celluloid Sonderausgabe zur Diagonale 2012 - gratis
Ausgabe 3a/2012 - März 2012
gegründet 2000
filmmagazin e zur
ARTIG. NICHT BRAV.
Beilag
Österreichs Filmfestivals gehen die unterstützer aus
DIAGONALE12 Die interessantesten filme, gesichter und interviews www.celluloid-filmmagazin.com
Ein Film von RUTH MADER
WHAT
IS LOVE Ab 30. M채rz im Kino www.whatislove-derfilm.at
celluloid Viennale diagonale Infos & Tickets: 2012www.viennale.at special
Fotos: Greuling
diagonale 2012 Termin:
Editorial
20. bis 25. März 2012, Graz Festivalkinos: Filmzentrum im Rechbauerkino Rechbauerstraße 6, 8010 Graz www.filmzentrum.com KIZ RoyalKino C. v. Hötzendorfstraße 10, 8010 Graz www.uncut.at/graz/kizroyal Schubertkino Mehlplatz 2, 8010 Graz www.schubertkino.at UCI Kinowelt Annenhof Annenstraße 29, 8020 Graz www.uci-kinowelt.de
Festivalzentrum im Kunsthaus Graz Lendkai 1, 8020 Graz www.kunsthausgraz.at Gäste-/Pressezentrum Haus der Architektur Graz Mariahilferstr. 2, 8020 Graz 20.–25. März, 10–19 Uhr Diagonale Festivalcafé und Bar iKU Café Bar Restaurant im Kunsthaus Graz 20.–25. März, 9 – 2 Uhr
Matthias Greuling
Herausgeber & Chefredakteur
Liebe Leser, Mit dieser Sonderausgabe zur Diagonale 2012 möchten wir Ihnen einige jener Filme und Filmemacher vorstellen, die das Festival prägen werden. Es handelt sich um vielversprechende Uraufführungen und Österreich-Premieren. Bereits im Vorfeld haben wir viele Filme aus dem Programm gesichtet und hier für Sie zusammengestellt. Während der Diagonale finden Sie auf unserer Website www.celluloid-filmmagazin.com aktualisierte Beiträge sowie aktuelle Videos rund um das Festival. Viel Spaß im Kino,
Matthias Greuling Chefredakteur
celluloid Tickets Info & Bestellung: Infoline 0316 / 822 81 822 (10-18 Uhr) Kartenverkauf (14. –25. März) Café Promenade 21.-25.3., täglich 10–18 Uhr Kunsthaus Graz, täglich 10–17 Uhr Festivalkinos: Täglich jeweils eine Stunde vor Beginn der ersten Vorstellung Online Ticketverkauf ab 14. März unter www.diagonale.at/tickets
RAHMENPROGRAMM
Ausstellung: Sofie Thorsen: Schnitt A-A’ Eröffnung: 2. März 2012, Ausstellungsdauer 3. März – 6. Mai 2012 Kunsthaus Graz, Space02, Lendkai 1, 8020 Graz Live Film Konzert Fool‘s Island Project 22. März 2012, 21.00 Uhr, Postgarage, Dreihackengasse 42, 8020 Graz Branchentreffen: 21. und 22. März 2012 Hotel Weitzer
www.celluloid-filmmagazin.com unser Youtube-Channel: www.youtube.com/celluloidVideo finden sie uns auf Facebook: www.facebook.com Folgen sie uns auf twitter: www.twitter.com/mycelluloid Unsere Website: www.celluloid-filmmagazin.com
celluloid FILMMAGAZIN Nummer 3a/2012 März 2012. Sonderausgabe zur Diagonale 2012. Herausgeber, Eigentümer und Verleger: Werbeagentur Matthias Greuling für den Verein zur Förderung des österreichischen und des europäischen Films. Chefredakteur: Matthias Greuling. Layout / Repro: Werbeagentur Matthias Greuling. Printed in Austria. Die Interviews & Texte in dieser Ausgabe stammen von der celluloid-Redaktion. Die Beiträge geben in jedem Fall die Meinung der AutorInnen und nicht unbedingt jene der Redaktion wieder. Anschrift: celluloid Filmmagazin, Anningerstrasse 2/1, A-2340 Mödling, Tel: +43/664/462 54 44, Fax: +43/2236/23 240, e-mail: celluloid@gmx.at, Internet: http://www.celluloid-filmmagazin.com Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion und Quellenangabe. © 2012 by Verein zur Förderung des österreichischen und des europäischen Films.
Diese Publikation wird unterstützt von
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jetzt zählt jeder cent
durch den wegfall des hauptsponsors A1 geraten die diagonale und crossing europe in bedrängnis - sofern kein ersatz gefunden wird
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s war ein schwerer Schlag: Als sich A1 vor kurzem relativ abrupt dazu entschlossen hatte, bei den österreichischen Filmfestivals Diagonale und Crossing Europe als Hauptsponsor auszusteigen, gab es in Graz und Linz lange Gesichter. Spargründe hätten den Telekom-Riesen dazu gezwungen, sein Engagement einzustellen, hört man. Konkret bedeutet das für die beiden wichtigsten heimischen Filmfestivals
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nach der Viennale ein um etwa fünf Prozent geringeres Budget - und nicht nur die monetäre Kürzung schmerzt: Auch die zahllosen Sachleistungen von A1 fallen weg, darunter etwa die Gratis-Telefonie für das Festival, die bislang im Deal inkludiert war, aber auch diverse andere Marketingleistungen. Die Leiter der beiden Filmfestivals, Barbara Pichler (Diagonale) und Christine Dollhofer (Crossing Europe) konnten in der kurzen
Zeit bis zu den Festivalterminen keinen Ersatz mehr auftreiben. „Das liegt daran, dass große Firmen ihre Budgets für das Folgejahr schon im Herbst schnüren“, sagt Dollhofer. „Hätten wir vom Ausstieg früher erfahren, hätten wir noch reagieren können“. Die Diagonale wird mit einem Gesamtbudget von etwa 1,2 Millionen Euro veranstaltet, Crossing Europe mit rund 500.000. „Unser Budget liegt durch den Wegfall von
Greuling; Diagonale; Crossing Europe
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„Wir wachsen ständig, und können uns dieses Wachstum eigentlich gar nicht leisten.“ Christine Dollhofer, Crossing Europe A1 deutlich unter diesen 500.000“, sagt Dollhofer. Barbara Pichler: „Bei uns sind es rund 65.000 Euro weniger an Geld- und Sachleistungen, das trifft uns sehr hart“. Dennoch wollen beide Festivals wie geplant stattfinden, das Publikum soll kaum merken, wie sehr im Hintergrund gespart werden muss. „Als wir von dem Sponsoring-Ausstieg erfuhren, haben wir intern einige der geplanten Programmpunkte gestrichen und uns darauf konzentriert, das Hauptprogramm wie gewohnt umsetzen zu können“, sagt Pichler. „Desweiteren sparen wir bei Einladungen und haben unseren Plan, einen Saal mehr zu bespielen, vorerst ad acta gelegt“. Die Gefahr bei solchen Sparmaßnahmen sei vor allem, „dass die Leute dann sagen: Naja, die schaffen‘s ja mit weniger Geld auch“. Doch das sei ein Irrtum, sagt Pichler: „Wir mussten nun kurzfristig reagieren, aber für 2013 ist ein Festival wie die Diagonale nicht planbar, wenn es solche Ausfälle gibt. Das Risiko wäre zu groß, am Ende mit 70.000 Euro Defizit dazustehen“. Man werde erst 2013 wirklich merken, wie sich der Sparkurs auswirke, sowohl auf die Durchführung des Festivals wie auch auf sein Image, so Pichler. Dollhofer hat in Linz neben dem gelösten A1-Deal noch mit weiteren Problemen zu kämpfen. Auch der technische Sponsor LG hat sein Engagement beendet. „Dennoch möchte ich klar festhalten, dass Sponsoren natürlich keinerlei moralische Verpflichtung haben, uns zu unterstützen. Im Gegensatz zu den öffentlichen Stellen, die einen kulturpolitischen Auftrag erfüllen müssen und die Verantwortung haben, gerade in Zeiten von Finanz- und Wirtschaftskrise solchen kulturellen Institutionen eine gesicherte Basis zum Weiterarbeiten zu bieten“, sagt Dollhofer. Zumindest von Bund, Land und Gemeinden kommen wohlwollende Signale: „Die öffentlichen Förderungen sind prinzipiell regelmäßig, aber seit unserem Bestehen unverändert“, so Dollhofer. In Graz hat man gerade erst einen neuen 3-Jahres-Vertrag mit der Stadtregierung geschlossen, muss nach der Diagonale 2012 aber mit dem
Bund und dem Land Steiermark neu verhandeln. „Von dort kommen Signale, dass die bestehenden Förderungen fortgeführt werden“, sagt Barbara Pichler. Nachsatz: „Aber es kommen auch Signale, die darauf hindeuten, dass eine Erhöhung der Mittel im Bereich des Unmöglichen liegt“. Von Vorteil zur Abfederung des Budgeteinbruchs ist bei der Diagonale jedenfalls das Engagement des anderen Hauptsponsors, der Bawag. Die Bank hat die Zusammenarbeit mit der Diagonale bis 2015 verlängert. „Die Bawag ist der einzige Sponsor, der mit uns Mehrjahresverträge abschließt“, erläutert Pichler. „Alle anderen haben das nur von Jahr zu Jahr gemacht“. JONGLIEREN Auch Crossing Europe hat sich jedenfalls fest vorgenommen, das Sparpaket fürs Publikum nicht spürbar werden zu lassen. „Wir jonglieren mit den Budgets, hoffen, dass es 2013 mit neuen oder wiedergewonnenen Sponsoren weitergehen kann“, sagt Dollhofer. „Und wir müssen bei der Personalstruktur des Festivals sparen“. Leichter gesagt, als getan: Denn sowohl Diagonale als auch Crossing Europe arbeiten mit sehr kleinen Teams, nur während des Festivals werden zusätzliche Mitarbeiter aufgenommen. „Viel einsparen kann man hier nicht mehr, wenn man die gewohnte professionelle Qualität halten will“, findet Pichler. Beim Personal zu sparen, wäre falsch, denn: „Ich will nicht in die Praktikantenkultur einsteigen, wo Leute umsonst arbeiten“. Glück haben die beiden Filmfestivals jedenfalls mit den Institutionen und Vereinen vor Ort: „Wir erfahren sehr viel Unterstützung von unseren Partnern, ohne die die Durchführung des Festivals unmöglich wäre“, sagt Dollhofer, die 2013 ein Jubiläum feiern wird - mit oder ohne neue Sponsoren: Dann wird Crossing Europe nämlich zehn Jahre alt. „Wir haben unsere Zuschauerzahlen in den letzten zehn Jahren verdoppelt“, sagt Dollhofer. „Wir wachsen also ständig, und können uns dieses Wachstum eigentlich gar nicht leisten.“ Matthias Greuling
Diagonale-Leiterin Barbara Pichler: „Man wird erst 2013 sehen, wie sich der Sparkurs auswirkt“
Crossing-Europe-Leiterin Christine Dollhofer feiert mit ihrem Festival 2013 das zehnjährige Jubiläum - mit oder ohne neuem Sponsor celluloid 3a/2012
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es ist super, normal zu sein ruth mader im gespräch zu ihrem neuen dokumentarfilm „what is love“
Haben Sie sich deswegen für die auffallend ruhigen Kameraeinstellungen und die zahlreichen Standbilder entschieden? Ja, allerdings. Ein Bild ist gut, wenn es auch über sich hinausweist, wenn also nicht nur der bloße Inhalt erzählt wird, sondern auch ein Gefühl dazu vermittelt wird. Welchen persönlichen Bezug haben Sie zum Thema Liebe? Nun, ich bin jetzt 38 Jahre alt, bin somit in einem Alter, in dem man zwischenbilanziert und sich Fragen stellt wie: Ist es in Ordnung, wie ich lebe? Mich hat daher auch interessiert, andere Leute zu beobachten und zu sehen, wie es ihnen dabei geht. Mein Film soll den Zuschauern die Möglichkeit geben, ihr eigenes Leben in Relation zu anderen zu setzen. Dafür bietet „What Is Love“ viele Identifikationsmöglichkeiten. Von der einsamen Single-Frau bis zum frustrierten Ehepaar. Sie haben aber auch die Gottesliebe in den Film eingebaut.
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Ja, weil sie fundamentale Fragen stellt, die niemandem erspart bleiben und die jeder für sich beantworten muss. Wie haben Sie die porträtierten Personen gefunden? Über Interessenvertretungen wie dem Verband der Forstbesitzer oder der Wirtschaftskammer. Insgesamt hat es etwa ein halbes Jahr gedauert, bis wir alle gewünschten Personen zusammen hatten. Wie hat sich die Finanzierung denn gestaltet? Es war ein relativ einfacher Weg. Alle waren gleich Feuer und Flamme und haben den Film gefördert. Mit dabei sind das Filminstitut, der Filmfonds Wien, der Filmstandort Austria, das Land Niederösterreich und Cine Art. Wie steht es Ihrer Meinung nach um die Finanzierung des österreichischen Films im AllRuth Mader drehte mit „What Is Love“ einen Dokumentarfilm gemeinen? Ich finde es gut, dass es nun die über die Liebe und ihre verschiedenen Ausformungen. Ab 30. März auch regulär im Kino zu sehen Förderung FISA („Filmstandort Austria“, Anm.) gibt. Von dieser neuen Förderung haben wir extrem profitiert. Für „What Is Love“ war diese Initiative der zweitwichtigste Finanzierungsgeber. Und: Es ist meiner Meinung nach ein Skandal, dass die Mittel des ÖFI nach wie vor stagnieren – trotz dieser großen Erfolge des österreichischen Films. Ich weiß nicht, was noch passieren soll. „What Is Love“ hatte bei der Berlinale Premiere. Was erhoffen Sie sich von so einer Festivalteilnahme? Ich hoffe auf internationale Verkäufe. Das ist mein größtes Anliegen. „What Is Love“ startet in den österreichischen Kinos am 30. März. Und jetzt geht es darum, die Grenzen zu übertreten. Deutschland und Frankreich wären zwei große Favoriten. Carolin Baghestanian Diagonale-Termine: 22. März, 21.00 Uhr, KIZ Royal 24. März, 11.00 Uhr, KIZ Royal
Fotos: Thimfilm (2); Filmladen (2)
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hr aktueller Film „What Is Love“ stellt eine vermeintlich einfache Frage und bietet eine breite Palette an Antworten. Wieso haben Sie sich für das komplexe Thema Liebe entschieden? Ruth Mader: Der Ausgangspunkt war die Idee, einen Film über normale Menschen zu machen. Und zwar deswegen, weil es in unserer Zeit immer mehr um Superlativen, vom Supermodel bis zum Superstar, geht. Das Normale findet man im Film nicht mehr vor, schon gar nicht im Dokumentarfilm. Ich wollte diesem Trend etwas entgegen setzen und zeigen, dass es auch „super“ ist, normal zu sein. Formal-ästhetisch war für mich der Ausgangspunkt das Porträt. Mich hat interessiert, ob sich diese Form, die in der Fotografie ja wunderbar eingesetzt wird, auch im Film funktioniert.
unser video-interview auf youtube
http://tinyurl.com/78kv2ak
ort der sehnsucht anja salomonowitz über ihr filmdebüt „spanien“
Tatjana Alexander in „Spanien“, Anja Salomonowitz am Set (kl. Bild): „Spanien ist ein sinnlicher Ort“
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panien“, das Spielfilmdebüt der jungen österreichischen Regisseurin Anja Salomonowitz („Kurz davor ist es passiert“) hatte in der Sektion Forum auf der Berlinale Premiere und eröffnet die Diagonale. celluloid sprach mit Salomonowitz über ihren Film - Eine Kritik zum Film lesen Sie in unserer aktuellen Printausgabe celluloid Nr. 2/2012 (siehe Seite 11). celluloid: Spanien ist nicht nur das reale Ziel der Hauptfigur in Ihrem Film, sondern auch eine Idealvorstellung und ein Ort der Sehnsucht? ANJA SALOMONOWITZ: Ja – es hat aber auch einen bestimmten politischen Grund, warum Sava nach Spanien will. Ich habe für einen Dokumentarfilm über binationale Paare recherchiert, also Menschen, die mit jemandem aus einem Drittstaat verheiratet sind, ein Österreicher mit einer Nigerianerin zum Beispiel. Und diese Menschen haben mir erzählt, dass Spanien viel liberaler illegalen Einwanderern gegenüber ist als andere Länder. Es gab dort mittlerweile sieben Legalisierungswellen: Das heißt, der Staat hat Menschen, die illegal im Land leben, angeboten, innerhalb einer bestimmten Frist aufs Amt zu gehen und sich eintragen zu lassen. Das spricht sich natürlich herum. Wenn Sava also nach seiner „Landung“ im Burgenland dem Priester den Grund für sein Ziel nennt und sagt:
„Die Menschen dort fürchten noch Gott. Wo man Gott fürchtet, kann man gut leben“, dann meint er damit das Asylrecht. Er meint, dass es leichter für ihn ist, dort zu leben, und er sagt es in den Worten des Priesters. Spanien ist aber natürlich auch ein sinnlicher Ort, der Sehnsüchte anspricht, ja. Mir kam das gelegen, weil ich daraus bestimmte Farben für die visuelle Gestaltung des Films schöpfen konnte, was mir immer sehr wichtig ist. Jeder Ihrer Filme war bisher in einer bestimmten Farbe gehalten ... „Das wirst du nie verstehen“ und „Kurz davor ist es passiert“ waren weiss und rosa. Dieser Film ist nun, erdfarben, gelb. Für mich sind Farben und Textur der Bilder sehr wichtig. Vor allem wenn – wie hier – viel über Bilder und weniger über Dialoge erzählt wird. Ich möchte nicht sagen müssen: Das ist braun, sondern die Farben sollen aus den Dingen herauskommen. Ich will keine Folie über eine Lampe spannen. Und das haben wir in aller Akribie betrieben. Es wird zum Beispiel nur mit bräunlichen 50-Euro-Scheinen bezahlt ... Genau. (lacht) Für eine Szene hatten wir außerdem eine Wohnung angemietet, aber die Fliesen im Badezimmer waren weiß mit blauen dazwischen. Blau passt aber nicht in meinen Film. Meine großartige Ausstatterin, Maria Gruber, hat dann in einem Ko-
pierladen 4 000 Aufkleber machen lassen und mit drei anderen dann jeden einzelnen blauen Fliesenstein überklebt. Das Problem war, dass der Vermieterin des Bades das überhaupt nicht gefallen hat – und wir nach dem Dreh wieder jeden einzelnen Aufkleber ablösen mussten. Die Themen von „Spanien“ könnten sehr schnell ins Sentimentale, Gefühlskitschige abdriften. Was waren Ihre Strategien, dies zu vermeiden? Auch meine Dokumentarfilme „Das wirst du nie verstehen“, in dem es um Erinnerungskultur und die Großelterngeneration geht, und „Kurz davor ist es passiert“, ein Film über Frauenhandel, kreisen um solche Themen. Ich mag die Herausforderung, gegen potentiell falsche Sentimentalität anzugehen und gerade sogenannte „abgegriffene Themen“ anders begreifbar zu machen. Einem Film etwas Lyrisches, etwas bewusst Überzeichnetes zu geben, hilft dabei. Der Fremdenpolizist etwa, der wird im Lauf des Films zu einer sehr poetischen Figur und steht nicht mehr nur für seinen Charakter, sondern wird zur möglichen Identifikationsfigur - im Kern seiner Eifersucht und seiner Angst. Der Trick ist, sobald man sich in einem Film wiedererkennt, wird man ihn kaum mehr gefühlskitschig finden. Matthias Greuling / Alexandra Zawia Diagonale-Termine: 22. März, 13.30 Uhr, KIZ Royal celluloid 3a/2012
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„kuma“ ist der erste langfilm des kurdischstämmigen wieners umut dag, der darin den alltag einer türkischen familie in wien einfängt
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it seinem Langfilmdebüt „Kuma“, der Geschichte einer Freundschaft zwischen zwei Frauen, die mit ihrer türkischen Familie in Wien an einer Schnittstelle von Generationen und Kulturen leben, durfte der österreichisch-kurdische Regisseur Umut Dag, 30, die Reihe Panorama der diesjährigen Berlinale eröffnen. Die Freundschaft zwischen Fatma, einer Mutter mit Prinzipien, die für die Familie alles ist, und Ayse, einem Mädchen aus Anatolien, dem neuesten Familienmitglied, wird auf die Probe gestellt, als ein Schicksalsschlag Ayse mehr von der Welt um sich herum entdecken lässt. („Kuma“ ist türkisch und bedeutet „Zweitfrau“.)
celluloid: Sie stellen zwei Frauen in den Mittelpunkt Ihres Films. Was hat Sie an der weiblichen Perspektive dieser Geschichte interessiert?
Umut Dag, hier mit Stefan Ruzowitzky beim Berlinale-Empfang der Austrian Film Commissions, legte mit „Kuma“ sein Langfilmdebüt vor
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UMUT DAG: Für mich haben Frauen prinzipiell die spannenderen Geschichten zu erzählen. Das sage ich jetzt nicht aus einem plumpen Gender-Gedanken heraus, sondern deshalb weil es in der Filmgeschichte einfach viel weniger Filme über Frauen gibt. 95 Prozent der Filme handeln von Männern, Frauen sind darin nur Zierde, das haben sie nicht verdient. Es war mir wichtig, in „Kuma“ den Frauen so viel Raum zu geben, wie normalerweise den Männern in anderen Filmen eingeräumt wird. Mein Ansatzpunkt hier war die Mutterfigur. Eine Mutter, die veraltete Wertvorstellungen hat, an denen sie festhält. Wertvorstellungen, die für sie der einzige Anker sind, weil sie sie für die richtigen hält, mit denen sie ihre Familie beschützen kann. Das Phänomen der Zweitfrau kannte ich aus der Türkei, auch wenn das keine gängige Situation ist. Ich dachte mir, dass es auch Fälle geben muss, in denen die Frau eine zweite Frau in die Familie holt. Das schien mir ein sehr packender Gedanke, weil die türkische Gesellschaft noch stärker als andere auf den „Schein nach außen“ bedacht ist. Es geht sehr stark darum, was eine Familie erreicht hat, ob sie stolz auf ihre Kinder sein kann und was sie nach außen hin repräsentiert. Unweigerlich drängt sich die Frage nach dem Einfluss Ihrer eigenen Herkunft auf. Den gibt es aber nicht. Ich bin in Wien als Sohn kurdischer Eltern, die aus der Türkei stammen, geboren. Mein Vater war Arbeiter, meine Mutter Hausfrau. Ich bin im 20. Bezirk in einem Migranten-Arbeiterviertel aufgewachsen und komme aus keiner künstlerischen Familie. Es ist also ein kleines Wunder, dass ich nun mit einem Film daste-
alles, was mir fremd ist he, der in Berlin lief. Aber all das war nicht ausschlaggebend für meinen Film. „Kuma“ ist ein Film, der über eine geschlossene Gesellschaft innerhalb der österreichischen Gesellschaft erzählt. Das ist ein prinzipielles Thema, das die Zuwanderung mit sich bringt, aber kein kulturspezifisches Phänomen. Wir sind in Wien und diese Debatte wird zumindest noch die nächsten ein, zwei Generationen aktuell bleiben. Leider. Ihr vorangeganner, mittellanger Film „Papa“ stellte einen plötzlich alleingelassenen Vater in den Mittelpunkt - interessiert Sie das Aufbrechen von Rollenstrukturen? Mich interessiert primär das, was ich nicht verstehe. Alles, was ich nicht nachvollziehen kann, was mir fremd ist, in das will ich mich oft hineinarbeiten. Dann ist natürlich auch die Familie ein Feld, aus dem ich Inspirationen hole. Wenn man versucht, eine Geschichte zu erzählen, muss man ja auch darauf achten, was man selber mitfühlen kann, wo man selber eine Verbindung hat. Was meint der Begriff „Migrantenkino“ für Sie? Ich kenne ihn, finde ihn aber nicht unbedingt benutzenswert. Ich denke nicht darüber nach, welches Kino ich als kurdischer Österreicher machen will. Das ist nicht der Grundgedanke, der mich zum Erzählen motiviert. Mir ist ein authentisches, wahrhaftiges Erzählen im Sinne von Emotion wichtig. Ich will mitfühlen und mitzittern mit den Darstellern. M. Greuling / A. Zawia Diagonale-Termine: 22. März, 18.30 Uhr, KIZ Royal 24. März, 21.00 Uhr, KIZ Royal
Fotos: Filmladen; Vienna Film Commission
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Tatevik Nadaryan
notwendige kriege
Ruth Beckermann auf Spurensuche in Amerika: „American Passages“ ist einer der bemerkenswertesen Dokumentarfilme des Jahres
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merican Passages" ist eine fragmentarische Landvermessung: Die Wiener Regisseurin Ruth Beckermann reist mit ihrer Dokumentarfilm-Kamera quer durch die USA und sammelt Bilder einer uns nur scheinbar aus TV und Filmen bekannten Nation. In elf Bundesstaaten spürt sie dem Alltäglichen der US-Amerikaner nach, vertieft dabei auch Themen wie die Finanzkrise, die Kriegs- oder Gesundheitspolitik der USA. Beckermann findet überzeugte Amerikaner, die hinter ihrer Nation und der Idee von der großen Freiheit stehen. Auch, wenn vieles Schein ist in diesem Land. Für ihre Reise recherchierte Beckermann an Autobahnen, Diners, Garagen, im Stau, am Stadtrand, in der Dunkelheit der Nacht, im schillernden Las Vegas - viele identitätslose Plätze, die doch so eng mit dem Bild Amerikas verknüpft sind. Es ist das Wesen dieser wunderbaren filmischen Collage, dass sie nicht versucht, hinter Fassaden zu blicken, und gerade deshalb diesen Blick darauf eröffnet. celluloid: Frau Beckermann, Sie zeigen in „American Passages“ Variationen uns bekannter US-Bilder. Man meint, dieses Land zu kennen, aber das ist wohl ein Trugschluss. Ruth Beckermann: Ich wollte keinesfalls Postkartenbilder von Amerika zeigen. Für mich war es eine Reise ins Herz Amerikas, weshalb ich East Coast und West Coast ausgelassen habe. Mit zwei Ausnahmen: Wichtig waren mir symbolisch New York, wo ich in der Wahlnacht drehte, als Obama gewann, und Las Vegas, da das durchgehende Thema des Films auch die Finanzkrise ist. Las Vegas steht mit seinen Casinos symbolisch für das, was diese westliche Welt geworden ist. Die Wall Street kann man im Dokumentarfilm hingegen eigentlich nicht zeigen.
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Man kann zwar die Menschen zeigen, die in die Banken hineingehen, oder in der Börse filmen. Aber was wirklich passiert, ist meistens Off Records. Das Casino hingegen ist ein symbolisches Bild für das Zocken mit Geld. Viele Ihrer Interviewpartner äußern sich kritisch über die Politik. Das landläufige Klischee vom dummen Amerikaner hebeln Sie damit vollständig aus. Man hat ein Bild von den dummen Amerikanern, die sich für nichts interessieren. Ich denke, der Schnitt an Dummheit und Intelligenz ist in jedem Land ungefähr gleich. Für mich war es erstaunlich, wie sehr sich die Leute für Politik interessieren und ihre Meinung artikulieren. Die Selbstorganisation der Bürger ist in den USA stark ausgeprägt, vor allem im Westen, wo man sich stark gegen die Regierung in Washington stellt, weil man der Meinung ist, es selbst besser machen zu können. Auffallend ist, wie flammend und stolz über die eigene Nation berichtet wird - trotz vieler Probleme. Es ist die große Kraft Amerikas, stolz auf Amerika zu sein. Aber auf eine Weise stolz, die über den Nationalismus hinausgeht, einfach durch die geografische Dimension und die Vielfalt dieses Landes. Man kann stolz von sich sagen: Ich bin Amerikaner, aber man muss nicht definieren, was das ist. Sie sprechen vom Ende des amerikanischen Jahrhunderts. Was heißt das? Das 20. Jahrhundert kann man wirklich das amerikanische Jahrhundert nennen. Die Amerikaner haben uns von den Nazis befreit, sie haben die Briten abgelöst, was den Kolonialismus betrifft. Unsere ganze Kultur ist von Amerika beeinflusst, die Musik, die Kunst, das Fernsehen sowieso. Macht bleibt eine Zeit lang an einem Ort, bis andere kommen und ein Stückchen davon haben
ruth beckermann über „american passages“
wollen. Europa wird die Weltmacht USA aber wohl nicht ablösen. Aber China. Solange in Asien nicht die Freiheit des Individuums gegeben ist, wird die Kreativität in den USA bleiben. Die Chinesen haben bereits einige Hollywood-Studios gekauft. Aber es ist ein Unterschied, ob man etwas erfindet oder es nur einkauft. Solange es in China ein solches politisches System gibt und keine wirklich freien Unis, wird es keine Konkurrenz sein. Ein Mark Zuckerberg hätte sich mit seiner Idee nicht durchsetzen können in einem System, das nicht so frei ist wie das amerikanische. Sie zeigen auch Kriegsveteranen, oft junge Männer, die traumatisiert aus dem Irak zurückgekehrt sind. Wieso übt das Militär in den USA trotzdem eine solche Faszination auf viele junge Menschen aus? Gerade in der Krise ist die Armee ein sicherer Arbeitgeber. Hinzukommt: Es gibt ein unglaubliches Brainwashing - die Menschen haben geglaubt, was Bush ihnen erzählt hat. Sie haben geglaubt, dass sie im Irak oder in Afghanistan den 11. September rächen. So, wie bei uns die Männer in der Wehrmacht geglaubt haben, in Stalingrad ihre Heimat zu verteidigen. Karl Kraus hat ja gesagt: In dem Moment, wo der Krieg beginnt, hört das Denken auf. Und genau so ist es. Dennoch hat man den Eindruck, die Amerikaner finden Krieg per se nicht schlimm, ja gar notwendig. Es gab den bösen Vietnam-Krieg, ja. Aber es gab auch den guten Krieg. Gegen die Nazis zum Beispiel. Bush hat es sehr gut verstanden, Saddam Hussein zu dämonisieren. Die Dämonisierung des Gegners ruft die Erinnerung an die Nazis hervor und lässt all die jungen Leute, die sich freiwillig melden, glauben, dass man für eine gerechte Sache in den Krieg zieht. Sie sind Opfer einer demokratiefeindlichen Propaganda. Passt das zum Freiheitsgedanken der USA? Ich bin keine Pazifistin, ich denke schon, dass es Kriege gibt, die man führen muss. Ich denke aber, dass das nicht der Fall war bei den jüngsten Kriegen. Welche Kriege waren aus Ihrer Sicht gerechtfertigt? Es war notwendig, dass man in den Zweiten Weltkrieg eingegriffen hat, um zu verhindern, dass die Deutschen und Österreicher weiter durch Europa marschieren. Davon bin ich überzeugt. Paul Heger Diagonale-Termine: 21. März, 14.00 Uhr, Schubertkino 1
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weitere highlights DONAUSPITAL Im Vorjahr eröffnete Nikolaus Geyrhalters Film „Abendland“ die Diagonale, dieses Jahr ist er erneut mit einem Dokumentarfilm in Graz vertreten. In „Donauspital“ dringt Geyrhalter in den Kosmos eines Großspitals ein und zeigt Arbeitsabläufe hinter Türen, die normalerweise verschlossen bleiben; die vermittelten Szenen entsprechen allerdings nicht dem, was man sonst so in TV-Serien zu sehen bekommt. Statt individueller Krankengeschichten interessiert Nikolaus Geyrhalter das System Krankenhaus in seiner Gesamtheit, die Komplexität der Logistik und die Normalität in einem hochtechnologisierten Betrieb. Unter der Auflage, den Krankenhausbetrieb in keiner Weise zu stören, mit einem kleinen Team zu arbeiten und alle personenbezogenen Daten der Patienten zu anonymisieren, konnte Nikolaus Geyrhalter hinter die Kulissen des modernen Spitalalltags blicken. Diagonale-Termine: 22. März, 18.00 Uhr, Schubertkino 1 24. März, 13.30 Uhr, KIZ Royal
NERVENBRUCH ZUSAMMEN GEHABT Ein Übergangswohnheim für obdachlose Frauen in Wien. Hierher kommen Frauen auf der Suche nach Schutz. Manche wurden delogiert, andere von zuhause weggeschickt. Wieder andere sind krank oder haben psychische Probleme. Eine Zeit lang können sie hier bleiben, um jene Sicherheit zu finden, die es ihnen ermöglichen soll, zu sich zu finden – und den Mut, wieder nach draußen zu gehen. Im Jahr 2000 hat Arash T. Riahi hier gedreht. Zehn Jahre später kehrt er zurück, auf der Suche nach den Protagonistinnen von damals. Einige kehren mit ihm in das Heim zurück, diesmal als Besucherinnen. Ein wenig Nostalgie wird sichtbar, obgleich jede der Frauen erleichtert zu sein scheint, dass die Zeit im Heim zu Ende ist. Parallel dazu filmt der Regisseur die aktuellen Bewohnerinnen. Den Film beschreibt Riahi als „Langzeitdokumentarfilm als Hommage an all die Frauen, die das Leben bisher nicht zu huldigen wusste.“ Diagonale-Termine: 21. März, 15.30 Uhr, UCI Annenhof Saal 6 23. März, 21.00 Uhr, Schubertkino 2
Fotos: Diagonale
QVID TVM Was ist es, was den Blick einzufangen vermag? „QVID TVM“, Mara Mattuschkas experimenteller Spielfilm, lockt sein Publikum in eine Welt geflügelter Augen und unsichtbarer Tentakel, in der Blicke sich auf halbem Weg befühlen und begreifen können. Wohin sind wir hier geraten? An einen entrückten Ort der Begierde, der Erotik, des theatralen Treibens. Ein Haus, ein Hotel – die Vermieterin und ihre erwachsene Tochter, die sie noch immer zärtlich Guckilein nennt, und weitere umtriebige Gestalten wohnen hier. Ein expressives, in sich geschlossen wirkendes Universum bunter Sinnlichkeit. Projektionen treffen aufeinander. Zwischenmenschliches und Fleischeslust. Mara Mattuschka und Reinhard Jud verführten dazu, die Bilder in ihrer spielerischen Eigenwilligkeit zu sehen und in ihren vielseitigen Deutungen zu begehren. Ein amüsanter, experimenteller Bilderreigen. Diagonale-Termine: 21. März, 23.00 Uhr, Schubertkino 1 23. März, 18.30 Uhr, Schubertkino 2
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celluloid diagonale 2012 special Peter kern „Peter Kern ist ein Unikat in der österreichischen Kulturlandschaft, ein umstrittener Filmregisseur und streitbarer Schauspieler. Einer, der sich nicht in die klassische Form einer Doku pressen lässt. Er zweifelt, kritisiert und rebelliert vor laufender Kamera und die FilmemacherInnen finden das gut.“ So formulieren es Veronika Franz und Severin Fiala, die mit „Kern“ bei der Diagonale einen Dokumentarfilm über den Regisseur präsentieren. Wer Kerns Filme kennt, weiß, dass dieser Mann vor allem und am liebsten sich selbst inszeniert, entweder als besserwisserischer Um- und Aufrührer, als verschmitzter Zyniker oder als Choleriker im Selbstmitleid. Sicher ist: Kern polarisiert, auch mit seinem neuen Film „Glaube, Liebe, Tod“ über eine Mutter-Sohn-Beziehung, die auf engstem Raum, an Bord eines Hausboots, geschildert wird. Der Film hatte in der Panorama-Sektion der Berlinale seine Weltpremiere; in Berlin hat Kern eine kleine, eingeschworene Fangemeinde, in Graz zollt man ihm auch Tribut, indem man hier beinahe jeden seiner Filme und Filmversuche zeigt. In der Doku „Kern“ wird der Selbstdarsteller selbst zum Thema, ein gefundenes Fressen für den schwergewichtigen Mann, der permanent versucht, die kritische Distanz der Regisseure zu unterlaufen und sich den Film selbst zu eigen zu machen. Franz: „Immer changiert die Stimmung zwischen cholerischen Anfällen, Dozieren und Freude über die eigene Art. Zwischendurch zeigt Kern Ausschnitte aus seinen eigenen Filmen – und das Filmteam zeigt ihn beim Betrachten derselben. Peter Kern amüsiert sich. Und es wäre nicht Peter Kern, wenn er nicht zuweilen das Wort direkt ans Publikum richten würde, einer Publikumsbeschimpfung gleich.“
„Kern“
„Carmen Jones“ (1954, R: Otto Preminger) „Glaube, Liebe Tod“
Fotos: Diagonale; Sixpack; Synema
SPECIALS & TRIBUTES
Diagonale-Termine „Kern“: 22. März, 18.00 Uhr, UCI Annenhof Saal 6 23. März, 23.00 Uhr, UCI Annenhof Saal 6
„Thomas Bernhard - Drei Tage“ (1970)
„August“ (2002)
Fanpostkarte von Charles Korvin
PERSONALE FERRY RADAX Einen der Höhepunkte des diesjährigen Festivals markiert die dem Filmemacher Ferry Radax gewidmete Personale. Ferry Radax ist eine der Kultfiguren der österreichischen Filmszene – er ist Autor, Regisseur, Kameramann und Cutter in Personalunion. Nachdem sein außergewöhnliches Werk (rund 130 Filme in über 60 Jahren) in den letzten Jahren in der öffentlichen Wahrnehmung nur wenig präsent war, möchte die diesjährige Personale es mit einer Auswahl seiner Filme wieder einem breiteren Publikum zugänglich machen. Gezeigt werden unter anderem der gemeinsam mit Peter Kubelka 1955 entstandene preisgekrönte Experimentalfilm „Mosaik im Vertrauen“ sowie Radax‘ wichtigstes filmisches Werk „Sonne halt!“(1959-1962), mit dem seine enge Zusammenarbeit mit dem Dichter Konrad Beyer begann. Auch zu sehen: Radax Interviewfilm „Thomas Bernhard - Drei Tage“ (1970). Radax, der heuer seinen 80. Geburtstag feiert, wird anlässlich der Diagonale in Graz zu Gast sein.
Zu Gast: Avi Mograbi Als „Experimentator und Erneuerer der Filmsprache“, als „mutiger und engagierter Zeitzeuge der Konflikte im Mittleren Osten“ ehrte die Berliner Akademie der Künste Avi Mograbi und sein Werk 2009 anlässlich der Verleihung des Konrad-Wolf-Preises. Die Jury hat in ihrer Begründung damit einen Weg gefunden, der Person Mograbi gerecht zu werden – dem Filmemacher einerseits, dem gesellschaftskritischen Beobachter und Analytiker andererseits. Von seinem ersten Kurzfilm „Deportation“ (1989) bis zur jüngsten Arbeit „Z32“ (2008) ist Mograbi sich selbst und seiner Arbeitsweise treu geblieben, inhaltlich und formal. Seine Beobachtungen und Kommentare zum israelisch-palästinensischen Konflikt erwehren sich strikter Kategorisierungen und werden in seiner Heimat sehr kritisch diskutiert. Sie changieren im Spannungsfeld zwischen Beichte, Zeugnis und Dokument, zwischen fiktionaler Erzählung, Inszenierung und Autobiografie.
HISTORISCHES SPEZIALPROGRAMM CHARLES KORVIN Die Fortsetzung der Reihe „FilmExil“ gewährt Einblicke in das Filmschaffen des US-amerikanischen Kameramanns, Regisseurs und Schauspielers Charles Korvin (1907-1998). Unter dem Namen Geza Karpathi führte er 1937 an der Seite von Regisseur Herbert Kline die Kamera bei „Heart of Spain“, einem Meilenstein des antifaschistischen dokumentarischen Kinos. Einer breiteren Öffentlichkeit ist Charles Korvin jedoch vor allem durch seine zahlreichen Nebenrollen in Filmen wie „This Love of Ours“ (1945), „Berlin Express“ (1948) oder „Ship of Fools“ (1965) in Erinnerung geblieben, wobei ihm sein „gutes Aussehen und sein kontinentaler Charme“ zugute kamen, wie die New York Times in seinem Nachruf anmerkte. Auf der Diagonale gibt es die Möglichkeit, die beinahe vergessene Künstlerpersönlichkeit Charles Korvin in Ausschnitten neu zu entdecken.
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