Programmblock Alkestis!

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Alkestis! L

Bühne  ← ALKESTIS! Ein Satyrspiel von Euripides in der Übersetzung von Walter Jens Premiere: 22. März 2019 Dauer: Ca. 2 Stunden mit Pause Im Rahmen der Insze­ nierung findet bei jeder Witterung eine Pro­ zession ins Freie statt. Rechte an der Überset­ zung von Walter Jens, Theater-Verlag Desch, Berlin GEFÖRDERT DURCH PRO HELVETIA, SCHWEIZER KULTURSTIFTUNG UND DIE FREUNDE LUZERNER THEATER IN KOOPERATION MIT SRF KULTURCLUB DANKE UNSEREM HAUPTSPONSOR BUCHERER AG

DARSTELLER IN DER REIHENFOLGE IHRES AUFTRETENS Yves Wüthrich (Tod /  Pheres / Andere), Nancy Stamatopoulou (Chor /  Andere), Kiriakos Hadjiioannou (Chor /  Andere), Lukas Darnstädt (Herakles / Chor), Mira Rojzman (Dienerin /  Chor / Andere), Angeliki Papoulia (Alkestis), Jakob Leo Stark (Admetos) MUSIKER Jon Flurin Buchli, Nicola Bütler, Sabrina Deleze, Martin Gilgen, Niki Jäger, Paul Emile Marchand, Gabriel Sieber, Nils Wiesli, Joëlle Zemp INSZENIERUNG Angeliki Papoulia, Christos Passalis BÜHNE Efi Birba KOSTÜME Sophie Klenk-Wulff LICHT Marc Hostettler DRAMATURGIE Irina Müller INSPIZIENZ Yasmine Erni-Lardrot

REGIEASSISTENZ UND ABENDSPIEL­ LEITUNG Lucia Wunsch BÜHNENBILD­ ASSISTENZ Sophie Köhler KOSTÜMASSISTENZ Rose-Liliane Gut

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TECHNISCHER STAB

IMPRESSUM

Technischer Direktor: Peter Klemm, Techni­ scher Leiter: Julius Hahn, Produktionsassistentin: Marielle Studer, Pro­ duktionsleiter: Roland Glück, Bühnenmeister: Dominic Pfäffli, Claudine Ulrich, Chefrequisi­ teurin: Melanie Dahmer, Requisite: Oliver Villforth, Nicole Küttel, Stv. Chefrequisiteurin: Simone Fröbel, Leiter Beleuchtungsabteilung: David HedingerWohnlich, Bleuchtungs­ meister: Marc Hostettler, Leiterin Ton- und Videoabteilung: Rebecca Stofer, Tontechniker: Gérard Gisler, FranzChristian Schaden, Vi­ deotechnikerin: Rebecca Stofer, Leiter Probebüh­ nen: Thomas Künzel, Transporte: Ido van Oostveen, Hamzi Ganshi, Chefmaskenbildnerin: Lena Mandler, Leiterin Kostümabteilung: Ulrike Scheiderer, Gewandmeis­ terin Damen: Hanni Rütimann, Gewandmeis­ terin Herren: Andrea Pillen, Kostümmalerin: Camilla Villforth, Lei­ terin Ankleidedienst: Monika Malagoli, Fun­ dusverwalterin: Rhea Willimann, Werkstätten­ leiter: Marco Brehme, Leiterin Malsaal: Brigitte Schlunegger, Schlosser: Nicola Mazza, Leiter Schreinerei: Tobias Papst, Tapeziererin: Fernanda von Segesser, Leiter Sta­ tisterie: Sergio Affini

Herausgeber: Luzerner Theater Theaterstrasse 2 6003 Luzern www.luzernertheater.ch Spielzeit 18/19 Intendant: Benedikt von Peter Verwaltungsdirektor: Adrian Balmer Künstlerische Leitung Schauspiel: Sandra Küpper Redaktion: Irina Müller Gestaltung: Studio Feixen Fotografie: Ingo Höhn Druck: Engelberger Druck AG Diese Drucksache ist nachhaltig und klima­ neutral produziert nach den Richtlinien von FSC und ClimatePartner.

«Sie lebt und ist schon tot.» Wir befinden uns vor dem Palast des Königs Admetos. Apollon verlässt das Haus, denn der Tod tritt dort gerade ein: Alkestis, Admetos’ Frau, liegt im Sterben. Apollon, selbst ein Gott, musste dem sterblichen Admetos zu Dienste sein, damit bestrafte ihn Zeus für die Ermordung der Zyklopen. Und einer der Dienste, die Apollon Admetos erwies, stellt sich als folgenschwer heraus. Admetos müsste sterben, da er Artemis ein Opfer versagte. Apollon aber erwirkte von den Schicksalsgöttinnen den Gefallen, dass Admetos am Leben bleiben darf, findet er jemanden, der an seiner Stelle in den Hades geht. Nachdem Admetos vergeblich seine Eltern und seine Freunde bat, für ihn dieses Los anzunehmen, erklärte sich einzig seine Frau Alkestis bereit, an seiner Stelle in den Tod zu gehen. Welchen Handel Admetos wirklich einging, welcher Schmerz und welch ein leeres Leben nun vor ihm liegen, realisiert er erst, als es schon zu spät ist, und seine geliebte Frau bereits zu Grabe getragen wird. Da taucht ein zufälliger Gast auf: Herakles. Altgriechische Sitte ist es, dass ein Trauernder keinen Gast aufnehmen müsste, trotzdem gewährt Admetos Herakles Gastfreundschaft, und er lässt ihn sogar im Dunkeln darüber, dass seine Frau starb. Als Herakles doch von Alkestis’ Tod erfährt, beschliesst er sie für seinen Gastfreund aus der Unterwelt zurückzuholen. Dies gelingt dem Halbgott im Zweikampf mit dem Tod, er bringt Alkestis zurück unter die Lebenden, – allerdings verschleiert und stumm. «Wenn es die Eigenschaft grosser Kunst ist, den Menschen zu helfen, sich mit dem Leben und dem Tod zu versöhnen, dann ist «Alkestis» eines der grössten Kunstwerke, das wir besitzen,» schreibt Autor und Theaterwissen­ schaftler Mark Ringer. Im ersten erhaltenen Euripidesdrama geht es um die Frage, ob glücklicher ist, wer über Leben und Tod verfügen kann oder ob nicht vielmehr das Leben, wie es uns gegeben ist, auch das beste für uns mögliche Leben ist. Neben den grossen Fragen um Leben und Tod stehen vor allem urmenschliche Wesenszüge im Zentrum. Grosse Gesten der Aufopferung und Hingabe stehen neben kleinlichen Gesten von Feigheit, Opportunismus und Selbstsucht.

Angeliki Papoulia und Christos Passalis Angeliki Papoulia und Christos Passalis arbeiten sowohl im Theater als auch im Film – als Regisseure und Schauspieler. Neben ihrer Karriere als Filmschauspieler waren die beiden gebürtigen Griechen zusammen in Theaterproduktionen in Athen als freie Darsteller engagiert, bevor sie 2004 zusammen mit Yorgos Valais ihr eigenes Theaterkol­ lektiv «Blitz» gründeten, das bis 2018 bestand. Unter diesem Label entstanden dreizehn Arbeiten, die sie von der Konzeption, über die Recherchen bis zur Ausarbeitung gleichberechtigt entwickelten, und in denen sie häufig gleichzei­ tig alle als Darsteller auf der Bühne standen und Regie führten. Die sehr unterschiedlichen Stücke haben eines gemeinsam: einen poetischen, surrealen Stil, unterlaufen von einem trockenen Humor. Ihre Ästhetik ist geprägt von der Liebe zum Film und Regisseuren wie Ingmar Bergman, David Lynch, Rainer Werner Fassbinder und John Cassavetes. Mit den Stücken von «Blitz» touren sie international an Theatern und Festivals. Ihre viel beachtete Arbeit «Late Night» von 2012 zeichnet ein melancholisches, allegorisches Bild der unsicheren Situation in ihrer Heimat –  und Europa. Die Bühne erinnert an einen alten Ballsaal, in dem Paare, auch nachdem scheinbar das Fest längst vorüber ist, immer weiter Walzer tanzen. Sie tanzen und vollführen Kunststücke, während in ihren Köpfen Erinnerungen von Krieg und verflossenen Lieben durcheinander wirbeln. «Alkestis!» ist ihre erste gemeinsame Arbeit als Regie-Duo und mit einem bereits bestehenden Stück. Angeliki Papoulia ist ausserdem bekannt für ihre Rollen in Yorgos Lanthimos’ Filmen: «Dogtooth», der in Cannes 2009 den Preis «Un Certain Regard» gewann, «Alpen», ausgezeichnet 2011 mit dem «Osella» für bestes Drehbuch am Filmfestival Venedig und «The Lobster», Lanthimos’ erster HollywoodProduktion, der 2015 den Jury-Preis in Cannes gewann. Christos Passalis spielte ebenfalls in «Dogtooth», wofür er 2010 den Preis als bester Nebendarsteller der «Hellenic Academy Film Awards» erhielt. Und beide sind im neuen Film von Syllas Tzoumerkas «The Miracle of the Sargasso Sea» zu sehen, der auf der diesjährigen Berlinale Premiere feierte. Christos Passalis ist gerade in der Planung seines ersten eigenen Films.


Poetin und Philologin Anne Carson zu «Alkestis» Aus dem Englischen von Irina Müller und Raoul Huber 1

«In der Opferung identifiziert sich der Op­ fernde mit dem zu Tode verletzten Tier. Er stirbt, indem er im Tier sich selbst sterben sieht, in gewisser Weise sogar durch seinen eigenen Willen und im Einverständnis mit dem Opfermesser. Aber das ist eine Komödie!» 2 Mit seinem zentralen, düster wir­ kenden Haus, wo sich die Grenzen zwischen Leben und Tod so sehr vermischen, dass sich die Architektur zweiteilt, erinnert «Alkestis» an Alfred Hitchcock. In Hitchcocks «Im Schatten des Zweifels» steht ein solches Haus, und ein Haushalt mit Menschen, blind gegenüber der Realität der anderen und ihren eigenen Bedürfnissen, im Zentrum. Mitten unter ihnen befindet sich ein Mörder. Genau wie bei Hitchcock wissen wir auch bei Euripides von Anfang an,

wer der Mörder ist; Spannung wird nur durch die langsame Ausführung des Verbrechens aufgebaut. Gemein­ sam ist ausserdem, dass in beiden Werken das Verbrechen vereitelt wird. Auf dieses Geschehen folgt eine Auflösung, die uns trotz ihrer Einfach­ heit seltsam verwirrt zurücklässt. Als Euripides 438 v. Chr. «Alkestis» uraufführte, erreichte er lediglich den zweiten Platz; Hitchcocks Film wurde 1943 von Kritikern als ‹asozial› und ‹obskur› bezeichnet. Beide Werke thematisieren das psychologisch

er sagen wollte, dass hinter jedem Tod ein Leben stünde, darauf wartend, befreit zu werden – wenn nur jemand den notwendigen Mut dazu auf­ bringen würde. Als ob er damit sagen wollte, dass wenn man nur einen tieferen Einblick in ein Haus, eine Ehe oder eine Vorstellung wie «Ananke» erlangte, die andere Seite deutlich sichtbar werden würde. Der Tod, genauso wie die Tragödie, ist ein Spiel mit festen Regeln. Warum also nicht einfach die Regeln brechen? Zu den Regeln, die Euripides in «Alkestis» bricht, gehört unter anderem die Regel der Abgeschlos­ senheit. Wie sollen wir das Ende interpretieren? Wie können wir uns sicher sein, dass die verschleierte Frau am Leben ist? Dass es sich dabei um Alkestis handelt? Dass sie mit Mann und Kindern glücklich weiter­ lebt, bis ans Ende ihrer Tage? Kriti­ ker haben all dies angezweifelt. In der finalen Szene des Stücks wird eine Art Hochzeitsdrama aufgeführt, welches an seinem Höhepunkt seltsa­ merweise zum Stillstand kommt –  möglicherweise eine Parodie einer altgriechischen Hochzeit, bei der die Braut vor den Augen des Bräuti­ gams entschleiert wurde, und die beiden einige Worte austauschten. Zwar wird der Schleier der Braut in Zeile 971 / 1121 abgenommen (es scheint zumindest so; Kritiker zweifeln dies ebenfalls an), aber aufgrund ihrer Verschmutzung durch den Tod, ist es ihr untersagt, vor dem

dritten Tag zu sprechen. Eine unheim­ liche Stille begleitet sie in das grosse, dunkle Haus ihres eigentümlichen Ehemannes. Mir wurde bewusst, dass ich lieber zu wenig als zu viel über «Alkestis» sagen möchte. Nicht, weil dieses Stück wenig hergibt, sondern weil es ge­ prägt durch Schnelligkeit und Glanz ist, die sich durch die Exegese in Luft auflösen – genau wie einige Handlungen von Hitchcock. Oder wie das Schaudern vor einem möglichen Lachen, schrecklich, wenn es ausbräche.

Anne Carson, «Grief Lessons: Four Plays by Euripides, Translated by Anne Carson», New York Review of Books New York, 2006 2 Georges Bataille, «Hegel, der Mensch und die Geschichte», Matthes und Seitz Berlin, 2018 3 Die erste Zeilenzahl bezieht sich auf die englische Übersetzung, die zweite auf die griechische Originalversion 1

Sonderbare in gewöhnlichen Men­ schen und des alltäglichen Daseins mithilfe einer Gegenüberstellung von komischen und tragischen Elementen, als ob sie zum selben Genre gehören würden. In der Tat weiss niemand wirklich, welchem Genre «Alkestis» zuzuordnen ist. Es wurde 438 v. Chr. nach drei Tragödien, als viertes Stück aufgeführt und galt damit als Satyr­ spiel. Es ist jedoch kein solches (es gibt keine Satyrn). Das Stück ist weder Tragödie noch Komödie. Die Defini­ tionen verschwimmen genauso wie die Grenze zwischen Leben und Tod. Die Figuren, und die Zuschauer gleichermassen, fragen sich während den ersten 390 Zeilen des Stücks: «Ist sie schon tot?», und obwohl wir sie auf der Bühne sterben sehen und dabei zuschauen, wie sie zu Grabe getragen wird, erscheint sie in Zeile 846 / 1006 3 scheinbar gesund wieder. Admetos wiederum macht ausgiebig Gebrauch von Klage-Klischees wie «Wäre ich doch nur auch tot!», «Ich beneide die Toten!» oder sogar «Nimm mich mit dir!», als sich seine Frau (Alkestis) in die Unterwelt begibt. Da er selbst dafür verant­ wortlich ist, dass Alkestis an seiner Stelle stirbt, erscheinen uns diese Gefühle bizarr. Gleichermassen bizarr ist auch die Unterhaltung zwischen Admetos und Herakles (Zeilen 438 –  479 / 509 – 550 ). Admetos versucht mit einer Reihe von Lügen, Halbwahr­ heiten und schrecklichen Wortspielen Alkestis’ Tod vor Herakles zu verbergen.

Herakles selbst ist ein wandelndes Mysterium. In der Mythologie wird er zugleich sterblich und unsterblich, als Sohn sowohl des Zeus als auch des Amphitryon, beschrieben. In der Literatur ist er Teil von Komödien und Tragödien gleichermassen und hat daher zwei Gesichter. Einerseits ist er der übergrosse, dümmliche, betrun­ kene Raufbold, andererseits der immer leidende Retter der Menschheit. In «Alkestis» spielt er beide Rollen und belegt somit eine entscheidende Funktion: Er teilt den Bühnenraum in zwei sich widersprechende Bereiche und verstärkt so den Ton des Stücks in zwei Extreme – der Freude und der Trauer. Herakles zuliebe trennt Admetos in den Zeilen 478 – 479 /  548 – 549 mit einer Schiebetür sein Haus in zwei Teile, damit Alkestis’ Bestattung von Herakles’ Trinkgelage getrennt bleibt. Durch diese Trennung bricht das Stück auseinander und der Tod bricht auf. Heraus tritt das Leben. Was bedeutet Alkestis’ Auferste­ hung für den Opfervertrag, den Admetos mit dem Tod abgeschlossen hatte? Diese Frage wird im Stück nie aufgegriffen. Rechnerisch betrach­ tet fehlt dem Tod nun eine Seele und der gesunde Menschenverstand (die alten Griechen nannten ihn «Ananke», oder «Notwendigkeit») sagt uns, dass eine solche Situation nicht von Dauer sein kann. Aber Herakles scheint in der Lage zu sein, eben diese «Ananke» ausser Kraft zu setzen und befreit Alkestis. Als ob


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