#selfiextended: Begleitheft

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#selfiexten d e d

Irgendwas zwischen Vermittlung und KlugscheiĂ&#x;erei.

Begleitheft zur Ausstellung



Inhalt

5 #Selfie, 13 14 16 17 18 20 20

Hashtags Selbstbildnis Spiegel KĂśrper GrenzĂźberschreitung Jugend Imagepflege


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„die rechte Hand / größer als der Kopf, stößt auf den Zuschauer zu / und weicht sacht aus, wie um zu schützen, was sie zeigt.“


#Selfie Kunst auf Armlänge

Selfie wurde im November 2013 vom Oxford English Dictionary zum internationalen Wort des Jahres gekürt. Doch der Trend scheint seinen Zenit noch nicht erreicht zu haben. Weiterhin werden tagtäglich unzählige der schnellen Selbstporträts in diverse InternetPlattformen eingespeist. Durch die spontane und unkonventionelle Art und Weise, wie Selfies aufgenommen und in weiterer Folge „vertrieben“ werden, haben sich verschiedene Aspekte der sozialen Interaktion sowie der öffentliches Selbstdarstellung verändert. Auch die Grenzen zwischen Privaten und Öffentlichen haben sich dadurch gründlich verschoben.


Selfie wurde im November 2013 vom Oxford English Dictionary zum internationalen Wort des Jahres gekürt. Doch Trend scheint seinen Zenit noch nicht erreicht zu haben. Weiterhin werden tagtäglich unzählige der schnellen Selbstporträts in diverse InternetPlattformen eingespeist. Durch die spontane und unkonventionelle Art und Weise, wie Selfies aufgenommen und in weiterer Folge „vertrieben“ werden, haben sich verschiedene Aspekte der sozialen Interaktion sowie der öffentliches Selbstdarstellung verändert. Auch die Grenzen zwischen Privaten und Öffentlichen haben sich dadurch gründlich verschoben. Obwohl ein Selfie lediglich die Kombination eines Selbstporträts und eines Schnappschusses darstellt, unterscheidet es sich wesentlich von eben jenen Formen. Traditionelle Selbstporträts entstehen deutlich weniger spontan und ungeplanter als ein Selfie. Darüber hinaus besitzt das Selfie eine eigenständige formale Bildsprache. Diese unterscheidet sich stark von der Bildsprache der Selbstbildnisse von renommierten Künstlern, aber auch von jener von den früheren Schnappschüssen von Laien. Der spezielle Amateur-Touch der Fotos ist vor allem auf die Handykamera zurückzuführen. Anders als bei Selbstporträts mit (analogen oder digitalen) Fotoapparaten, ist es nicht möglich das Handy (auf einem Tisch, Stativ, etc.) abzustellen und das

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Foto per Selbstauslöser zu schießen. Auf Grund dessen existieren heute zwei verschiedene Arten von Selfies: das Spiegel-Selfie (weniger stark verbreitet) und die viel häufiger auftretenden Selfies, welche mit ausgestreckten Armen aufgenommen werden. Diese beiden Kategorien unterscheiden sich formal von einander, aber auch die Motivwahl scheint von der Aufnahmeart abhängig zu sein. Während es dem Fotografen beim Spiegel-Selfies möglich ist, die Komposition vor der Aufnahme zu überprüfen und mitzugestalten, ist dies ohne Spiegel eine weitaus schwierigere Aufgabe. Zudem erlaubt die Aufnahme mit ausgestrecktem Arm nur eine geringe Distanz zwischen der Linse und Motiv. Dies führt zum typischen Selfie-Look, welcher häufig von schiefen Aufnahmewinkel, kleinen Bildausschnitten und übergroßen Nasen dominiert wird. Um die, vom Weitwinkelobjektiv verzogene Nase wiederrum etwas zu verkleinern, werden die Fotos zumeist von schräg oben aufgenommen. All jene Faktoren lassen nur einen geringen Spielraum an Variationen der Selfiekompositionen zu und führen schlussendlich zu der gemeinsamen genormten Bildsprache der Selfies. Ein wenig anders verhält es sich bei den oben erwähnten Spiegel-Selfies. Hier gibt es das Problem des schiefen Aufnahmewinkel, der Weitwinkelverzerrung und des kleinen Bildausschnittes nicht, da ja die Entfernung zum Spiegel


beliebig groß gewählt werden kann. Da es beim Spiegel-Selfie möglich ist, den gesamten Körper abzubilden, werden sie gerne für Halb-Akte herangezogen, welche sich im Selfieuniversum großer Beliebtheit erfreuen. Darüber hinaus finden sie Anwendung bei den sogenannten Selfie Olympics. Hier geht es darum, das blödeste und verrückteste Selfie zu machen. Die Posen hierfür erreichen einen durchaus bizarren Charakter, welche ohne Zuhilfenahme eines Spiegels nicht zum Ausdruck kämen, da andernfalls der Bildausschnitt viel zu klein wäre. Ein weiterer interessanter Gesichtspunkt der Spiegel-Selfies sind die Aufnahmeorte. Anderes als beim Selfie, mit der ausgestreckten Hand, sind hier die Möglichkeiten, wo das Selfie entstehen kann, begrenzt. Neben Schlafzimmern, Fitnessstudios und Umkleidegarderoben erfreuen sich Badezimmerspiegel einer hohen Beliebtheit. Da normalerweise gerade das Badezimmer als ein sehr privater Ort empfunden wird, entsteht hier eine bemerkenswerte Verschiebung zwischen Öffentlichkeit und Privatem. Doch nicht nur die Bildsprache, sondern auch die Entstehung eines Selfie selbst besitzt eine Singularität in der Fotografie. Laut Definition der Oxford Dictionaries ist ein Selfie „A photograph that one has taken of oneself, typically one taken with a smartphone or webcam and shared via social media“.1 Somit ist davon auszu-

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gehen, dass die anschließende Veröffentlichung des Fotos auf diversen Social Media Plattformen bereits beim Entstehen des Bildes mitgedacht wird. Die Präsentation der eigenen Person im Internet und die damit einhergehende Kreation eines Images stehen gewissermaßen in einem Widerspruch zum spontanen Schnappschuss und all seinen oben erwähnten Unzulänglichkeiten. Deswegen sind Selfies zwar improvisiert und schnell, nie aber zufällig. Denn auch die Gelegenheitsbilder müssen erst vom Fotografen als angemessen eingestuft werden, bevor sie in den Netzwerken gepostet werden. Dies setzt ein performatives Bewusstsein und ein gewisses Maß an Selbstironie voraus. Selbstironie mag ein Grund für die zahlreichen, wenig schmeichelhaften Selfies im Netz sein. Stars, wie Rihanna oder Kim Kardashian, nützen unvorteilhafte Fotos gerne, um für ihre Fans ein bisschen „echter“ und „menschlicher“ zu wirken. Gleichzeitig bestätigen diese ungünstigen Fotos, die Echtheit aller Fotos, also auch jener, die sie von ihrer besten Seite zeigen. Somit wird das Image der Stars gleich mehrmals aufgewertet: Einerseits durch den Mut zu Hässlichkeit, was sie nahbarer macht und von ihrem Humor zeugt, andererseits durch den Nachweis, dass das supersexualisiertes Image der Medien tatsächlich mit ihrer echten Person übereinstimmt.2


Trotz all dieser genannten Unterschiede zu kunsthistorischen Vorläufern, findet man in zahlreichen Werke Bausteine, aus denen die Wurzeln und Strukturen der Selfies entstanden sind. Auf der Suche nach Spurenelementen findet man zum Beispiel starke Selfie-Echos in Van Goghs großartigen Selbstporträts — sie wirken ebenso eindringlich und direkt, und sie sprechen von einem ähnlichen Bedürfnis, der Welt einen lebensnahen, ausdrucksstarken Blick in sein Innerstes zu gewähren. Ein weiterer wichtiger Wegbreiter für den Selfie-Look ist M. C. Escher mit seiner Lithographie Hand mit Kugel von 1935. Auf einer Kugel spiegelt sich die Gestalt des Malers mit den für Selfies typischen verzogenen Konturen. Die eigenartige Komposition wird vom verzogenen Gesicht des Künstlers in einem konvexen Spiegel bestimmt, den er in der Hand eines seltsam perspektivisch verkürzten Armes hält. Das Bild erinnert von der Entfernung, der geringen Tiefe und dem merkwürdigen Ausschnitt her an die modernen Selfies. Das wohl älteste, uns heute bekannte PräSelfie, ist vermutlich Parmigianinos Selbstporträt im konvexen Spiegel. Es zeigt alle Merkmale des Selfies: Das Gesicht des Porträtierten aus einer bizarren Perspektive, den verlängerten Arm, den knappen Abstand, die bildliche Verzerrung, die nachdrückliche Intimität. Der Dichter John

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Ashbery schrieb über das Gemälde (und, wie es scheint, über alle guten Selfies) „die rechte Hand / größer als der Kopf, stößt auf den Zuschauer zu / und weicht sacht aus, wie um zu schützen, was sie zeigt.“3

1. 2. 3.

http://www.oxforddictionaries.com/definition/english/selfie http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/selfies-selbstportraetsim-social-web-zur-imagepflege-a-905354.html http://www.monopol-magazin.de/blogs/der-kritiker-jerry-saltzblog/2013287/Jerry-Saltz-ueber-Selfies.html


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„I’m sexy and I know it.“


Hashtags Erforschung der Selfieseele

Zwischen Selfies und Kunstwerken aus verschiedensten Epochen lassen sich zahlreiche Bezüge herstellen. Die Analyse der genormte Bildsprache brachte folgende Leitmotive zutage: Selbstbildnis, Körper, Jugend, Spiegel, Imagepflege, Grenzüberschreitung.


Selbstbildnis. Der wohl augenscheinlichste Zusammenhang zwischen Selfies und Disziplinen der Hochkultur ist jener des Selbstporträts. Das Selbstbildnis zeichnet gegenüber allen anderen Formen des Porträts eine Besonderheit aus: Der Künstler ist nicht nur der Schöpfer des Werkes, sondern macht sich selbst zugleich zum Thema. Er ist der Autor und Schöpfer seines Werkes in einer Person.1 Selbstbildnisse können heute unterschiedliche Anforderungen erfüllen. So dienten sie, vor allem in der Frühen Neuzeit, der Schaffung von Identitäten. Zu dieser Zeit wurden Identitäten weniger als etwas Gegebenes betrachtet, sondern vielmehr als etwas Angenommenes und Konstruiertes – als eine von vielen Rollen, die man tagtäglich annimmt. Dadurch kommt dem Selbstbildnis, als Mittel der Image-Formung, gerade in jener Zeit eine eminente Bedeutung zu. Diese Formen der Selbstkonstruktion sind aber nicht auf die Frühe Neuzeit beschränkt und finden sich so oder ähnlich auch in Selbstbildnissen des 19. Jahrhunderts und der Moderne. Jedoch gibt es seit der Aufklärung einen entscheidenden Unterschied: Diese Identitäten werden nicht mehr nur als Rollen angesehen, sondern vorranging als Ausdruck des tieferen Wesens einer Person verstanden. Da durch das Aufkommen der Fotografie im 19. Jahrhundert nun Porträtaufnahmen, in bislang unbekannter Präzision und

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Schnelligkeit, erstellt werden konnten, war das bloße, realitätsnahe Abbild der eigenen Person mit Mitteln der Malerei überholt. Zudem drang Medizin und Psychologie immer tiefer in das Innere des Menschen ein, wodurch sich die Vorstellung von dem in sich gefestigten „Ich“ zunehmend auflöste. Das Selbstporträt trennte sich nun also von der realistischen Darstellung und auch die Konstruktion von Identitäten bekam eine untergeordnete Rolle. Fragenkomplexe nach dem Wesen einer Person im Spannungsfeld zwischen Sein und Selbstkonstruktion bestimmten von nun an die Arbeit zahlreicher Künstler. Die Erfindung der Fotografie veränderte aber nicht nur die künstlerische Herangehensweise an die Thematik, sondern ermöglichte auch kunstfernen Personen die visuelle Selbstdarstellung. Obwohl Kodak bereits 1900 die erste tragbare Box-Kamera herausbrachte (welche mit Hilfe eines Spiegels die Produktion eines Selbstporträts ermöglichte), hatte das Selbstbildnis zu diesem Zeitpunkt noch eine sehr untergeordnete Rolle in der Populärkultur. Spätere Kameras ermöglichten mit der Funktion des Selbstauslösers ähnliche Bilder. Die zeitlichen Verschiebung zwischen Aufnahme und Betrachten des Bildes, brachten eine Einschränkung des Spaßfaktors mit sich. Polaroidkameras, als Vorläufer, der digitalen Fotoapparate, konnten durch ihre Unmittelbarkeit die Attraktivität des Selbstbildnisses


deutlich anheben und sind dadurch als ein wichtiger Wendepunkt des Selbstporträts innerhalb der Alltagskultur zu betrachten. Spiegel. Spiegel sind wichtige Hilfsmittel zur Erstellung der Selbstporträts. Obwohl der Spiegel lediglich das Mittel zum Zweck ist, ist seine symbolische Aufladung vor allem im Bezug auf Selfies nicht außer Acht zu lassen. Der Spiegel gilt als ein Medium der Selbstwahrnehmung und der narzisstischen Selbstverdoppelung, zugleich aber auch als eine Pforte, die in ein Paralleluniversum führt.2 Die Parallelen zwischen der symbolischen Deutung von Spiegel und Selfiebildern sind nicht von der Hand zu weisen. So dienen Selfies, vor allem durch das Posten in den Social Media Plattformen und das damit verbundene Feedback in Form von Kommentaren und Likes, dem Prozess der Selbstfindung. Der Fotograf kann durch das Feedback klarer abschätzen, wie er auf seine Umgebung wirkt und somit sein Selbstbild mit dem Fremdbild vergleichen. Ein weiterer wichtiger Aspekt des Spiegels ist jener das Narzissmus, welcher Selfiefotografen häufig nachgesagt wird. Nicht zufällig vermutet man vor allem bei den Spiegel-Selfies, dass der Urheber der Fotografie einen Hang zum Narzissmus hegt. Schlussendlich gibt es auch eine formale Komponente bei den Spiegel-Sel-

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fies: Die sichtbare Kamera (bzw. das Handy). Dies erinnert an Kunstwerke, in welchen der Künstler bewusst den Selbstauslöser oder eben die Kamera in die Bildkomposition integriert hat. Da zudem die Kamera somit auf den Betrachter des Bildes gerichtet wird, wird der Aspekt des Voyeurismus sichtbar. Die Frage wer hier wen ansieht, drängt sich unweigerlich auf. Grenzüberschreitung. Grenzen sind abhängig von Zeit und Ort. Was vor 50 Jahren eine Tabuverletzung gewesen sein mag, kann heute bereits breite gesellschaftliche Akzeptanz finden. Provokation wird und wurde in der Kunst gezielt eingesetzt, um Tabuschwellen zu brechen und in weiterer Folge unsere Gesellschaft von konstruierten Vorschriften zu befreien. Obwohl es manchmal so wirkt, als wären alle gesellschaftlichen Tabus bereits überwunden, gibt es nach wie vor Grenzen, deren Überschreitung als geschmacklos und unangemessen empfunden werden. Ein Beispiel hierfür bieten die Selfies an unangebrachten Orten, wie etwa Beerdigungen oder Gedenkstätten. Die Schauplätze werden zumeist in der für Selfies typischen Kurzbeschreibungen erläutert. Da die Bildsprache selbst aber häufig unpassend positiv ist, oftmals lächelnd oder mit erhobenen Daumen, entsteht an dieser Stelle eine schauderhafte Wirkung des vermeintlichen fröhlichen Fotos in Kombination


mit der deutenden Bildunterschrift. Es ist kein neues Phänomen, dass Orte des Schreckens fotografisch festgehalten werden. Der kleine Unterschied besteht darin, dass man auf dem Selfie selbst zu sehen ist. Die Motivation dafür mag einerseits das Schockieren des Schocks willen sein. Diese Fotos können aber auch ein Ventil darstellen, um die entstandenen Emotionen auf Tod, Angst, Verstörung, zu verarbeiten. Ein weiterer, relativ junger Selfietrend stellt eine Art Grenzüberschreitung dar: #selfieaftersex. So ist es gerade in Mode unmittelbar nach dem Geschlechtsverkehr ein Selfie zu schießen und es sogleich online zu stellen. Wie oben erwähnt, sind vor allem in westlichen Ländern die meisten Tabuzonen aufgehoben und das unverblümte Sprechen über sein Liebesleben wird normalerweise nicht mehr als Grenzüberschreitung verstanden. Diese Konversationen sind jedoch weniger konkret als Bilder. Zudem spielen sie sich üblicherweise innerhalb eines Freundeskreis des Vertrauens ab und nicht in der uferlosen Welt des Internets. Jugend. Selfies sind eine Modeerscheinung. Trends werden meistens von Jugendlichen geschaffen und weitergetragen. Zudem befindet sich die Heimat des Selfietrends in Internetplattformen, welche wiederrum vorranging von Jugendlichen genützt werden. Somit ist

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es nicht verwunderlich, dass die Mehrheit der Selfies junge Menschen abbildet. Auch viele, der hier gezeigten, Künstler beschäftigen sich über kürzere oder länger Zeit mit Darstellung junger Menschen, wie etwa Rineke Dijkstra oder Tobias Zielony. Körper. (Halb)-Akte erfreuen sich innerhalb der Selfiekultur hoher Popularität. Die Entscheidung, sich selbst nackt darzustellen, war und ist immer radikal und mutig. Die Beweggründe sind vielfältig, sei es aus Neugier, aus Wut, als Provokation oder als Therapie. Doch anders als bei bisher bekannten Nacktdarstellungen mit Kunstbezug, erscheinen die Motivationsgründe für den Selfiehalbakt so eindimensional, wie die Variationen der Bildkompositionen. „I’m sexy and I know it“ gilt als Leitmotiv. Hier erreicht die narzisstische Motivation der Selfiefotografen ihren Höhepunkt. Humor und Selbstironie finden an dieser Stelle ebenso wenig Platz, wie das Thematisieren von Krankheit oder gar körperlichen Verfall. Währenddessen war, vor allem der weibliche, Selbstakt in der Kunst immer ein Mittel um gesellschaftliche Schönheitsideale zu hinterfragen. Auch das Interesse an der eigenen Körper kann ein als wesentlicher Anstoß für die Darstellung der eigenen Nacktheit gelten. Dabei geht es immer um den persönlichen Blick auf das eigene Ich, auch in Bezug auf


die Veränderungen, die der Körper durchläuft. „Sie her, wie schön und sexy ich bin!“ sollen die Selfieakte kommunizieren. Tun sie zumeist auch, doch die Botschaft ist weitaus tiefergehend, als sich manche der Fotografen bewusst sind. Grund dafür sie die benötigen Hilfsmittel zur Erstellung des Selfieganzkörperbildes: Spiegel und Kamera. Der Einsatz des Spiegels erzeugt eine intime Perspektive: Wir schauen mit den Augen des Fotografen auf dessen eignen Körper. Dadurch entsteht ein raffiniertes Spiel mit der Ambivalenz von Nähe und Ferne. Gesteigert wird das Spiel durch die auf den Betrachter gerichtete Kamera. Es ist also nicht nur der Fotograf, der auf sich selbst in den Spiegel blickt, sondern zugleich ist eine Kamera auf den Betrachter gerichtet. Doch nicht nur die Darstellung des eigenen nackten Körpers übt und übte auf Künstlerinnen eine hohe Faszination aus. Anders als bei Selbstakten, liegt hier der Fokus weniger Themen wie Krankheit und Altern, sondern konzentriert sich mehr auf die Darstellung von kraftvollen und schönen Körpern. Imagepflege. Selfies helfen ein bestimmtes Image zu erzeugen und ermöglichen einen hohen Einfluss darauf, wie man wahrgenommen werden möchte. Dass Bilder zur Imageerstellung genützt werden, ist kein neues

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Phänomen. Vor allem Herrscher nutzten verschiedene Medien (wie etwa Münzen, Büsten oder Gemälde), um das Bild, dass sich die Bevölkerung von ihnen machen sollte, zu steuern. Die ersten, uns heute bekannten, Bilder entstammen dem Volk der Sumer aus dem 3. – 4. Jahrtausend vor Christus. „Ein frühes sumerisches Beispiel ist die Stele des Naram-Sîn/Suen aus dem 3. Jahrtausend vor Christus. „Der König, der an Körpergröße die besiegten Feinde übertrifft, trägt eine Hörnerkrone, die ein Zeichen übernatürlicher Macht ist und im Alten Orient nur den Göttern zustand.“3 In den letzten fünftausend Jahren hat das Herrscher– und Politikerbild nichts an Popularität eingebüßt, was insbesondere in Diktaturen (siehe Nordkorea), aber auch bei demokratisch gewählten Politikern zu sehen ist. Dass auch Politiker dem Selfietrend folgen, ist spätestens seit der Trauerfeier von Nelson Mandela kein Geheimnis mehr. Eine Beerdigung mag nun nicht der politisch korrekte Ort für ein Selfie sein, nichtsdestotrotz zeugt der Gang mit dem Trend von Jugendlichkeit und Offenheit. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Selfie des Papstes, welches sofort als eine Öffnung des Vatikans für weltliche Impulse interpretiert wurde. Wie bereits erwähnt machen sich auch Stars Selfies zunutze, um mehr Kontrolle über die Steuerung ihres Image zu gewinnen. Sie werden zu einer


Art Privatpaparazzi. Um den vorteilhaftesten Fotos mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen, werden auch weniger Vorteilhafte gezeigt. Anders als bei Paparazzifotos wird die Kontrolle aber nicht abgegeben. Im Gegensatz zu den für BoulevardPresse bestimmten Fotos, haften auch den nicht so hübschen Selfie-Porträts ein Charme an, der zwar von Unvollkommenheit zeugt, dafür aber Mut und Humor beweist. Die gleichen Mechanismen wirken auch außerhalb der Promi-Welt. So ist es absolut nicht unüblich auch nicht ganz so schöne Selfies von sich ins Netz zu stellen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass man sein Selfie im klaren Bewusstsein onlinestellt, dass es zeitnah und unmittelbar betrachtet werden wird.

1. 2. 3.

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Pfisterer, Ulrich & Von Rosen, Valeska: Der Künstler als Kunstwerk – Selbstporträts vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Stuttgard : Phillip Reclam jun. GmbH & Co., 2006, S. 12 http://kultur-online.net/node/27579 (10.9.2014) http://de.wikipedia.org/wiki/Herrscherbild (10.9.2014)



Selfiextended 21.10. – 30.10.2014 www.selfiextended.com


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