Der Dritte Bettenturm

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Stephan Alfare

Der dritte Bettenturm Roman

Luftschacht Verlag


© Luftschacht Verlag – Wien 2011 Alle Rechte vorbehalten www.luftschacht.com Umschlaggestaltung: Jürgen Lagger unter Verwendung eines Gemäldes von Wolfgang Zeindl (www.zeindl.net) Satz: Florian Anrather Druck und Herstellung: CPI Moravia Die Wahl der angewendeten Rechtschreibung obliegt dem/der jeweiligen AutorIn ISBN: 978-3-902373-66-3


für Albert Friedrich Daniel Reisetbauer de Loy (21. Februar 1949 – 15. November 2008)


1. Kapitel: Der jähe Fall

Verwischte Wolken; zerwühlte, schmutzige Laken im Dunkel. Ein Stück vom Mond, der aufgestiegen war über gezakkten Giebeln, der aussah wie von irgendwo herausgerissen. Zwei, drei zornige Sterne, mehr waren es nicht. Triste, seelenlose Vorstadt. Das Trottoir führte leicht bergan, holprig, mit klumpigen Steinen gepflastert. Flenner stützte sich ab an der Häuserfassade, eine brüchige Mauer, legte die Wange daran. Die Stadt schien zu schwanken, die Gebäude krümmten sich über ihm. Und er kicherte, böse und rauh. Ein abgebrochener Schritt, er geriet ins Taumeln, die Straße stadtauswärts direkt vor den Schuhspitzen. Flenner spuckte aus. In der Jackentasche steckten die Schlüssel; gefaltete Geldscheine in der gebleichten Cordhose, Münzen. Er zwängte die Finger dazwischen und befühlte die Geldstücke. Dabei mußte er an Weiberhände denken, Finger voller Falten und Risse, Waschwasserschwielen ... an Krücken und Rollstühle, weiß Gott, weswegen, an ausgeleierte Stützstrümpfe dachte er, an Prothesen und an vergammeltes Speiseöl. Er nahm seine Hand aus der Tasche und roch an den Fingern. Bis zum späten Nachmittag hatte es geregnet. Im Westen war eine Spur rötliche Sonne gestanden, bevor sie abgetaucht war hinter den bewaldeten Hügeln. Den langen Abend hatten sie mit Trinken verbracht. Dann, gegen Mitternacht, hatte sich das Schwarz mit Farben vermengt; bunt wie die Pillen auf dem wackeligen Tisch in der Wohnküche der Süchtigen.


Später hatten sie mit Pfeilen geworfen, in der karmesinroten Plüschbar an der Kreuzung, dort, wo der Supermarkt war. Den Arm angewinkelt, Daumen und Zeigefinger wie der Kopf eines Sperlings, im Schnabel der Pfeil. Der Flug danach: Flenner mußte jedesmal mitfliegen. Und dieser magische Piepton, den er heute nacht so sehr liebte; eine Abfolge von Tönen. Zwischendrin zweieinhalb Schritte zum Tischchen, wo die Flasche stand und ein Glas. Ein letzter Schluck in der Wohnküche, auf der häßlichen Wanduhr war es bald vier. Eiskaltes Bier aus dem mannshohen rostigen Kühlschrank, der surrte, dann schüttelte er sich, das Klirren von Flaschen. „Schieb mal rüber den Dreck!“ Und der knöcherige Kerl mit den Schlaganfällen reichte die schäbige Untertasse herüber; Pillen kreiselten zwischen Kaffeeflecken und Rissen wie Äderchen. Ein plötzlicher Windstoß trieb ihm das Haar zurück, es war, als wollte es fort aus der Kopfhaut. Flenner runzelte die Stirn, riß die Augen weit auf, legte den Kopf in den Nakken: der Morgen dämmerte herauf. Tauben im grauverschwommenen Kreis unter den Ziersträuchern, gleich dahinter die Schule. Gurren, aufplustern und hochflattern. Er sah ihnen hinterher; das Flügelschlagen ebenso laut und schneidend wie das Sirren in Flenners Schädel. Am Postamt vorbei, immer der Nase nach mit breiten Schritten; er überquerte die Straße. Von links kam ein Wagen heran, fuhr langsam näher, holperte über die Erhebung vor dem Fußgängerüberweg; und Flenner trat über Müll und Häufchen von Hundekot auf das schräge Trottoir. Kein Wagen mehr, gar niemand; die Luft des frühen Morgens, Wind, der jetzt kräftiger war, der zwischen Häuserzeilen


redete. Eine Plastikflasche, eine alte Zeitung raschelten den Bordstein entlang; an der Ecke der türkische Laden, der eiserne Rollbalken heruntergelassen, braune Farbe blätterte wie Papierfetzen ab. Gleich dahinter der Eingang zum Park. Er setzte sich auf die rote Bank aus Holz und erinnerte sich: 21. April war auf dem Abreißkalender gestanden, an der Wand in der Wohnküche der Süchtigen. Den ganzen letzten Sommer lang waren sie hier gesessen, unter den Kastanienbäumen, Flenner und der knöcherige Kerl mit den Schlaganfällen, das Injektionsbesteck im Rauhledertäschchen bereit; ringsum die morphinabhänigen Weiber, kreischend und kichernd, deren Kinder hatten im verklumpten Sandkasten krude Spiele gespielt. Den Winter über hatte er allein getrunken, ein ausgelassener Einsamer zwischen seinen vier kantigen Wänden. Er erhob sich und trottete weiter, alle Nachtteufel auf den Fersen. Fühlte sich müde und zerschlagen. Die Augen schmerzten; als wollten die Äpfel Sprünge bekommen, aus denen es wässrig-rot sickerte später, und Tränen aus Blut in den Winkeln. Als der Park hinter ihm lag, schlug ein Hund an, der Dobermann der Verbrannten. Die magere, ausgemergelte Hure, von ihrem Luden mit Benzin übergossen, angezündet, verbrannt. Es würde wieder Regen geben, vielleicht auch Sturm. Flenner stand vor dem Haustor aus Milchglas, den Schlüsselring in der Hand. Das Husten von alten Männern drang durch die gekippten Fenster der kleinen Zimmer des Pflegeheims gegenüber, kränkliches Husten aus schmalen Stahlrohrbetten, das Kratzen durch braune Pyjamas im Schlaf. Er stopfte die Schlüssel zurück. Nahm den Arm hoch, eine Faust, holte aus, rieb die Zähne aneinander.


Der Arm glitt über gebrochenes Glas, geschärfte Splitter, winzige Klingen, wie frisch vom Messerschmied. Er tastete nach der Türklinke. Drückte die Tür von innen auf, zog den Arm zurück. Dachte: Scherben schweben gleich Federn zu Boden; verspätete Nachtschmetterlinge mit durchscheinenden Flügeln; leise. Unter den Schuhsohlen zermalmte er sie, ein schlichtes Knirschen auf dem Teer. Die ersten Regentropfen fielen. Er lehnte im Hausflur und betrachtete die Hand, von der Blut tröpfelte. Vom Hochparterre drang Musik: eine Gitarre, ein Kontrabaß und eine kleine Trommel, ein Bandoneon, das Saxophon setzte ein, eine Falsettstimme. Der Geruch von kaltem Rauch und Instantsuppe. Ein Mann redete und lachte und übertönte das Lied, eine Frau kreischte, kicherte, der Dobermann bellte, Flaschengeschepper. Die Verbrannte, ihr Lude, der heute morgen nicht abtrotzte, nicht zuschlug. Er rief den Lift; für Sekunden sackte er ein. Süßer Nebel im Vorzimmer der Bewußtlosigkeit. Wo bleibt der gottverfluchte Aufzug? Die Kabine ging hoch, stoppte, die Tür schob sich auf, er trat in das Zwischengeschoß; das Bandoneon weinte im Duett mit der Stimme. Flenner stieg die letzten Stufen hoch, blieb stehen und sah zum Fenster hinaus. Es wurde mehr und mehr hell, grieselig hell; der Tag würde düster bleiben. Fünf Uhr, schätz ich mal, vielleicht bereits halb sechs vorbei. Taubengurren, die Rufe von Krähen und finstere Wolkenfetzen, aufgescheucht, gejagt über das Firmament. Es regnete stärker. Er drehte sich weg, zwei oder drei Schritte zum Treppenabsatz, schickte einen Blick die Stufen hinunter. Fleckiger, betongrauer Stein. Die Hände flach an der Hosennaht, wie eine Lebenskerze, so ließ er sich fallen.

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2. Kapitel: Die Verbrannte

Der Schlag gegen den Schädel war eine verfehlte Genugtuung gewesen, der Aufprall; ein Krieg gegen die Furcht. Blut floß, klebrig, aber nicht unangenehm; etwas, das man zum Leben brauchen konnte. Er wischte übers Gesicht, rieb das Blut in die Hose. Sperrte die Wohnung auf, umwabert von verfallenem, müdem Dunst, der sich enger um ihn legte. Schwarzes, krankes Blut, er verlor eine Menge davon. Die Tür schlug zu; Flenner tastete sich der Wand lang ins Schreibzimmer, hielt inne und glitt langsam zu Boden. Dort lag er, zu zwei Dritteln im Zimmer. Nach einer Zeit, die nicht zu beziffern ist, rappelte er sich hoch, rutschte ab und hinterließ eine handbreite Blutspur am Türpfosten; kroch durch den schmalen Korridor, an der Toilette vorbei, hinüber, wo die löcherige Matratze war. Krabbelte hinauf, ohne die Schuhe abzustreifen. Quer darüber blieb er liegen, den Kopf, aus dem nach wie vor Blut quoll, seitlich, mit der Wunde voran, gegen die kühle Wand gepreßt; metallischer Geschmack auf der Zunge. Hinterher setzten die Träume ein. Ein weicheres Licht als tatsächlich und seltsam greifbar alles, in Konturen und Farben. Vielleicht würde sich Flenner später erinnern daran. Jemand hämmerte gegen die Wohnungstür. „Nun machen Sie doch auf! Öffnen Sie die Tür, um Himmels willen!“

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„Schaun Sie sich das Blut an, alles voller Blut! Herrgott noch mal! So kommen wir da niemals rein. Sie haben doch die Feuerwehr gerufen?“ „Ja. Ja, hab ich. Hab ich eben gemacht, Doktor.“ „Dann ist’s ja gut.“ „Nichts! Nichts ist gut!“ Das Schlagen an der Tür war Wirklichkeit, genauso das Geschrei. „Victor! Victor! Jetzt mach doch endlich auf!“ Er lag auf dem Rücken, blieb liegen und lächelte; fühlte sich gut. Es rührte ihn, wenn er an die verbrannte Frau dachte, gebückt, abgenutzt und kummervoll, draußen vor der Tür. „Victor! Wollt zur Tankstelle, Bier holen! Hab das Blut gesehn, hab einen Krankenwagen gerufen! Du brauchst Hilfe, Victor! Nun mach schon auf! Die wollen dir bloß helfen!“ Er selbst wollte weiterträumen. Unermeßliche Müdigkeit. Und er brauchte diesen Frieden, weil es lange her war. „Öffnen Sie sofort die Tür! Hören Sie!“ „Victor! Victor!“ „Nun seien Sie ruhig, verdammt noch mal! Und stehn Sie nicht im Weg rum!“ Als er dann hörte, daß sie sich an der Tür zu schaffen machten, schloß er die Augen und dämmerte weg. Eine sanfte Stille. Bis die Stimmen zurück waren. Er zerknüllte das Kopfkissen und registrierte die Feuchtigkeit und daß alles pappig war. Und es waren Leute in der Wohnung. Dunst rundum, Menschen im Nebel. Seine Augen waren verklebte Schlitze, und doch sah er ganz in der Nähe Arme auftauchen aus dem durchlöcherten Nebel. Schmelzende Hände mit Fingern in Präservativen. Und plötzlich wurde es hell, ein gleißendes Licht. Und er bemerkte die Uniformen. Drei rote Rettungsleute; dahinter

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standen zwei Feuerwehrmänner und blickten herab: der Rest eines glosenden Autowracks, wo jede Hoffnung zu spät war, ein hilfloses Staunen unter Eingeweihten, das einzig Mögliche. Die Arme zerrten ihn von der Matratze. „Nun kommen Sie doch, kommen Sie! Na los!“ Immer wieder schlitterte er ins Dunkel zurück, und es gelang ihm nicht, sich diesen Händen zu entwinden. Ein eigenartiger Zustand, ein Wechselspiel. „Victor! Du mußt mit ihnen gehn, die meinen’s ja nur gut! Du kannst nicht hierbleiben, du verblutest ja! Bitte, Victor!“ Und als es wieder heller wurde, war ihm, als schwämme die Matratze in einem dunkelrubinen See. „Bald können wir abziehn, bald kommt der Leichenwagen.“ „Seien Sie still! Hören Sie auf damit! Victor! Victor!“ Die Feuerwehrmänner staunten nicht mehr; die Hydranten waren geschlossen, die Schläuche längst aufgerollt. Und überall Flaschen, er lag jetzt im Flur, mitten darunter. Zerquetschte Bierbüchsen waren verstreut, verstaubte Schnapsflaschen, Zweiliterflaschen, in denen einmal Wein gewesen war, die Zwanzigmilliliterfläschchen mit Magenbitter und mit schlechtem Wodka. Sie hoben ihn hoch. Er dachte, wie er wohl aussehen, was für einen Eindruck er hinterlassen mochte; ein klarer Gedanke, klar wie Kristall. „Victor! Alles voller Blut! Im Treppenhaus! Ich rauf! Auch an den Wänden, vor deiner Tür! Alles voller Blut!“ Skelettartig, ein spilleriges Becken; ruckartige Bewegungen mit den Armen ins Leere, ihr wirres Haar wie ein Nest, die Gestalt einer Gelenkpuppe; dicke Kajalstriche umrahmten die Knopfaugen und machten sie riesengroß, kohlschwarze

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kreisende Pupillen, dennoch starr auf Flenner gerichtet. Sein Kopf sank nach unten – das Kinn an der Brust – und blieb dort hängen.

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3. Kapitel: Das Bild verschiebt sich

Ein sehr großer Raum, ein Saal. Grelles Licht, das in den Augen weh tat. Viele Leute waren hier. Sie saßen in Reihen von festgeschraubten braunen Schalensitzen. Flenner wußte nichts. Wußte nicht, wie er hierhergekommen war. Er kauerte in einem der Sessel aus Kunststoff, links und rechts Lädierte. Das rechte Auge der Frau neben ihm war blauschwarz verquollen, im Gesicht Quetschwunden, quer über die Stirn ein verschorfter Riß; die schwangere Frau schnarchte laut und speichelte. Er langte nach seinem Kopf. Ein Verband wie ein Turban. Keinerlei Gefühl. Vor Jahren hatten sie ihm das Kinn vernäht an einem Ort wie diesem; ein andermal war es die Fallsucht gewesen, die heilige Krankheit, zuvor ein Messerstich im Unterleib. Eine Reihe von Diapositiven im Großhirn. Wie oft haben mich die Bullen hergebracht? Er sah sich um. Hier schienen alle auf irgendwas zu warten. Gestöhn, Gewimmer, jemand brüllte, Schluchzer; es roch nach Angst, nach Erbrochenem und Alkohol; verwehtes Parfum lag in der Luft, Rasierwasserduft, der Gestank von faulen Füßen, Raserei, Siechtum, Kot und Schweiß und Verzweiflung; er vernahm den blauen Husten, ein Würgen, ein Spucken, rauchige Flüche; in der Nähe weinte ganz leise ein Kleinkind, das er nicht hören mochte. Ich muß achtgeben. Die Gedanken sammeln; er strengte sich an. Was war passiert? Jesus Christus! Daß er hellwach war, das war keine Einbildung. Schön wäre es, sich so manches einzubilden.

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Die Schwangere erwachte. Das kaputte Auge zwei Wülste, das andere offen und wie aus graubraunem Schlick; das Auge tränte. Sie sah ihn an. „Raus hier, raus hier“, sabberte sie. „Wo raus hier?“ sagte Flenner; bevor ihr irres Grinsen erlosch. „Durst hab ich“, sagte er. Seine Zunge: ein geräucherter Katzenfisch. Er stemmte sich hoch; stand aufrecht. So ist’s in Ordnung. Nur die Arme hingen leblos. Und als er an sich hinuntersah, stach ihm das angetrocknete Blut ins Auge: die brüchige Lederjacke hatte dunklere Flecke, die gebleichte Hose schwarzverkrustet, Schuhe, Socken, wenn er die Hose raffte, wie in Blut gebadet. Ob er es schaffen würde zu gehen? Natürlich würde er. Erst mußte er neue Energien bündeln, um diesen roten Teufeln zu entkommen. Die zerrupfte Faust steckte in der Jackentasche, drei Anläufe waren nötig gewesen. An der Hüfte, den Oberkörper stützend, die gesunde Hand; ich werd’s hinkriegen, werd standhaft bleiben. Ein kurzer Schritt. Hinweisschilder mit Pfeilen an den Wänden, die er nicht entziffern konnte. NOTAUFNAHME in viel größeren Buchstaben. „Jaja“, sagte Flenner und tat den zweiten Schritt. Ein dritter, stockend; völlig egal. Er bewegte sich doch. „Raus hier, raus hier.“ Ein rohes Flüstern. Die graue Wanduhr, Zeiger und Ziffern zerflossen, zu stumpf, um die Zeit abzulesen, eine tote Uhr an der Wand. Es schien mit einemmal alles verkehrt. Schwere, schleifende Schritte; niemand beachtete ihn. Er würde sie narren, das war es, er würde sie alle zum Idioten haben! Fünf weitere Kaugummischritte. Jäh strauchelte er; knickte ein in den Knien. Flenner stürzte. Jesusmaria! Jesus, Junge, laß mich durchhalten!

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Die Uhr an der Wand war noch da. Ohne Zeit. NOTAUFNAHME war da. Er versuchte, kriechend voranzukommen. Viele, viele Beine von den braunen Schalensitzen bis zum Boden herab; geknickte Beine, angezogene, manche langgestreckt und über Kreuz gelegt; gebrochene Beine, Gelenke, ausgekugelte; verknackste Knöchel; ein paar wenige Kinder, deren dünne Beinchen schlaff in der Luft verlorengingen. Er robbte. Er wußte nicht, wie weit. Aber das kostete Kraft. Er nahm die Ellbogen dazu ... und ganz unvermittelt schoß ein Strahl aus seinem After. Das fühlte sich warm an, nichts Neues. Seit drei Tagen dreieinhalb Bissen gegessen, das andere war Flüssigkeit. Und jetzt lag er in den eigenen sämigen Exkrementen auf dem blankgeriebenen Linoleumboden und bekam es mit der Angst zu tun. Er fürchtete, er könnte unter Umständen von hier nie wieder wegkommen. Ein Tönen war im Raum, ein Schwingen, irgendwo ging ein Licht an. In seinen Ohren brauste es, dann ein Gewirr von Stimmen, lauter und leiser werdend, ein Auf- und Abebben, ein Durcheinander, das sich senkte und hob, die Stimmensirene. Und das, das wußte Flenner, war nicht mehr Wirklichkeit. War es wohl nie gewesen. Flenner hatte seinen Glauben verloren. Lag nur noch da. Seitlich. Wie ein Gewehrhahn. „He! Sie!“ An der Decke wurde es heller, das Licht kam von oben herab, kam näher wie eine Aufzugskabine; und dann tauchte eine Silhouette aus der Helligkeit, eine zweite, daraus wurden Gesichter, beruflich, professionell. Und über allem eine opalisierende gläserne Scheibe, auf die der Regen trommelte. Das Glas zerbrach; das Bild verschob sich.

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