Biedermann L und die Brandstifter
Luzerner Wohnungen ← T «BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER»
von Max Frisch Premiere: 17. November 2018 Dauer: ca. 2 Stunden mit Pause Aufführungsrechte: Suhrkamp Verlag Berlin
MIT Sofia Elena Borsani Jakob Leo Stark Yves Wüthrich INSZENIERUNG Franz von Strolchen DRAMATURGIE Irina Müller AUSSTATTUNG Franz von Strolchen REGIEASSISTENZ UND ABENDSPIEL LEITUNG Julia Herrgesell KOSTÜMASSISTENZ Medea Karnowski
IMPRESSUM
Herausgeber: Luzerner Theater Theaterstrasse 2 6003 Luzern www.luzernertheater.ch Spielzeit 18/19 Intendant: Benedikt von Peter Verwaltungsdirektor: Adrian Balmer Künstlerische Leitung Schauspiel: Sandra Küpper Redaktion: Irina Müller Gestaltung: Studio Feixen Druck: Engelberger Druck AG Diese Drucksache ist nachhaltig und klima neutral produziert nach den Richtlinien von FSC und ClimatePartner.
«Nichts ist geschehen der schlafenden Stadt, heute noch nichts … » Gottlieb Biedermann nimmt den arbeitslosen Ringer Schmitz von der Strasse bei sich auf, obwohl er ihn sofort verdächtigt, ein stadtweit gesuchter Brand stifter zu sein. Sich selbst beschwichtigend, dass einer, der sogar noch offen darüber spreche, ein Brandstifter zu sein, keiner sein könne, gibt ihm Biedermann Essen und Obdach. Seine Frau Babette, die sich offen ängstigt und Schmitz wieder auf die Strasse setzen will, wird von ihm mit mitleidserregenden Geschichten aus seiner Kindheit besänftigt. Die Biedermanns tun im Folgenden alles, um sich nicht zu fürchten und nichts, um den Brandstifter anzuzeigen. Im Gegenteil, Frisch treibt das Spiel mit dem Offensichtlichen in seiner Parabel bis zum Höhepunkt: Eisenring, arbeitsloser Kellner und Schmitz’ Freund, kommt dazu und die beiden hantieren vor den Augen der Biedermanns mit Fässern und Zündschnüren. Schliesslich versucht Biedermann, sich mit einem grosszügigen Mahl mit den beiden Brandstiftern zu verbrüdern, aber das Unausweichliche wird dadurch nur hinausgezögert. Im Uraufführungsjahr von «Biedermann und die Brandstifter», 1958, nannte Frisch als Motiv seines Schreibens: «Man gibt Zeichen von sich … Man hebt das Schweigen, das öffentliche, auf (oft, wie gesagt über alle Scham hinaus) im Bedürfnis nach Kommunikation. Man gibt sich preis, um einen Anfang zu machen.» Das Theater macht mit Frisch sozusagen den ersten Schritt, in Bereit schaft zur Kommunikation. Das Theater bezieht sich schon rein äusserlich immer auf eine Gesellschaft; diese, erklärte Frisch, brauche keine bejahte zu sein, aber eine, die sich stelle. In «Biedermann und die Brandstifter» wird diese Gesellschaft vom Chor direkt angesprochen als «Bürger der Stadt». Franz von Strolchen nimmt für seine Inszenierung am Luzerner Theater in diesem Sinne Frisch beim Wort und tritt auf die Bürger zu, die sich, über einen Aufruf des Theaters, buchstäblich gestellt haben, indem sie das Theater in ihre Wohnungen einladen.
Wer sind die Brandstifter? von Max Frisch Wenn Sie mich fragen, ich finde diesen Gottlieb Biedermann keinen Bösewicht, wenn auch als Zeitgenossen gefährlich. Um ein gutes Gewissen zu haben – und das braucht er, um Ruhe zu bewahren – , belügt er sich halt. Ohne es zu merken. Seine Gattin merkt es, sein Dienstmädchen merkt es, und der Chor tut, was sich für einen antiken Chor gehört: Er wacht und warnt. «Bürger – wohin?» Gottlieb (Biedermann) möchte als guter Mensch erscheinen, er glaubt sogar, dass er das sei: indem er sich selber nicht auf die Schliche kommt. Warum lässt er diesen Schmitz an den Tisch? Um sich als gütiger Mensch vorzukommen am Feierabend ( … ). Die Falle, die er sich selbst stellt, ist seine Phraseologie. Man muss ihn nur beim Wort nehmen – und die Komödie ist da. Gottlieb Biedermann ist ein Bourgeois, das ist offenbar. Aber zu welcher Partei gehören die beiden Brandstifter? – kein Satz, den sie sagen, weist darauf hin, dass sie die Gesellschaft verändern wollen. Keine Revolutionäre also, keine Weltverbesserer. Wenn sie Brand stiften, so aus purer Lust. Es gibt Pyroma nen. Ihre Tätigkeit ist apolitisch … Ich meine: die beiden gehören zur Familie der Dämonen. Sie sind geboren aus Gottlieb Biedermann selbst: aus seiner Angst, die sich ergibt aus seiner Unwahrhaftigkeit. Natürlich gilt das nicht nur für den Bourgeois: aus der permanenten Diskrepanz zwischen Phraseologie (welcher auch immer) und Realität wächst das Unheil langsam aber sicher. Warum unaufhaltsam? Da ist immer ein kleiner Spalt, wo die Dämonen, wenn Gottlieb redet, ihren Fuss hineinstellen können, grinsend: Der geht lieber zugrunde, als dass er seine kleinen feigen Falschheiten auch nur sich selber zugibt. Schlimm ist allerdings, dass auch die Nachbarn von Gottlieb Biedermann voraussichtlich zugrunde gehen: da hört die Komödie auf.
π Aus: «jetzt: max frisch» Suhrkamp Taschenbuch Verlag, 2001
Wir alle sind Biedermann kommunistische Machtübernahme in der Tschechoslowakai und auch als Parabel auf die moralische Zerrüttung IM — Durch die Setzung, das Stück in des untergehenden industriellen Bürgertums interpretiert. Wie liest Du Wohnungen zu spielen, ergibt sich eine Art neuer Realismus. Was interes- die Haltungen der Brandstifter und siert Dich besonders daran und am Biedermanns im heutigen politischen Spiel in den Wohnungen insgesamt? Kontext? Dramaturgin Irina Müller im Gespräch mit Regisseur Franz von Strolchen
FvS — Eine private Wohnung ist das am besten ausgestattete Bühnenbild, das man sich vorstellen kann. Für den Zuschauer erzählt jeder Gegenstand, jedes Möbelstück sofort eine Geschich te. Mich interessiert vor allem die Empathie des Zuschauers in Bezug auf die Gastgeber: Jeder wohnt, jeder kann nachvollziehen, wie es sich anfühlt, zu Hause von Fremden heim gesucht zu werden. Das ist ein sehr privates Gefühl, das der Zuschauer in den unterschiedlichen Wohnungen vermittelt bekommt – und auch für die Schauspieler ist dies jedes Mal eine komplett neue Herausforderung. Das – und das gemeinsame Erlebnis, das Zuschauer, Schauspieler und Gastgeber teilen, ist, was mich inter essiert. IM — Das Stück entstand im Kontext
nach dem 2. Weltkrieg, Gottlieb Biedermanns Haltung wurde als Darstellung des Mitläufertums, aber auch als Reaktion Frischs auf die grössere Finanzkrise, ein damit einhergehender Bürgerkrieg oder eine Umweltkatastrophe, hervorgerufen durch den Klimawandel, ist nicht unvorstellbar und hat nichts mit Endzeitszenario zu tun, sondern einzig und allein mit Logik. Die Frage ist nur, wann das Morgen kommt. In «Biedermann und die Brandstif ter» geht es aber um ein Thema, das heute und morgen dasselbe sein wird: Wie können wir im Umgang mitein ander unsere Unsicherheit ablegen und weniger verloren sein, wenn es darum geht, miteinander zu kommunizieren. IM — Als Regisseur arbeitest Du oft
mit dokumentarischem und fiktionalem Material. Inwiefern fliesst das Spontane und damit «Reale» und das Fiktionale in dieser Inszenierung ineinander? Oder anders gefragt: Welche Rolle spielt der Begriff des Authentischen in deiner Arbeit ?
FvS — Eigentlich benutzte ich das Authentische nur als poetisches Mittel. Oder anders gesagt, als Behaup tung. Ich bin mir bewusst, dass es das Authentische oder Reale auf einer Theaterbühne / in einer Performance nicht geben kann / darf. Trotzdem beschäftige ich mich sehr gerne mit der Realität, nehme sie sehr oft als Ausgangspunkt; ich spreche viel mit Menschen, die ich auf Recherchereisen treffe und ein Autor verarbeitet diese Interviews dann zu Literatur. Aber im Endeffekt interessiert mich die Abstraktion, also die Kunst, die dabei
FvS — Heute kann man eigentlich nichts mehr machen, was nicht irgendwie politisch interpretierbar ist. Wir sehen die Welt mittlerweile nur noch durch unsere «politische Brille». Insofern ist es nicht kompliziert, dieses Stück auf heutige Zustände umzu legen. Jeder, der dieses Stück liest, wird sofort Parallelen zu allen möglichen politischen Trends sehen – Rechtsruck in Europa, die Angst vor dem Frem den, usw. Was mich aber bei der Interpretati on dieses Stückes besonders interes siert, ist etwas sehr Spezifisches, von dem ich denke, dass es nicht oft genug thematisiert wird: Nämlich die «Ungelassenheit des Einzelnen, die von einer neuen politischen Korrekt heit ausgeht». Und im Endeffekt ist es egal, auf welcher Seite des politi schen Spektrums sich jemand befindet. Alle glauben sowieso zu wissen, was moralisch, politisch und sprachlich richtig ist. Jeder glaubt, die richtigen Debatten verfolgt, die richtigen entsteht, mehr als die Realität – wenn sie auch ganz klar von dieser Realität beeinflusst ist und man die O-Töne immer noch im Kern spürt. Wenn man mich bei Publikumsgesprächen fragt, wieviel Prozent einer Geschichte «echt» sind und wieviel Prozent erfunden, dann sage ich immer, dass alles erfunden ist und im Moment der Aufführung natürlich alles echt. Auch bei «Biedermann und die Brandstifter» ist es so: Im Endeffekt sieht vielleicht viel mehr spontan und aus dem Moment heraus entwachsen aus, als es in Wirklichkeit ist – und genau darum geht es bei mir immer, um dieses ständige Nicht-Wissen, um dieses Verlorensein – das Einzige, was wir, meiner Meinung nach, wirklich miteinander teilen können.
Bücher gelesen und die politische Korrektheit sowieso mit Löffeln gefressen zu haben: richtiges Gendern, die Vermeidung sprachlicher Alltagsras sismen oder das Wissen darüber, was man aus Gründen der ökologischen Nachhaltigkeit eigentlich noch essen darf und was nicht. Und nicht, dass man mich falsch versteht: Ich finde ein Bewusstsein zu all diesen Dingen zu entwickeln enorm wichtig, und man sollte auf keinen Fall durch die Welt laufen und Men schen beleidigen oder unbewusst leben. ABER hin und wieder müssen wir von unserem hohen westlichen Wohlstands-Ross heruntersteigen und uns entspannen, anderen wieder auf Augenhöhe begegnen, ohne dieses politisch-korrekte Päckchen auf dem Rücken, das wir uns selbst geschnürt haben – und vielleicht nicht darüber nachdenken, was nun richtig und falsch ist, sondern einfach mal den menschlichen Hausverstand ein schalten. Zurück zu «Biedermann und die Brandstifter»: Für mich geht es nicht darum, dass Biedermann und seine Frau die Spiessbürger wider spiegeln oder das Kapital darstellen, sondern darum, dass wir zwei Ver lorenen dabei zusehen, wie sie reagie ren, wenn Fremde vor ihrer Tür stehen und Unterkunft suchen – natürlich wissen sie, dass man gegen andere
Menschen grundsätzlich keine Vorur teile haben sollte, aber gleichzeitig ist da in ihnen dieses urmenschlichste aller Gefühle: Angst. Dementsprechend sind wir alle Biedermann, wir alle sind Verlorene, wenn es darum geht, das zu tun, was uns ein undurchsichtig gewordener Verhaltenskodex vorschreibt. IM — Gibt es heute überhaupt noch die
klar zu definierenden Pole Bieder mann und Brandstifter – anders gesagt: die Aufwiegler, und diejenigen, die alles abtun, um den «Haus»frieden zu bewahren, – oder sind die Haltungen nicht viel komplexer und ineinander verwobener geworden ? FvS — Ich glaube, die Fronten sind momentan noch klar verteilt. Also in dem Sinne, dass die, die eine eigene Wohnung / ein Haus haben, alles dafür tun, dieses zu verteidigen. Die, die nichts zu verlieren haben, werden über kurz oder lang gegen die anderen aufbegehren. Solange es Konsumgüter gibt, wie ein iPhone, das 1000 CHF kostet, das aber alle haben wollen, sich aber nur einige leisten können und viele nicht, wird es diese beiden Pole geben. Was ich aber glaube, ist, dass sich diese Verteilung jederzeit ändern kann, von heute auf morgen. Ein Tabula-Rasa-Moment wie eine neue,
« Alles, was Sie jetzt noch brauchen, ist Vertrauen und diese Streichholzschachtel hier.»
π Aus: «Biedermann und die Brandstifter» von Max Frisch, in einer Fassung von Franz von Strolchen