Abschiedsvorlesung / Ringvorlesung „Macht und Kapital“
Dreifelderwirtschaft - Neue Bewirtschaftung von Geld, Vertrauen und Wissen? Klaus Kornwachs © Lehrstuhl für Technikphilosophie, BTU Cottbus, Humboldt-Zentrum für Geisteswissenschaften, Universität Ulm
Vorbemerkung Meine Damen und Herrn – ich freue mich, dass Sie alle so zahlreich zu einer Gelegenheit erschienen sind, die naturgemäß immer etwas Zwiespältiges hat – ein Abschied heißt loslassen von vielem Gewohnten und Liebgewonnen und heißt aber auch Aufbruch zu etwas Neuem. Wir haben in der Zeit, als ich hier an der Universität war, viel über das Phänomen des Neuen diskutiert – in Wirtschaft und Technik nennt man das Innnovation. Innovationen setzen Veränderungen, Austausch des Alten gegen das Neue, aber auch ein gehöriges Maß Zuversicht in die Zukunft und ihre Chancen und Umsicht gegenüber möglichen Nebenfolgen voraus. Nun stehen auch in unserem Bereich, in der Philosophie und den Kulturwissenschaft, Veränderungen an, persönliche, was mein Ausscheiden anbetrifft, institutionelle, was den Fortgang des Studiengangs „Kultur und Technik“ und deren personelle Absicherung anbelangt, und auch hier brauchen beide Seiten, der Scheidende und die Bleibenden, eine gewisse Zuversicht und Umsicht. Da diese Abschiedsvorlesung im Rahmen der Ringvorlesung „Moral und Kapital“ stattfindet, haben Sie als reguläres Publikum Anspruch auf einen Fachvortrag, und diesen Anspruch erfülle ich Ihnen gerne, indem ich Ihnen im ersten Teil des heutigen Abends meine Überlegungen zur Bewirtschaftung von Geld, Vertrauen und Wissen kurz darlege. Den ausführlicheren Text werden Sie dann ja auch, wie die anderen Vorlesungen, im Portal nachlesen können. Im zweiten Teil möchte ich kurz auf meine Zeit hier an der Universität zurückblicken, die Themen anreißen, die uns umgetrieben haben und die wir umgetrieben haben – und vielleicht kann ich mir dann die eine oder andere kleine Bemerkung zur Zukunft der Universität nicht verkneifen.
2 Abschiedsvorlesung / Ringvorlesung „Macht und Kapital“ (2.2.2011) Kornwachs: Dreifelderwirtschaft - Neue Bewirtschaftung von Geld, Vertrauen und Wissen?
Einleitung In der Landwirtschaft kennt man Monokulturen und die Mehrfelderwirtschaft: So war die Dreifelderwirtschaft im Mittelalter eine Form, bei der man ein Feld ein Jahr brach liegen ließ, damit sich durch natürlichen Aufwuchs eine Weide bildete und der Boden sich erholen konnte. Pflügte man dann im Herbst, konnte man Wintergetreide sähen und im folgenden Spätsommer ernten. Danach pflügte man abermals, wehrte Unkraut ab und säte im Frühjahr Sommergetreide. Im Spätsommer überließ man nach der Ernte das Feld wieder sich selbst und der Rhythmus begann von vorne. Hatten der Bauer mehrere Felder, konnte man das parallelisieren, so dass bei drei Feldern eines immer Weide war, eines immer Wintergetreide und eines immer Sommergetreide trug. Dasselbe ließ sich auch auf die Felder von bäuerlichen Genossenschaften übertragen, was für arme Bauern mit nur einem Feld durchaus von Vorteil war, auf der andere Seite dann auch zu einem Zwang führte, dem sogenannten Flurzwang. Im Wort Landwirtschaft steckt das Wort Wirtschaft – wir nennen es auch Ökonomie, aus dem Griechischen zusammengesetzt aus den Begriffen Haus (oikos) und Gesetz (nomos). Es geht um die Regeln (nomoi) und die Handlungen des Bewohnens und Bestellens von Hof und Haus (oikoi). Darüber nachzudenken war lange Zeit Gegenstand der Philosophie, später spezieller der Moralphilosophie. Später, genauer im 19. Jahrhundert, gab die Philosophie, wie so oft, den Problembereich an eine sich entwickelnde Disziplin ab, Ökonomik oder auch Wirtschaftswissenschaften genannt. Das bedeutet aber nicht, dass die Philosophie hier nicht mehr mitreden dürfte oder sollte – sie tut es nur zu selten. Genau aber dies will ich heute Abend im fachlichen Teil tun. Das deutsche Wort Wirtschaft verweist (neben der Gaststätte) auf den Wirt und das Bewirten, auf die Gastfreundschaft und auf das Bewirtschaften als der Tätigkeit des Wirts, des Bewohners von Hof und Haus, als die Art und Weise zu handeln und sich zu verhalten, wie der Wirt es tut. Das Kompositionssuffix – schaft, das ja auch in den Worten wie Leidenschaft, Knechtschaft, Botschaft, Freundschaft vorkommt, verleiht dem vorhergehenden Substantiv den abstrakten Zug einer Tätigkeit, eines intendierten oder erreichten Zustandes oder eines Verhaltens: der Wirt wirtschaftet, er tut etwas. Es gibt keine Naturschaft … Der Ausgangspunkt unserer Betrachtung, die Dreifelderwirtschaft, ist eine geplante, an den Gegebenheiten orientierte, von Interessen bestimmte Tätigkeit. Sie ist kein Naturgesetz – wir müssen nicht so wirtschaften – wir könnten auch anders. Aber irgendwie müssen wir wirtschaften. Es gibt Notwendigkeiten. Es gibt Bedürfnisse. Bei der Art und Weise, wie wir unsere Bedürfnisse zu befriedigen versuchen, werden wir uns klugerweise an dem orientieren, was die Gegebenheiten sind. Die Drei-Felder-Wirtschaft mit ihrer Abfolge von Brache zur Weide, Wintergetreide und Sommerfrucht ist ein solches Wirtschaften – ein an der Notwendigkeit orientiertes sinnhaftes Tun, das vor allem darauf achtet, die Bedingungen des weiteren Wirtschaften zu erhalten. Böden sind schnell erschöpft, wenn man ihnen nicht zwischendurch Ruhe lässt,
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und eine Pause zwischendurch und ein Wechsel senkt den Ertrag à la longue weniger als der geringer werdende Ertrag durch das allmähliche Ausmergeln der Böden. Es ist ein Wirtschaften, das Gier mit langfristigem Nachteil bestraft. Was hat das mit dem Thema Geld, Vertrauen und Wissen zu tun? Kann man Geld, Vertrauen und Wissen überhaupt bewirtschaften? Sind sie nicht eher eine Folge unseres Wirtschaftens in diesem breiten Sinne? Und hat dieses Bewirtschaften gleich schon etwas mit Verwerten zu tun? Dann müssten wir über die Verwertungsformen dessen sprechen, auf was diese Begriffe sich beziehen. Wir kommen also um das Begriffsgeschäft, das ja eine der Hauptaufgaben der Philosophie darstellt, nicht herum. Die drei Begriffe gehören eng zusammen – wie auch die dazu gehörenden gesellschaftlichen wie organisatorischen Erscheinungsformen, d.h. wie wir mit Geld, Vertrauen und Wissen de facto umgehen. Alle drei – Geld, Vertrauen und Wissen – sind selbstverständlich Verwertungsprozessen unterworfen, aber auch Folgen von Prozessen, die nicht nur ökonomisch verstanden werden können, sondern auch politisch und kulturell bestimmt sind und – so die Hoffnung – auch weiterhin politisch und kulturell bestimmbar bleiben sollen. Ich möchte die drei Begriffe als Kapitalien zusammenfassen. Der Sprachgebrauch gibt da schon einen Hinweis: Warum sprechen wir von Geldkapital, von Vertrauenskapital oder – im Rahmen programmatisch daherkommenden Verkündigungen soziologischer Begriffsbildungen - auch von Wissenskapital, das eine Wissensgesellschaft hegen und pflegen müsse? Wenn wir über Geld, Vertrauen und Wissen sprechen, reden wir meist über Information oder Daten, über Vertragsverhältnisse, über Kontrolle und Rechte und schließlich über Geld als monetäre Quantifizierungen. Aber Information ist noch nicht Wissen, Verträge allein stellen noch kein Vertrauen her, und Geld macht alleine noch kein Kapital. Menschen haben in einer Gesellschaft Interessen. Menschen schließen sich zusammen, zum Beispiel weil sie dieselben oder gut vergleichbare Interessen haben. Zusammenschlüsse von Menschen, zu welchem Zweck auch immer, setzt vertrauensvolle Kommunikation voraus. Kommunikation selbst wäre ohne Vertrauen reiner Informationsaustausch. Wenn die Interessen wohlverstanden sind, müssten sie in einer Gesellschaft, in der Vertrauen ein hohes Gut ist, auch kommuniziert werden können. Information, die kommuniziert wird, muss verstanden werden, nur dann wird sie zu Wissen, und nur dann, wenn ich dem Mitteilenden vertrauen kann, auch zu einem Wissen, auf das ich mich bei meinem Handeln verlassen kann. Verlässliches Wissen setzt demnach Vertrauen voraus. Auch Geld setzt Vertrauen voraus – Sie können neben einem Berg von Münzen verhungern, wenn der Bäcker kein Vertrauen in Ihre Münzen oder Geldscheine hat. Geld als Tauschmittel macht Ungleiches vergleichbar, es trägt die Information über diesen Vergleich mit sich. Ohne diese Information ist der Geldschein lediglich ein Stück Papier. Diese scheinbar einfachen Zusammenhänge möchte ich etwas näher entfalten. Die Begriffe Wissen, Vertrauen und Geld gehören zusammen, sie haben nämlich noch
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Nebenbedeutungen, die zuweilen in metaphorischen Wortspielen daher kommen, aber die abstrakte Funktion der Begriffe durchscheinen lassen und die Verbindungen aufdecken. Damit wir den Faden nicht verlieren: Wir hatten mit der Dreifelderwirtschaft begonnen, als einer klugen Weise des Wirtschaftens. Gibt es Analogien zu diesem Bild, wenn wir Geld, Vertrauen und Wissen betrachten? Was ist das Feld, was wird genutzt, gesät und geerntet, wie ist die zeitliche Reihenfolge, was bedeutet die Parallelisierung und wer ist der Bauer? Wissen als Substantiv kennen wir als einen Bestand von Kenntnissen und Erkenntnissen, den wir aus Erfahrung, Lehre, Gespräch, Lektüre oder gar Nachdenken gewonnen haben. Wissen hat viele Bedeutungen, als Verb ist „wissen“ schon schwieriger zu definieren: Was ist das für ein Prozess, der in uns abläuft, wenn wir bewusst etwas wissen? Wir verwenden das Wort Wissen auch anders: In Platons Dialog Theaitetos wird Wissen wie Können verwendet: Er weiß sich zu benehmen, er weiß sich einer Sache zu bedienen etc. Wissen ist bei Platon bereits wertend: Wissen ist, so die klassische Variante, eine wahre, gerechtfertigte Meinung. Die Wahrheit sichert ihre Anwendung, weil sie sich auf die Wirklichkeit bezieht, und die Rechtfertigung sichert ab, dass der Zusammenhang mit anderem Wissen gewahrt ist - dazu gehört auch die Widerspruchsfreiheit. Soweit kurz Platon. In dieser Verwendung steckt ein Grundmerkmal des Wissens – es lässt sich aktualisieren, in Handlungen umsetzen, anwenden. Es wird, wenn man es richtig gebraucht, mehr. Wenn man also richtig zu wissen weiß, vermehrt man sein Wissen. Wir verwenden das Wort Vertrauen auch im Sinne von Gewissheit, Verlässlichkeit und Sicherheit, aber auch im Sinne von Kontrollverzicht. Trotz des Spruchs „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“, der fälschlicherweise immer Lenin zugeschrieben wird, lässt sich ohne Vorleistung kein Vertrauen aufbauen. Ohne Vertrauen kein Vertrauen und Vertrauen erzeugt erfahrungsgemäß Vertrauen. Wir verwenden das Wort Geld gern im Zusammenhang mit dem Kapital. Damit haben wir pars pro toto schon einen Begriff als Stammwort für eine Eigenschaft eingeführt: Wenn man von Vertrauenskapital, von Bildungskapital oder von Zeitkapital in metaphorischer Weise spricht, meint man nicht das monetäre Kapital, sondern generell etwas, was man vorläufig wie einen Bestand ansammeln kann und was sich bei bestimmter funktioneller Verwendung selbst vermehrt oder geeignet ist, sich selber weiter zu erzeugen: Vertrauen erzeugt Vertrauen, Bildung erzeugt Bildung, wer sich Zeit nimmt, hat Zeit etc., wer hat, dem wird gegeben, um Geld zu verdienen, braucht man erst mal Geld, … Die These ist, dass genau dieser metaphorische Gebrauch Hinweise darauf geben könnte, wo neue, sprich bedingungserhaltende Bewirtschaftung und damit neue, nicht exhaustive Verwertungsformen von Geld, Vertrauen und Wissen zu finden sein könnten. Es geht also ums Wirtschaften.
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Wissen Beginnen wir mit dem letzten Begriff: Wissen. Die Erzeugung und der Umgang mit Daten stellen den ersten Schritt zur Gewinnung von Information über die Bereiche dar, in denen die Daten erhoben werden oder in denen sie anfallen. Aus Daten werden zum Beispiel durch Auswertungsprogramme Informationen – solche Programme spiegeln Interessen und Modellvorstellungen der Auswerter wider. Die Statistik ist ein schönes Beispiel hierfür. Aus Information wird unter bestimmten Voraussetzungen Wissen. Wissen bestimmt unser Handeln. Verlassen kann man sich auf das mitgeteilte Wissen des Anderen in Form von Information nur, wenn – wie schon gesagt – gewisse Vertrauensbeziehungen bestehen. Dass ich für diese Gewissheit über die Vertrauenswürdigkeit und Zuverlässigkeit einer Information als Voraussetzung für die Qualität des daraus gewinnbaren Wissens zuweilen einen Preis zahlen muss, ist im Prinzip nichts Neues, nämlich durch Zertifizierung, durch Nachfragen, durch Qualitätsaudits, durch elektronische Unterschrift und so fort. Auch ein Notar stellt Vertrauen kraft seiner Institution her, und dafür wird er bezahlt. Daten, Informationsbeschaffung, Verstehen von Informationen, der Einsatz von Wissen – dies sind alles mittlerweile monetär bewertbare Operationen – aber ich will hier über die Trivialität hinaus, dass alles seinen Preis habe. Geld selbst stellt eine besondere Form von Information dar, deren wirtschaftliche wie organisatorische Funktion ohne Vertrauen nicht funktioniert. Infolge der zunehmenden Abhängigkeit der Organisationsformen unserer Lebensvollzüge von der Art und Weise, wie Informations- und Kommunikationssysteme gestaltet werden, die ja allesamt wiederum auf der Organisation von Datenflüssen aufbauen, ist die Art und Weise der Gestaltung solcher künftigen Systeme auch eine Gestaltung unsers zukünftigen Lebens.
Die neuen Informationssysteme Werfen wir einen knappen Blick auf die neuen Informationssysteme, die ja keine Wissenssysteme sind. Der Computer weiß nichts, das Netz weiß nicht, Wikipedia weiß nichts, das Buch weiß auch nichts. All das sind lediglich Träger von Information. Aber die Gestaltung und Bewirtschaftung dieser Träger, die Organisation der Informationsflüsse durch solche Systeme haben jetzt schon begonnen, unsere Weise, mit Wissen, Vertrauen und Geld umzugehen, zu verändern. Ein Blick genügt: Wir haben kein Gold-, Silbergeld mehr, fast kein Papiergeld, sondern Kreditkarten und Datenflüsse. Unsere Jugend begeht Vertrauensakte gegenüber anonymisierten Systemen wie Facebook. Jeder verfügt tagtäglich über mehr Information, als er es in seinem Lebensalter noch in Wissen umwandeln kann, wir selektieren zwangsläufig, meist nach Kriterien, die uns nicht bewusst sind. Der Datenschutz – beispielsweise - scheint auf eine ganz bestimmte Form von Vertrauen zu verweisen: Man kann nur einen Schutz vor Missbrauch der Daten entwickeln, wenn man deren richtigen Gebrauch kennt und diesem Gebrauch vertrauen kann. Es geht um die
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"hidden agenda" bei so manchen Systemen. Ein paar Firmennamen genügen heute, um das Misstrauen gleich wach werden zu lassen: Facebook, Google, Microsoft ... Wir können an der Stellen nicht spekulieren, wie es mit der IuK Technik weitergehen könnte, nur soviel, dass viele Fachleute seit der berühmten Konferenz der National Science Foundation im Jahr 2002 an eine NBIC Konvergenz glauben, d.h. an ein Zusammenwachsen der Nano-, der Bio-, der Informations- und Kognitionstechnologien zu ungeahnten neuen Möglichkeiten. Es ist sicher nicht weit hergeholt, hier einen radikalen Wechsel in der Neuorientierung unserer Informationssysteme anzusehen. Während die technischen Möglichkeiten, die organisatorischen Bedingungen und die ökonomische Tauglichkeit der hinter den Dienstangeboten stehenden Geschäftsmodellen intensiv diskutiert werden, stehen die Fragen nach dem Umgang mit den hoch sensitiven Daten, nach den Beziehungen zwischen den Anbietern und den Kunden und nach der Finanzierung der Entwicklung noch eher im Hintergrund. Wir können uns Szenarien ausmalen, gerade die vielfaltigen Möglichkeiten der Kartentechnologie, die jedoch durch ubiquitäre Systeme wohl nach und nach ersetzt werden könnten, bis hin zum cloud computing. Hier residieren die eigenen Files, Programme und Daten eines Nutzers nicht mehr auf einem vergleichsweise aufwändigen eigenen Rechner, sondern auf den Großrechnern und Intranetzen der Provider. Die Proprietät über die eigenen Daten und Programme wird nicht mehr über den Besitz des Trägers vermittelt, sondern über einen Vertrag. Die Sicherheit und Vertrauenswürdigkeit dieses Vertrages muss bezahlt werden - ein Bruch des Vertrauens würde das ganze Modell zunichtemachen.
Wer Technik herstellt, will etwas Gestatten Sie mir einen kleinen Exkurs über Technik. Wir dürfen bei diesen Gedankenspielen in der Zukunft nicht entsetzt sein - eine Moralisierung ist wenig hilfreich. Es gehört zur Grundeinsicht bei der Analyse technischer Entwicklungen, dass Technik machtschlüssig ist (Jürgen Seetzen), d.h. dass sich ihre Gestaltung den jeweiligen Machtverhältnissen d.h. den de facto durchsetzbaren Interessen anschmiegt. Umgekehrt kann sie eben auch Machtverhältnisse und vor allem ökonomische Verhältnisse ändern. Fast alle Basisinnovationen haben tiefgehende gesellschaftliche Veränderungen zur Folge gehabt oder sind von ihnen ausgegangen. Wer Technik herstellt, anbietet, betreibt, nutzt, entsorgt – will etwas. Es gibt keine interesselose Technik. Aber es ist nicht das Erkenntnisinteresse, das die Technikgestalter umtreibt, sondern die Funktionsvermutung - sie sind auf das Gelingen, nicht auf die Erkenntnis als solche aus. Das ist legitim und macht sie noch lange nicht zu Wissenschaftlern zweiter Klasse. Der Investor überlegt sich sehr wohl, ob er mit dem vielen Geld, das er in die Hand nehmen muss, einer Invention verhilft, zu einer Innovation zu werden - der return of investment ist das Mindeste, was er erwarten darf. Also wird er auch bei der Gestaltung
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künftiger Informationssysteme auf die Wertschöpfung achten. Er muss, um über die künftige Entwicklung ein einigermaßen zuverlässiges Wissen zu haben, seinen Fachleuten vertrauen können, ob ihre Funktionsvermutung richtig ist, und er muss das dazugehörige Geld auftreiben oder haben - kurzum, er ist schon eine Nahtstelle für die Bewirtschaftung und Verwertung von Wissen, Vertrauen und – Geld. Er ist ein Kandidat für unseren gesuchten Bauern. Der Gestalter eines Dienstes, der auf einem Informationssystem basiert, muss neben den technischen Möglichkeiten und deren Grenzen durch zu hohe Komplexität (man denke an Toll Collect) ein Modell des künftigen Nutzers oder Kunden haben. Wir wissen, dass diese Modelle oftmals schon deshalb fragwürdig sind, weil die Vorbilder hierfür der eigene Fachkollege oder Studierende der Informatik sind, mangels Möglichkeit, den kleinen Mann oder die kleine Frau von der Straße zu befragen. Der Bahnkartenautomat lässt grüßen. Die Vorstellung, was Kunden wollen könnten, wird oftmals damit verwechselt, was Kunden tatsächlich kaufen würden, wenn sie keine andere Wahl hätten. Diese Verwechslung von Akzeptanz und Akzeptabilität hat schon viel Vertrauen verspielt. Letztlich stellt sich die Frage nach den Menschenbildern, die hinter einer solchen Modellierung stehen. Freilich sind die Fragen, was man denn (noch) wollen kann, müßig, weil die Verfügung über das Mittel immer schon neue Zwecke gebiert, also die Zweckbindung generell aushöhlt, und umgekehrt zu jedem Zweck sich auch die technisch organisatorischen Mittel finden lassen. Wir wissen heute nicht in vollem Umfang, wofür man einen Computer noch alles wird benutzen können; der Computer ist ein typischer Fall für die Definition Carl Friedrich von Weizsäckers, wonach Technik die Herstellung von Mitteln für freigehaltene Zwecke sei. Die Informations- und Kommunikationstechniken haben uns die universalsten Mittel, die wir bisher kennen, für eine nicht auslotbare Fülle von Zwecken beschert – die Konvergenz der Endgeräte, zur Zeit im I-Phone mit seinem ganzen Karneval der Apps repräsentiert, ist augenfälliges Signet für diese Entwicklung. Daher ist die pure Zweckbindung der Technik eine fromme, aber in der Praxis kaum durchzusetzende Wunschvorstellung.
Wie gehen wir mit Wissen um Die Frage ist nun, wie wir mit Wissen angesichts der Möglichkeiten umgehen, die uns diese Informationssysteme bieten. Philosophisch gesprochen haben wir vorher Wissen als etwas aufgefaßt, was eine bestimmte Information erzeugt hat, sofern sie innerhalb einer konkreten kommunikativen Situation ausgetauscht wurde und durch ein menschliches Bewusstsein (als autokognitives System) in diesem Rahmen verstanden wird. Information ist, was kommuniziert und verstanden wird; Wissen ist, was durch die kommunizierte und verstandene Information erzeugt wurde. Wissen ist verstandene Information. Einen Satz muss man gelesen haben, bevor man ihn verstehen, ihn wiedergeben oder ihm zustimmen oder ihn ablehnen kann. Dieser Verstehensprozess braucht Zeit. Die Umwandlung von vorliegender, auf einem Träger befindlichen Information in Wissen braucht zwei notwendige Voraussetzungen: Jemanden,
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der die Information liest und versteht, ein Empfänger mit kognitiven Eigenschaften, und – Zeit. Wissen kann weitergegeben werden - in Form von Information. Diese kann sehr vielfältige Formen annehmen und sich auf mannigfaltigen Trägern und Prozessen finden. Man kann sagen, dass Information, wenn sie verstanden worden ist, über die Stufe des Wissens wieder Information erzeugen kann. Information ist daher, was Information über den Umweg von Wissen erzeugt. Es wird gerne gesagt, dass Wissen zur Ware geworden sei, zum Rohstoff, zum Produktionsfaktor, und dergleichen mehr. Es wird darauf angespielt, dass man Wissen bewirtschaften kann, dass es einen Gebrauchswert habe. Wenn wir Wissen als ein Ergebnis eines kognitiven Prozesses ansehen, den mehr oder weniger nur Menschen durchführen können, dann ist Wissen proprietär, d.h. es gehört jemandem; man kann es jemanden zuschreiben, dass er es habe. In dem man es mitteilt, versprachlicht, ausspricht, hinschreibt, eintippt, d.h. in Information verwandelt und technisch gesehen in Daten verwandelt, gibt man es weiter. In der Kommunikation transformieren wir das eigene, erarbeitete Wissen in Information, die weiter gegeben und dann durch den Empfänger wieder zu Wissen gemacht werden kann. Dieses Wissen, das der Empfänger als Ergebnis einer Interpretation besitzt, mag verschieden sein von dem Wissen, das durch den Sender intendiert wurde, und das man als die ursprüngliche Bedeutung, die der Sender beabsichtigt hatte, ansehen könnte. Die Individualität des Senders, die Individualität des Empfängers und die situative Bedingung bestimmen dann diesen Unterschied beträchtlich. Ob die dann empfangene Information im Empfänger das gleiche Wissen zu bilden vermag, ist nicht gewiss - man kann es nur daran ablesen, ob der Empfänger in gewisser Weise adäquat auf die Information reagiert oder nicht. Als eine erste Konsequenz dieser begrifflichen Analyse bekommen wir ein bemerkenswertes Ergebnis. Daten und Information können Gegenstand von Warenaustausch werden, wie auch ihre Träger (z. B. CDs), aber es erweist sich als unmöglich, dies mit dem Wissen zu versuchen, es sei denn, wir können Wissen einkaufen, indem wir Köpfe finanzieren. Damit kaufen wir aber auch Subjektivität ein und die Freiheit zu wissen und nicht zu wissen. Wissen ist keine Ware. Es kann nicht übernutzt werden wie erschöpfbares Naturkapital, der Verlust von Wissen ist gegebenenfalls reversibel, weil man Kopien von Informationen besorgen kann, die man allerdings wieder lesen und wieder verstehen muss. Information nutzt sich durch Gebrauch nicht ab, nur die Informationsträger, Wissen hingegen kann nur innerhalb einer gewissen Lebenspanne eines Individuums öfters rememoriert und ausgedrückt werden. Ist Information ein freies Gut, sofern es nicht-rival und nicht ausschließlich vorhanden ist (öffentliche Information), ist es die Voraussetzung für ein Wissen, das alle haben können. Gebrauch von Wissen erzeugt keine Abfälle, Erzeugung von Wissen durch Aneignung von Information ist nicht konsumptiv (d.h. verbrauchend). Im Gegensatz zur Konsumption von Naturkapital stellt Wissen eine Partizipation an einem abstrakten Wissenskapital dar, das durch die Summe des in einer aktuellen Situation durch alle Beteiligte Gewußten und potentiell Mitteilbaren repräsentiert wird. Wissen ist daher eine Ressource, die sich durch
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ihren Gebrauch vermehrt, nicht erschöpft. Damit hat es die potentielle Fähigkeit, zu einer dem Kapital analogen Größe zu werden, ich nenne es eine Kapitalie. Daher erscheint es auf den ersten Blick vernünftig, eine Kommunikationskultur anzustreben, die maximalen Nutzen durch maximale Zugänglichkeit von Information verheißt. Es sah lange so aus, als ob das World Wide Web diese Verheißung erfüllen könnte. Doch auch hier haben wir den Faktor Zeit und den Unterschied zwischen Information und Wissen zu bedenken man lebt nicht lange genug, um alles, was man nutzen könnte, im Netz zu finden, zu lesen und womöglich auch noch zu verstehen. Prinzipiell ist es nun jedermann möglich, alle Wikileaks-Protokolle zu lesen. Doch wir haben nicht die Zeit dazu. So bleibt vieles Offene geheim, weil man es nicht auch noch lesen kann. Sie ahnen schon: Wir müssen zuweilen das Feld der Information brach liegen lassen, damit das Wissen aus der bisherigen Information darauf reifen kann. Und wir müssen uns daher auf diejenigen verlassen können, die die Rolle der Pfadfinder im Informationsdschungel spielen können - ich brauche Vertrauen in diejenigen, die behaupten, etwas zu wissen, den Fachleuten und Experten, den Whistleblowern und Informanten, den Bloggern, den Autoren von Wikipedia, den Lehrern und Professoren. Und auch dieses Vertrauen hat seinen Preis.
Ohne Vertrauen läuft nichts Mit diesem pragmatischen Wissensbegriff wollen wir an die Vertrauensfrage gehen. Auf wen und was können wir vertrauen? In die Person selbst, die Wahrheit oder in die formale Richtigkeit ihrer Aussage? Dann machen wir eben eine Konsistenzprüfung oder logische Checks. Vertrauen in die Relevanz des gewonnenen Wissens? Da müssen wir schon das Problem kennen und eine Menge Vorwissen haben. Vertrauen wir in die Absicht und Integrität des Informationsgebers, dem eines guten Informanten? Vertrauen wir in die Absichten und Integrität des Informationsnehmers? Da müssen wir die Institution kennen, die Person, den Hintergrund, den Handlungskontext und nebenbei - unsere eigenen Absichten. Vertrauen in die Dienlichkeit und Integrierbarkeit des Wissens? Auch hier müssten wir unsere eigenen Interessen und unser eigenes Vorwissen prüfen, sonst können wir darüber nicht urteilen. Wir können aber nicht alles prüfen. Ist Vertrauen dann die letzte Strategie, die einem bei Kontrollverlust in einem Meer von angebotener Information einfällt? Das Thema Vertrauen in der Gesellschaft hatte in der Mitte des letzten Jahrzehnts so etwas wie den Gipfel seiner Diskussionskarriere erreicht, danach flachte das Thema wieder ab. Man sah ein, dass ohne einen gewissen Vertrauensvorschuss keine Beziehung, keine Gemeinschaft, kein gesellschaftlicher Teilbereich, keine Organisation, keine Institution und keine zuverlässige Technik und keine Wissenschaft und auch kein Datenschutz funktionieren würden. Das Thema wurde nach 2005 wohl zu schnell von der Agenda genommen, denn es
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taucht seither hartnäckig wieder auf in eher negativer Konnotation - als Misstrauen gegenüber den Betreibern großer Informations- und Netzsysteme und gegenüber den Protagonisten von technisch-organisatorischen Großprojekten, Z. B. im Energie- und Mobilitätsbereich. Vertrauen kann man als einen positiven Affekt (Hoffnung) kennzeichnen, der der Hoffnung ziemlich nahe kommt, und der sich auf die Glaubwürdigkeit, Zuverlässigkeit und Wohlgesonnenheit des Anderen bezieht. Dabei muss unterstellt werden, dass der Andere nach bestem Wissen und Gewissen handelt, falls die Bedingungserhaltung verantwortlichen Handelns gegeben ist. Man kann sich auf die Kompetenz des Anderen stützen, mit seinen guten Absichten rechnen, seinen Aussagen glauben, sich ihm anvertrauen. Vertrauen unterstellt a priori verantwortliches Handeln des Anderen und wird emotional positiv erlebt. Vertrauen zu gewähren ist eine praktische rationale Haltung im Zusammenhang mit der Gewissheit des eigenen und/oder der Ungewissheit des fremden Handelns sowie dessen beschränkter Kalkulierbarkeit im Rahmen gesellschaftlicher situierter Ereignisse. Vertrauen führt zu Handlungsweisen, die trotz Risiko rational und vernünftig sein können, wenn sie eigene Handlungsmöglichkeiten erweitern und weiteres Vertrauen induzieren (Vertrauen schafft Vertrauen) - es hat also eine sozial entlastende und bindende Funktion. Weshalb wir vielleicht bei der im Titel auftauchenden: "Bewirtschaftung von Vertrauen" stutzen, ist unserer ethischen Intuition geschuldet, dass man moralisch positiv empfundene Haltungen nicht ökonomisieren sollte. Nehmen Sie den Begriff „wirtschaften“ in dem eingangs skizzierten Sinne: „vertrauen“ als Verb ist eine tätige Art und Weise, mit entgegengebrachtem oder erwarteten Vertrauen umzugehen - ähnlich wie mit einem Feld, das bestellt wird. Denn zumindest in der Ethik ist Vertrauen auch eine sittlich-moralische Norm: Damit stellt sie einen Grundwert menschlichen Handelns dar. Eine Vertrauenserwartung (A erwartet, dass B A vertraut) bindet – sei es an Institutionen, Personen, Autoritäten, Gott etc. Vertrauenserwartung verpflichtet und hat gleichzeitig eine entlastende Funktion. Wird die Erwartung enttäuscht, gilt dies als Verrat und wird, wenn nicht rechtlich, so doch sozial geahndet. Vertrauen als Norm wirkt verhaltenssteuernd wie verhaltenseinschränkend. Macht man den Vorschlag, Vertrauen als inneres Moment kooperativer Lebenstätigkeit anzusehen, als Voraussetzung menschlichen Lebens überhaupt, dann ist die Verkürzung des Vertrauensbegriffs darauf, die einzige mögliche Haltung bei Kontrollverlust zu sein, eben nicht mehr sinnvoll. Denn auch und gerade bei bewusstem Kontrollverzicht baut sich Vertrauen auf. Das ist im Übrigen auch eine innerbetrieblich ziemlich stabile Erfahrung. Vertrauen in eine bestimmte Technologie, ein Thema, das wir hier am Lehrstuhl oft behandelt haben und über das auch die Deutsche Akademie für Technikwissenschaften berät, kommt nur dann zustande, wenn gewisse Bedingungen, die in der Sozialpsychologie bekannt sind, gegeben sind. Dazu gehört eine gewisse Sozialverträglichkeit der fraglichen Technologien, wie: Übereinstimmung mit den eigenen geltenden Werteordnungen (was zum Beispiel empfinde ich als schützenswert), keine zu große Diskrepanz zu den subjektiven Interessen der Nutzer und der Anbieter (win-win Situation), sowie eine gerechte, zu erwartende Verteilung zwischen Nutzen und Kosten einer Technologie.
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Angesichts der Komplexität von Technik, ihrer Unüberschaubarkeit und gelegentlichen Überfunktionalität (Overengineering) sind wir im Alltag gezwungen, uns vereinfachte Modelle von Technik zu machen, um sie überhaupt als vertrauenswürdige Technik zu verstehen. Die wiederholte Erfahrung des Erfolges solcher Modelle verstärkt das Vertrauen. Zur Bildung solcher Modelle gehört das Wissen über die Technik, also Kausalzusammenhänge, Funktionalzusammenhänge, Regelwissen, Zuverlässigkeitswissen, und nicht zuletzt organisatorisches Wissen. Dass beispielsweise bei den möglicherweise Betroffenen von Überwachungsmaßnahmen, Screening, Datamining etc. in der Regel ein erheblicher Mangel an Wissen herrscht, müsste eigentlich die Bildungspolitik wachrütteln. Wir begehen jeden Tag de facto Akte des Vertrauens gegenüber Technologien, die uns zwar im Gebrauch vertraut sind, die wir aber unbewusst benutzen (Aufzug, Haus, Kugelschreiber, Autos, Telephon etc.) bzw. die wir von ihrer Technologie her nicht durchschauen können, weil wir keine Fachleute sind. Hier ist Transparenz nicht die Voraussetzung für das Vertrauen, sondern es herrscht eine gewisse Grundvertrautheit, die auch durch schwere Havarien nurkurzfristig gestört wird. Beim Datenhandling ist es ebenso: Das Vertrauen, mit unseren Daten und Angaben werde nichts Unrechtes geschehen, ist im Normalfall so weit entwickelt, dass es wie in Face Book oder in Lokalisationsdiensten (Location Based Communities wie Gowalla oder wie Latitude) gerade zu einer Entblößungskultur gekommen ist. Offensichtlich scheinen viele Leute bereit zu sein, für die Vertrauenswürdigkeit einen gewissen Preis zu zahlen, und zwar aktiv wie passiv. Das bedeutet, dass es dem Anbieter einer Technologie, z. B. eines Dienstes mittels ubiquitären Rechnens daran gelegen sein muss, dass die Nutzer Vertrauen zu ihm aufbauen, dass es keine versteckte Verwertung von Kundendaten gibt, die der Kunde nicht will, und so fort. Er wird also eine Reihe vertrauensbildender Maßnahmen durchführen, die ihn durchaus Geld kosten: Von Imagekampagnen bis zu Kundenzirkeln und der eventuellen Einbindung Betroffener. Er wird für bestimmtes Verhalten Rabatte gewähren, und er wird gewisse Sicherheitsmaßnahmen gegen den Missbrauch von Kundendaten (z. B. Bewegungsprofile) vornehmen müssen. Ist das Vertrauen aufgebaut, zahlt es sich zweifelsohne durch eine gewisse lokale Marktstabilität ökonomisch aus. Ist es verspielt, z. B. durch einen Datenskandal, braucht es lange, bis es wieder aufgebaut ist - die Dynamik gleicht einer Hystereseschleife der Magnetisierung von Eisen oder wie beim ramponierten Ruf einer Gaststätte. Passiv ist der Kunde ebenfalls bereit, sein Vertrauen zu bewirtschaften: Es hält sich immer noch das bürgerliche Vorurteil, dass der ehrbare Kaufmann etwas teurer sein müsse als der Schnäppchenanbieter oder Hallodri, d.h. dass Vertrauen eben seinen Preis habe. Aber dieses Vorurteil ist im Schwinden - die Parolen "Ich bin doch nicht blöd", "Geiz ist geil" signalisieren in ihrer Resonanz, dass·die Präferenz des kurzfristigen subjektiven Vorteils zu überwiegen beginnt. Vertrauen als Kapitalie wird gegen den monetären Vorteil ausgespielt - mit dem möglicherweise verheerenden Ergebnis, dass zukünftige Anbieter von Informationsdiensten auf dieses Vertrauen auch gar keinen Wert mehr legen, möglicherweise auch deshalb nicht, weil man viele Dienste wählen kann, aber möglicherweise nur einige Monopolisten dahinter stehen, was in der angebotenen Vielfalt der Markennamen bewusst verschleiert wird. Das
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bedeutet, dass der Nutzer in eine Zwangsveranstaltung gerät, in der er nur noch zwischen gelben und blauen Diensten wählen kann, die aber alle das gleiche anbieten, und vom gleichen Anbieter stammen. Es könnte uns so gehen wie an den Tankstellen zu Beginn der Ferienzeit ... Gesetzliche Vorgaben können letztlich kein Vertrauen erzwingen, sie können nur eine immer nur lückenhafte - Kontrolle veranlassen. Auch der Datenschutz wird ohne eine offene Bewirtschaftung des Vertrauens nicht auskommen – wer hier den Preis drückt, schädigt aller Voraus- und Einsicht nach das Gemeinwesen. Eine Unterkapitalisierung des Vertrauens wäre die Folge, die auch die Auflösung gemeinschaftlicher Normen zur Folge hätte.
Geld als proprietäre Information Wir sagten zu Beginn: Information ist noch nicht Wissen, Verträge und Gesetze allein stellen noch kein Vertrauen her, und Geld macht alleine noch kein Kapital. Das Kapital als Reizbegriff ökonomischer, politischer und gesellschaftstheoretischer Auseinandersetzung ist, seit die Nationalökonomen wie Smith, Ricardo und Marx die Merkantilisten in der Wirtschaftstheorie abgelöst haben, ständig in aller Munde gewesen und Kapitalismuskritik als Systemkritik nimmt einen neuen Anlauf, das Diskussionsspektrum zu beherrschen. Spätestens im 17. Jahrhundert verlor das Wort cavedale im lombardischen oder dann Deutsch „Kapital“ seine Bedeutung als Schatz oder Hortgeld und bedeutete nun gewinnbringend angelegtes Geld. Die klassische politische Ökonomie des 18. Jahrhunderts in England und zuvor die physiokratische Theorie in Frankreich erweitern den Begriff Kapital um das Sachkapital sowie auf Produktionsprozesse und Produktionsmittel. Wenn wir von Kapital im ökonomischen Sinne reden, reden wir entweder von der Gesamtheit von Produktionsmitteln, die man zur Erzeugung von Gütern und Dienstleistungen braucht. Kapital ist dann ein Produktionsfaktor neben Boden und Arbeit. Geldkapital ist die Gesamtheit der finanziellen Mittel, die für die Beschaffung, Erneuerung und Betrieb, sprich zur Bewirtschaftung dieser Produktionsmittel zur Verfügung steht. Gelegentlich wird der Begriff auch für das Realkapital (Sachwerte) und das Humankapital (menschliche Arbeitskraft) verwendet. Wir benutzen den Begriff gerne als Metapher wie Vertrauenskapital, Humankapital, Bildung als Kapital der Zukunft und so fort. Bleiben wir beim Geld, dann ist Geld-Kapital die verfügbare Anhäufung monetär vermittelter Verfügungsmöglichkeiten und es geht bei den unterschiedlichen ökonomischen Theorien als Faktor resp. als kontinuierliche Größe ein. Es hat, richtig behandelt, die Fähigkeit, sich zu vermehren, im Gegensatz zum toten Kapital übt es seine bekannten Wirkungen in der Zirkulationssphäre aus, wie Marx so schön sagte. Der Marxsche Kapitalbegriff spielt eine Schlüsselrolle in einer sehr komplexen ökonomischen
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Theorie - Marx war wohl der erste, der bei der Analyse des Kapitals das betrieb, was wir heute Systemtheorie nennen. Das scheint sich mit der Finanzkrise geändert zu haben. Wir beklagen die Abkopplung der Geldwirtschaft von der Realwirtschaft und thematisieren in gewisser Weise die Moralisierung der ökonomischen Machtverhältnisse, die Aristoteles schon vorgenommen hatte, als er den Zins als "Geld gezeugt vom Gelde" bezeichnete.1 Wir sprachen vorher von Information und Wissen. Information kann als Substrat der Kommunikation aufgefasst werden, und da es die Potenz zur Wissensbildung hat und Wissen sich als nützlich erweisen kann, ist Information ein – erst spät als wichtig erkanntes gesellschaftliches Austauschmittel. Sie hat mit Geld eine große Ähnlichkeit, da Geld so etwas wie eine objektivierte Information über tauschbare Leistungsäquivalente und deren Tauscherwartungen darstellt.2 Zuweilen ist gerade das Informationsgefälle wie das Besitzgefälle als Grundlage für Machtausübung genannt worden: Die Differenzen in der Verfügbarkeit über Information erzeugen ein Wissensgefälle. Die Differenzen in der Verfügbarkeit von Geld oder in Geld umwandelbares Eigentum erzeugen ein Besitz- und Verfügungsgefälle, und damit in beiden Fällen ein Gefälle in Bezug auf Handlungsmöglichkeiten. Dies scheint generell, nicht nur in antagonistischen Situationen wie beim Spiel oder beim Konflikt, zu gelten. Man sieht auch, weshalb der Kapitalbegriff zur Metapher der Potentialität taugte – übrigens in Teil-Analogie zum Energiebegriff, wie er sich im 19. Jahrhundert entwickelte: Er deutet an, dass das, was als xy-Kapital bezeichnet wird, sich bei richtigem Umgang vermehrt oder die Fähigkeit hat, andere Größen einer Systembetrachtung zu vermehren, z. B. Arbeitsleistung. Es geht also nur in einem Spezialfall des Kapitalbegriffs um das Geld. Carl Friedrich von Weizsäcker (1971) hat schon früh eine begriffliche Gleichsetzung von Geld und Information versucht, andere sind ihm, mit teils unterschiedlichen Modellen (Binswanger u.a.) gefolgt. Geld wie Information bedarf eines Trägers, die Wirkung des Geldes bzw. der Information sind vom Substrat und der Eigenschaft des Trägers unabhängig. Ich kann heute mit Münzen, Bargeld, Scheckkarte, Datenströmen oder Lastschrifteinzügen bezahlen. In Papua Neuguinea sind Muschelsteine, in alternativen Kommunen auch alternative Währungen in Gebrauch. Ob Geld seine Wirkung entfaltet, also in gewisser Weise 1
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"Daher wird mit der allergrößten Berechtigung der Geldverleih gegen Zinsen gehasst; denn dabei stammt der Gewinn aus dem Münzgeld selber, nicht aus der Verwendung, für die es geschaffen wurde - denn es entstand (zur Erleichterung) des Warenumschlages. (Bei Geldgeschäften) vermehrt jedoch der Zins das Geld, daher hat er ja auch diesen Namen ("Gezeugtes"), denn das Erzeugte gleicht dem Erzeuger. Zins ist aber Geld gezeugt von Geld. Daher ist auch diese Form von Erwerb am meisten wider die Natur." Aristoteles: Politik (Pol. 110, 1258 b - b5). Vgl. Weizsäcker: Einheit der Natur. Hanser, München 1971, S. 356-360. Hier wäre auch auf die Theorie des Geldes von G. Simmel (1900) hinzuweisen. Oft ist Macht mit einer Währung verglichen worden, d. h. also einer pulsierenden und zirkulierenden Substanz, für die, wie beim Geld, ja auch kein Erhaltungssatz gilt, schließlich kann man Geld erzeugen und vernichten. Daraus folgt, dass die Macht eher in Analogie zur Kommunikation mit der Informationsgröße in allen sozialen Systemen kommuniziert, und zwar deshalb, weil sie nur an der Wirkung messbar ist - analog zur pragmatischen Information. Die Konsequenz dieser Überlegung müsste anhand der Geldtheorie in Ökonomie und Philosophie, aber auch systemtheoretisch geprüft werden. Aber dies ist hier nicht mein Thema.
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verstanden wird, hängt davon ab, ob man die mit ihm beim Austausch transportierte Information "versteht" und akzeptiert. Ob Geld Geld ist, hängt vom Empfänger ab, so wie bei der Information das Vorwissen und die Dekodierfähigkeit und die kognitive Kompetenz des Empfängers entscheidend ist, ob er eine Information versteht und darauf adäquat reagiert. Wir könnten damit, etwas abweichend von der Heterodoxie volks- und betriebswirtschaftlicher Begriffsbildungen, Geld als eine proprietäre Information bezeichnen, mit der sich die Beteiligten z. B. bei einem Tausch über den Wert des Getauschten verständigt haben und als intermediäres Tauschmittel diese Wertinformation für zukünftige Tauschakte weitergeben. Sie entspricht dem Sprechakt des Versprechens, dass derjenige, der diese Information weitergibt, eine Tauschleistung vom jeweiligen Empfänger zu erwarten hat. Ein Sprechakt und seine Wirkung gehört zu den institutionellen, nicht zu den natürlichen oder physikalischen Tatsachen. Im Gegensatz zur Kopiermöglichkeit von normaler Information wird die Verfügbarkeit bei Geld proprietär gehandelt, d.h. meist über den Besitz des Trägers der Information. Hier ist es noch anschaulich: Der Geldschein, das Goldstück gehört mir, er ist Träger der Information über ein Tauschversprechen. Der bargeldlose Verkehr, die elektronische Überweisung zeigt, dass der Besitz des materiellen Trägers nicht notwendig für den Besitz der Information und damit für die symbolische Funktion des Geldes ist: Die Datenströme werden durch allerlei technische Sicherungen proprietär gemacht. Sonst könnte ich gleich den 50 Euro Schein kopieren. Dabei sind die Informationen, die anzeigen, welcher Datensatz wem gehört, selbst wieder Daten, die proprietär gemacht werden müssen. Jede Echtheitsprüfung einer Information, sei es durch den Check des Geldscheines oder die elektronische Signatur einer Überweisung, versucht diese Proprietätseigenschaft zu sichern. Da die Zertifizierung der Echtheit selbst wiederum zertifiziert werden müsste, also die Echtheit der Echtheit der Echtheit garantiert werden müsste, ist ein unendlicher Regress nur durch das zu vermeiden, was wir schon kennen: Vertrauen. Man sieht, dass Geldströme bestimmten Informationsströmen, die wirken, entsprechen. Nun könnte man, die Analogie weitertreibend, das Wissen als Ergebnis der Informationsströme auffassen, kognitive Empfänger dieser Informationsströme vorausgesetzt. Das Kapital ist dann das Ergebnis von Geldströmen als proprietäre Informationsströme, akkumulationsfähige und verwertungsfähige Empfänger vorausgesetzt. Sie sehen, wohin die Analogie läuft: Der kognitiven Verarbeitung von Informationsströmen durch Menschen in Wissensbestände entspricht die akkumulative Verarbeitungen der Geldströme durch geeignete Systeme in Kapitalbestände, die wieder potentiell verfügbar sind für zukünftige Einsätze. Diese Systeme sind die Produktionsstätten, die Geld in wiederum tauschbare Waren, Dienstleistungen, Systemstrukturen und deren Veränderungen oder Stabilisierungen umwandeln. Diesen Umwandlungsprozess nennen wir Arbeit. Analog zum Diktum: "Information ist, was verstanden werden kann", und "Information ist, was Information erzeugt", könnten wir nun sagen, dass Geld das ist, was über Arbeit wirken kann und Güter und Werte schafft, und dass Geld ist, was Geld erzeugt.
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Der Verlust der Transparenz an Proprietät bei Daten-, Geld- und Informationsströmen führt zum Verlust des Vertrauens. Viele machen keine elektronische Überweisung, weil sie das System für unterlaufbar halten, viele wissen, dass man einen Rechner, der absolut sicher sein soll, nie ans Netz anschließt, ihn galvanisch am besten vom elektrischen Netz trennt und womöglich noch in einen Faradayschen Käfig sperrt. Doch selbst solche Maßnahmen sind gegen den Verrat machtlos, wie bei mittelalterlichen Städten, denen auch sieben Mauern nichts nützten, als ein verräterisches Mönchlein zu Freiburg die Türen nachts öffnete und den Feind in die Stadt ließ. Der Verlust der Proprietät an Daten - und Informationsströmen führt zu einem Verlust in die Sicherung der Proprietät der Informationsarten, wie sie zum Beispiel unser Geld oder unsere persönlichen Daten darstellen. Datenschutz ist so gesehen Proprietätsschutz von Information.
Neue Bewirtschaftung von Wissen, Vertrauen und Kapital Kapitalien Alle Formen des Bewirtschaftens als Handlungsweisen überführen ein vorliegend Potentielles in seine Aktualität. Sie setzen den Wert, der sich im Gebrauch ergibt, frei und machen ihn für sich oder andere verfügbar. Aber der Wert steckt nicht im Objekt, wie Marx das glaubte, sondern kommt durch die Gebrauchserwartung und den Gebrauch in gleicher Weise zustande. Das Feld, das wir bewirtschaften, wird wertvoll durch die Frucht, die es dereinst bringt. Gibt es, so war die Anfangsfrage, analog zur Dreifelderwirtschaft nicht exhaustive Verwertungsformen von Geld, Vertrauen und Wissen? Verwertungsformen der Information beziehen sich meist auf ein Gefälle: Es ist eine gewinnträchtige Situation, eine Information zu haben, die der andere nicht hat und die die Potentialität besitzt – sollte ich sie verstehen – Wissen zu erzeugen, das mir in ein und derselben Situation dienlich ist. Der Besitz von Information bedeutet aber noch nicht Verwertungsfähigkeit, es muss Vorwissen, Zeit und die Fähigkeit, Wissen auch umzusetzen, dazu kommen. In einem etwas plakativen Vergleich bezeichnete die Deutsche Akademie für Technikwissenschaften die Forschung als die Umwandlung von Geld in Wissen und die Entwicklung resp. die Innovation als die Umwandlung von Wissen in Geld. Auch dies könnte man als Verwertungsform von Wissen ansehen. Allerdings benötigt dies neben Geld auch Zeit und Kompetenz der Beteiligten, die aufzubauen wiederum Zeit kostet. Wir könnten es daher auch anders formulieren: Es geht nicht nur um die Bewirtschaftung der Verfügbarkeit von Information und was wir dafür zu zahlen bereit sind (Gestehungskosten, Trägerkosten etc.), sondern auch um eine Zeitwirtschaft der notwendigen Auswertungs-, Verstehens-, Forschens- und Bildungszeit. Wissen braucht Zeit. Auch damit sind beide in der Tat knappe Güter. Verwertungsformen des Vertrauens haben wir schon kennengelernt: Wir zahlen für Vertrauen, passiv wie aktiv. Negativ gesehen, kann der Missbrauch, das Brechen des
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Vertrauens eine kurzfristig hochrentable Angelegenheit sein – auf Dauer rächt sich das in geschäftlichen wie sozialen Beziehungen.3 Der Boden des Vertrauens ist schnell ausgelaugt und dann ist das Feld auf lange Zeit nicht mehr bestellbar. Eine neue Bewirtschaftung von Vertrauen wird in der Organisation der Vorleistungsbereitschaft bestehen. Positiv könnte man Vertrauen fördern, in dem man versucht, ihr Wachsen zu belohnen. Vertrauen ist gut - und dann abwarten. Vertrauen braucht Brachzeit. Kontrolle ist eben nicht immer besser. Eine positive Bewirtschaftung des Vertrauens bedeutet, allen Beteiligten Anlass zu geben, hinreichend davon überzeugt sein zu können, dass die Dinge richtig laufen. Vertrauen zahlt sich aus für alle Beteiligten - das Bild des ehrbaren Kaufmanns, auf den man sich verlassen kann, zeigt, dass es einer Gemeinschaft besser geht, wenn sie auf Vertrauen aufgebaut ist. Kehren wir zum Bild der Dreifelderwirtschaft am Anfang zurück. Man kann nicht Weide, Sommer- und Winterfrucht gleichzeitig haben. Der Flurzwang, der auch als ein Gebot der Solidarität interpretiert werden könnte, sorgte dafür, dass man doch gleichzeitig (in der Genossenschaft) alles haben kann, wenn man nur teilt. Das bedeutet, dass das räumlich und zeitlich richtige Arrangement der Bewirtschaftung seine eigene Bedingungen erhält, also nachhaltig sein kann. Wir können die Kapitalien Geld, Vertrauen und Wissen auch unklug bewirtschaften. Wie das beim Geld geschieht, hat uns die Finanzkrise vorgeführt. Wie dies beim Vertrauen geschieht, sieht man bei der Akzeptanzfrage. Wie dies beim Wissen geschieht, sehen wir am Fachkräftemangel und dem Elend der Bildungspolitik. Der Blick auf die Dreifelderwirtschaft mag als Anregung dienen: die gegenseitige Bedingtheit von Geld, Vertrauen und Wissen verlangt von uns, dass wir sie auch in ihren Beziehungen bewirtschaften: Ob wir nun zuerst das Feld des Wissens bestellen, dann das Vertrauen aufbauen und dann erst ans Geldverdienen gehen wollen, ist eine Frage der Felder und ihres momentanen Zustandes, und ob wir auch warten können, um eine Brachzeit einlegen zu können. Es geht darum, bei der Gestaltung von Technik und Organisation, Umwelt und Energieversorgung und der Informations- und Kommunikationssysteme das zu beachten, was ich den Flurzwang genannt habe: Die Rücksicht auf und die Vorsicht mit den gegenseitigen Abhängigkeiten.
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Misstrauen kann man sehr gut nützen: Streue Angst vor Datenmissbrauch und schüre Misstrauen gegen die Betreiber der IuK Technologien und Dein Sicherheitsfirma wird blühen. Zeige Deinen Kunden, wie leicht es ist, in ihr System einzudringen, und sie werden Deine Firewall kaufen. Setze Viren in die Welt und biete Virenschutz an, vergifte den Brunnen und komme wenig später als Retter. Von diesen Geschäftsmodellen bis zur mafiösen Schutzgelderpressung ist es strukturell nicht sehr weit – Datenschutzgeld eben. Wir sagten, dass Vertrauen in die korrekte Operation eines I&K Dienstes aus dem Vertrauen in die Institution des Diensteanbieters abgeleitet werden müsste. Die Struktur des Dienstes selbst kann wohl nur mittelbar Anlass zum Vertrauen geben. Vertrauen kommt ohne Vorleistung nicht aus - die TIT FOR TAT Strategie hat sich im Schnitt für alle Beteiligten selbst beim iterierten Gefangenendilemma als dominant optimale bewährt: Man vertraut zunächst auf den anderen und betrügt nur dann, wenn der andere begonnen, hat zu betrügen. Die Vorleistung hängt psychologisch als persönlich gebundenes Vertrauen von einer allgemeinen Vertrauensstimmung ab. "Trau schau wem" - es fragt sich allerdings, ob Vertrauen immer begründet werden muss.
17 Abschiedsvorlesung / Ringvorlesung „Macht und Kapital“ (2.2.2011) Kornwachs: Dreifelderwirtschaft - Neue Bewirtschaftung von Geld, Vertrauen und Wissen?
Wir sind verantwortlich für alle drei Sorten von Früchten, die Geld, Wissen und Vertrauen hervorbringen, und wir sind gemeinsam verantwortlich für die kluge und vernünftige Bestellung der Felder mit diesen Früchten. Hierzu sei ein Beispiel aus der gegenwärtigen Finanzkrise genannt. Man weiß, dass die Ersteller der mathematischen Modelle und der Computerprogramme oft keine Wirtschaftswissenschaftler, sondern Mathematiker, theoretische Physiker oder Computerfachleute sind. Die Entscheidungen im weltweiten Börsen- und Finanztransaktionssystemen werden unterstützt durch solche Programme, oftmals ist die Entscheidungsfindung auch automatisiert. Das bedeutet, dass der einzelne Broker oder Wertpapierhändler zumindest einen Teil seiner Entscheidung an einen hochvernetzten, automatischen Prozess delegiert, dessen Kriterien er nicht mehr überschauen kann. Zwar haben die Programmierer und Modellbildner eine gewisse Vorstellung davon, nach welchen Kriterien solche Entscheidungen gefällt werden müssen, aber sie übernehmen sie in der Regel von den Doktrinen der Wirtschaftslehren, denen der jeweilige Auftraggeber anhängt. Dadurch entsteht ein System undurchschaubarer gegenseitiger Abhängigkeiten von Randbedingungen, unter denen in kürzesten Zeit Entscheidungen aufgrund nicht transparenter Modelle, die miteinander interagieren, nicht gefällt werden, sondern man sie fallen lässt. Hier baut sich ein Geschehen auf, das wir zwar subjektiv als unkontrollierbare Macht empfinden, das objektiv jedoch ein höchst fragiles, intransparentes und in seinem Verhalten nicht vorhersagbares System darstellt. „Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft“ wie Joseph Weizenbaum sein Buch nannte, kommt also nicht aus einer wie auch immer wohlfeil zu beklagenden Amoralität der Finanzakteure, sondern dadurch zustande, dass wir solche hochvernetzten, entscheidungsersetzenden Systeme zulassen und es versäumen, den Modellbildern, den Erstellern solcher Programme, den Systemarchitekten der Vernetzung und letztlich den Urhebern von Wirtschaftsdoktrinen, die in solchen Systemen ihren Niederschlag finden, die eine oder andere moralische Frage stellen. Die Frage nach der Verantwortung der Wissenschaft und der Technik kehrt wieder zurück. Die Naturwissenschaftler sind sich ihrer ethischen Verantwortung erst bewusst geworden, als sie die Bilder von Hiroshima und Nagasaki gesehen haben – und heute haben viele diesen Schock wieder vergessen. Es gälte also, angesichts des Finanzschocks, der auch eine Grundlagenkrise der Wirtschaftswissenschaften zur Folge haben wird, die Moral der Macht solcher computergetriebener Finanzsysteme zu befragen und seine unbeherrschbare Komplexität als eine Verletzung der Bedingung des verantwortlichen Handelns zu thematisieren. Vor allem aber haben wir uns zu fragen wie es dazu kam, dass wir uns solchen Systemen sehenden Auges ausgeliefert haben. Es wird Zeit, das Feld neu zu bestellen.
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Persönlicher Teil
Als ich im September 1992 mit meinem Dienst an der damaligen TU Cottbus begann, war alles neu: Die Universität, entstanden aus einer kühnen Neugründung der Hochschule für Bauwesen – die Gebäude hießen für jeden Taxifahrer noch über das Jahr 2000 hinaus „Bildungszentrum“ - , der Lehrstuhl, einer der ersten, der die explizite Denomination für Technikphilosophie enthielt, das angestrebte Fachübergreifende Studium, das mit 12 SWS Pflicht die VDI–Empfehlungen zur Ingenieursausbildung wenigstens halbwegs umzusetzen versuchte und die einmalige geschichtliche Situation – die so genannte Neue Bundesländer im Aufbruch. Es war eine wilde Zeit. Ich begann in einem Raum, in dem die Heizung von der Decke tropfte, mit aufgerissenem Fußboden und einem wackligen Stuhl, das Telephon funktionierte nicht – aber das war alles gleichgültig, man konnte etwas aufbauen. Ich hatte früher schon Projekt mit Instituten der Akademie der Wissenschaften der DDR gemacht und wusste, dass sich die Wissenschaftslandschaft im Umbruch befand. Deshalb kannte ich auch die Befindlichkeiten mancher Kollegen von der ehemaligen Hochschule für Bauwesen, die sich heftigen Veränderungen ausgesetzt sahen. Wir haben vergleichsweise schnell eine gemeinsame Sprache gefunden – auch wenn es im jugendlichen Überschwang des Gestaltungsdrangs auch einmal Konflikte gegeben hat. Bei so viel Zauber des Anfangs konnten Enttäuschungen nicht ausbleiben. Zwar wurden Gebäude und Einrichtungen bald saniert, die technischen Einrichtungen und die Infrastruktur total erneuert – man vergaß nur, die Abhöranlage in der Telefonzentrale auszuschalten. Es wurden große Versprechungen gemacht und man dufte sich noch größere Hoffnungen machen. Der Traum von einem kleinen MIT an der Spree gewann Gestalt – und zerrann alsbald wieder, als nach etwa 1998 der erste Schwung des Anfangs erlahmte, die Gartenschau vorbei war und der Alltag mit Sparzwängen – wie an allen anderen Deutschen Hochschulen auch – einzog. Die Fakultät 5 für Philosophie und Sozialwissenschaft wurde schon 1993 auf Druck des Wissenschaftsrates ersatzlos abgewickelt, ein immer noch einmaliger Vorgang in der neueren deutschen Universitätsgeschichte, die Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Lehrstühle wurden auf die verbliebenen vier Fakultäten verteilt. Die Diaspora begann. Die Irritationen blieben bis heute. Ich war damals in der komfortablen Lage, dass sich mein Lehrstuhl von allen vier Fakultäten umworben sah – angesichts meines ursprünglich fachlichen Hintergrundes als Physiker und Fraunhofer-Wissenschaftler im Bereich der EDV und der Organisation entschied ich mich zur Fakultät 1, ein Entschluss, den ich nur in den wenigen Stunden bereut habe, als es daran ging, in dieser Fakultät einen eigenständigen Studiengang für „Kultur und Technik“ durchzusetzen. Dass dieser Studiengang mittlerweile die meisten Studierenden unserer Fakultät hat, machte ihn offensichtlich nicht schon deshalb bei Kolleginnen und Kollegen beliebter. Die Kapazitätsformel bekommt man als Geisteswissenschaftler um die Ohren geschlagen, wenn man wenig Studierende hat, hat
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man viel, ist sie plötzlich nicht mehr relevant, weil ein Geisteswissenschaftler finanztechnisch nur ein Viertel zählt. Im Gegensatz zum Zentrum für Technik und Gesellschaft, das aufgrund seiner Geburtsfehler und seinen inneren Streitigkeiten nie richtig lebte und einen langsamen Tod starb, war der Aufbau des Studiengangs „Kultur und Technik“ trotz allem Gegenwind eine Erfolgsgeschichte und mein Dank gilt an dieser Stelle den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am Lehrstuhl und der Gastprofessur Kulturphilosophie, besonders jedoch an Herrn Dr. Stefan Groß, der sich gerade habilitiert und ohne den dieser Studiengang nicht entstanden wäre. Mein Dank gilt auch an alle Kolleginnen und Kollegen, die sich bereits erklärt haben, ihr Lehrangebot z. T modifiziert, für unseren Studiengang zur Verfügung zu stellen und damit an diesem Abenteuer mitzwirken. Mein Dank gilt auch – das erscheint kontraintuitiv – denen, die uns zwangen, durch ihre Kritik und skeptische Haltung gegenüber einem solchen Vorhaben, uns die Sache besser zu überlegen und noch unwiderstehlicher zu argumentieren. Der Studiengang Kultur und Technik hat mehrere Effekte: Er bringt Studierende nach Cottbus, die eine Alternative zu den High Tech Studiengängen suchen, deren Absolventen in den meisten Fällen Brandenburg verlassen haben oder werden. Er bringt für die immer noch sehr stark männlich dominierten Studiengänge der BTU einen erfreulichen Zuwachs an weiblichen Studierenden – vulgo ein Paar Mädels mehr auf dem Campus. Wenn auch von vielen Studierenden und Kollegen und Kolleginnen als Fremdkörper oder exotisch angesehen, bringt der Studiengang die Diskussion auf dem Campus vorwärts, und er stellt – bisweilen und Gott sei Dank – unangenehme Fragen. Er erinnert uns daran, dass eine Universität keine Drill- und Ausbildungsanstalt sein sollte, keine Lernfabrik, in der man diejenigen heranzieht, die man nach Bertold Brecht in seinem „Galileo Galilei“ als „ein Geschlecht erfinderischer Zwerge, die für alles zu mieten sind“ ansehen müsste, sondern freie, verantwortungsbereite Menschen. Eine Universität, so war es lange die Vorstellung, müsste in die Gesellschaft hinein eine intellektuelle Strahlkraft entwickeln; die Impulse für technische, soziale, gesellschaftliche und organisatorische Innovationen müssten von den Universitäten ausgehen, nicht vom Feuilleton, von Urteilen des Verfassungsgerichts oder von Debatten über populistische Bücher, wie dies in unserer Republik oftmals der Fall ist. Sie müsste auch eine Bühne sein, auf der neue programmatische Ansätze in der Politik und in der Gesellschaftstheorie zum ersten Mal verkündet werden. Doch seit wann hat ein Politiker die Universität als Bühne in Deutschland wirklich benutzt, um nach vorwärts zu blicken, altes Terrain hinter sich lassen, und um Aufbruchsstimmung zu verbreiten? Der Lehrstuhl Technikphilosophie, dessen Leitung kommissarisch nach dem 31. März erst einmal durch unseren Herrn Präsidenten vertreten wird, da für die Universität aus mannigfachen Gründen eine Neubesetzung nicht sofort möglich ist, hat neben seinen Aufgaben in Forschung und Lehre versucht, zu den wirtschaftlichen, regionalen, aber auch intellektuellen Aufgaben einer Universität beizutragen. Das ist zuweilen auf Unverständnis
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gestoßen, die Auseinandersetzungen möchte ich hier nicht thematisieren, aber auch hier muss man sagen, dass sie für alle Beteiligten lehrreich waren. Philosophie an einer Technischen Universität ist kein einfaches Unterfangen, es ist eine Gratwanderung zwischen unterschiedlichen Kulturen, Denkweisen und Begriffswelten. Wenn man sich dazwischen bewegt, notgedrungen zum Beispiel im fachübergreifenden Studium, begegnet man vielen Fächern – jedes Seminar war ein Abenteuer, weil wir ja nicht wussten, ob junge oder alte Semester kommen und welche fachliche Zusammensetzung die Zuhörerschaft hatte. Das hat uns gezwungen, uns vom philosophischen Jargon zu verabschieden, deutlich zu werden und das Anliegen des philosophischen Fragens auch in der Sprache der Technik und der Wirtschaft verständlich zum Ausdruck zu ringen. Hoffen wir, dass es gelungen ist – jedes Seminar ist nach meinem Verständnis eine Experimentierstation, die neue Erkenntnisse bringen kann – man muss es nur richtig vorbereiten. Die Auswertung dieser Experimente sind noch lange nicht beendet – und es gibt auch nach meinem Weggang – schreibenderweise –für mich noch viel zu tun. Ich komme dann zu dem, was ich schon immer, allerdings zu wenig, getan habe oder hätte tun sollen. Wir haben versucht, über die Ringvorlesung wie dieser ein interessiertes Publikum in Universität, in der Stadt Cottbus und der Umgebung anzusprechen. Das ist, wenn man die Besucher von heute Abend sieht, nach mehr oder weniger langen Anlaufzeiten gelungen. Der Lehrstuhl und seine Mitarbeiterin und Mitarbeiter sind immer wieder zu regionalen Anlässen eingeladen worden, sei es für Vorträge, Diskussionen, Artikel oder auch für Beratung, zum Teil auch bei regionalen Konflikten. Darüber hinaus, und das hat uns der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft bescheinigt, war der Lehrstuhl für Technikphilosophie über die Region hinaus in der Scientific Community sichtbar. Wir brauchen uns also nicht zu verstecken. Auch ein Lehrstuhl funktioniert nur, wenn er eine organisatorische Hülle um sich herum hat, die funktioniert, trotz aller Bürokratisierungserscheinungen. – Ich denke an die Verwaltung, der ich an dieser Stelle ebenfalls herzlich danken möchte, weil sie immer wieder kooperativ geholfen hat, die schwierigen finanztechnischen und organisatorischen Kühe vom dünnen Eis geisteswissenschaftlicher Naivität herunter zu holen, den Fakultätsassistenten, die meist die Prügel abbekamen, die eigentlich den unangenehmen Gremienbeschlüssen hätten gelten sollen, den vielen hilfreichen Händen und Köpfen, die Hörsaaltechnik, das Medienzentrum, die Bibliothek und viele andere eingeschlossen. Und so kommt es, dass trotz vieler – manchmal lästiger Randbedingungen, die uns die Hochschulreform n-ter Stufe, der Bologna-Prozess, die Rahmenordnungen, die Evaluation, die Akkreditierung und so fort beschwert haben mögen, für mich der Beruf des Hochschullehrers immer noch der schönste auf der Welt geblieben ist. Ich sollte zu einigen inhaltlichen Themen kommen, welche die Arbeit des Lehrstuhls von 1992 bis 2011 geprägt haben. Eine Rückschau der letzten 18,5 Jahre ist nicht ganz leicht, sie hat mit persönlichen Neigungen einerseits, der Leistung und der thematischen Interessen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter andererseits und der Rezeptionsgeschichten dieser Themen zu tun.
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Das Thema Technikphilosophie entsprang dem damaligen Hipe – es wurde in Stuttgart die Akademie für Technikfolgenabschätzung 1991 gegründet, der VDI hat seine Richtlinie 3780 zur Technikbewertung und zu den fachübergreifenden Anteil beim Ingenieurstudium veröffentlicht und Diskussionen ausgelöst. Die Aufgabe war primär, bei der neugegründeten Technischen Universität Cottbus, das fachübergreifende Studienangebot mit einem ersten Kern mit Philosophie und Soziologie zu etablieren. Entsprechend hatte der Lehrstuhl Grundkurse in Technikphilosophie und Technikfolgenabschätzung, Wissenschaftstheorie, Naturphilosophie, Ethik und Praktische Philosophie angeboten. Das Lehrangebot hatte daher gezwungenermaßen eine große thematische Bandbreite, was uns in den Augen der Anderen, d. h. der eher spezialisierten Lehrstühle als Varieté verdächtig machte. Es gab aber auch Themen, die zwar mit der Lehre zusammen hingen und in die Veranstaltungen der Lehrangebote einflossen, aber durch Projekte, einigen Finanzierungsmöglichkeiten, hauptsächlich jedoch durch Forschungsinteressen und Qualifizierungsinteressen, wie Dissertation und Habilitation bestimmt waren. Dazu gehörten auch die Themen wie Demografie und ihre Konsequenzen für die Software-Erstellung, das Problem, wie man Wissen für die Zukunft an nachfolgende Generationen weitergeben kann, die Aufarbeitung der Technikphilosophie in der DDR, die Frage nach den Normenkonflikten, das Prinzip der Bedingungserhaltung in der Ethik, die Sloterdijk-Debatte um den Menschenpark, die Frage nach der Komplementarität in der Weizsäckerschen Naturphilosophie, die Zeitlogik, die Technikphilosophie bei Heidegger, der Zusammenhang von Wirtschaftstechnologie und Innovationen, der neue Bereich Kultur und Ökonomik, sowie die Wissenschaftstheorie des technischen Wissens einschließlich der logischen Analyse der technischen Aussagen. Auch wenn es ein bunter Strauß zu sein scheint, so lässt sich leicht ein roter Faden finden, wenn man gruppiert in Technik und Natur einerseits versus technisches Wissen und Wissen von der Natur, wenn man gruppiert in die Grundfragen der Technikphilosophie, die die Einbettung der Technik und das technische Handeln im ethischen im ökonomischen und im wirtschaftlichen wie kulturellen Kontext begreift. Und auch von daher war es auch konsequent, zu einem Studiengang „Kultur und Technik“ zu gelangen, weil wir Technik immer als kulturelle Leistung verstanden haben und andererseits uns Kultur nicht ohne Technik vorstellen konnten. Damit lassen sich dann auch die Grundfragen der Technikwissenschaft stellen und dieses Thema hat dann auch zu einem eigenen Themennetzwerk bei der Deutschen Akademie für Technikwissenschaften geführt. Eine genauere Projektbilanz, ein Veröffentlichungskatalog und oder gar eine Liste der Aktivitäten vorzulegen, wäre an einem solchem Anlass albern. Es geht ja auch nicht um Eigenlob oder Eitelkeiten, es geht um die Verantwortung für das Ganze und den Blick nach vorne. Gezwungen, aus gesundheitlichen Gründen meinen Ruhestand ein Jahr früher als gesetzlich geplant anzutreten, möchte ich an dieser Stelle doch noch einige programmatische Ausführungen anschließen, die sie auch schon – wenngleich eher ahnendin meiner Antrittsvorlesung finden können. Wissenschaft bedeutet Kontinuität, verbunden mit neuen Einsichten, weil Wissenschaft immer den neuesten Stand des Irrtums darstellt, wie Popper das einmal ausgedrückt hat. Sie ist immer eine Mischung aus Hoffnung und Skepsis bezüglich des Fortschritts und anderer
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Schritte. Daher sei an dieser Stelle doch noch einmal auf die Rolle der Universität eingegangen – von Bachelor, Master und Bologna war 1992 noch keine Rede. Ein kleines Eigenzitat aus der Antrittsvorlesung kann ich mir daher nicht verkneifen: Die Nachdenklicheren in unserem Lande wissen, daß eine Universität ohne Philosophie und ohne Geschichte, ohne das Nachdenken über geistige, gesellschaftliche, geschichtliche und kulturelle Bedingungen zur sterilen Ausbildungsanstalt wird. Wenn wir aber nicht mehr bilden, sondern nur noch ausbilden, dann wird der Fortschritt zu dem, wie er von seinen Kritikern als entartet charakterisiert wird - als „rasender Stillstand“4, als sich überschlagender Funktionsreichtum, den kein Mensch mehr ernsthaft ausnützen kann, als Zweck in sich selbst. Nicht die Philosophie verhütet dies, aber die Menschen, die, durch Philosophie, Geschichte und sozialwissenschaftliche Erkenntnisse angeregt, über Sinn und Nutzen, über ökonomische Reichweite und ökologische Möglichkeiten, über Gemeinwohl und wohlverstandenes Eigeninteresse, über Verantwortung und persönliche Verpflichtung nachzudenken beginnen. Solche Menschen dem Berufsleben an verantwortlicher Stelle zuzuführen - das ist vornehme Aufgabe einer Technischen Universität. In aller Klarheit gesprochen: die Universität und auch eine Technische Universität, hat einen Bildungs- und Erziehungsauftrag. Sie beeinflußt junge Leute, die in einer entscheidenden Phase ihres jungen Lebens ihren Lebensentwurf entwickeln und umzusetzen beginnen. So wie der Pädagoge dem zu Erziehenden bei der Gestaltung und Ausgestaltung seines Lebensentwurfs dient, so dient die Universität nicht nur der beruflichen Ausbildung. Ein Verzicht auf Erziehung und Bildung zugunsten einer bloßen Ausbildung rächt sich langfristig - wir bekommen die Folgen dieses Verzichtes aus den 70er Jahren bereits jetzt empfindlich zu spüren. Es war klar, dass man mit dem Anstieg von 12% auf 30% des Anteils an Abiturienten eines Jahrgangs eine andere Hochschule würde haben müssen: Es gehört zu den wohlgepflegten Tabus, dass die akademische Ausbildung von 40% eines Jahrganges nicht die Tiefe und theoretischer Trennschärfe haben kann, wie dies bei nur 12% eines Jahrgangs möglich ist. Es ist Unsinn zu glauben, dass 40% eines Jahrgangs Wissenschaftler werden könnten, das geben – bei aller pädagogischen Ideologie des ausgehenden 20. Jahrhunderts – die Begabungsreserven, wie immer sie auch bestimmt sein mögen, einfach nicht her. Sie können nicht aus jeder Grundschulklasse einen Leistungskurs in Mathematik der Klasse 12 machen, ebenso wenig wie jeder fähig ist, ein Musikinstrument zu spielen oder im Chor für Mitmenschen erträglich mitzusingen. Es gibt mehrere Effekte: Viele Berufe haben sich ein pseudowissenschaftliches Vokabular und eine verwissenschaftlichte Ausbildungsordnung zugelegt. Jeder Technisierungsschub hat zu einer nicht reduzierten Anhebung der Sockelarbeitslosigkeit geführt. Man kann zeigen, dass dies ein Effekt der Veränderungen der Anforderungen durch die Gestaltung unserer Berufswelt ist. Die Knappheit der Arbeitsplätze, die mit jedem Technisierungsschub ansteigt, treibt wiederum die Eintrittsvoraussetzungen hoch. Wenn das so ist und wir das so wollen, 4
So ein Buchtitel von P. Virilio. (1992).
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dann können wir gar nicht anders, als aus der Universität eine Berufsausbildungsanstalt zu machen, weil wir andere Anstalten in der Größenordnung gar nicht haben. Deshalb beginnen sich die Universitäten in den letzten 15 Jahren auch den curricularen wie organisatorischen Strukturen der Berufsfachschulen, Berufsakademien und Fachhochschulen anzunähern und die eigentliche Forschung hat, aus qualitativen, hauptsächlich finanziellen und organisatorischen Gründen, die Universitäten in Richtung der Großforschungsinstitute wie Fraunhofer Gesellschaft, Max-Planck-Gesellschaft, Helmholtz- und Leibniz-Gemeinschaften und die industrielle Forschung schon seit den 80er Jahren zu einem großen Umfang bereits verlassen. Wir haben Humboldt de facto als Konzept in der Breite liquidiert, vielleicht sogar liquidieren müssen. Trotzdem bleibt der Erziehungsauftrag einer Universität bestehen. Lassen Sie mich noch auf eine Aufgabe speziell unserer Universität kommen – sie hatte nach dem Willen ihrer Gründer auch einen regionalen Auftrag. Universitäten als Kondensationskeime regionaler Entwicklung sind à la longue nur erfolgreich, wenn sie an eine gewachsene Tradition – auch nach Unterbrechung – anschließen können. Leuna, Merseburg beispielsweise – das war und ist wieder Chemie, Dresden war und ist wieder Elektrotechnik und Elektronik, Halbleiter, um nur zwei Beispiele zu nenne. Erfolgreich war und ist die BTU überdurchschnittlich da, wo sie an die Tradition der Bauhochschule und an die Probleme der Rekultivierung zerstörter Landschaften anknüpfen konnte. Im Energiebereich war es seit der Wieder- oder Neugründung nie ganz klar, wie es weitergehen soll, die überregionale Energiepolitik des Bundes hat sich – wenn man das überhaupt so nennen kann – erst jetzt allmählich auf eine langfristige Perspektive im Jahre 2010 geeinigt, die zudem noch umstritten ist. Das ist fast zu spät, um der Universität eine Perspektive zu geben, fast zu spät, um nun die Rolle eines Kondensationskeims zu spielen. Wir haben keine High-Tech Tradition in der Umgebung und das Scheitern des Lausitz-Rings, des Halbleiter-Instituts in Frankfurt, des Cargo-Lifters ist nicht nur der politischen Torheit, der Unfähigkeit der Manager oder kriminellen Machenschaften geschuldet, sondern es fehlt eine gewachsene Haltung in einer Region hierzu, ohne die solche Unternehmungen erodieren. So haben wir den vom Kanzler gerügten Vergleich eines Journalisten, wonach unsere Universität ein Raumschiff sei, das nicht richtig wisse, wo es eigentlich gelandet ist, und immer noch die Umgebung ihres Landeplatzes erkundigt, wohl noch im Ohr: Die Erkundigungen sind wohl fortgeschritten seit der Zeit und ich hoffe, dass wir von der Philosophie dazu haben etwas beitragen können. Wie die BTU in der jetzigen Form überleben kann, das wird die Zukunft zeigen – vielleicht mit einem Konzept, das ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber den High-Tech Großtankern Dresden und TU Berlin darstellen würde, und das schon oft diskutiert wurde: Die Bundeshauptstadt in der Nähe, drum herum viel Platz und betörende Landschaft mit Schlossern, Auen, Galeriewäldern, dem Spreewald. Es liegt mitten in Europa, eine Schlüsselposition und es hat Potentiale. Kleine aber feine Studiengänge, exzellentes Reflektionspotential, relevante Prognosekapazität, gefragte und exklusive Beratungskompetenz, Entwicklung von klugen Organisationsformen bei Umgang mit Technik
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und im Hinblick auf Nutzerakzeptanz, gepflegte kulturelle Gestaltung von und Einstellung zur Gebrauchstechnologie. Man wird wohl noch ein bisschen träumen dürfen … Deshalb, die Zwänge wohl verstehend, ein Abschied sine ira et studio. Keiner geht gern von einem Schiff, das er seinerzeit geholfen hat, zusammenzuzimmern. Trotzdem sollten wir einige Ideen, die mit der BTU schon immer verbunden waren, beibehalten oder retten:
Es ist die Idee vom Fachübergreifenden Studienangebot, das so hoffnungsvoll begonnen hat und heute mehr denn je Angebote bräuchte, die wirkliche integrative Kraft zwischen den Fächern und Fakultäten entwickeln können. Wir brauchen hier neue Formen und Ideen in Richtung des Projektstudiums, sonst wird das alles nur noch ein lästiges Anhängsel in den jeweiligen Studienordnungen.
Es ist die Idee von Kultur und Technik, die Technik als eine Kulturleistung begreift. Der Studiengang wurde zwar von anderen Universitäten kopiert (TU Berlin, Darmstadt, Braunschweig u.a.) aber in der Radikalität nie erreicht. Wir sollten dieses Pflänzchen, das zuweilen, das gebe ich zu, auch manchmal ein stacheliger Kakus sein kann, sorgsam davor bewahren, bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit finanzieller Engpässe liquidiert zu werden,.
Es ist die Idee einer Universität der kurzen Wege, des unmittelbaren Kontaktes zwischen Lehrenden und Lernenden, die ich dankenswerter Weise immer wieder erfahren durfte, die kleine aber feine Universität, mit innovativen Ideen und einem anregendem kreativen Leben auf dem Campus: Dafür lohnt es sich immer noch zu kämpfen.
Eine Universität mit ihrer Lehrenden sind nicht nur Forscher, sondern auch Vorbild und Diener an den Lebensentwürfen unserer Studierenden, sie haben auch einen erzieherischen Auftrag – und da gibt es, wenn ich mir so die ersten Semester, die von den Gymnasien kommen, wohl noch viel zu tun! Wünschenswert wäre hier ein propädeutisches Semester für alle, um ein gemeinsames Niveau für den Start in das Studium zu erreichen. Es fällt mir schwer, mich mit einer künftigen Entwicklung der Universitäten als Institution in Deutschland, sofern sie sich als Unternehmen verstehen, zu identifizieren. Aber man soll sich selber aber nicht so wichtig nehmen. Ich habe an dieser Universität keine herausragende administrative Rolle gespielt, von unserem marginalisierten Lehrstuhl her hatte ich ohnehin wenige Chancen, in irgendwelche Wahlämter aufzurücken. Ich habe dies durchaus als Vorteil empfunden, denn Sitzungen in Gremien erschienen mir immer eher als ein Sieg des Hintern über den Geist, um zu später Stunde einmal Karl Kraus zu bemühen – ich empfand sie immer als lästige Unterbrechung meiner eigentlichen Arbeit. So stand mir in den Gremien keine Stimme, sondern nur das Wort zu Gebote, ohne die Autorität eines Amtes. Von daher war ich an unserer Universität mehr Beobachter als Einflussnehmender. Machtlose Beobachter sehen vielleicht manchmal schärfer. Wie auch immer - vieles hätte ich nun wirklich besser machen können.
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Von daher fällt mir wiederum der Abschied auch leicht. Ich werde in geringem Umfang weiterlehren im Rahmen einer Honorarprofessur, die ich schon vor Cottbus an der Universität Ulm inne hatte, und ich werde im Rahmen meiner Möglichkeiten als Berater, Publizist und Referent tätig werden. Denn ich habe nicht vor, mich auf ein Altenteil zurückzuziehen, sondern entsprechend meinen gesundheitlichen Möglichkeiten nur so kurz zu treten, dass es noch weit genug reicht. Le roi est mort, vive le roi. Normalerweise mischt sich der Vorgänger nicht in die Besetzungsverfahren der Nachfolge ein. Das will ich auch so halten, ich werde mich hüten, Empfehlungen zu geben. Trotzdem muss eine Bemerkung erlaubt sein: Die Stelle sollte so rasch wie möglich öffentlich ausgeschrieben und besetzt werden. Einerseits sind kommissarische Besetzungen meist der erste Schritt zur Abwicklung und zu einem KW Vermerk, aber manchmal ist es auch so, dass nichts länger hält als ein Provisorium. Damit sind kommissarische Besetzungen auch eine Chance für den Erhalt. Deshalb mein Appell zum Schluss: Belassen Sie es nicht, um mit einer Metapher aus dem Baugewerbe zu enden, mit einer Glühlampenfassung, der sog. russischen Beleuchtung, sondern hängen Sie möglichst früh Kronleuchter hin. Die Universität kann dieses Licht vielleicht gut gebrauchen.