HERAUSFORDERUNG
VERDICHTEN IM BESTAND Eine Anleitung
Lukas Gruntz
HERAUSFORDERUNG
VERDICHTEN IM BESTAND Eine Anleitung
INHALTSVERZEICHNIS 01 EINLEITUNG von Prof. Dominique Salathé
S. 4
02 KONTEXT
S. 5
03 HERAUSFORDERUNG VERDICHTEN IM BESTAND
S. 6
04 BAULICHE STRATEGIEN
S. 8
05 FALLSTUDIE IM ISELIN-QUARTIER
S. 10
06 ANLEITUNG IN 3 PUNKTEN
S. 16
07 FAZIT S. 18 08 IMPRESSUM S. 20
Verfasst von Lukas Gruntz basierend auf der freien Masterthesis an der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW Begleitet von Prof. Dominique Salathé und Prof. Dorothee Huber 3
EINLEITUNG
von Prof. Dominique Salathé
Wir erleben in Basel einen Bauboom wie seit Gründerzeiten nicht mehr. Neue Quartiere entstehen, und ein wesentlicher Teil der Bestandsbauten, sofern nicht geschützt, wird aufgrund energetischer und ökonomischer Überlegungen ausgewechselt. Ersatzbauten sind die Regel. Vor diesem Hintergrund ist die Arbeit von Lukas Gruntz ein Beitrag zu einer Debatte. Sie behauptet das Potential der gebauten Stadt, denkt sie an einer ausgesuchten Stelle weiter und überformt sie zu einem neuen Ganzen. Die im Rahmen einer freien Thesisarbeit am Institut für Architektur der FHNW entwickelten Überlegungen sind dabei exemplarisch zu verstehen. Es geht nicht nur um Architektur an sich, sondern darum, wie wir unsere Stadt weiterdenken wollen. Sind unsere Bau- und Zonenordnungen noch zielführend? Können wir mit den bestehenden Instrumenten die Stadt so weiterentwickeln und verdichten, dass sie sozial verträglich und eine Stadt für viele bleibt? Mit dem Versuch, gleichsam mittelmässige Bausubstanz möglichst weiter zu nutzen und mit An- und Aufbauten fehlende räumliche und typologische Qualitäten zu ergänzen, sucht die Projektarbeit neue Wege. Dabei geht es im Wesentlichen um die Frage der Angemessenheit. Unter welchen Umständen ist es sinnvoll, die bestehende Bausubstanz auszuwechseln, und wie stark wollen wir von der bestehenden typologischen und sozialen Dichte profitieren, die einen wichtigen Teil unserer städtischen Identität ausmacht? Die unter den Begriffen ‚verdichten – erhalten – gestalten‘ nachfolgend dargestellten Überlegungen von Lukas Gruntz verstehe ich sowohl als lustvolles Experiment wie auch als ernstzunehmende Strategie. Es bleibt die Herausforderung, ein Projekt in dieser Art auch wirklich umzusetzen. Prof. Dominique Salathé, Architekt 4
„Es geht nicht nur um Architektur an sich, sondern darum, wie wir unsere Stadt weiterdenken wollen. Können wir mit den bestehenden Instrumenten die Stadt so weiterentwickeln und verdichten, dass sie sozial verträglich und eine Stadt für viele bleibt?“
KONTEXT
Basler Mietpreisindex
116.1
Leerstandsquote
1.5%
0.5% 100.0 2005
2010
Quelle: Statistisches Amt Kanton Basel-Stadt
Quelle: Statistisches Amt Kanton Basel-Stadt
2015
WOHNUNGSNOT IN BASEL In Basel herrscht seit einigen Jahren Wohnungsnot. Der Leerstandquote liegt seit sechs Jahren bei 0,5% oder tiefer. Diese Entwicklung führte dazu, dass die Mieten im Kanton Basel-Stadt in den letzten Jahren deutlich stärker angestiegen sind als die Teuerung und die Löhne. Dabei ist die Miete für viele Haushalte neben den Krankenkassenprämien der mit Abstand grösste Ausgabenposten. Viele Menschen haben Mühe, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Die Schaffung und Sicherung von bezahlbarem Wohnraum ist eine der wichtigsten sozialen Fragen in Basel. Bevölkerungsschichten mit mittleren und tiefen Einkommen sollen auf keinen Fall aus der Stadt verdrängt werden. Die Wohnungsfrage als städtebauliche und architektonische Herausforderung soll dabei grundsätzlich neu diskutiert werden. Einerseits ist die Verdichtung der Stadt zur Schonung der Landschaft von grosser Dringlichkeit. Hier besteht breiter gesellschaftlicher Konsens. Andererseits sollen günstige Wohnungen nicht mutwillig dem Erdboden gleichgemacht werden. Auf diese teilweise widersprüchlichen politischen Vorgaben gilt es Antworten zu suchen. NACHVERDICHTUNG? Die Verdichtung der Stadt ist in aller Munde. Medien, Politik und Experten preisen sie als das Gebot der Stunde. Was Verdichtung im konkreten Einzelfall bedeutet, bleibt meist unerwähnt. Vielfach wird die Verdichtung auf eine reine Erhöhung der baulichen Ausnützung reduziert. Das greift zu kurz. Oberstes Ziel von Verdichtungsmassnahmen muss die Erhöhung der Nutzungsdichte sein. Diese beschreibt die Anzahl Wohnungen, Läden, Restaurants, Arbeitsplätze pro Fläche – also wie viele Menschen sich auf einem Stück Land innert 24 Stunden aufhalten. Um eine möglichst hohe Nutzungsdichte zu erreichen, sollte eine Durchmischung verschiedener Nutzungen angestrebt werden. 5
HERAUSFORDERUNG VERDICHTEN IM BESTAND
BEBAUUNGSPLAN! Die Politik reagiert mit Aufzonungen auf die Forderung zur Nachverdichtung. Es stellt sich die grundsätzliche Frage, ob Aufzonungen ein angemessenes Mittel sind. Alle Häuser um ein Geschoss aufzustocken ist ökonomisch nur bedingt sinnvoll – und schafft keine städtebaulichen Qualitäten. Hier bietet das planerische Werkzeug des Bebauungsplans eine spannende Alternative. Im Kanton Basel-Stadt können Bebauungspläne gemäss gesetzlicher Definition „in spezifischen Gebieten eine bessere Bebauung gewährleisten als die baurechtliche Grundordnung“ (§ 101 des Bau- und Planungsgesetzes). Mit Bebauungsplänen darf nämlich vom Zonenplan und den Vorschriften des Bau- und Planungsgesetztes abgewichen werden.
KONZEPT
HEUTE Ausnützungsziffer Anzahl Bewohner Zone Gemeinschaftliche Nutzung
bestehender Blockrand Der Blockrand ist heterogen bebaut. Der Hof ist privatisiert und parzelliert. Es besteht ein Bauwich.
Der Bebauungsplan ermöglicht also höhere Ausnützung und mehr städtebauliche Möglichkeiten, da man von den schematischen Vorgaben des Baugesetzes abweichen darf. Im Falle eines Blockrands erlaubt das beispielsweise eine freiere Interpretation der Bebauung des Hofs oder eine differenzierte Höhenentwicklung bei den Eckbauten. Für die Eigentümer hat der Bebauungsplan den Vorteil, dass eine höhere Ausnützung und damit höhere Mieteinnahmen ermöglicht werden. Für die Nachbarschaft bedeutet die Schaffung von gemeinschaftlichen Angeboten und die verbesserte Nutzbarkeit der Aussenräume eine Gewinn an Lebensqualität. Auf der Ebene der Stadt leistet die Nachverdichtung einen Beitrag zur Schaffung von neuem Wohnraum. 6
0,9 300 4 keine
AUFZON UNG
schematische Verdichtung mittels Aufzonung Ausnützungsziffer Anzahl Bewohner Zone Gemeinschaftliche Nutzung
1,8 400 5a keine
Der Blockrand wird einheitlich nach oben gezogen. Das zurückversetzte Attikageschoss prägt den architektonische Ausdruck. Der Bauwich wird mit einem Neubau gefüllt.
WOBA RELOADED
spezifische Verdichtung mittels Bebauungsplan Ausnützungsziffer Anzahl Bewohner Zonen Gemeinschaftliche Nutzung
2,2 450 Bebauungsplan Bowlingbahn
Die Mehrwertabgabe wird am Ort reinvestiert. Die Gestaltung der Grünflächen (Hof, Dächer) und von gemeinschaftlichen Nutzungen wird damit finanziert. Der Bauwich dient als Zugang zum halböffentlichen Hof.
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DIE ZEIT IST REIF FÜR EINE NEUAUFLAGE DER WOBA Im Rahmen der 1. Schweizerischen Wohnungsausstellung Basel (WOBA) 1930 wurde unter der Leitung des Schweizerischen Werkbunds eine Ausstellungssiedlung der Moderne realisiert: Der äusseren formalen Reduktion der Wohnbauten stand im Innern eine umfangreiche Grundrissrecherche der Wohnung für das Existenzminimum gegenüber. Wichtige Schweizer Vertreter des Neuen Bauens wie Artaria & Schmidt, Werner Max Moser, Maurice Braillard, Karl Egender, Hermann Baur und Hans Bernoulli suchten nach prototypischen Lösungen des fortschrittlichen Wohnens. Dabei bestand insbesondere in der Person von Architekt Hans Schmidt eine direkte Verbindung zur CIAM und der internationalen Avantgarde. Der 2. CIAM-Kongress 1929 in Frankfurt lieferte die massgeschneiderte ideelle Grundlage für die WOBA-Siedlung. Die dort diskutierten Ideen zum Bau von Minimalwohnungen wurden in Basel grösstenteils erstmalig in der Schweiz umgesetzt.
Eine exemplarische Nachverdichtung eines bestehenden, städtischen Blocks wäre eine spannende zeitgenössische Entsprechung der WOBA 1930. Die baulichen Massnahmen zur Verdichtung würden unter Leitung einer Baukommission von verschiedenen Architekten ausgeführt und in Form einer Ausstellung einen Monat lang der Öffentlichkeit präsentiert.
Kann Verdichtung im Bestand gleichbedeutend sein mit dem Erhalt von Bausubstanz, Aufwertung der öffentlichen Aussenräume und der Schaffung von gemeinschaftlichen Angeboten und Nutzungen?
FRAGESTELLUNG FALLSTUDIE Die vorgestellte Fallstudie (ab S. 10) untersucht die Nachverdichtung eines Blocks im Iselinquartier in Basel untersucht. Basierend auf einer umfassenden Analyse der bestehtenden Bauwerke wird die Strategie des Weiterbauens mit architektonischen Mitteln verfolgt und kritisch untersucht. Bestehende räumliche und bauliche Strukturen werden aufgrund der gründlichen Lektüre des Ortes weiterentwickelt – und gegebenenfalls neu interpretiert. Die Suche gilt einem spannungsvollen Zusammenspiel von Alt und Neu, das die spezifische Geschichte des Ortes weiterschreibt und verdichtet.
WOBA 1930: Blick aus dem Haustyp von Hans Bernoulli auf die gegenüberliegende Zeile von Hermann Baur
Der gewählte Block im Iselin-Quartier zeichnet sich durch seine Durchschnittlichkeit punkto Architektur und Städtebau aus. Die Mehrheit der Wohnbauten aus den 50er und 70er Jahren sind exemplarisch für ihre jeweilige Bauepoche. Die Studie basiert auf dem Gedanken einer ökologisch und sozial nachhaltigen Nachverdichtung. Dies bedeutet, dass die bestehende Bausubstanz möglichst erhalten bleibt – und lediglich klug ergänzt und erweitert wird. 7
BAULICHE STRATEGIEN WEITERBAUEN Die Vorgabe, die bestehenden Bauten wenn möglich zu erhalten, bedingt unkonventionelle bauliche Strategien zur Nachverdichtung. Die Logik des Bestands diktiert dabei die Möglichkeiten einer architektonischen Weiterentwicklung. Die genaue Analyse der Tragstruktur dient als Ausgangslage zur Wahl einer adäquaten Strategie. Wenn immer möglich soll das statische System der Bestandsbauten gar nicht oder nur geringfügig angepasst werden. Das Erscheinungsbild wird mal mehr, mal weniger stark verändert. Mit dem kleinstmöglichen Eingriff soll ein Maximum an neuer Nutzung und zusätzlicher Wohnqualität geschaffen werden. Weiterbauen wird zur architektonischen Haltung.
01 UMMANTELUNG Das bestehende Haus wird allseitig in einen neuen Mantel gehüllt. Die Aufstockung kann dabei von den seitlichen Anbauten (zumindest teilweise) statisch getragen werden. Die Ummantelung umfasst zudem die energetische Sanierung der Fassade bei Vergrösserung der Nutzfläche. Die Architekten Lacaton & Vassal haben diese Strategie bei diversen Projekten in Frankreich erfolgreich erprobt. In der Schweiz hat Architekt Raphaël Nussbaumer an der Avenue de Sécheron 9 in Genf den Beweis für das 01 AUFSTOCKUNG grosse Potential der Ummantelung von bestehenden (Wohn-)Bauten geliefert.
02 UMMANTELUNG
03 EINNISTUNG
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02 EINNISTUNG Die Strategie der Einnistung ist sozusagen die Umkehrung der Ummantelung: In die bestehende Struktur des Hauses werden punktuell neue Räume und/oder Nutzungen eingeschrieben. Insbesondere zur Aktvierung des Erdgeschosses kann dies eine spannende Strategie sein. Als Referenz dient die Buca Mario an der Piazza degli Ottaviani in Florenz , ein kleines Restaurant, das sich in den Sockel eines stattlichen florentinischen Palazzo eingenistet hat – und dadurch den öffentlichen Raum belebt. 02 UMMANTELUNG
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03 EINNISTUNG
04 ADDITION
03 AUFSTOCKUNG Ein probates und bewährtes Mittel zur Erweiterung von Bauten ist die Aufstockung. Auf ein bestehendes Haus werden ein oder mehrere neue Geschosse gesetzt. Dabei muss grosse Rücksicht auf die bestehende Tragstruktur und die Positionierung der Steigzonen gelegt werden. Die Aufstockung beinhaltet das gestalterische Thema des Zusammenspiels von Alt und Neu, was in Kontrastierung, Verwischung oder Überlagerung mündet. 01 AUFSTOCKUNG
02 UMMANTELUNG
03 EINNISTUNG
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04 ADDITION
05 EINLAGERUNG
04 ADDITION Bestehende Hausteile werde seitlich mit einem Anbau weitergestrickt. Die Addition ermöglich ohne Eingriff in das bestehende Tragwerk die Erweiterung und Neuorganisation von Nutzungen. Architekt Adrian Streich hat die Strategie der Addition beim Kraftwerk 2 in Zürich-Höngg verfolgt: „Die ehemaligen Häuser des Jugendwohnheimes an der Regensdorferstrasse 190 und 194 werden mit einem mittleren Erweiterungsbau zu einem neuen Ganzen zusammengefügt. Die Erweiterung ist eng mit den bestehenden Häusern verwoben und bildet 05 EINLAGERUNG eine komplexe Wohnlandschaft.“ (Adrian Streich, 2011)
05 EINLAGERUNG Das bestehende Bauwerk wird auf sein Tragwerk rückgebaut. Das Haus wird zum Regal, worin neue Räume und Nutzung eingeschoben werden können. Diese Strategie bietet sich insbesondere bei der Transformation von Stützen-Platten-Bauten an. Sämtliche Innenwände sind nichttragend und lassen den Einbau einer komplett neuen Raumstruktur zu. Als Referenz dient das House for seven people (2013) der jungen japanischen Architektin Mio Tsuneyama. Sie hat ein kleines Gewerbehaus, bestehend aus einer einfachen Stahlstruktur, durch die Einlagerung von sieben Holzboxen als Zimmer für Studierende in ein Share House umfunktioniert. 9
FALLSTUDIE IM ISELIN-QUARTIER
STÄDTEBAU: STRASSE, HOF UND GARTEN Der Städtebau orientiert sich an den vorgefundenen räumlichen Strukturen im äusseren Iselin-Quartier in Basel. Die bereits heute mit Ateliers und Garagen überbaute Parzellen-Schicht zwischen Grien- und Appenzellerstrasse erfährt eine volumetrische Akzentuierung in die Höhe. Fünf schmale Turmhäuser bilden im Hof eine durchlässig-transparente Zeile. Damit wird die Frage der Mitte des Innenhofs beantwortet – und zwar, indem keine zusätzliche Freifläche überbaut wird. Der Baumbestand kann grösstenteils bewahrt werden. Durch die Teilung des Innenhofs entstehen zwei Räume. Hier liefert eine freie Interpretation der Typologie des ‚Hôtel entre cour et jardin‘ die thematische Zuordnung: Der Raum im Norden wird als Hof definiert, als Ort der Öffentlichkeit und Gemeinschaft. Er wird allseitig von Lauben umschlossen, die das Thema der Gemeinschaft architektonisch stärken. Die Mitte wird von einer schattenspenden Baumgruppe gefüllt, die zudem als visueller und akustischer Filter dient. Ein Brunnen spendet Wasser und Abkühlung. Der Garten wird als Ort des Rückzugs und der Kontemplation verstanden. Er ist räumlich weniger klar gefasst und gegen Süden teilweise offen. Der Badminton- und Bad-Pavillon gliedert den Raum zur Obwaldnerstrasse. Damit kann das Sonnenlicht in die Tiefe des Raums gelangen. Baumhäuser als Erweiterung der bestehenden
Längsschnitt 1:500 10
kleinen Balkone erzeugen räumliche Tiefe, wobei das in der Gartenarchitektur klassische Thema des Vordergrunds, Mitte und Hintergrunds die Gestaltung und den Städtebau definiert. Die bestehende Architektur befindet sich dabei im Hintergrund. WEITERBAUEN: STRUKTUR UND ERSCHLIESSUNG Der zusätzliche Wohnraum wird aus der strukturellen Logik der bestehenden Bauten heraus entwickelt. Die Regeln des vorhandenen Tragwerks werden eingehalten. Insbesondere bei den Aufstockungen werden die tragenden Wände übereinander angeordnet. Das spart einerseits Geld – und reduziert andererseits die Eingriffstiefe im Bestand. Die Erschliessung der neuen Klein-Wohnungen funktioniert mehrheitlich über Laubengänge, die jeweils zwischen zwei neuen Treppenhäusern mit Lift eingespannt werden. Die vertikale Erschliessung wird an exponierten Stellen wie den Stirnfassaden oder als freistehende Körper im Hof bzw. Garten angedockt. PROGRAMM: WOHNEN UND GEMEINSCHAFT Die hauptsächliche Funktion der Bauten bleibt das Wohnen, wobei die neuen Klein-Wohnungen als ergänzendes Angebot zum Bestand verstanden werden. Insbesondere die befristet mietbaren Mansardenzimmer ermöglichen eine flexiblere Nutzung der bestehenden Wohnungen. So kann beispielsweise bei Familienzuwachs un-
Isometrie 1:500 1:500 Längsschnitt GSPublisherEngine 0.0.100.100
kompliziert ein Zimmer dazu gemietet werden. Im Erdgeschoss soll wenn immer möglich gearbeitet werden: Sei es in Form von kleinen Werkstätten, Büroräumen oder Co-Working-Space. Die Räume werden zum öffentlichen Raum der Strasse bzw. des Hofs stärker geöffnet und damit besser adressiert. Entlang der Blotzheimerstrasse wird das existierende Hochparterre partiell auf Strassenniveau abgesenkt, um eine bessere
Zugänglichkeit zu ermöglichen. An zwei Ecken des Blocks sind zudem ein Café und ein Restaurant vorgesehen. Im Garten dient ein Pavillon mit zwei Badmintonfeldern, Mehrzweckraum und einem japanischen Sento-Bad der Erholung und sportlichen Aktivität. Alles in allem soll eine möglichst hohe Nutzungsdichte erreicht werden – ganz im Sinne der Idee einer Stadt der kurzen Wege.
Konstruktion: Massiv- und Leichtbau Die bestehenden Bauten sind ausschliesslich in Massiv-Bauweise erstellt. Mehrheitlich sind die Wände gemauert – teilweise auch betoniert. Die Decken sind in Stahlbeton ausgeführt. Die Neubauten sollen in Leichtbauweise ausgeführt werden. Mehrheitlich ist eine Holz-Elementbauweise vorgesehen. Dank Vorfabrikation im Werk kann die Bauzeit stark verkürzt werden – und zudem werden die bestehenden Tragstrukturen bei Aufstockungen dank dem reduzierten Gewicht weniger belastet. Holz als Baumaterial ist als nachwachsende, CO2-neutrale Ressource, die in der Schweiz im Überfluss vorhanden ist, auch aus ökologischer Sicht besonders sinnvoll. Die Farbgebung basierend auf einem spezifischen Kanon verbindet die unterschiedlichen Oberflächen und Bauteile zu einem grossen Ganzen.
Fassadenschnitt 1 Bestand Neubau
VERDICHTEN + ERHALT VON BAUSUBSTANZ = AUFSTOCKEN IN HOLZ
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Die Struktur der Häuser bleibt erhalten – und wird lediglich mit punktuellen Massnahmen zur Erdbebenertüchtigung ergänzt. Die massive Bauweise der bestehenden Bauwerke vermindert die Problematik.
UMGANG MIT DER BESTEHENDEN BAUSUBSTANZ Erdgeschoss Mit der Ausnahme von zwei Bauten werden sämtliche Bauten erhalten – und weiterentwickelt. Im Erdgeschoss besteht die Hauptmassnahme darin, die Zugänglichkeit von der Strasse her zu vereinfachen, um eine klarere, einladendere Adressierung der Bauten zu erreichen. Bei der nördlichen Hauszeile an der Blotzheimerstrasse aus den 70er-Jahren werden die Eingänge abgesenkt, um den Lift barrierefrei zugänglich zu machen. Dadurch werden die Wohnungen besser erschlossen – und das Entrée grosszügiger. Bei den beiden südlichen Zeilen aus den 50er-Jahren werden jeweils zwei Hauseingänge zusammengefasst, dafür jedoch neu mit einem direkten Durchblick bzw. -gang in den Garten ausgestattet. Anbauten und neue Treppenhäuser docken sich an den Brand- und Stirnfassaden an. Zudem werden gemeinschaftliche und öffentliche Nutzungen im Erdgeschoss integriert, wie ein Café, Bistro, Fitnessstudio oder ein Coiffeur. Als Ersatzneubau im Garten entsteht ein Pavillon mit japanischem Bad, Mehrzweckraum und darüberliegender Badmintonhalle. Grundriss Erdgeschoss 1:1000 GSPublisherEngine 0.0.100.100
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Bestand
Neubau
0
5
10
25m
Regelgeschoss Im Regelgeschoss wird die Strategie des kleinstmöglichen Eingriffs verfolgt. Die Wohnungen im Bestand sind effizient und räumlich gut geschnitten. Grosses Manko besteht bei den Aussenräumen, die allesamt zu klein sind. Je nach Situation werden die Aussenräume mittels Lauben, Balkonerweiterungen oder ‚Baumhäusern‘ vergrössert. Die vertikale Erschliessung der Dachaufstockungen befindet sich an den Stirnfassaden oder als freistehender Treppenturm im Garten. Die Struktur der Häuser bleibt erhalten – und wird lediglich mit punktuellen Massnahmen zur Erdbebenertüchtigung ergänzt. Die massive Bauweise der bestehenden Bauwerke vermindert die Problematik.
Bestand
0 Grundriss Regelgeschoss 1:1000
Neubau
5
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25m
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Dachgeschoss Sämtliche Häuser werden aufgestockt. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Erstellung von Einzimmerwohnungen für unterschiedliche Bedürfnisse: Vom möblierten Studio für den temporären Aufenthalt über betreute Wohnungen für ältere Menschen bis zur Mansarde als zumietbare Ergänzung zum Bestand. Die tragenden Wände der darunterliegenden Bauten werden als Regel eingehalten, um einen einfachen Lastabtrag zu gewährleisten. Eine rund 50cm hohe Verteilebene ermöglicht das problemlose Verziehen der haustechnischen Installationen (Wasser, Heizung etc.). Die Kleinwohnungen werden mehrheitlich über Laubengänge erschlossen, was die Anzahl zusätzlicher Treppenhäuser und Lifte reduziert.
weise erstellt. Mehrheitlich Decken sind in Stahlbeton führt werden. Mehrheitlich rikation im Werk kann die estehenden Tragstrukturen eniger belastet. Holz als rce, die in der Schweiz im besonders sinnvoll. Die indet die unterschiedlichen
Fassadenschnitt 1:50 Bestand Neubau Grundriss Dachgeschoss 1:1000 GSPublisherEngine 0.0.100.100
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‚Baumhäuser‘ als Erweiterung der bestehenden kleinen Balkone erzeugen räumliche Tiefe, wobei das in der Gartenarchitektur klassische Thema des Vordergrunds, Mitte und Hintergrunds die Gestaltung bestimmt.
Fassade Grienstrasse 1:500
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Die Akzentuierung der Ecken des Blockrands gliedert den Strassenraum.
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ANLEITUNG IN 3 PUNKTEN 1. VERDICHTEN Die Stadt soll nach innen verdichtet werden. Darin besteht breiter Konsens. Wo bereits gebaut ist, soll weitergebaut werden, sei dies mittels Anbauten, Einbauten oder Aufstockungen. Es macht nicht nur aus ökologischen Gründen Sinn, möglichst nahe vom Arbeitsplatz zu wohnen. Eine Stadt der kurzen Wege erzeugt auch eine soziale und narrative Dichte. Zu oft wird das Verdichten einseitig auf die Erhöhung der baulichen Dichte reduziert. Viel entscheidender ist die Frage, wie viele Menschen pro Quadratmeter Boden wohnen, arbeiten und leben können. Daraus resultiert die wirkliche Dichte. Es sollte nicht in erster Linie die maximale bauliche Verdichtung angestrebt werden, sondern durch die kluge Anpassung und Ergänzung des Bestehenden eine optimierte Nutzung und Gebrauchstauglichkeit bestehender Bauten erreicht werden. 2. ERHALTEN Der Erhalt von günstigem Wohnraum ist ein wichtiges soziales Anliegen, das insbesondere in einer wachsenden und prosperierenden Stadt wie Basel von grosser Dringlichkeit ist. Nur so können die soziale Durchmischung aufrechterhalten und Segregationsprozesse verhindert werden. Soziale Strukturen und Nachbarschaften dürfen nicht leichtfertig zerstört werden. Der Erhalt von bestehender Bausubstanz ist aber auch aus ökologischer Sicht sinnvoll. Graue Energie darf nicht verschwendet werden. Zuletzt geht es auch darum, die Lesbarkeit der baukulturellen Entwicklung der Stadt zu erhalten. Wie die Jahrringe eines Baumstamms sollen sich alte und neue Bauschichten überlagern. Wenn heute von Verdichten gesprochen wird, geht die historische Dimension der Baugeschichte oft vergessen. Die Neuinterpretation der Geschichte(n) des Ortes ist von zentraler Bedeutung.
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Jeder Ort verlangt nach einer spezifischen Gestaltung, die bestehende Qualitäten bewahrt – und neue schafft.
3. GESTALTEN Es reicht nicht, einseitig Aufzonungen vorzunehmen oder höhere Ausnützungsziffern gesetzlich zu verankern. Die Frage der Verdichtung ist letztlich eine gestalterische Frage. Wenn jeder Eigentümer seine Parzelle ohne Rücksicht auf die Nachbarschaft und den städtebaulichen Kontext maximal nachverdichtet, entstehen kaum überzeugende Lösungen. Ganz im Gegenteil: Die Stadt wird an Qualität einbüssen, da Grünraum, Belichtung und Freifläche reduziert werden. Die Frage der Verdichtung im Bestand kann nicht über schematische Baugesetze oder technische Vorgaben gelöst werden. Jeder Ort verlangt nach einer spezifischen Gestaltung, die bestehende Qualitäten bewahrt – und neue schafft. Jeder städtische Block soll mittels Bebauungsplan mit präzisen gestalterischen Richtlinien ausgestattet werden.
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IM VERGLEICH ... AKTUELL
HEUTE
PROJE
Ausnützung
Ausnützung
AZ heute = 1.42
AZ neu =
Überbauuung
Überbauuung
Überbaute Fläche heute = 40 % (4'228 m2)
Überbaute
Wohnungen
Wohnungen
Wohnungen bestand = 128
Wohnung
Bewohner
Bewohner
Bewohner heute = 288
Bewohner
Gemeinschaft
Gemeinschaf
Gemeinschaftliche Nutzungen = 300 m2
Gemeinsc
Recherche: St 18
POTENTIAL
PROJEKT
Ausnützung
AZ neu = 2.14
+71%
Überbauuung
Überbaute Fläche neu = 45% (4'750 m2)
+ 5%
Wohnungen
Wohnungen neu = 312 (+184)
+128%
Bewohner
Bewohner neu = 588 (+300)
+105%
Gemeinschaft
Gemeinschaftliche Nutzungen neu = 1'500 m2
+400%
Recherche: Strategien zum Erhalt der Bausubstanz 19
Zusammenfassend wird folgende Formel als These einer möglichen Definition der Nachverdichtung aufgestellt:
Nachverdichtung = Erhöhung Nutzungsdichte + Erhalt von Bausubstanz + Schaffung gemeinschaftlicher/öffentlicher Angebote + bessere Gestaltung Aussenräume
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FAZIT Gemeinschaftliche Nutzungen fördern die Lebensqualität der Bewohner und erhöhen gleichzeitig die Akzeptanz für die baulichen Veränderungen zur Nachverdichtung.
Die Fallstudie macht eins deutlich: Der untersuchte Block weist ein grosses Potential zur Nachverdichtung auf. Die bestehenden Wohnbauten sind in ihrer Grundstruktur äusserst robust und lassen sich gut weiterentwickeln. Die Ausnützung der Parzellenfläche wurde im vorliegenden Projekt um fast 71% erhöht (AZ von 1.42 auf 2.14), wobei gleichzeitig die zusätzlich überbaute Fläche mit 5% minimal ist. Das schont insbesondere den Baumbestand. Die Anzahl Wohnungen konnte mehr als verdoppelt werden. Auch die Anzahl Bewohner würde stark erhöht. Dank dem Bade- und Sport-Pavillon an der Obwaldnerstrasse lässt sich auch der Anteil an gemeinschaftlichen Nutzungen ebenfalls erhöhen. Diese Massnahme fördert die Lebensqualität der Bewohner – und erhöht gleichzeitig die Akzeptanz für die baulichen Veränderungen zur Nachverdichtung. In einem Bebauungsplan müssten folgende Punkte definiert werden: - - - - - - - - - -
Volumetrie der baulichen Verdichtung in Rücksichtnahme auf den Kontext Pflichtbaulinien maximale Ausnützungsziffer Anteil Freifläche gestalterische Vorgaben zu den Aussen- räumen (insbesondere des Hofraums) Richtlinien Erhalt/Abbruch der Häuser Vorgabe zu Nutzungen im Erdgeschoss Vorgabe zu Anteil gemeinschaftliche/ öffentliche Nutzungen Materialität Fassade / Farbgebung Nutzung Dachflächen
Dabei soll ein möglichst ausgewogenes Verhältnis zwischen baulicher Verdichtung (= potentiell höhere Mieteinnahmen für Grundeigentümer), Qualitätssicherung (Freiflächen, Aussenräume, Baumbestand) und Schaffung von neuen Angeboten (gemeinschaftliche Nutzungen, nutzbare Dachflächen) angestrebt werden. Die Nachverdichtung mittels Bebauungsplan wird so zur Win-Win-Situation für die Stadt, Bewohner und Eigentümer. 21
IMPRESSUM
VERDICHTEN IM BESTAND
lukasgruntz@gmail.com Quellenverzeichnis Fotos / Abbildungen / Grafiken Lukas Gruntz Plangrundlagen: Bauplanausgabe, Staatsarchiv Basel-Stadt Geodaten: Quelle sämtlicher Situationspläne und Satellitenbilder: Geodaten Kanton Basel-Stadt © Lukas Gruntz, Basel, 2018
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Nakagin Capsule Towe, Tokyo, 1972 Kisho Kurokawa
Verfasser Lukas Gruntz Architekt MA FHNW In den Klosterreben 34 CH - 4052 Basel
Monsanto House of the Future, 1957 Marvin Goody & Richard Hamilton
Eine Anleitung
Kollektivhuset, Stockholm, 1932 - 1935 Sven Markelius
HERAUSFORDERUNG
Le Cabanon, Cap Martin, 1952 Le Corbusier
Maison des Jours Meilleurs, 1956 Jean Prouvé
House of the future, 1965 Peter and Alison Smithson
Maison „Bulle 6 coques“, 1968 Jean Maneval
REFERENZSAMMLUNG WOHNTYPOLOGIEN Von Stockholm bis Tokyo
NACHVERDICHTUNG NEU GEDACHT
Die Verdichtung der Stadt ist in aller Munde. Vielfach wird sie auf eine reine Erhöhung der baulichen Ausnützung reduziert. Das greift zu kurz. Oberstes Ziel bei Verdichtungsmassnahmen muss die Erhöhung der Nutzungsdichte sein. Die Politik reagiert mit Aufzonungen auf die Forderung der Nachverdichtung. Es stellt sich die grundsätzliche Frage, ob Aufzonungen das angemessene Mittel sind. Alle Häuser um ein Geschoss aufzustocken ist ökonomisch nur bedingt sinnvoll – und schafft keine städtebaulichen Qualitäten. Hier bietet das planerische Werkzeug des Bebauungsplans eine spannende Alternative. Die Fallstudie untersucht an einem konkreten Block im Basler Iselin-Quartier die Möglichkeiten einer nachhaltigen Nachverdichtung. Der gewählte Block zeichnet sich durch seine Durchschnittlichkeit in puncto Architektur und Städtebau aus. Angestrebt wird eine ökologisch und sozial nachhaltige Nachverdichtung. Das bedeutet, dass die bestehende Bausubstanz möglichst erhalten bleibt – und lediglich klug ergänzt und erweitert wird. Dabei wird die Ausnützung massiv erhöht, gleichzeitig die Qualität der Aussenräume verbessert und dabei fast keine zusätzliche Fläche überbaut. Aus der Fallstudie abgeleitet wird eine Anleitung zur Nachverdichtung in drei Punkten.