BÖSE
Ruzowitztky & das
STEFAN RUZOWITZKY untersucht in
„Das Radikal Böse“, was deutsche Soldaten im Zweiten Weltkrieg angetrieben haben mag, wahllos Zivilisten zu ermorden
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interview STEFAN RUZOWITZKY untersucht in „Das Radikal Böse“, was deutsche Soldaten
im Zweiten Weltkrieg angetrieben haben mag, wahllos Zivilisten zu ermorden
BÖSE
Ruzowitztky & das
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eder kann zum Mörder werden. Denn das Böse hat nicht zwingend ein schreckliches Gesicht. Diese These bildet den Ausgangspunkt für Stefan Ruzowitzkys neuen Dokumentarfilm „Das Radikal Böse“, in dem der Oscar-Preisträger („Die Fälscher“) sich mit den Tätern von einst beschäftigt: Jungen Männern, die in ihren deutschen Uniformen im Zweiten Weltkrieg Tausende (jüdische) Zivilisten erschossen haben, und das scheinbar ohne Reue und ohne Gewissen. Der innovativ montierte Film enthält auch Spielszenen, in denen Ruzowitzky den Soldatenalltag nachstellt und dadurch auch die Normalität des Bösen aufzeigt. Viele Soldaten, die Männer, Frauen und Kinder gleichermaßen ermordet hatten, rechtfertigten sich später vor den Gerichten, nur Befehle ausgeführt zu haben; das aber ist eine Lüge: Den Zwang, Zivilisten zu erschießen gab es nämlich kaum, im Gegenteil: Wer bei den Morden mitmachte, bekam „Belohnungen“ wie etwa Beförderungen oder mehr Freizeit. „Das Radikal Böse“ verdichtet die Tagebucheintragungen und Briefe von Soldaten zu einer beklemmenden Montage über die Bedingungen, unter denen ganz normale Soldaten zu Mördern wurden.
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Wir trafen Stefan Ruzowitzky zum ausführlichen Gespräch. celluloid: Herr Ruzowitzky, die Geschichten der Soldaten, die im NS-Regime mordend durch osteuropäische Städte und Dörfer zogen, ist in „Das Radikal Böse“ erstmalig aus der Sicht der Täter dargestellt. Was war die Genesis zu dieser Doku? STEFAN RUZOWITZKY: Ich hatte im Zuge der Arbeit an „Die Fälscher“ umfassend recherchiert und stieß dabei auf den Ansatz, diese Geschichte nicht nur unter dem Aspekt darzustellen, wer wann wo was gemacht hat. Es ging mehr um das Warum, um die individuelle Motivation der Täter. Das liegt mir natürlich nahe, denn wenn ich Drehbücher schreibe, geht es mir auch immer um die Motivationen meiner Figuren. Kann der Holocaust jemals überwunden werden, allein dadurch, dass der zeitliche Abstand größer wird? Er wird und muss überwunden werden. In meiner Jugend saß die Tätergeneration von einst noch an den Schalthebeln der Macht, das waren die Spitzen der Gesellschaft. Die
Kunst hatte damals auch die Aufgabe, diese Generation mit ihrer Vergangenheit zu konfrontieren. Aber das ist heute nicht mehr so. Weil es die Täter physisch de facto nicht mehr gibt, wird es dadurch möglich und auch notwendig, anders an das Thema heranzugehen. Ereignisse aus der Sicht der Täter zu schildern, so wie Sie das nun tun, ist relativ neu. Das hat man noch nicht oft gesehen. Kann das auch ein Wagnis sein, weil sich Menschen hier letztlich auch rechtfertigen können? Ja, das ist ein Wagnis. Aber wiederum hängt das sehr damit zusammen, dass die Täter nicht mehr am Leben sind. Wenn ich Täter psychologisch analysiere, kann das immer missverstanden werden als eine Art von Entschuldigung. Und es ist tatsächlich unerträglich, wenn die Täter selbst mit solchen Argumenten kommen. Deshalb war die Relativierung des Holocaust auch immer ein Tabu, weil es eben die Täter selbst waren, die sagten: „Ja, wir haben einen Völkermord begangen, aber seht Euch Stalin an, der hat noch viel mehr Menschen umgebracht!“ Das geht natürlich nicht. Hingegen müssen die
Foto: Katharina Sartena
Filmstart: 17.01.14
„Ich habe mich daran gewöhnt, nicht mit mir selbst zu hadern. Ich bin sehr kritisch mit mir.“ JOSEPH GORDON-LEVITT
Stefan Ruzowitzky schildert in „Das Radikal Böse“ die Sicht der Täter von einst
Geschichtsforschung und die Sozialwissenschaften zu einem gewissen Grad vergleichen und einen Kontext herstellen, um herauszufinden, welche wiederkehrenden Muster es bei Genoziden gibt, was in einer Gesellschaft falsch läuft, dass es zu so einer katastrophalen Entwicklung kommt und wie man das womöglich für die Zukunft verhindern kann. Sie lassen im Film ausschließlich Experten aus dem angloamerikanischen Raum zu Wort kommen. Welchen Hintergrund hat das? Vor allem sind das natürlich die Kapazitäten auf dem jeweiligen Gebiet. Andererseits begehen diese Experten im Film auch Tabubrüche: Sie ziehen Vergleiche zu anderen Genoziden, zum Beispiel zu Ruanda, oder Armenien. Weil ich eben Angst hatte, dass der Film international missverstanden werden könnte, wenn ich Deutsche oder Österreicher einsetze, und die Optik entstehen könnte, wir würden uns selbst reinwaschen wollen. Es hilft auch ungemein bei der internationalen Auswertung. Für den internationalen Markt ist das von Vorteil, alle sprechen Englisch, das war natürlich auch ein Argument dafür.
Die Darstellung der Experimente im Film sind gedreht mit Grundriss-Aufzeichnungen am Boden, das erinnert an Lars von Triers „Dogville“. Eine Inspirationsquelle dafür? Die Idee war, die Experimente so zu gestalten, dass sie an die Versuche mit weißen Mäusen erinnerten, die durch Labyrinthe laufen. Deshalb sind auch alle weiß angezogen. Natürlich erinnert das formal auch an Lars von Trier, aber es hat hier einen anderen Kontext. Bei mir geht es um das schematische Aufzeigen der Experimente. Weiße Mäuse, die gar nicht rauskommen aus dem Labyrinth. Was meinen Sie: Wären Ereignisse wie die Massenmorde von einst in unseren Breiten auch heute denkbar? Die menschliche Natur ändert sich natürlich nicht, das zeigen die Experimente in meinem Film. Es geht aber darum, welche politischen Instrumente und Institutionen verhindern können, dass wir überhaupt erst in diese Situation kommen. Es braucht oft nicht viel, eine Masse in eine falsche Richtung zu bewegen. Bei den meisten Statements der Soldaten hat man sehr wohl den Eindruck,
dass die schon wissen, dass sie etwas Falsches tun, wenn Sie Zivilisten erschießen, obwohl sie letztlich legitimiert sind durch den Staat, der sie dorthin schickt. Diesen Eindruck hatte ich auch. Die Grundhaltung war, dass es „eine schreckliche Arbeit ist, die wir da verrichten müssen. Das wünscht man sich nicht, aber es muss halt sein.“ Auch das Regime verhält sich auffällig: Diese Erschießungen passieren zwar bei helllichtem Tage, aber niemals in Deutschland, das war ihnen zu gefährlich. Man hat vielfach deutsche Juden in den Osten geschickt und sie dann dort erschossen. Man hat später auch verboten, dass die Soldaten selbst Foto- und Filmaufnahmen machen, weil man befürchtete, dass das zuhause in Deutschland nicht so gut angekommen wäre. Das war ein propagandistischer Balanceakt des Nazi-Regimes. Warum haben Sie Schauspieler ausgewählt, um die Tagebuch-Texte der Soldaten aus dem Off einsprechen zu lassen, während vor der Kamera nur Laien agieren? Wir hatten ursprünglich überlegt, auch die Texte mit Laien aufzunehmen, aber mir war
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Fotos: Katharina Sartena
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Ruzowitzky beim celluloid-Gespräch im Wiener Café Landtmann: „Wir sind nicht die Tätergesellschaft, sondern wir sind die Erben dieser Gesellschaft. Ich finde es falsch, das wir das bis heute nicht begriffen haben, aber es hat wahrscheinlich mit dem österreichischen Hang zur Selbstgeißelung zu tun, dass wir uns immer noch als die Täter hochstilisieren.“
wichtig, mit Schauspielern zu arbeiten, die ihre Stimme maximal kontrollieren können. Denn es ist ja nicht einfach, die Perspektive der Täter zu sprechen, weil da oft Dinge wie Selbstmitleid, Verstörung, völlige Gefühllosigkeit oder Stolz über die vollbrachten Taten mitschwingt. Das wollte ich in der Hand haben. In Kombination mit den unverbrauchten Gesichtern finde ich das sehr spannend. Für mich war es extrem interessant, mit Laien zu arbeiten. Das waren allesamt Statisten, die in die Kamera schauen, ohne genau zu wissen, in welchem Kontext das passiert und welches Statement im Off dabei zu hören ist. Dieses ganz reine Sich-Präsentieren ohne schauspielerisch etwas zu wollen, verleiht den Szenen eine große Kraft, finde ich. Es gibt kaum Aufnahmen der Massen-Erschießungen. Im Film sieht man nur eine. Das ist, soviel ich weiß, die einzige Aufnahme dieser Art, zumindest die einzig offiziell publizierte. Im Hintergrund sieht man Hunderte von Zuschauern, die sich diese Morde angesehen haben. In einem der Texte kommt das auch vor: Dass man da nachmittags in
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der Badehose hingegangen ist und sich zum Vergnügen diese Erschießungen angesehen hat. Weil das etwas Spektakuläres war, das man sonst nicht zu sehen bekam. Das hat dazu beigetragen, dass viele Soldaten diese Tötungen als legitim empfanden: Wenn etwas bei helllichtem Tage, mitten im Sommer vor hunderten Zuschauern stattfindet, dann kann das ja nicht so falsch sein. Nachrichtensender wie N24 oder Phoenix füllen ihr Abend- und Nachtprogramm mit einer Unmenge an Dokus über Hitler und das Dritte Reich, gefüttert mit Archivmaterial, das einst Propagandamaterial war. Können solche Aufnahmen unser Bild vom Dritten Reich verzerren? Es ist natürlich verzerrt. Was zeitgeschichtliche Dokus betrifft, findet eine Zeitenwende statt. Bisher waren die zwei Säulen Zeitzeugeninterviews und Archivmaterial. Zeitzeugen gibt es praktisch keine mehr, und wenn, dann sind das sehr alte Menschen, die damals sehr jung waren. Nach 70 dazwischenliegenden Jahren können solche Zeugen oft nicht mehr
auseinanderhalten, was sie wirklich selbst erlebt, und was sie gelesen und in Filmen gesehen haben. Was die Archivaufnahmen betrifft: Im Film versuche ich eine Dekonstruktion. Ich unterschneide Archivaufnahmen mit selbst gedrehtem Material, zerschneide die Bilder in Streifen, setze sie falsch zusammen. Mir ging es darum, dass man Archivbilder nicht mehr als Dokument akzeptieren kann, sobald sie in einem gewissen Kontext gedreht wurden. Diesen Kontext muss man entweder aufzeigen oder – wie in meinem Fall – die Bilder so auseinandernehmen, dass sie in einen völlig anderen Zusammenhang gestellt werden. Sie haben die Zerstückelung und Fragmentierung der Bilder angesprochen, die Sie mit Ihrem selbstgedrehten Material durchführen. Was war der Hintergrund für diesen innovativen visuellen Ansatz? Als wir uns das visuelle Konzept überlegten, hatte ich das Gefühl, dass das WidescreenFormat für diesen Film ganz falsch wäre. Denn ich erzähle hier von Leuten, die einen begrenzten Horizont hatten, bzw. deren Ho-
rizont begrenzt wurde und die gar nicht nach links und rechts schauen wollten. Wir wollten ursprünglich im Academy-Format 1,33:1 drehen, was sich aber als schwierig herausstellte. Wir machten dann etwas, was ich im Spielfilm ohnehin nie machen kann, weil es einen emotional zu sehr aus einer Geschichte herausnehmen würde: Wir mischten verschiedene Formate miteinander: Es gibt CinemascopeAufnahmen, zerschnittene Bilder in Streifen, mit denen ich auch visuelle Triptychons zusammengestellt habe. Das betont noch deutlicher, dass es nicht um einzelne Individuen geht, sondern um sehr viele Täter. Ein Wort noch zu Claude Lanzmann und seinen Arbeiten zum Holocaust. Hat er die richtige Form dafür gefunden? „Shoah“ hat mich in den 80er Jahren geprägt, denn das war zu der Zeit die adäquate Form der Darstellung, mit all den Zeitzeugen. Die „Shoah“-Foundation von Steven Spielberg, die er nach „Schindlers Liste“ 1993 gründete, und die Zeitzeugeninterviews sammelte, kam eigentlich schon fast zu spät, trotzdem ist sie natürlich ein ungemein wertvolles Archiv. Sie hingegen haben schon bei „Die Fälscher“ für das Thema eine zugänglichere Machart gewählt. Es gab damals vor allem im deutschsprachigen Raum die Kritik an „Die Fälscher“, dass der Film mit den Mitteln des Unterhaltungsfilms gearbeitet hat. Mein Argument dagegen war immer, dass ich ja nicht mehr zu den Tätern spreche, sondern die Geschichte für eine Generation erzähle, in der oft nicht einmal mehr die Eltern, manchmal nicht einmal mehr die Großeltern, an diesen Verbrechen beteiligt gewesen sind. Ich klage niemanden mehr an, denn die Anzuklagenden sind tot oder liegen dement in irgendwelchen Heimen, gottseidank. Da muss man jetzt neue Wege der Umsetzung suchen. Trägt Österreich Ihrer Meinung nach noch immer eine Art „kollektive Erbschuld“? Bei der Rezeption des diesjährigen ChemieNobelpreisträgers Martin Karplus, der 1938 aus Wien vertrieben wurde, schlich sich wieder eine seltsame Scham ein. Es hieß, wir Österreicher hätten Karplus damals verjagt, aber das stimmt so nicht: Es waren unsere Großeltern, die ihn verjagt haben, nicht wir. Die waren die Verbrecher. Es ist Verantwortung genug, dass wir die Erben der Täter sind, und uns etwa jetzt aktuell mit Restitutionsfragen auseinandersetzen, aber wir sind nicht mehr die Täter. Wir sind nicht die Tätergesellschaft, sondern wir sind die Erben dieser Gesellschaft. Ich finde es falsch, das wir das bis heute nicht begriffen haben, aber es hat wahrscheinlich mit dem österreichischen
Spielszenen, gepaart mit einem filmisch innovativen Blick auf Täter und Opfer: Ruzowitzkys „Das Radikal Böse“ ist ein packender Diskurs von Schuld- und Gewissensfragen
Hang zur Selbstgeißelung zu tun, dass wir uns immer noch als die Täter hochstilisieren. Sind wir nicht mehr. Die Täter sind tot, gottseidank, diese Generation gibt es nicht mehr, und jetzt kann man ehrlich, aufrecht und analytisch damit umgehen. Haben Sie sich eigentlich gefragt, wie Sie reagiert hätten, wenn Sie als Soldat in einer Truppe in Osteuropa stationiert gewesen wären? Für mich ist es gut nachvollziehbar, wie die Menschen damals in diese Sache hineingeraten sind, wie die Anfänge, die ersten Schritte dahin passiert sind. Man ist in einer Gruppe, in der man nicht nach moralisch-ethischen Grundsätzen handelt, sondern als Mitläufer dabei ist, der nicht blöd auffallen will. Man will kein Kameradschaftsschwein sein. Diese ganzen kleinlichen Gründe, die einem in der Situation wichtiger sind, als eine mutige, moralische Entscheidung zu treffen. Da stehe ich sicherlich nicht drüber, gerade in so einer Situation. Aber wo das dann hinführt, gerade, was zum Beispiel das Töten von Kindern betrifft, ist schwer nachvollziehbar. Ab dem Moment, ab dem ich selbst Kinder hatte, hatte ich etwa Probleme damit, mir Filmszenen anzusehen, in denen Kinder getötet werden. Weil ich da zu nahe dran bin, und es die ultimative Horrorvorstellung ist, dass deinen Kindern etwas passiert. Damals waren die Täter oft liebende Väter, die nach Hause schreiben, dass ihnen ihre eigenen Kinder
so unglaublich wichtig sind und sie gerade deshalb jetzt die Kinder hier erschießen. Da schießt ein Soldat aus zwei Meter Entfernung einem Kleinkind eine Kugel in den Kopf – das ist etwas, wo ich nicht mehr mitkomme und wo für mich auch psychologische Modelle versagen. Mein Interviewpartner Dave Grossman sagt einmal im Film: Du kommst in einen Teufelskreis, denn sobald du einmal etwas Schreckliches gemacht hast, musst du dir einreden: Die haben’s verdient, die sind wirklich Untermenschen und eine Gefahr mich, für meine Familie, für mein Land. Gerade deswegen muss ich jetzt mit dem Töten weitermachen, um zu bestätigen, dass das kein Versehen war. Man unterzieht sich da selbst einem Brainwashing, um sich nicht damit zu konfrontieren, dass man an einem Massenmord beteiligt war. Noch dazu, wo keiner der Soldaten tatsächlich gezwungen wurde, bei den Erschießungen mitzumachen… Richtig, man musste nicht an den Erschießungen teilnehmen. Das ist womöglich der schrecklichste Teil dieser Geschichte: Die Verweigerer berichteten, dass sie eine Rüge bekamen, und einer hatte das Gefühl, er wäre bei einer Beförderung übergangen worden oder bekam weniger Freizeit. Das war der Preis, den man dafür zahlen musste, nicht täglich Frauen und Kinder zu erschießen. Das ist nicht mehr fassbar. Interview: Matthias Greuling
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