im Vorjahr gab es mit „Die Chefin“ die erste Frau in der TV-Mordkommission, aber die Serie brachte es bislang auf nur vier Folgen. Weitere vier werden derzeit gesendet. So nimmt sich der „Tatort“, der seit 1970 von der ARD produziert wird und damit die am längsten laufende Krimireihe im deut-
schen Sprachraum ist, wie ein Flaggschiff einer schifflos gewordenen Flotte aus; das Geheimnis der Reihe sind die wechselnden Ermittler und Schauplätze, zugleich aber bieten sich dadurch weniger Möglichkeiten, kontinuierliche Kult-Charaktere vom Format eines Stephan Derrick oder eines Josef Matula zu formen. Der deutsche Freitagskrimi steckt nach dem Aus für Josef Matula in seiner bislang schwersten Krise. Jetzt haben die im Kulturamt der Stadt Wiesbaden sitzenden Veranstalter des seit 2005 jährlich vergebenen „Deutschen Fernsehkrimipreises“ in Zukunft noch weniger Auswahl bei potenziellen Preisträgern. Wobei: Die Helden des Freitagabend hat man in Wiesbaden ohnehin nie berücksichtigt - vielmehr prämierte man Serien wie „Bella Bock“ oder „Tatort“. Ein Preis übrigens, der sich lohnt: Denn die Sieger dürfen endlich das tun, was vor der Kamera tabu ist: Hemmungslos Saufen. Der Hauptpreis besteht nämlich aus 1000 Litern Wein aus dem Rheingau. Matthias Greuling
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DVD &Blu ray „Nashville“: Robert Altmans Panoptikum des Mekkas der Countrymusik erscheint endlich auf DVD
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mehr als nur begeistert: „Nashville“ zeigt ein Amerika, das ich mir eigentlich auch immer so vorgestellt habe: Breite Straßen, gemütliche Bars, Gewusel in den Parks, Schlaghosen, Flower Power und große Sonnenbrillen. Die 70er halt. Und Menschen, die rücksichtslos ihrem Traum hinterher rennen – selbst dann noch, wenn sie die bittere Realität längst eingeholt und aufgeweckt hat. 24 solcher Menschen und ihre Geschichten lernt man im Laufe des knapp dreistündigen Films kennen. Die Vorbereitungen auf ein großes Konzert zur 200. Jahresfeier der Gründung der USA, mitten im Wahlkampf, fassen das Geschehen in einen zeitlichen Rahmen. Faszinierend ist dabei vor allem, mit welchen Nuancen Altman seine Figuren ausstattet und wie er sie mit Licht und Schatten betont, ohne jemals in boshafter Weise zynisch zu werden: Das trifft auf Womanizer Keith Carradine ebenso zu wie auf das sich im freien Fall befindende Country Sternchen Barabra Jean (Blakely) oder die talentlose, naive und deshalb von allen ausgenutzte Kellnerin Sueleen (Gwen Welles). Mit welcher Leichtigkeit Altman die vielen Geschichten ineinander verwebt, überlagert, sich begegnen und wieder verlieren lässt, ist das große Geheimnis, die Aura dieses Films. Wenn Carradine in einer Bar „I’m easy“ anstimmt, sitzen drei Frauen (Lily Tomlin, Shelley Duvall und Geraldine Chaplin) im Publikum, die nichts vonein-
ander wissen –wir Zuschauer kapieren sofort, dass jede meint, er würde diesen Song nur für sie singen. Mit diesem Film hat sich Altman endgültig als der große Chronist seines Landes etabliert – und als „Fachmann“ für Ensemblefilme, mit denen sein Name stets in Verbindung gebracht wird obendrein. Vieles, was für lange Zeit danach kam, lässt es an Stärke und Scharfsinn vermissen, ob nun formal elegante Bergman-Hommagen („3 Women“) oder der in allen Belangen überladene „Eine Hochzeit“. So ins Abseits manövriert, musste Altman nach einer Dürrephase in den 80er Jahren bis zu seinen großen Comebackfilmen „The Player“ (1992) und „Short Cuts“ (1993) harren um wieder everybody’s darling zu werden. Viel zu lange hat es gedauert, bis dieses – anders kann man es nicht sagen – Meisterwerk seinen Weg ins Heimkino findet. Winkler Film schließt endlich diese Lücke – mit einer vorbildhaft umgesetzten DVD, die nicht nur in Sachen Bild und Ton zu gefallen weiß, sondern auch ein bisschen Bonusmaterial in petto hat. Florian Widegger NASHVILLE
USA 1975. Regie: Robert Altman. Mit: Henry Gibson, Lily Tomlin, Keith Carradine, Geraldine Chaplin, Jeff Goldblum. Sprachen/UT: Deutsch/Englisch (DD 2.0), Bild: 16:9 (2,35:1) Extras: Audiokommentar und Interview mit Robert Altman, Trailer. Bereits erhältlich.
Fotos: Winkler Film; zVg;
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ine der leidigsten Fragen, welchen man als Filmeliebhaber immer wieder ausgesetzt ist, ist die nach dem persönlichen Lieblingsfilm. Dann wird’s meistens schwierig – wie will man unter den tausenden bisher gesehenen Streifen „the one and only“ herauspicken? Und trotzdem: Wer mich nach meinem Lieblingsfilm fragt, bekommt stets ein und dieselbe zutiefst ehrlich gemeinte Antwort zu hören: „Nashville“ von Robert Altman. Lange noch vor der ersten Sichtung war es zunächst der Soundtrack, der mich in seinen Bann zog – ein Gelegenheitskauf: Geringer Einsatz, aber große Belohnung. Da singt Ronee Blakely zu Tränen rührend von einer Liebe, in der einer dem anderen weh tut, weil man sich nichts mehr zu sagen hat („Dues“), Henry Gibson beendet eine Affäre „For the sake of the Children“ und Keith Carradine lässt sich weder von steigenden Brotpreisen noch von versprochenen Steuersenkungen die Laune verderben („It don’t worry me“). Countrymusik, wie man sie sich schöner eigentlich nicht erträumen kann. Ein paar Jährchen später dann sehe ich den Film erstmals auf DVD, teuer und umständlich aus den USA importiert – und bin
ALPEN
YORGOS LANTHIMOS‘ ROHDIAMANT AUF DVD
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ou are not ready for Pop!“ So macht der Trainer die Träume einer jungen Turnerin zu Beginn zunichte, die statt zu den schweren Klängen von Carl Orffs „O Fortuna“ ihren Körper lieber zu leichteren Tönen bewegen möchte. Willkommen in der Welt von „Alpen“, dem neuen Film von Griechenlands großer Regiehoffnung Yorgos Lanthimos. Der hat bereits 2009 mit seinem Debüt „Dogtooth“ sein Faible für absurde Situationen bewiesen und legt mit „Alpen“ sein neues Meisterwerk vor: Ein Film, der so unberechenbar ist wie das Leben selbst und eine menschliche Katastrophe nach der anderen heraufbeschwört. Unleicht zu erahnen handelt es sich um keinen Naturfilm, aber die Klüfte zwischen den Figuren sind mindestens genau so tief wie die in den Bergen. Die „Alpen“ sind ein Geheimbund – vier Personen (Krankenschwester, Sanitäter, Turnerin und Trainer), die es sich zur Aufgabe gemacht haben, anderen beizustehen, die gerade einen geliebten Menschen verloren haben. Dazu schlüpfen sie einfach für eine gewisse Zeit in die Rollen der Toten und erleichtern es den Angehörigen so, Abschied zu nehmen. Eine derart verrückte Idee kann nur funktionieren, wenn man innerhalb der Gruppe eiserne Regeln – 15 an der Zahl – aufstellt, an die
man sich dann auch bedingungslos halten muss. Die Probleme beginnen, als die Krankenschwester zu sehr in einer ihrer Rollen aufgeht und somit die Existenz des Bundes bedroht … Griechenland sorgt aufgrund von Finanzkrise und Rettungsschirm in den letzten Jahren bei uns für Negativschlagzeilen, dass die prekäre Situation jedoch solche starken Filme hervorbringt, sollte man bei uns als Chance sehen, (wieder) neugierig zu werden. Lanthimos zählt neben Athina Rachel Tsangari zu den spannendsten jungen Regisseuren des Landes die eine völlig neue, radikale Filmsprache gefunden haben und damit seit geraumer Zeit auf Festivals in der ganzen Welt reüssieren. Jetzt erscheint der Film als spartanisches „barebones“ Release auch hierzulande auf DVD. Freunde spröder wie skurriler Filmkost dürfen sich diesen Rohdiamanten nicht entgehen lassen. Florian Widegger Unser Video-Interview mit Yorgos Lanthimos: http://tinyurl.com/d2vltc3 ALPEN Regie: Yorgos Lanthimos / Griechenland 2011 / 93 Min. Darsteller: Aggeliki Papoulia, Ariane Labed. Label: Rapid Eye Movies, Sprache. Griechisch (DD 5.1) UT: Deutsch, Extras: Trailer Bereits erhältlich
ANG LEE ZÄHMT DEN TIGER JETZT AUF BLU-RAY und DVD
erstmals auf Blu-ray
Nach einer verhängnisvollen Schiffskatastrophe treibt Pi Patel, Sohn eines indischen Zoodirektors, in einem Rettungsboot mitten auf dem Ozean – zusammen mit dem einzigen anderen Überlebenden, einem furchteinflößenden bengalischen Tiger. Zwischen den beiden entsteht eine wundersame Beziehung und Pi muss seinen ganzen Einfallsreichtum aufbringen, um den Tiger zu trainieren – und seinen Mut,
Mehrere Kult-Filme erscheinen bei Fox nun erstmals in HD auf Blu-ray, etwa die beiden Ulk-Komödien „Hot Shots“ und „Hot Shots - Der zweite Versuch“, in denen Charlie Sheen etliche Blockbuster der 90er gehörig aufs Korn nimmt.
um den Elementen zu trotzen und sie beide zu retten. Der neue Film von Oscar-Preisträger Ang Lee ist nicht nur ein episches Abenteuer voller gefährlicher Entdeckungen und Erlebnisse, sondern auch ein visuelles Meisterwerk mit faszinierenden Spezialeffekten. Erhältlich ab 25.04.2013
Außerdem erstmals in HD: Der einzige inoffizielle „Bond“: „Sag niemals nie“ mit Sean Connery und Klaus Maria Brandauer. Der britische Geheimdienst schickt Bond darin auf die Suche nach gefährlichen Sprengköpfen. Sein Auftrag lautet nicht nur die gestohlenen Waffen zu finden, sondern auch Blofeld zu eliminieren. „Hot Shots“ erhältlich auf Blu-ray ab 03. 05.2013, „Sag niemals nie“ bereits erhältlich.
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der kleine
stAmpf IMPRESSUM
...raucht Schall und Namen celluloid
FILMMAGAZIN Nummer 3/2013 Mai/Juni 2013 erscheint zweimonatlich Herausgeber, Eigentümer und Verleger: Verein zur Förderung des österreichischen und des europäischen Films Chefredakteur: Matthias Greuling Stv. Chefredakteurin: Sandra Wobrazek Freie AutorInnen: Beatrice Behn, Jürgen Belko, Matthias Heschl, Paul Heger, Alexander Lohninger, Teresa Losonc, Doris Niesser, Sandra Nigischer, Carolin Rosmann, Clemens Stampf, Siegfried Tesche, Florian Widegger, Anna Wollner, Klara Verthoer Lektorat: Lydia Zemann Coverfoto: Universal Pictures Anzeigen: Dieter Greuling Layout/Repro: Matthias Greuling Werbeagentur Druck: Kny und Partner, 2340 Mödling Die Beiträge geben in jedem Fall die Meinung der AutorInnen und nicht unbedingt jene der Redaktion wieder. Grundsätzliche Richtung der Zeitschrift: celluloid begreift Film als Kunstform und will dem österreichischen und dem europäischen Film ein publizistisches Forum bieten. celluloid ist unabhängig und überparteilich. Anschrift: celluloid Filmmagazin Anningerstrasse 2/1, A-2340 Mödling Tel: +43/664/462 54 44 Fax: +43/2236/23 240 e-mail: celluloid@gmx.at Internet: www.celluloid-filmmagazin.com Vertrieb: MORAWA; erhältlich in 600 ausgewählten Trafiken in ganz Österreich und in allen 60 Morawa-Verkaufsstellen, sowie bei Thalia, in ausgewählten Kinos, Fachgeschäften (z.B. SatyrFilmwelt, Wien) oder direkt bei der Redaktion. Preise: Einzelheft: EUR 5,- (zuzüglich Porto und Verpackung: EUR 1,70); Abonnement für 6 Ausgaben: EUR 18,90 (inkl. Porto und Verpackung); Ermäßigte Abos für Studierende gegen Nachweis: EUR 12,90. Abonnements können bis zwei Wochen nach Erhalt der 6. Ausgabe (nach einem Jahr) schriftlich gekündigt werden. Andernfalls verlängern sie sich um ein weiteres Jahr zum jeweils gültigen Vorzugspreis für Abonnenten. Preise gelten innerhalb Österreichs. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion und Quellenangabe. © 2013 by Verein zur Förderung des österreichischen und des europäischen Films. Diese Publikation wird unterstützt von
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ch, die Legasthenie ist ein Hund. Aber aus gegebenem Anlass muss sich der kleine Stampf mit einem der wichtigsten Aspekte des Filmemachens beschäftigen: Welch klingende Namen verpasst man seinen Charakteren? Ein Problem, das jüngst durch den neuen Tatort mit Til Schweiger an Aktualität gewonnen hat. Nick Tschiller (hoffentlich ermittelt der auch mal in Wien Meidling) heißt nun der neue Tatort-Hero, nachdem Tschaudert als Nachnämchen vom Til persönlich abgelehnt wurde. Logisch, klingt ja auch ein bisschen wie zaudern und zaudern darf ein Actionlümmel vom Schlage Schweiger in keinem Fall. Nick, dieser nach verschwitzten Tennissocken, saurer Bierfahne und ungeputzten Zähnen duftende, unfassbar männliche Vorname durfte bleiben. Horst Schimanski will eben heute keiner mehr heißen. Viel zu provinziell. Obwohl Götz George in einem Schnauzbarthaar mehr Charisma hat als Schweiger jemals an Bart und Charisma aufbringen können wird. PRINZ KUKIDENT Persönliche Vorlieben mal beiseite gelassen: Ist es nicht irgendwie lustig, dass ein Typ, der bei der Verständigung mit Worten klingt wie Prinz Kukident der Erste, Schweiger heißt? Breiten wir lieber einen Mantel des Schweigens über diesen tiefen und wichtigen Gedanken aus. Eine Schweigeminute vielleicht noch dazu, zur Klärung unseres Geisteszustandes. Liebe LeserInnen! Sind sie noch alle da? Ja? Masochismus kann etwas sehr Schönes sein, nicht? Schweifen wir jetzt aber zurück. Sanfte Stimmen im Ohr, wie bei diesen Meditationskassetten, die auch Herrn Til soooo aufbauen: „Deine Filme sind jenseits jeder Kritik. Du bist der größte Schauspieler seit Didi Hallervorden. Mit dem geilsten Organ seit Bienchen-Beglücker Willi“. Den Rest ersparen wir uns. Zurückschweifen tun wir trotzdem. Filmcharakternamen ist unser Sujet heute. Und da gibt es ein paar gute: Indiana Jones ist zum Beispiel eine Namenperle. Zum Allerweltsnamen Jones kommt das exotische Indiana – man-
che über den Film Berichtende erblöden sich heute noch, Indianer Jones zu schreiben. Heldenpersönlichkeit perfekt beschrieben. Biedermann und Grabräuber. Aufstoßen muss man allerdings bei Mutt Williams, so heißt nämlich Indys Sohn. Erinnert eher an den Köter, den Ken gestern umgelegt hat. Genial hingegen: Die Namensgebung für den Supercomputer, der mit ein paar lockeren Chips zu kämpfen hat, aus „2001“. Hal 9000. Das zergeht auf der Zunge, wie ein Lungenbraten aus Hannibal Lecters Kochstudio. Clever auch die kleine IBM-Referenz. HAL UND DIE SANFTE STIMME Der Til ist übrigens ziemlich eifersüchtig auf den Hal, weil der Hal mit dieser sanften verständlichen Stimme spricht, eine Stimme, bei der ein gut zubereiteter Kokowääh von selbst heiß wird. Apropos Essen: Das nächste Mal rufen Sie beim Pizza-Dienst an und bestellen unter dem Namen Carlito Brigante. Falls Sie dann noch zahlen müssen, greifen Sie zu härteren Methoden. Die Bestellung geht auf Tony Montana. Wirkt auch nix? Mein Name ist Michael Corleone, und ich hätte gerne eine Don Vito mit von allem ein bisschen mehr… Legasthenie ist ein Hund mit Namen Tin Tin Rin. Wer hat an der Uhr gedreht? Ist schon wieder Schluss für heut´? Dann auf zu den letzten Sätzen. Den besten männlichen Rollennamen hatte sowieso Clint Eastwood in Leones Dollar-Trilogie. Den besten Dialog auch: „Namen sind was für Grabsteine“. Kleine Entschuldigung an die Damen unter den LeserInnen. Der kleine Stampf hat euch natürlich nicht vergessen. Nächstes Mal dekonstruieren wir Ellen Ripley, Holly Golightly, Honey Ryder, Catwoman, Norma Desmond, Alex Forrest, Jane Hudson, Sugar Kane Kowalczyck, Sarah Packard und Nurse Ratched! Gesundheit bis dahin.
derkleinestampf@stampf.at
die nächste ausgabe von celluloid erscheint am 24. Juni 2013! 66
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