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Der Mythos um Orpheus und Eurydike gilt als Geschichte grenzenloser Liebe. Autorin Elfriede Jelinek deutet die Geschichte neu und erzählt sie aus der Sicht Eurydikes. Wir erleben ihr Ringen mit dem Tod und ihre Wandlung vom Menschenkörper zum Schattenbewusstsein. In eine unbekannte Welt geworfen, stellt ihr plötzlich die Frage, was die Einzelne definiert, wenn alte Zwänge nicht mehr gelten und wenn man Deutungshoheit im eigenen
Denken gewinnt. Ein Zustand, der sich gut anfühlt, wäre da nicht Orpheus, der seine Frau zurückhaben will. Die Zürcher Regisseurin Sophia Bodamer inszeniert die Textfläche von Elfriede Jelinek als Kampf zwischen altem und neuem Leben Eurydikes. Im Jahr 2017 wurde sie mit der Uraufführung «Das Schweigen der Schweiz» zum Schweizer Theatertreffen eingeladen.
SCHATTEN (EURYDIKE SAGT)
INSZENIERUNG Sophia Bodamer
von Elfriede Jelinek Theater trifft Comic
BÜHNE UND KOSTÜME Prisca Baumann
MIT Lukas Darnstädt David Jegerlehner Verena Lercher Lika Nüssli
Schweizer Erstaufführung
MUSIK David Jegerlehner
Premiere: 19. April 2018 Aufführungsrechte bei Rowohlt Theaterverlag, Reinbek bei Hamburg KOPRODUKTION MIT DEM FUMETTO COMIC FESTIVAL LUZERN
ZEICHNUNGEN Lika Nüssli DRAMATURGIE Hannes Oppermann LICHT, TON, TECHNISCHE EINRICHTUNG David Clormann, Stanley Hügi REGIEASSISTENZ UND ABENDSPIELLEITUNG Lucia Wunsch PRODUKTIONSHOSPITANZ Irina Biadici Die Ausstattung wurde in den Ateliers und Werkstätten des Luzerner Theaters angefertigt.
IMPRESSUM Herausgeber: Luzerner Theater Theaterstrasse 2, 6003 Luzern luzernertheater.ch Spielzeit 17 / 18 Intendant: Benedikt von Peter Verwaltungsdirektor: Adrian Balmer Leitende Dramaturgin Schauspiel ad interim: Julia Reichert Redaktion: Hannes Oppermann Gestaltung: Studio Feixen Druck: Engelberger Druck AG Diese Drucksache ist nachhaltig und klimaneutral produziert nach den Richtlinien von FSC und Climate-Partner.
Bilder, die ins Fliessen kommen Sophia Bodamer und Lika Nüssli im Gespräch mit Hannes Oppermann Hannes Oppermann —
Der Mythos von Orpheus und Eurydike war seit seiner Entstehung für viele Kunstschaffende Inspiration. Auch Elfriede Jelinek hat ihn in ihrem Stück verarbeitet. Was ist für euch das Besondere daran?
Sophia Bodamer — Jelinek schafft eine neue Perspektive auf eine alte Geschichte, fokussiert auf die Figur der Eurydike, die im Mythos nur eine Nebenrolle spielt. Ausserdem beackert sie in ihren Texten weite Assoziations- und Wortfelder, wie das Nichts, die Angst und das Ich, wodurch Sprache in ihrer Wirkung sichtbar wird. Ihre Textflächen zeigen, wie zerrissen der Geist ist, wie widersprüchlich und wo er sich im Kreis dreht. Das kennt jeder, wenn die Gedanken Schlaufen drehen oder wenn über zufällige Doppelbedeutungen von Worten Wortspiele entstehen. Wenn man ihre Texte laut spricht, dann wirken sie direkt auf den Körper, manchmal bieten sie dem Sprechenden Widerstand, manchmal kommt man mit ihnen ins Fliegen. Lika Nüssli — Für mich war das Auffälligste, dass Jelinek im Schreiben ähnlich arbeitet wie ich beim Zeichnen, ganz assoziativ und sprunghaft. Der Kosmos ihrer Stücke lässt Spiel für Interpretationen.
HO — Lika, du zeichnest
live auf der Bühne. Bereitest du deine Motive vor oder assoziierst du völlig frei und spontan?
LN — Das ist unterschiedlich. Das Stück ist so dicht und ich möchte nicht einfach bebildern, was Jelinek geschrieben hat, sondern auf der zeichnerischen Ebene den Text «weiterschreiben». Natürlich filtere ich, was die zentralen Motive sind und nehme sie als Orientierung. Aber es hat keinen Sinn, den Text nur über den Kopf wahrzunehmen. Besser ist es, die eigene Intuition zu nutzen, so kriegen die Zeichnungen ein eigenes Leben.
HO — Wie kann ich mir
das konkret vorstellen?
SB — Jelinek schreibt ihre Stücke nicht dialogisch, sondern als Fliesstext. Es gibt keine klassischen Figuren, sondern die Regie muss eine Textauswahl treffen und den Text auf die Spielenden verteilen. Dadurch erfinden Regie und Spielende den Erzählfluss zusammen. Uns hat das dann dazu inspiriert, die Bilder auch fliessen zu lassen. LN — Meine Bilder bleiben nicht fix stehen, sondern sie verändern sich laufend, sodass jedes Bild mehrere Schichtungen bekommt. Wenn ich den ersten Strich setze, weiss ich noch nicht, wo ich lande. Manchmal führt der Pinsel den Strich, nicht ich.
HO — Das Wort
«mythos» bedeutete ursprünglich einfach «Rede». Erst später wurde es zum Gegenbegriff von «logos», dem «Wort der Wahrheit», und man verband es mit «Fiktion» oder gar «Lüge». Mythen gaben den Menschen früher Antworten auf die Rätsel des Lebens, waren Gründungsgeschichten für Staaten oder formten eine soziale Hierarchie. Findet ihr denn Mythen noch relevant in unserer Gegenwart?
LN — Mythen sind archaische Geschichten über das menschliche Miteinander und das macht sie zeitlos. SB — Im Theater sind viele mythische Stoffe auf der Bühne zu sehen, weil sie Grundmotive des Menschseins schildern. Das Stück von Jelinek befragt den Mythos: Was erzählt uns die Geschichte von Orpheus und Eurydike heute? In ihrem Stück stärkt sie eine Sichtweise, die bislang kaum Raum bekommen hat, nämlich die der Frau in der Geschichte. Wir haben uns beim Proben gefragt, braucht man Mythen eigentlich noch? Kann man noch neue Mythen schaffen oder müssen wir andere Arten von Geschichten erfinden? HO — Welche Rolle spielt denn, dass Jelinek eine weibliche Perspektive schildert?
SB — Für mich als Frau spielt das eine Rolle, weil mich interessiert, was die
Autorin Jelinek mit der Figur Eurydike zu sagen hat. Was bedeutet es beispielsweise, sich von Zuschreibungen der Anderen zu lösen oder gerade das nicht zu schaffen. Wovon machen wir uns täglich abhängig, wie halten wir die Widersprüche zwischen dem Selbst- und dem Fremdbild aus? Kann man völlig frei sein und ist das nicht auch ein beängstigender Zustand? LN — Für mich war das reizvoll, weil ich das Thema der Emanzipation als Künstlerin und als Frau, in dem Stück wiederfinde. Das sind auch meine Lebensthemen. HO — Kannst du das
näher beschreiben?
LN — Sich als Künstlerin zu behaupten, bedeutet Widerstand überwinden. Die Comicwelt im konkreten ist eine Männerwelt, da beginnt man über sich als Frau nachzudenken. SB — Im Theater geht es mir oft ähnlich. Ich bin immer wieder gefordert, mich anders durchzusetzen und zu kommunizieren, als ich es von mir aus tun würde.
HO— Vielen Dank euch für das Gespräch.