VATER
t i m n e b e L em ein r e t a V m o t n a h P
Meine väterlichen Ratgeber hießen Springsteen, Bukowski oder Nietzsche.
DIE SELTENEN TREFFEN MIT MEINEM VATER FÜHLTEN SICH SCHON IMMER AN WIE EIN PERFEKTES ERSTES DATE, BEI DEM ALLES WUNDERBAR LÄUFT – BEVOR MAN FESTSTELLEN MUSS, DASS SICH DER ANDERE DANACH NICHT MEHR MELDET.
Text: Marina Ebersbacher
Mein Uniabschluss steht vor der Tür, die Arbeit ist fertig geschrieben, es fehlt nur noch die Defensio. Gefeiert soll es werden, das Ende eines turbulenten und lehrreichen Lebensabschnittes, hat der Kleinfamilienrat beschlossen. Ich füge mich seinen Wünschen, schließlich steht er als Sponsor meines akademischen Grades an oberster Stelle. Während ich die Gästeliste schreibe, halte ich inne. Soll ich ihn auch einladen? Würde er kommen? Interessiert es ihn überhaupt? Bald ist es wieder ein Jahr her, dass ich ihn gesehen habe. Er, der Idealisierte. Er, der Verteufelte. Er, der Unerreichbare. Mein Vater. Ein Jahr in dem viel passiert ist, wir wissen vom anderen
22 02/2018 ALLES FÜR MEIN KIND
allerdings nicht mehr, als in eine SMS passt. Und auch diese sind äußerst rar. Ich weiß, wenn wir uns wiedersehen, wird es prächtig laufen. EIN IDEALBILD ZERBRICHT AN DER WIRKLICHKEIT Wir werden Bier trinken, uns stundenlang unterhalten, niemals wird uns der Gesprächsstoff ausgehen. Dazu sind wir uns zu ähnlich. Nicht nur äußerlich. Wir verstehen uns gut. Haben wir eigentlich immer. Trotzdem war er nie greifbar. Wie ein Phantom. Treffen mit meinem Vater fühlten sich seit jeher an wie ein perfektes erstes Date, bei dem alles wunderbar läuft
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