Programmblock «Der Sandmann», Luzerner Theater

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Sandmann

Bühne  ← T Premiere: 6. Dezember 2018

MIT Christian Baus Lukas Darnstädt Wiebke Kayser Mira Rojzman Julian-Nico Tzschentke

Dauer: ca. 1 Stunde 30 Minuten ohne Pause

STIMME Sofia Elena Borsani

DANKE UNSEREM HAUPTSPONSOR BUCHERER AG

INSZENIERUNG Nicolas Charaux

DER SANDMANN von E.T.A. Hoffmann

BÜHNE UND KOSTÜME Pia Greven MUSIK UND SOUND David Lipp LICHT Clemens Gorzella DRAMATURGIE Nikolai Ulbricht REGIEASSISTENZ UND ABENDSPIELLEITUNG Lucia Wunsch BÜHNENBILD­ ASSISTENZ Sophie Köhler KOSTÜMASSISTENZ Rose-Liliane Gut

TECHNISCHER STAB

IMPRESSUM

Technischer Direktor: Peter Klemm, Technischer Leiter: Julius Hahn, Produktionsassistentin: Marielle Studer, Produktionsleiter: Roland Glück, Bühnenmeister: Dominic Pfäffli, Chefrequisiteurin: Melanie Dahmer, Requisite: Nicole Küttel, Simone Fröbel, Leiter Beleuchtungsabteilung und Beleuchtungsmeister: David HedingerWohnlich, Beleuchtungsmeister: Marc Hostettler, Leiterin Ton- und Video­ abteilung: Rebecca Stofer, Tontechniker: Gérard Gisler, Leiter Probenbühnen: Thomas Künzel, Transporte: Ido van Oostveen, Hamzi Gashi, Chefmaskenbildnerin: Lena Mandler, Leiterin Kostümabteilung: Ulrike Scheiderer, Gewandmeisterin Damen: Hanni Rüttimann, Gewandmeisterin Herren: Andrea Pillen, Kostümmalerin: Camilla Villforth, Leiterin Ankleidedienst: Monika Malagoli, Fundusverwalterin: Rhea Willimann, Werkstättenleiter: Marco Brehme, Leiterin Malersaal: Brigitte Schlunegger, Schlosser: Nicola Mazza, Leiter Schreinerei: Tobias Papst, Tapezierer: Alfred Thoma, Leiter Statisterie: Sergio Arfini

Textnachweise: Der Text ist ein Original­ beitrag für diesen Programmzettel und stammt von Nikolai Ulbricht. Herausgeber: Luzerner Theater Theaterstrasse 2 6003 Luzern www.luzernertheater.ch Spielzeit 18/19 Intendant: Benedikt von Peter Verwaltungsdirekter: Adrian Balmer Künstlerische Leitung Schauspiel: Sandra Küpper Redaktion: Nikolai Ulbricht Gestaltung: Studio Feixen Druck: Engelberger Druck AG Diese Drucksache ist nachhaltig und klimaneutral produziert nach den Richtlinien von FSC und ClimatePartner.

E   in Blick in den Abgrund Wenige Werke der Weltliteratur wurden so breit und vielseitig diskutiert wie «Der Sandmann». Das fein gezeichnete Kunstmärchen über Wahrheit und Täuschung, Ver­fühung und Obsession hat seit seiner Ver­ öffentlichung 1816 nichts von seiner düsteren Anziehungskraft verloren: Die als Meisterwerk der Schwarzen Romantik geltende Erzählung von E.T.A. Hoffmann zieht seit nunmehr über 200 Jahren nicht nur die Literaturwissenschaft, sondern auch andere Disziplinen in ihren Bann – wie beispielsweise die Psychologie. So schrieb Sigmund Freud im Jahr 1919 seinen bahnbrechenden Essay über «Das Unheimliche», in dem er die Geschichte um den Studenten Nathanael, der sich vom Bösen verfolgt fühlt, als folgerichtigen Verlauf einer seelischen Krankheit deutet, die mit Kindheitstraumata beginnt, zu Wahnvorstel­lun­gen eines gespaltenen Bewusstseins beim Erwachsenen führt und im Suizid endet. Doch das ist nur eine von vielen Interpretationen: Nathanael als Wahnsinniger, als Narzisst, als Künstler, als romantischer Held, der sich gegen den oberflächlich-aufklärerischen Blick auf die Welt auflehnt – die Vielfältigkeit der Lesarten des Textes ist grenzenlos und scheint unentwirrbar. Er hinterlässt die Leserin in Ratlo­ sigkeit. Wie soll sie ihn deuten? Schon der Versuch, die einfache Fabel der Erzählung wiederzugeben, bereitet Schwierigkeiten – denn es verlangt zu entscheiden, ob ein Ereignis sich in der Wirklichkeit der Erzählung oder in der Vorstellung des Protagonisten zugetragen hat. Und es wird bis zum Ende nicht eindeutig geklärt, ob er nun wirklich vom Bösen verfolgt wird –  oder das Böse nur in seinem Inneren existiert. Diese beiden unaufgelösten Thesen durchziehen die Erzählung und machen einen Grossteil ihrer Wirkkraft aus. Hoffmann wählt bewusst eine gewisse Unzuverlässigkeit und Unsicherheit als Erzählprinzip, um den Themen seiner Erzählungen gerecht zu werden: das Unterbewusstsein, der Traum, mit all den Abgründen aus Angst und Dunkelheit und Wahnsinn. Er setzt das Phantastische, Skurrile, Groteske an die Stelle einer

Erzähltradition, die auf eine geordnete Darstellung der Wirklichkeit beruht. Für den Autoren bedeutete das nicht, sich von der Wirklichkeit abzuwenden –  sondern diese im Gegenteil ganz­ heitlicher zu beschreiben, als es durch blossen Realismus möglich war. Denn die Welt der Fantasie bestimmt die menschliche Existenz ebenso wie die empirisch erfahrbare Welt – ist sie doch ein Reflex, eine Reaktion auf diese. Eine letzte Ordnung gibt es nicht, ebenso wenig ausreichende Orientierung: Die Labyrinthe sind unüberwindbar. Gerade das erzeugt Unheimlichkeit und Angst und treibt die Figuren der Erzählungen in den Wahnsinn –  und die Leserin der Texte in die Verwirrung: Denn die Leerstellen oder Lücken des Textes muss sie am Ende selbst füllen. Regisseur Nicolas Charaux und Bühnen- und Kostümbildnerin Pia Greven greifen die inhaltlichen und erzählerischen Motive um den zerris­ senen Nathanael auf und erweitern sie gleichzeitig, indem sie den Blick auf die Gesellschaft lenken, in der sich der traumatisierte Protagonist bewegt. Es ist eine Gesellschaft, die wegschaut, die nicht zulässt, dass etwas ausserhalb «ihrer» Wirklichkeit existiert. Nathanael lässt sich als seelisch Kranker deuten – aber auch als jemand, der beginnt, die Lücken einer hohlen Welt zu entdecken. Und der für sich erkennt, dass es eine Welt unterhalb der geordneten Oberfläche gibt. Ein Leben zu leben, ohne je unter diese Oberfläche geschaut zu haben, ist möglich. Schaut man jedoch wie Nathanael unter die Oberfläche, blickt man in eine Welt der Uneindeutigkeit, Unlesbarkeit und Komplexität. Es ist die Welt, wie sie ist: eine Welt ohne einfache Antworten. Diese Welt verursacht Angst. Die Angst vor dem, was man nicht sieht, nicht kennt, nicht begreift. Eine menschliche Urangst, die die Sinne erregt, die Vernunft betrügt – und die Fantasie befruchtet. Und die einen wegtreibt von denjenigen, die behaupten, die Welt rein aus der Vernunft heraus erklären zu können. Diese Angst lässt sich nicht verdrängen. Sich dieser Angst zu stellen, bedeutet einen Blick in den Abgrund.

«Etwas Entsetzliches ist in mein Leben getreten! – Dunkle Ahnungen eines grässlichen mir drohenden Geschicks breiten sich wie schwarze Wolken­ schatten über mich aus, undurchdringlich jedem freundlichen Sonnenstrahl. Wie fange ich es denn an, Dich nur einigermassen empfinden zu lassen, dass das, was mir vor einigen Tagen geschah, mein Leben feindlich zerstören konnte!»


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