Programmheft «Così fan tutte»

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COSÌ FAN TUTTE

ossia La scuola degli amanti Dramma giocoso in due atti von Wolfgang Amadeus Mozart

MUSIKALISCHE LEITUNG Alexander Sinan Binder

FIORDILIGI / JULIA Sydney Mancasola

INSZENIERUNG Max Hopp

DORABELLA /  ANNA-MADDALENA Josy Santos

Libretto von Lorenzo da Ponte

BÜHNE UND KOSTÜME Caroline Rössle-Harper

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

LICHT David Hedinger-Wohnlich

Premiere: 25. April 2020

DRAMATURGIE Johanna Wall

Dauer: ca. 2 Stunde 15 Minuten, eine Lichtpause Aufführungsrechte: ALKOREDITION Kassel GmbH GEFÖRDERT DURCH DIE FREUNDE LUZERNER THEATER UND DEN THEATERCLUB LUZERN

CHOREINSTUDIERUNG Mark Daver CHOREOGRAPHISCHE MITARBEIT Carlos Kerr Jr. MUSIKALISCHE ASSISTENZ UND NACHDIRIGAT Jesse Wong STUDIENLEITUNG Jesse Wong KORREPETITION Jesse Wong, Igor Longato INSPIZIENZ Paul Suter REGIEASSISTENZ UND ABENDSPIELLEITUNG Sophiemarie Won BÜHNENBILDASSISTENZ Maude von Giese KOSTÜMASSISTENZ Sarah Hofer

Herzlichen Dank: Carla Schwöbel-Braun

GUGLIELMO / MICHAEL Jason Cox FERRANDO / LUÌZ Diego Silva DESPINA Diana Schnürpel DON ALFONSO Vuyani Mlinde HAMMERKLAVIER Jesse Wong CHOR DES LUZERNER THEATER ( IN AUFNAHME ) Kyung-Bin Joo (Sopran) Hanna Jung (Sopran) Xenia Romanoff (Sopran) Chiharu Sato (Sopran)

Agnes Fillenz (Mezzosopran) Sofía Pollak (Mezzosopran) Miriam Timme (Mezzosopran) Judith Machinek (Mezzosopran) Daniel Foltz-Morrison (Tenor) Wieslaw Grajkowski (Tenor) Kihun Koh (Tenor) Koichi Yoshitomi (Tenor) Peter Wigger (Bass) Robert Hyunghoon Lee (Bass) Marco Bappert (Bass) Ivo Kazarow (Bass) LUZERNER SINFONIEORCHESTER


L

Così fan tutte

Bühne ←

T


Handlung

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1. TEIL

Julia und Michael, Anna-Maddalena und Luìz, zwei befreundete Paare, treffen in Don Alfonsos «Scuola degli amanti» ein. Hier erhält jede und jeder für die folgende Lehrstunde der Liebe einen Platz und seine Rolle zugeteilt: Michael wird zu Guglielmo, Luìz zu Ferrando, Anna-Maddalena erhält die Rolle der Dorabella und Julia die der Fiordiligi. Don Alfonso beginnt das Spiel mit der Behauptung, Frauen könnten grundsätzlich nicht treu sein. Die vier sind sich sicher, das Gegenteil beweisen zu können und lassen sich auf Don Alfonsos Vorlage ein. Die Männer werden in zu den Rollen passende Uniformen gesteckt und in den Krieg verabschiedet. Dorabella macht ihrem Unmut über diese Wendung Luft, ehe Despina auch den Damen zum Spiel passende Kostüme reicht und ihnen eine kleine Extra-Lektion in Sachen Männer und Treue erteilt. Nachdem die vier Liebenden den Raum verlassen haben, besprechen Despina und Don Alfonso das weitere Vorgehen, in dem Despina eine tragende Rolle spielen soll –  natürlich nicht umsonst. Da kehren die vier zurück – die Herren allerdings im Gewand albanischer Prinzen, als die sie von nun ab ihr Glück bei den Damen versuchen. Diese lassen sich jedoch nicht beirren, was Fiordiligi klar zum Ausdruck bringt. Erst als die beiden albanischen Prinzen drohen sich aufgrund verschmähter Liebe mit Gift das Leben zu nehmen, stehen die Damen ihren Geliebten auch in ihrer albanischen Variante bei. Despina rettet verkleidet als Doktor unter Zuhilfenahme einer magnetischen Apparatur die beiden Männer. Die von den Nachwirkungen des Gifts und der Behandlung sichtlich gebeutelten Herren lassen weiterhin nicht von ihrem Liebeswerben ab, bis zu guter Letzt alles in einem nicht ganz ernsten Pärchen-Kuddelmuddel endet. ZWISCHENAKT

Despina gönnt sich eine Rauchpause. Schon mit 15 Jahren war ihr klar, was es braucht, um in der Welt der Männer zurecht zu kommen. 2. TEIL

Don Alfonso führt die beiden Paare zu einem traumhaften Tänzchen, allerdings in überkreuzter Konstellation. Guglielmo versucht danach sein Glück bei Dorabella – und reüssiert, beide nehmen’s leicht. Der romantische Ferrando


5 hat hingegen bei Fiordiligi kein Glück. Was er nicht weiss: Fiordiligi lässt die Magie des Augenblicks keineswegs unberührt. Wieder umgezogen, will sie als Julia das Spiel verlassen. Auf dem Weg hinaus aber begegnet ihr Ferrando –  oder ist es Luìz? – und die auch für sie unerwarteten Gefühle für ihn überwältigen sie. Ihr Widerstand bricht in sich zusammen. Die doppelt enttäuschten Herren lassen sich von Don Alfonso nun sein von Anfang an postuliertes Fazit verkünden verbunden mit der Empfehlung: Einfach heiraten und nicht nachtragend sein. Und so treten alle vier Damen und Herren reich geschmückt zur Doppelhochzeit an, allerdings in verdrehter Konstellation und die Herren noch im Gewand der albanischen Prinzen. Don Alfonso unterbricht die Zeremonie des zugezogenen Notars alias Despina und kündigt die Rückkehr der eigentlichen Geliebten an. Noch einmal kommt Bewegung ins Spiel. Guglielmo und Ferrando treten – zunächst im Soldatenkostüm, schliesslich als Michael und Luìz – zu ihren Frauen. Alle vier sind sich einig: Sie haben die Dynamik des paartherapeutischen Spiels unterschätzt. Beisammen bleiben möchten sie trotzdem, hoffend, dass diese Vernunftentscheidung den ersehnten Seelenfrieden bringt.

Sanft sei der Wind, Ruhig schlage die Welle, Und alle Element Seien gewogen deinem Wunsch. → Akt I, Sz. 6, No. 10 Terzettino




Umarmt Euch. Und schweigt.

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«Così fan tutte» zählt neben «Don Giovanni» und «Le nozze di Figaro» zu Mozarts berühmter Da Ponte-Trilogie, das Libretto aber war, wie kürzlich zu Tage getretene Musiknummern aus der Feder Antonio Salieris zeigen, ursprünglich vermutlich gar nicht für Mozart gedacht. Über die Entstehungsgeschichte der Mozart’schen Così ist wenig bekannt. Als gesichert gilt, dass Mozart an der Jahreswende 1789/90 während der Arbeit finanziell nicht gerade auf Rosen gebettet war (obgleich er kein schlechtes Jahresgehalt bezog, lebte er weit über seine Verhältnisse). Ein «Bettel-Brief» an seinen Logenbruder Johann Michael Puchberg bezeugt dies. In seinen umfangreichen Memoiren erwähnt auch der Librettist Lorenzo Da Ponte die Oper nur am Rande. Möglicherweise kam die Oper am 26.  Januar 1790 am Burgtheater Wien schlicht zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort zur Uraufführung. Kaiser Joseph II. war ein wichtiger Unterstützer Da Pontes und Mozarts am Hof. Als er nur wenige Wochen nach der Uraufführung starb, markierte dies nicht nur eine Zäsur in Zeiten grosser gesellschaftlicher Umbrüche im Zuge der Französischen Revolution sondern auch das Ende der Karriere Da Pontes am Wiener Hof. Zwar wurde «Così fan tutte» bis zum Sommer 1790 noch insgesamt zehn Mal gezeigt, verschwand dann aber von den Spielplänen und wurde für die nächsten hundert Jahre wenn dann in Bearbeitungen aufgeführt. Besonders das Urteil über Da Pontes Libretto wandelte sich rasch von einem anfänglichen «amüsant» zu einem späterhin naserümpfenden «albern». Ein privatistisches Liebesgeschichtchen entsprach nicht mehr dem Zeitgeist, der nach heeren Gefühlen und bald auch nach nationalgesinnteren Helden dürstete. Es war nicht zuletzt das leidige «e» am Ende des Titels, das klar einzig die Frauen als Schuldige in der gescheiterten Liebesprüfung kennzeichnet, das schon bald nach der Entstehung die Gemüter bewegte. Die Tatsache, dass die Frauen vom fast schon grausamen Spiel ihrer Geliebten nichts wissen, war und ist bis heute ein Stein des Anstosses und Ausgangspunkt verschiedenster inszenatorischer Lesarten. Da Ponte sprach, wenn überhaupt, über dieses Werk nie unter dem, heute geläufigen Titel (und von Mozart präferierten) «Così fan tutte», sondern von seiner «La scuola degli amanti» – «Die Schule der Liebenden». In den Liebesduetten der «vertauschten» Partner – nur ihnen sind in der Oper gemeinsame musikalische Nummern vergönnt –  zeigt sich, dass die Partner*innen auch


9 kreuzweise ganz wundervoll harmonieren können – ob sie es wollen, oder nicht. Hier sind höhere musikalische Mächte am Werk. Das empörte «Così fan tutte» – «So machen’s alle (Frauen)» der Herren sagt zwar viel über deren aufbrausende Emotionen aus, ist aber wohl nicht das Fazit des Mozart-Da Ponte’schen Werks. Vielleicht findet sich ein Anhaltspunkt für dessen Quintessenz später im Text, wenn «der alte Philosoph» Don Alfonso den Liebenden rät: «Umarmt Euch. Und schweigt.» – Ob diese Maxime unseren Vorstellungen einer gelungenen Partnerschaft entspricht, sei dahin gestellt. Dass wir weniger Herr und Herrin unserer Gefühle sind, als wir es wahrhaben möchten, diese Erkenntnis ist heute sogar wissenschaftlich belegt. Und dass wir auf unsere Liebe gut aufpassen müssen, gerade wenn wir sie ein bisschen zu selbstverständlich nehmen, das kann man sich nicht oft genug vor Augen führen. Nicht zuletzt aber darin, dass und die Wogen manchmal eher durch eine Umarmung als durch viele Worte geglättet werden können – mag ein Fünkchen Wahrheit glimmen. Selbst wenn Da Ponte, der in seinem Leben nicht gerade das Musterbeispiel eines getreuen Ehegatten abgab, die Frauen etwas wohlfeil zur liebenswerten Wurzel allen Übels abstempelt, Mozart tut dies nicht. Der wohl am tiefsten empfundene Augenblick von Liebe bleibt einer Frau vorbehalten: Wie ein Fels in der Brandung, standhaft und fest – so ist Fiordiligis Liebe zu Guglielmo. Mit Gewalt – gerade wenn diese so charmant daherkommt wie die Ferrandos –  lässt sich freilich auch ein Fels bewegen. Aber ist dies die Schuld des Felsens? Immer da, wo Da Ponte gar zu eindeutig zu werden droht, rettet ein anderer Text vor der Plattitüde und setzt ein kluges Fragezeichen bis zum Schluss –  die Musik.




Das erhebende Zentimeterchen Regisseur Max Hopp und der musikalische Leiter Alexander Sinan Binder im Gespräch mit Dramaturgin Johanna Wall Johanna Wall — Max Hopp, du bist von Amtswegen Schauspieler, erfolgreich auf allen grossen deutschsprachigen Schauspielbühnen, in Film und Fernsehen zuletzt aber vermehrt auch im Musiktheater zu finden, an der Komischen Oper Berlin, am Opernhaus Zürich, bei den Salzburger Festspielen und zuletzt an der Bayerischen Staatsoper in München. Vor einigen Jahren hast du nun auch auf die Opern-Regieseite gewechselt. Welche Rolle spielt dein Hintergrund als Schauspieler für deine Arbeit als Regisseur? Max Hopp — Mein Vorteil als Schauspieler besteht darin, zu wissen, dass das, was ich verlange, psychologisch möglich ist. Es gibt Regisseure, die tolle Bilder bauen und grosse Tableaus entfalten können. Meine Stärke liegt darin, Figuren aus der Psychologie heraus zu entwickeln. Diese Psychologie kann durchaus auch absurd sein. Wichtig ist, dass jeder auf der Bühne weiss, warum er was, wann zu tun oder von A nach B zu gehen hat.

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JW — Wie ist es diese psychologische

Spielweise des Schauspiels mit Opernsänger*innen umzusetzen?

MH — Es geht sehr gut. Wir haben es bei «Così fan tutte» mit einem Meisterwerk zu tun, in dem bereits alles geschrieben steht. Das grosse Anliegen in der Vorbereitung war nicht, dem Werk irgendeine tolle konzeptionelle Idee aufzupfropfen. Für mich war die Frage: Wie kann man dieser weit über die sichtbaren szenischen Vorgänge hinaus in die tiefsten Bewusstseinsschichten vordringenden Musik dienen? Der barocke Commediadell’arte-Handlungsrahmen, in dem sich die Musik bewegt, ist zunächst einigermassen unglaubwürdig. In der Vorbereitung habe ich bei mir die Beobachtung gemacht: Ich kann dem Geschehen zwar noch als Musikgenuss folgen, manchmal aber nicht mehr emotional. Ich würde gerne eine Möglichkeit finden, dem Publikum zu zeigen, dass es sich auf der gleichen Entdeckungsreise befindet wie die Figuren. JW — Die Sänger*innen müssen dafür

vom feinsinnigen psychologischen Realismus bis hin zum holzschnittartig überzogenen Commedia dell’arteSpiel virtuos wechseln – zum Teil in


13 einer einzigen Figur, wie der der Despina … MH — … ja, diese Figur bleibt dadurch auch ein Geheimnis. Bei uns ist sie kein keckes Mädchen «von 15 Jahren», sondern schon etwas älter. Sie ist sehr streng, aber sie kann gerade deshalb die Komödie glaubhaft spielen. Das geht bis ins Unheimliche, auch Abgründige. JW — Der Gedanke «ein anderer /

eine andere» sein zu können, spielt in dieser Inszenierung eine grosse Rolle … MH — Der zweite Titel von «Così fan tutte» lautet «La scuola degli amanti» – «Die Schule der Liebenden». Der Librettist Lorenzo Da Ponte nutzt in seinen Briefen sogar ausschliesslich diesen Titel. «Die Schule der Liebenden». Was bedeutet das denn für uns heute? Wir sind alle Gefangene, in unserem Beruf, im Alltag und der Blick für den anderen geht über die Zeit vielleicht nicht unbedingt verloren, aber er trübt sich ein bisschen ein. Hier setzt das Konzept an: Don Alfonso betreibt eine Institution namens «Die Schule der Liebenden». Hier wird ein Wo­ chenende angeboten, das verspricht,

tiefgreifende Erfahrungen zu ermöglichen. Man kann es buchen wie eine seelische Ayurveda-Kur – für sehr viel Geld. Und genau das machen unsere zwei wohlsituierten, befreundeten Paare. Sie denken: Das wird ein Spass. Aber wenn ich mich als glückliches Paar darauf einlasse, meine Liebe auf die Probe stellen zu lassen, heisst das auch etwas. Nichts Schlimmes, eher etwas naiv Neugieriges, in jedem Fall nicht- reflektiertes. Was sie dann erleben? Sie werden wie eine Zwiebel aufgepellt. Schicht für Schicht. Und dabei geraten sie in Zonen, die durchaus gefährlich sein können, die so abgrundtief sind, dass die Gefahr besteht, sich darin zu verlieren. Ein waghalsiges Experiment, das sich ihnen und uns als Zuschauer zur gleichen Zeit erschliesst. Wir sind immer live dabei, die Momente mit den Figuren zu entdecken, was uns zugleich den emotionalen Schlüssel zur Musik gibt. Auch wenn sich die Handlung an den Vorgaben von Komposition und Libretto orientiert, können selbst Despina und Don Alfonso mit Fortschreiten des Experiments ab einem bestimmten Punkt nicht mehr voraussagen, wie sich die Figuren verhalten werden, in dieser grossen Improvisation «Così fan tutte».


14 JW — In dieser Konzeption spiegelt

sich auch deine musikalische Analyse, Alexander Sinan Binder, die das Unvorhersehbare der Mozart’schen Musik als deren besondere Qualität herausstreicht … Alexander Sinan Binder — Diese Musik hat einen unglaublichen Sog, eine unendliche Schönheit. Mozart war ein Meister darin, eine heitere Musik von einer Sekunde auf die andere ins zutiefst Traurige, ja Katastrophale kippen zu lassen. Diese Doppelbödigkeit bzw. Brüchigkeit ist der rote Faden, der das Stück durchzieht. Die Komödie – von Mozart hier als Dramma giocoso, als «heiteres Spiel» bezeichnet – kann jederzeit in die Tragik und Vehemenz der Opera Seria kippen. Es ist ein Seiltanz. Die vielleicht grösste Herausforderung besteht darin, diese Überzeichnungen, diese Detailvielfalt in einen gesamten grossen musikalischen Bogen zu formen. Aber: Ich kann mir einen noch so perfekte musikalische Dramaturgie des Stückes am Schreibtisch ausmalen, diese funktioniert nur, wenn Musik und Szene vom ersten Moment an an einem gemeinsamen Strang ziehen. JW — Was bedeutet dies für die Sänge-

rinnen und Sänger – die Besetzung ist ja nicht gross. In der aktuellen Zeit natürlich nicht unpraktisch, dass die

acht Partien von nur sechs Sänge­ r*innen bewältigt werden müssen, Mozart hatte dafür aber sicher bessere Gründe, als eine unerfreuliche Pandemie … ASB — Eine Partitur, die sich so exklusiv auf sechs quasi gleichwertige Protagonist*innen fokussiert, das war absolut neu in dieser Zeit. Mozart hat diesen Fokus ganz bewusst gewählt, um somit tief in das Innenleben der Figuren aber auch die dahinter stehenden gesellschaftlichen und philosophischen Haltungen hineinleuchten zu können. Mozart begann im Jahre 1789 an «Così» zu schreiben, d. h. zeit­ gleich mit dem Beginn der Französischen Revolution, Kants «Kritik der reinen Vernunft» ist wenige Jahre zuvor erschienen. Es sind also Zeiten gesellschaftlichen Umbruchs. Um dies auf der Bühne darzustellen braucht es sechs Sänger*innen, die diese Oper tragen können. Das heisst, es braucht einerseits bereits reife Stimmen, und gleichzeitig junge Darsteller*innen – das ist wirklich schwer zu besetzen. Aber da sind wir fantastisch aufgestellt … JW — Während wir auf der Szene un-

sere Besetzung komplett auf die Protagonist*innen konzentriert und uns bei den Chorpassagen frühzeitig für eine Einspielung entschieden haben,




17 spielt das Orchester in voller Besetzung. Worauf kommt es hier besonders an? ASB — Auch mit dem Orchester versuche ich das Werk aus dem Moment heraus zu denken und so frisch wie möglich zu halten. Wir sind wie ein zusätzlicher Darsteller, der sich auf der Bühne innerhalb des Geschehens selbst reflektiert und gleichzeitig mit dem umgeht, was im Moment mit ihm geschieht. In der Musik steht ja bereits alles in absoluter Meisterschaft niedergeschrieben. Man muss im Kopf aktiv dabei bleiben und kontinuierlich im Moment des Musizierens weiterdenken, so dass die Tiefe und der Reichtum der Musik sich gemeinsam mit der Bühne zu einem Organismus verbindet. Glätte und reine Schönheit interessieren mich nicht so sehr. Es sind die zahlreichen verschiedenen Facetten, die Brüchigkeit, die Abgründe persönlicher, gesellschaftlicher und politischer Art, an deren Rand wir immer wieder landen, um dann um ein Haar doch noch die Kurve zu nehmen. Wenn aber Mozarts Spontanität, Flexibilität und Schnelligkeit im Denken nicht hörbar werden, dann sind wir verloren. Mit dem Orchester, welches das Stück liebt, sind wir da auf einem sehr vielversprechenden Weg.

JW — Eine Mozart-Da Ponte’sche

Frühjahrskur für Liebende: Welchen Raum hat Ausstatterin Caroline Rössle-Harper dafür entworfen? MH — Einen schlichten Raum: Sehr fein, nicht kalt, nicht warm. Dieser neutrale Raum, in dem nur ein Tisch steht mit sechs Stühlen, funktioniert wie eine Art Matrix. Er ermöglicht uns das hinein zu geben, was im Augenblick entsteht. Eine grosse Herausforderung für die Sänger*innen, die nicht nur sängerisch, sondern auch spielerisch sehr herausgefordert sind. Es ist vielleicht ein Vorteil, wenn man als Schauspieler Regie führt – ich weiss, dass der Körper und der Gedanke nicht immer gleichen Schritts laufen wie die Musik. Mozart hat die Messlatte der seelischen Vorgänge ziemlich hoch gehängt. Er zeigt in seiner Komposition gleichzeitig so viel Dialektik, dass man nur genau hin hören muss, um bestimmten Pfaden zu folgen und bestimmte Ideen aufzunehmen. Je ehrlicher man dabei ist, auch mit seinen eigenen Gefühlen, desto berührender, tiefer, einschneidender kann dieses Erlebnis für alle werden. JW — Was könnte die grösste Freude

sein, mit der man aus diesem Erlebnis heraustritt?


18 ASB — Der gesamte Weg durch das Stück. Mozart beginnt und endet dieses Meisterwerk in C-Dur – der reinsten und hellsten aller Tonarten, aber auch eine der unbeflecktesten. Um weitere Beispiele zu nennen: Bachs Wohltemperiertes Klavier beginnt mit dem ersten Präludium und Fuge in C-Dur, Beethovens 1. Symphonie etc. Nach alldem was innerhalb des ersten und letzten Akkordes in Così passiert, werden wir das C-Dur am Ende anders hören als zu Beginn. Eventuell ein wenig eingetrübt, eventuell als ein grosses Fragezeichen, eventuell als ein in sich geschlossener Zyklus mit der Möglichkeit des Neubeginns. Das Durchwandern der Tonalitäten in­ nerhalb des Stückes – welches bereits in der Ouvertüre kaleidoskopartig vorgestellt wird – hinterlässt in uns Spuren. Wenn man sich hierauf einlässt, genau hinhört und hinsieht, dann wird man vom Sog dieses Stücks gepackt und es wird einen bis zum letzten Ton nicht mehr loslassen – genauso wie es in einem Guss von Da Ponte und Mozart durchdacht und komponiert ist. Man kann sich auf diese wunderbare Reise und in unserem Fall diesen abgefahrenen Trip «Così fan tutte» freuen – von A bis Z. MH — Ich würde da gerne noch einmal auf den Raum zurückkommen. Dieser Raum ist auch ein Raum, in dem das

Träumen wieder möglich ist. Das Träumen ist sehr aus der Mode gekommen. Theater hat seine Berechtigung meiner Ansicht nach dadurch, dass wir diese wunderbaren grossen Werke – ob nun grosse Texte oder grossartige Kompositionen in Ver­ bindungen mit grossen Texten – so präsentieren, dass das Publikum mitträumen kann und verändert aus dem Theater herausgeht. Da haben Don Alfonso und das Theater das­ selbe Anliegen. Niemand sollte aus dem Theater so hinausgehen, wie er oder sie hineingegangen ist. Jeder sollte mindestens einen halben Zen­ timeter grösser sein. Ob dieses halbe Zentimeterchen dadurch zustande kommt, dass man viele Fragezeichen hat, oder dass man herzlichst gelacht oder geweint hat, oder alles zugleich, ist egal. Wichtig ist, dass etwas passiert, das den Menschen hebt und nicht kleiner macht. Wir müssen davon erzählen, dass die Menschen ein grosses Potential in sich tragen – ihr see­ lisches Potential. Menschen sind nicht nur die Funktionsträger, als die sie in der Gesellschaft häufig behandelt werden. Menschen sind viel mehr als das. Sie können lieben. Und die Liebe verändert. Alles.



Biografien

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SYDNEY MANCASOLA

JASON COX

VUYANI MLINDE

Von Opera News als «bezaubernd […] strahlend und glitzernd» beschrieben, begann die Sopranistin Sydney Mancasola ihre musikalische Ausbildung als klassische Geigerin und studierte anschliessend Gesang am Oberlin Conservatory of Music in Ohio. Sie war Ensemblemitglied der Oper Frankfurt, trat an der English National Opera, der Komischen Oper Berlin, auf dem Adelaide Festival und dem Edinburgh International Festival auf und gab zuletzt ihr Debut an der New Yorker Metropolitan Opera und der Washington Na­ tional Opera als Pamina in «Die Zauberflöte».

Jason Cox studierte an der Manhattan School of Music Gesang. Der vielfach ausgezeichnete Bariton wurde mit der Spielzeit 13/14 Mitglied des Opernstudios «OperAvenir» des Theater Basel, wo er in der Spielzeit 20/21 die Partie des Frère Léon in der Eröffnungspremiere «Saint François d’Assise» von Olivier Messiaen übernahm. Am Luzerner Theater ist er seit der Spielzeit 16/17 Mitglied des Opernensembles, wo er zuletzt als Jochanaan in Herbert Fritsch Inszenierung von Richard Strauss «Salome» das Publikum begeisterte.

absolvierte sein Gesangsstudium an der Free State Musicon in Südafrika und am Royal College of Music in London. Von 10/11 bis 15/16 war er festes Mitglied des Opernensembles der Oper Frankfurt. Ausserdem trat er u. a. am Edinburgh International Fes­ tival, am Opernhaus von Oviedo, an der Cincinnati Opera, der Houston Grand Opera und in der Carnegie Hall New York auf. Zur Spielzeit 16/17 wechselte er ans LT. In der Spielzeit 20/21 ist er neben «Così fan tutte» auch in «Das schlaue Füchslein» zu erleben.

DIEGO SILVA

TALYA LIEBERMANN

Der mexikanische Tenor absolvierte seine Ausbildung an der Academy of Vocal Arts in Philadelphia. Er übernahm Rollen wie Lenski in «Eugen Onegin», Graf Almaviva in «Il barbiere di Siviglia», Don Ottavio in «Don Giovanni», Ferrando in «Così fan tutte» und Alfredo in «La traviata». Gastspiele führten ihn an Konzertund Opernhäuser in Moskau, Melbourne, Mexico City und an die Metropolitan Opera. Am Luzerner Theater war er zuletzt in der Titelpartie in Massenets «Roméo et Juliette» zu hören.

studierte Trompete und Lingustik, ehe sie an der University of Cincinnati College-Conservatory of Music ihr Studium als Opernsängerin abschloss. 2016 gab sie ihr Debüt an der Opera Columbus als Musetta in «La Bohème» sowie an der Cincinnati Opera in der Uraufführung von Gregory Spears «Fellow Travelers». Von 2016 bis 2018 war sie Mitglied des Opernstudios der Komischen Oper Berlin. und dort u. a. als Pamina in «Die Zauberflöte» und Zerlina in «Don Giovanni» zu erleben. Tourneen führten sie nach Spanien, Ungarn, China, Süd­ korea und Japan. In der Spielzeit 20/21 übernimmt sie am Luzerner Theater Partien in «Das schlaue Füchslein» und «Così fan tutte».

JOSY SANTOS

In Brasilien geboren, erlangte Josy Santos 2009 den Bachelor in Gesang an der Universität Cruzeiro do Sul in Brasilien und absolvierte dort bis 2012 das Opernstudio der Musikschule Tom Jobim EMESP. Von 2013 bis 2016 ergänzte sie ihre Ausbildung im Masterstudium an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Frankfurt. Josy Santos war 2016 und 2017 Elevin der Oper Stuttgart, von 2017 bis 2019 Ensemblemitglied der Staatsoper Hannover und debütierte 2019 an der Opéra national du Rhin in Strassburg. Im Januar 2022 folgt ihr Debut an der Wiener Staatsoper.


21 ALEXANDER SINAN BINDER

studierte Orchesterleitung und Klavier an der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf sowie an der Zürcher Hochschule der Künste. Er stand bereits am Pult renommierter Klangkörper wie dem Tonhalle-Orchester Zürich, Lucerne Festival Strings, WDR Funkhausorchester Köln und der Staatsoperette Dresden. Seit der Spielzeit 18/19 ist er als Kapellmeister und Korrepetitor am LT engagiert, wo er u. a. die musi­ kalische Leitung von «Tanz 30: Orfeo ed Euridice» sowie «Die Grossherzogin von Gérolstein» innehatte. In der aktuellen Spielzeit übernimmt er die musikalische Leitung von «Il barbiere di Siviglia» und «Così fan tutte». MAX HOPP

Max Hopp studierte Schauspiel an der Hochschule für Schau­ spielkunst «Ernst Busch» in Berlin. Nach Engagements am Bremer Theater, Schauspielhaus Hamburg und Zürich, den Münchner Kammerspielen und den Salzburger Festspielen gehörte er ab 2005 zum Ensemble der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz unter der Intendanz von Frank Castorf. Max Hopp ist regelmässig in Kinound Fernsehproduktionen wie «Bella Block» und «Tatort» zu sehen. Hopp führten Engagements u. a. an die Komischen Oper Berlin, die Bayerische Staatsoper München und die Salzburger Festspielen. Er ist Mitbegründer des Berliner nootheater, das neben Theater- und Hörstücken auch zwei Filme produziert hat. Nach Operninszenierungen an den

Theatern in Hildesheim und Mainz stellt sich Hopp mit «Così fan tutte» erstmals dem Luzerner Publikum als Regisseur vor. CAROLINE RÖSSLE-HARPER

Caroline Rössle-Harper studierte nach ihrer Lehre zur Herrenmass­ schneiderin an der Staatsoper Berlin Bühnen- und Kostümbild an der Kunsthochschule BerlinWeissensee. Es folgten Assistenzen u. a. für Bert Neumann und Jonathan Meese. Ab 2006 arbeitete sie an der Volksbühne am RosaLuxemburg-Platz, wo sie 2010 bis 2017 Ausstattungsleiterin und Leiterin des Ausstattungsateliers war. Als freischaffende Bühnenund Kostümbildnerin arbeitete sie u. a. an Häusern in Hildesheim, Weimar, Düsseldorf, München, Berlin, Dresden und Basel.




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Così fan tutte

B   ühne  ←

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Alle tragen Maske Diese Produktion wird unterstützt vom Theaterclub Luzern Das Luzerner Theater liegt uns am Herzen, gerade jetzt in dieser schwierigen Zeit zwischen Lockdown und Öffnung. Wir animieren alle, nicht nur unsere Mitglieder, zum Theaterbesuch und sagen: wenn es alle so halten wie im Titel von Mozarts Oper, kommen wir aus der Covid19-Pandemie heraus und können unbeschwert und sicher ins Theater gehen. Der Theaterclub Luzern bietet aber nicht nur Lebenshilfe, sondern auch handfeste Vorteile: Unsere Mitglieder erhalten 30 % Vergünstigung zu Vorstellungen an speziellen Theaterclub-Tagen. Spezielle Club-Anlässe und die bekannten Theaterclub-Reisen erweitern unser Programm. Hinzu kommt unser Anti-Corona-Fatigue Angebot: Ab heute bis Saisonende gibt es die TcLMitgliedschaft zum halben Preis. info@theaterclub-luzern.ch www.theaterclub-luzern.ch


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Impressum TEXTNACHWEISE

BILDNACHWEISE

HERAUSGEBER

Alle Texte sind Originalbeiträge von Johanna Wall. Das Interview mit Max Hopp und Alexander Sinan Binder führte ebenfalls Johanna Wall.

S. 6 – 7: Sydney Mancasola, Jason Cox, Vuyani Mlinde, Diego Silva, Josy Santos S. 10 – 11: Diego Silva, Josy Santos, Sydney Mancasola, Jason Cox S. 15: Josy Santos, Jason Cox S. 16: Sidney Mancasola, Diego Silva S. 19: Vuyani Mlinde S. 22 – 23: Sydney Mancasola, Jason Cox, Talya Liebermann, Diego Silva, Vuyani Mlinde, Josy Santos Umschlag hinten: Talya Liebermann

Luzerner Theater Theaterstrasse 2, 6003 Luzerner Theater www.luzernertheater.ch

Ingo Höhn fotografierte die Klavierhauptprobe am 11. März 2021.

Spielzeit 20/21 Intendant: Benedikt von Peter Verwaltungsdirektor: Adrian Balmer Operndirektorin & Künstlerische Leitung Oper: Johanna Wall Redaktion: Johanna Wall Gestaltung: Studio Feixen Druck: Engelberger Druck AG Diese Drucksache ist nachhaltig und klimaneutral produziert nach den Richtlinien von FSC und Climate-Partner.

TECHNISCHER STAB

Technischer Direktor: Peter Klemm, Technischer Leiter: Julius Hahn, Produktionsleiter: Roland Glück, Produktionsassistentin: Marielle Studer, Bühnenmeister: Markus Bisang, Chefrequisiteurin: Simone Fröbel, Requisite: Irina Biadici, Leiter Beleuchtungsabteilung und Beleuchtungsmeister: David Hedinger-Wohnlich, Leiterin Ton- und Videoabteilung und Video: Rebecca Stofer, Tontechniker: Franz Schaden, Videotechnikerin: Rebecca Stofer, Leiter Probenbühnen: Thomas Künzel, Transporte: Ido van Oostveen, Hamzi Gashi, Chefmaskenbildnerin: Lena Mandler, Leiterin Kostümabteilung: Ulrike Scheiderer, Gewandmeisterin Damen: Hanni Rütimann, Gewandmeisterin Herren: Andrea Pillen, Kostümmalerin: Camilla Villforth, Leiterin Ankleidedienst: Monika Malagoli, Fundusverwalterin: Rhea Willimann, Werkstättenleiter: Marco Brehme, Leiterin Malsaal: Brigitte Schlunegger, Schlosser: Piero Antonazzo, Leiter Schreinerei: David Koch, Tapeziererin: Fernanda von Segesser, Leiterin Statisterie: Delphine Queval


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