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Die Einbindung von Kindern in die Befassung der Familiengerichtshilfe

ASTRID ZIERER*

Im Jahr 2023 blickt die bundesweite Familiengerichtshilfe auf ihr zehnjähriges Bestehen zurück. Anlässlich dieses Jubiläums werden in der iFamZ Beiträge und Erläuterungen Einblick in die einzelnen Aufgaben der Familien- und Jugendgerichtshilfe geben.

Kinder stehen im Zentrum von Obsorge- und Kontaktrechtsverfahren, somit auch der Tätigkeit der Familiengerichtshilfe. Dieser Beitrag gibt einen Überblick darüber, wie Kinder – ua abhängig von der Familienkonstellation sowie von Auftrag und Fragestellung des Gerichts – auf unterschiedliche Weise in die Befassung der Familiengerichtshilfe eingebunden werden.

I.Grundlegendes

* Das Ziel von Obsorge- und Kontaktrechtsverfahren liegt in der Wahrung des Kindeswohls nach § 138 ABGB. Dabei ist besonders darauf zu achten, dass die Kinder durch diese Verfahren nicht zusätzlich belastet werden.1 Es ist Teil des Kindeswohls, dass die Meinung des Kindes abhängig von dessen Verständnis und Fähigkeit zur Meinungsbildung berücksichtigt wird. Weiters sollen Beeinträchtigungen, die ein Kind durch eine Um- oder Durchsetzung von Maßnahmen gegen dessen Willen erleiden könnte, vermieden werden. Rechte, Ansprüche und Interessen des Kindes sollen gewahrt bleiben sowie Loyalitätskonflikte und Schuldgefühle des Kindes reduziert werden. Gem § 105 AußStrG sind Kinder in Verfahren über Pflege und Erziehung oder die persönlichen Kontakte vom Gericht zu hören. Unter bestimmten Umständen kann dieses Gespräch auch unterbleiben oder von einer geeigneten anderen Stelle, zB der Familiengerichtshilfe, übernommen werden.

Dettenborn schlägt vor, „unter familienpsychologischem Aspekt als Kindeswohl die für die Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes oder Jugendlichen günstige Relation zwischen seiner Bedürfnislage und seinen Lebensbedingungen zu verstehen“.2 Daraus kann die Aufgabe der Familiengerichtshilfe abgeleitet werden, ein gutes Verständnis für die aktuellen Bedürfnisse des betroffenen Kindes sowie für dessen aktuelle und durch die Veränderung von Obsorgeund/oder Kontaktrechtsregelungen möglichen Lebensbedingungen zu bekommen. Um dies zu ermöglichen, werden die Kinder je nach Alter, Auftrag des Gerichts und Thema der elterlichen Uneinigkeit auf die eine oder andere Art aktiv/direkt oder lediglich passiv/indirekt in die Befassung der Familiengerichtshilfe eingebunden. 3

Es kann für Kinder sehr belastend sein, die unterschiedlichen Sichtweisen der Eltern mitzuerleben und ihren diesbezüglichen Konflikten ausgesetzt zu sein. Die Familiengerichtshilfe hat immer wieder mit Eltern(teilen) zu tun, die vorschlagen, das Kind entscheiden zu lassen, wie zB das Kontaktrecht geregelt sein soll oder bei welchem Elternteil es wohnen möchte. Nach fachlicher Einschätzung bringt dies

*Mag.a Astrid Zierer, MSc war Mitarbeiterin der Familien- und Jugendgerichtshilfe Linz.

1 Erlass zur Familiengerichtshilfe vom 13. 1. 2022, 2021-0.333.184, 5.

2 Dettenborn, Kindeswohl und Kindeswille (2021) 50.

3 Zu unterschiedlichen Sichtweisen und Formen des Einbezugs von Kinder bei Begutachtung und Beratung s Fichtner, Trennungsfamilien – lösungsorientierte Begutachtung und gerichtsnahe Beratung (2015) 129 ff.

Kinder oftmals in einen Loyalitätskonflikt, der eine weitere Steigerung der Belastung des Kindes und dessen Überforderung zur Folge haben kann. Nach Barth-Richtarz können Loyalitätskonflikte „gemildert werden, indem Eltern den Kindern die Botschaft vermitteln, dass sie es ausdrücklich wünschen, dass das Kind auch zum anderen Elternteil eine gute Beziehung hat, und dass es in Konfliktsituationen zwischen den Eltern nicht Sache des Kindes ist, zu entscheiden, wer von beiden Recht hat und auf wessen Seite es sich folglich stellen müsste“.4 Zu seinem eigenen Schutz hat das betroffene Kind im Gerichtsverfahren keine formelle Entscheidungskompetenz.5 Aus Sicht der Familiengerichtshilfe steht bei den Gesprächen mit den Kindern im Vordergrund, ihnen einen Ort zu bieten, an dem sie ihre Bedürfnisse, Befindlichkeiten und Belastungen mitteilen können.

Von den Fachkräften der Familien- und Jugendgerichtshilfe wird stets mitbedacht, ob für das betroffene Kind im laufenden Verfahren ein Kinderbeistand oder eine andere Unterstützungsmaßnahme zielführend ist. Gegebenenfalls wird das in den fachlichen Stellungnahmen der Familiengerichtshilfe fachlich begründet empfohlen.

II.Art der Teilnahme der Kinder

Bei den meisten Aufträgen seitens des Gerichts liegt es im Ermessen der zuständigen Fachkraft der Familiengerichtshilfe, zu entscheiden, ob und wenn ja, in welcher Form das betroffene Kind aktiv/direkt miteinbezogen wird. Ausgenommen davon sind Aufträge, bei denen das Gericht explizit ein Kindergespräch beauftragt.

Im Folgenden wird näher ausgeführt, wann und in welcher Form Kinder aktiv/direkt oder passiv/indirekt an der Befassung der Familiengerichtshilfe teilnehmen.

A.Aktive/direkte Teilnahme

Einen direkten Kontakt zwischen dem betroffenen Kind und der Familiengerichtshilfe kann es im Rahmen von Gesprächen mit dem Kind, Interaktionsbeobachtung,6 Verhaltens- beobachtungen7 und Hausbesuchen im Haushalt der Elternteile geben. Eine Anwesenheit der Kinder bei Gesprächen mit den Eltern wird gewöhnlich abgelehnt, um diese nicht zusätzlich zu belasten. Ausnahmen kann es hierbei bei explizit in dieser Form geplanten Gesprächen geben.

4 Barth-Richtarz, Was brauchen Kinder unterschiedlichen Alters angesichts der Scheidung ihrer Eltern? (2006) 188.

5 Vgl Dettenborn, Kindeswohl, 114.

6 Videogestützte Interaktionsbeobachtung, bei der hinsichtlich einer konkreten Fragestellung entsprechend den Vorgaben im internen Handbuch zur Interaktionsbeobachtung der Familien- und Jugendgerichtshilfe strukturiert vorgegangen und Beobachtetes systematisch ausgewertet wird. Beobachtet wird gewöhnlich die Interaktion zwischen einem Kind und einem Elternteil. S dazu Jacob, Interaktionsbeobachtung von Eltern und Kind (2016).

Mitglieder interner Arbeitsgruppen der Familien- und Jugendgerichtshilfe erstellen Standards für verschiedene Aspekte der Tätigkeit und entwickeln diese bei Bedarf und wissenschaftlichen Neuerungen weiter. Solche gibt es zB für die Interaktionsbeobachtung und für die Gesprächsführung mit Kindern. Letztere beinhalten ua eine Aufklärung über die Weitergabe des Gesagten sowie die Anpassung des Settings und der Gesprächsführung an das betreffende Kind bzw den richterlichen Auftrag. Ein Hören des Kindes im Sinne der Ermittlung von dessen Wünschen, Anliegen und Sorgen und gegebenenfalls eines Kindeswillens findet bei der Familiengerichtshilfe gewöhnlich und bei altersgemäßer Entwicklung ab einem Alter von sechs Jahren statt. Die Gesprächsführung wird seitens der Familiengerichtshilfe an das Alter und die Entwicklung des Kindes angepasst 8 Verhaltens- und Interaktionsbeobachtungen ermöglichen der Familiengerichtshilfe direkte Wahrnehmungen zum Umgang des Kindes und des Elternteils miteinander. Aus diesen Situationen können durch die Auswertung vorab festgelegter Beobachtungskategorien oftmals Rückschlüsse auf die Beziehung gezogen werden. Zudem können Wünsche und/oder besondere Bedürfnisse des Kindes sichtbar werden. In den meisten Fällen dient das Gespräch mit dem betroffenen Kind dazu, dessen Anliegen, Meinungen, Wünsche und Sorgen zu erheben. Fichtner 9 nennt als zentrale Fragenbereiche den Entwicklungsstand, die Ressourcen und die Belastungen des Kindes, dessen Betreuungserleben und Umfeld sowie die Beziehungen und Wünschen des Kindes. Weitere Themen, die sich als für die Belastungen von Kindern aus Hochkonfliktfamilien besonders relevant erwiesen haben, sind, wie Kinder den elterlichen Konflikt, die Trennung von einem Elternteil, die wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen, weitere nötige Anpassungsleistungen ihrerseits sowie das elterliche Erziehungsverhalten erleben und bewältigen. Wie bereits ausgeführt, liegt der Fokus der Familiengerichtshilfe bei den Gesprächen darauf, herauszufinden, wie es dem betroffenen Kind geht und was es beschäftigt und braucht.

Im Rahmen einer Besuchsmittlung kann es sinnvoll sein, einem Kind die Tätigkeit der Familiengerichtshilfe zu erklären. Wenn es den Eltern gelingt, in der Besuchsmittlung oder im Clearing eine Vereinbarung zu erarbeiten, kann das Kindergespräch dazu dienen, diese dem betroffenen Kind zu erklären. Zudem gibt es eine Sonderform des Auftrags, im Rahmen einer spezifischen Erhebung ein Kindergespräch zu führen, bei dem das Gespräch der Familiengerichtshelfer: innen mit dem betroffenen Kind im Beisein der/der zustän- digen Richter:in stattfindet. Dabei wird das Kindergespräch von der Familiengerichtshilfe gestaltet und geführt, an einigen Standorten bringt sich der/die Richter:in jedoch gegen Ende des Gesprächs selbst ein.

7 Verhaltensbeobachtungen kann es in strukturierter Form oder als Gelegenheitsbeobachtungen geben. Der Unterschied zur Interaktionsbeobachtung besteht darin, dass die Interaktion zwischen dem Kind und der anderen Person (zumeist einem Elternteil) nicht mittels Videos aufgezeichnet und nicht anhand der im internen Handbuch zur Interaktionsbeobachtung der Familien- und Jugendgerichtshilfe festgelegten Kriterien ausgewertet wird.

8 Vgl Delfos, „Sag mir mal …“ Gesprächsführung mit Kindern (2015).

9 Vgl Fichtner, Trennungsfamilien, 136.

Bei fachlichen Stellungnahmen überprüft die Familiengerichtshilfe teilweise, ob es sich bei dem vom betroffenen Kind geäußerten Wunsch um einen Kindeswillen entsprechend der fachlichen Definition handelt. Dettenborn definiert den Kindeswillen als „altersgemäß stabile und autonome Ausrichtung des Kindes auf erstrebte, persönlich bedeutsame Zielzustände“.10 Er nennt Zielorientierung (Vorstellung dazu, was sein soll und wie dies erreicht werden kann), Intensität (die Zielvorstellung wird entschieden und auch bei Hindernissen angestrebt), Stabilität (der Wunsch bleibt über eine zeitliche Dauer hinweg stabil und wird gegenüber verschiedenen Personen kommuniziert) und Autonomie (es handelt sich um ein individuelles, selbst initiiertes Streben11) als Mindestanforderungen an das Vorliegen eines Kindeswillens.

Der Kindeswille soll zur Kenntnis genommen, geprüft und abhängig von seinem Verhältnis zum Kindeswohl und anderen Kindeswohlkriterien berücksichtigt werden.12 Ist es für Kinder nicht nachvollziehbar, warum ihr Wille nicht berücksichtigt wird, kann dies zB zu einer Labilisierung ihrer Selbstwirksamkeitserwartung und ihres Selbstvertrauens oder zum Verlust ihrer Orientierung führen.13 Daher sollte gelten: „So viel Akzeptierung des Kindeswillens wie möglich, so viel staatlich reglementierender Eingriff wie nötig, um das Kindeswohl zu sichern.“14 Daraus ergibt sich, dass auch ein Kindeswille nie das alleinige Kriterium für eine fachliche Einschätzung seitens der Familiengerichtshilfe sein kann und deren Empfehlungen dem geäußerten Kindeswillen durchaus auch widersprechen können.

Fichtner spricht von einer Vermittlungs- bzw Übersetzungsfunktion von Berater:innen und Sachverständigen: „Zum einen ist das Kind zu unterstützen, die eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu erkennen, zum anderen sind diese dann den Eltern zu vermitteln.“15 Dies findet bei der Familiengerichtshilfe vor allem bei Besuchsmittlungen, aber auch in den anderen Produkten Anwendung.

B.Passive/indirekte Teilnahme

Selbst wenn mit dem betroffenen Kind kein Gespräch geführt wird oder es keine Verhaltens- oder Interaktionsbeobachtung gibt, stehen das Kind und seine Bedürfnisse im Fokus der Familiengerichtshilfe. So bringt das Studium des Gerichtsakts oftmals Informationen dazu, wie lange die elterlichen Konflikte schon andauern und wie deren Ausmaß einzuschätzen ist, ob es besondere Lebensumstände des Kindes und/oder der Familie gibt, Eltern das Kind als belastet einschätzen und ob das Kind schon einmal gerichtlich befragt wurde. In den Gesprächen mit den Elternteilen werden diese

10 Vgl Dettenborn, Kindeswohl, 64 ff.

11 Dies schließt Fremdeinflüsse bei der Entwicklung des Willens nicht aus. Selbst ursprünglich induzierte Inhalte können vom betreffenden Kind verinnerlicht und Teil von dessen Identität werden. S dazu Dettenborn, Kindeswohl, 69, 95.

12 Vgl Dettenborn, Kindeswohl, 112 ff.

13 Vgl Dettenborn, Kindeswohl, 115.

14 Dettenborn, Kindeswohl, 83.

15 Fichtner, Trennungsfamilien, 138 f.

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