celluloid Sonderausgabe zur Viennale 2013 Ausgabe 7a/2013 - Oktober 2013
gegründet 2000
filmmagazin
ARTIG. NICHT BRAV.
Beilage
zur
Ursula strauss
in götz spielmanns
oktober november
mit programm
viennale2013 www.celluloid-filmmagazin.com
Polyfilm
Interviews und filmtipps zu wiens grösstem filmfestival
celluloid Viennale viennale Infos & Tickets: 2013 special www.viennale.at Editorial
Matthias Greuling
Herausgeber & Chefredakteur
Liebe Leser, der Filmjahrgang 2013 bringt aus dem Weltkino eine Vielzahl wunderbarer Arbeiten, von denen einige bei der diesjährigen Viennale zu sehen sein werden. Wir stellen Ihnen in unserem Viennale-Sonderheft wieder etliche der interessantesten Filme vor. In diesem Jahr sind wir besonders stolz, dass celluloid erstmals als Hauptmedienpartner der Viennale geführt wird. Wir danken dem Festival für sein Vertrauen und freuen uns auf viele spannende Kino-Tage und -Nächte in den Wiener Lichtspielhäusern!
vorwort
VORWORT
Matthias Greuling Chefredakteur & Herausgeber
celluloid
www.celluloid-filmmagazin.com
Termin:
24.10. bis 6.11., Wien Festivalkinos: Urania
Uraniastrasse 1, 1010 Wien Gartenbau
Parkring 12, 1010 Wien Metro
Johannesgasse 4, 1010 Wien KINO AM SCHWARZENBERGPLATZ
Schwarzenbergplatz 7, 1030 Wien
STADTKINO IM Künstlerhaus
Akademiestraße 13, 1010 Wien
Retrospektive: Filmmuseum
Augustinerstrasse 1, 1010 Wien
Tickets: Info & Bestellung: A1 Freeline 0800 664 013 (ab 19.10.) Tickets für die Filme der Viennale sind ab 19. Oktober, 10 Uhr, sowohl an den Viennale-Vorverkaufsstellen Museumsquartier, Schottentor, Gartenbaukino als auch online unter www.viennale.at erhältlich.
VIENNALE ZENTRALE
Die Viennale-Zentrale ist das lebendige Festivalzentrum der Filmschau und wird 2013 wieder im vorübergehend leer stehenden Gebäude der ehemaligen Unternehmenszentrale der Österreichischen Post in der Postgasse im 1. Bezirk untergebracht sein. Motto: „Jetzt geht hier die Post ab.“
celluloid FILMMAGAZIN Beilage zur Wiener Zeitung, Oktober 2013. Nummer 7a/2013 Oktober 2013 Sonderausgabe zur Viennale 2013. Herausgeber, Eigentümer und Verleger: Werbeagentur Matthias Greuling für den Verein zur Förderung des österreichischen und des europäischen Films. Chefredakteur: Matthias Greuling. Layout / Repro: Werbeagentur Matthias Greuling. Printed in Austria. Die Beiträge geben in jedem Fall die Meinung der AutorInnen und nicht unbedingt jene der Redaktion wieder. Anschrift: celluloid Filmmagazin, Anningerstrasse 2/1, A-2340 Mödling, Tel: +43/664/462 54 44, Fax: +43/2236/23 240, e-mail: celluloid@gmx.at, Internet: http://www.celluloid-filmmagazin.com Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion und Quellenangabe. © 2013 by Verein zur Förderung des österreichischen und des europäischen Films.
Diese Publikation wird unterstützt von
Foto: Viennale Tuma
viennale 2013
Hans hurch, direktor der viennale
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ilmfestivals wie die Viennale sind längst nicht mehr einfach Teil einer Eventkultur oder einer kulturellen, medialen Inszenierung. Filmfestivals sind Orte, an denen im Idealfall ein neues Kino verhandelt wird, Orte der Information und des Austausches, der Probe aufs Exempel, der Vorstellung wichtiger Filmemacher und nicht zuletzt der möglichen Durchsetzung einzelner, relevanter Arbeiten. Sie sind oft der einzige Zusammenhang, in dem Arbeiten sichtbar werden, die den Weg in einen kommerziellen Vertrieb nicht finden. Für manche Filme, so hat ein Regisseur ein wenig pathetisch gemeint, stellen Festivals so etwas wie ein Asyl dar, weil sie im Sperrbezirk des Marktes keine Aufnahme erwarten dürfen. Man hat in diesem Zusammenhang auch den Begriff Festivalfilm geprägt und meint damit manchmal ein wenig abschätzig jene Filme, die mit Kalkül und Berechnung auf eine Festivalpräsenz abzielen. Das mag für den einen oder anderen Film gelten. Zugleich aber gibt es die anderen wesentlichen Werke, die auf Grund ihrer Eigenwilligkeit und Eigenständigkeit, ihrer Besonderheit und Radikalität nur im Rahmen von Festivals Platz, Aufnahme und Aufmerksamkeit finden. Um nur ein einziges von zahlreichen Beispielen aus dem diesjährigen Viennale-Programm zu nennen, sei die neue Arbeit des philippinischen Regisseurs Lav Diaz NORTE, HANGGANAN NG KASAYSAYAN erwähnt. Die radikale, zwischen Dokument und Fiktivem changierende Geschichte einer Gesellschaft, die zwischen den alten Werten einer solidarischen Gemeinschaft und dem Zynismus einer modernen Geldgesellschaft zerrieben wird. Ein Film, der auch für andere stehen mag. Ein Film jenseits von Kalkül und Übereinkunft. Ein filmisches Ereignis. Und vielleicht ist in diesem Sinne ein Filmfestival manchmal auch notwendigerweise Ereigniskultur. Ich danke an dieser Stelle einmal mehr der Filmzeitschrift „Celluloid“ und all ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für ihr schöne und große Arbeit und Mühe. Und dafür, daß manchmal sie unsere und wir ihre Komplizen sind. Hans Hurch
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Fotos: Filmladen
Peter Simonischek, Sebastian Koch, Nora von Waldstätten und Ursula Strauss (v.l.) spielen die Hauptrollen in „Oktober November“
vom spüren
und gespürt werden götz spielmanns neues drama „oktober november“.
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leich zu Beginn von „Oktober November“ gibt es einen Augenblick, der die Türen zu diesem feinsinnigen Familiendrama aufstößt: Die junge Schauspielerin Sonja Berger (Nora von Waldstätten) sitzt mit einem Kollegen in einem noblen Berliner Restaurant; beide besprechen bevorstehende gemeinsame Dreharbeiten, und irgendwann, als das Gespräch intimer wird, springt Regisseur Götz Spielmann über die Achse und setzt kurz die Logik filmszenischer Auflösung außer Kraft. Was man bei Filmstudenten als gravierenden Fehler werten würde, benutzt Spielmann geschickt, um den Bruch in der Persönlichkeit Sonjas (und im weiteren Verlauf den Bruch in ihrer gesamten Familie) zu symbolisieren. Dieser kleine Schnitt ist der Zugang zu dieser emotional aufgeladenen Geschichte: Sie erzählt von einem alten Vater (Peter Simonischek), der mürrisch geworden ist, in seinem Dorfgasthof im tiefsten Niederösterreich. Davon, wie seine Tochter Sonja es nach draußen, in die große weite (Schein-)Welt trieb, nach Berlin, wo sie als Schauspielerin in mittelmäßigen TV-Filmen mitwirkt, die ihr ihre gesamte Energie rauben. Sonja hat es „zu etwas gebracht“, aber sie selbst spürt, dass das eine Lüge ist. Ihre Schwester Verena (Ursula Strauss) hat einen anderen, den gegenteiligen Lebensweg ein-
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geschlagen; sie ist zuhause beim Vater geblieben, hat ihm im Wirtshaus assistiert und wird mit der Enge, die ihr die beschränkte Entfaltungsmöglichkeit am Land vorschreibt, nicht fertig. Zwei Gegenpole, zwei Lebensentwürfe, die in „Oktober November“ aufeinander treffen, als Sonja in das kleine Dorf, ihre Heimat, zurückkehrt. Der Vater hat einen Herzanfall, sein Arzt (Sebastian Koch) verordnet ihm Bettruhe. Die Familie steht plötzlich seltsam geeint vor dem späteren Totenbett des Patriarchen. Die Tage und Wochen des Wartens, bevor er aus dem Leben scheidet, entspinnen sich zu einerseits nervenaufreibenden Aufarbeitungen der familiären Vergangenheit, andererseits zu einer in den Protagonisten wachsenden Selbstreflexion über eigene Versäumnisse und schmerzhafte Eingeständnisse des eigenen Scheiterns. SIMPEL & KOMPLEX Mit großer Sorgfalt hält Götz Spielmann seine Erzählung möglichst simpel. Doch bald entwickelt sich die wachsende Agonie aller Beteiligten zu einer äußerst komplexen und vielschichtigen Auseinandersetzung mit familiären Banden und Zusammenhalt, mit Verdrängung und mit dem Tod. Die wunderbaren Bilder einer herbstlichen Landschaft, getaucht in sanfte Sonnenstrahlen, die Kameramann Martin
Gschlacht mit großer Präzision fotografierte, strahlen zugleich Hoffnung und Hoffnungslosigkeit aus, je nachdem, in welcher Verfassung dieser Film betrachtet wird; „Oktober November“ ist kein intellektuelles Kino, sondern eines, das die Sinne anspricht; Wenn das hervorragend agierende Ensemble in ihren Figuren zueinander findet, dann bleibt doch ein großer Rest aus beklemmender Leere in ihren Seelen. Diese Leere kann nur füllen, was man Heimat nennt: Kein Ort, sondern ein Seelenzustand, in dem es nur ums Spüren geht. Und um das Gespürt werden. Matthias Greuling
GÖTZ SPIELMANN
„Meine Filme sollen einen Wert haben“ Für „Revanche“ war er oscarnominiert: Götz Spielmann über seine neue Arbeit.
werfen. Beim Schreiben ist für mich sehr viel Bewusstsein nötig, um an den Punkt zu kommen, an dem man spürt, dass etwas richtig ist. Erst dann schreibe ich es auf, und zwar intuitiv. Das bedeutet für mich, dass ich beim Inszenieren sehr viele Entdeckungen mache, denn als Regisseur musst du sehr viel verstandesmäßiger und intellektueller arbeiten als als Autor. Als Regisseur entdecke ich meine Drehbücher gedanklich erst. „Oktober November“ ist auch eine Familiengeschichte. Was haben Sie für ein Konzept für den Begriff Familie in unserer heutigen Zeit? Familiengeschichten sind oft voll von Hass und Selbstzerstörung, die dramatische Literatur hat quasi damit begonnen. Familie kann auch ein Rückzugsort und ein Kraftfeld sein. Was mich interessiert, sind die Verbundenheiten untereinander, im Schönen wie im Problematischen, die in Familienstrukturen geballt und komplex aufeinander treffen. Das ist ein zentrales Thema in „Oktober November“.
celluloid: Ihr neuer Film „Oktober November“ hat eine komplexe Erzählstruktur, die zunächst simpel aussieht. Wie erdenken Sie so etwas? Götz Spielmann: Das ist ein Prozess, den man schwer beschreiben kann. Und zwar deshalb, weil ein Teil der Schreibarbeit, und zwar vielleicht der wichtigere Teil, Intuition und Instinkt ist. Beides kann man sprachlich nicht beschreiben, denn das ist ja eine eigene Welt und nicht einfach nur ein Wort. Andererseits ist es auch harte Arbeit mit Ausprobieren und Ver-
Auffallend ist, dass in den meisten Ihrer Filme die Orte, an denen sie spielen, eine immense Bedeutung haben. Wie finden Sie die Orte, die zu Ihren Geschichten passen? Die Orte sind sehr wichtig, weil sie der Raum sind, in dem meine Figuren agieren. Mich interessiert an Menschen auch der Raum, der sie umgibt. Das ist eine andere Blickweise, denn das erzählt unglaublich viel über die Figuren. Bei mir geht die Locationsuche so vonstatten: Ich habe zunächst eine Geschichte, in der noch vieles abstrakt ist, wo ich mir auch noch keine präzisen Bilder vorstelle. Mit dieser Geschichte gehe ich dann hinaus in die Welt und schaue,
wie sie darauf reagiert. Als ich nach Annaberg kam, stellte ich fest, dass die Geschichte am besten hierher passte. Danach schrieb ich das Drehbuch. Auch das ist ein sehr komplexes Suchen, wo die Geschichte und der Ort einander immer wieder wechselweise beeinflussen. Was hat die Oscar-Nominierung für „Revanche“ für Sie verändert? Befriedigt das eine gewisse Form von Eitelkeit? Das ist keine Eitelkeit. Mich beschäftigen solche Dinge wie „Karriere machen“ ein bisschen weniger, als man von meinem Beruf im Allgemeinen vermuten müsste. Dennoch ist es eine Anerkennung für meine Arbeit gewesen, die ich sehr lange Zeit nicht hatte. Das ist eine große Freude und ein Mehrwert für meine Arbeit, dass man ihr Respekt entgegen gebracht hat. Der Erfolg auf dieser Ebene, zu spüren, dass das, was du machst, einen Wert für andere hat, das ist schon ein großer Lebensgewinn. Das ist mir wichtig, denn ich mache ja Filme nicht zu meiner eigenen Selbstverwirklichung. Das wäre unsinnig, da gäbe es weitaus bequemere Dinge, um sich selbst zu verwirklichen. Sondern ich mache Filme in der Hoffnung, dass sie für andere Menschen einen Wert haben. Nimmt das auch Druck weg, wenn man weiß, man wird gehört? Druck nimmt das nicht weg, denn der Anspruch an mich ist ja ein anderer als die Anerkennung. Die Suche ist genau dieselbe wie früher. Aber man arbeitet in einem schöneren Umraum. Man ist kein anderer, aber man wohnt besser. 31.10., 18.00, Gartenbau 3.11., 13.30, Urania celluloid 7a/2013
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die über leichen gehen kelly reichardt legt mit „night moves“ einen unheilvollen umwelt-suspense-thriller vor.
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ight Moves“ heißt ein Boot, in diesem Film von Kelly Reichardt. Es wird vollgestopft mit einer hochexplosiven Mischung aus Ammoniumnitrat-Dünger und Treibstoff, hernach an der Wand eines Staudamms platziert und in die Luft gejagt. Der Damm bricht, es ist Nacht, niemand soll zu Schaden kommen. Und doch ist es am nächsten Tag Gewissheit: Ein Camper wird vermisst, bald darauf seine Leiche geborgen. Die Schiffsbombe, sie ist das Werk dreier Umweltaktivisten, die nicht mehr länger zusehen wollen, wie die Amerikaner mit ihren Ressourcen umgehen: Der hydroelektrische Damm, den sie zerstören, erzeugt den Strom, der in Millionen All-American Homes tagtäglich für die permanent laufenden Riesen-Flatscreens verschwendet wird und für die Springbrunnen in den hübsch und kitschig zurecht gemachten Gärten. Sehr früh in diesem asketisch und doch facettenreich gestalteten Film wird klar, dass die Aktivisten Josh (Jesse Eisenberg), Dena (Dakota Fanning) und Harmon (Peter Sarsgaard) nicht mit der Schuld leben werden können, die sie sich mit ihrer Aktion aufgeladen haben: Dena ist die Schwachstelle im Trio, mit ihr bricht schließlich der emotionale Damm aus Verlogenheit und Tatsachen-Negierung, mit fatalen Folgen für sie. Kelly Reichardt, die besonders in ihrem letzten Film „Meeks Cutoff“ mit ihrer sparsamen, aber dafür umso effektiveren Inszenierungsweise gefiel, hat in „Night Moves“ ihren Stil perfektioniert. Erneut ging sie für ihre Geschichte von einer Landschaft und ihrer Eigentümlichkeit aus, diesmal aber ist es nicht die Prärie, sondern ein rurales Gebiet, irgendwo im US-Bundesstaat Oregon. Da, wo die Farmer Broccoli und Kürbisse anbauen und von der Welt nicht viel wissen: Für einen Blick
Jesse Eisenberg als ÖkoTerrorist in „Night Moves“
ins Internet müssen sie in die Stadt fahren, zur öffentlichen Bibliothek, wo ein Computer steht. Das Setting ist urtümlich, aber doch bedrückend: Die Naturverbundenheit auch dieser Menschen endet beim Dünger, den sie von den großen Nahrungsmittelkonzernen per Vertrag aufgedrückt bekommen, um die Perspektive einer konventionellen Landwirtschaft mit stetig wachsendem Ertrag zu erfüllen. SUSPENSE DER ALTEN SCHULE Das ist zwar niemals Thema in „Night Moves“, jedoch schleicht sich diese Zustandsbeschreibung unserer absurd gewordenen Komfortwelt zwischen Naturausbeutung und Ertragssteigerung in jede Einstellung ein. Reichardt benutzt für das Thema die Charakteristika eines Suspense-Thrillers der alten Schule: Leicht pulsierende Sounds begleiten die Aktivisten vor und nach der Tat; das Unheilvolle liegt in der Luft. Niemals kommen
sie zur Ruhe, in dieser von absoluter Ruhe geprägten ländlichen Gegend. Zu schwer wiegt bei Dena das Gewissen, etwas Unrechtes mit Unrecht bekämpft zu haben, und zu kaltschnäuzig ist Joshs Reaktion darauf. Er will für eine große Sache kämpfen, und da gibt es eben Kollateralschäden. Beachtlich ist, wie mühelos Reichardt auf der Klaviatur des Spannungskinos spielt, ohne je bemüht zu wirken, und zugleich dem ausgetretenen Pfad einer klassischen ThrillerInszenierung ausweicht. Es geht um große, hehre Ziele, um politisch motivierten Aktionismus, der von illegalen Taten befeuert wird; es geht um die Konsequenzen einer tödlichen Tat und um die Kälte, mit der sie ausgeführt wird. Prinzipientreue ist in „Night Moves“ nicht nur Motor und unbedingte positivistische Lebenseinstellung; sie ist auch ein Zustand, der ins Verderben führt. Matthias Greuling 30.10., 21.00, Gartenbau 2.11., 10.30, Gartenbau
Woody Allens neuester Streich bekam nicht nur Top-Kritiken, sondern wurde in den USA auch zum Publikumsliebling. „Blue Jasmine“ ist die Geschichte eines Abstiegs: Jasmine (Cate Blanchett) ist gezwungen, ihr gediegenes Upper-Class-Leben in Manhattan aufzugeben, nachdem man ihren Mann Hal (Alec Baldwin) wegen Betrugs verhaftet hat und sein Vermögen eingefroren wurde. Jasmine zieht darauf hin in die kleine Mietwohnung ihrer Schwester Ginger (Sally Hawkins) nach San Francisco und nimmt in der Not eine Stelle als Helferin in einer Zahnarztpraxis an. Dort lernt sie den Diplomaten Dwight (Peter Sarsgaard) kennen, der bald eine Polit-Karriere beginnen wird und eine Frau für Repräsentationszwecke brauchen könnte… Cate Blanchett als verarmte Society-Lady ist umwerfend! 2.11., 21.00 & 3.11., 11.00, jeweils Gartenbau
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Fotos: Viennale
„blue jasmine“ von woody allen
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nicht alles dreht sich ums david gordon green macht seine filme gerne mit sehr geringen geldmitteln.
budget On the Road mit Paul Rudd (r.) und Emile Hirsch
celluloid: Welches Männerbild wollten Sie in „Prince Avalanche“ entwerfen? DAVID GORDON GREEN: Die Figuren spiegeln zwei Seiten von mir wider, mit de-
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nen ich jeden Tag hadere. Als ich das Drehbuch schrieb, sollte es dieses Hadern mit allerlei Aspekten des Mann-Seins zeigen. Die Idee dazu hatte ich im Februar 2012, im Juni waren wir bereits mit dem Film fertig. Gedreht haben wir nur 16 Tage. Wieso diese Eile? Ich habe „Prince Avalanche“ im Eiltempo gedreht, weil das meinem Naturell sehr nahe kommt. Ich komme dann nicht in Versuchung, entscheidungsschwach zu werden, sondern habe gar keine Zeit zu Trödeln. Ich muss rasche Entscheidungen erzwingen, das hilft mir bei der Arbeit. Welche Vorteile bringt ein kleines Budget mit sich? Wir hatten die Freiheit eines sehr kleinen Budgets, sodass niemand auf die Idee kam, David Gordon Green
Video-Mitschnitt des Interviews: http://tinyurl.com/davidgordongreen
Fotos: Tuma; Viennale
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avid Gordon Green, 38, gehört zu Amerikas interessantesten jungen Filmemachern, der gekonnt zwischen den Genres wechselt und auch nicht vor LowBudget-Filmen zurückschreckt. Er hat große Studio-Produktionen wie „Pineapple Express“ (2008) oder „Your Highness“ (2011) gedreht, aber auch Filme wie „George Washington“ (2000) oder „Prince Avalanche“ (2013) mit fast gar keinem Budget. Die Viennale zeigt nun Greens neueste Filme: Einerseits „Prince Avalanche“, für den Green 2013 bei der Berlinale mit dem Regie-Bären ausgezeichnet wurde, andererseits „Joe“, ein raues Drama mit Nicolas Cage als Ex-Knastbruder, der im September in Venedig Premiere hatte. „Prince Avalanche“ ist der bemerkenswertere Film der beiden: Alvin (Paul Rudd) und Lance (Emile Hirsch) sind zwei typische Männer. Nur, dass sie in „Prince Avalanche“ über das Männersein ablästern, was das Zeug hält. Gemeinsam sind sie unterwegs, um Fahrbahnmarkierungen zu erneuern - was ihnen jede Menge Zeit für allerlei Blödheiten bietet. Ein Roadmovie voller skurrilem Humor und liebevoll drapierten poetischen Momenten. Wir trafen David Gordon Green zum Gespräch über diesen Film und über seine Vorliebe, mit wenig Budget zu arbeiten.
uns dabei über die Schultern zu schauen. Am Beginn stand wirklich nur die Idee, dass ich zusammen mit Paul und Emile einen Film mache. Das Budget war so gering, dass es in die Kategorie „Tu damit, was du willst“ gehörte. Was für ein Spaß! Bei einem großen Budget musst du hingegen immer endlose Debatten mit den Geldgebern führen. Ändert sich Ihr Zugang zu einem Stoff mit der Höhe des Budgets? Ich gehe an meine Filmprojekte immer auf die gleiche Weise heran, egal, ob es sich um eine sauteure Komödie handelt oder um ein Drama mit einem Mikro-Budget. Selbst bei einem Film wie „Pineapple Express“, der rund 30 Millionen Dollar gekostet hat, versuchte ich, daraus einen Film zu machen, der aussieht, als habe er 50 Millionen gekostet. Der Film zeigt Verfolgungsjagden und Explosionen, entstand aber mit dem Budget einer Komödie. Wann immer man also versucht, mit einem Komödien-Budget einen Actionfilm zu drehen, ist Einfallsreichtum gefragt, damit das Ding dann wirklich so teuer aussieht, ohne dass es eine Lawine kostet. Ich verwende da dieselben Tricks, die ich auch bei einem Film wie „George Washington“, der 50.000 Dollar kostete, angewandt habe: Man muss gut organisiert sein und natürlich auch um einige Gefallen im Freundeskreis bitten. Nicht anders war das bei „Your Highness“. Der kostete 50 Millionen, sah aber aus, als hätten wir 100 Millionen ausgegeben. Ich will gar keine komfortable Situation, was das Budget angeht. Denn das würde mich nervös machen. Kleinere Budgets bedeuten also, dass Sie entspannter arbeiten? Das stimmt nicht ganz. Es ist nur ein anderes Stresslevel, wenn man wenig Budget hat. Der Druck bei einem Low-Budget-Film wie „Prince Avalanche“ ist: In dem Film gibt es zwei Typen. Wenn die Zuschauer diese zwei Typen nicht mögen, dann fällt der Film durch. Interview: Matthias Greuling
Prince Avalanche 29.10., 23.30, Stadtkino im Künstlerhaus 26.10., 11.00, Gartenbau 29.10., 6.30, Stadtkino im Künstlerhaus Joe 29.10., 20.30, Gartenbau 2.11., 13.00, Gartenbau
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13 Gemälde von Edward Hopper standen Pate für Deutschs Filmkulissen
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er Wiener Avantgarde-Regisseur Gustav Deutsch erzählt über seinen Film „Shirley – Visions of Reality“, der die Gemälde von Edward Hopper auf faszinierende Weise ins Kino bringt: Deutsch wählte 13 Gemälde von Edward Hopper zur Kulisse seines Films. Die Bilder wurden von Hanna Schimek als dreidimensionale Filmsets nachgebaut. Im celluloid-Interview erzählt er, wie er auf die Idee zu diesem Kunstprojekt kam. celluloid: Wie entstand die Idee zu Ihrem Film „Shirley – Visions of Reality“? Gustav Deutsch: Eher zufällig. Ich sah 2004 im Museum Ludwig in Köln die Retrospektive von Edward Hopper. Nie zu-
Gustav Deutsch
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vor hatte ich so viele Hopper-Gemälde nebeneinander gesehen - und ich dachte mir, das ist nicht nur ein malerisches Werk, das ist auch eine Geschichte. Diese Geschichte besteht aus mehreren Stills, aus Filmbildern, und um einen Film daraus zu machen, muss ich quasi nur die Leerstellen an der Wand füllen. Ich begann dann, zu recherchieren und über Hopper zu lesen. Zwei Tatsachen waren ausschlaggebend dafür, dass ich mich mit dem Projekt weiter befasste. Erstens: Edward Hopper war ein passionierter Kinogeher und ließ sich bei seiner Arbeit sehr vom Film beeinflussen. Der Film noir war etwas, das ihn bei der Umsetzung des Lichts und der Schatten sehr geprägt hat. Er war, glaube ich, einer der ersten Maler, die Kamera-Perspektiven eingenommen haben. Zweitens: Hopper war ein Maler, der wiederum Filmschaffende beeinflusst hat. Von Hitchcock bis zu Wim Wenders oder Scorsese. Wie entstand die Geschichte, die im Film erzählt wird und die im Grunde ein erweiterter Monolog der Hauptfigur Shirley ist? In fast allen Gemälden, die ich auswählte, steht eine Frau im Mittelpunkt. Also dachte ich mir, man könnte aus all diesen Frauen eine Figur machen und die Geschichte dieser Frau erzählen. Diese Idee wurde durch die Tatsache unterstützt, dass Hopper seine Ehefrau 40 Jahre lang als Modell einsetzte. Josephine Nivison Hopper wollte ursprünglich Schauspielerin werden und wurde dann selbst Malerin. Dass sie als Malerin nicht reüssiert hat, ist ein anderes, sehr trauriges Kapitel. Für den Film wollte ich eine Frau erfinden, die stark ist und einen eigenen Weg geht. Die Figur sollte eine Schauspie-
gustav deutsch „verfilmte“ für „shirley visions of reality“ gemälde von edward hopper. lerin sein, die in der Zeit, in welcher der Film spielt, nicht den Weg des Kompromisses geht und dem Ruf nach Hollywood folgt, sondern die ihren Prinzipien treu bleibt. Eine Frau, die mit Theatergruppen versucht, die gesellschaftliche Wirksamkeit von Theater auszuloten. „Shirley“ ist eine Art Stationen-Drama, und alle Episoden sind an einem 28. August des jeweiligen Jahres angesiedelt. Warum dieses Datum? Der 28. August 1963 war der Tag des Civil Rights March in den USA, als 250.000 Menschen nach Washington marschierten und Martin Luther King seine „I have a dream“Rede hielt. Der Tag war ein Wendepunkt in der amerikanischen Geschichte, was die Wahrnehmung und die Stimme der Schwarzen betraf. Dass ich meinen Film diesem Tag und diesem Ereignis widme, ist etwas, das ich Edward Hopper gerne entgegenhalten möchte. Denn Hopper war politisch ein streng konservativer Mensch, um nicht zu sagen, ein Rassist. In seinem Werk kommen keine Schwarzen vor. Wie ist denn Ihr Verhältnis zu Edward Hopper? Nun, je mehr ich mich mit ihm beschäftigte, um so mehr musste ich die Haltung einnehmen, dass man das Werk eines Künstlers vom Menschen trennen sollte. Sonst hätte ich diesen Film nicht weitermachen können. Interview: Gunther Baumann 5.11., 18.00, Gartenbau 6.11., 11:00, Stadtkino im Künstlerhaus Das komplette Interview lesen Sie in unserer Printausgabe celluloid 6/2013 (ab 30.10. im gut sortierten Zeitschriftenhandel erhältlich oder unter www.kiosk.at).
Fotos: KGP
die leerstellen füllen
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wir wollen
Jackie Stewart, Roman Polanski, 1971: „Damals hatte man 30 Prozent Überlebenschance“
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enn-Filme sind derzeit sehr in Mode, das zeigt der Erfolg des gerade in den Kinos laufenden Dramas „Rush“, das die Rivalität zwischen Niki Lauda und James Hunt während der WM 1976 verhandelt. Auch Regisseur Frank Simon spürt alten Rennfahrer-Legenden nach, allerdings in einer besonderen Konstellation. Seine Doku „Weekend of a Champion“ stellte er beim Filmfestival in Cannes im Mai dieses Jahres vor. In dem Film spielt Roman Polanski eine entscheidende Rolle: 1971 besuchte der Motorsportfan Polanski den damaligen Formel-1-Champion Jackie Stewart für ein Wochenende beim Grand Prix von Monte Carlo. Polanski war mit seiner Kamera damals backstage bei allen wichtigen Events dabei und warf so einen detaillierten Blick hinter die Kulissen des Formel-1-Zirkus der 70er Jahre. 40 Jahre später treffen sich Polanski
Fotos: Festival de Cannes/Tuma
blut! und Stewart erneut – vor der Kamera von Frank Simon. Sie reflektieren über die damalige Zeit und wohin sich die Faszination für Autorennen entwickelt hat. „Ich war damals mit Jackie befreundet und wollte einen Film über diese Freundschaft drehen“, sagt Polanski. „Jackie Stewart ist noch dazu ein begnadeter Techniker, der einem die kompliziertesten Dinge über die Formel 1 auf eine verständliche Weise näherbringen kann. Außerdem finde ich es faszinierend, wie er seine ganz persönlichen Fahrer-Geheimnisse verrät“. ON-BOARD-KAMERAS Als Polanskis Doku 1972 bei der Berlinale uraufgeführt wurde, waren On-Board-Kameras, wie sie heute in der Formel-1 Standard sind, noch unbekannt. Polanski aber experimentierte schon damals mit der Technik: „Das waren
roman polanski hat vor über 40 jahren formel-1legende jackie stewart mit der kamera begleitet. das material von damals gibt es jetzt in der doku „weekend of a champion“ erneut zu sehen. seinerzeit noch einzigartige Aufnahmen, die keiner hatte. Heute ist das ja nichts Besonderes mehr, aber damals hatten wir echt einen Knüller“. Jackie Stewart sah sich während seiner Karriere als Unterhalter für das Publikum. „Weekend of a Champion“ zeigt ihn daher auch als wagemutigen Mann, der davon überzeugt war, dass die Zuschauer von der Formel-1 vor allem Blut und Gewalt erwarteten. „Er war so eine Art Rockstar“, sagt Polanski. „Aber er war auch sehr diszipliniert und ein Champion der Sicherheit. Damals waren die Sicherheitsstandards bei den Rennen nicht so hoch wie heute. Ein Fahrer hatte statistisch gesehen in einer fünfjährigen Fahrerkarriere nur eine 30-prozentige Überlebenschance“. 28.10., 20.30, Gartenbau 29.10., 11.00, Stadtkino im Künstlerhaus
Rennfahrer-Legenden bei der Premiere in Cannes, darunter Jackie Stewart (5.v.l.), David Coulthard (2.v.l.), Alain Prost (4.v.l. und Gerhard Berger (2.v.r.)
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obsession für gerechtigkeit abdellatif kechiche gewann mit „la vie d‘adèle 1 + 2“ die goldene palme von cannes. ein gespräch.
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a vie d’Adèle“ folgt der 18-jährigen Adele (Adèle Exarchopoulos), für die es eigentlich klar ist, dass Mädchen mit Burschen ausgehen – bis sie die extrovertierte Emma (Léa Seydoux) kennen lernt, die ihr beibringt, die eigenen Bedürfnisse zu erforschen. „Es ist die Geschichte einer absoluten Liebe zwischen zwei Frauen“, sagt Kechiche. Wer frühere Arbeiten von Kechiche kennt, etwa „Couscous mit Fisch“ oder den wunderbaren „L’esquive“, der weiß, mit welcher Unmittelbarkeit sich der Filmemacher auf seine Themen stürzt. Er rückt seinen Protagonisten stets nah zu Leibe, um auch wirklich keine Regung in deren Gesichtern zu verpassen. Kechiche erzählt über diese kleinen Details ganz große Geschichten. Die drei Stunden von „La vie d’Adèle“ vergehen wie im Flug; es ist einer dieser Filme, bei denen man möchte, dass sie niemals aufhören.
ihren Job lebt, die zugleich aber in ihrem Privatleben mit Beziehungen und enttäuschten Lieben hadert. Ich hatte bei „L’esquive“ viele Lehrerinnen kennen gelernt, die den Beruf als eine Art Berufung sahen, das hat mich bewegt. Aber das Drehbuch zu diesem Projekt kam niemals wirklich vom Fleck. Erst, als ich die Graphic Novel von Julie Maroh entdeckte, sah ich die Chance, das Projekt doch noch zu verwirklichen: Es ist einerseits die Geschichte zweier Frauen, die sich unendlich lieben, und zugleich ist es die Geschichte einer jungen Frau, die Lehrerin werden will. Der Film fokussiert dennoch stark auf die Lovestory zwischen den Frauen. Wenn man eine solche Lovestory erzählt, muss man mit seinen beiden Schauspielerinnen auf das Intensivste zusammenarbeiten. Diese Art der intimen Arbeit fasziniert mich, und sie wird für meine Filme immer wichtiger. Ich fragte mich selbst, was an der Geschichte mich am meisten begeistert hat: Die nackten Körper? Ich weiß es nicht, gut möglich. Wieso haben Sie den Namen ihrer Rolle von Clémentine in Adèle geändert? Ich wollte, dass meine Schauspielerin auch im Film ihren echten Namen behält. Ich glau-
Tuma; Thimfilm
Monsieur Kechiche, „La vie d’Adèle“ basiert auf der Graphic Novel „Blue Angel“ von Julie Maroh. Wie kamen Sie auf die Idee, einen Film daraus zu machen? Abdellatif Kechiche: Der Film hat nur am Rande mit der Graphic Novel zu tun, denn er basiert auch auf einer alten Idee von mir, die ich seit meinem Film „L’esquive“ (2003) mit mir herumtrage: Ich hatte die Idee zu einem Film über eine französische Lehrerin mit großer Leidenschaft fürs Theater. Ich wollte eine Frau zeigen, die mit Passion für
Liebende: Adèle Exarchopoulos und Léa Seydoux in „La vie d‘Adèle“
Kechiche mit seinen Darstellerinnen und der Goldenen Palme
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be, das half ihr, in die Figur zu finden. Und natürlich gefiel mir auch sehr, dass Adèle auf Arabisch „Gerechtigkeit“ bedeutet. Gerechtigkeit ist ein wichtiger Aspekt aller ihrer Filme, vor allem in sozialer Hinsicht. Auch hier treffen zwei Mädchen aufeinander, die aus komplett unterschiedlichen sozialen Klassen kommen. Das ist in der Tat ein wichtiges Thema für mich, beinahe schon eine Obsession. Wo liegt der soziale Unterschied? Ich glaube, das ist ein Finger am Puls einer Welt, der ich mich zugehörig finde, und der auch Adèle angehört: Die Arbeiterklasse. Emma hingegen gehört zu einer Elite, sie ist intellektuell und künstlerisch veranlagt. Beide Figuren sind letztlich in ihrer Klasse gefangen. Die Schwierigkeiten, die beide mit ihrer Beziehung haben, kommen aus diesen sozialen Unterschieden. Und ihre Homosexualität? Ich habe nie gedacht, einen Film über zwei Lesben zu machen, sondern eher, einen Film über ein Paar. Ich erachtete es nicht als nötig, Spezifisches über Homosexualität zu sagen. Sie sind ein arabisch-stämmiger Franzose, und in vielen arabischen Ländern wird Homosexualität keineswegs als selbstverständlich betrachtet. Nach dem Dreh dachte ich: „Er wird der tunesischen Jugend richtig gut tun“. Eine Revolution ist niemals abgeschlossen, wenn es nicht auch eine sexuelle Revolution gibt. Die Sexszenen sind zentraler Bestandteil des Films. Worauf achteten Sie? Mir war wichtig, alles so zu filmen, dass ich es als schön empfand. Wir drehten die Sexszenen also so, als wären sie Gemälde oder Skulpturen. Wir verbrachten viel Zeit damit, das richtige Licht zu setzen, der Rest der Choreografie ergab sich ganz natürlich. Ich wollte ästhetisch bleiben, ohne die sexuelle Dimension zu verlieren. Wir hatten im Vorfeld viel über die Sexszenen gesprochen, aber das führte zu nichts. Manchmal ist es wichtiger, nicht alles zu intellektualisieren, sondern sich mehr auf seine Intuition zu verlassen. 3.11., 20.30, Gartenbau 4.11., 11:00, Gartenbau
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celluloid viennale 2013 special
viel sex, aber nicht sexy
Fotos: Filmladen
françois ozon spürt den trieben einer 17-jährigen nach, die sich für geld prostituiert. der regisseur im gespräch.
Das französische Model Marine Vacth spielt in „Jeune & Jolie“ die Hauptrolle
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er Film beginnt mit einem Blick durchs Fernglas: Es zeigt ein Mädchen, 16 Jahre alt, das am Strand liegt und sich in der Sonne räkelt. Dann nimmt es sein Bikini-Top ab. Der Spechtler ist der ein paar Jahre jüngere Bruder des Mädchens, beide machen mit den Eltern Sommerurlaub im Süden Frankreichs. Isabelle feiert dort auch ihren 17. Geburtstag und ihre Entjungferung (durch einen deutschen Burschen). Ihrem Bruder gegenüber kommentiert sie diese für sie wenig lustvolle Erfahrung nur knapp: „Erledigt“. François Ozon hat in seinem neuen Film „Jeune & Jolie“ den Titel zum Programm gemacht: Das vorerst laue Sommermärchen ist durchsetzt von sexuellen Anspielungen und Phantasien seiner Protagonisten. Dabei steht zunächst noch die eigene Lust im Vordergrund, bald aber wird für Isabelle aus dem Sexualtrieb die wohlkalkulierte Lizenz zum Gelddrucken. Denn Ozon zeigt seine noch nicht volljährige Hauptfigur nach dem Sommerurlaub in ihrer sonstigen Lebensumgebung (ein bürgerliches Umfeld in Paris), aus der sie regelmäßig ausbricht: Als selbstständig organisierte Prostituierte verdient sie gerade bei ihren älteren Kunden Unmengen an Geld. Erstaunlich, wie dieses Mädchen, das sich im Job Léa nennt,
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den Sex zur strategischen Machtausübung nutzt, obwohl ihr erstes Mal erst so kurz zurück liegt. Als sie auffliegt, versteht ihre Mutter die Welt nicht mehr. Was ist in der Erziehung bloß schief gelaufen? Aber das ist ein falscher Denkansatz, wenn man Léa verstehen will: Als Léa blendet Isabelle aus, was man ihr in ihrer wohlbehüteten Kindheit beigebracht hat. KEIN SCHAUWERT Ozon hat mit Marine Vacth ein französisches Model in der Hauptrolle besetzt, das ausdrucksstark und wortkarg genau jenes Bild der fragilen Kindfrau mit dem Schmollmund und den großen Augen verkörpert, das die Laufstege gerne vermitteln. Der perfekte Körper dient hier aber nicht als Schauwert: Zwar ist „Jeune & Jolie“ voller Szenen mit Verführung, Nacktheit und Sex, aber sexy ist dieser Film nie. Ozon umschifft gekonnt jede Konvention, die Erotik produzieren könnte. Insgesamt aber ist „Jeune & Jolie“ vor allem ein Film, der (französische) Klischees bemüht. Es ist, als würde Ozon (auch mit dem kurzen Auftritt von Charlotte Rampling) gern sich selbst reproduzieren, weil er schon so oft Bilder über Perfektion und über das Streben nach der reinen Schönheit gemacht hat. Jetzt, da man Ozons Handschrift schon deut-
lich kennt, wirken diese selbstreferenzierenden Klischees Fehl am Platz, auch wenn Ozon niemals expliziter von seinem Lieblingsthema erzählt hat: Dem oft schmerzlichen Prozess des Erwachsenwerdens. 29.10., 18.00, Gartenbau 30.10., 11.00, Gartenbau 5.11., 6.30, Stadtkino im Künstlerhaus
FRANçOIS OZON
„wäre ich eine frau, würde ich sex haben wollen“ Der französische Regisseur François Ozon gilt als der Frauenversteher unter den Filmemachern. Tatsächlich hat er sich in seiner Filmografie auffallend oft mit der Weiblichkeit auseinander gesetzt. Im Interview spricht er über jugendliche Lebenswelten und die Inspiration für seine Filme. Monsieur Ozon, schon in Ihrem letzten Film „Dans la maison“ haben Sie sich für jugendliche Lebenswelten interessiert. In „Jeune & Jolie“ tun Sie das erneut. François Ozon: Nach der Arbeit mit meinem Hauptdarsteller aus „Dans la maison“, dem talentierten Ernst Umhauer, wollte ich unbedingt wieder mit jungen Schauspielern drehen. Meine frühen Kurzfilme drehten sich oft um das Erwachsenwerden, aber ab „Sous le sable“ habe ich eigentlich hauptsächlich mit älteren Schauspielern gearbeitet. Meine Idee bei „Jeune & Jolie“ war, die Lebenswelt der heutigen Jugend zu erforschen. Da ich bisher immer über Burschen erzählt hatte, wollte ich es diesmal anhand einer jungen Frau versuchen.
Diese junge Frau ist aber nicht wie jede andere - immerhin prostituiert sie sich. Der Film dreht sich um die Frage, wie es sich anfühlt, wenn sich der Körper in der Zeit der Pubertät verändert. Das Erwachsenwerden wird im Kino oft idealisiert. Für mich hingegen war die Pubertät eine schmerzvolle Erfahrung voller komplizierter Veränderungen - ich habe dazu keinerlei nostalgische Erinnerungen. Ich wollte in diesem Film die Pubertät nicht als eine emotionale Zeit darstellen, sondern als eine Zeit, die von den Hormonen bestimmt ist. In diesem Alter geht man an seine physischen Grenzen. Die Prostitution sollte das symbolisieren. Sie sollte die Frage nach Identität und Sexualität stellen, und zwar nach einer Sexualität, die nicht mit Emotionen verbunden ist. In den Sexszenen im Film ist es tatsächlich so, dass alles sehr nüchtern gehalten ist und die Szenerie niemals „sexy“ wirkt. Ich wollte die Sexszenen realistisch filmen, aber niemals erniedrigend. Ich wollte auch vermeiden, dass man meine Hauptfigur moralisch verurteilt. Sie drehen immer sehr unterschiedliche Filme. Woran liegt es, dass Sie sich gerne in so vielen verschiedenen Genres ausprobieren? Ich mag es nicht, mich auf nur eine Sache festzulegen, sondern will lieber meinem Instinkt folgen. Das war schon als Student so: Viele meiner Studienkollegen wollten immer wie Bresson, Godard oder Truffaut sein, ich hingegen wollte nicht nur wie eine dieser Personen sein, sondern wie viele. Ich wollte immer verschiedene Einflüsse zusammenmischen. Ich weiß nicht,
vielleicht nennt man das dann postmodern. Nehmen Sie Fassbinder als Beispiel: Der verstand es auch hervorragend, Melodram mit Komödie zu vermischen. Das gefällt mir. Woher kommen ihre Ideen? Ich muss in die Einsamkeit gehen, um Ideen und Inspiration zu finden, muss mich zurückziehen. Wo finden Sie diese Einsamkeit? Ich bin zum Schreiben gerne in England oder in der Bretagne, denn dort ist der Himmel immer bewölkt und man wird nicht von der Arbeit abgelenkt. Wie genau haben Sie schon beim Schreiben des Drehbuchs Ihre spätere Besetzung im Kopf? Gar nicht. Es gibt viele Regisseure, die genau das durchsetzen wollen, was sie sich beim Schreiben vorgestellt haben. Das ist bei mir überhaupt nicht der Fall. Ich bleibe flexibel und passe mich der Realität an. Ich möchte so den kreativen Reichtum der Menschen, die mit mir arbeiten, bewahren. Ich mag es, Menschen zu überraschen und zu stören. Das geht aber nur, wenn man offen für Neues bleibt. Sie gelten als „Frauenregisseur“. Was fasziniert Sie denn so an der Weiblichkeit? Frauen sind komplexer als Männer. Es war für mich immer faszinierender, Frauen zu filmen. Vielleicht ist das ein Weg für mich, sie zu berühren. Ich bin hinter der Kamera, und vielleicht ist das etwas Sexuelles. Ich denke sie mögen es, von mir beobachtet zu werden. Wir brauchen nie zu viele Worte, sie vertrauen mir. Was würden Sie tun, wenn Sie einen Tag lang eine Frau sein könnten? (überlegt) Ich würde Sex haben! (lacht) celluloid 7a/2013
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nur keine fußstapfen!
sara forestier gehört zu den bekanntesten gesichtern des jungen französischen kinos: mit nur 26 jahren hat sie schon zwei césars gewonnen. die viennale zeigt zwei neue filme mit ihr, wir trafen sie zum interview.
Fotos: Tuma; Berlinale; Viennale; Greuling
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it gleich zwei Filmen ist der französische Jungstar Sara Forestier, 26, heuer im Programm der Viennale vertreten: In „Suzanne“ von Katell Quillévéré ist sie als eine junge Frau zu sehen, die zwischen der Geborgenheit in ihrer liebevollen Familie und Freiheitsdrang pendelt. Eine Rolle, wie gemacht für Forestiers stets zwischen frech und liebenswürdig pendelnden Schauspiel-Stil, der sie im Alter von 15 in Abdellatif Kechiches Vorstadt-Drama „L’esquive“ schlagartig bekannt machte. Der zweite Film im Viennale-Line up ist „Mes séances de lutte“ von Jacques Doillon. Ein junges, namenloses Paar liebt und schlägt sich den Film hindurch, es verzehrt sich vor Leidenschaft und entbrennt in wüste Streitigkeiten. Im Hintergrund schwelen seelische Zerrüttungen und der Wunsch, ihnen ein Ventil zu geben. Forestier spielt in diesem von expliziter Körperlichkeit bestimmten Film besonders intensiv; eine Eigenschaft, die oft gewagte Rollen einbringt. Celluloid traf Sara Forestier in Cannes zum Interview.
celluloid: Frau Forestier, in „Suzanne“ spiele ich eine Figur, die sich durch eine große Absenz kennzeichnet. Sie steht etwas neben sich. SARA FORESTIER: Suzanne kann ihr Leben nicht wirklich auf die Reihe kriegen und lebt in einem geistig sehr melancholischen Zustand. Sie wartet auf etwas, das kann man in ihren Augen sehen. Sie wartet darauf, dass etwas kommt, das ihre Leere füllt. Als Schauspieler ist es unsere Aufgabe, sich in die jeweilige Figur hineinzudenken und dann diese Figur zu sein. Dann braucht die Kamera das nur mehr aufzuzeichnen. Der besondere Spaß an der Rolle in „Suzanne“ war, dass man sie in verschiedenen Alterstufen verfolgt und ich daher verschiedene Phasen ihrer femininen Entwicklung spielen musste. Als
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Teenager weint sie ganz anders als mit 30. Darin sieht man eine Entwicklung. „Suzanne“ dreht sich um die beiden Pole Familie und Freiheit, zwischen denen durchaus ein großer Widerspruch liegen kann. Eine Familie formt dich, und zwar zu einem großen Teil. Sie bestimmt, wer du später einmal sein wirst. Familien geben einem ein Band, und wenn jemand aus der Familie leidet, dann leidet die ganze Familie. Das ist ein beinahe schon animalischer Aspekt dieser Form des Zusammenlebens, der mir sehr gefällt. „Mes séances de lutte“ ist ein sehr physischer Film. Der exzessive Einsatz von Körpersprache ist essentiell. Sie scheinen sehr gerne physische Figuren zu spielen. Wieviel Freiheit in der Ausgestaltung nehmen Sie sich, und wieviel steht im Drehbuch? Nicht alles steht im Drehbuch. Ich denke lange über Figuren und die Struktur des Drehbuchs nach, dafür nehme ich mir sehr viel Zeit. Die Vorbereitung auf einen Film ist der wichtigste Teil für mich, denn da muss ich die Geschichte und die Figur kennen- und verstehen lernen. Man muss auf die Wellen aufspringen, die einem das Drehbuch bietet, denn tut man das nicht, versaut man den Film. Wie konkret sieht eine Rollenvorbereitung bei Ihnen aus? Je näher die Dreharbeiten rücken, desto tiefer tauche ich in meine Figuren ein: Ich probe dann schon im richtigen Kostüm, mit dem richtigen Make-up und der richtigen
Frisur. Das hilft mir, in die Figur hineinzuwachsen. Ich habe einen sehr physischen Zugang zum Schauspiel. Wenn ich drehe, geht es eigentlich nur mehr um die richtigen Bewegungen vor der Kamera, denn alles andere habe ich verinnerlicht. Die Kleidung spielt für mich dabei fast die wichtigste Rolle: Denn sie bestimmt, wie sich eine Figur gibt, bewegt und fühlt. Und sie bringt dich dazu, deine Figur selbst glaubhaft zu finden. Denn das ist wichtig: Ich muss immer glauben, dass das, was ich vor der Kamera tue, der Wahrheit entspricht. In Frankreich gehören Sie zu den bekanntesten jungen Schauspielerinnen. Wo sehen Sie Ihren Platz im Filmgeschäft? Nur, weil ich ein paar Filme gedreht habe, die mich sehr bekannt gemacht haben in Frankreich, heißt das noch lange nicht, dass meine Selbstzweifel verschwunden sind. Es ist toll, wenn einen die Leute als Schauspielerin ernst nehmen. Aber die Beziehung zwischen mir und meiner Kunst ist ein sehr intimer Vorgang. Wenn ich zweifle, dann zweifle ich, egal, was die anderen sagen. Ist der Zweifel vielleicht auch eine der wichtigsten Zustände für einen Schauspieler? Ich glaube, dass die Leidenschaft und das Verlangen in meinem Beruf wichtiger sind als der Zweifel. Natürlich ist Zweifel wichtig, und man kann ihn auch nicht verhindern. Manchmal kann das ganz schön an einem nagen. Manchmal denke ich, was für eine beschissene Schauspielerin ich bin und dass ich den Beruf lieber aufgeben sollte. Doch wenn man wie ich eine ausgeprägte Leiden-
schaft für diesen Beruf hat, dann hilft einem das aus jedem Tief heraus. Sie geben in Ihren Rollen gerne viel von sich preis: Auch der Einsatz ihres Körpers in expliziten Sexszenen wie bei „Mes séances de lutte“ scheint sie nicht zu stören. Wenn mich ein Projekt begeistert, dann fühle ich eine solche Euphorie bei der Arbeit, dass ich zu allem bereit bin für eine Rolle. Wenn ich merke, ich kann etwas zum Gelingen beitragen, das macht mich sehr glücklich. Mit „L’esquive“ von Kechiche schafften Sie Ihren großen Durchbruch. Welche Erinnerungen haben Sie an den Film? Der Film hat mein Leben verändert. Danach gab es für mich keine Pause mehr in meinem Job. Damals wurde das Schauspielen zu meinem Job. Kechiche ist ein unglaublicher Künstler, speziell für die Schauspieler. Er ist ein Genie, und dieses Wort gebrauche ich nicht sehr oft. Ich hatte damals, mit 15, verdammtes Glück, dass er mich besetzt hat. Von ihm habe ich gelernt, was wirkliches Schauspielen bedeutet und dass man davor keine Angst zu haben braucht. Kechiche konnte eine Szene zehn Mal hintereinander drehen, und trotzdem hat keiner von uns seine Spontaneität verloren. Das ist wie am Theater, wo man jeden Abend eine frische Vitalität finden kann, wenn man hochkonzentriert arbeitet. Das hat mir Kechiche beigebracht. Haben Sie Vorbilder, in deren Fußstapfen Sie gerne treten würden? Ja, aber damit bin ich vorsichtig: Wer in die Fußstapfen anderer tritt, hinterlässt selbst keine Spuren. Interview: Matthias Greuling „Suzanne“: 27.10., 15.00, Gartenbau 4.11., 21.00, Urania „Mes séances de lutte“: 2.11., 21.00, Urania 3.11., 11.00, Metro
Sara Forestier ist in gleich zwei Viennale-Filmen zu sehen: In „Suzanne“ (oben) von Katell Quillévéré und in „Mes séances de lutte“ (unten) von Jacques Doillon
Sara Forestier mit celluloid-Chefredakteur Matthias Greuling nach dem Interview in Cannes im Mai 2013
Einen Ausschnitt aus unserem Interview können Sie hier auch auf Video ansehen: http://tinyurl.com/saraforestier celluloid 7a/2013
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die frau im manne sébastien lifshitz hat das schicksal der transsexuellen „bambi“ in einem dokumentarfilm nachgezeichnet.
celluloid: Monsieur Lifshitz, was denken Sie: Woher kommt das Bedürfnis, sein Geschlecht zu ändern? Sébastien Lifshitz: Ich glaube, unsere sexuelle Identität ist eine sehr mysteriöse Frage. Es gibt Menschen, die kommen in einem Körper zur Welt, der nicht zu ihnen passt, weil sie in ihrem Herzen spüren, dass sie eigentlich jemand anders sind. Das hat sehr viel mit der Psyche zu tun. Bambi wurde in eine sehr arme Familie geboren, damals war Algerien eine französische Kolonie. Sie hatte eigentlich keine Möglichkeiten, von dort zu entkommen, dennoch hat sie es gewagt. Eine unglaubliche Frau. In Bambis Umfeld war Transsexualität ein Tabu. Sie hat sich im Laufe ihrer Existenz permanent weiterentwickelt. Es war für mich
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Fotos: Viennale; Greuling
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ambi wurde 1935 in einem kleinen algerischen Dorf unter dem Namen JeanPierre Pruvot geboren. Sie wusste: Sie wollte irgendwann die Frau werden, die sie innerlich schon immer war. Eine Vorstellung des berühmten Cabarets Carrousel de Paris in Algier ermutigte sie in den 50ern, nach Paris zu ziehen und dort auf den Varieté-Bühnen unter dem Künstlernamen „Bambi“ das Leben zu führen, das sie sich wünschte. Jean-Pierre heißt seitdem Marie-Pierre, ist heute 77 Jahre alt. Regisseur Sébastien Lifshitz erzählt die Geschichte dieses Schicksals in seiner Doku „Bambi“ nach. Es geht um Zurückweisung, Unverständnis und Mut. Archivbilder und Fotos mischen sich mit glamourösen Auftritten auf der Bühne und im Film, dazu gesellen sich seltene private Aufnahmen. Lifshitz schildert auch den Wandel von Bambi zu einer transsexuellen Frau, die mit Hormonen experimentiert, um das zu sein, was sie sich erträumte. Und: Der Film zeigt auch die emotionale Begegnung Bambis mit ihrer großen Liebe. Sébastien Lifshitz im Interview über seinen Film.
„Bambi“ kam von Algerien nach Paris, um hier ihre wahre Bestimmung zu leben
wichtig, das ins Zentrum des Films zu stellen. Im Frankreich der 50er Jahre waren Transsexuelle oder Transvestiten nicht geduldet, man hat sexuell außerhalb der damaligen Norm stehenden Menschen das Leben schwer gemacht, sie geächtet und aus der Gesellschaft ausgestoßen. Können Sie nachvollziehen, wie sie sich damals gefühlt haben muss, und hat sich die Situation von Transsexuellen heute verbessert? Ich bin natürlich nicht so alt wie Bambi, deshalb kann ich nicht wirklich einschätzen, wie die Umstände für sie damals wirklich
Sébastien Lifshitz: „Bambi hatte damals nur zwei Möglichkeiten: Entweder man kam in einem Kabarett oder einer Revue unter, oder man endete als Prostituierte. Es war wirklich schwierig, anders zu sein.“
waren. Ich weiß das nur aus meinen Recherchen. In den 60er Jahren, das weiß ich von Bambi, existierte der Begriff „Transgender“ einfach nicht. Man nannte Transsexuelle einfach Transvestiten, doch das sind zwei sehr verschiedene Dinge. Niemand kümmerte sich um diese Menschen, nur die Polizei, weil sie sie vertreiben wollte. Mit welcher Perspektive kam Bambi nach Paris? Damals hatte man als transsexueller Mensch eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder man kam in einem Kabarett oder einer Revue unter, oder man endete als Prostituierte. Es war wirklich schwierig, jemand anders zu sein. Das ist der Grund, weshalb viele Transsexuelle eine Karriere in den Varietés anstrebten. Das war ein kleiner, geschützter Bereich damals. Heute ist die Situation etwas besser, aber ich glaube, dass es für Transsexuelle heute so ist, wie es für Homosexuelle gestern war. Homosexualität wurde lange verteufelt, das hat sich zum Glück gebessert. Aber Transgender ist leider immer noch ein Tabu. Immerhin haben einige Filme, Dokus oder Persönlichkeiten Aufmerksamkeit geschaffen und ein bisschen Toleranz gebracht. Aber um das wirklich gesellschaftlich zu akzeptieren, braucht es noch viel mehr Filme. Interview: Matthias Greuling 25.10., 18.30, Urania 26.10., 23.00, Kino am Schwarzenbergplatz
„Promised Land“ von Gus van sant, NEU AUF DVD & BLU-RAY
Matt Damon erklärt uns die (Um-)Welt
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n „Promised Land“ schlüpft Matt Damon nicht nur in die Hauptrolle – er ist auch als Produzent und Drehbuchautor beteiligt. Er mimt den ehrgeizigen Geschäftsmann Steve Butler, der mit seiner Kollegin Sue (Frances McDormand) – im Auftrag eines riesigen Energiekonzerns – eine typisch amerikanische Kleinstadt aufsucht und deren Bewohner zum Verkauf von Förderrechten für Erdgas unter ihrem Farmland überreden möchte. FRACKING Dass dabei die Spezialmethode des „Fracking“ – ein Verfahren, bei dem in Tiefbohrungen eine chemische Flüssigkeit eingepresst wird, um Gesteinsschichten zu lockern und Erdgas zu fördern – zum Einsatz kommt, ist mit Umweltproblemen verbunden, die er konsequent verschweigt. Und rechnet deshalb auch nicht mit Widerstand. Schließlich gelangen ihm bis dato, mit entsprechender Eloquenz und Manipulation, die Abschlüsse mehrerer Deals in diesem Bereich. Doch in diesem Fall wird ausnahmsweise einmal hinterfragt, reflektiert, diskutiert und eine Abstimmung angezettelt, die man den provinziellen Bewohnern zunächst gar nicht zugetraut hätte. Steve Butler gerät zunehmend unter Druck und ist einem Gewissenskonflikt ausgesetzt, den er anschaulich in Szene setzt. Am Ende aber wird sich herausstellen, dass mehrere hier ihr doppelbödiges Spiel treiben. „Es handelt sich um ein brandaktuel-
les, polarisierendes Thema in den USA, das mir sehr am Herzen liegt und das ich daher aufgreifen wollte“, sagt Matt Damon. „Um nichts zu erfinden, sondern konkret aufzuzeigen, in welche Richtung wir ökologisch und ökonomisch steuern, haben wir im Team sehr viel Recherchearbeit betrieben, uns mit der ,Fracking“Methode eingehend auseinandergesetzt und mit vielen Provinzbewohnern, die alle ihre eigenen Meinungen haben,
Interviews geführt.“ Zufrieden zeigt sich Regisseur Gus van Sant mit der schauspielerischen Leistung seines Hauptdarstellers: „Matt hat den innerlich stattfindenden Prozess vom Helden zum Antihelden hervorragend nach außen getragen.“ „Promised Land“ ist darob nicht nur Öko-Thriller sondern auch hervorragendes Schauspieler-Kino. Bereits erhältlich auf DVD & Blu-ray
„The Lords of salem“ NEU AUF DVD & BLU-RAY
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üsteres Machwerk des SchockRockers Rob Zombie: Für Unterhaltung im ansonsten unaufgeregten Alltag von Salem sorgt die lokale Radiostation mit DJ Heidi (Sheri Moon Zombie). Als Heidi eines Tages eine hölzerne Kiste mit einer Schallplatte als Geschenk von den „Lords“ erhält und diese abspielt, läuft die Platte plötzlich rückwärts und ruft in ihr lang zurückliegende Qualen wieder hervor. Was sie nicht weiß, ist, dass sie durch das Abspielen der mysteriösen Platte einen Fluch auslöst, den ein Hexenzirkel 300 Jahre zuvor heraufbeschworen hat. Als Heidi und ihre DJKollegen schließlich auf ein Konzert der Lords nach Salem eingeladen werden, erwarten sie dort schreckliche Dinge, die weit jenseits ihrer Vorstellungskraft liegen... Ein scheußlicher Leckerbissen für echte Horrorfans. Erhältlich auf DVD & Blu-ray ab 31.10. celluloid 7a/2013
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der fluch aus dem vinyl
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scheitern ist programm
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laus Lemke ist wieder da: Nach der letztjährigen Absenz kehrt er 2013 mit seinem neuen Film „Kein großes Ding“, der als Weltpremiere laufen wird, zurück zur Viennale. Und beweist erneut, dass er trotz seiner 73 Lenze noch immer zu den jüngsten Filmemachern Deutschlands gehört. „Kybernetik-Professor kapert die weltweit stärksten Rechner des Uni-Netzes, auf das das BKA keinen Zugriff hat. Für einen Urheberrechts-Betrug, der Megaupload und Kino.to weit hinter sich lässt – indem er seinen Betrug, als wissenschaftliches Forschungsprojekt etikettiert und über das CERN laufen lässt. Jetzt braucht er für den Content nur noch einen Kinobetreiber… und den „Hundertjährigen“, einen Werbesponsor aus Macao. Dabei gerät der Professor an Grandmaster Softgott – einen Künstler und Ex-Filmvorführer, dessen Größenwahn den des Professors nochmals übertrifft … und an die Geliebte des Künstlers, die den Professor verlassen hat – und die er mit seinem Megabetrug zurückerobern will...“ So fasst Klaus Lemke den Inhalt seines neuen Films zusammen. Und verschweigt dabei, dass es sich nur um einen kleinen
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klaus lemke bringt seinen neuen film „kein großes ding“ als weltpremiere zur diesjährigen viennale.
Aspekt dessen handelt, was in den 80 Minuten von „Kein großes Ding“ auf einen zukommt. Der Grandmaster Softgott ist Thomas, jedes Wort aus seinem Mund „eine Waffe“ und man muss ihn und alle anderen Figuren, die Lemke hier aufeinander treffen lässt, einfach gern haben, so sehr einem ihr Gehabe und Getue manchmal auf die Eier geht. Ihr Scheitern ist Programm, sie retten sich stattdessen von einer Katastrophe in die nächstgrößere. BUDDY-MOVIE Gebaut ist der Film um Thomas Mahmoud, der bereits in „Berlin für Helden“ seinen ersten Lemke-Auftritt absolvierte. Er kommt zu Beginn aus dem Knast und wird schon sehnsüchtig von Tini erwartet. Die beiden sind gegensätzlich wie Feuer und Wasser – daraus ergeben sich ein paar der stärksten Szenen, etwa wenn Tini auf einem Boot davon fährt und Thomas ihr am Ufer nachläuft. Schließlich kommt Lemke-Regular – und inzwischen selbst Regisseur – Henning Gronkowski dazu, und es entwickelt sich ein lebendiges, abwechslungsreiches Buddy-Movie zwischen den beiden, die Begriffe wie Aufgeben und Bescheidenheit definitiv nicht
zu ihrem Wortschatz zählen. Erst gegen Ende schließt sich der Kreis mit dem virtuellen Megabetrug. „Kein großes Ding“ wurde erneut in Berlin gedreht, und es ist klar spürbar, wie sehr Lemke sich in diese Stadt, die er vor ein paar Jahren nicht mal betreten wollte, inzwischen verliebt hat. Lemkes Konzept ist ebenso simpel wie genial: 50 Euro bekommen alle Mitwirkenden pro Tag, Drehbücher gibt es nicht und am Set herrscht eiserne Disziplin (u.a. strenges Essensverbot). Förderung durch den Staat lehnt er ab, dreht ausschließlich über Eigenmittel, die er über den Verkauf seiner Filme ans Fernsehen einnimmt, und was ihm nicht gefällt, schmeißt er einfach weg. So geschehen bei „Kein großes Ding“. Eine 2011 abgedrehte Version endete in der Tonne, ein Teil des im Sommer 2012 gedrehten Materials ebenso, erst im letzten Winter entstand die „endgültige“ Fassung. Somit ist der Film nicht nur ein rasanter Trip, der sich praktisch in jeder Szene neu erfindet, sondern auch ein stimmungsvoller Querschnitt durch die Jahreszeiten der Großstadt. Ein wahrhaft großes Ding. Florian Widegger 25.10., 21.00, Stadtkino im Künstlerhaus 26.10., 13.30, Metro
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weitere filmtipps zur viennale Ein Kaleidoskop der Befindlichkeiten einer Nation, die es sich eigentlich nicht mehr leisten kann, mit stolz geschwellter Brust ihren Patriotismus zur Schau zu stellen. 29.10., 18.00, Gartenbau 30.10., 11.00, Gartenbau 5.11., 6.30, Stadtkino im Künstlerhaus
THE DIRTIES - celluloid-Tipp!
Regie: Matt Johnson Für die beiden Highschool-Schüler Matt und Owen liegen alle Hoffnungen in ihrem neuesten Spielfilm „The Dirties“. Matt hofft, ein großer Regisseur zu werden, und Owen ist sein treuer Mitarbeiter. Doch die beiden sehen sich dem Spott ihrer Mitschüler ausgesetzt, die keine Gelegenheit auslassen, sie zu demütigen. Matt Johnsons Erstlingsfilm ist ein Plädoyer für die Kraft des Kinos und zeigt, dass Filme überlebenswichtig sein können.
„Inside Llewyn Davis“
Regie: Joel & Ethan Coen In „Inside Llewyn Davis“ tauchen Joel und Ethan Coen in das New York der frühen 60er Jahre ein; es ist die Zeit, in der in den Clubs von Greenwich Village Legenden wie Bob Dylan aus der lebhaften Folk-Musikszene geboren wurden. Der Film folgt dem Sänger Llewyn Davis (Oscar Isaac), der mit viel Inbrunst und Leidenschaft an seiner Musikkarriere arbeitet, dem aber letztlich trotz seiner wunderbaren Songs und der Qualität seines Könnens der Aufstieg aus den Hinterhof-Clubs verwehrt bleibt. Die Odyssee, die Davis im Laufe des Films durchlebt, ist voller Rückschläge und enttäuschter Hoffnungen. Das reicht von der Zurückweisung durch seine Ex-Freundin (Carey Mulligan) über wenig Hoffnung verbreitende Vorsingen bei Konzertveranstaltern bis hin zu einer den ganzen Film dramaturgisch begleitenden entlaufenen Katze. Ja, bei den Coens darf trotz der Misere auch gelacht werden: „Inside Llewyn Davis“ ist vielleicht der schönste Katzenfilm aller Zeiten. Joel und Ethan Coen finden für die rauchige Atmosphäre in den Clubs den richtigen desaturierten Look, arbeiten in Bildsprache und Rhythmus angenehm zurückhaltend, ohne dabei ihre Handschrift zu verwässern. Es gibt famose Songs und außerdem einige Szenen, die Kultstatus erlangen könnten, darunter eine gemeinsame Jam-Session zwischen Isaac und seinem Musikerkollegen im Film, gespielt von Justin Timberlake. Neu ist, dass die Regisseure hier nicht alles dem subtilen, schwarzen und sarkastischen Humor unterordnen, der ihre Filme kennzeichnet. Sie sind in der Lage, in voller Ernsthaftigkeit zu inszenieren und dabei durchaus metaphernschwanger den größten Trumpf dieser Geschichte des Scheiterns auszuspielen: Die Erkenntnis, dass Talent und Leidenschaft zwar Bedingung, aber keineswegs Garant für eine große Karriere
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sind. Irgendwo am Wegesrand muss sich Glück und Berechnung hinzugesellen. Und: Man sollte wissen, wo man hingehört. Die Katze im Film macht es vor. 24.10., 19.30, Gartenbau (Eröffnung! Nur mit Einladung!) 24.10., 23.00, Gartenbau 25.10., 11.00, Gartenbau
SACRO GRA - celluloid-Tipp!
Regie: Gianfranco Rosi „Sacro GRA“ von Gianfranco Rosi, ein Dokumentarfilm über die Anwohner der römischen Ringstraße – ein Leben an der Autobahn – gewann 2013 den Goldenen Löwen bei den Filmfestspielen von Venedig. Die Doku findet allerlei Lebensrealität, die man vom italienischen Kino kaum mehr gewöhnt ist: Dort ist oft alles schrill, laut, opulent und betont lebensbejahend; doch das Land steckt in einer Krise, und das fängt Rosi mit seiner Kamera – bewusst oder unbewusst – mit ein:
26.10., 20.30, Kino am Schwarzenbergplatz 29.10., 13.00, Gartenbau
HISTORIA de la meva mort
Regie: Gianfranco Rosi Der katalanische Regisseur Albert Serra nahm im August - selbst überrascht - den Hauptpreis des Filmfestivals von Locarno entgegen, für sein 150 Minuten langes, zähes Werk „Historia de la meva mort“ („Geschichte meines Todes“). Hier begibt sich Casanova auf seine letzte große Reise, gezeigt wird ein von Fresssucht gezeichneter alter Mann, der sich zwischen Unvernunft und Senilität aufmacht, um den Grafen Dracula zu treffen. Ein wirres und zugleich unendlich träges Spiel aus monotonen Sequenzen; es ist - unter der Prämisse der ausgegebenen FestivalDevise vom Obsiegen des Kunstkinos - ein würdiger Preisträger. 28.10., 18.00, Metro 30.10., 17.30, Gartenbau
„História de la meva mort“
Alle Termine und Zeiten ohne Gewähr. Fotos: Viennale
INSIDE LLEWYN DAVIS - celluloid-Tipp!
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weitere filmtipps zur viennale (June Squipp) will ihn auch nicht fahren. Woodys Sohn David (Will Forte) will dem Vater den Fußmarsch ausreden, doch der lässt sich nicht beirren. Alexander Paynes schwarzweiß gedrehte Komödie steckt voller Tiefgründigkeiten. Er entwirft das durchwegs melancholische Bild eines alten Mannes, der zeitlebens ausgenutzt wurde und nun erneut kurz davor steht, enttäuscht zu werden. Payne geht es hauptsächlich nicht um Geld und Reichtum, sondern um eine Vater-Sohn-Beziehung. 25.10., 20.30, Gartenbau 5.11., 11.00, Gartenbau
MICHAEL KOHLHAAS
LA JALOUSIE - celluloid-Tipp!
Regie: Philippe Garrel Der für seine spröden Filme bekannte Philippe Garrel zeigt mit „La jalousie“ (Die Eifersucht) einen Film voller Anmut, voller neuer Ideen, oder zumindest voller dramaturgischer Reife. „La jalousie“ ist ein zwar kurzes, aber famoses Schwarz-weiß-Abstrakt über das (Miss-)Trauen in der Liebe, das ebenso unspröde wie geerdet daherkommt: Garrels Sohn Louis spielt einen Kindsvater, dessen neue Freundin ihn betrügt, auch, weil sie selbst ihrer rasenden Eifersucht ihm gegenüber Luft machen will. Es ist ein französischer Film, wie er im Lehrbuch stehen könnte, mit Beziehungsgesprächen in der Küche, mit langen Einstellungen, mit intensiven Blicken und mit unprätentiösen Pariser Stadtansichten. Und doch fern jeder Konvention: „La jalousie“ erinnert über weite Strecken an die Filme der Nouvelle Vague, nicht an den sich danach daraus gebildeten Stil französischer Beziehungsdramen. Garrel ist visuell und dramaturgisch radikaler, das macht den Reiz dieser großen Arbeit aus. 31.10., 21.00, Gartenbau 4.11., 23.30, Urania
meinsamen Haus. Samir ist zwar noch verheiratet, aber seine Frau liegt im Koma. Kurz vor der Unterzeichnung der Scheidungspapiere eröffnet Marie Ahmad, dass sie von Samir schwanger ist. Regisseur Asghar Farhadi hat wie schon in „A Separation“ eine Scheidungssituation zum Ausgangspunkt seiner Erzählung gemacht; wieder kreisen seine Figuren um die Fragen nach Wahrheit und Lüge, die einen Keil in ihre zwischenmenschlichen Beziehungen treiben. 1.11., 18.00, Gartenbau 3.11., 13.30, Stadtkino im Künstlerhaus
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Regie: Thomas Arslan In Thomas Arslans „Gold“ mit Nina Hoss in der Hauptrolle geht es um eine Gruppe von Deutschen, die Ende des 19. Jahrhunderts nach Amerika auswandern und dort am Klondike nach Gold suchen wollen, zu einer Zeit, als die Nuggets noch hühnereigroß waren und den mittlerweile zerstörten Mythos vom kapitalistischen Amerika festigten. Es wird viel geritten in diesem Film und dabei auf der Tonspur nervtötendes Gitarrenwummern abgelegt. Arslan beschreibt die Reise der Goldgeilen, nicht etwa die Goldsuche an sich. Der Weg zum Klondike ist beschwerlich, und in der Gruppe gibt es Spannungen – doch all das inszeniert Arslan mit plakativen, sehr konstruiert aneinandergereihten Szenen, der man in Spiel, Dekor und Duktus die Künstlichkeit ansieht. 25.10., 20.30, Urania 26.10., 13.00, Gartenbau
NEBRASKA „Le passé“ LE PASSÉ - celluloid-Tipp!
Regie: Asghar Farhadi Ahmad (Ali Mosaffa) kehrt nach vier Jahren aus dem Iran nach Paris zurück, um seine Scheidung mit Marie (Bérenice Bejo) zu unterzeichnen. Marie lebt mit ihren beiden Töchtern sowie ihrem neuen Freund Samir (Tahar Rahim) und dessen Sohn in einem ge-
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Regie: Alexander Payne Rentner Woody (hervorragend: Bruce Dern) hat ein Schreiben erhalten, in dem ihm verkündet wird, dass er eine Million Dollar gewonnen hat. Weil Bruce niemandem traut, beschließt er, sich das Geld höchstpersönlich abzuholen. Er macht sich zu Fuß auf den Weg - von Montana nach Nebraska. Bruce besitzt nämlich keinen Führerschein mehr, und seine Ehefrau Kate
Regie: Arnaud des Pallières Frankreich im 16. Jahrhundert: Der Pferdehändler Michael Kohlhaas (Mads Mikkelsen) ist in den Wäldern unterwegs, als er von ein paar Leuten aufgehalten wird, die ihm zum Durchqueren des Landstrichs eines Barons Geld abverlangen. Kohlhaas hat nicht genug dabei und hinterlässt seine Pferde als Pfand. Als er später herausfindet, dass der Baron nicht berechtigt war, Geld zu verlangen, will er die Pferde zurück - und bekommt sie völlig misshandelt übergeben. Arnaud des Pallières hat Heinrich von Kleists Literaturklassiker in düsteren Bildern inszeniert. 1.11., 20.30, Gartenbau 2.11., 11.00, Urania
GRIGRIS - celluloid-Tipp!
Regie: Mahamat Saleh-Haroun In Mahamat Saleh-Harouns „Grigris“ muss ein junger Mann im Tschad seine Träume opfern, um den schwerkranken Onkel zu retten. Trotz (oder gerade wegen) seines verkrüppelten Beins ist der junge Mann ein leidenschaftlicher Tänzer, der zwecks Geldbeschaffung allerdings für eine Bande Treibstoff-Schmuggler zu arbeiten beginnt. SalehHaroun zeigt das Schicksal des Mannes in einer zunächst sehr lebensfrohen Façon, ehe der Film zum Crime-Thriller umschlägt. 30.10., 13.00, Gartenbau 4.11., 11.00, Stadtkino im Künstlerhaus
CAMILLE CLAUDEL 1915
Regie: Bruno Dumont Die französische Bildhauerin Camille Claudel (Juliette Binoche) fristet 1915 ein trauriges Dasein in der Nervenheilanstalt von Montdevergues in Südfrankreich, wohin sie ihre Mutter und ihr Bruder verbannt haben. Sie leidet unter der ständigen Angst, vergiftet zu werden, und auch die Gedanken an ihren Mentor und Liebhaber Auguste Rodin lindern ihre Situation nicht. Camille beschließt, aus der Anstalt zu verschwinden. Bruno Dumont gibt Juliette Binoche viel Raum, die innere Verzweiflung der Künstlerin auf die Leinwand zu bringen. 5.11., 20.30, Gartenbau 6.11., 11.00, Gartenbau
Alle Termine und Zeiten ohne Gewähr. Fotos: Viennale
„La Jalousie“
zum 50. jahrestag des anschlags auf john f. kennedy:
„JFK“ von Oliver stone in HD
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Auch als Digital HD erhältlich drei Jahre nach Aktenschluss den Fall Kennedy erneut auf. Seine Theorie: Oswald (Gary Oldman) war kein Einzeltäter, sondern Handlanger in einem Komplott, das bis in die höchsten Stellen reicht. Mit riesigem Staraufgebot und raffinierter Montagetechnik schuf Stone einen packenden Thriller, der seine Zuschauer bis zur letzten Sekunde fesselt. Neben Kevin Costner und Gary Oldman zeigen Tommy Lee Jones, Kevin Bacon, Donald Sutherland, Walter Matthau und Jack Lemmon ihr Können. Der gegenüber der Kinofassung um 16
NEU AUF BLU-rAY & DVD:
BOND in einer box Z
um ersten Mal in der Geschichte von James Bond werden alle 23 Bond-Filme zusammen in einer Collection veröffentlicht. Jede Szene, jedes Gadget, jedes Bondgirl und alle Bonddarsteller aus 50 Jahren Agentengeschichte in High Definition. Mit „Bond - Die Jubiläums Collection - inklusive Skyfall“ veröffentlicht Twentieth Century Fox Home Entertainment am 25. Oktober die ganze Geschichte des berühmtesten Agenten der Welt. Das komplette Filmpaket kommt in einer eleganten Sammlerbox mit über 122 Stunden Bonusmaterial auf Blu-ray daher und beinhaltet zudem Behind-the-scenes-Featurettes, die großzügig aus 50 Jahren Bondgeschichte erzählen. Erhältlich ab 25.10. 2013!
Minuten längere Director‘s Cut ermöglicht den Zuschauern, noch tiefer in die Abgründe der Politik einzutauchen. Dass man dabei fast das Gefühl hat, mit Kevin Costner und seinen Kollegen am Ermittlungstisch zu sitzen, ist der herausragenden Bild- und Tonqualität der Blu-rayTechnologie zu verdanken. Die brillante Technik schärft den Blick auf die mysteriösen Geschehnisse vor 50 Jahren einmal mehr – und macht umso deutlicher, dass „JFK - Tatort Dallas“ bis heute nichts an politischer Brisanz eingebüßt hat. Erhältlich ab 08.11.2013!
KULT auf blu-ray:
star wars-Box S
tar Wars: The Complete Saga“ enthält George Lucas‘ Meisterwerk in brillanter High Definition-Qualität. Zum ersten Mal vereint diese unglaubliche Sammlung alle sechs Episoden auf insgesamt 9 Blu-ray-Discs – in spektakulärer HighDefinition-Bildqualität und mit galaktischem digitalen Klang. Mit über 40 Stunden spannendem Bonusmaterial – vieles davon exklusiv für diese Kollektion zusammengestellt – könne die Fans der Filmreihe, die demnächst fortgesetzt wird, noch tiefer in das „Star Wars“-Universum eintauchen. Bereits erhältlich! celluloid 7a/2013
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PROMOTION/BEZAHLTE ANZEIGE © TCFHE 2013
or 50 Jahren erschütterten drei Schüsse die Welt: Das Attentat auf den damaligen US-Präsidenten John F. Kennedy war ein Schock und ließ die Hoffnung einer ganzen Generation auf ein „neues“ Amerika zerbrechen. Pünktlich zum Jahrestag des Attentats veröffentlicht Twentieth Century Fox Home Entertainment am 8. November erstmals den Director’s Cut als Blu-ray und Digital HD - und bietet den schärfsten Blick auf den Fall Kennedy. Drei Stunden Bonusmaterial geben spannende Einblicke in die Hintergründe von Film und Geschichte. Fast so packend wie der zweifach ocarprämierte Spielfilm selbst ist die Dokumentation zu den Folgen von „JKF – Tatort Dallas“: Aufgrund des Kinoerfolgs des Films beschloss der US-Kongress, die Dokumente zum Fall Kennedy 22 Jahre früher freizugeben als ursprünglich vorgesehen. Bis heute zählt das Attentat auf John F. Kennedy am 22. November 1963 in Dallas zu den großen Rätseln der US-Geschichte. Der mutmaßliche Attentäter Lee Harvey Oswald wurde zwei Tage nach der Tat in Polizeigewahrsam erschossen und später offiziell zum Einzeltäter erklärt. Andere Spuren wurden nicht verfolgt, der Fall in ungewöhnlich kurzer Zeit zu den Akten gelegt. Ungereimtheiten während des Verfahrens, schlampiger Umgang mit Dokumenten und Beweisstücken bilden bis heute den Nährboden für unzählige Verschwörungstheorien. Oliver Stone folgt in seinem Film der Spur des New Orleaner Staatsanwalts Jim Garrison. Garrison (Kevin Costner) rollt
celluloid viennale 2013 special
weitere filmtipps zur viennale „Le Dernier des injustes“ (so lautet der französische Originaltitel) auch ein sehr langer Film – aber das passt zur Viennale 2013. Hurch: „Die Höhepunkte des Festivals dauern heuer sehr lang“. 27.10., 17.00, Gartenbau 28.10., 11.00, Gartenbau
E agora? lembra-me - celluloid-Tipp!
DER LETZTE DER UNGERECHTEN
Regie: Claude Lanzmann Bei der Arbeit an „Shoah“ in den 1970er Jahren hat Claude Lanzmann ein langes Gespräch mit dem Wiener Rabbiner Benjamin Murmelstein (1905-1989) geführt. Im Zentrum stand Murmelsteins ambivalente Rolle als hochrangiger jüdischer Funktionär der von Eichmann kontrollierten Israelitischen Kultusgemeinde Wien in der NS-Zeit und als „Judenältester“ des Ghettos Theresienstadt. Dieses bislang unveröffentlichte Filmdoku-
Stargast der diesjährigen Viennale ist der US-Komiker Will Ferrell. Er wird am 6. November 2013 um 17 Uhr im Gartenbaukino mit einer Gala geehrt, bei der sein Film „Anchorman: The Legend of Ron Burgundy“ zur Aufführung gelangt. Im Anschluss gibt es ein ausführliches Publikumsgespräch. Rund um Ferrells Besuch gibt es ein Tribute zu seiner Arbeit, unter anderem bestehend aus den Filmen „Step Brothers“ (2008), „Talladega Nights: The Ballad of Ricky Bobby“ (2006), „Old School“ (2002), „Casa de mi padre“ (2012), „You‘re Welcome America. A Final Night With George W. Bush“ (2009) sowie „Safety Last!“, einer Zusammenstellung seiner besten Sketches.
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ment wird von Lanzmann in den Kontext der Gegenwart gestellt; ein wichtiger Dokumentarfilm, auch für Viennale-Chef Hans Hurch: „Es ist ein großes Essay über einen widersprüchlichen, zutiefst beeindruckenden Menschen. Ursprünglich war das Material für Lanzmanns ,Shoa‘ gedacht, aber es hätte den Rahmen dieses Films gesprengt. Für mich ist ,Der Letzte der Ungerechten‘ die große, bedeutende Dokumentation des Jahres.“ Mit einer Spieldauer von 220 Minuten ist
26.10., 21.00, Urania 27.10., 10.00, Metro
Alle Termine und Zeiten ohne Gewähr. Fotos: Viennale
„Der letzte der Ungerechten“
Regie: Joaquim Pinto Der Dokumentarfilm des portugiesischen Regisseurs Joaquim Pinto, geboren 1957, wurde in Locarno uraufgeführt. Mit dem autobiografischen Werk schuf Pinto, der seit 20 Jahren mit HIV und Hepatitis C infiziert ist, ein filmisches Tagebuch über seine Teilnahme an einer klinischen Studie mit toxischen, bewusstseinsverändernden Medikamenten. Dabei reflektiert er über die Zeit und seine Erinnerungen. Die Medizin, die er in seinen Körper bringt, nimmt immensen Einfluss auf diesen, wie auch auf seine Psyche. Die gravierendste Nebenwirkung beschreibt Pinto als eine Trägheit: Der Körper setzt nicht mehr automatisch die Signale aus dem Kopf um. Ein bedrückender Film, über unsere Welt und ein düsteres Tagebuch menschlichen Leids