Programmheft Eugen Onegin, Luzerner Theater

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MUSIKALISCHE LEITUNG Alexander Sinan Binder

LARINA Diana Schnürpel

INSZENIERUNG Bettina Oberli

TATJANA Rebecca Krynski Cox

BÜHNE Alain Rappaport

TÄNZERIN Anastasia Shevtsova

KOSTÜME Laura Locher

OLGA Sarah Alexandra Hudarew

LICHT David Hedinger-Wohnlich

FILIPJEWNA Ursula Füri-Bernhard

Aufführungsrechte: D. Rather Berlin – London

CHOREOGRAPHISCHE MITARBEIT Anastasia Shevtsova

EUGEN ONEGIN Jason Cox

In russischer Sprache mit deutschen Übertiteln

DRAMATURGIE Rebekka Meyer

GEFÖRDERT DURCH JTI UND DEN THEATERCLUB LUZERN

CHOREINSTUDIERUNG Mark Daver

EUGEN ONEGIN

Lyrische Szenen in drei Aufzügen von Pjotr I. Tschaikowsky Libretto von Konstantin Schilowski und Pjotr I. Tschaikowsky nach dem gleichnamigen Vers­ roman von Alexander Puschkin Premiere: N.N. Dauer: ca. 2 Stunden 45 Minuten mit Pause

MEDIENPARTNER: SRF KULTURCLUB

STUDIENLEITUNG UND KORREPETITION Valeria Polunina MUSIKALISCHE ASSISTENZ UND KORREPETITION William Kelley INSPIZIENZ Lothar Ratzmer / Anke Daver REGIEASSISTENZ UND ABENDSPIELLEITUNG Sophiemarie Won BÜHNENBILDASSISTENZ Sophie Köhler KOSTÜMASSISTENZ Zoé Brandenberg

Eugen Onegin

LENSKI Diego Silva FÜRST GREMIN Vuyani Mlinde EIN HAUPTMANN / SARETZKI Marco Bappert TRIQUET Neal John Banerjee GUILLOT Juri Duvoisin / Moritz Haller *

* Statisterie des LT CHOR DES LT Neal John Banerjee (Gast), Marco Bappert, Agnes Fillenz, Hanna Jung, Kyung-Bin Joo, Efstathios Karagiorgos, Ivo Kazarow, Kihun Koh, Robert Hyunghoon Lee, Judith Machinek, Sofía Pollak, Xenia Romanoff, Chiharu Sato, Miriam Timme, Peter Wigger, Koichi Yoshitomi EXTRACHOR DES LT Horst Batschkus, Andrew Davis, Gerhard Durrer, Louis Fedier, Bettina Günther, Ephanie Koch, Tanja Pecoraro, Damian Strässle, Julianna Wetzel

Herzlichen Dank: Carla Schwöbel-Braun

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LUZERNER SINFONIEORCHESTER

Bühne  ←

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Handlung

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1. AUFZUG

3. AUFZUG

Alltag auf Larinas Landgut. Die lebens­ frohe Olga und die verträumte Tatjana singen Lieder, während ihre Mutter Larina und ihre Amme Filipjewna in alten Erinnerungen schwelgen. Olgas Verlobter Lenski kommt zu Besuch und mit ihm ein bisher unbekannter Nachbar – Eugen Onegin. Sofort ver­ liebt sich Tatjana in ihn, erkennt sie in ihm doch den Helden all ihrer Ro­ mane. In der Nacht schreibt Tatjana Onegin einen Brief, in dem sie ihm ihre Liebe gesteht. Doch dieser weist sie kühl zurück.

Viele Jahre später. Onegin ist lange und ziellos umhergestreift, nun ist er nach Russland zurückgekehrt. Auf einem Ball in St. Petersburg trifft er seinen alten Freund, den Fürsten Gremin, und dessen Frau – Tatjana. Bei ihrem Anblick verliebt er sich so­ fort in sie und gesteht ihr schliesslich seine Gefühle. Doch Tatjana hat sich entschieden: Sie wird bei Gremin blei­ ben. Denn sie ist glücklich – und frei.

2. AUFZUG

Einige Monate später wird auf dem Landgut der Namenstag Tatjanas ge­ feiert. Als der Franzose Triquet auch noch ein Ständchen für sie bringt, ist Tatjana die ganze Aufmerksamkeit zu viel. Onegin hört, wie über ihn ge­ tratscht wird – er sei ein Spieler und Trinker – und ärgert sich, zum Fest ge­ kommen zu sein. Um Lenski zu stra­ fen, der ihn mitgeschleppt hat, tanzt er die ganze Zeit nur mit dessen Verlob­ ten Olga. Lenski wird eifersüchtig und sucht Streit mit Onegin. Alle Be­ schwichtigungsversuche scheitern und Lenski fordert Onegin zum Duell. Allgemeine Bestürzung. Am nächsten Morgen tötet Onegin Lenski im Duell.


Entscheidungen

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«Ich habe diese Oper deshalb geschrieben, weil ich eines Tages den unaussprech­ lichen Drang verspürte, alles das in Musik zu setzen, was sich im «Onegin» für Musik anbietet. […] Ich brauche keine Zaren, Zarinnen, Volksaufstände, Schlachten, Märsche. […] Ich suche ein intimes, aber starkes Drama, das auf Konflikten beruht, die ich selber erfahren oder gesehen habe, die mich im In­ nersten berühren können.» Was Pjotr Iljitsch Tschaikowsky noch während seiner Arbeit an «Eugen Onegin» an seinen Kollegen Sergej Tanejew schrieb, trifft den Kern der Oper, vielleicht seiner ganzen Arbeit als Komponist: Das Bedürfnis nach einem fokussierten Ausdruck echter, nachvollziehbarer und oft­ mals selbst erfahrener Emotion. Die eigene Identifikation mit dem Schicksal seiner Handlungsträgerinnen und -träger zieht sich als Konstante durch die Wahl seiner Libretti und ist bei «Onegin» besonders ausgeprägt, wie der Musik­ kritiker Hermann Laroche feststellte: «Noch niemals war ein Komponist so sehr er selbst, wie in diesen lyrischen Szenen Herr Tschaikowsky.» Und tatsächlich war die Zeit der Entstehung der Oper eine sehr bewegte für den Komponisten. Im Mai 1877 regte ihn eine Sängerin dazu an, eine Oper auf Alexander Puschkins bekannten Versroman «Eugen Onegin» zu kompo­ nieren. Dieser war 1833 erschienen und gilt bis heute als «Enzyklopädie des russischen Lebens» und Klassiker der russischen Literaturgeschichte. In die Zeit der ersten Beschäftigung Tschaikowskys mit dem Stoff fällt auch eine wichtige Lebensentscheidung: Im Juli 1877 lässt er sich auf eine Ehe mit einer Verehrerin, der Musikstudentin Antonina Iwanowna Miljukowa, ein. Nur wenige Monate zuvor hatte er einen ersten Brief von ihr bekommen, in dem sie ihm ihre Liebe gestanden hatte. Doch die Verbindung wurde für den ho­ mosexuellen Komponisten zur Katastrophe: Er ertrug seine Frau nicht, fühlte sich miserabel und dem Druck nicht gewachsen. Nach nur drei Monaten trennte sich das Paar wieder und Tschaikowsky hegte Selbstmordgedanken. Dennoch schloss er die Oper im Februar 1878 ab. Tschaikowsky erlebte also eine Fülle von Konflikten, die sich im «Eugen Onegin» spiegeln: die leidenschaftlichen Briefe einer Verehrerin, die Zurück­ weisungen, die Todessehnsucht und der stete Gedanke, heiraten zu müssen, ohne sich für die Ehe geeignet zu fühlen. Die Beschäftigung mit der Institution der Ehe zieht sich wie ein roter Faden durch die lyrischen Szenen: Die alte Amme Filipjewna erzählt von der traumatischen Erfahrung ihrer Verheiratung («Ich weinte bitterlich vor Angst.») und auch die Mutter Larina durfte nicht den Mann ehelichen, in den sie verliebt war, sondern wurde mit einem anderen

verheiratet («Doch plötzlich, ohne mich zu fragen … »). Olga und Lenski sind zwar glücklich verlobt, werden jedoch wegen Lenskis Tod nie heiraten kön­ nen. Onegin lehnt die Ehe entschieden ab und fühlt sich nicht dazu gemacht («Die Ehe würde uns zur Qual werden»). Und Tatjana? Das psychologische Motiv ihrer Entscheidung für die Ehe mit Gremin und gegen Onegin am Ende der Handlung ist die eigentliche Gretchenfrage und an ihr entzünden sich auch die unterschiedlichen Interpretationsansätze. Während der biografische Ansatz die Antworten im Leben des Komponisten sucht, arbeitete sich der russische Schriftsteller Fjodor Dostojewski kurze Zeit nach der Uraufführung von Tschaikowskys Oper in Bezug auf Puschkin an den moralischen Implika­ tionen der Entscheidung Tatjanas ab: «Sie ist diesem General, ihrem Gatten, dem ehrlichen Menschen, der sie liebt und achtet und auf sie stolz ist, treu. […] Und wenn sie ihn nur aus Verzweiflung geheiratet hat, jetzt ist er ihr Gatte, und ihre Untreue würde ihn mit Schmach und Schande bedecken und töten. Darf aber ein Mensch sein Glück auf dem Unglück eines andern gründen?» Dostojewski geht sogar noch einen Schritt weiter: Tatjana wisse genauso, dass Onegin im Grunde nicht sie liebe, sondern nur seine Fantasie von ihr. Auf einer moralischen Interpretation gründete auch die politisch-ideologische Deutungsweise in der DDR. Innerhalb des dialektischen Materialismus musste Tatjana Onegin ablehnen; nicht, weil sie damit die Ehre und Liebe ihres Man­ nes verraten würde, sondern aufgrund ihrer durch Klasse geprägten Werte. Tatjana habe die «richtigen» Moralbegriffe des einfachen Volkes verinnerlicht und handle trotz ihres gesellschaftlichen Standes dementsprechend. Und heutzutage? Bettina Oberli löst Tatjana im Gegensatz zu anderen aktu­ ellen Interpretationen, die in Tatjana und Onegin gleichermassen Opfer ihrer Umstände sehen, komplett aus ihrer Opferrolle. In Oberlis Lesart wird die Ehe mit Gremin nicht zu Tatjanas Gewöhnung – wie ihr noch zu Beginn der Oper prophezeit wurde –, sondern zu ihrer grossen Befreiung. Am Schluss hat sie das Privileg der Wahl zwischen Onegin und Gremin. In dieser entscheidet sie sich einerseits für Stabilität und Ruhe und löst sich andererseits aus dem Bild, das Onegin in seiner Fantasie von ihr entworfen hat und durch das er sie definiert. Und entscheidet sich damit auch: für sich.



Das Ja zur Liebe im Moment

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Regisseurin Bettina Oberli und der mu­ sikalische Leiter Alexander Sinan Binder im Gespräch mit Dramaturgin Rebekka Meyer

RM — Bei diesem Werk sind

Rebekka Meyer — «Eugen Onegin»

AB — Dieser Aspekt ist grundsätzlich im ganzen Œuvre Tschaikowskys enthal­ ten: Man hört die Person Tschaikowsky durch die Musik. Wenn man sich damit beschäftigt, merkt man, dass zum Beispiel ein C-Dur bei Tschaikowsky extrem traurig klingen kann. Denn im Gesamtzusammenhang von Tschaikowskys Musik klingt so viel Persönliches mit, da gab es so viel Leid und Tragik.

ist Tschaikowskys bekannteste und meistgespielte Oper. Was macht dieses Werk so erfolgreich? Alexander Sinan Binder — Diese Oper besitzt einen grossen Reichtum an musikalischem Gestus, an Farben, an Dramatik und verschiedensten Emo­ tionen. Sie ist intim, nahbar und genau­ so gehe ich an diese Musik heran: Ich denke sie von der kleinen Form, vom Liedhaften und Lyrischen her. Bettina Oberli — «Eugen Onegin» ist eine Oper für die kleine Geste, für das psychologisch präzise Gefühl. Als Zuschauer kann man sofort ando­ cken, weil die Protagonisten von Gefühlen sprechen, die wir alle kennen. Das hat mit dem Text zu tun, aber auch damit, dass alle Handlungen all­ täglich sind: Sie waschen Wäsche, sie spazieren im Garten, sie feiern ein Namenstagsfest. Mit diesen kleinen Ereignissen will Tschaikowsky die grosse, pathetische Geste verhindern.

Tschaikowskys Biografie und die Musik und Handlung besonders eng ineinander verzahnt.

RM — «Eugen Onegin» als Schlüssel zur Geschichte des Komponisten –  wie zeigt sich dies in der Oper? AB — Die Musik funktioniert auch hier als Schlüssel zur Emotion der Cha­raktere, es gibt tatsächlich keinen Prunk und keinen Glanz darin. Wie beim Verismo zielt sie auf Emotion. Es wird eine Alltagsstory erzählt und ich finde toll, dass Bettina das so aufgreift. BO — Mir ist wichtig, dass die Sänge­ rinnen im Spiel und in der Gestik in einem natürlichen Realismus daherkom­ men. Es gibt ein paar Effekte in der Inszenierung, aber die sind visueller

11 Natur. Denn man darf nicht unter­ schätzen, dass die Oper und eigentlich jede erzählerische Kunstform auch einen Genuss bieten sollte für den Zu­ schauer: Eine Überraschung, eine sinnliche Verführung. Für das geht man auch in die Oper oder ins Kino. RM — Birgt das auch die Gefahr des

Kitsches? Das wird Tschaikowsky ja immer wieder vorgeworfen. AB — Absolut. Man kann Tschaikowskys Musik schnell töten und mit Kitsch überladen. Diese stilistische Gratwan­ derung zu bewältigen, ist eine grosse Schwierigkeit. Die Musik von «Eugen Onegin» funktioniert ähnlich wie itali­ enische Musik: Es gibt eine perfekte Linie und sobald man darüber hinaus­ geht – das Ritardando oder das Rubato zum Beispiel zu viel ist – wird es kit­ schig. Die Musik hat einen natürlichen Rhythmus, den das Orchester, die Sänger und ich gemeinsam finden müs­ sen, damit sie organisch bleibt und nicht aufgesetzt wirkt. Jeder Millime­ ter Musik muss genau in Tempo, Dynamik, Agogik austariert werden. RM — Trotz gewisser Ähnlichkeiten

mit der italienischen Oper gilt «Eugen Onegin» als genuin russisch. Worin zeigt sich das?

AB — Im Unterschied zur italienischen Musik bleibt die russische Musik im­ mer gefasst: Sie schreit nicht, sondern bleibt reserviert. Als wollte sie immer sagen: «Reiss dich zusammen, das Le­ ben geht weiter.» Andererseits ge­ winnt die Oper ihren russischen Klang auch durch die tiefe Verwurzelung in der russischen Tradition: Das Nach­ empfinden des orthodoxen Kirchen­ gesangs im ersten Chorauftritt zum Beispiel oder die Zitate aus der Volks­ musik, die aber immer in kunstvolle Musik verpackt sind. Trotzdem sind es Melodien, die aus dem Alltagsleben stammen. RM — Bettina, in deiner Inszenierung

nimmst du die Perspektive Tatjanas ein. Wie siehst du deine Hauptfigur?

BO — In vielen Stücken der Romantik werden die Frauen entweder umge­ bracht, durch den Wahnsinn bestraft oder in den Selbstmord getrieben. Tatjana hingegen ist eine der wenigen Glücklichen, die in dieser Epoche eine freie Wahl treffen durfte und nicht daran gestorben ist. Sie ist eine Figur, die sich befreit, aus ihren Kostümen, ihrem häuslichen Korsett, den Erwar­ tungen, die an sie gestellt werden. Diese Tatjana, die freie Tatjana, muss immer schon da gewesen sein. Sie


12 sieht und versteht Dinge anders. Lari­ na und Filipjewna singen zu Beginn «Die Gewohnheit ist der Ersatz für das Glück» – das mag für viele stimmen, auch heute noch. Doch Tatjana ver­ spürt von Anfang an einen Widerstand dagegen, eine Sehnsucht nach etwas Anderem. Deshalb habe ich der Sänge­ rin der Tatjana, Rebecca Krynski Cox, mit der Tänzerin Anastasia Shevtsova eine Art Kraftspenderin zur Seite ge­ stellt: Mit ihrer Hilfe schafft sie es am Ende, sich erwachsen und sehr be­ wusst gegen Onegin zu entscheiden, weil sie mit ihm zu viel Freiheit aufge­ ben würde. Diese kleine Tatjana, die schon ihr Leben lang in ihr wohnt, die muss sie schützen und die wird um­ gekehrt auch sie immer beschützen. Der Tanz mit seinen ungewöhnlichen und freien Bewegungen ist der kör­ perliche Ausdruck dafür. RM — Was für eine Verwandlung

erlebt Tatjana?

BO — Für Tschaikowsky war es sehr wichtig, dass sie am Ende frei sein darf. Und deshalb ist für mich der Aus­ gangspunkt in Retrospektive eine Un­ freiheit, die im Zusammenhang mit den gesellschaftlichen und innerfami­ liären Erwartungen steht. Frauen hatten zu dieser Zeit oft nicht viele an­ dere Möglichkeiten, als möglichst früh zu heiraten. Tatjanas Prozess ist

für mich deswegen die Entpuppung einer Frau, die am Anfang in Erwar­ tungen geschnürt wird und am Ende eine grosse Freiheit bekommt – gerade dadurch, dass sie eine Ehe führt, die ihr Ruhe gibt. Natürlich wird sie die­ sen heftigen Gefühlen manchmal nachtrauern, aber nicht so, dass es sie existentiell erschüttert. Denn sie ist glücklich in ihrer Ehe mit Gremin. AB — Musikalisch ist dieser Prozess durch eine enge Verknüpfung des motivischen Materials abgebildet. Das Hauptmotiv, ein Sequenzvorgang, also die Wiederholung eines musikali­ schen Abschnittes auf verschiedenen Tonstufen, als ein typisches stilistisches Merkmal von Tschaikowsky, steht ganz zu Beginn und zieht sich dann in tausend Variationen durch das ge­ samte Stück. Themen tauchen als Re­ miniszenzen wieder auf, stehen aber in einem völlig neuen und anderen Kontext, wie die Figuren selbst auch. Zum Beispiel singt Onegin im 3. Akt Ausschnitte aus Tatjanas Brief-Arie. Besteht die Liebe der beiden am Schluss noch? Dieselbe bestehende Sehn­ sucht hat einen ganz anderen Kontext, sie kann nie mehr dieselbe sein, wie zu Beginn des 1. Aktes, als sich Tatjana und Onegin kennenlernen. Im 3. Akt ist die Motivik Tatjanas gewissermassen zu Onegin gerutscht. Er nimmt etwas von ihr auf, von dem sie sich gelöst

13 hat – und damit vielleicht auch von ihrer Vergangenheit. Deshalb passen Insze­ nierung und Bühnenbild so gut zur Musik: Die ganze Welt um Onegin he­ rum hat sich verändert und auf einmal steht er in Tatjanas Umfeld, er singt ihre Melodie. BO — Onegin ist ein Heimatloser, ein herumtreibendes Blatt im Wind. Ich denke, in dem Moment, in dem Gremin ihm erzählt, dass er mit Tatjana seine grosse Liebe gefunden hat, merkt Onegin, dass bei ihm da ein Loch ist und er will es sofort mit Tatjana stop­ fen. Er realisiert, was ihm fehlt: eine Partnerin. Und dass er wahrscheinlich nie eine haben wird. RM — Was ist das für eine Liebe

zwischen Onegin und Tatjana?

BO — Sie haben eigentlich gar keine Chance dazu, sich richtig zu kennen, sie sehen sich nur dreimal kurz. Ich glaube, dass das eine grosse Projektion ist. Wie so oft am Anfang von Liebes­ geschichten, bevor die Enttäuschung kommt. Darum heisst es auch «Enttäuschung»: Man kann von Anfang an davon ausgehen, dass man sich täuscht. Und die Enttäuschung hat dann ent­ weder positive Auswirkungen oder man merkt tatsächlich: Es passt überhaupt nicht.

RM — Was macht diese Geschichte heutzutage noch so modern? BO — Die dreidimensionalen Figuren, die sich auf vielschichtige Weise mit ihren Gefühlen beschäftigen dürfen. Aber auch der Aspekt, dass sich eine Frau befreit. Gewisse Handlungen, zum Beispiel, dass Tatjana einen Brief schreibt, waren zu dieser Zeit enorm mutig, das können wir uns gar nicht mehr vorstellen. Die Gefühle darzule­ gen und ein Risiko einzugehen, mit der Gefahr, das Gesicht zu verlieren: Das hat man einfach nicht gemacht als Frau. Tatjana war ihrer Zeit sehr voraus. RM — Ist Tatjanas Entscheidung am Schluss eine gegen die Leidenschaft und für den Pragmatismus? BO — Wir wissen ja nicht, wie lange diese Leidenschaft anhalten würde. Tatjana ist klug. Es ist nicht die Ge­ schichte «Eine Frau entscheidet sich gegen das Glück». Ich lese und inszenie­ re sie nicht als einen unglücklichen Verzicht auf die grosse Liebe, sondern als ein Ja zu der Liebe und dem Le­ ben, wie man sie im Moment hat.


«Doch Puppen nahm selbst in den Zeiten Tatjana niemals in die Hand, Von Moden, Klatsch und Neuigkeiten Ihnen zu sprechen unverwandt. Kindischen Scherz trieb sie mitnichten; Es waren gruslige Geschichten, Erzählt in dunkler Winternacht, Mehr für ihr Mädchenherz gemacht. Rief aber, sie zu überraschen, Die Amme auf die Wiese dann Die kleinen Freundinnen heran, So machte sie nicht mit beim Haschen, Sie floh so Lachen als Geschwärm, Verscheucht von windiger Spiele Lärm.»

→ Aus: Alexander Puschkin,

«Eugen Onegin»



Biografien DIANA SCHNÜRPEL

studierte Gesang an der Chor­ kunstakademie in Moskau und an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig unter Prof. Regina Werner-Dietrich. Die Partie der Königin der Nacht in Mozarts «Die Zauberflöte» sang sie in Braunschweig, Detmold, Klagenfurt, Salzburg, Graz und Weimar. Seit 16/17 ist sie En­ semblemitglied am LT. Hier sang sie u. a. Gepopo / Venus in «Le Grand Macabre» und die Titel­ partie von «Maria Stuarda». REBECCA KRYNSKI COX

studierte Gesang an der University of South Carolina sowie der Manhattan School of Music. Sie gewann mehrere Preise und Stipendien. Engagements führten sie u. a. an die Santa Fe Opera, Kentucky Opera, New York City Opera und die Des Moines Ope­ ra in Indianola / Iowa. Seit der Spielzeit 17/18 ist sie festes Ensem­ blemitglied am LT und war hier u. a. als Donna Anna in «Don Giovanni» und Gretchen in «FaustSzenen» zu erleben.

SARAH ALEXANDRA HUDAREW

absolvierte ihr Gesangsstudium bei Prof. Marga Schiml an der Hochschule für Musik Karlsruhe. In der Spielzeit 10/11 wurde sie ins Opernstudio des Badischen Staatstheaters Karlsruhe aufge­ nommen und war dort von 2011– 2013 als Solistin engagiert. Seit 16/17 gehört sie zum Ensemble des LT, wo sie u. a. Rosette in «Manon» und Mrs. Quickly in «Falstaff» sang. URSULA FÜRI-BERNHARD

erhielt ihre Gesangsausbildung an den Musikhochschulen Zürich und Bern. 1995 debütierte sie als Anna in «I Cavalieri di Ekebù» von Riccardo Zandonai am Kon­ zert Theater Bern. Dort sang sie u. a. Cho-Cho-San in «Madama Butterfly», die Gräfin in «Le nozze di Figaro» und Elisabeth in «Tannhäuser». Gastengagements führten sie u. a. nach Hannover, Genf, Avenches, Basel, Kassel so­ wie ans Edinburgh International Festival.

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DIEGO SILVA

VUYANI MLINDE

ALEXANDER SINAN BINDER

ALAIN RAPPAPORT

stammt aus Mexiko und studierte an der Academy of Vocal Arts in Philadelphia. Er gewann zahlrei­ che Preise und wirkte an Produkti­ onen in u. a. Paris, Mexico City, Biel und Wien mit. In der Spiel­ zeit 16/17 debütierte er als Tybalt in «Roméo et Juliette» an der MET in New York. Am LT sang er seit der Spielzeit 16/17 u. a. Duca in «Rigoletto», Alfredo in «La Traviata», Tamino in «Die Zauberflöte» sowie Roméo in «Roméo et Juliette».

absolvierte sein Gesangsstudium an der Free State Musicon in Südafrika und am Royal College of Music in London. Von 10/11 bis 15/16 war er festes Mitglied des Opernensembles der Oper Frankfurt. Ausserdem trat er u. a. beim Edinburgh Internatio­ nal Festival, am Opernhaus von Oviedo, an der Cincinnati Opera, der Houston Grand Opera und in der Carnegie Hall New York auf. Zur Spielzeit 16/17 wechselte er ans LT und sang hier u. a. Sarastro in «Die Zauberflöte» sowie Lepo­ rello in «Don Giovanni».

studierte Orchesterleitung und Klavier an der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf sowie an der Zürcher Hochschule der Künste. Er stand bereits am Pult renommierter Klangkörper wie dem Tonhalle-Orchester Zürich, Lucerne Festival Strings, WDR Funkhausorchester Köln und der Staatsoperette Dresden. Seit der Spielzeit 18/19 ist er als Kapell­ meister und Korrepetitor am LT engagiert, wo er u. a. die musi­ kalische Leitung von «Tanz 30: Orfeo ed Euridice» sowie «Die Grossherzogin von Gérolstein» innehatte.

studierte Architektur an der ETH und Bildende Kunst an der ZHdK. Seit 1995 ist er als frei­ schaffender Bühnenbildner, Aus­ stellungsarchitekt und Künstler tätig. Er entwarf Bühnenbilder für u. a. das Berliner Ensemble, die Staatsoper Unter den Linden Berlin, das Schauspiel Köln, das Theater Basel und das Burgtheater in Wien. Langjährige Zusam­ menarbeiten verbinden ihn u. a. mit Niklaus Helbling, Simone Blattner und Albrecht Hirche. Als Ausstellungsarchitekt ist er regel­ mässig u. a. für das Museum für Gestaltung Zürich und das Stap­ ferhaus in Lenzburg tätig.

JASON COX

wurde an der Manhattan School of Music als Bariton ausgebildet. Er war Mitglied des Opernstudios «OperAvenir» am Theater Basel und gastierte am Theater Magde­ burg, am Theater Bremen und am Salzburger Landestheater. Seit der Spielzeit 16/17 ist er festes Ensemblemitglied des LT, wo er u. a. als Jochanaan in «Salome» und als Titelfigur in «Don Giovanni» zu erleben war.

ANASTASIA SHEVTSOVA

erhielt ihre Ausbildung als klas­ sische Balletttänzerin an der Vaganova-Ballettakademie in St. Petersburg. Sie tanzte in der Kompanie des Mariinski-Theater und spielte die Hauptrolle im Film «Polina, danser sa vie», wo­ für sie 2017 für den César als beste Nachwuchsdarstellerin vornomi­ niert war. Sie spielte ausserdem in Bettina Oberlis Film «Le vent tourne».

BETTINA OBERLI

schloss die Zürcher Hochschule der Künste mit einem RegieDiplom ab. Für ihr Kinodebüt «Im Nordwind» erhielt sie 2004 zahlreiche Preise. 2006 wurde ihr Film «Die Herbstzeitlosen» zum erfolgreichsten Schweizer Film seit 1975. 2009 folgte «Tan­ nöd», 2017 «Private Banking», 2019 «Le vent tourne» und 2020 «Wanda, mein Wunder». Bettina Oberli wurde 2019 mit dem Zür­ cher Filmpreis ausgezeichnet. Mit «Anna Karenina» inszenierte sie 2013 ihr erstes Theaterstück am Theater Basel.

LAURA LOCHER

studierte Mode- und Textildesign in Dänemark. Seit 2015 arbeitet sie als Kostümdesignerin für Ki­ nofilme und Theater sowie als Künstlerin. Sie kreierte das Kos­ tümbild der Filme «Blue my mind» von Lisa Brühlmann (Schweizer Filmpreis 2018 ), «Goliath» von Dominik Locher, «Beast» von Lorenz Merz sowie «Wanda, mein Wunder» und «Kingdom» von Bettina Oberli. Sie arbeitete als Kostümbildnerin u. a. am Thea­ ter Neumarkt, für das Fabrik­ theater Zürich und das Tojo Theater Bern.


Impressum

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TEXTNACHWEISE

BILDNACHWEISE

HERAUSGEBER

Alle Texte sind Originalbeiträge für dieses Heft und stammen von Rebekka Meyer. Das Interview auf S. 10 – 13 führte ebenfalls Rebekka Meyer. Das Zitat von Alexander Puschkin auf S. 15 stammt aus der Übersetzung von Johannes von Guenther.

S. 4:

Luzerner Theater Theaterstrasse 2, 6003 Luzern www.luzernertheater.ch

Jason Cox, Rebecca Krynski Cox S. 8/9: Rebecca Krynski Cox, Jason Cox, Diego Silva, Sarah Alexandra Hudarew S. 14: Ursula Füri-Bernhard, Rebecca Krynski Cox S. 16/17: Diego Silva, Jason Cox, Sarah Alexandra Hudarew, Diana Schnürpel, Rebecca Krynski Cox, Chor und Extrachor des LT Umschlag hinten: Jason Cox, Rebecca Krynski Cox, Vuyani Mlinde, Chor und Extrachor des LT Ingo Hoehn fotografierte die Klavierhauptprobe am 11. März 2020.

Eugen Onegin

Spielzeit 19/20 Intendant: Benedikt von Peter Verwaltungsdirektor: Adrian Balmer Operndirektorin: Johanna Wall Redaktion: Rebekka Meyer Gestaltung: Studio Feixen Druck: Engelberger Druck AG Diese Drucksache ist nachhaltig und klimaneutral produziert nach den Richtlinien von FSC und Climate-Partner.

B   ühne  ←

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Grosse «Bring a Friend» Aktion des Theaterclub Luzern Diese Opern-Produktion wird unterstützt vom Theaterclub Luzern TECHNISCHER STAB

Technischer Direktor: Peter Klemm, Technischer Leiter: Julius Hahn, Produktionsleiter: Roland Glück, Pro­ duktionsassistentin: Marielle Studer, Bühnenmeisterin: Riki Jerjen, Chefrequisiteurin: Melanie Dahmer, Stv. Chefrequisiteurin: Simone Fröbel, Requisite: Vicky Dovat, Oliver Villforth, Leiter Beleuchtungsabteilung und Beleuchtungsmeister: David Hedinger-Wohnlich, Leiterin Ton- und Videoabteilung: Rebecca Stofer, Tontechniker: Franz Schaden, Leiter Probenbühnen: Thomas Künzel, Transporte: Ido van Oostveen, Hamzi Gashi, Chefmaskenbildnerin: Lena Mandler, Leiterin Kostümabteilung: Ulrike Scheiderer, Gewand­ meisterin Damen: Hanni Rütimann, Gewandmeisterin Herren: Andrea Pillen, Kostümmalerin: Camilla Villforth, Leiterin Ankleidedienst: Monika Malagoli, Fundusverwalterin: Rhea Willimann, Werkstättenlei­ ter: Marco Brehme, Leiterin Malsaal: Brigitte Schlunegger, Schlosser: Nicola Mazza, Leiter Schreinerei: Tobias Papst, Tapeziererin: Fernanda von Segesser, Leiterin Statisterie: Delphine Queval

Werden Sie Theaterclub-Mitglied und profitieren Sie am 5. Mai von 2 × 50 % und mehr: — Als Neumitglied bezahlen Sie die Hälfte der Jahresgebühr = CHF 50 — Sie geniessen die Vorstellung «Eugen Onegin» mit 50 % Vergünstigung

www.luzernertheater.ch/ theaterclubluzern

— Das Luzerner Theater beglückt Uns nach der Vorstellung mit einem Apéro riche im Foyer … … und Intendant Benedikt von Peter spricht in einer lockeren Unterhaltung mit dem Thea­ terclubpräsidenten Philipp Zingg über die Schwerpunkte des Spielplans 20/21. — Die Clubmitgliedschaft kostet für Leute bis 30 Jahre Zero Swiss Francs! Die vergünstigten Karten für die Vorstellung vom 5. Mai können bei der Theaterkasse mit dem Vermerk TcL 50 – 50 gekauft werden.


FREUDE Sommer-Festival 14. August – 13. September 2020 Info: lucernefestival.ch

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