Ortsportreat Bohrau

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Lausitzer Rundschau

Ortsporträt Bohrau

Elbe-Elster-Rundschau

S A/S O, 1 0./1 1 . OKTOBER 2009

Darüber lacht das Dorf

STIMMEN

Seinesgleichen muss man erst mal finden: Ein Wohnhaus und die dazugehörige Scheune sehen von der Südseite total anders aus als von der Nordseite. Während jeweils auf der einen Dachseite nagelneue Ziegel in der Sonne glänzen, sind die anderen Seiten von verwitterten, etwa 100 Jahre alten Dächern behütet. Entstanden ist das Kuriosum nach dem Pfingstmontag 2007. Diesen Tag vergisst niemand im Ort. Sabine Peterziel erinnert sich sofort: „15.45 Uhr fielen tennisballgroße Hagelkörner vom Himmel. Dächer und Autos waren kaputt. Deshalb hat jetzt mehr als die Hälfte aller Häuser in Bohrau ein neues Dach.“ Die Stadt Forst allerdings konnte sich wegen klammer Kassen nur zu einer Notlösung durchringen: nur die kaputten Südseiten des Gemeindehauses und der verfallenen Scheune wurden gedeckt. gro

Klein Bohrauer vermissen alte Heimat Norbert Salan (41 Jahre) ist der Ortsvorsteher und der amtierende Ortswehrführer der Bohrauer Feuerwehr. Seit 21 Jahren ist er hier Zuhause. „Ich komme aus der Grube", sagt er lakonisch und meint damit sein ursprüngliches Heimatdorf Klein Bohrau, das vor der Wende der Kohle weichen musste. Er arbeitet als Betriebshandwerker bei der Agrargenossenschaft in Forst und hat in Bohrau auch einige eigene Tiere, zum Beispiel Kühe, zu versorgen. Frank Kolm (48 Jahre) kommt aus Forst, hat in Bohrau ein Eigenheim gebaut und fühlt sich dort seit 1997 wohl. „Den Umzug haben wir nie bereut. Die Ruhe hier, die Nähe zur Natur, die Lage unseres Hauses gleich am Wald, herrlich“, sagt er und strahlt. Da ihm der Ort so gut gefällt, bringt er sich auch ein in das Dorfleben. Er ist der stellvertretende Orstvorsteher. Günter Graßmann (wird in

16 Tagen 82 Jahre alt) stammt aus Klein Bohrau, hatte einem Mädel aus Groß Bohrau einen Heiratsantrag gemacht und zog im Jahr 1950 zu ihr. In Bohrau, so meint er, sei vor der Wende der Zusammenhalt viel besser gewesen. „Jetzt will doch einer ein größeres Auto als der andere.“ Die Feuerwehr halte im Ort alles zusammen, sagt Günter Graßmann. Er selber sei mit dem Herzen dabei. „25 Jahre lang war ich Wirkungsbereichsleiter.“ Das Kriegerdenkmal sei eine Schande, ereifert er sich. „Um die Wende herum haben wir es mal selber angestrichen. Jetzt ist die Stadt zuständig und das Denkmal verkommt.“

Jörg Blossey (44) ist als Gemeindearbeiter für ein sauberes Ortsbild zuständig. Sein neunjähriger Sohn Julius geht ihm gern zur Hand. Zum Beispiel, wenn auf dem Friedhof die „Ehrengräber“ zu pflegen sind. Dies hier ist die Ruhestätte von Georg Pawlack, einer Radsporthoffnung aus Bohrau, die im Juni 1933 als 25-Jähriger bei einem Radrennen in Halle tödlich verunglückte. Nicht weit entfernt ist das Grab von Kazimierz Fotos: Gerd Kundisch Futt, ein Pole, der in Bohrau arbeiten musste und im Februar 1945 erschossen worden war.

„Harfen“konzert auf Eierschneidern

Bei solchem Abendrot in Bohrau – rechts mit Kraftwerks-Dampfschwaden – stört sich niemand an kuriosen Dächern. Anzeige

Bohrauer lieben die Ideen des „Muttiklubs“ und die urwüchsige Natur In Bohrau wäre es durchaus möglich, dass sich Hase und Reh Gute Nacht sagen. Was allerdings keinesfalls heißen soll, dass der Ort rückständig ist. Vielmehr ist hier „die Natur voll in Ordnung“, wie der mit Anerkennungen überhäufte Kleintierzüchter Wolfgang Dubrau verkündet. Das gibt auch die Mehrzahl der Einwohner als Grund an, warum sie hier und nirgends anders leben wollen. Von Hannelore Grogorick

In der Aufzählung der Tiere, die in den endlosen Feldern, Wiesen und unter Baumgruppen leben, muss man Wolfgang Dubrau glatt bremsen: Wiedehopf, Eisvogel, Kleiber, Kranich… Auf seinem eignen Hof schnattert und schilpt wohl alles, was ein hiesiger Kleintierzüchter haben kann. Hunde und Katzen leben auf jedem Gehöft. An ei-

Wir in

Bohrau ner Ecke juchzen Truthähne, an einer anderen sind die Laute von Kühen und Schafen zu hören. Auf dem Grundstück des weithin als Pferdefreund bekannten Hagen Ridzkowski springen und wiehern edle Rösser. Neben der urwüchsigen Natur schwärmen die Bohrauer von ihrem Zusammenhalt. Etwa 100 Einwohner hat der Forster Ortsteil. Bei Beerdigungen sind fast alle Erwachsenen auf dem Friedhof, bei Veranstaltungen des „Muttiklubs“ kommt das gesamte Dorf zu-

sammen. „Den haben sieben junge Mütter vor mehr als 20 Jahren gegründet“, erzählt Sabine Peterziel. Jetzt sind die Töchter Carina 27 und Julia 17 Jahre alt , aber Sabine Peterziel und die anderen sind mit jetzt jungen Müttern immer noch in diesem Klub vereint. „Es fing mit einer Weihnachtsfeier an. Dann hat sich herumgesprochen, mit welchen Ideen wir Feiern gestalten. Und nun freut sich das ganze Dorf auf unsere Programme in der Gaststätte Oase.“ Kunststück: Wer will sich schon ein „Harfenkonzert auf Eierschneidern“ entgehen lassen. Im kommenden Jahr wird die Kreativität der Frauen besonders bei Feiern gefragt sein: „13 Personen aus dem Ort nullen dann“, sagt Sabine Peterziel und zählt auf: Fünf Bohrauer werden 50 Jahre alt, einer 60, zwei 70 und fünf 80.

Während „Die Oase“ ein Treffpunkt für die Großen ist, zieht der Spielplatz am Freizeittreff die Kleinen sogar aus anderen Ortsteilen an. Vor de Hotel „Zum blauen Dach“ parken Autos mit Kennzeichen aus Heidelberg, Bad Doberan, Kreis Müritz, Berlin. „Das sind Monteure fürs Kraftwerk oder Windradaufsteller. Auch Fahrradtouristen übernachten hier gern“, sagt Frank Kolm, der stellvertretende Ortsvorsteher. Erfreut sind die Bohrauer ebenso darüber, dass über den Malxe-Neiße-Kanal an der Hauptstraße eine neue Brücke gebaut wird und dass im nächsten Jahr die Malxe wieder in ihrem „alten“ Flussbett durch das rekultivierte Tagebaugelände fließen soll. Im Jahr 1952 war wegen des damals geplanten Tagebaues der Kanal gebaut worden, um den Fluss umleiten zu können.

Das Ortsporträt wird präsentiert von

Der Krankenschwester schmerzt die Seele Monika Happatz

(63) tut es in der Seele weh, wenn sie das verfallene Schloss sieht. 30 Jahre lang war sie dort als Schwester tätig. Zuerst in der Altenpflege, dann in der Psychiatrie und später in der Wohnstätte für Behinderte. 2000 war sie von Forst nach Bohrau gezogen. Ihr Mann stammte von hier, war behindert und kam in der naturnahen Wohnung gut zurecht gro

Erika Salan (74 Jahre) denkt

Stefan Buss kennt sich in Bohraus 628-jähriger Geschichte bestens aus Stefan Buss interessiert sich für Historisches. Beim Rundgang durch Borau glänzte er durch geschichtliches Faktenwissen. Und das, obwohl der 49-Jährige mit seiner Lebensgefährtin Monika Kaiser noch gar nicht so lange im Ort wohnt. „Wir sind die jüngsten Zugezogenen“, sagt er. Das Paar hat sich in Bohrau ein etwa 100 Jahre altes Haus gekauft und ist seit 2005 beim Sanieren und Modernisieren. Ob seine Freude an solch betagtem Haus seiner Liebe zu allem Alten entspringt ist nicht hinterlegt. Dass seine Arbeitsstelle seinem Hobby gut tut allerdings schon. Stefan Buss ist

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der Techniker im Brandenburgischen Textilmuseum in Forst. „Von Beruf bin ich Elektriker“, erzählt er. „Als ich im Jahr 1997 aus dem Urlaub kam, gab es meine damalige Firma nicht mehr. Da kam mir zugute, dass ich im Vorstand des Museumsvereins aktiv war.“ Über Bohrau hat er herausgefunden: „Das fünf Kilometer nordwestlich von Forst gelegene Dorf Bohrau war ein Vasallendorf der Herrschaft Forst, das schon im Bibersteinischen Lehnsregister von 1381 erwähnt wird.“ Auch über den Rittergutsbesitzer Louis Wuerk und seine Gemahlin

Rosalie, die auf dem Bohrauer Friedhof in eigner Gruft mit fünf Zinksärgen liegen, weiß er Bescheid. Stefan Buss hat herausgefunden: Henriette Caroline von Rabenau hatte Bohrau im Jahre 1805 für 64 500 Taler an Ludwig Reinhard Würk verkauft, der im Jahr 1810 den Lehnbrief erhielt. Um 1863 gehörte das Gut dann mit 1779 Morgen Land dem Louis Wuerk als Erblehn. Das Schloss in Bohrau wurde 1840 erbaut. Als Wuerk 1881 gestorben war, kaufte Premierleutnant Arthur Emil Trierenberg das Lehn Borau. Er war ein Sohn des Rittergutsbesitzers von Welzow. gro

Stefan Buss und Monika Kaiser sind die jüngsten Zugezogenen. Er arbeitet im Brandenburgischen Textilmuseum in Forst, sie im eigenen Garten. Noch. Denn ab 19. dieses Monats darf sie bei der BQS in Döbern tätig sein.

Schandflecke, über die sich das ganze Dorf ärgert

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Der jüngst Zugezogene weiß das Älteste

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wehmütig an Klein Bohrau zurück. „Ich werde nicht warm hier“, sagt sie schüchtern. Mit der Familie sei alles gut. Sie habe vier Kinder, die fünfjährige Enkelin Amelie sei ihr Sonnenschein. „Aber ich komme mir überflüssig vor.“ Vor allem, nachdem ihr Mann 1988 gestorben war. „Bei Treffen oder Feiern sitze ich allein zwischen den Paaren. Das ist nicht schön.“ Dann schwärmt sie von Katze Paula, die ihr aufs Feld folgt. Und von Schäferhund Artus, der bereits sehnsüchtig nach ihr bellt. gro

Monika Happatz, Heike Bräuer und Sabine Peterziel (v.l.) waren mit Leib und Seele Bohrauer Chormitglieder. Die wirtschaftliche Entwicklung forderte jedoch auch von Bohrau ihren Tribut: die jungen Leute ziehen weg. Vor drei Jahren brach der Gesangsverein auseinander. „Der Chor fehlt mir“, sagt Sabine Peterziel. Die gebürtige Bohrauerin trat als 14-Jährige dem Chor bei und blieb bis zur Auflösung 2006.

Bei aller Liebe und Einsatz für den Forster Ortsteil gibt es in Bohrau Schandflecken: Das alte Gutshaus verfällt zuhends, seitdem die „Kursana“ das Haus als Pflegeheim 2001 aufgab. Das alte Stallgebäude (Foto) gleicht einer Ruine. Die Klein Bohrauer Straße werde „von Flickschusterei zusammengehalten“, sagt Ortsvorsteher Norbert Salan. Die Bürgersteige an der Hauptstraße – einer Bundesstraße – sind so löchrig, dass im Winter das Schneeschieben eine Tortour für Gemeinde-

arbeiter Jörg Blossey ist. „Ein so schlechtes Kriegerdenkmal wie unseres an der Bundesstraße gibt es in der ganzen Region nicht“, schimpft Salan weiter. So schmuck wie das Gefallenendenkmal von 1870 wünschen sich die Bohrauer auch das Kriegerdenkmal, für das aber die Stadt Forst zuständig ist. gro


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