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Kinder ohne Mütter Fotos: Andrea Diefenbach / Land ohne Eltern
» Ich habe viel Zeit mit drei Mädchen verbracht, die im Gebäude einer alten Kolchose wohnten. Die Verhältnisse waren sehr ärmlich, neben der Küche war der Gänsestall. Ihre Mutter ging nach Italien, als sie acht, zehn und zwölf Jahre alt waren. Die älteste Tochter übernahm die Mutterrolle, kümmerte sich um die Wäsche der jüngeren Schwestern, einmal in der Woche machte sie Schafskäse. « Andrea Diefenbach
4 02/2013 Alles für Mein Kind
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Alltag in Moldau – ein Baby, einsam im verlassenen Bett der Eltern.
Es war einmal ein stolzes Fürstentum in Osteuropa. Über Nacht, als die Sowjetunion zusammenbrach, stürzte das Land im Jahr 1991 in die Anarchie. Zwanzig Jahre nach der Unabhängigkeit ist dieses Land mit Abstand das ärmste Land Europas. Das einzige europäische Entwicklungsland. Es handelt sich um die Republik Moldawien: zwischen Rumänien und der Europäischen Union im Westen gelegen und der Ukraine und den Resten des russischen Imperiums im Osten. In Moldawien ist gleichzeitig auch Europa am Ende. Eine Arbeitslosenquote von 80 % hat bis jetzt schon eine Million Menschen gezwungen, ihre Heimat in alle Himmelsrichtungen zu verlassen. Ein Viertel der Bevölkerung, darunter auch sehr viele Mütter. Verzweifelt lassen sie ihre Kinder zurück und schmuggeln sich illegal in Richtung Westeuropa, vor allem nach Italien und Österreich, um als Putzfrauen oder Haushälterinnen zu arbeiten.
6 02/2013 Alles für Mein Kind
Sie besuchen ihre Kinder sehr selten. Alle zwei, vier oder sogar sechs Jahre. Es fehlt nicht nur am Geld, es fehlen auch die „Papiere“. Wie Sibylle Hamann in „Die verlassenen Kinder von Moldau“ im Falter schreibt, ist „jeder Grenzübertritt ein Risiko, denn man könnte erwischt werden. Also bleibt man noch ein Jahr, und noch eines.“ Fast jedes dritte Kind wächst in Moldawien ohne Mutter auf. Mehr als 250.000 Kinder bleiben allein. Mit den Vätern, auf sich selbst gestellt oder bei Großeltern, falls sie noch leben. Die Selbstmordrate bei Kindern ist in letzter Zeit deutlich gestiegen. In diesem „Armenhaus“ beschließen schon Acht- bis Zehnjährige, nicht mehr leben zu wollen. Das alles gerade einmal eineinhalb Flugstunred den von Wien entfernt.
Zwölfjährige als Familienoberhäupter, die ihre Geschwister versorgen müssen, oder überforderte Großeltern, die plötzlich für ihre Enkel die ganze Verantwortung übernehmen müssen. Sehr oft sind die Großeltern mit dieser Situation völlig überfordert
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Telefonieren mit der Mama. Oft spenden die Stimmen ein wenig Trost.
Viele Kinder in Moldawien kennen ihre Mutter nur vom Bildschirm. Sie skypen einmal in der Woche und versuchen auf diese Weise, die emotionale Distanz zu mildern. Oder sie lernen sich überhaupt erst virtuell kennen.
Kinder alleine zu Hause. Wenn keine Großeltern, Verwandten oder Freunde da sind, meistern die Kinder ihren Alltag alleine. Neben der Schule schaukeln sie noch den ganzen Haushalt und versorgen sich selbst. Viele sind völlig überfordert.
8 02/2013 Alles für Mein Kind
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Land ohne Eltern
Andrea Diefenbach / land ohne Eltern Kehrer Verlag Heidelberg ISBN 978-3-86828-337-2 / 39,90 Euro
Mama Illegal
Der vielfach ausgezeichnete ORFJournalist Ed Moschitz („Am Schauplatz“) legt mit seinem ersten Kino-Dokumentarfilm „MAMA ILLEGAL“ eine präzise Langzeitstudie vor. Ein berührendes Kinodebüt.
Autoren: Dumitru Crudu, Grigore Vieru, Nicola Abé „Als ich im April 2008 in der Schule eines kleinen Dorfs im Südosten der Republik Moldau stand, wo die Lehrerin fragte: ‚Wessen Eltern leben in Italien?‘ und etwa zwei Drittel der Kinder mit einer Mischung aus Stolz und Verlegenheit aufzeigten, war ich erschrocken. Es ist etwas völlig anderes, all die Statistiken über Arbeitsmigranten und Rücküberweisungen zu lesen, als in einem kalten Klassenraum vor 30 Sechsjährigen mit Wollmützen zu stehen und zu wissen, diese Kinder haben ihre Eltern oft seit Jahren nicht gesehen ...“
Eine Chance für kinder In der Stadt Pirita in der Republik Moldau hat die Concordia Sozialprojekte eine „Stadt der Kinder“ errichtet, wo 245 verlassene Kinder ein neues Zuhause finden. Sie wollen helfen? PS Concordia Sozialprojekte IBAN: AT66 3200 0000 0703 4499 BIC/SWIFT: RLNWATWW Danke für Ihre Spende!
Andrea Diefenbach, deutsche Fotografin, ist Autorin des berührenden Bildbandes „Land ohne Eltern“. Ihre Fotografien verdeutlichen geradezu schmerzhaft die Distanz zwischen zwei räumlich voneinander getrennten Welten: die der in der Heimat zurückgelassenen Kinder und jene der Eltern in der Ferne.
1. Preis beim n-ost Reportagepreis Ein Gewinner beim PDN Photography Annual Award 2013 Nominierung beim Kindernothilfe Medienpreis
10 02/2013 Alles für Mein Kind
Sie leben unter uns und bleiben dennoch unsichtbar. Sie putzen unser Klo, machen unsere Betten und pflegen unsere Eltern. Wir lassen sie in unser Haus, doch kaum jemand kennt ihre Geschichte. Drei Mütter verlassen die bittere Armut Moldawiens, um illegal in Österreich und Italien als Putzfrauen zu arbeiten. Während diese Frauen getrennt von ihren Familien und ihrer Heimat dem Traum von einem besseren Leben folgen, wachsen ihre Kinder allein auf. Sie geben den Schleppern ihre Ersparnisse und riskieren auf ihrer Reise nach Westeuropa ihr Leben: Aurica, Raia und Natas¸a, drei Mütter aus einem kleinen moldawischen Dorf.
Hauptpreis beim „One World“ Menschenrechtsfilmfest Brüssel, Belgien Dokumentarfilmpreis der Stadt Freistadt für den besten Dokumentarfilm im Rahmen des Festivals DER NEUE HEIMATFILM 2012 One World International uman Doc FF Kyrgyzstan 2012, Best Film mujerDoc 2013 Award for Medium-length film/Full-length film International Documentary Film Festival Zagreb 2013, Special Mention
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