spielfilm
Murathan Muslu als Ex-Häftling in „Risse im Beton“: „Nah, wild, roh“
Filmstart: 19.09.14
respekt und ehre UMUT DAG. Sein neuer Film „Risse im Beton“ ist
nes hineinzudenken. Umut Dag hat in stilsicherer Weise die Umgebung so genannter Migranten untersucht. Das Wien, das er zeigt, ist ein Ort der Hoffnungslosigkeit, zwischen öden Jobs, schnellem Geld, Drogenhandel und hässlichen Parks. Er trifft die Schilderung des Milieus deshalb so gut, weil ihm sei-
Regisseur Umut Dag
Katharina Sartena
D
u kannst zwar von der Straße wegkommen, aber die Straße kriegst du nie aus dir!“ Ein Satz wie dieser sitzt. Und er führt punktgenau in die Geschichte ein, die Regisseur Umut Dag in seiner zweiten Regiearbeit „Risse im Beton“ erzählt: Der 35-jährige Ertan (Murathan Muslu) wird nach zehn Jahren aus dem Gefängnis entlassen. Er saß wegen Totschlags und kommt als gebrochener Mann frei, der sich im Leben selbst jede Perspektive genommen hat. Zumindest sein 15-jähriger Sohn Mikail (Alechan Tagaev) soll nicht den gleichen Fehler begehen wie der Vater, findet Ertan. Das Problem dabei ist: Mikail hat keine Ahnung, dass der Mann, der ihm plötzlich ständig nachstellt, sein Vater ist. Mikail, der selbst lieber auf der Straße abhängt als in der Schule, und der davon träumt, ein berühmter Rapper zu werden, wird lange brauchen, um die Annäherung an Ertan zu lernen, und umgekehrt ist es auch für Ertan schwer, sich in die Welt seines Soh-
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emotional packendes Kino voller Energie. Im Gespräch verrät der Regisseur, wieso ihm sein eigener Background half, die Geschichte über Straßenkids und Perspektivenlosigkeit zu erzählen. ne beiden Hauptdarsteller hervorragend zuarbeiten. Hier sitzt jede Geste, die den ganzen Hass, die ganze Wut und den ganzen Stolz dieser jungen Männer ohne Perspektive zeigen. „Risse im Beton“ ist emotional packendes Kino voller Energie. „Man braucht ein Gefühl für das Milieu, das man filmt“, sagt Umut Dag, der die Geschichte gemeinsam mit Drehbuchautorin Petra Ladinigg geschrieben hat. „Da war mein eigener Background sicher von Vorteil“. Der 1982 geborene Regisseur wuchs als ältestes Kind einer kurdischen Einwandererfamilie in Wien Brigittenau auf. „Meine Jugend in den Bezirken, in der Hauptschule, bei den Kids war der Nährboden für das Wissen, das ich für diesen Film brauchte. Mein Hauptmotiv beim Filmemachen ist es immer gewesen, Themen aufzugreifen, die ich nicht verstehe, und die ich durch den Film verstehen lerne“, so Dag. Im konkreten Fall sind es die Jugendlichen, „die ihre Zukunft wegwerfen, bevor sie 20 sind“, sagt Dag. „Ich verstand
nicht, wie man die illusorische Vorstellung haben kann, das schnelle Geld zu machen, und das ganz ohne Bildung“. Nach der Fertigstellung von „Risse im Beton“, der seine Premiere im Februar bei der Berlinale feierte, ging Umut Dag mit dem Film in die Jugendzentren, wo er für den Dreh auch einige seiner Darsteller fand - allesamt Laien. „Wir zeigten ihnen den Film, weil wir wissen wollten, wie authentisch er geworden ist“. Verblüffend: „Viele Kids dachten, sie würden eine Doku sehen anstatt eines Spielfilms“. Dass zwischen den Jugendlichen mit Migrationshintergrund immer wieder Konflikte entstünden, liegt an ihrem (familiären) Hintergrund. „Respekt ist die Triebfeder für viele“, sagt Dag. „Viele stammen aus einer Gesellschaftsform mit völlig anderen Wertvorstellungen. Man hinterfragt sie nicht, sondern fühlt sich ihnen verpflichtet. Die Kids reiben sich gegenseitig auf, weil sie keine Selbstreflexion üben. Wenn man nicht viel hat außer Begriffe wie ‚Ehre’, wenn man weder Bildung
noch Arbeit hat, woher kommt dann das Selbstwertgefühl“, fragt Dag. Das gelungene optische Konzept seines Films hat Umut Dag gemeinsam mit Kameramann Georg Geutebrück entwickelt. „Der Film gab uns keinen Raum, das Thema visuell zu konterkarieren“, sagt Dag. „Deshalb mussten wir die Geschichte unterstreichen, ihr zuarbeiten. Alles sollte nah, wild und roh sein. Außerdem wollten wir das Umfeld und die Räume mit den Darstellern entdecken“. Daher gibt es in „Risse im Beton“ kaum Establisher oder allzu weitwinkelige Shots, alles klebt dicht an den Figuren. „Die Kamera sollte atmen, man sollte sie aber nicht spüren“, sagt Dag. HARTE REALITÄT Der visuelle Stil half dem Team auch dabei, nicht in die Falle zu tappen, eine Geschichte voller Milieukitsch zu kreieren. „Wir wollten keine Glorifizierung des Milieus, und wir wollten auch nichts schönreden, sondern das harte Leben und die Realität zeigen“. Vor allem der türkischstämmige Haupt-
darsteller Murathan Muslu trägt den Film souverän. „Haneke sagt, Murathan trägt ein Geheimnis in sich“, erzählt Umut Dag. „Er vergleicht ihn mit Brando und Javier Bardem“. Tatsächlich spielt sich Muslu mit „Risse im Beton“ in die erste Liga des österreichischen Films und ist seither gefragt wie nie. Für Umut Dag ist „Risse im Beton“ nach seinem Debütfilm „Kuma“ jedenfalls ein weiteres Stück Kino, das ihn als einen vielversprechenden Regisseur vorstellt. Einer, der seine Handschrift schon gefunden zu haben scheint, mit der er seinen Geschichten einen Stempel aufdrückt. „Als Filmemacher bist du immer auf einer Reise, musst hungrig bleiben“, sagt Dag. „Man geht so lange mit dem Film im Kopf schwanger herum, steckt viel Energie und Hoffnung rein. Die Fallhöhe ist extrem hoch, wenn es nicht funktioniert“, sagt der Regisseur. Wichtig sei nur, den Film im richtigen Moment loszulassen. „Irgendwann ist der Film geboren“, sagt Dag. „Und jetzt lernt er gehen“. Matthias Greuling