celluloid Sonderausgabe zur Viennale 2014 Ausgabe 6a/2014 - Oktober 2014
gegründet 2000
Sonderausgabe zur Wiener Zeitung
ARTIG. NICHT BRAV.
Beilage
zur
AMOUR FOU von jessica hausner
mit programm
viennale2014 www.celluloid-filmmagazin.com
Stadtkino
DIE BESTEN Filmtipps FÜR wiens grösstes filmfestival
celluloid Viennale viennale Infos & Tickets: 2014 special www.viennale.at
vorwort
VORWORT
Editorial
Matthias Greuling Chefredakteur & Herausgeber
celluloid
www.celluloid-filmmagazin.com
viennale 2014
Foto: Viennale
Matthias Greuling
Herausgeber & Chefredakteur
Liebe Leser, Die Viennale ist das filmkulturelle Ereignis des Jahres. Wie immer hat Festivalchef Hans Hurch die Perlen der Filmkunst aus aller Welt zusammen getragen und bringt einen umfassenden Überblick über das Weltkino. Wir haben für Sie in dieser Sonderausgabe einige unserer persönlichen Viennale-Favoriten zusammengestellt und in der Heftmitte auch den kompletten Spielplan abgedruckt, damit Sie den Überblick behalten können. An dieser Stelle möchten wir uns bei der Viennale für die langjährige gute Kooperation herzlich bedanken! Und jetzt: Film ab!
Hans hurch, direktor der viennale
Termin:
23.10. bis 6.11., Wien Festivalkinos: Urania
Uraniastrasse 1, 1010 Wien Gartenbau
Parkring 12, 1010 Wien Metro
Johannesgasse 4, 1010 Wien Stadtkino im künstlerhaus
Karlsplatz 5, 1010 Wien
Retrospektive: Filmmuseum
Augustinerstrasse 1, 1010 Wien
Tickets: Info & Bestellung: A1 Freeline 0800 664 014 (ab 18.10.) Tickets für die Filme der Viennale sind ab 18. Oktober, 10 Uhr, sowohl an den Viennale-Vorverkaufsstellen Schottentor, Stadtkino im Künstlerhaus, Gartenbaukino, Metrokino als auch online unter www.viennale.at erhältlich.
VIENNALE ZENTRALE
Die Viennale-Zentrale ist das lebendige Festivalzentrum der Filmschau und wird 2014 zum dritten Mal im vorübergehend leer stehenden Gebäude der ehemaligen Unternehmenszentrale der Österreichischen Post in der Postgasse im 1. Bezirk untergebracht sein. Motto: „Jetzt geht hier die Post ab.“
celluloid FILMMAGAZIN Beilage zur Wiener Zeitung, 18.10. 2014. Nummer 6a/2014 Oktober 2014 Sonderausgabe zur Viennale 2014. Herausgeber, Eigentümer und Verleger: Werbeagentur Matthias Greuling für den Verein zur Förderung des österreichischen und des europäischen Films. Chefredakteur: Matthias Greuling. Layout / Repro: Werbeagentur Matthias Greuling. Printed in Austria. Auflage: 45.000 Stk. Die Beiträge geben in jedem Fall die Meinung der AutorInnen und nicht unbedingt jene der Redaktion wieder. Anschrift: celluloid Filmmagazin, Anningerstrasse 2/1, A-2340 Mödling, Tel: +43/664/462 54 44, Fax: +43/2236/23 240, e-mail: celluloid@gmx.at, Internet: http://www.celluloid-filmmagazin.com Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion und Quellenangabe. © 2014 by Verein zur Förderung des österreichischen und des europäischen Films.
Diese Publikation wird unterstützt von
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er Name dieses Filmmagazins hat einen so schönen und vertrauten Klang wie ein altes magisches Zauberwort. Celluloid. Der Stoff, aus dem das Kino gemacht war, für viele, viele Jahre. Der Stoff der Lichtspiele, Trägermaterial, durchlässig, verletzlich, zu schnell für unser langsames Auge, hell und dunkel, flackernd und strahlend. Längst ist in diesem Magazin von etwas Anderem, etwas Neuem die Rede, aber durch den Namen schimmert das Alte, noch lange nicht Vergessene, lebendig hindurch. Ähnliches mag auch für unser Festival gelten: eine Gleichzeitigkeit der unterschiedlichen Momente des Kinos, eine Durchlässigkeit für seine Formen und Ideen, das Nebeneinander von Altem und Neuem. So ist etwa ein wesentliches Programm einem filmischen Aspekt des Kinos gewidmet, dem technischen Format 16mm, einem Kinomoment, ohne den die Geschichte des Mediums anders verlaufen wäre. Es ist die Basis eines neuen, direkten dokumentarischen Arbeitens, die Grundlage für die Entwicklung des Fernsehens, Ausgangsmaterial für experimentelles Kino ebenso wie für zahllose Home-Movies. Aber dies ist nur ein Teil der diesjährigen Viennale, ebenso wie eine Hommage an den faszinierenden Darsteller Viggo Mortensen, ein Tribute an den großen, alten Jean-Luc Godard und an den jungen, radikalen algerischen Filmemacher Tariq Teguia. Aber der große, zentrale Moment ist, wie jedes Jahr, das rund 150 neue Spiel- und Dokumentarfilme umfassende Hauptprogramm, das Herz der Viennale. Hier findet sich so etwas wie der Versuch, eine Landkarte des Kinos der Welt zu skizzieren, ohne jemals allem gerecht werden zu können. Hier findet sich Notwendiges neben Zufälligem, Klassisches neben Unfertigem, Experimentelles neben Vertrautem. Die Zeitschrift celluloid, ein unabhängiges Medium, das sich ganz dem Enthusiasmus und Engagement Einzelner verdankt, hat sich dieses Programms angenommen. Hat daraus ausgewählt und Entscheidungen getroffen. So wie dies im Grunde jeder ideale Besucher des Festivals macht. Es gibt keine andere Viennale, als diese jeweils konkrete, unmittelbare, gewählte. Diese zu bauen, zu erfinden und zu riskieren laden wir, celluloid und Viennale, Sie gemeinsam in diesen kommenden Tagen ein. Hans Hurch celluloid 6a/2014
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Heinrich von Kleist (Christian Friedel) und Charlotte Vogel (Birte Schnöink) spinnen zarte Liebesbande
viennale eröffnungsfilm jessica hausner hat mit „amour fou“ einen ganz famosen film über die verrückten spielformen der liebe gedreht.
die liebe, ein trugschluss J
essica Hausner hat einen Film über die Liebe gedreht, aber es ist keine naive Schwärmerei über romantische Gedanken oder gar eine von Lust und Leidenschaft getragene „Amour Fou“, wie der gleichlautende Filmtitel suggerieren könnte. Vielmehr befasst sich Hausner in „Amour Fou“ mit dem eigentlichen Wortsinn dieses Ausdrucks: „Es geht darum, dass die Liebe verrückt ist. Dass man selbst von sich überrascht wird, wenn man in den unterschiedlichen Phasen seines Lebens an die wahre, ewige Liebe glaubt, die sich dann am Ende als Trugschluss herausstellt“, sagt Hausner im Gespräch mit celluloid. Hausner erzählt von den letzten Wochen im Leben des Dichters Heinrich von Kleist, der 1811 im Alter von 34 Jahren einen Doppelselbstmord beging, indem er
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die vermeintlich todkranke Henriette Vogel erschoss und anschließend sich selbst. Kleist, der in seinen adeligen Kreisen stets als Außenseiter galt, weil er weder mit einer politischen, noch einer militärischen Laufbahn Erfolg hatte, sondern sich als Dichter versuchte, begibt sich auf die Suche nach einer Frau, die bereit wäre, in bedingungsloser Liebe zu ihm mit ihm gemeinsam zu sterben; eine absurd klingende Versuchsanordnung, die sich Kleist hier unterzieht, zumal die von ihm gefragten Damen allesamt an der psychischen Normalität ihres Gegenübers zu zweifeln beginnen. Erst als bei Henriette Vogel ein todbringendes Geschwür festgestellt wird, entschließt sie sich, Kleists Ruf zum Selbstmord zu folgen – was wiederum diesem nicht recht scheint, weil die Motivation zum Sterben doch eher
aus der unbedingten Liebe zu ihm komme müsse, nicht aus einer Krankheit. „Ich hatte schon vor zehn Jahren die Idee zu einem Film, in dem ein Paar aus Liebe Doppelselbstmord beging. Doch erst als ich auf Kleists Geschichte stieß, schien mir die Idee schlüssig“, sagt Hausner. „Ich fand es sehr grotesk, dass Kleist einfach mehrere Frauen gefagt hatte, ob sie sich mit ihm umbringen wollen. Das war seine romantische, völlig übertriebene Idee, die letztlich banal und auch lächerlich erscheint“. Hausner hat für „Amour Fou“, der dieses Jahr in Cannes in der Reihe „Un certain regard“ seine Weltpremiere feierte, ein sehr streng durchkomponiertes filmisches Konzept entwickelt, innerhalb dessen sich die Handlung durchwegs in eine komische Richtung entwickeln kann. Nicht umsonst
Fotos: Stadtkino
celluloid viennale 2014 special
Foto: Katharina Sartena
nennt Hausner den Film eine „romantische Komödie“. Mit der präzisen Kamera von Martin Gschlacht legt Hausner nicht nur die Sitten und Umgangsformen der damaligen Zeit offen, sondern transportiert in dieser Strenge auch die Beziehungsgeflechte der Personen zueinander: Niemand hier wird zu emotional, außer in seinem sprachlichen Ausdruck. Die Poesie findet nicht in Taten statt, sondern bloß in Worten. Aber selbst da wirken die Versprechungen der Liebe wie die hohlen Phrasen einer Gesellschaft, in der sich die Emotion als solche stets der Etikette zu beugen hatte. Der Wunsch nach Gefühl aber ist geblieben, so sehr er auch unterdrückt wurde. Wunderbar feinsinnig spürt Hausner dem Bedürfnis nach Liebe nach, das sich zu keiner Zeit gewandelt hat; nur die Ausdrucksform dieses Bedürfnisses ist mit der Zeit gegangen. Zugleich ist „Amour Fou“ ein detailliert recherchiertes, liebevoll ausgestaltetes Bildnis einer Bevölkerungsschicht, die ihr Selbstverständnis daraus bezog, die „herrschende Klasse“ zu sein: Die Aufweichung dieses Anspruchs durch neue Steuern, die erstmals auch den Adel treffen sollten, verbreitet Unruhe unter den Protagonisten. Sie sehen sich in ihrem Status gefährdet und ahnen schon, dass ihre gesellschaftliche Besserstellung bald neuen Verhältnissen wird weichen müssen. Diese Aspekte bilden
VIENNALE-TERMINE: 23.10., 19:30, Gartenbau 23.10., 23:00, Gartenbau
Premiere in Cannes: Jessica Hausner (Mitte) mit ihren Darstellern
den gesellschaftspolitischen Hintergrund des Films. Die große Ruhe, mit der Hausner ihren Film inszeniert, findet nicht nur Ausdruck in den zahllosen elegant geführten Konversationen, sondern auch in den allgegenwärtigen Lieder- und Musikabenden, die zu den beliebtesten Unterhaltungen der damaligen Zeit gehörten. Die optische Strenge des Films korrespondiert hier perfekt mit dem Gefühl der Protagonisten, in ihrer bieder-
meierartigen Zurückgezogenheit gefangen zu sein. „Amour Fou“ ist Hausners bislang klügste, durchdachteste Arbeit; ein Film über das romantische Konzept von der Liebe, und wie es scheitert. Matthias Greuling Unser Videointerview mit Jessica Hausner aus Cannes finden Sie unter tinyurl.com/jessicahausner
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das ego, eine qual
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„birdman“ von alejandro gonzalez inarritu blickt in unheilvolle schauspieler-seelen.
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Katharina Sartena
rgendwann in „Birdman“ dreht Riggan Thomson (Michael Keaton) in seiner Garderobe völlig durch und schlägt alles kurz und klein. Schminkkoffer fliegen, Spiegel klirren, Regale stürzen. Eine Stimme aus dem Off flüstert ihm allerlei Gewissensbisse zu, Riggan selbst hat gerade schlechte Kritiken einstecken müssen, und das ist das Schlimmste im Leben eines Schauspielers: Von der Presse geprügelt zu werden und darob am Ende in der Versenkung zu verschwinden. Dabei wollte Riggan doch nur sein Comeback an einer Broadway-Bühne feiern, mit einem von ihm bearbeiteten Stück, unter seiner Regie und mit ihm selbst in der Hauptrolle. Doch ein neues Ensemblemitglied (Edward Norton) erweist sich als ego-
Emma Stone bei der „Birdman“-Premiere beim Filmfestival von Venedig
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istischer Selbstdarsteller und stiehlt Riggan die Show im eigenen Stück. Weil Riggan ohnehin ein gebrochener Schauspieler ist, der seit Jahren nicht von seiner Rolle als Actionheld „Birdman“ loskommt, verdichten sich hier seine Selbstzweifel und die stetig zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt wechselnden Stimmungen zu einem gefährlichen Cocktail aus Selbsthass und Zerstörungswut. Das eigene Ego ist die größte Qual. Alejandro Gonzalez Inarritu („Amores Perros“, „Babel“) hat mit „Birdman“ (uraufgeführt im Wettbewerb der Filmfestspiele von Venedig) seine erste Komödie gemacht. „Ich dachte, es wäre nach all den Dramen einmal an der Zeit, am Set eines Filmes auch lachen zu dürfen“, so Inarritu. Zugleich ist „Birdman“ aber auch eine millimetergenaue Untersuchung des Schauspieler-Selbstverständnisses zwischen Größenwahn und Wahnsinn. Selten hat ein Film so eindringlich vermittelt, was auf dem Weg von den ersten Proben bis zur Premiere im Inneren dieser sensibelsten aller Künstler vorzugehen scheint. Und das ist, wohlgemerkt, nicht zum Lachen. ONE SHOT Mit ein Grund für diese eindringliche Analyse ist die Machart des Films. „Birdman“ sieht aus, als bestünde er aus nur einer einzigen Einstellung. Die stets entfesselte Steadycam fängt minutenlange Takes
ein, die durch „unsichtbare“ Schnitte an wenig auffälligen Stellen verbunden wurden. „Das klingt vielleicht sehr simpel als Konzept“, gibt Inarritu zu. „Dem voraus gehen aber detaillierte, umfangreiche Proben, damit dann auch wirklich alles klappt, wenn die Kamera läuft“. Für Emma Stone, die im Film Michael Keatons Tochter spielt, „eine besondere Herausforderung, so lange Takes zu spielen. Ich würde den Film am liebsten gleich noch einmal drehen“, sagt sie. Michael Keaton und Edward Norton liefern sich sowohl auf der Broadway-Bühne als auch hinter deren Kulissen oscarreife Schlagabtäusche, sodass man sicher sein darf: Diese beiden werden bei den Academy Awards 2015 nicht unberücksichtigt bleiben. Vor allem für Keaton ist der Riggan Thomson aus „Birdman“ auch eine selbstironische Rolle: Keaton hatte 1989 und 1992 in Tim Burtons beiden Batman-Verfilmungen den Superhelden gespielt. „Auch an mir haftete diese Rolle sehr lange“, sagte Keaton. „Aber ich konnte damit umgehen. Und schließlich waren diese Filme damals quasi die Blaupause für heutige Superhelden-Movies“. Keaton war darin – anders als sein unglücklicher Held „Birdman“ – ein vielschichtiger Charakter und wurde zu einer Ikone der Popkultur. Das von sich zu behaupten, wäre nicht einmal egoistisch. Matthias Greuling VIENNALE-TERMINE: 29.10., 18.00 & 4.11., 23.00, jeweils Gartenbau
„deux jours, une nuit“ der dardenne-brüder mit marion cotillard.
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annes-Festivalchef Thierry Frémaux hat „Deux jours, une nuit“ von den Brüdern Jean-Pierre und Luc Dardenne als „belgischen Western“ bezeichnet, und das, obwohl die Dardenne-Brüder sich sonst nicht gerade durch spektakuläre Showdowns auszeichnen, sondern eher durch stilles, vielschichtiges Kino über die sozialen Verhältnisse ihrer Filmfiguren. Dieser feinfühlige Umgang mit komplexen Lebensverhältnissen hat den Dardennes bereits zwei Mal die Goldene Palme eingebracht (für „Rosetta“ und „The Child“). Diesmal ist Marion Cotillard die Hauptfigur im neuen Dardenne-Drama: Sie spielt eine Frau aus der Arbeiterklasse, die nur ein Wochenende Zeit hat, um für den Erhalt ih-
Katharina Sartena
das leben in zeiten der krise res Jobs zu kämpfen. Gemeinsam mit ihrem Mann zieht sie umher, um ihre Chefs davon zu überzeugen, auf ihre Boni zu verzichten; nur so würde ihr Arbeitsplatz weiter bestehen. Die Dardenne-Brüder beschäftigen sich mit „Deux jours, une nuit“ mit der Wirtschaftskrise, die Europa in den letzten Jahren fest im Griff hatte, und mit den Auswirkungen der Krise auf die Menschen. Sie legen ein hochqualitatives Drama voller Intensität vor, das famos gespielt ist. „Die Krise hat die Solidarität unter den Menschen nicht gesteigert. Solidarität muss aufgebaut werden, sie entsteht nicht von selbst“, sagt Luc Dardenne. „Solidarität ist eine moralische Entscheidung. Wie man in unserem Film sieht, gibt es doch noch Menschen, die diese Entscheidung im Sinne ihrer Mitmenschen treffen“. Marion Cotillards Figur in „Deux jours, une nuit“ ist einmal mehr eine Frau, die es im Le-
Jean-Pierre (l.) und Luc Dardenne küssen ihre Hauptdarstellerin Marion Cotillard in Cannes
ben nicht leicht hat. Schon öfter hat Cotillard solche Frauenrollen gespielt, zuletzt etwa in „Rust & Bones“ als beinamputierte Waltrainerin. „Ich liebe komplexe Figuren“, sagt sie. „Ich sehe, wie diese Frauen um ihr Überleben kämpfen und dabei Dinge an sich entdecken, von denen sie gar nicht wussten, dass es sie gibt. Mich berühren Menschen, die trotz widriger Umstände ihr Leben meistern. Das lehrt mich viel über das Menschsein“. Dass Cotillard mit ihren 38 Jahren nicht nur zu Frankreichs größten Filmstars gehört, sondern nebenbei auch für ihre Schönheit gepriesen wird, ist für sie kein Nachteil, wie sie betont: „Schönheit und Sozialrealismus sind kein Widerspruch im Kino, finde ich. Ich bin außerdem wandelbar: Ich kann auf der Leinwand schön sein, aber auch hässlich. Wandelbarkeit ist in meinem Job kein Nachteil“. VIENNALE-TERMIN: 27.10., 20:30, & 29.10., 11:00. jeweils Gartenbau
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„wir sind alle in ein meisterwerk: abel ferrara rekonstruiert in „pasolini“ die letzten stunden im leben des ermordeten filmdenkers.
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as letzte Interview seines Lebens gab er am Tage seines Todes. Pier Paolo Pasolini, italienischer Dichter, Filmemacher, Denker und ja, in seinen Schriften auch: (politischer) Aktivist. In der Nacht von Allerheiligen auf Allerseelen des Jahres 1975 wurde Pasolini brutal ermordet; seine Leiche fand man am Strand von Ostia, vor den Toren Roms. Viele Mythen ranken sich um sein Ableben, und doch: Die unbewiesenen Verschwörungstheorien, die hinter seinem Tod einen Auftragsmord vermuteten, sind berechtigt, weil Pasolini kurz zuvor noch über eine Verstrickung des italienischen Staates in Terroranschläge recherchierte und dazu auch öffentlich den Mund aufmachte. Bei Regisseur Abel Ferrara ist alles banaler: Da fuhr Pasolini mit einem jungen Stricher in seinem Alfa 2000 GT an den Strand. Dort wollte er Sex mit ihm haben, aber eine zufällig vorbeikommende Gang beschloss, auf die "dreckige Schwuchtel" einzudreschen und sie anschließend mit ihrem Alfa zu überrollen. Doch gar so banal ist dieser Film nicht: Vieles, was Abel Ferrara in "Pasolini" zwi-
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gefahr
schen den Zeilen versteckt, muss erst gefunden werden. Kaum ein Film schied beim Filmfestival von Venedig so sehr die Geister wie dieser: Von oberflächlicher Inhaltslosigkeit sprachen die einen, von einem Meisterwerk der Poesie die anderen. Wir gehören eher zu den Letzteren: "Pasolini" ist nicht nur eine Chronologie des letzten Tages im Leben seines titelgebenden Protagonisten (apathisch, nachdenklich und kämpferisch dargestellt von Willem Dafoe), sondern auch der metaphernschwangere Versuch, sich diesem Künstler anzunähern, seine Welt(bilder) zu verstehen, die (nicht nur) im Italien der 70er Jahre angeeckt haben mussten. Ein scheinbar furchtloser Intellektueller, der sich bei den einfachen Menschen auf der Straße wohler fühlte als in den Kreisen der von ihm verhassten Bourgeoisie. Pasolini, der Aufgeklärte, der Journalisten mit einer gewissen Schulmeisterlichkeit gerne seine Ideen vom gesellschaftlichen Zusammenleben diktierte, zugleich auch vor dem drohenden Untergang warnte. Dem Journalisten seines letzten Interviews verordnete er die Artikel-Überschrift: "Schreiben Sie,
‚Wir sind alle in Gefahr‘." "Pasolini" ist auch deshalb ein Meisterwerk, weil Ferrara ganz assoziativ mit seinem Protagonisten umgeht: Da wird das tägliche Wecken durch Pasolinis Mutter mit seinen intellektuellen Ideen von einer idealen Gesellschaft konterkariert, da folgt einer Diskussion über die Pläne für seinen nächsten, ungedrehten Film (den Ferrara dann als Film im Film mit Pasolinis zeitweiligem Lebenspartner Ninetto Davoli inszeniert) ganz selbstverständlich eine Szene in einer Schwulenbar. Ein Film wie dieser hätte in Venedig einen der Hauptpreise bekommen müssen (ging aber leer aus): Natürlich eignet sich kein Platz der Welt besser für ein "Pasolini"-Biopic, das die letzten Stunden seines Lebens nachzeichnet, und darin aber doch sein ganzes Leben subsumiert. Welch Bildnis hätte das gegeben: Der schwule Linke Pasolini, ermordet von rechten Homophoben, ausgezeichnet an einem Festival, das die Faschisten erfanden? VIENNALE-TERMINe: 3.11., 20:30, Gartenbau 5.11., 11:00, Gartenbau
Katharina Sartena; Viennale
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amerika, wie wir es nicht kennen G
tommy lee jones und seine zweite regiearbeit „the homesman“: ein western, der von drei verrückten frauen erzählt. und von den anfängen der vereinigten staaten.
Katharina Sartena
rimmig schauen kann er wirklich gut. Tommy Lee Jones hat seinen Gesichtsausdruck sogar zu seinem Markenzeichen gemacht. Was also läge näher, als gealterter Outlaw in einem Western die Hauptrolle zu spielen? Viel Mimik braucht es dafür nicht. Tommy Lee Jones hatte mit „The Homesman“ im vergangenen Mai seine zweite Regiearbeit fürs Kino mit nach Cannes gebracht, nachdem er dort bereits 2005 mit „The Three Burials of Melquiades Estrada“ für Aufsehen sorgte: Sein damaliges Regiedebüt strotzte vor frischen Ideen und ungewöhnlichen Zugängen – was die Erwartungen für „The Homesman“ zusätzlich in die Höhe trieb.
Tommy Lee Jones mit seinem Star Hilary Swank bei der Premiere in Cannes
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UNTERWEGS INS IRRENHAUS Als Outlaw George Briggs trifft Jones in „The Homesman“ 1850 auf die alleinstehende Siedlerin Mary Bee Cuddy (Hilary Swank), die mit seiner Hilfe drei verrückt gewordene Frauen quer durchs Land in ein Sanatorium bringen will. Die Unwegsamkeiten unterwegs sind vorprogrammiert. Die Story basiert auf dem Roman von Glendon Swarthout, der durchaus Western-Erfahrung hat: Er schrieb auch die Vorlage zu John Waynes letztem Film „The Shootist“ (1976). Die Tatsache, dass Luc Besson bei „The Homesman“ als Produzent fungierte, ist ein Zeichen für Zugänglichkeit: Und so löst Jones dieses Versprechen in Personalunion von Autor, Regisseur und Hauptdarsteller sichtlich genussvoll ein: Jones weiß um sein Talent, in kraftvollen Szenen die Handlung voranzutreiben und gönnt sich auch die eine oder
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„The Homesman“: Tommy Lee Jones kämpft sich als Outlaw durch den Wilden Westen
andere (gar nicht eitle) Großaufnahme. Der Western changiert zwischen dem genreüblichen Gewaltpotenzial und Elementen der schwarzen Komödie, kommt aber auch nicht ganz ohne Gefühl daher: Der Mix ist Tommy Lee Jones beinahe schon superb geglückt. „Es ist ein Film über die Anfänge der Vereinigten Staaten. Und da haben sie ausgerechnet einen französischen Produzenten dafür gebucht“, sagt ein heiterer Luc Besson. „Der Film zeigt ein Amerika, das wir so nicht kennen. Alles ist sehr exotisch. Fast wie in einem Kurosawa-Film“. Jones recherchierte für den Look seines Films hauptsächlich in altem Bildmaterial aus der Zeit um 1850. „Wir sahen uns alte Fotografien an, und forschten nach, wie man damals mit Geisteskrankheiten umging. Zum Beispiel verabreichte man Schizophrenen Eiswasser als Therapie“, erzählt Tommy Lee Jones, der gar nicht einmal so sicher ist, ob „The Homesman“ als waschechter Western durchgeht: „Wir wollten einfach den bestmöglichen Film machen. Wir haben nicht viel über das Genre nachgedacht, sondern wollten einen Film drehen, der von der Geschichte der USA erzählt, und zwar aus einem sehr persönlichen Blickwinkel“. Dass man bei einem Western nicht umhin kommt, aus anderen Vorbildern des Genres zu zitieren, weiß Regisseur Jones natürlich. „Aber Norman Mailer hat einmal gesagt: Gute Künstler versuchen zu kopieren, geniale Künstler versuchen zu stehlen. Ich versuche zu stehlen.“ VIENNALE-TERMINe: 3.11., 10:30, Gartenbau 6.11., 18:00, Urania
vor der dunklen stunde
Unheilvolles Wehklagen: „Mula sa kung ano ang noon“ von Lav Diaz
„mula sa kung ano ang noon“ von lav diaz gewann in locarno.
ieser Film erhielt heuer den Hauptpreis des Festivals von Locarno, den goldenen Leoparden: Es war der längste und sperrigste Film des Wettbewerbs, „Mula sa kung ano ang noon“ des philippinischen Regisseurs Lav Diaz. Der wiederum ist für seine überlangen Werke bekannt, jedoch sind die 338 Minuten Laufzeit seines Siegerfilms für seine Verhältnisse eher kurz: Lav Diaz zeigte schon mal Filme, die neun Stunden oder länger dauerten. „Mula sa kung ano ang noon“ ist ein schwarzweißes Epos über eine unheilvolle Ahnung, eine bevorstehende Katastrophe - eigentlich ein Historienfilm: Die Handlung spielt 1972 auf den Philippi-
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nen. Das Land steht kurz vor der Diktatur: Ferdinand Marcos erklärte im September 1972 das Kriegsrecht. Die Zeit kurz vor diesem Terror-Regime untersucht Lav Diaz in ruhigen, schwarzweißen Bildern, die das kommende Unheil vorausahnen lassen. „Der Film basiert auf meinen Erinnerungen an meine Kindheit“, sagt Regisseur Lav Diaz.
meine freundin ist ein zombie
„Diese Zeit markierte die dunkelste Stunde in der Geschichte meiner Heimat. Alles in dem Film schöpfe ich aus Erinnerungen, alle Bilder habe ich so oder ähnlich miterlebt“. Der Film vermittelt das Drama eindringlich, erfordert aber auch viel Geduld. VIENNALE-TERMIN: 2.11., 10.30, metro
Noch glücklich: Max (Anton Yelchin) und Evelyn (Ashley Greene)
„burying the ex“ ist joe dantes rückkehr in das horror-genre.
igentlich schaue ich mir keine Horrorfilme an“, gesteht Ashley Greene. „Außer ich habe jemanden, der nachher bei mir übernachtet“. Doch jetzt hat der 27-jährige einstige „Twilight“-Star selbst in einem Horrorfilm mitgewirkt – Genre-Meister Joe Dante, der für 80erJahre-Klassiker wie „The Howling“ oder „Gremlins“ verantwortlich war, besetzte sie als Hauptrolle in „Burying the Ex“. Greene spielt Evelyn, eine junge Frau, die sich vegan ernährt und einen Umwelt-Blog betreibt. Ihr Freund Max hingegen verkauft Gruselartikel und steht auf Zombiefilme. Dass die beiden nicht viel gemeinsam haben, merken sie, als sie zusammenziehen. Doch gerade als
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Max Evelyn die Trennung vorschlagen will, wird sie von einem Bus erfasst und ist tot. Max staunt allerdings nicht schlecht, als Eveyln bald wieder auf der Matte steht - als Zombie. Joe Dante hat mit seinen Darstellern die ideale Besetzung für seinen Film gefunden: Anton Yelchin als Max ist einerseits Nerd, andererseits sympathisch. Ashley Greene ist als Evelyn aufdringlich und durchaus has-
senswert. „Burying the Ex“ kredenzt dazu noch jede Menge launiger Horrorelemente, was den Film sehr zugänglich macht. Der Low Budget-Film wurde in nur 20 Tagen heruntergekurbelt. Das Gefühl, in einem B-Movie zu sitzen, ist also durchaus legitim. VIENNALE-TERMINe: 30.10., 23:00, Gartenbau 31.10., 11:00, Gartenbau 6.11., 13:00, Urania
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die besten viennalehappenings Do, 23.10., ab 22:00 Party erÖffnUnG TWO DOOr CineMa ClUb DJ-SeT / eTepeTeTe
Two Door Cinema Club ist ein Fixstern am Indie-Himmel. Als DJs überraschen sie mit abwechslungsreichen Uptempo-Sets von House bis Nu-Disco. Für Verstärkung sorgt das All-Girl-DJ-Kollektiv Etepetete. So, 26. 10., 19:30 Buchpräsentation & Gespräch be SanD, nOT Oil
Ein Abend zur Filmschau „Revolutionen in 16mm“: Neben der Präsentation des Buches „Be Sand, Not Oil. The Life and Work of Amos Vogel“ findet ein Gespräch mit Gästen und KuratorInnen der 16mm-Filmreihe statt, darunter Michael Omasta (Synema, Falter), Haden Guest (Harvard Film Archive) und Katja Wiederspahn (Viennale). Mo, 27. 10., ab 21:00 Talk&DJ-Set GeSprÄCh MiT GerharD heinz/DJ CUT-eX & alaSKa al
Gerhard Heinz hat über 130 Kinofilme vertont, die Soundtracks werden nun vom Label Digatone wiederveröffentlicht. Gerhard Stöger (Falter) spricht mit Heinz über sein bewegtes Leben, Alaska Al und DJ Cutex (Digatone) spielen dazu Gustostückerln aus Heinz’ Schaffen. Do, 30. 10., 19:00 Gespräch: WhY farOCKi MaTTerS
Im Sommer diesen Jahres starb unerwartet der deutsche Filmemacher und Medientheoretiker Harun Farocki. Mit: Julian Radlmaier, Constanze Ruhm, Klaus Wyborny, u.a. Mo, 3. 11., 20:45 Diskussion auf Englisch: The STaTe Of ThinGS
Während Hollywood nur den Marktgesetzen der Maximierung folgt, gibt es in den USA auch ein ganz anderes Kino. Woher bezieht es seine Ideen und Stoffe, wie entsteht es? Wer steht dahinter? Und wie wird es gesehen? Mit: Debra Granik, Alex Ross Perry, Alexandre Rockwell und Peter Strickland.
ABdruck mit freundlicher Genehmigung der Viennale
Di, 4. 11., ab 21:00 Konzert & Party: free The rObOTS (liVe) / reSTleSS leG SYnDrOMe
Schmetternde Beats, progressive Melodien, Wechsel zwischen analog und digital: Das ist elektronische Musik anno 2014 oder einfach: Free the Robots. Live kreiert der Kalifornier Klangkulissen, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verbinden. Danach: Party mit Restless Leg Syndrome. Alle Veranstaltungen finden im ViennaleFestivalzentrum, 1010 Wien, Dominikanerbastei 11 (U1, U4 Schwedenplatz), statt.
celluloid viennale 2014 special
christian petzolds „phoenix“ entwirft eine kluge metapher auf die nachkriegszeit.
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as ist dieser Film nicht geprügelt worden im Vorfeld. Christian Petzold hat sich an eine Nachkriegsgeschichte gewagt, die er mit den Mitteln des Film Noir und des Thrillers gekonnt in Szene setzte, für die er aber Schelte einstecken musste. Die Geister schieden sich vor allem an der hanebüchen konstruierten Verwechslungsgeschichte; an allzu glaubhaft demolierten Häuserfronten Post-War-Berlins mitsamt allzu typischer Innenausstattung; an der „Dreistigkeit“, sich des Themas mit einem Genrefilm anzunehmen, der durchwegs Züge eines Groschenromans trägt; an all die Referenzen, die Petzold allzu sichtbar vor sich her trägt, etwa an die deutschen Expressionisten, aber auch an Hitchcocks „Vertigo“. Und doch: „Phoenix“ ist beileibe nicht das Desaster, in das ihn viele Kritiker hineingeschrieben haben. Im Gegenteil. Die Geschichte beginnt, als Deutschland 1945 in Trümmern liegt: Nelly (Nina Hoss) hat als einzige ihrer jüdischen Familie den Holocaust überlebt, allerdings mit seelischen und körperlichen Schrammen. Zumindest letztere sollen ihr durch eine OP
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als hätte es das alles nicht
gegeben genommen werden, damit sie annähernd wieder so aussieht wie vor dem KZ. Nelly begibt sich auf die Suche ihres Ehemanns Johnny (Ronald Zehrfeld), der sie angeblich kurz vor ihrer Verhaftung an die Nazis verraten haben soll, um seine eigene Haut zu retten. Sie spürt ihn auf, doch Johnny erkennt Nelly nicht mehr. Vielmehr glaubt er, Nelly sähe seiner totgeglaubten Ehefrau nur sehr ähnlich. Da kommt Johnny auf die Idee, Nelly als, nun ja, Nelly auszugeben, und so an das bedeutsame Erbe ihrer Verwandtschaft zu gelangen. Mit der für ihn fremden Frau will er das Erbe teilen. So weit, so trashig. Die Geschichte ist durchwegs abenteuerlich in ihrer Ausformung, jedoch kompensiert Petzold durch seine wie immer äußerst strenge und sparsame Inszenierungsweise jegliche Gefahr, in den Sog lächerlicher B-Movies oder Schundromane zu gelangen. „Phoenix“ spielt dabei an manchen Stellen lustvoll mit dem Begriff „aus der Asche“, denn das Berlin, das Petzold aufgebaut hat, gleicht einem Trümmerfeld. Zugleich aber ist „Phoenix“ auch der Name des Berliner Clubs, in dem Johnny nach dem Krieg arbeitet und von Nelly auf-
gespürt wird. Ein echter Neubeginn scheint in dieser zerstörten Welt allerdings nicht möglich, weshalb sich Hauptfigur Nelly nun als eine gespielte Kopie von sich selbst aufmacht, ihr altes Leben zurück zu gewinnen. Petzolds Geschichte - die letzte, die er gemeinsam mit dem verstorbenen Harun Farocki erarbeitete - ist wie eine Metapher auf das daniederliegende Nachkriegsdeutschland: Man hat es wieder aufgebaut, und was dabei nicht passte, wurde eben passend gemacht. Das gilt für die Straßen und Häuser, aber auch für die Identitäten und Vergangenheiten der Menschen. Nach dem NS-Regime waren sie ihrer Grundlagen beraubt - und suchten sich eben neue. Grandios, wie Petzold diesen großen Zusammenhang herunter bricht auf Nellys und Johnnys Schicksal; „Phoenix“ verhandelt nichts weniger als die große Psychose der vom „Tausendjährigen Reich“ gepeinigten deutschen Nachkriegszeit: Am liebsten, dachten die Menschen damals, würden wir so tun, als hätte es das alles nicht gegeben. Matthias Greuling VIENNALE-TERMINE: 1.11., 21:00, Gartenbau 2.11., 13:00, Urania
Stadtkino
Ronald Zehrfeld und Nina Hoss in „Phoenix“
eine schule des sehens
Viennale/Klaus Vyhnalek
die viennale widmet dem verstorbenen harun farocki ein spezialprogramm. ein nachruf.
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n einem Schreibtisch sitzt ein Mann. Er referiert über die Unmöglichkeit der filmischen Vermittlung von Napalmverletzungen. Dann nimmt er eine brennende Zigarette und drückt sie auf seinem Unterarm aus. Diese Szene stammt aus dem Kurzfilm „Unlöschbares Feuer“. Der Mann mit der Zigarette ist auch dessen Regisseur, Harun Farocki. So aktivistisch wie der 1969 enstandene Agitationsfilm gegen Vietnamkrieg und Napalmeinsatz geben sich die jüngsten Arbeiten des Essayfilmers nicht mehr. Diese wirken abgeklärter, ohne dabei aber ihren politischen Gestus eingebüßt zu haben. Dabei sind im genannten Film – dem wahrscheinlich bekanntesten aus Farockis Frühwerk – bereits jene Interessensfelder angelegt, die dieser im Laufe seiner Schaffenszeit immer wieder bearbeiten wird. Moderne Arbeitsverhältnisse, Überwachung und (Selbst-)Diszlipinierung des Individuums, mediale Bildproduktion, Technik und Kriegsführung gehören ebenso dazu wie Filmgeschichte. Letztere steht vor allem im Mittelpunkt von Farockis Betätigung als Autor und Dozent, die der Cinephile parallel zu seiner Arbeit als Filmemacher ausübte. 1944 im sudetendeutschen Teil der Tschechoslowakei als Sohn eines emigrierten Inders und einer Berlinerin geboren, landete Farocki schließlich in Westdeutschland. Nach seinem politisch motivierten Rausschmiss aus der autoritär geführten Deutschen Film- und Fernsehakademie (dffb) realisierte der junge Cineast erste größere Filmprojekte und profilierte sich bis Mitte der 1980er Jahre als Redakteur des führenden deutschen Filmmagazins „Filmkritik“. Im Laufe seiner Karriere
enstanden über hundert Filme und zahlreiche Filminstallationen. Er publizierte fortwährend Essays und unterrichtete mitunter in Berkeley, an der dffb, so wie zuletzt an der Akademie der bildenden Künste in Wien. DENKENDE FORM Ganz gleich, ob in Schrift- oder Filmsprache verfasst, die Arbeiten des Autorenfilmers waren immer denkende Form. Jean-Luc Godards Feststellung „Es ist der Film, der denkt“ machte Farocki zum Programm seines eigenen Filmschaffens. Zunehmend verschwanden daraus die szenischen Spielelemente mit unübersehbarem Brechteinfluss zugunsten von essayistischen Montagen aus unterschiedlichsten Archivmaterialien. Narrative Filmgeschichten erzählte er nur noch als (Co-)Drehbuchautor durch die Filme von Christian Petzold. Neben der analytischen Denkbewegung verbinden Godard und Farocki ein tiefes Misstrauen gegenüber dem fotografischen Abbild bei gleichwohl unerschütterlichem Vertrauen in das Erkenntnispotenzial des Mediums Film. In „Videogramme einer Revolution“ (1991) unterzieht Farocki die TV- und Amateuraufzeichnungen der Ereignisse rund um die rumänische Revolution 1989 einer multiperspektivischen Revision und fördert die ereignisformenden Eingriffe des Fernsehens in die Geschichte zutage. „Bilder der Welt und Inschriften des Krieges“ (1988) befasst sich dagegen mit den Implikationen technischer Bilder im militärischen Kontext. Ausgehend von einer automatisch angefertigten Luftaufnahme des KZ Ausschwitz, dessen abgebildeter Inhalt den Amerikanern entging, fragt der Film danach, was erst passieren
wird, wenn Maschinen die Bilder nicht nur schießen, sondern auch selbst verarbeiten? Die zunehmende mediale Vermittlung lässt den Menschen Bezug zu seinen Handlungen verlieren – nicht nur im Krieg. So montiert Farocki in der Kunstinstallation „Ich dachte Gefangene zu sehen“ einen Vergleich zwischen einer visualisierten Analyse des Einkaufsverhaltens von Supermarktbesuchern und computergestützen Positionsbildern von Gefängnisinsassen. Fraglos fügen sich derartige Analogien nicht reibungslos in bündige Thesen, ergeben keine einfache Argumentationslinie. Vielmehr kreisen die Überlegungen in Farockis Filmen, um mehr als ein Zentrum, quer durch die Geschichte(-n) der modernen Kulturen, über sämtliche semantische Register hinweg, und durchdringen dabei verschiedenste Formen und Medien, vom Hollywoodstreifen bis zur barocken Allegorie. Es handelt sich um eine Schule des Sehens, die vom Zuschauer aktive Teilnahme im Zusammendenken der Dinge einfordert. Harun Farocki gehörte weltweit zu den wichtigsten VertreterInnen des Essayfilms und des Filmessays. Er starb am 30. Juli im Alter von 70 Jahren. Martin Krammer
„Zum Vergleich“, Regie: Harun Farocki, 2009 celluloid 6a/2014
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der zweifel war sein motor
florian flicker (1965 - 2014), einst begeisterter festival-besucher, hinterlässt im österreichischen film eine nicht zu schließende lücke. die viennale zeigt seinen film „halbe welt“ von 1993.
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Florian Flicker war ein Meister der Beobachtung zwischenmenschlicher Befindlichkeiten.
zVg
on all den jungen Filmemachern, die ab Ende der 90er Jahre das viel beschworene „österreichische Filmwunder“ in Gang setzten, war Florian Flicker der stillste gewesen: Ein durchwegs ruhiger, nachdenklicher Mann, der besonnen und überlegt sprach, wenn er von seinen Filmen erzählte. Zwei Tage nach seinem 49. Geburtstag erlag Flicker am 23. August einem Krebsleiden. Flicker verließ sich stark auf sein Gefühl, wenn er inszenierte. Er sezierte dabei gerne zwischenmenschliche Befindlichkeiten, die er in zumeist kammerspielartigen Spielformen verortete. Sein bekanntester Film „Der Überfall“ (2000) mit Roland Düringer, Josef Hader und Joachim Bissmeier, und auch der erst zwölf Jahre danach entstandene nächste Spielfilm Flickers, die „Weibsteufel“-Adaption „Grenzgänger“, zeugten von dieser Vorliebe: „Im Metier des klassischen Kammerspiels fühle ich mich wohl“, sagte Flicker in einem unserer Interviews. „Während es in ‚Der Überfall’ um Männer unter sich ging, ist es bei ‚Grenzgänger’ mehr die Auseinandersetzung zwischen Mann und Frau in einer Dreieckskonstellation mit einer starken emotionalen Dynamik“. Der 1965 in Salzburg geborene Flicker drehte 1993 seinen ersten Spielfilm „Halbe Welt“. 1998 folgte das Roadmovie „Suzie Washington“, in dem Flicker eine als Touristin getarnte Ausländerin (Birgit Doll) bei ihrer Flucht durch Österreich begleitete. „Der Überfall“ wurde vielfach prämiert, darunter mit einem bronzenen Leoparden in Locarno. 2006 drehte Flicker die Doku „No Name City“ über den gleichnamigen niederösterreichischen Western-Vergnügungspark. Dazwischen inszenierte Flicker auch am Wiener Schauspielhaus, unterrichtete an der Wiener Filmakademie und schrieb Hörspiele und Reportagen. Mit „Grenzgänger“ gelang ihm sein Meisterstück, das immerhin mit dem Österreichischen Filmpreis in der Kategorie Drehbuch ausgezeichnet wurde, aber durchaus auch den Hauptpreis verdient hätte. Zuletzt soll Flicker an zwei weiteren Spielfilmen, einem komödiantischen und einem politischen, gearbeitet haben. Florian Flicker ging mit seinen Arbeiten stets sehr selbstkritisch ins Gericht. Für ihn war die Auseinandersetzung mit dem Stoff
die eine, die dazu passende Besetzung die andere Seite des Filmemachens. „Die Besetzung bestimmt letztlich die Atmosphäre des Films, die sich durch die Bilder ergibt. Das muss stimmig sein. Es gibt ein paar Szenen in ‚Grenzgänger’, die mir - bei allen Selbstzweifeln - selbst sehr gut gefallen“, sagte er in unserem Interview. Diese Selbstzweifel nutzte Flicker auch als Antrieb seines künstlerischen Handelns: „Der Zweifel ist ein Motor, um den Kern einer Geschichte zu finden. Wenn man vorher nicht aufgibt. Ich glaube, man hat als Regisseur von Anfang an ein Gefühl für einen Film. Für die Emotionen und die Tonlage. Der Weg dorthin besteht dann unter anderem daraus, den Ballast abzuwerfen“.
Die große Qualität von Flickers Arbeiten lag unter anderem in seinen Figurenzeichnungen, die er so entwarf, dass sie beim Publikum ambivalente Gefühle hervorriefen und die Sympathien für sie dauernd wechselten. Eine Versuchsanordnung, die nur im Kammerspiel funktioniert. „Für mich als Regisseur ist das die absolute Herausforderung, mit großem Risiko verbunden“, sagte Flicker. „Ich komme von dieser Vorliebe für das Kammerspiel einfach nicht los“. Wir hätten ihm beim Ausleben dieser Vorliebe gerne noch länger zugesehen. Matthias Greuling VIENNALE-TERMIN: 3.11., 21:00, Stadtkino im künstlerhaus
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weitere viennale-filmtipps kunft und Vergangenheit seiner Heimat. 1.11., 21:00 Stadtkino im Künstlerhaus 2.11., 14:30 Metro, Eric Pleskow Saal
LA CHAMBRE BLEUE
„Cavalho Dinheiro“ CAVALO DINHEIRO
Der neue Film des Portugiesen Pedro Costa feierte seine Weltpremiere im Wettbwerb von Locarno, wo Costa schließlich als bester Regisseur ausgezeichnet wurde. Erneut befasst sich Costa mit den Befindlichkeiten seiner Heimat und folgt in „Cavalo Dinheiro“ in überaus dunklen, kryptischen Bildern den Bewohnern des Stadtteils Fontainhas in Lissabon, wie sie auf der Suche nach dem verschwundenen Ventura sind, der in den Wäldern verloren gegangen ist. Costa übt sich in unheilvollen Beschreibungen von Zu-
Mathieu Amalrics zweite Regiearbeit: Julien Gahyde (Amalric) steht vor Gericht, weil man ihm vorwirft, seine Geliebte ermordet zu haben. Dabei hatte er ein tolles Leben mit Ehefrau und Tochter und finanzieller Absicherung. Doch die fesche Apothekerin Esther hatte es ihm angetan, und so entsponn sich eine Affäre, für die Julien regelmäßig ein Hotelzimmer mietete. Bald schon mündet die Liaison in eine Katastrophe. 2.11., 21.00, Gartenbaukino 3.11., 13.30, Stadtkino im Künstlerhaus
CLOUDS OF SILS MARIA
Olivier Assayas über die Befindlichkeiten von alternden Schauspielerinnen: Marie (Juliette Binoche) soll nach 20 Jahren Karriere erneut in dem Stück mitspielen, das sie einst berühmt gemacht hat. Damals spielte sie eine junge Frau, die ihre ältere Chefin Helena in den Selbstmord trieb. Diesmal soll sie auf Wunsch des Regisseurs (Lars Eidinger) die ältere Helena spielen, was sie und
ihre Assistentin (Kristen Stewart) zu Proben in der abgelegenen Alpenregion Sils Maria bringt. Die junge Frau soll von der unnahbaren Jo-Ann Ellis (Chloë Grace Moretz) gespielt werden, ein Hollywood-Sternchen. Das ist erst der Beginn der Konflikte. 25.10., 20.30, Gartenbau 26.10., 10.30, Gartenbau 28.10., 06:30, Gartenbau
FUTATSUME NO MADO
Die Japanerin Naomi Kawase hat betröende und zugleich zurückhaltende Bilder für Liebe, Hass, Hoffnung und Tod gefunden und zirkelt in ihrer Geschichte um den Buben Kaito und das Mädchen Kyoko. Sie sind Nachbarn und Freunde und gehen in die gleiche Schule auf der subtropischen japanischen Insel von Amami-Oshima, wo Kaito eines Tages eine tätowierte männliche Leiche findet, aber niemandem davon erzählt. 29.10., 20.30, Urania 5.11., 16.00, Stadtkino im Künstlerhaus
DIE GELIEBTEN SCHWESTERN
Dominik Graf schildert die Ménage-àtrois zwischen den Schwestern Caroline von Beulwitz (Hannah Herzsprung) und Charlot-
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te von Lengefeld (Henriette Confurius) und dem Schriftsteller Friedrich Schiller (Florian Stetter). Graf forscht an der Frage, wie lange diese recht ungewöhnliche Konstellation gut gehen kann. 1.11., 17.00, Gartenbau
Kiş UYUKUSU (WINTER SLEEP)
Die Goldene Palme von Cannes 2014 für Regisseur Nuri Bilge Ceylan: Der erzählt von Aydin (Haluk Bilginer), einem einstigen Schauspieler, der gemeinsam mit seiner jüngeren Ehefrau Nihal (Melisa Sozen) und seiner Schwester Necla (Demet Akbag) ein kleines Hotel in Zentralanatolien leitet. Im Winter ist hier nicht viel los, weshalb Aydin dann in seiner Leidenschaft aufgeht, Kolumnen mit philosophischem Inhalt für eine Lokalzeitung zu verfassen. Nicht alle aus seinem Umfeld kommen mit den ideologischen Ansichten seiner Texte klar. 4.11., 17.30, Stadtkino im Künstlerhaus 5.11., 17.30, Gartenbau
LISTEN UP PHILIP
Für Philip ist das Wichtigste im Leben er selbst. Weshalb er auch restlos davon überzeugt ist, dass sein zweiter Roman zu einem
durchschlagenden Erfolg wird. Allein: Seine Umgebung ist nicht das, was er inspirierend nennt. Und so sucht Philip sich einen Rückzugsort, und zwar im Haus seines Idols Ike Zimmerman. Alex Ross Perry inszenierte mit großem Hang zur (Selbst-)Ironie. 3.11., 18.00, Gartenbau 4.11., 23.00, Urania
hinter den Lebensalltag von Menschen, die vergessen scheinen. Ein Ensemble aus Laien führt authentisch durch diese fiktionale, jedoch überaus realistisch, beinahe dokumentarisch gefilmte (Parallel-)Welt. 29.10., 20.30, Gartenbau 31.10., 13.00, Urania
MAGIC IN THE MOONLIGHT
„Macondo“ MACONDO
Sudabeh Mortezai folgt in ihrem Spielfilmdebüt einem kleinen Buben aus der Wiener Stadtrandsiedlung „Macondo“, in der vorwiegend Asylanten leben und die von der Wiener Bevölkerung kaum bis gar nicht wahrgenommen wird. Mortezai blickt
Der neue Film von Woody Allen: Der bekannte Illusionist Stanley (Colin Firth) wird in den 20er Jahren an die Côte d’Azur befohlen, um dort einen Schwindel aufzudecken: An der französischen Riviera treibt die vermeintliche Wahrsagerin Sophie (Emma Stone) ihr Unwesen und zieht mit ihren übernatürlichen Prophezeiungen den Reichen und Schönen das Geld aus den dicken Portemonnaies. 30.10., 20.30, Gartenbau 6.11., 11.00, Gartenbau
OLIVE KITTERIDGE
Herrlich schnoddrige TV-Miniserie, produziert von HBO: Olive (Francis McDormand) lebt in der kleinen beschaulichen Stadt New England, in der alles wie in einem Musterort zu sein scheint. Doch der Schein trügt, denn
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weitere viennale-filmtipps „20.000 Days on Earth“
Mr leos carax
Tessa Louise-Salomé inszenierte diese Doku über den französischen Regie-Exzentriker Leos Carax, der mit seinen Filmen „Pola X“ oder „Holy Motors“ Publikum wie Kritiker verstört. Der Film geht auch der Frage nach, wie Carax zu einer allerorts verehrten Figur des Weltkinos wurde. 27.10., 13.30, Metro 29.10., 23.00, Urania
NATIONAL GALLERY
Episodes 1+2: 4.11., 15.30, Gartenbau Episodes 3+4: 4.11., 18.00, Gartenbau
PARTY GIRL
Die 60-Jährige Angélique (Angélique Litzenburger) ist seit Jahrzehnten Stripperin, doch die Kundschaft wird immer weniger. Da hält ihr Stammgast Michel (Joseph Bour) auch noch um ihre Hand an. Ist das endlich Angéliques Chance, das Leben als „Party Girl“ an den Nagel zu hängen? Ein ruhig inszenierter Film fernab von Skandalbildern, nüchtern und stimmig inszeniert vom Autorentrio Marie Amachoukeli, Claire Burger und Samuel Theis. Letzterer ist übrigens der Sohn der Hauptdarstellerin. 28.10., 11.00, Gartenbau 3.11., 23.30, Stadtkino im Künstlerhaus
P‘TIT QUINQUIN
Und noch eine TV-Miniserie bei der Viennale: Bruno Dumonts Krimidrama ist ausschließlich mit Laiendarstellern besetzt. Komissar und Assistent in dieser Krimiserie sind im Hauptberuf Gärnter. Episode 1+2: 25.10., 23.00, Gartenbau 6.11., 13.00, Gartenbau Episode 3+4: 25.10., 23.00, Gartenbau 6.11., 15.00, Gartenbau
LA SAPIENZA
Starre Bilder des Franzosen Eugène Green entwickeln langsam die Geschichte eines gealterten Paares: Ein Architekt, der am Sinn seiner Arbeit zweifelt, und seine Frau, eine Gruppentherapeutin, begeben sich auf eine Reise ins Tessin und treffen dort auf ein junges Geschwisterpaar. Eine Begegnung mit Folgen. Ein Schwelgen in der Schönheit (barocker) Künste gehört ebenso dazu wie die Auseinandersetzung mit Jugend und Alter.
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31.10., 21.00, Stadtkino im Künstlerhaus 1.11., 12.00, Metro, Eric Pleskow Saal TIME LAPSE
Verzwickter, gut gemachter Zeitreisethriller von Regie-Debütant Bradley King aus den USA: Eine seltsame Kamera schießt Fotos von Ereignissen, die erst in 24 Stunden stattfinden werden. Drei Freunde wollen daraus Profit schlagen, doch die Fotos werden zunehmend verstörend. 29.10., 21.00, Stadtkino im Künstlerhaus 5.11., 23.30, Gartenbau
20.000 DAYS ON EARTH
Nick Cave steht im Zentrum dieser Doku von Iain Forsyth und Jane Pollard. Die beiden begleiten den Künstler am 20.000. Tag seines Lebens, vom ersten Weckerklingeln am Morgen bis zum Strandspaziergang nach dem abendlichen Auftritt. Mit dabei in diesem überaus kreativen Tagesablauf sind auch Kollegen wie Blixa Bargeld oder Kylie Minogue. 1.11., 23.30, Gartenbau 2.11., 11.00, Gartenbau 3.11., 15.30, Urania
ALTMAN
Robert Altman wird für Filme wie „M*A*S*H“, „The Player“ oder „Gosford Park“ verehrt. Die Doku „Altman“ von Ron Mann blickt hinter die Kulissen der Karriere des Regisseurs, der sich konsequent allen Konventionen Hollywoods verweigert hat. Ein wunderbar gelungenes Stück Kino übers Kino - unbedingt sehenswert! 26.10., 20.30, Urania
MAIDAN
Es ist ein Film des eingeschränkten Blickwinkels, den Sergei Loznitsa mit „Maidan“ gedreht hat. Aber es ist ein immens wichtiger Film: Er schildert in dieser Beobachtung, wie es zu den Protesten gegen die Regierung Wiktor Janukowytschs kam und welche Ideale dafür nötig waren. 25.10., 20.30, Urania 26.10., 23.00, Gartenbau
25.10., 14.00, Gartenbau 28.10., 12.00, Urania
NATURAL HISTORY
James Bennings jüngste Arbeit ist ein Porträt des Naturhistorischen Museums in Wien. „2013 verbrachte ich, auf Einladung von Generaldirektor Christian Köberl, 17 Tage im Naturhistorischen Museum Wien. Ich filmte in Büros, Lagerräumen und Gänge. Das Resultat ist ‚natural history‘, eine 77-minütige Filminstallation, eigens für das Museum angefertigt“, sagt Benning. Detail am Rande: „Mein Film folgt einer fix vorgegebenen Struktur auf Basis den ersten 27 Ziffern von Pi“. 4.11., 13.30, Gartenbau
VON CALIGARI ZU HITLER
Filmkritiker Rüdiger Suchsland versucht sich als Doku-Regisseur: Sein stimmiger Film spürt dem deutschen Kino nach, als es ein Masenphänomen war, lange, bevor das Fernsehen kam. Suchsland untersucht die 1920er und 30er Jahre des deutschen Kinos unter der Prämisse von Sigfried Kracauers These, die damals tätigen Filmemacher hätten in ihren Werken den Nationalsozialismus und seinen Aufstieg vorausgesehen. 27.10., 18.00, Urania 28.10., 14.30, Metro, Eric Pleskow Saal
WE COME AS FRIENDS
Hubert Sauper (oscarnominiert für „Darwin‘s Nightmare“) nimmt uns im selbstgebauten Miniflugzeug mit auf eine Reise in den Sudan, das größte Land Afrikas, das in zwei Nationen aufgeteilt wurde. Sauper untersucht, wie hier neue Formen des Kolonialismus greifen und wie sie zu blutigen Auseinandersetzungen im Namen von Glaube und Ressourcen führen. Unmittelbar und echt. 2.11., 18.00, Gartenbau 4.11., 13.00, Urania
Alle Termine und Zeiten ohne Gewähr. Fotos: Viennale
die Stadt ist durchzogen von Verbrechen und anderen Tragödien. Gemeinsam mit ihrem Mann (Richard Jenkins) geht Olive den Seltsamkeiten auf den Grund...
Der meisterhafte Frederick Wiseman („La Danse“, „Crazy Horse“) hat sich für seinen neuen Dokumentarfilm ein Museum ausgesucht. Londons National Gallery und seine Mitarbeiter, die Ausstellungen und ein Blick hinter die Kulissen sind Teil des Interesses des 84-jährigen Filmemachers. Ein dreistündiger Filmreigen für Museumsfans.
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Viggo Mortensen
„Cheyenne Autumn“ (Regie: John Ford, 1940)
VIGGO MORTENSEN Er ist einer der Charaktergesichter des europäischen Films, und zugleich auch in den USA ein beliebter Kultstar: Viggo Mortensen wird in diesem Jahr bei der Viennale mit einem Tribute geehrt, in dem etliche seiner Filmerfolge zur Aufführung kommen. Etwa zwei Filme seiner dreifachen Zusammenarbeit mit David Cronenberg für „A History of Violence“ (2005), „Eastern Promises“ (2007) und „A Dangerous Method“ (2011) - letzterer spielt übrigens in Wien und wurde auch teilweise hier gedreht (wird aber nicht gezeigt). Der Bogen der Filme spannt sich aber breiter: Zu sehen sind unter anderem „The Indian Runner“ (1991) von Sean Penn und das Endzeitdrama „The Road“ von John Hillcoat (2009). Die Viennale befindet: „Indem er sich allen Klischees und Typisierungen radikal verweigert hat, ist Mortensen innerhalb wenigerJahre zu einem der interessantesten und eigenwilligsten Schauspieler seiner Generation geworden. Und sozusagen wie nebenbei zu einem Weltstar des Kinos.“
VIENNALE-RETROSPEKTIVE: JOHN FORD Das Österreichische Filmmuseum zeigt in Zusammenarbeit mit der Viennale in diesem Jahr eine große Retrospektive zum Werk von John Ford. Über 50 Filme des als Genie des Western-Genres bekannt gewordenen Regisseurs stehen auf dem Spielplan, darunter Klassiker wie „Cheyenne Autumn“ (964, Bild), „The Grapes of Wrath“ (1940), „The Horse Soldiers“ (1959), „The Long Voyage Home“ (1940) oder „She Wore a Yellow Ribbon“ (1949). John Ford war in seiner Arbeit stets auch an der Erforschung der Vereinigten Staaten und ihrer Werdung interessiert. Die Ideale und Rituale der USA schilderte er mit patriotischer Leidenschaft – und mit ausgeprägtem kritischen Bewusstsein, besonders was die notwendigen, aber schwierigen Kompromisse im Namen demokratischer Freiheit betrifft. Er sah zugleich die Utopie und ihren künftigen Zerfall, gemäß dem Leitmotiv „glory in defeat“. Info: 16. Oktober bis 30. November 2014. Österreichisches Filmmuseum, Augustinerstraße 1, 1010 Wien, Tel. 01/533 70 54, www.filmmuseum.at
Fotos: Viennale (4); Katharina Sartena
SPECIALS & TRIBUTES
„Multiple Sidosis“ von Sid Laverents (1977)
„Gabbla“ (2008) von Tariq Teguia
„Adieu au langage 3D“ (J.-L. Godard, 2014)
REVOLUTIONEN IN 16MM Erstmals widmet sich die Viennale einem Filmformat: Mit dem Einzug der digitalen Technik schwindet der Einfluss von Zelluloid auf die Branche. Dennoch ist gerade der 16mm-Film einer der wirtschaftlichsten Errungenschaften der Filmindustrie, weil er ganze Generationen von FernsehSendungen und -Serien überhaupt erst möglich machte. Auch seine Ästhetik sucht ihresgleichen, immer pendelnd zwischen Schärfewahnsinn und Filmkorn-Hysterie. Fragen Sie mal Filmstudenten! Die Viennale zeigt jedenfalls in zwölf Kapiteln eine „inoffizielle, andere Geschichte diese revolutionären Schmalfilmformats“. Wie geil!
ARABISCHE UTOPIE: Der algerische Filmemacher Tariq Teguia Der 1966 geborene algerische Photograph und Filmemacher Tariq Teguia ist nicht nur der seit Jahren wichtigste Regisseur seines Landes, sondern darüber hinaus einer der wesentlichen politischen Chronisten des sogenannten „arabischen Frühlings“. Er wird als „politischästhetischer Rechercheur und Geschichtenschreiber“ gefeiert. Sein bislang kleines filmische Werk ist der Viennale einen genaueren Blick wert; man zeigt seine Arbeiten „Ferrailles d‘attente“ (1998), „Gabbla“ (2008), „Haçla“ (2002) und „Roma wa la n‘tourna“ (2006).
CINQ FOIS GODARD Die Viennale zeigt in ihrem Spielfilmprogramm den bereits in Cannes mit viel Applaus aufgenommenen neuen Film von Jean-Luc Godard, sein erstes in 3D gedrehtes Werk. Der Film wurde in Cannes mit dem Prix du Jury ausgezeichnet. Rundherum drapiert das Wiener Filmfestival allerdings auch noch fünf weitere Arbeiten des einstigen „Nouvelle Vague“-Mitbegründers und heutigen Avantgardisten Godard. Die Viennale zeigt Godards Filme „Allemagne année 90 neuf zéro“ von 1991, „Bande à part“ von 1964, „Nouvelle Vague“ (1990) mit Alain Delon, „Puissance de la parole von 1988 und „Sauve qui peut (la vie)“ von 1980 - und taucht damit tief in das Filmuniversum eines Künstlers ein, der in den erwähnten Filmen bereits seine Wegwendung vom klassischen narrativen Film hat erkennen lassen. Der heute in einem Dorf bei Genf lebende Godard wird der Veranstaltung übrigens fernbleiben. Wie immer.
Besuchen Sie unseren Video-Channel mit aktuellen Interviews unter www.youtube.com/celluloidVideo 22
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