FALSTAFF Oper von Giuseppe Verdi Libretto von Arrigo Boito In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln Premiere: 27. Januar 2018 Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause
MUSIKALISCHE LEITUNG Clemens Heil
INSZENIERUNG Benedikt von Peter
BÜHNE Natascha von Steiger KOSTÜME Ulrike Scheiderer
LICHT David HedingerWohnlich
CHOREINSTUDIERUNG Mark Daver DRAMATURGIE Brigitte Heusinger
REGIEASSISTENZ UND ABENDSPIELLEITUNG Lennart Hantke
STUDIENLEITUNG Rolando Garza Rodríguez MUSIK. ASSISTENZ William Kelley KORREPETITION Markus Eichenberger, William Kelley
INSPIZIENZ Yasmine Erni-Lardrot DRAMATURGIEASSISTENZ Savina Kationi MIT FREUNDLICHER UNTERSTÜTZUNG DER STREBI STIFTUNG. Herzlichen Dank an die Journalistin Gabriela Kaegi, die mit dem «KaegiTicker zu Falstaff» die Produktion begleitet und auf unserer Website dokumentiert hat.
BÜHNENBILDASSISTENZ Vanessa Gerotto
KOSTÜMASSISTENZ Coline Jud ÜBERTITELINSPIZIENZ Madleina Cavelti, Meret Feigenwinter, Sania Helbig
REGIEHOSPITANZ Aline Raeber
SIR JOHN FALSTAFF Claudio Otelli FORD Jason Cox
FENTON Diego Silva 27. Jan / 1. / 3. / 7. / 9. Feb 2018 Eleazar Rodríguez 5. / 9. / 21. Mai / 9. / 12. / 15. / 17. Jun 2018 DR. CAJUS Robert Maszl
BARDOLFO Hans-Jürg Rickenbacher
PISTOLA Vuyani Mlinde
MRS. ALICE FORD Diana Schnürpel 27. Jan / 1. / 3. / 7. / 9. Feb / 9. / 12. / 15. / 17. Jun Rebecca Krynski Cox 5. / 9. / 21. Mai 2018 NANNETTA Magdalena Risberg MRS. QUICKLY Sarah Alexandra Hudarew
MRS. MEG PAGE Rebecca Krynski Cox 27. Jan / 1. / 3. / 7. / 9. Feb / 9. / 12. / 15. / 17. Jun Caroline Vitale 5. / 9. / 21. Mai 2018
CHOR DES LT Marco Bappert Kyungbin Duay-Joo Agnes Fillenz Wieslaw Grajkowski Efstathios Karagiorgos Ivo Kazarow Kihun Koh Robert Hyunghoon Lee Judith Machinek Maria Montero Jeanett Neumeister Sofía Pollak Eeva Saarenpää (Gast) Chiharu Sato Miriam Timme Peter Wigger Koichi Yoshitomi EXTRACHOR DES LT Andrew Davis Gerhard Durrer Ephanie Koch Lucrezia Lucas Damian Strässle STATISTERIE DES LT
EHEPAAR Hans-Ruedi Bösch Silvia Furrer Antonio Lombris Barbara Willimann
LIVE-KAMERA Ahmad Shah Alizadar Jasmin Rabensteiner VORDERHAUS Juan José Faccio Marcus Herzog Ueli Hunkeler Christian Ruoss Peter Schmitt LUZERNER SINFONIEORCHESTER
L
Falstaff
Bühne ←
T
Vorbemerkung: Falstaff als Raumtheater Intendant und Regisseur Benedikt von Peter steht für Raumtheater. So wurden in der vergangenen Spielzeit neue Räume erobert – die Viscosistadt, die Jesuitenkirche, das Haus zum Globe umgebaut und mit «La traviata» der gesamte Theaterraum zum Klingen gebracht. Diesen Weg gehen wir jetzt mit «Falstaff» weiter. Falstaff, ein Ritter aus einer vergangenen Zeit, ist übergriffig, überbordend, ein nicht fassbarer Charakter. Zunehmend beginnt er die Grenzen einer Wohnung, die auf der Bühne des LT steht, aber überall sein könnte, zu übertreten. Er verschwindet, taucht wieder auf, ist plötzlich direkt neben oder unter uns, dann wieder nur in unseren Ohren, in unserer Vorstellungskraft anwesend. Er spielt mit uns Verstecken. Ausgesetzt ist Falstaff einer anonymen Gesellschaft, die ihn aus den Zuschauerrängen heraus beobachtet und zu kontrollieren versucht. In ihrer Jagd auf Falstaff sind auch diese gesichtslosen Figuren immer in Bewegung, tauchen im ersten Rang auf, im zweiten, im Parkett und wechseln die Seiten. Sie als Zuschauerin, als Zuschauer sind mitten im Dickicht der genialen Musik Verdis. Die kurzmotivische Musik von Verdi fliegt durch den Raum, kommt von allen Seiten. Von überall
her tönen Einwürfe, die sich an uns Zuschauer richten und die auch von uns stammen könnten. Sie sind eingeschlossen, ausgeschlossen, haben eine wechselnde Sicht auf die Dinge und werden Teil des Kosmos Falstaff. Manchmal geraten die Akteure aus Ihrem Blickwinkel, dann erscheinen Sie wieder. Und am Schluss zieht sich die Schlinge langsam zu: Falstaff wird ins Visier genommen und verprügelt. Auf vier Bildschirmen verfolgen wir seine Verfolgung. Und wir verfolgen, wie er gegen seine Verfolgung rebelliert. Und fragen uns: Wer hält hier eigentlich die Fäden in der Hand?
Handlung
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ERSTER AKT
ZWEITER AKT
ERSTES BILD Cajus beschuldigt Falstaffs Diener Bardolfo und Pistola. Sie hätten ihn betrunken gemacht und bestohlen. Falstaff zieht sich und seine Diener schlagfertig aus der Affäre. Falstaff schickt an die verheirateten Damen Alice Ford und Meg Page zwei gleichlautende Liebesbriefe. Er hegt amouröse Absichten und ist durchaus auch an ihrem Geld interessiert. Bardolfo und Pistola weigern sich, die Briefe zu überbringen. Falstaff jagt sie fort.
ERSTES BILD Quickly lädt Falstaff zu einem Rendezvous mit Alice ein. Danach taucht Ford bei Falstaff auf. Er gibt vor, der vermögende Herr Fontana zu sein. Und er behauptet, dass er in Alice verliebt sei, aber von ihr abgewiesen wurde. Falstaff soll Alices Tugend zu Fall bringen, damit Fontana ein leichteres Spiel hat. Als Ford, alias Fontana, erfährt, dass Falstaff und Alice bereits verabredet sind, überfällt ihn die Eifersucht.
ZWEITES BILD Alice und Meg stellen fest, dass sie identische Liebesbriefe erhalten haben. Gemeinsam mit Nannetta, Alices Tochter, und Mrs. Quickly wollen sie Falstaff einen Denkzettel verpassen. Quickly soll Falstaff zu einem fingierten Rendezvous mit Alice einladen. Unterdessen erfährt Ford von den Dienern Falstaffs, dass dieser seiner Frau Alice nachstellt. Nannetta nutzt jede Gelegenheit, Fenton zu treffen, den sie liebt. Ihr Vater Ford möchte Nannetta jedoch mit Cajus verheiraten.
ZWEITES BILD Die Frauen bereiten Falstaffs Besuch bei Alice vor. Wie verabredet stören Meg und Quickly das Rendezvous mit der Nachricht, dass Ford überraschend nach Hause käme. Und wirklich, Ford erscheint mit einer Meute Männer, um Falstaff zu stellen. Doch statt Falstaff entdecken die Männer hinter einem Paravent Nannetta im Liebesspiel mit Fenton. Die Frauen haben Falstaff unterdessen in einen Wäschekorb gesteckt. Die Frauen werfen Falstaff im Wäschekorb aus dem Fenster in die Themse.
7 «Ich bin das Salz in Eurer Suppe»
Sir John Falstaff
DRITTER AKT ERSTES BILD Falstaff klagt über die Niedertracht der Welt. Quickly erscheint mit einer erneuten Einladung: Falstaff möge verkleidet als «schwarzer Jäger» um Mitternacht in den Park kommen, um Alice zu treffen. Die Frauen planen gemeinsam mit den Männern einen nächtlichen Mummenschanz, um sich an Falstaff zu rächen. Die Maskerade möchte Ford auch nutzen, um seine Tochter Nannetta und Cajus zusammenzuführen. Quickly belauscht Fords Plan und warnt Nannetta.
ZWEITES BILD Falstaff erscheint am verabredeten Treffpunkt. Auch Alice ist da. Als Falstaff sich ihr nähert, verprügelt die Meute Falstaff. Dann vermählt Ford zwei verkleidete Paare. Doch als sie die Verkleidung ablegen, muss er feststellen, dass sein Plan von den Frauen durchkreuzt wurde: Cajus hat Bardolfo geheiratet und Nannetta ihren geliebten Fenton. Falstaff eröffnet die Schlussfuge, in die alle einstimmen: «Tutto nel mondo è burla» – «alles in der Welt ist Spass».
Falstaff ist ein Prinzip Im Vorfeld der Premiere unterhielt sich die Dramaturgin Brigitte Heusinger mit dem Regisseur Benedikt von Peter Brigitte Heusinger — In deiner Inszenierung von «La traviata» mit Nicole Chevalier steht die Titelfigur allein auf der Bühne, jetzt mit Claudio Otelli als Falstaff ebenso. Benedikt von Peter: La traviata und Falstaff sind völlig verschiedene Charaktere, sie kommen aus ganz anderen Welten. Das eine ist ein richtiges Frauen-, das andere ein ausgesprochenes Männerstück. In «Traviata» steht ein einsamer Liebesmonolog im Zentrum und die Frage, warum immer wieder Frauen für die Liebe sterben, also zu Liebesengeln werden müssen. Bei «Falstaff» haben wir jemanden auf der Bühne, der nicht auf eine Bühne gehört. Das hat uns lange rätseln lassen. BH — Warum gehört Falstaff als Figur nicht auf eine Bühne? BVP — Falstaff ist nicht einfach so repräsentierbar. Er ist ein Prinzip. Er ist widerständig, widerlich, ohne Scham, auch ohne Scham, sich in seiner Unmässigkeit zu offenbaren. Er steht für Chaos, den sündigen Körper,
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das Fleisch, das Trinken, Essen, die Vielweiberei und eine Liebe, die sich nicht bindet. Er ist ein Gegenentwurf zum bürgerlichen Ordnungsprinzip, das in der monogamen Ehe seinen absoluten Rückhalt findet. BH — Und er nimmt Geld nicht ernst. BVP — Etwas, was aus der Sicht des Bürgertums noch schlimmer ist: Falstaff verschwendet Geld, er verschwendet sich. Und er schmarotzt, schnorrt, akzeptiert nicht die kapitalistische Grundregel, dass Geld und Gegenwert im Einklang stehen müssen. Falstaff hat eben seine eigene Definition von Besitz und Liebe, und die beiden Kategorien können sich durchaus vermischen: Man weiss nicht recht, ob er den Frauen aus reinem Begehren nachstellt oder um ökonomisch gesichert zu sein. Eine solche Figur auf der Bühne zu haben, ist eine Störung, ist die Konfrontation mit der Scham, aber auch eine Konfrontation mit dem Leben und der Freude am Verbotenen. Er ist das Gegenteil einer Identifikationsfigur, und doch sitzt es in uns allen: das Lustvolle, das Unmässige, das, was die Selbstdisziplin bedroht. Wir trainieren Verzicht, kontrollieren Lüste, Triebe und zivilisieren uns selbst.
11 BH — Falstaff verkörpert das, was
Sigmund Freud das «Es» genannt hat. BVP — Ja, als Verkörperung dessen wird er zum gesellschaftlich Anderen, dessen es aber bedarf, um die gute Ordnung wieder herzustellen, sich seiner Wohlanständigkeit zu versichern, den Wertekonsens herzustellen und zu manifestieren. BH — Shakespeare betont diese Anders-
artigkeit des Ritters von der traurigen Gestalt, indem er ihn aus einer anderen, einer feudalistischen, präbürgerlichen Zeit stammen lässt. Seine höfischen Gepflogenheiten, seine gespreizten Ausdrücke, sein altmodisches Gebaren stehen im Widerspruch zu seinem plumpen Verhalten, aber auch im Dissens zu seiner Umgebung – woraus die Komödie durchaus Nahrung zieht.
BVP — Bei Shakespeare taucht Falstaff zum ersten Mal in «Henry IV.» auf. Hier treibt er sich mit dessen Sohn, Prinz Hal, rum und verführt ihn zu allerlei Missetaten. An Falstaffs Seite stösst sich Hal die Hörner ab. In dem Moment, wo der König stirbt, Hal die Thronfolge übernimmt, verstösst er seinen alten Saufkumpan, kommt also zur Ordnung. Gereinigt durch Falstaffs Chaos wird er zum
guten König. Pikant ist in diesem Zusammenhang die Anekdote, dass Elisabeth I. die Figur des Falstaffs so anregend fand, dass sie sich eine Fortsetzung mit dem Tunichtgut und dem anarchistischen Widersacher wünschte. Shakespeare schrieb daraufhin eines seiner schwächeren Dramen, das allerdings auf der Opernbühne durch Verdi und Nicolai reüssierte, «Die lustigen Weiber von Windsor». BH — Zu Beginn dieses Interviews
hast Du gesagt, Falstaff gehöre nicht auf eine Bühne, jetzt steht er allein auf ihr. BVP — Ja, aber ausserhalb seines Gefüges. Das Prinzip Falstaff wird so zum Gegenprinzip, emanzipiert sich und wird grossgezogen. Wir schauen wie mit einer Lupe auf ihn, und er schaut wie mit einem Fernrohr auf uns. Er ist in unserer Inszenierung kein Opfer, kein Ausgesetzter oder Idiot vom Dienst, sondern er ist wie ein doppelbödiger Regisseur, der uns zeigt, woran es uns mangelt, was wir entbehren oder verbergen. Er kollaboriert mit dem Publikum, stellt sich unwissend und dumm, zeigt, was man ihm antut, hält uns den Spiegel vor und weiss doch, dass er und sein Wesen nicht zu unterdrücken sind. Er
12 ist und bleibt der Stachel in unserem Fleisch. Und er weiss ganz genau, dass er es ist, der uns, das Publikum, vorführt. BH — Aber es gibt durchaus auch eine
konkrete Erzählebene: Falstaff sehen wir in einer Null-Acht-FünfzehnWohnung, die überall und durchaus auch in Luzern stehen könnte.
BVP — Er hat sich in eine unserer Wohnungen eingenistet, sitzt da, leert unsere Kühlschränke, isst unsere Sachen, schläft in unseren Betten, wenn es Nacht wird oder wir in den Urlaub gefahren sind. Es sitzt in uns drin und spielt mit uns Katze und Maus. BH — Wir, die Gesellschaft, wir
sind im Zuschauerraum und anonym, gesichtslos. BVP — Verdi hat hier eine sehr harte Sicht auf die Gesellschaft, härter als in allen vorangegangenen Werken. Alle Figuren ausser der Titelfigur sind kalt, bösartig und gemein. Es ist eine Meute. Niemand ist individuell gezeichnet, keiner hat psychologisches Fleisch am Knochen. BH — Beeinflusste das die Setzung,
dass die Bürgerinnen und Bürger von Windsor im Zuschauerraum statio-
niert sind, anonym bleiben und schwarze Kugelköpfe tragen? BVP — Ja, jeder von ihnen und sie alle gemeinsam saugen wie eine Armee von Insekten oder Parasiten Falstaff aus und leben durch ihn ein Sekundärleben, indem sie ihre Lust und Leid an denjenigen delegieren, den sie vernichten und an dessen Leiden sie sich delektieren wollen. Sie quälen ihn wie böse, giftende Kinder machtvoll, und doch sind sie Schatten ihrer selbst oder nicht mehr als Marionetten eines für sie nicht kontrollierbaren Systems. Das verborgene Gesicht, die Masken sind im Stück angelegt. Das letzte Bild ist eine einzige Verkleidungsorgie. Hier greift das Fasnachtsprinzip: Hinter der Maske, dem Kostüm, im dunklen Wald lässt man dem Trieb freien Lauf. Man treibt sich den Teufel aus dem Leib, indem man getarnt und für kurze Zeit den Teufel in sich selbst zulässt. Und die anständigen Bürger von Windsor prügeln wirklich, sie dreschen auf Falstaff ein und schlagen ihn fast tot. BH — Und am Ende kommt dann doch die Versöhnung. BVP — Ja, wie in allen komischen Opern folgt eine Versöhnung vom Feinsten. Die Teufelsaustreibung hat
13 ihren Sinn erfüllt. Eine Doppelhochzeit wird gefeiert, der Vater versöhnt sich mit der Tochter, die jetzt den Richtigen heiraten darf. Die Ordnung ist – auf Kosten des malträtierten und gedemütigten Falstaff – wieder hergestellt. Und für den Schluss komponiert Verdi einen hochironischen, bitteren Kommentar und zwar in der geregeltsten Form, die es gibt, einer Fuge. Die Ordnung wird brachial hergestellt nach einem Abend, der musikalisch kleinteiliger, disparater, fragmentarischer ist und chaotischer wirkt als jeder andere Verdi. Die letzten Worte, die Verdi vertont, der lebensfrohe Schlusssatz «Alles in der Welt ist Spass» werden paradoxerweise in ein strenges Formcluster gepresst, in ein musikalisches Korsett. BH — Und doch ist «Falstaff» eine Komödie. BVP — Für eine Komödie braucht es vor allem eines: einen engen Raum. Diesen haben wir mit unserem kleinen Holztheater. In dem engen Raum, in dem alle Zuschauer ganz nah dran sind, können die hoch virtuose, schnelle Musik, das fortwährende Parlando, die schnellen Wechsel der Tempi richtig knallen. Auch das war ein Grund für die Raumlösung.
Die Zuschauerinnen und Zuschauer sollen mittendrin im Klang und in Falstaffs dickem Bauch sitzen, von allen Seiten befeuert von musikalischem Esprit und der Wucht Verdis.
14 «Auch das wäre geschafft», sagte der Kerl, der seinen Vater ermordet hatte!! Wir haben niemanden ermordet, vielmehr haben wir dem Publikum ein bisschen das Fell über die Ohren gezogen; aber so lange es sich nicht beschwert, ist’s nicht so schlimm!
Verdi an Edoardo Mascheroni,
→ 16. August 1893, ca. ein halbes Jahr nach der Uraufführung
Geh, alter John
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DIE ENTSTEHUNG VON VERDIS «FALSTAFF» In rund drei Jahrzehnten hatte Verdi rund zwei Dutzend Opern geschrieben. Mit der «Aida» von 1871 schien sein Bühnenschaffen abgeschlossen zu sein, so dachte man zumindest. Dieses Verdikt war ihm durchaus recht, denn Giuseppe Verdi sah sich inzwischen vor allem als Vollzeitbauer auf seinem Landgut in Sant’Agata. Gänzlich unbeeindruckt von dem demonstrierten Rentnerdasein schickte Verleger Giulio Ricordi 1879 Verdi den um 30 Jahre jüngeren Arrigo Boito ins Landhaus. Boito, Autor und Komponist, gelang es durch die Umarbeitung von «Simon Boccanegra», Verdis Vertrauen zu gewinnen und durch ein geniales Shakespearelibretto den lang verstummten Opernkomponisten neu zu inspirieren: 1887 erlebte «Otello» eine fulminante Uraufführung, mit der niemand mehr gerechnet hatte. Sodann forderte Boito den auf die 80 zugehenden Komponisten heraus: «Es gibt nur noch ein besseres Ende als «Otello»: den glorreichen Abschluss mit «Falstaff»», schrieb er dem Komponisten im Sommer 1889: «Nach den Klängen der Schmerzensschreie und Klagen des menschlichen Herzens mit einer ungeheuren Explosion der Heiterkeit zu enden.» Hiermit traf er den Komponisten ins Mark, denn die einzige komische Oper aus Verdis Feder, die 1840 uraufgeführte «Un giorno di regno» war ein rechter Misserfolg gewesen. Seither hatte Verdi die Finger vom heiteren Fach gelassen, obwohl er die Werke Shakespeares, Molières und Goldonis immer wieder nach einem geeigneten Stoff durchforstet hatte. Selbst Kollege Rossini hatte ihm auf Grund eines melancholisch ernsten Wesens jegliche Begabung für die Opera buffa abgesprochen – sehr zu Verdis Ärger. Und jetzt kam Boito mit «Die lustigen Weiber von Windsor». «Seit 40 Jahren kenne ich die lustigen Weiber von Windsor, und dennoch… die üblichen ABER, die es allenthalben gibt, stellten sich der Erfüllung meines Wunsches immer entgegen. Jetzt hat Boito alle ABER beseitigt und mir eine Commedia lirica gemacht, die mit keiner anderen zu vergleichen ist.» Also Shakespeares «Die lustigen Weiber», und doch stehen für Verdi und Boito nicht die Frauen im Zentrum, sondern «il pancione», der Dickwanst, dessen unzuverlässiges Wesen sich direkt in den Kompositionsvorgang einschleicht: «Es gibt Tage, an denen er sich nicht rührt, schläft, schlechter Laune ist; dann wiederum schreit, rennt er, springt er und tobt auf Teufel komm raus… Ich lasse ihn ein wenig sein Mütchen kühlen, doch wenn er so weitermacht,
17 binde ich ihm einen Maulkorb um und lege ihm die Zwangsjacke an.» Eine erstaunliche Energie entwickelt dieser Ritter aus einer anderen Zeit, dieser Ritter mit illustrem Wappen und leerem Geldbeutel, zweifelhaften Moralvorstellungen, unmässigem Alkoholkonsum, Übergewicht und einer veritablen Neigung zur Selbstüberschätzung. In Shakespeares Komödie lässt er kaum eine Gelegenheit aus, sich lächerlich zu machen und zeigt sich durchaus als ein Protagonist einer Opera buffa. Doch mittlerweile hat sich dieses Genre aus dem Theateralltag längst verabschiedet. Seit Donizettis «Don Pasquale» war nahezu ein halbes Jahrhundert vergangen, in der die italienische Oper das Lachen gründlich verlernt hatte. Dass Verdi und Boito nicht vorhatten, dieses überkommende Genre wiederzuerwecken, war klar. Schon die Bezeichnung als «Commedia lirica» weist darauf hin, dass sie andere Wege zu gehen gedachten. Sir John Falstaff taucht bei Shakespeare erstmalig in Heinrich IV. auf. Hier ist er der sinnenfreudige, väterliche Freund des jungen Kronprinzen, den er zu allerlei Unfug anstiftet und in dessen Gegenwart sich der zukünftige König die Hörner abstösst. Als Prinz Hal jedoch zum König gekrönt wird, lässt er alle Laster weit hinter sich, wird vernünftig und verstösst Falstaff, der Legende nach sehr zum Unwillen der Regentin Elizabeth I., die sich ein Wiedersehen mit Falstaff auf der Bühne wünscht. Shakespeares gehorcht und die Komödie «The Merry Wives of Windsor» entsteht. Boito kürzte und arbeitete die Vorlage um. Es galt «den Saft aus der enormen Shakespeare-Apfelsine zu pressen, ohne die nutzlosen Kerne in das Glas fallen zu lassen». Und er arbeitete Charaktereigenschaften aus Heinrich IV. ein, beispielsweise den Ehrenmonolog des 1. Akts. Die Ehre, «l’onore» wird hier als leere Begriffshülse und verlogene gesellschaftliche Konvention entlarvt, um die sich die Menschen sinnloserweise die Köpfe einschlagen. Falstaff gewinnt hier eine philosophische Dimension und ist hier nicht nur der primitive Lustmensch, wie er uns in Otto Nicolais romantisch biedermeierlicher Oper «Die lustigen Weiber von Windsor» begegnet. «Falstaff» wurde am 9. Februar 1892 an der Mailänder Scala uraufgeführt. Es war ein Ereignis. Viel Prominenz war angereist, die Eintrittspreise astronomisch, der Schlussapplaus dauerte eine geschlagene Stunde. Die Kritik lobte: Die «Wiedergeburt der Opera buffa». Doch hinter all der Verehrung für den Altmeister Verdi schimmerte Ratlosigkeit und Unverständnis hervor. Dass
18 die für Verdi typischen Arien und Duette sich immer nur im Ansatz zeigten, zu Melodiefetzen wurden, irritierte. Die Interpretation dafür war seniler Inspirationsmangel. Dass es Verdis volle Absicht war, Boitos Weltentwurf nicht einfach zu vertonen, sondern Wort für Wort in Musik zu setzen, entging den Musikfreunden. Verdi hatte sich mit einer ganz modernen Montagetechnik neu erfunden, die weit ins 20. Jahrhundert reicht. Doch die Irritation siegte. Nach der erfolgreichen Premiere nahmen die Aufführungszahlen rasch ab. 1901, nach Verdis Tod, verschwand «Falstaff» fast gänzlich von den Spielplänen. Als hätte er es geahnt, vermerkt Verdi in der Partitur als Vermächtnis: «Die letzten Noten des Falstaff. Alles ist vorbei! Geh, geh, alter John. Lauf dahin auf deinem Weg, so lange du kannst… Lustiges Original eines Schurken; ewig wahr, hinter jeglicher Maske, zu jeder Zeit, an jedem Ort!! Geh… Geh… Lauf… Addio!!!»
Biografien JASON COX wurde an der Manhattan School of Music als Bariton ausgebildet. Er war Mitglied des Opernstudios «OperAvenir» am Theater Basel und gastierte am Theater Magdeburg, Theater Bremen und Salzburger Landestheater. Seit der Spielzeit 16/17 ist er festes Ensemblemitglied des LT. In der Spielzeit 17/18 ist er ausserdem als Giorgio Germont in «La traviata» und in «Flow my tears – Das letzte Fest» zu erleben. SARAH ALEXANDRA HUDAREW studierte Gesang in Karlsruhe. Als Solistin war sie mehrere Jahre im Opernensemble des Badischen Staatstheaters Karlsruhe tätig. Es folgten Engagements am Landestheater Detmold und bei den Thüringer Schlossfestspielen. Sie ist seit der Spielzeit 16/17 festes Mitglied des Opernensembles des LT. In der Spielzeit 17/18 sang sie Mescalina («Le Grand Macabre») und wird u.a. in «Faust-Szenen» zu hören sein. REBECCA KRYNSKI COX studierte Gesang an der University of South Carolina sowie der Manhattan School of music. Sie gewann mehrere Preise und Stipendien. Engagements führten sie u.a. an die Santa Fe Opera, Kentucky Opera, New York City Opera und die Des Moins Metro Opera in Indianola/Iowa. Seit der Spielzeit 17/18 ist sie am LT festes
Ensemblemitglied und wird diese Spielzeit u.a. als Gretchen in «Faust-Szenen» auftreten. ROBERT MASZL stammt aus Wien und erhielt seine Ausbildung am Konservatorium seiner Heimatstadt. Seit August 2009 gehört er fest zum Ensemble des LT und war hier in zahlreichen Inszenierungen zu erleben. Zudem gastierte er in zwei Uraufführungsproduktionen der Bregenzer Festspiele 2014, «Geschichten aus dem Wienerwald» und «Trans Maghreb». In der Spielzeit 17/18 ist er u.a. als Piet vom Fass in «Le Grand Macabre» und in «Faust-Szenen» zu sehen. VUYANI MLINDE absolvierte sein Gesangsstudium an der Free State Musicon in Südafrika und am Royal College of Music in London. Von 2010 bis 2016 war er festes Mitglied des Opernensembles der Oper Frankfurt. Ausserdem trat er u.a. beim Edinburgh International Festival, am Opernhaus von Oviedo, an der Cincinnati Opera, der Houston Grand Opera und in der Carnegie Hall New York auf. Zur Spielzeit 16/17 wechselte er ans LT. In dieser Spielzeit ist er u.a. als Le Comte des Grieux in «Manon» und in «Faust-Szenen» zu sehen. CLAUDIO OTELLI absolvierte sein Gesangsstudium an der Wiener Musikhochschule und war anschliessend Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper.
20 Des Weiteren studierte er in Italien bei Aldo Danieli und es verbindet ihn – seit geraumer Zeit – eine künstlerische Zusammenarbeit mit Prof. Heidrun Franz-Vetter. Seit 1994 ist er an Bühnen in Europa, den USA und Japan freischaffend tätig. Am LT verkörperte er bereits die Titelrolle in Verdis «Rigoletto» sowie Germont in «La traviata». In der Spielzeit 17/18 sang er am LT auch Nekrotzar in «Le Grand Macabre». HANS-JÜRG RICKENBACHER studierte Gesang, Gitarre und Schulmusik an der Hochschule für Musik der Stadt Basel. Nach dem Schweizer Opernstudio bildete er sich u.a. bei Nicolaï Gedda und Margreet Honig weiter. Seit 1999 unterrichtet er an der Musik-Akademie Basel und seit 2010 leitet er eine Berufsklasse für Sologesang an der Hochschule Luzern. MAGDALENA RISBERG absolvierte ihre Studien an der Königlichen Musikhochschule und der Opernhochschule in Stockholm. Weitere Engagements führten sie u.a. an die Genfer Oper, Königliche Schwedische Nationaloper, Malmö Oper, Nordlands Opera sowie ans Theater St. Gallen. Sie ist seit der Spielzeit 16/17 festes Mitglied des Opernensembles des LT. In dieser Spielzeit singt sie u.a. Pamina in «Die Zauberflöte» und die Titelpartie in «Manon».
21 ELEAZAR RODRIGUEZ stammt aus Mexiko, studierte Gesang am San Francisco Conservatory of Music und wurde anschliessend in das Merola Opera Program der San Francisco Opera aufgenommen. In der Spielzeit 2010/11 war er Ensemblemitglied des Theaters Heidelberg. Zur Spielzeit 2011/12 wechselte er ans Staatstheater Karlsruhe. Engagements führten ihn u.a. an die Oper Frankfurt, das Michigan Opera Theatre in Detroit, die English National Opera London sowie an die Oper Graz. DIANA SCHNÜRPEL studierte in Moskau und Leipzig Gesang. Sie war Finalistin mehrerer Wettbewerbe. Die Partie der Königin der Nacht interpretierte sie bereits in Braunschweig, Detmold, Klagenfurt, Salzburg, Graz und Weimar. Seit 16/17 ist sie Ensemblemitglied am LT und singt in der Spielzeit 17/18 u.a. die Rolle der Königin der Nacht in «Die Zauberflöte» und die Titelpartie in «Maria Stuarda». DIEGO SILVA stammt aus Mexico und studierte an der Academy of Vocal Arts in Philadelphia. Er gewann bereits zahlreiche Preise und wirkte an Produktionen u.a. in Paris, Mexico City, Biel und Wien mit. In der Spielzeit 16/17 debütierte er als Tybalt in «Roméo und Juliette» an der Met in New York. In der Spielzeit 17/18 war er am LT ausserdem
als Alfredo in «La traviata», Tamino in «Die Zauberflöte» und Chevalier des Grieux in «Manon» zu hören. CAROLINE VITALE studierte an der Hochschule Luzern – Musik und war Mitglied des Internationalen Opernstudios Zürich. Engagements am Theater Trier und am Staatstheater Mainz führten sie zum Festival «Bad Kissinger Sommer», in die Liederhalle Stuttgart, in die Opéra St. Moritz und zum Lucerne Festival. In der Spielzeit 17/18 singt sie u.a. in «Die Zauberflöte». CLEMENS HEIL ist seit 16/17 Musikdirektor am LT. Er studierte Klavier und Dirigieren an den Hochschulen Stuttgart und Freiburg. Am Theater Bremen war er seit 2012 Erster Kapellmeister und leitete zahlreiche Neuproduktionen. Engagements führten ihn an das Staatstheater Mainz, die Staatsopern Stuttgart und Hannover sowie zu zahlreichen Orchestern in Europa. Mit dem Ensemble Modern verbindet ihn eine regelmässige Zusammenarbeit. BENEDIKT VON PETER studierte Musikwissenschaft, Germanistik, Jura und Gesang. Er inszenierte an Theatern und Opern in Deutschland und der Schweiz (u.a. Theater Basel, Oper Frankfurt, Staatstheater Hannover, Komische und Deutsche Oper Berlin) und leitete von 2012 bis 2016 die
Musiktheatersparte des Theater Bremen. Seit der Spielzeit 16/17 ist er Intendant des LT. In dieser Spielzeit führt er ausserdem Regie bei «Faust-Szenen». NATASCHA VON STEIGER absolvierte ihr Studium der Bühnengestaltung an der Akademie der Bildenden Künste in Wien. Seit 1996 ist sie als freischaffende Bühnenbildnerin tätig und arbeitet u.a. mit Armin Petras, Sebastian Baumgarten, Hans Neuenfels. Von 2008 – 2013 war sie Ausstattungsleiterin am Maxim-Gorki-Theater Berlin und von anschliessend am Schauspiel Stuttgart. In der Spielzeit 17/18 entwirft sie am LT die Bühne für «Ein Sommernachtstraum», «Flow My Tears – Das letzte Fest» und «Faust-Szenen». ULRIKE SCHEIDERER begann ihre Karriere bei den Kostümwerkstätten der Bayerischen Staatsoper in München. 1986 wechselte sie an das Opernhaus Zürich und wirkte dort als Leiterin der Kostümabteilung und Gewandmeisterin. Seit 1995 arbeitete sie selbständig. 2004 kehrte sie zurück nach Luzern, wo sie zuletzt für «Prometeo» und «L’italiana in Algeri» die Kostüme entwarf. Seit 2011 unterrichtet sie ausserdem als Gastdozentin an der Hochschule für Kunst und Design in Luzern.
© Peter Fischli/LUCERNE FESTIVAL
Celebrate classical music Oster-Festival 17. – 25. März 2018 Sommer-Festival 17. August – 16. September 2018 Piano-Festival 17. November – 25. November 2018 Info: lucernefestival.ch
Impressum TEXTNACHWEISE
IMPRESSUM
Alle Texte sind Originalbeiträge für dieses Programmheft und stammen von Brigitte Heusinger.
Herausgeber: Luzerner Theater Theaterstrasse 2, 6003 Luzern www.luzernertheater.ch
BILDNACHWEISE
Spielzeit 17/18
S. 5, S. 8 – 9, S. 15, S. 19: Claudio Otelli
Intendant: Benedikt von Peter Verwaltungsdirektor: Adrian Balmer Redaktion: Brigitte Heusinger, Savina Kationi Gestaltung: Studio Feixen Druck: Engelberger Druck AG
Fotografiert von Ingo Höhn
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Diese Drucksache ist nachhaltig und klimaneutral produziert nach den Richtlinien von FSC und Climate-Partner.
TECHNISCHER STAB Technischer Direktor: Peter Klemm, Technischer Leiter: Julius Hahn, Produktionsassistentin: Marielle Studer, Produktionsleiter: Roland Glück, Bühnenmeister: Markus Bisang, Chefrequisiteurin: Melanie Dahmer, Requisite: Nicole Küttel, Oliver Villforth, Leiter der Beleuchtungsabteilung und Beleuchtungsmeister: David Hedinger-Wohnlich, Ton- und Videoabteilung: Rebecca Stofer, Tontechniker: Gerard Gisler, Leiter Probenbühnen: Thomas Künzel, Transporte: Ido van Oostveen, Hamzi Gashi, Chefmaskenbildnerin: Lena Mandler, Leiterin der Kostümabteilung: Angelika LaubmeierGewandmeisterin Damen: Ulrike Scheiderer, Gewandmeisterin Herren: Andrea Pillen, Kostümmalerin Camilla Villforth, Leiterin Ankleidedienst: Monika Malagoli, Fundusverwalterin: Rhea Willimann, Werkstättenleiter: Marco Brehme, Leiterin Malersaal: Brigitte Schlunegger, Schlosser: Nicola Mazza, Leiter Schreinerei: Tobias Pabst, Tapezierer: Alfred Thomas, Leiter Statisterie: Sergio Arfini
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