Programmblock «Die Unscheinbaren»

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Die L Unschein -baren

Im Endeffekt werden wir alle von denselben Bildern sozialisiert Dramaturg Gábor Thury im Gespräch mit dem Regisseur Franz von Strolchen Gábor Thury — Du inszenierst eine

GT — Im Stück ist das Vertrauen ein Gangsterperformance in der Box. zentrales und immer wiederkehrendes Luzern und Kriminalität – würde einem Thema, genau wie bei deiner ersten nicht als erste Assoziation einfallen. Inszenierung am LT, «Biedermann und die Brandstifter». Empfindest du Franz von Strolchen — Es geht in «Die es so, dass es gerade in unserer GesellUnscheinbaren» um Gangster-Steschaft einen Mangel an Vertrauen reotype und weniger um «echte» Kri- gibt? – Oder gibt es im Gegenteil gefährlich viel Vertrauen? minelle. Natürlich gibt es die auch

in Luzern, wie überall sonst auch, aber mich interessiert viel mehr, wie wir unsere Blicke und unsere Vorurteile im täglichen Zusammenleben lenken, und welche Bilder uns beeinflussen, die dazu führen, jemanden als nichtvertrauenswürdig abzustempeln. GT — Bei «Die Unscheinbaren» be-

finden sich die Zuschauer in einem Workshop, in dem vier Kleinkriminelle – die Schauspieler – ihnen beibringen, wie sie einen White-Van-SpeakerScam durchführen. Was hat dich am weissen Lieferwagen interessiert?

Box  ← DIE UNSCHEINBAREN

Gangsterperformance von Franz von Strolchen Premiere: 17. April 2019 Dauer: ca. 1 Stunde 30 Minuten IN KOOPERATION MIT DEM MAZEDONISCHEN NATIONALTHEATER SKOPJE GEFÖRDERT DURCH PRO HELVETIA –  SCHWEIZER KULTURSTIFTUNG UND DIE LANDIS & GYR STIFTUNG DANKE UNSEREM HAUPTSPONSOR BUCHERER AG

MIT Christian Baus Ivica Dimitrijevic Wiebke Kayser Natasa Stork Amadeus Fries (Live-Musik) SOWIE David Clormann, Ronnie Hermann, Julia Herrgesell, Stanley Hügi, Gábor Thury INSZENIERUNG, VIDEODESIGN &  KOSTÜME Franz von Strolchen TEXT Christian Winkler BÜHNE Jens Burde FOTO-RECHERCHE Mischa Christen DRAMATURGIE Gábor Thury REGIEASSISTENZ UND ABENDSPIELLEITUNG Julia Herrgesell FAHRER WEISSER LIEFERWAGEN Marisa Sigrist und Elias Müller FAHRER ROLLS-ROYCE David Clormann LICHT Ronnie Hermann, David Clormann TON Stanley Hügi

T KOSTÜMHOSPITANZ Rebecca Ehl LEITER PROBENBÜHNEN Thomas Künzel

Die Ausstattung wurde in den Ateliers und Werkstätten des Luzerner Theater und im Institut für Sagenhaftes angefertigt.

IMPRESSUM

Herausgeber: Luzerner Theater Theaterstrasse 2, 6003 Luzern www.luzernertheater.ch Spielzeit 18/19 Intendant: Benedikt von Peter Verwaltungsdirektor: Adrian Balmer Künstlerische Leitung Schauspiel: Sandra Küpper Redaktion: Gábor Thury Foto: Mischa Christen Gestaltung: Studio Feixen Druck: Engelberger Druck AG Diese Drucksache ist nachhaltig und klimaneutral produziert nach den Richtlinien von FSC und ClimatePartner

erscheinen (den man dann auch im Theater kaufen kann).

FvS — Ich habe mich schon immer gefragt, warum ich eine Person in einem weissen Lieferwagen als verdächtig einschätze. Woher kommt dieser dumme Reflex? Ich wollte wegen meiner eigenen Unzulänglichkeit schon seit längerer Zeit eine Recherche zu diesem Thema machen. Und dann habe ich herausgefunden, dass es auch anderen so geht wie mir, wenn sie einen weissen Lieferwagen sehen. In England gibt es sogar einen eigenen Begriff dafür: Den «White-Van-Man» – ein stereotyper Begriff für einen aggressiven Fahrer mit dubiosen Geschäften, immer in einem weissen Lieferwagen. Im Endeffekt werden wir alle von denselben Bildern sozialisiert. Und mir geht es darum, diese Sozialisierung in Bezug auf das Äussere, also das Aussehen, in Frage zu stellen. GT — Der Fotograf Mischa Christen

hat für dieses Theaterprojekt weisse Lieferwagen in Luzern fotografiert. Inwiefern hat seine Recherche deine Arbeit beeinflusst? FvS — Ich habe mich mit Mischa im Sommer 2018 getroffen und er fand mein Interesse für dieses doch sehr «unscheinbare» Thema des weissen Lieferwagens sofort spannend. Seither hat er unzählige Fotos von weissen Lieferwagen in Luzern und Umgebung gemacht und auch Interviews mit Fahrern geführt. Seine Notizen habe ich teilweise in die vier Figuren einfliessen lassen. Es ging mir nicht darum, die Fahrer als «Kriminelle» darzustellen, sondern als Menschen mit sehr persönlichen Geschichten – ich habe dann diese Geschichten fiktionalisiert und vier Figuren mit unterschiedlicher Herkunft erschaffen. Alle Fotos werden übrigens in einem Fotoband mit dem Titel «Die Unscheinbaren»

FvS — Das ist interessant, dass du meinst, es gäbe einerseits einen Mangel an Vertrauen und andererseits gefährlich viel davon. Das Gefühl habe ich auch: Einerseits glauben wir Politikern wie auch Nachrichtenagenturen, die uns ganz offensichtlich belügen, und andererseits haben wir Angst bei unserem Nachbarn zu klingeln, wenn es darum geht, die Blumen für ein paar Tage zu giessen – er könnte ja die ganze Wohnung ausräumen oder jemanden reinlassen, der das dann tut. In «Biedermann und die Brandstifter» geht es darum, wie Biedermann mit seiner persönlichen (politischen) Einstellung in Bezug auf die Vertrauenswürdigkeit anderer umgeht; in «Die Unscheinbaren» geht es darum, wie wir uns selbst soweit «optimieren» können, um vertrauenswürdig zu erscheinen – in diesem Fall ganz im Dienste einer kriminellen Aktion. Es geht darum, spielerisch zu analysieren, was es braucht, um einem anderen Menschen zu vertrauen – wie schwierig das ist und gleichzeitig wie einfach. GT — Du arbeitest regelmässig inter-

national und mit internationalen Künstlern, diesmal sind Natasa Stork aus Ungarn und Ivica Dimitrijevic aus Mazedonien mit auf der Bühne. Warum ist dir wichtig in solchen Konstellationen zu arbeiten? FvS — Ich finde es wichtig, unterschiedliche Kulturen, Sprachen und Spielweisen im Theater abzubilden. Schliesslich sind wir im täglichen Zusammenleben ständig umgeben von unterschiedlichen Einflüssen, ob wir wollen oder nicht. Ich finde auch, dass die Zusammenarbeit mit Schauspielern aus unterschiedlichen Systemen (politischen Systemen und Theatersystemen) extrem bereichernd ist – oft verbringen wir grosse Teile der Proben damit, zu diskutieren, wie ein und dieselbe Sache in Ungarn, Mazedonien, Deutschland oder in der Schweiz aussehen würde. Und so weit sind wir, trotz Globalisierung, dann doch noch nicht gekommen, dass alle Kulturen dieselben Dinge auf dieselbe Art und Weise wahrnehmen. In «Die Unscheinbaren» versuchen wir gerade diese Klischees über Osteuropa oder den Balkan zu thematisieren – natürlich immer mit einem Augenzwinkern, mit dieser trockenen Art über sich selbst lachen zu können.



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