celluloid Ausgabe 1a/2013 - 15. Dezember 2012
filmmagazin
gegr체ndet 2000
e zur
Beilag
Regisseur ang Lee im Interview
Foto: Fox
ARTIG. NICHT BRAV.
SchiffbruchmitTiger Mit ausgew채hlten beitr채gen aus dem filmmagazin celluloid www.celluloid-filmmagazin.com
a r t i g , n i c h t b r av
celluloid
filmmagazin - BEILAGE ZUR WIENER ZEITUNG Ausgabe 1a/2013 - 14. jahrgang Dezember 2012/Jänner 2013
LES
COVER
EDITORIAL
Ang Lee In unserem Interview spricht der Oscar- Preisträger über seinen neuen 3D-Film „Schiffbruch mit Tiger“. Plus: Die Kritik zum Film
Liebe Leser,
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Michael Haneke Bekommt er nach dem Europäischen Filmpreis nun auch den Oscar? Was wird aus Star Wars? Nach George Lucas‘ Ausstieg sind neue Filme geplant Joe Wright im Gespräch über „Anna Karenina“ mit Keira Knightley Götz Spielmann Besuch in Annaberg, am Set seines neuen Spielfilms „Oktober November“ Filmkritik: „Angels‘ Share“ und „Searching for Sugar Man“ Die Top-Filme im Dezember/Jänner
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OB R EP
FEATURES
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WEITERE THEMEN
des celluloid Filmmagazins
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(Ausgabe 1/2013 ist am Kiosk erhältlich) 8
Coverstory: Klaus Maria Brandauer
Im exklusiven Interview mit dem großen Schauspieler geht es um seinen neuen Film „Der Fall Wilhelm Reich“, um das Schauspielen als Lebensaufgabe und seinen Zugang zum österreichischen Filmschaffen
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Quentin Tarantino Mit „Django Unchained“ legt Tarantino seinen ersten Spaghetti-Western vor. Das Interview Jacques Audiard im Gespräch über seine famose Erzählung „Der Geschmack von Rost und Knochen“ Helen Mirren blickt mit uns hinter die Kulissen des Films „Hitchcock“ Jake Gyllenhaal erzählt zu seinem Film „End of Watch“, wie man als Streifenpolizist lebt Maria Hofstätter schildert ihren Zugang zu Ulrich Seidls „Paradies: Glaube“ Tom Schilling streunt in „Oh Boy“ richtungslos durch Berlin Hatari! Auf den Spuren eines Klassikers Europa Cinemas Wie man mehr Zuschauer in die Arthaus-Kinos bringt HFR Die neue 48fps-Technik hält Einzug in Österreichs Kinos Eastwood Trotz Wahlkampf-Fauxpas überzeugt er als Schauspieler
Fotos: Greuling; Filmladen; Universal; Fox
FEATURES
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„Die Zuschauer müssen erzogen werden“. Diesen Satz schnappte ich am Rande der Europa CinemasKonferenz im November in Paris auf (einen ausführlichen Beitrag darüber lesen Sie in unserer vollwertigen Ausgabe celuloid1/2013, jetzt im Handel), aus dem Munde eines deutschen Arthaus-Kinobetreibers. Er versteht nicht, weshalb das Publikum sein breites Filmangebot, das wöchentlich wechselt, nicht in dem Maße annimmt, wie er es sich vorstellt. Es wäre reichlich naiv, anzunehmen, dass sich potenzielle Kinobesucher nach den Vorstellungen der Kinobetreiber richten; zu komplex ist heute die terminliche Koordination des Alltags, mit Freizeitaktivitäten rund um die Uhr, als dass ein neuer Film, der ohne großes Marketingbudget nur gering beworben werden kann, gleich die großen Massen am Starwochenende anzieht. Von diesem Konzept sollten sich die kleineren Kinobetreiber und Verleiher verabschieden und stattdessen auf Mundpropaganda und - so befremdlich das in einer schnellen Welt klingt - auf Ausdauer setzen. Das Publikum drei Wochen nach dem Filmstart mit kleineren Filmen abzuholen, brächte langfristig mehr Besucher als die derzeitige Politik, Filme nach nur wenigen Tagen wieder aus dem Spielplan zu kippen, weil keiner kommt. Es kommt vermutlich keiner, weil niemand davon weiß. In diesem Sinne viel Vergnügen beim Lesen wünscht Ihnen Matthias greuling
Chefredakteur & Herausgeber celluloid@gmx.at und die Wiener Zeitung
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celluloid Filmmagazin Beilage zur Wiener Zeitung Nummer 1a/2013, Dezember 2012/Jänner 2013 Beilage zur „Wiener Zeitung“ am 15. Dezember 2012. Medieninhaber und Herausgeber: Werbeagentur Matthias Greuling. Printed in Austria. Die Beiträge in dieser Beilage wurden uns mit freundlicher Genehmigung vom Verein zur Förderung des österreichischen und des europäischen Films zur Verfügung gestellt. Die Interviews wurden von Mitgliedern der celluloid-Redaktion geführt. Die Beiträge geben in jedem Fall die Meinung der AutorInnen und nicht unbedingt jene der Redaktion wieder. Fotos: Filmverleiher. celluloid versteht sich als publizistische Plattform für den österreichischen und den europäischen Film und bringt Berichte über aktuelle Filme. Anschrift: Anningerstrasse 2/1, A-2340 Mödling, Tel: +43/664/462 54 44, Fax: +43/2236/23 240, e-mail: celluloid@gmx.at, Internet: http://www.celluloid-filmmagazin.com Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion und Quellenangabe. © 2012 by Werbeagentur Matthias Greuling
c e ll u loid O N L I N E : w w w . c e ll u loid - f il m m aga z in . co m celluloid 1a/2013
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Michael Haneke mit seinen beiden European Film Awards für „Amour“ am 1. Dezember in Malta
TRI VIA SCO PE
Interessantes, neues und amüsantes aus der welt des films
gewinnt haneke diesmal
den oscar?
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chon das letzte Mal sah es gut aus, und dann habe ich nicht gewonnen“, sagt Michael Haneke. „Wenn es nicht klappt, werde ich auch nicht sterben“. Er ist vorsichtig geworden, wenn es um die allerorts grassierenden Spekulationen um eine mögliche Oscar-Nominierung oder sogar einen Oscar-Gewinn für seinen Film „Amour“ geht. Schon bei „Das weiße Band“, der 2010 als bester fremdsprachiger Film nominiert war, sprach man Haneke den Favoritenstatus zu. Umso enttäuschender, als dann der argentinische, eher belanglose Beitrag „El Secreto de Sus Ojos“ die Trophäe gewann. Auch 2013 stehen die Zeichen für Haneke wieder auf Sieg: „Amour“ hat nach der Goldenen Palme auch insgesamt vier European Film Awards abgeräumt, für den besten europäischen Film 2012, den besten Regisseur (Haneke hat damit nach „Caché“ und „Das weiße Band“ die meisten europäischen Filmpreise von allen Regisseuren) und für die beiden Hauptdarsteller Emmanuelle Riva und Jean-Louis Trintignant. Als erster Oscar-Indikator gilt traditionell das Jahresvotum der New Yorker Filmkritiker, die „Amour“ Anfang Dezember ebenfalls zum besten fremdsprachigen Film kürten.
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Mittlerweile gilt die Nominierung von „Amour“ als fix; zu viele Preise hat Haneke schon abgestaubt, als dass ihn die OscarJury ignorieren könnte. Zudem startet „Amour“ am 19. Dezember auch in den USA im Kino, was ihn theoretisch auch qualifiziert, in weiteren Kategorien nominiert zu werden. Schon „Das weiße Band“ war damals auch für die beste Kamera (Christian Berger) nominiert gewesen. Einer, der es wissen muss, kennt die
Umstände, die Hanekes scheinbar sicheren Triumph noch vereiteln könnten: Stefan Ruzowitzky, selbst Oscar-Gewinner für „Die Fälscher“, meinte beim celluloid-Gespräch: „Es kommt immer darauf an, welche Filme noch in dieser Kategorie nominiert sind. So wie es aussieht, dürfte auch die französische Erfolgskomödie ‚Ziemlich beste Freunde’ nominiert werden, die ein unglaublicher Kassenerfolg war, was in den USA generell hoch bewertet wird. Wenn die Jury-Mitglieder sich nun zur Hälfte auf die Seite dieses Films schlagen, weil sie den kommerzielleren Zugang zu einem schwierigen Thema schätzen, und die andere Hälfte, die mehr auf Filmkunst steht, sich unter den vier restlichen Nominierten, darunter möglicherweise auch auf Haneke, aufteilt, dann kann es durchaus sein, dass Haneke am Ende leer ausgeht. Das lässt sich also beim besten Willen nicht vorhersagen, da gehört auch Glück dazu“, meint Ruzowitzky. Die Shortlist mit neun Filmen (aus 71 Einreichungen) in der Kategorie „Best Foreign Language Film“ soll am 3. Jänner feststehen, die Oscar-Nominierungen werden am 10. Jänner 2013 bekannt gegeben, die Verleihung findet am 24. Februar statt.
Preisgekrönt: Hanekes „Liebe“ („Amour“) läuft derzeit in den österreichischen Kinos
www.europeanfilmacademy.org http:// oscar.go.com
was wird jetzt aus
star wars?
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eorge Lucas hat die Lust verloren. Wie schon im Frühjahr angekündigt, hat er das Filmgeschäft de facto verlassen und zum Abschluss seine Firma um rund vier Milliarden Dollar an Disney verkauft; wohl unter der Bedingung, dass der Käufer die „Star Wars“-Franchise weiter ausbauen darf, denn zeitgleich mit der Übernahme wurden weitere Fortsetzungen der Saga angekündigt. Diese Ankündigungen scheinen mitunter etwas merkwürdig, hat Lucas doch vor ein paar Jahren noch weitere Ergänzungen der Serie ausgeschlossen und das Vorhandensein eines Handlungsstranges jenseits von „Episode VI“ dementiert. Für ihn, so gab er in einem Interview bekannt, sei die Geschichte von Luke und Anakin Skywalker mit „Episode VI“ beendet, weswegen weitere Teile der Serie keinen Sinn machen würden. Jetzt hat Lucas aber offenbar keine Probleme, Disney bei der Produktion weiterer Filme konsultierend zu unterstützen. Der Drehbuchautor Michael Arndt, verantwortlich
für die Manuskripte zu „Toy Story 3“ und „Little Miss Sunshine“, wurde bereits engagiert, um das Buch zu „Episode VII“ zu verfassen. Informationen bezüglich der Handlung sind zwar noch rar, aber Gerüchte über eine Rückkehr der Figuren von Harrison Ford, Mark Hamill und Carrie Fisher kursieren bereits im Internet. Auch über eine Rückkehr von Darth Vader wird spekuliert. Des weiteren wurden die Autoren Lawrence Kasdan und Simon Kinberg für zusätzliche Arbeit angestellt, laut offiziellen Aussagen arbeiten die beiden jedoch nicht notwendigerweise an Episode VIII und IX, sondern an eventuellen Spin-Offs abseits des eigentlichen Hauptstrangs. WER FÜHRT REGIE? Ungeklärt ist indes, wer Regie bei zukünftigen „Star Wars“Produktionen führen soll. Einige Regiestars haben schon abgesagt, so hat Steven Spielberg beispielsweise gemeint, „Star Wars“ entspreche nicht seinen Genrevorlieben, und das obwohl er mit Science Fiction nicht unvertraut ist. Guillermo Del Toro meinte, er würde darüber nachdenken, sollte es ihm jemand anbieten, und Quentin Tarantino meinte schroff, es könnte ihn nicht weniger kümmern, er sei nicht scharf auf eine Simon
George Lucas soll die von Disney produzierten, neuen Star-WarsFilme als Konsulent begleiten
West-Version von „Star Wars“ (Simon West ist verantwortlich für eher generische Werke wie „Con Air“ oder „The Expendables 2“). Diese verhaltenen Reaktionen sind wohl auch darauf zurück zu führen, dass „Star Wars“-Produktionen traditionell von eher unbekannten Regisseuren geleitet wurden und die künstlerischen Leitfäden von den Produzenten, allen voran von George Lucas, vorgegeben wurden. Disney wird diese Tradition wohl weiter führen und prominente Regisseure höchstens aus Prestigegründen und weniger wegen künstlerischer Gesichtspunkte einsetzen. Ob die Qualität der „Star Wars“-Filme abfällt oder im Gegensatz zu den eher flauen Episoden I bis III gesteigert wird, bleibt abzuwarten. Auch, wenn Kathleen Kennedy, eine Langzeitvertraute Lucas’, an der Spitze der nunmehrigen Disney-Tochter Lucasfilm arbeiten wird, ist im schlimmsten Fall zu befürchten, dass Disney aus „Star Wars“ ein weiteres, nie enden wollendes Hollywood-Massenprodukt machen wird, das ähnlich wie „SAW“, „Fluch der Karibik“ oder „Spider Man“ irgendwann in einer Flut an Weiterverarbeitungen jeglichen Reiz verliert. Alexander Lohninger Infos: www.lucasfilm.com
Fotos: Tuma; Filmladen; Europeanfilmacademy; TCFHE (2)
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cover ANG LEE hat mit „Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger“
den Roman von Yann Martel als beeindruckendes 3D-Spektakel verfilmt. Der Regisseur im Gespräch.
Ang Lee
zähmt den tiger
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elluloid: Bei manchen Büchern weiß man ja schon im Vorfeld, dass man sie lieber nicht verfilmt. Bis vor kurzem dachte man das auch von Yann Martels Bestseller „Life of Pi“. Sie haben das Gegenteil bewiesen: Was hat Sie denn dazu gebracht, diesen verrückten Versuch zu unternehmen? ANG LEE: Als ich das Buch zum ersten Mal las, das war vor zehn Jahren, sah ich selbst auch noch keinen Film darin. Ich las es, besprach es mit meiner Frau und den Kindern, wird haben darüber wochenlang diskutiert. Vor viereinhalb Jahren dann änderte ich meine Meinung: Fox bot mir an, „Life of Pi“ zu verfilmen. Ich hatte sie damals acht Monate mit meiner Antwort hingehalten, weil ich gerade einen anderen Film drehte. Irgendwas hat mich dann dazu gebracht, ja zu sagen; wahrscheinlich die unglaubliche Herausforderung, etwas Un-
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mögliches zu versuchen. Das Buch erforscht die Kraft der Illusion. Es wertschätzt das Abstrakte, also Dinge, die man nicht beweisen kann, den Glauben. Das kommt mir als Regisseur ziemlich nahe, denn ich sehe mich als Geschichtenerzähler, als jemand, der Illusionen verkauft. Und ich dachte sofort an 3D. Ich habe bisher einige Cartoons in 3D gesehen, die interessant waren, aber nicht allzu viele Spielfilme. Das sind meistens billige Horror- oder Actionspektakel. Ich dachte aber, wenn ich das Wasser im Film als eigenständige Figur benutze, dann wäre das mit 3D eine total neue Filmerfahrung. Von dem Moment an brannte ich darauf, den Film zu machen. Und ich machte mich ans Lösen der Probleme einer solchen Großproduktion. Das Wichtigste war mir, nicht in den USA, sondern in meiner Heimat Taiwan zu drehen, denn da wäre ich etwas abseits vom Schuss und könnte befreiter arbeiten. Es war ein langer, harter Kampf für mich, den Film vorzubereiten.
Wie bewerten Sie die Aspekte Religion und Glaube in Zusammenhang mit der Buchvorlage? Das Buch bietet die Gelegenheit, sich Gedanken über Gott zu machen, nicht über Religion, sondern Gott, und zwar in einer sehr abstrakten Weise. Niemand kennt Gott oder weiß, was das ist. Ich glaube, das, was wir Gott nennen, ist eigentlich unsere emotionale Verbindung zu diesem Unbekannten. Unbekannt deshalb, weil man die Existenz eines Gottes nicht beweisen kann, wissenschaftlich. Er ist nicht greifbar. Wie gehen wir mit dieser Abstraktheit um, die ja das größte Geheimnis des Lebens an sich ist? Diese Fragen interessieren mich sehr, auch, wenn keiner eine Antwort darauf haben dürfte. Gott hat noch nie zu mir gesprochen, ich habe auch keine Wunder erlebt. Aber mich fasziniert das Unbekannte, und ich glaube auch zu wissen, was Glaube ist. In der Geschichte von „Life of Pi“ ist es diese Konfrontation mit dem Unbekannten, diese
Hoffnung auf Rettung und die Todesangst gegenüber dem Tiger, die uns interessiert. Ich habe keine Antwort, was Gott und was Glaube sind. Aber ich glaube, ich möchte mit dem Film zumindest das Gefühl ermöglichen, sich davon berühren zu lassen. Sind Sie ein religiöser Mensch? Heute nicht mehr. Ich wurde christlich erzogen, weil meine Mutter Christin war und mich jeden Sonntag zur Kirche schleppte. Ich musste als Kind vier Mal täglich beten, bis ich 14 war. Irgendwann begann ich aber, das zu hinterfragen. Die anderen Kinder lachten mich immer aus, wenn ich in der Schule betete. Also hörte ich irgendwann mit dem Beten auf und nichts passierte. Ich gehe heute nicht mehr in die Kirche. Ich kann mich selbst nicht als religiös bezeichnen. Eher als Agnostiker. Oder als irgendwas dazwischen. Die Computeranimation des Tigers ist ein Herzstück der Produktion. Wie tut man sich als Regisseur, wenn man die ganze Zeit über nur gegen blaue und grüne Leinwände filmt? Das Wichtigste war: Lass deiner Vorstellungskraft freien Lauf. Anders wäre ein solcher Film nicht zu realisieren. Denn er
FILMKRITIK
Filmstart: 26.12.12 Fotos: Fox; Te-Fan Wang, Courtesy of Twentieth Century Fox
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ZUR
PERSON ANG LEE , 1954 in Taiwan geboren, studierte gemeinsam mit Spike Lee an der New York University und begann seine Filmkarriere mit der „Father-Knows-Best“-Trilogie (199294), in der er familiäre Konflikte auslotete. Als in den USA arbeitender Filmschaffender realisierte Lee so unterschiedliche Filme wie „Eat Drink Man Woman“, „Sinn und Sinnlichkeit“, „Tiger and Dragon“ oder „Brokeback Mountain“, für den er 2006 den Oscar als bester Regisseur erhielt. Lee lebt mit seiner Frau, der Mikrobiologin Jane Lin, und seinen beiden Söhnen in White Plains, New York.
ist beim Drehen zunächst einmal sehr abstrakt. Und sehr teuer. Immerhin arbeiten hunderte Menschen mit dir an einem solchen Projekt. Das muss man erst mal sehr genau planen, dann das Budget aufstellen und dann die geplanten Einstellungen drehen. Das ist sehr mechanisch und sehr anstrengend. Es ist ein schwerfälliger Prozess. Das größte Problem bei einem solchen Film ist für mich, dass man alles rationalisieren muss, um dann später vielleicht etwas zu berühren, was mysteriös ist. Das ist schwer. Mussten Sie denn viele Kompromisse eingehen? Bei der Arbeit am Set nicht, aber die meisten Kompromisse bei Studio-Produktionen entstehen im Schneideraum. Man hat eine gewisse Vorstellung von einer Szene, zeigt sie den Studio-Bossen und diskutiert dann darüber. Hier entstehen die Kompromisse, noch bevor ein Film fertig ist. So ist Hollywood. Das ist schmerzhaft, aber das ist das Schicksal eines solchen Films. Es gibt keinen anderen Weg, einen solchen Film zu drehen. Matthias Greuling Das komplette Interview lesen Sie in unserer vollwertigen Ausgabe celluloid Nr. 1/2013, das im gut sortierten Zeitschriftenhandel erhältlich ist
SCHIFFBRUCH MIT TIGER
in Rettungsboot treibt durch den Pazifik. Die Insassen des Boots: Ein junger Mann und ein bengalischer Tiger. Wie kommen die beiden dort hin? Wie kommen sie aus der Nummer wieder raus? Wie kann es der Mann schaffen, auch nur einen Tag in Gesellschaft seines bissigen Begleiters zu überstehen? Die Antworten auf diese Fragen standen 2001 im Roman „Schiffbruch mit Tiger“, der dem kanadischen Autor Yann Martel eine weltweite Leserschaft einbrachte. Der Bestseller, Originaltitel „Life of Pi“, erzählt die Geschichte des Inders Piscine Patel, der sich nach einem Schiffsuntergang gerade noch retten kann. Der versinkende Frachter ist eine Art Arche Noah: Patels Familie hat ihren gesamten Geschäftsbetrieb, die Tiere eines Zoos, mit an Bord gebracht. Pi und der Tiger sind die letzten Überlebenden. „Ein echter Abenteuerroman und eine Parabel zugleich“, schrieb die Berliner taz. Regisseur Ang Lee ist mit der Verfilmung dieser modernen Odyssee gleich mehrere Wagnisse eingegangen – und hat auf ganzer Linie gewonnen. Das Hauptproblem des Projekts wurde mit glanzvoller CGI-Technik gelöst: Natürlich konnte Ang Lee nicht mit einem echten Tiger drehen, wollte er sein Team nicht in ständige Todesgefahr bringen. Also musste die Raubkatze aus dem Computer kommen. Ganze Heerscharen von Trick-Spezialisten animierten den Tiger und zahlreiche andere Tiere. Egal ob eine Tüpfelhyäne oder ein Dreifingerfaultier die Leinwand füllt:
die Viecher schauen so lebensecht aus, als stammten sie aus einer Naturdokumentation. Ang Lee hat für diese fantastische Geschichte die 3D-Technik zu neuer Höhe geführt. Der Zuschauer versinkt in einem realistischen und zugleich surrealen Kosmos einer märchenhaften Welt, in der Traum und Albtraum direkt nebeneinander stehen. Im Storytelling – Wagnis zwei – vertraute Ang Lee der epischen Struktur des Romans. Es vergeht viel Zeit, bis die Seereise beginnt. Der Regisseur zeigt in der ersten Stunde kleine Episoden über Menschen und Tiere, die wie feine Kurzfilmminiaturen wirken. Und er reißt ein Thema an, das später noch an Bedeutung gewinnt: Glaube und Religionen. „Dies ist eine Geschichte, die Ihnen den Glauben an Gott geben wird“, heißt es schon zu Beginn. In einem überraschenden Finale löst der Film dieses Versprechen ein – freilich auf eine Art, die niemand vorausahnen kann und die den Betrachter auf intelligente, witzige Weise verblüfft. Bleibt zu erwähnen, dass der Film auch schauspielerisch überzeugt, obwohl er – Wagnis drei – nicht auf Megastars setzt. Gérard Depardieu (als finsterer Schiffskoch) und Bollywood-Star Irfan Khan sind die bekanntesten Namen. Die Leinwand gehört aber dem 19-jährigen Suraj Sharma, der den Titelhelden Pi mit so viel Humor, Neugier, Lebenslust und Todesangst füllt, dass sich nicht nur das Publikum vor ihm verneigt, sondern auch der Tiger. Gunther Baumann
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interview JOE WRIGHT hat sich in seiner dritten Zusammenarbeit mit
Keira Knightley erneut eines Literaturklassikers angenommen: „Anna Karenina“ (derzeit in den österreichischen Kinos) von Leo Tolstoi.
Der
Kostümfilmer
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elluloid: Mister Wright, „Anna Karenina“ ist schon oft für die Leinwand verfilmt worden – und dennoch haben Sie es geschafft, hier etwas Neues zu erzählen. Sie vermischen Film, Theater, Realismus und Magie – wie haben Sie das Konzept für den Film entwickelt? JOE WRIGHT: Ich selbst gehe öfter ins Theater als ins Kino. Ich bin in einem Puppentheater in London groß geworden. Ich wollte ausloten, wie weit ich gehen kann, Möglichkeiten erkunden, die klassische Filmform zu verlassen. Dieser filmische Naturalismus macht mich klaustrophob. Ich wollte es expressionistischer machen. Mit dieser filmischen Lebensnähe kratzt man doch nur an der Oberfläche, es ist und bleibt eine Zurschaustellung der Realität. Davon bin ich kein großer Freund.
Joe Wright instruiert Keira Knightley am Set von „Anna Karenina“
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Wie hat Ihre Hauptdarstellerin Keira Knightley auf das Konzept reagiert? Es hat sie nervös gemacht. Aber zum Glück sind wir uns sehr ähnlich. Wir beide sind in gewisser Weise sehr sorgenfrei, manchmal auch schon rücksichtslos. Wir arbeiten beide gerne außerhalb unserer Komfortzone. Und wir lieben die Herausforderung. Es geht hier doch darum, alle Hüllen fallen zu lassen, die Oberfläche zu durchbrechen und zum Kern der Sache vorzustoßen. Und der Kern der Dramen sind immer die Charaktere und ihre Darbietung. Zu Ihrer Handschrift als Regisseur gehören diese ewig langen Plansequenzen. Ohne Schnitt, ohne Unterbrechung fahren Sie mit der Kamera ganze Geschichten ab. Das haben Sie in „Abbitte“ gemacht, das machen Sie hier. Ist das für Sie als Regisseur die ultimative Herausforderung? Natürlich gibt es keine Garantie, dass es auf Anhieb klappt. Aber ich liebe diese langen Shots. Sie sind eine eindringliche Erfahrung. Für mich und fürs Publikum. Ich liebe auch aufwendige Montagen und die Idee, wie ein Puzzle einzelne Bilder zu einem Ganzen zusammenzusetzen. Aber genauso liebe ich eben diese zusammenhängende, lange Bewegung, mit der ich einen ganz eigenen kinematografischen Rhythmus erzeugen kann. Ein Rhythmus, der im Rahmen bleibt. Diese langen Einstellungen sind für mich der perfekte Rhythmus. Und um den geht es im Kino eben. Was fasziniert Sie so an Kostümfilmen? Kostümfilme sind für mich wie Fantasyfilme. Es geht nicht darum, eine Epoche exakt nachzubilden. Für mich geht es um die Freiheiten meiner eigenen Vorstellungskraft.
Wenn ich Filme im Hier und Jetzt mache, fühle ich mich eingeengt. Ich muss mich an das Zeitgenössische anpassen. Im Kostümfilm habe ich viel mehr Freiheiten. Sie lieben nicht nur Kostümfilme, Sie haben auch eine Vorliebe für klassische Literaturadaptionen. Nach Jane Austen und Ian McEwan jetzt Tolstoi. Wie viel Freiheiten haben Sie bei solch großen Vorlagen überhaupt? So unlogisch es vielleicht klingen mag, aber diese Einschränkungen befreien mich künstlerisch. Mit dem vorgegebenen Material kann ich umgehen wie ich will. Ich kann mich daran festhalten. Das ist mir wesentlich lieber, als hätte ich nur ein weißes Blatt Papier. Ich habe Literatur nicht studiert, bin sogar Legastheniker und habe erst mit 16 angefangen, Bücher zu lesen. Ich bin ein sehr langsamer Leser, aber damals habe ich gemerkt, dass die Geduld sich lohnt. Jeder Film, den ich mache, ist für mich ein Prozess des Lernens. Meine Karriere ist also ein Teil meiner eigenen Ausbildung. Wofür steht Anna Karenina denn für Sie? Ich glaube nicht, dass sie für irgendetwas steht. Ich versuche immer, sie nicht als Symbol zu begreifen, sondern als Individuum. Die anderen Leinwandadaptionen geben immer vor, dass Anna Karenina symbolhaft für etwas steht. Ein Opfer der damaligen Gesellschaft zum Beispiel. Für mich ist das aber nicht das, was Tolstoi wollte. Er hat einen sehr genauen Charakter erschaffen. Je typischer der ist, desto universeller wird er natürlich. Ich habe jede Art von Symbolik vermieden. Metaphern ja – Symbole nein. Auch, wenn Filmemacher nicht ger-
Fotos: Universal
derzeit im kino
Komplexe, lange Einstellungen, so wie diese Tanzsequenz, sind eine Spezialität von Regisseur Joe Wright
ne über Geld sprechen: „Anna Karenina“ sieht sehr teuer aus – obwohl Sie vermutlich kein großes Budget hatten. Wie haben Sie das geschafft? Wir haben alles Geld, was wir hatten in die Leinwand gesteckt. Fragen Sie mal Keira Knightley nach ihrer Gage – oder lieber nicht. Das meiste Geld ging natürlich in die Ausstattung. Im Vergleich zu Hollywoodfilmen war unser Budget klein, für europäische Verhältnisse war es aber schon viel. Wir hatten 31 Millionen Dollar. Zudem sind mein Team und ich eingespielt – wir arbeiten teilweise schon seit über zwanzig Jahren miteinander. Meine Filme sind, was sie sind, wegen der Menschen, mit denen ich zusammenarbeite. Film ist ein Gemeinschaftsprodukt. Ich glaube nicht an das Autorenprinzip. Sie reden jetzt zwar mit mir, könnten aber genauso mit jedem anderem aus meinem Team sprechen. Er würde ihnen vermutlich das gleiche erzählen. Gehören da auch die Schauspieler dazu? Ich mag es, immer wieder mit den gleichen Schauspielern zu drehen, weil ich ihnen vertrauen kann. Und sie mir. So fühlen
wir uns beide sicher. Ich bin kein intellektueller Regisseur. Es geht bei mir nicht um irgendwelche Theorien, sondern um Emotionen. Wir reden viel über unsere eigenen Lebenserfahrungen. Es ist ein sehr intimes Arbeiten und das setzt Vertrauen voraus. Und nicht zuletzt müssen wir uns auch mögen. Immerhin erzählen wir uns unsere tiefsten Geheimnisse. So wie Keira Knightley und Sie? Keira ist eine ungemein mutige Schauspielerin. Viele junge Filmstars spielen doch immer nur Figuren, die liebenswert sind. Weil sie selbst geliebt werden wollen und künstlerische Anerkennung mit Zuneigung verwechseln. Dabei unterfordert man aber das Publikum. Keira hat keine Angst vor ambivalenten Reaktionen. Es ist ihre dritte Zusammenarbeit. Hat sich etwas verändert in der Beziehung zwischen Keira Knightley und Ihnen? Wir sind näher zusammengewachsen. Aber wir streiten uns auch mehr. Auf einer argumentativen Ebene. Bei „Abbitte“ zum Beispiel mussten wir kaum miteinander re-
den. Kleine Handgesten haben gereicht und Keira wusste was ich wollte. Hier haben wir geredet und geredet. Bei „Stolz und Vorurteil“ war Keira 18, bei „Abbitte“ 21. Dann habe ich sie ein paar Jahre nicht gesehen. In dieser Zeit ist viel passiert in ihrem Leben. Sie hat Karriere in Hollywood gemacht. Ja und Nein. Sie hat vor allem sehr mit sich gehadert, überlegt die Schauspielerei aufzugeben. Sie hatte das Gefühl, sich künstlerisch nicht weiterzuentwickeln. Sie konnte mit dem Starsein nicht umgehen. Für ihren frühen Erfolg hat sie einen hohen Preis gezahlt. Dann ist sie aber zurück gekommen. Sie war vier Jahre lang nicht in Hollywood, ist im wahrsten Sinne des Wortes nicht nach L.A. geflogen. Stattdessen hat sie viel Theater gespielt und wieder zu sich selbst gefunden. Wir haben dann zusammen einen Werbespot gedreht. Sie war eine vollkommen neue Person, hatte sich immens weiter entwickelt, war in vielerlei Hinsicht selbstsicherer. Ich glaube in dieser Zeit ist sie eine Frau geworden. Da wusste ich, sie ist bereit für die Rolle der Anna Karenina. Interview: Anna Wollner celluloid 1a/2013
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Foto: Spielmannfilm/Filmladen
am set
Peter Simonischek als alternder Patriarch in Götz Spielmanns neuem Projekt „Oktober November“
Eine komplexe
Familiengeschichte GÖTZ SPIELMANN drehte seinen neuen Film mit Ursula Strauss und Peter
Simonischek zu großen Teilen im niederösterreichischen Annaberg bei Mariazell. Beim Setvisit verriet er schon einige Details zu „Oktober November“
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ber gut ein Dutzend Kehren muss man sich bergauf winden, um in den kleinen niederösterreichischen Ort Annaberg, unweit von Mariazell, zu gelangen. Bei gutem Wetter entlohnt eine schmucke Fernsicht auf die niederösterreichischen Voralpen, und im Winter kann man den bezwungenen Hang auch zum Schifahren nutzen. Aber in dem an sich verschlafenen Nest war in diesem Herbst einiges los: Götz Spielmann drehte hier nämlich große Teile seines neuen Spielfilms „Oktober November“: Darin geht es um einen wenig rentablen Gasthof in den Alpen. Die Besitzer haben zwei Töchter, die sich sehr unterschiedlich entwickelt haben: Sonja, die jüngere, lebt in Berlin. Sie ist sehr erfolgreich, zu einer bekannten Schauspielerin geworden. Verena hat das Elternhaus nie für lange verlassen, lebt noch immer in dem kleinen Dorf, mit Mann und Kind. Der Vater ist ein müde gewordener Patriarch, ein Herrscher ohne Reich. Vor allem, als er
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einen Herzinfarkt erleidet, verschieben sich die Prioritäten in der Familie beträchtlich. In diesem Spannungsfeld entwickelt Götz Spielmann eine komplexe Erzählstruktur, um familiäre Konflikte aufzuschlüsseln. In den Hauptrollen sind Ursula Strauss, Nora von Waldstätten, Sebastian Koch und Peter Simonischek zu sehen. Hinter der Kamera steht Martin Gschlacht. KOMPLEXE FAMILIENSTRUKTUREN „Familiengeschichten sind oft voll von Hass und Selbstzerstörung, Familie kann aber auch ein Rückzugsort und ein Kraftfeld sein“, sagt Götz Spielmann. „Was mich interessiert, sind die Verbundenheiten untereinander, im Schönen wie im Problematischen, die in Familienstrukturen geballt und komplex aufeinander treffen. Das wird ein zentrales Thema in ‚Oktober November’ sein.“ Ein anderes ist der im Leben allgegenwärtige Tod. „Der Tod ist als Thema eine Art Schwerpunkt im Hintergrund“, sagt Spiel-
mann, der sich schon seit seiner Jugendzeit mit dem Sterben beschäftigt. „Aber das Wissen vom Tod allein genügt ja nicht, ich arbeite bis heute daran, damit zu leben. Mir war das Sterben bewusst, schon in einem Alter, in dem nicht viele darüber nachdenken, weil der Tod so weit weg und so abstrakt ist. Und weil es so viel zu tun gibt. Das war bei mir anders“. Schwermütig soll „Oktober November“ aber nicht werden. Wie immer bezeichnet Spielmann seine Projekte als „optimistische, keineswegs depressive“ Geschichten, die der Regisseur mit viel Intuition findet: „Beim Schreiben ist für mich sehr viel Bewusstsein nötig, um an den Punkt zu kommen, an dem man spürt, dass etwas richtig ist. Erst dann schreibe ich es auf, und zwar intuitiv. Das bedeutet für mich, dass ich beim Inszenieren etliche Entdeckungen mache, denn als Regisseur musst du sehr viel verstandesmäßiger und intellektueller arbeiten als als Autor. Meine Drehbücher entdecke ich ge-
danklich erst am Set.“ Besonders wichtig sind Spielmann die Orte, an denen seine Geschichten spielen. „Sie sind der Raum, in dem meine Figuren agieren. Mich interessiert an Menschen auch der Raum, der sie umgibt. Das ist eine andere Blickweise, denn das erzählt unglaublich viel über die Figuren“, sagt Spielmann.
das Wohl der Crew. „Man hat uns hier sehr gut umsorgt“, sagt Götz Spielmann. „Ich glaube, es ist nur mehr eine Frage der Zeit, bis man uns einbürgert“. „Oktober November“ soll im zweiten Halbjahr 2013 fertig gestellt sein. Matthias Greuling
Fotos: Greuling
DIE WICHTIGKEIT DER ORTE Zur Wahl für „Oktober November“ standen das Waldviertel, Oberösterreich und die niederösterreichischen Voralpen. „Ich habe zunächst eine Geschichte, in der noch vieles abstrakt ist, wo ich mir auch noch keine präzisen Bilder vorstelle. Mit dieser Geschichte gehe ich dann hinaus in die Welt und schaue, wie sie darauf reagiert. Hier in Annaberg war bereits jemand für mich unterwegs gewesen, weil wir nach Gasthöfen suchten“, sagt Spielmann. „Als ich nach Annaberg kam, stellte ich fest, dass die Geschichte am besten hierher passte. Danach schrieb ich das Drehbuch. Auch das ist ein sehr komplexes Suchen, wo die Geschichte und der Ort einander immer wieder wechselweise beeinflussen.“ Insgesamt fünf Wochen drehte das Team hier, bewohnte auch die umliegenden Gasthöfe. Die Dreharbeiten mit einer solch hochkarätigen Besetzung ließ die Annaberger nicht kalt: Stolz und mit viel Gastfreundschaft kümmerten sich die Bewohner um
Götz Spielmann in Annaberg, am Drehort seines neuen Films „Oktober November“, den er mit Peter Simonischek (unten) und den Filmschwestern Nora von Waldstätten und Ursula Strauss (ganz unten) inszenierte
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filmkritik
ANGELS' SHARE
Filmladen
Alkohol kann Leben zerstören – oder wie in Ken Loachs Komödie die Basis für einen Neuanfang sein.
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ur der bevorstehenden Geburt seines Sohnes verdankt der Protagonist in „Angels’ Share“, dass er statt hinter schwedischen Gardinen in einem Sozialprojekt landet: Wegen schwerer Körperverletzung wird Robbie von einem Richter zu gemeinnützigen Hilfsdiensten verdonnert. Neben Malerarbeiten und Müllsammeln steht – typisch schottisch – auch der Besuch einer Whisky-Destillerie am Resozialisierungsprogramm. Die Einführung in die Geheimnisse der Herstellung dieses „Lebenswassers“ eröffnet dem kriminellen Underdog eine völlig neue (Promille-)Welt: schwenken, riechen und degustieren statt Komasaufen! Dabei zeigt sich, dass Robbie über einen ausgeprägten Geschmackssinn für die Nuancen der verschiedenen Whiskysorten verfügt. Überrascht vom feinen Gaumen seines Schützlings nimmt Sozialarbeiter Harry den Taugenichts zu einer Whiskymesse mit, auf der sich Liebhaber des schottischen Nationalgetränks auf eine exklusive Auktion vorbereiten: die Versteigerung des teuersten Malt Whiskys der Welt. Für Robbie eine einmalige Gelegenheit, einen irren Coup auszuhecken, der ihm eine sorgenfreie Zukunft bescheren kann – oder ein Leben hinter Gittern.
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„Angels’ Share“ bezeichnet jenen Alkohol-Anteil, der sich bei der Whiskylagerung aus den Holzfässern verflüchtigt und nach einer alten Tradition den Engeln gewidmet wird. Ein solcher war (Laien-)Darsteller Paul Brannigan nie: Bevor er als Robbie vor der Kamera stand, machte der Schotte bereits mehrmals Bekanntschaft mit dem Gesetz. Ideale Voraussetzungen also, um seiner Filmfigur authentisches Leinwand-Leben einzuhauchen und persönliche Erfahrungen in den Plot einfließen zu lassen. „Die Geschichte erzählt auch von meiner Kindheit in Glasgow: Was ich im Leben darüber gelernt habe, wie Drogen und Alkohol Menschen verändern können und wie das Leben im Gefängnis tatsächlich aussieht. Für mich war das wie eine Therapie“, meint Brannigan über seine Katharsis. NEUE PERSPEKTIVEN Ein Schritt, bei dem Robbie auf die Unterstützung von „Big Harry“ zählen kann: Der engagierte Streetworker ist der einzige, der an den von der Gesellschaft abgeschriebenen Loser glaubt – der nicht auf seiner kriminellen Vita herumtrampelt, sondern ihm eine neue Perspektive bietet. Regisseur Ken Loach beweist, dass er nach
fast 30 Filmen im Laufe seiner 45-jährigen Karriere immer noch für eine Überraschung gut ist. Der Godfather des Sozialdramas ist bekannt für seinen nihilistischen Blick auf unschuldig in Not geratene Menschen, die Arbeit und Ansehen verlieren, an Drogenund Alkoholproblemen scheitern oder wie in seinem mehrfach ausgezeichneten Meisterwerk „The Wind that Shakes the Barley“ an Loyalitätskonflikten zerbrechen. Auch in der Figur des jungen Robbie spiegeln sich jene sozialen Fragen wider, die für Loachs filmisches Oeuvre charakteristisch sind. In einem Punkt unterscheidet sich seine aktuelle Leinwand-Arbeit jedoch von früheren Filmen: Mit fortlaufender Handlung reift „Angels’ Share“ zu einer unterhaltsamen Komödie, die wie ein gehaltvoller Whisky ihr wahres Bouquet erst im Nachgeschmack entfaltet. Jürgen Belko
ANGELS' SHARE GB/F 2012. Regie: Ken Loach. Mit Paul Brannigan, Siobhan Reilly, John Henshaw FILMSTART: 21. 12. 2012
SEARCHING FOR SUGAR MAN
Polyfilm
Ein Dokumentarfilm auf den Spuren eines unbekannten Musikers: Dabei war Sixto Rodriguez in Südafrika ein Superstar, ohne es zu wissen.
S
puren verlaufen sich bekanntlich oft im Sand. Was aber, wenn die Spuren niemals existierten und nur ein dubioser Mythos zwischen Suchendem und Gesuchtem steht? So geschehen im Fall von „Sugar Man“. Die Intention der Protagonisten in Malik Bendjellouls Dokumentarfilm ist es, Näheres über den Siebzigerjahre-Musiker Sixto Rodriguez in Erfahrung zu bringen. Gerüchten zufolge beging dieser während eines Konzertes Selbstmord. Die Versionen der Todesursache variieren: Manche sagen, Rodriguez erschoss sich auf der Bühne. Andere behaupten, er goss Benzin über seinen Leib und entzündete sich selbst. Doch Sixtos Tod blieb ein Gerücht. Ausgangspunkt der Suche sind drei zeitgenössische Schauplätze, die auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein könnten: Kapstadt, Detroit und Palm Springs. Ein Plattenladenbesitzer, dessen Spitzname „Sugar“ ist, bildet den Rahmen des Filmes, weiht die Zuseher in die Geheimnisse rund um Rodriguez’ Tod und dessen Nicht-Karriere ein; Nicht-Karriere deshalb, weil Rodriguez in seiner Heimat USA bloß eine Handvoll Platten verkaufte und nur Insidern ein Begriff war. Am Beginn aller drei Stränge stehen Establishing-Shots. Mithilfe von animierten
Illustrationen deckungsgleicher Motive versucht Regisseur Malik Bendjelloul, den Konnex zur Vergangenheit herzustellen. Zeitgenossen von Rodriguez präsentieren ihre Sicht auf die mystifizierten Geschehnisse in Interviews, welche durch Archivaufnahmen – zum Beispiel Einstellungen in Super8, Schwarz-Weiß oder Homevideos – und Fotos grundiert werden. MUSIK & FILM IM FLOW Strukturell unterbricht Bendjelloul die eigentliche Handlung oftmals mit Sequenzen mit Musik von Rodriguez. Dies führt zu dem einzigartigen Flow von „Searching for Sugar Man“, welcher sich – mit geringen Abstrichen gegen Ende – durch den ganzen Film zieht. Kamerafahrten durch die Straßen Detroits schmiegen sich beispielsweise an Rodriguez’ Songs und versinnbildlichen den urbanen Mythos. Rodriguez’ Musik, das erkennt man auch als Laie, ähnelt jener von Bob Dylan. Möchte man den Personen von „Searching for Sugar Man“ glauben, so sind Rodriguez’ Texte jedoch um ein Vielfaches poetischer und ausgefeilter. Obwohl der Musiker praktisch keinen Erfolg in seiner Heimat verzeichnen konnte, schaffte es seine Musik paradoxerweise in
das ferne Südafrika: Dort wird das Album „Cold Fact“ gar als Hymne einer Revolutionsbewegung der Siebziger bezeichnet. Bis in die späten Neunziger wussten weder der Singer-Songwriter noch seine Plattenfirma von diesem überwältigenden Erfolg. Rodriguez, der auf der anderen Seite des Atlantiks ein bescheidenes Leben führt und seine professionellen Ambitionen längst aufgegeben hat, sieht sich plötzlich mit seinem Rockstarstatus in Südafrika konfrontiert. Ende der Neunziger holt er dort eine Reihe an Konzerten nach – so als hätte er nie etwas anderes getan. Bendjellouls Dokumentation lebt zu großen Teilen von dem Umstand, dass Rodriguez’ Geschichte eigentlich zu unglaublich ist, um wahr zu sein. Auch die fabelhafte Musik Rodriguez’ trägt ihren Teil zum konsistenten Gesamtpaket „Searching for Sugar Man“ bei. Matthias Heschl
SEARCHING FOR SUGAR MAN SWE/GB 2012. Regie: Malik Bendjelloul. Mit: Sixto Rodriguez, Stephn „Sugar“ Segerman FILMSTART: 28. 12. 2012 celluloid 1a/2013
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Marion Cotillard brilliert in Jacques Audiards‘ Drama „Der Geschmack von Rost und Knochen“, in dem sie eine Wal-Trainerin
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spielt, die bei einem Unfall beide Beine verliert. An ihrer Seite: Matthias Schoenaerts.
abspann
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DER GESCHMACK VON ROST & KNOCHEN von Jacques Audiard - ab 11.01. im Kino
im DEZEMBER/JÄNNER
Infos & interviews zu diesen Filmen finden Sie in der aktuellen Ausgabe unseres Magazins celluloid - Nr. 1/2013 ist jetzt im handel!
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PARADIES: GLAUBE von Ulrich Seidl - ab 11.01. im Kino
OF WATCH 4 END Ab 21.12. im Kino
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Ken Loachs köstliche Komödie über vier
SHARE 5 ANGEL'S Ab 21.12. im Kino
Nr. 1/2013 ist ab sofort im gut sortierten Zeitschriftenhandel erhältlich!
Whisky-Diebe.
BOY 3 OH, Ab 28.12. im Kino
ten Alltag eines Polizisten
Jake Gyllenhaal kämpft sich durch den har-
stadt: Toller Berlin-Film
Tom Schilling, orientierungslos in der Groß-
Fotos: Stadtkino (3); Warner; Filmladen
Redaktion
Maria Hofstätter), die missionierend von Haus zu Haus zieht.
Die Top der
Zweiter Teil von Ulrich Seidls Trilogie: Der Film folgt einer radikalen Christin (gespielt von
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