Programmheft «Roméo et Juliette»

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ROMÉO ET JULIETTE

Oper in fünf Akten von Charles Gounod Libretto von Jules Barbier und Michel Carré

MUSIKALISCHE LEITUNG Clemens Heil INSZENIERUNG Vincent Huguet BÜHNE Aurélie Maestre

Premiere: 2. November 2018

KOSTÜME Clémence Pernoud

Dauer: ca. 3 Stunden mit zwei Pausen (nach dem II. und dem III. Akt)

LICHT Bertrand Couderc

GEFÖRDERT DURCH JTI, STREBI STIFTUNG UND DIE FREUNDE LUZERNER THEATER IN KOOPERATION MIT TELE 1 UND SRF KULTURCLUB

DRAMATURGIE Rebekka Meyer CHOREIN­ STUDIERUNG Mark Daver STUDIENLEITUNG Valeria Polunina MUSIKALISCHE ASSISTENZ UND NACHDIRIGAT Alexander Sinan Binder KORREPETITION Alexander Sinan Binder / Valeria Polunina INSPIZIENZ Yasmine Erni-Lardrot REGIEASSISTENZ UND ABENDSPIEL­ LEITUNG Caterina Cianfarini BÜHNENBILD­ ASSISTENZ Vanessa Gerotto KOSTÜMASSISTENZ Rose-Liliane Gut

JULIETTE Regula Mühlemann ROMÉO Diego Silva MERCUTIO Bernt Ola Volungholen STÉPHANO Abigail Levis GRAF CAPULET Jason Cox FRÈRE LAURENT Vuyani Mlinde TYBALT Robert Maszl GRAF PÂRIS Flurin Caduff GERTRUDE Sarah Alexandra Hudarew GRÉGORIO Martin Roth BENVOLIO Kihun Koh

CHOR DES LT Marco Bappert Kyung-Bin Duay-Joo Agnes Fillenz Wieslaw Grajkowski Kasane Iwasaki (Gast) Efstathios Karagiorgos Ivo Kazarow Kihun Koh Robert Hyunghoon Lee Judith Machinek Sofía Pollak Eeva Saarenpää (Gast) Chiharu Sato Miriam Timme Peter Wigger Koichi Yoshitomi EXTRACHOR DES LT Horst Batschkus Andrew Davis Gerhard Durrer Louis Fedier Bettina Günther Ephanie Koch Damian Strässle Julianna Wetzel LUZERNER SINFO­ NIEORCHESTER STATISTERIE DES LT Gabi Faye-Achermann, Ronja Bucheli, Max Rüfle, Jan Kirschner, Rita Mäder-Kempf, Ursula Reich, Richard Wahl

Herzlichen Dank an die Journalistin Gabriela Kaegi, die mit dem «KaegiTicker» die Produk­ tion begleitet und auf unserer Website im Journal dokumen­ tiert hat.


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Roméo et Juliette

Bühne  ←

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Handlung PROLOG

II. AKT

Der Chor erzählt die Geschichte von Roméo Montaigus und Juliette Capulets Liebe und Tod.

Noch in der gleichen Nacht verbringen Roméo und Juliette heimlich ein erstes Rendez-vous miteinander. Juliette bittet Roméo, sie zu heiraten, wenn er es ernst mit ihr meine. Während­ dessen sind die Capulets auf der Suche nach den Eindringlingen der Montaigus. Juliettes Amme Gertrude lenkt sie ab, damit die beiden Lieben­ den unentdeckt bleiben.

I. AKT

Capulet veranstaltet einen Maskenball zu Ehren des Geburtstages seiner Tochter Juliette, deren Schönheit von allen gepriesen wird. Juliette jedoch hat die Bewunderung satt und ärgert die anwesenden Gäste. Auch mit ihrem Verehrer Pâris mag sie nicht tan­ zen. Wenig später kommen Roméo, Mercutio und Stéphano aus dem Haus der Montaigus auf dem Fest an. Roméo ist ängstlich und vorsichtig, doch Mercutio und Stéphano sind in Feier­ laune und ziehen ihn auf. Als Roméo und Juliette sich begegnen, verlieben sie sich Hals über Kopf ineinander und nähern sich einander scheu an, ohne zu wissen, wer der / die andere ist. Juliettes Cousin Tybalt, der selbst in Juliette verliebt ist, erkennt Roméo an dessen Stimme und entlarvt ihn als einen Montaigu. Doch Capulet möchte sein Fest nicht gestört wissen und versucht die Gäste abzulenken. Vor aller Augen küsst Juliette Roméo und verlässt mit ihm die Party. Auch Mercutio und Stéphano gelingt es zu fliehen, bevor die Situation eskaliert.

III. AKT

Frère Laurent, ein den beiden Familien vertrauter Geistlicher, vermählt die beiden Liebenden auf deren Bitten hin. Er hofft, durch diese Verbindung endlich Frieden zwischen den verfein­ deten Häusern zu stiften. Roméos Freund Stéphano zieht mit einem Spottlied und seinem respektlo­ sen Verhalten den Zorn der Capulets auf sich, worauf er von Tybalt, Grégorio und anderen Capulets angegriffen wird. Mercutio greift ein und kämpft mit Tybalt. Roméo versucht den Streit zu schlichten, worauf Mercutio von Tybalt hinterhältig erschossen wird. Daraufhin verliert Roméo den Kopf und ersticht Tybalt im Kampf.


5 IV. AKT

Bevor er flieht, besucht Roméo Juliette, die ihm den tödlichen Kampf mit ihrem Cousin verzeiht. Die beiden verbringen ihre gemeinsame Hochzeits­ nacht. Doch schon bald kündigt die Lerche den Tag an und Roméo muss gehen. Capulet drängt auf eine Heirat Juliettes mit Pâris. Diese Vermählung war der letzte Wunsch Tybalts und muss deshalb erfüllt werden. Verzwei­ felt über den Entschluss des Vaters bittet Juliette Frère Laurent um Hilfe. Dieser gibt ihr ein Schlafmittel, mit dem sie in einen todähnlichen Schlaf fallen wird. Nach dem Erwachen soll sie so unbemerkt mit Roméo fliehen können. Ermutigt vom Gedanken an Roméos Liebe trinkt Juliette den Trank. Als Capulet und Pâris Juliette vor den Altar führen, bricht diese (schein­ bar) tot zusammen. V. AKT

Gertrude und Frère Laurent warten auf Roméo, um ihm mitzuteilen, dass Juliette nicht wirklich tot ist, verpassen ihn jedoch, da sie einen Besuch Capulets bei Juliette und somit ein Zusammentreffen mit Roméo verhindern müssen. Als Roméo zur Gruft kommt, glaubt er, seine tote Geliebte

zu finden. Nach einer letzten Umar­ mung trinkt auch er ein tödliches Gift. In diesem Augenblick erwacht Juliette. Gerade als die beiden be­ schliessen zu fliehen, bricht Roméo zusammen. Als Juliette bewusst wird, dass Roméo stirbt, ersticht sie sich. Vor dem Tod bitten die beiden Gott um Vergebung.




Ein Mythos, wiederbelebt Von Pyramus und Thisbe über Leila und Madschnun bis zu Tristan und Isolde. Der Topos der verbotenen, be­ dingungslosen, oftmals tödlich en­ denden Liebe ist so alt wie die Menschheit selbst. Doch keiner hat ihn so präzise und dicht in Worte gefasst wie William Shakespeare in seiner Tra­ gödie «Romeo and Juliet». Tausend­ mal gespielt, tausendmal adaptiert. Gottfried Keller verlegte die Geschich­ te in die Schweiz des 19. Jahrhunderts und verlieh ihr einen Hauch von schweizerisch-bürgerlichem Pragmatis­ mus. Wer hat als Teenager bei dieser Pflichtlektüre in Schweizer Schulen nicht mit Sali und Vrenchen gelitten? Im 19. Jahrhundert gab es auch in der Musik eine besondere Fokussierung auf den Stoff, gerade durch die gros­ sen Romantiker: Berlioz, Tschaikowsky, Massenet, Gounod. Anfang des dar­ auffolgenden Jahrhunderts liess Prokofjew im berühmten «Tanz der Ritter» die Capulets tanzen und Leonard Bernstein versetzte die Story ins New York der 1950er Jahre. Und spätestens seit sich Leonardo di Caprio und Claire Danes 1996 mit Blicken durchs Aquarium verliebten und Tybalt und Mercutio in Verona Beach um sich ballerten, ist «The greatest love story the world has ever known» auch in der Popkultur angekommen.

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Dass eine Aktualisierung des Stoffes die Kreativität von Regisseuren auch nach mehr als 400 Jahren noch anregt und herausfordert, zeigt ein Blick auf unser Haus: Am Luzerner Theater wurde die Geschichte in den vergan­ genen zwölf Jahren viermal gespielt: einmal mit Prokofjews Ballettmusik im Tanz ( 2012 ), zweimal als Schauspiel ( 2006 und 2017 ) und nun erstmals auch als Oper, in der Version von Charles Gounod. Entstanden zwischen 1867 und 1888 in Paris, hatten Gounods Libret­ tisten Jules Barbier und Michel Carré die nicht ganz einfache Aufgabe, das elisabethanische Theaterstück an die französischen Opern-Konventionen ihrer Zeit anzupassen. Im Libretto finden sich dabei vor allem zwei Auffäl­ ligkeiten: Zum einen eine Konzentra­ tion auf die vielen und ausführlichen Duette von Roméo und Juliette mit einer grossen sprachlichen Nähe zur Vorlage: Die Metapher etwa von der Lerche, die unerbittlich den Tag an­ kündigt, und der Nachtigall, die dem Paar den Schutz der dunklen Nacht verspricht, haben Barbier und Carré für das Liebesduett der Hochzeits­ nacht direkt von Shakespeare übernommen. Zweitens tritt eine starke Ge­ wichtung der Religion hervor. Gounod komponiert zum Beispiel einen kirch­ lichen Trauungsgottesdienst von


9 Roméo und Juliette, der bei Shakespeare nur angedeutet wird. Auch die schei­ ternde Zwangsheirat von Juliette mit Pâris, die in einer zweiten Hochzeits­ szene im IV. Akt mündet, wurde neu hinzugefügt und von Gounod mit einem Orgeleinzug auch kirchenmusi­ kalisch in Klänge umgesetzt. Der Höhepunkt dieser religiösen Ausrich­ tung zeigt sich im V. Akt. Mit ihren letzten Worten «Seigneur, pardonneznous» bittet das junge Paar Gott um Vergebung für ihren Doppelselbstmord. Dies hat sicher auch mit Gounods persönlicher Biografie zu tun, studierte er als junger Mann doch für fünf Monate am Karmeliterseminar SaintSulpice in Paris und liebäugelte sogar damit, Priester zu werden. Die so gesetzten Schwerpunkte sagen dabei nicht nur etwas über die Biografie des Urhebers aus, sondern auch über die Gesellschaft und die Zeit, in die er die Erzählung hineingetragen hat. Für eine heutige Operninszenie­ rung mag man sich fragen: Ist es über­ haupt möglich, dass der Hass so tief sitzt, dass eine Liebe undenkbar wird? Doch Gründe sind schnell gefunden: unterschiedliche religiöse Zugehörig­ keiten, politische Ansichten oder kul­ turelle Identitäten etwa. Doch manch­ mal muss ein Konflikt gar nicht so konkret und Schwarz-Weiss sein,

sondern kann sich auch in gesamtge­ sellschaftlichen Zusammenhängen wie sozialen Erwartungshaltungen oder dem Wandel von Werten und Priori­ täten mit und zwischen den Generati­ onen abspielen. Letzteres Spannungs­ feld öffnet Regisseur Vincent Huguet in seiner Inszenierung für Luzern. Roméo und Juliette finden sich wieder in einer überalterten Gesellschaft, deren starres Wertesystem von Toten diktiert wird und so weit geht, dass der Tod die einzige Möglichkeit ist, gehört zu werden. Zur Rezeption und Aktualisierung des Stoffes resümierte Gottfried Keller zu Beginn seiner Novelle «Romeo und Julia auf dem Dorfe» schon vor fast 150 Jahren: «Diese Geschichte zu erzählen würde eine müssige Nach­ ahmung sein, wenn sie nicht auf einem wirklichen Vorfall beruhte, zum Be­ weise, wie tief im Menschenleben jede jener Fabeln wurzelt, auf welche die grossen alten Werke gebaut sind. Die Zahl solcher Fabeln ist mässig; aber stets treten sie in neuem Gewande wieder in Erscheinung und zwingen alsdann die Hand, sie festzuhalten.» Festhalten aber zugleich neubeleben wollen wir die Geschichte nun auch hier und jetzt auf der Bühne des Luzerner Theaters.


«Ja, beim Erwachen, werd ich da nicht irr, Umringt von all den schauerlichen Greueln, Und spiel im Wahn mit meiner Väter Knochen, Reiss den zerfleischten Tybalt aus dem Hemd, Zerschlag im Rausch mein wahnwitziges Hirn Mit irgendeines Ahnherrn Schenkelbein? Da schau! Mir ist, ich seh schon Tybalts Geist, Wie er nach Romeo sucht, der ihm den Leib Mit dem Rapier durchbohrt hat. Tybalt, steh! Romeo, Romeo, Romeo. Zum Wohl. Ich trinke dir zu.»

→ Julia, IV. Akt, 3. Szene



Sterben um zu leben Regisseur Vincent Huguet im Gespräch mit Dramaturgin Rebekka Meyer. Rebekka Meyer — Shakespeares

«Romeo und Julia» ist wohl einer der ganz wenigen Klassiker, den jeder kennt. Wie erzählt man eine solche Geschichte neu? Vincent Huguet — «Romeo und Julia» ist ein Mythos! Es enthält so viele zeitlose und universelle Aspekte. Im Besonderen interessieren mich dabei die Themen erste Liebe und Selbst­ mord. Selbst wenn Psychologen und Soziologen erklären können, weshalb sich Jugendliche umbringen, den betroffenen Familien bleibt er nicht nachvollziehbar. Ich will die Ge­ schichte einer ersten grossen Liebe erzählen. Wir wissen alle, dass diese Liebe etwas ganz Besonderes ist. Man glaubt wirklich, dass man das ganze Leben mit dieser Person zusammen verbringen wird, bei der zweiten Liebe sieht das schon anders aus. Für Romeo und Julia hingegen ist es das erste und letzte Mal. Ein wichtiger Gesichtspunkt, auch in Bezug auf den Suizid von Jugendlichen: Ohne Erfahrung ist man viel zerbrechlicher, man hatte noch keine Gelegenheit, sich einen Panzer zuzulegen, wie ihn viele Erwachsene haben. Die beiden Ju­ gendlichen leben in einer Gesellschaft,

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in der sich alle emotional, aber auch mithilfe von Tradition, Gesetz und Religion gepanzert haben. Schlimmer noch: in der die Blindheit herrscht, es so und nicht anders tun zu müssen. Eine Gesellschaft, in der die Antwort auf die Frage «Weshalb?» «Deshalb!» ist. Romeo und Julia sind in ihrer Unschuld und Zerbrechlichkeit ganz nackt. Und wir als Publikum müssen diese Unschuld wiederfinden. Wir werden aufgefordert, den Panzer abzu­ legen und nachzuspüren, wie wir uns mit sechzehn gefühlt haben. RM — Ist dieses «Weshalb?» – «Des­

halb!» der Grund, wieso sich der zentrale Konflikt in der Inszenierung nicht zwischen den zwei Familien der Montagues und der Capulets, sondern zwischen den Generationen abspielt? VH — Genau. Vielleicht gab es diesen Konflikt schon immer, aber heutzu­ tage ist er spürbarer. Als ich in Paris einmal vom Flughafen in die Stadt fuhr, habe ich vom Zug aus viele Graf­ fitis gesehen, die eben nicht schön sein sollen. Durch die Farben und die Grafik besitzen sie jedoch einen star­ ken Ausdruck, den die Jugendlichen bewusst wählen. Gleichzeitig gehen wir heutzutage ins Museum, wie man früher in die Kirche ging. Noch nie war die Gesellschaft so kulturell in­ teressiert und gebildet wie unsere


13 heutige. Einerseits ist das eine Chance, andererseits engt es ein: Es fühlt sich an wie in einem fantastischen Haus mit vielen schönen Kunstwerken und Menschen, die alles über Kunst-, Musikund Filmgeschichte wissen, dabei aber keinen Platz für anderes, neues Ge­ dankengut lassen. Romeo und Mercutio bringen genau dieses Andere, das Julia braucht, in das Haus der Capulets mit. Für mich ist das die Essenz von «Romeo und Julia». Es ist ein Stück, das so sehr Teil des kulturellen Erbes ist, dass es selbst zum Museum zu werden droht. Aber in einem Museum muss man immer die Möglichkeit haben, einen anderen Standpunkt ein­ zunehmen, die Bilder nicht nur frontal zu betrachten. Ich versuche, diese Geschichte zu drehen und zu zeigen, dass Romeo und Julia zwei Personen sind, die in totaler Dunkelheit nach Licht suchen und sich als Gleichge­ sinnte erkennen. Bei Gounod ist der Entscheid Julias, anders als bei Shakespeare, ganz plötzlich und ext­ rem: Romeo und kein Anderer. Man sagt immer, die Liebe von Romeo und Julia sei romantisch, das heisst aber auch, dass sie gewalttätig und kom­ promisslos ist. In allen Kulturen gibt es Strategien, um Aggressivität oder Gewalt zu kanalisieren. Im antiken Griechenland etwa gab es einen tra­ ditionellen Initiationsritus, dem zufolge alle Männer nach ihrem 17.

Geburtstag für ein Jahr im Wald leben mussten. RM — Durchleben Romeo und Julia

bei Gounod auch eine solche Initiation? VH — Allerdings! Die beiden durch­ leben – und das ist einzigartig – eine Initiation, die von ihnen selbst ausgeht, ohne Erwachsene oder Autoritäten: Sie bringen sich gegenseitig etwas bei, lernen gemeinsam erst die Liebe kennen und dann den Tod. Es ist ein Stück, das uns nach unserer eigenen Angst vor dem Tod, aber auch der Lust zu Sterben befragt. Die Jungen wol­ len sterben, die überalterte Gesellschaft will um jeden Preis jung bleiben. RM — Eine umgekehrte Gesellschaft

also?

VH — Unsere Gesellschaft in den eu­ ropäischen Ländern heutzutage funk­ tioniert so. Es gibt mehr alte als junge Leute. Das ist ein Problem für die Wirtschaft, für das Rentensystem. Soziologen haben erforscht, wie die ältere Generation heutzutage zuneh­ mend auf Kosten der jüngeren lebt: Die Wohnungen sind dreimal so teuer wie vor 20 Jahren. Dieses Geld geht an die Älteren, da sie die Wohnungen besitzen. In meiner Inszenierung sau­ gen die Alten das Blut der Jungen ge­ radezu wie Vampire: Sie brauchen


14 die Jugend, die sie unterhält, sich um sie kümmert, ihre Rente bezahlt, auf der anderen Seite lassen sie sie nicht leben. Deshalb haben Romeo und Julia auch keine Wahl. Es gibt keinen Ausweg. Auch nicht auf der Bühne, wie sie Aurélie Maestre konzipiert hat: als klaustrophobischen Raum ohne Ausgang. RM — Das Herzstück der Oper sind

die vier Duette zwischen den beiden Protagonisten, durch die das Stück auch ein sehr intimes, fast privates wird. VH — «Roméo et Juliette» ist eigent­ lich ein einziges langes Liebesduett. Die Duette sind wunderschön, auch sängerisch, für mich als Regisseur aber zugleich ein Risiko, denn es be­ steht die Gefahr, dass der Abend dadurch etwas gleichförmig wird. Man muss die Entwicklung der Musik und der Figuren zeigen. Romeo und Julia gehen gemeinsam einen langen Weg. Aus szenischer Sicht bedeutet das, dass man jedes Duett neu denken und für die Sängerin und den Sänger körperlich erfinden muss. Hier in Luzern habe ich das Glück mit Regula Mühlemann und Diego Silva in den Titelrollen – und damit zwei sehr jun­ gen Darstellern – arbeiten zu dürfen. RM — Bei Shakespeare gibt es einen

unglaublichen Witz, gerade in der

Sprache, der im Libretto von Jules Barbier und Michel Carré ein bisschen verloren geht, auf der Bühne aber wieder aufblüht. Wie verbindet sich diese Tragödie der Tragödien mit Humor? VH — Ich habe mich viel mit Shake­ speare beschäftigt, unter anderem weil ich mit Patrice Chéreau «As you like it» machen sollte. Der französische Autor und Übersetzer Yves Bonnefoy hat uns dabei gezeigt, dass es bei Shakespeare in jedem Satz einen Witz oder eine sexuelle Anspielung gibt, jedes Wort eine Doppelbödigkeit be­ sitzt, weshalb es auch so schwer zu übersetzen ist. Bei Shakespeare besitzt das Tragische immer eine gewisse Leichtigkeit, die alles sehr menschlich macht. Ich möchte zeigen, dass die Geschichte in einer alternden Gesell­ schaft spielt, die das Leben und die schönen Dinge liebt: Sex, Trinken, Es­ sen, Drogen. Die Menschen darin sind nicht deprimiert, sondern lebens­ lustig. Trotzdem wollen sie die Nach­ folgenden nicht nach ihrer Façon leben lassen. RM — In der Oper bleibt das Ende of­ fen: Es ist nicht klar, ob es die Ver­ söhnung gibt, die Frère Laurent sich gewünscht hat. Ist der Tod Lösung oder Katastrophe?


15 VH — Der Tod ist für Romeo und Julia die einzige Möglichkeit, Macht zu erhalten und frei zu sein. Der Kern meines Konzeptes liegt in dem einen Satz, den Capulet im IV. Akt zu seiner Tochter sagt: «Nous devons respecter la volonté des morts» – «Wir müssen den Willen der Toten respektieren». Was heisst es für eine Gesellschaft, wenn die Toten über das Leben be­ stimmen? Man tut Dinge, die die El­ tern so wollten, diese wiederum weil es die Grosseltern wünschten. Und plötzlich lebt man nur noch so, wie man es dem toten Grossvater versprochen hat. Es ist eine Rache der Toten: Es ist furchtbar, die Erde verlassen zu müssen und deshalb rächen sie sich, indem sie weiterhin Dinge fordern. Man akzeptiert nicht, dass man nach dem Tod loslassen muss. So bleibt das Sterben in dieser Gesellschaft der einzige Weg, etwas zu bewirken.



«Ein Quentchen Gift, ein Zeug, das blitzschnell wirkt Und sich auf alle Adern gleich verteilt, Damit der Lebensmüde umfällt wie ein Baum Und aller Atem aus dem Körper jagt Wie Pulverdämpfe wild, wenn Feuer durch Den Bauch aufbrüllender Kanonen schiesst.»

→ Romeo, V. Akt, 1. Szene



Biografien REGULA MÜHLEMANN

studierte Gesang an der Hoch­ schule Luzern. Nach ersten Erfahrungen am LT führten sie Engagements u. a. ans Teatro La Fenice Venedig, ans Opern­ haus Zürich, ans Festspielhaus Baden-Baden sowie an die Salz­ burger Festspiele. In der Spielzeit 17/18 debütierte sie als Susanna («Le nozze di Figaro») am Grand Théâtre de Genève, als Blonde («Die Entführung aus dem Serail») am Teatro San Carlo in Neapel sowie als Rosina («La finta semplice») in Birmingham und London. 18/19 kehrt sie als Juliette ans Luzerner The­ ater zurück. DIEGO SILVA

stammt aus Mexiko und studierte an der Academy of Vocal Arts in Philadelphia. Er gewann zahl­ reiche Preise und wirkte an Produktionen u. a. in Paris, Me­ xico City, Biel und Wien mit. In der Spielzeit 16/17 debütierte er als Tybalt in «Roméo et Juliette» an der MET in New York. Am LT wirkte er als Gast u. a. als Duca in «Rigoletto», Alfredo in «La Traviata» und Tamino in «Die Zauberflöte». 18/19 kehrt er als Titelfigur in «Roméo et Juliette» und als Alfredo ans LT zurück. BERNT OLA VOLUNGHOLEN

studierte Gesang mit Schwerpunkt Oper an der Norwegischen Mu­ sikakademie und der Royal Opera Academy in Kopenhagen. Er debütierte als Papageno an der Norwegischen Nationaloper

in Oslo. Am LT verkörperte er bereits u. a. Marullo («Rigoletto»), Papageno («Die Zauberflöte») und Lescaut («Manon»). In der Spielzeit 18/19 kehrt er als Mercutio in «Roméo et Juliette» ans LT zurück. ABIGAIL LEVIS

gab ihr Bühnendebüt am Alde­ burgh Festival als Ottavia in Monteverdis «L’incoronazione di Poppea». Weitere Engage­ ments führten sie an die Utah Opera sowie ans Lakes Area Music Festival. 16/17 war sie Sti­ pendiatin der Deutschen Oper Berlin und u. a. in der Titelrolle in «Dido and Aeneas» sowie Siébel in «Faust» zu erleben. Am LT ist sie ab der Spielzeit 18/19 festes Ensemblemitglied und als nächstes in der Rolle des Orfeo in «Tanz 30: Orfeo ed Euridice» zu hören. JASON COX

wurde an der Manhattan School of Music als Bariton ausgebildet. Er war Mitglied des Opernstudios «OperAvenir» am Theater Basel und gastierte am Theater Magdeburg, Theater Bremen und Salzburger Landestheater. Seit der Spielzeit 16/17 ist er festes Ensemblemitglied des LT. In der aktuellen Spielzeit ist er als nächstes in der Titelrolle von «Don Giovanni» zu erleben. VUYANI MLINDE

absolvierte sein Gesangsstudium an der Free State Musicon in Südafrika und am Royal College of Music in London. Von 10/11

19 bis 15/16 war er festes Mitglied des Opernensembles der Oper Frank­ furt. Ausserdem trat er u. a. beim Edinburgh International Festival, am Opernhaus von Oviedo, an der Cincinnati Opera, der Houston Grand Opera und in der Carnegie Hall New York auf. Zur Spielzeit 16/17 wechselte er ans LT. In der Spielzeit 18/19 tritt er u. a. in «Roméo et Juliette» und «Don Giovanni» auf. ROBERT MASZL

studierte am Konservatorium in Wien. Seit der Spielzeit 09/10 gehört er fest zum Ensemble des LT. Zuvor sammelte er Bühnen­ erfahrung u. a. an der Wiener Volksoper und der Burgarena Reinsberg. Am LT sang er bereits Rollen von Eurimaco /  Iro in «Il ritorno d’Ulisse in Patria» über Monastatos in «Die Zauberflöte» bis zu Dr. Blind in «Die Fledermaus». In dieser Spielzeit war er bereits «Im Amt für Todesangelegenheiten» zu hören. FLURIN CADUFF

studierte Gesang bei Armin Caduff und Hilde Zadek sowie Musiktheorie an der Musikaka­ demie St. Gallen. Von 2007 bis 2016 gehörte Flurin Caduff zum Ensemble des LT, wo er unter anderem die Titelpartie in «Don Pasquale», Schaunard in «La Bohème», Alidoro in «La Cenerentola» sowie Oroveso in «Norma» sang. In der Spielzeit 18/19 gastiert er am LT als Graf Pâris in «Roméo et Juliette».


20 SARAH ALEXANDRA HUDAREW

absolvierte ihr Gesangsstudium bei Prof. Marga Schiml an der Hochschule für Musik Karlsruhe. In der Spielzeit 10/11 wurde sie ins Opernstudio des Badischen Staatstheaters Karlsruhe aufge­ nommen und war von 2011 – 2013 dort als Solistin engagiert. Seit 16/17 gehört sie zum Ensemble des LT, wo sie u. a. Rosette in «Manon» und Mrs. Quickly in «Falstaff» sang. In der Spielzeit 18/19 kann man sie in «Kinder­ totenlieder», «Roméo et Juliette» und «La traviata» erleben. MARTIN ROTH

ist Bariton und absolvierte den Bachelor of Arts und den Perfor­ mance Master an der Musik­ hochschule Luzern. Aktuell stu­ diert er im Master of Arts in Music Pedagogy an der Zürcher Hochschule der Künste. Neben regelmässigen Engagements als Solist in Messen und Oratorien wirkte er bei mehreren Opern­ projekten mit, zum Beispiel bei der Opernbühne Opernhausen als Villotto in Haydns «La vera costanza». Er ist Preisträger des Migros-Kulturprozent GesangsWettbewerbs 2017. CLEMENS HEIL

ist seit 16/17 Musikdirektor am LT und dirigierte hier u. a. «Prometeo», «Die Zauberflöte», «Falstaff» und «Le Grand Ma­ cabre». Er studierte Klavier und Dirigieren an den Hochschulen Stuttgart und Freiburg. Am The­ ater Bremen war er seit 2012

Erster Kapellmeister und leitete dort zahlreiche Neuproduktio­ nen. Engagements führten ihn an das Staatstheater Mainz, die Staatsopern Stuttgart und Han­ nover sowie zu zahlreichen Orchestern in Europa. VINCENT HUGUET

begann seine langjährige Zusam­ menarbeit als Assistent, Spiel­ leiter und Dramaturg von Regis­ seur Patrice Chéreau nach einer Karriere als Kunstkritiker und im Verlagswesen. Vincent Huguet inszenierte u. a. an der Opéra National de Bordeaux (Offenbachs «La Vie parisienne» mit Marc Minkowski, 2017 ), am Stadttheater Klagenfurt (Massenets «Werther», 2017 ) sowie am Festival d’Aixen-Provence (Purcells «Dido und Aeneas», 2018 ). AURÉLIE MAESTRE

studierte Bildhauerei an der Uni­ versité de Provence und Szeno­ graphie in Paris. Als freischaffende Bühnenbildnerin kreiert sie seit 2001 zahlreiche Bühnenbilder für Schauspiel- und Opernprodukti­ onen. Mit dem Regisseur Vincent Huguet verbindet sie eine lang­ jährige Zusammenarbeit. So entwarf sie die Bühnenbilder für u. a. seine Inszenierungen von Offenbachs «La vie parisienne» an der Opéra National de Bordeaux, Massenets «Werther» am Stadttheater Klagenfurt sowie Purcells «Dido und Aeneas» am Festival d’Aix-en-Provence.

CLÉMENCE PERNOUD

studierte Kostümbild an der École supérieure des arts et technique de la mode in Paris. Sie gestaltet regelmässig Kostüme für Opern­ produktionen, Projekte der Pari­ ser Filmhochschule La Fémis sowie verschiedene Kurzfilme. Mit dem Regisseur Vincent Huguet hat sie bereits bei zahlreichen Opernproduktionen zusammenge­ arbeitet, u. a. bei «Les Voyages de Don Quichotte» (Ravel /  Strauss / de Falla / Massenet) und Offenbachs «La vie parisienne» an der Opéra National de Bordeaux sowie Massenets «Werther» am Stadttheater Klagenfurt. BERTRAND COUDERC

arbeitet seit seinem Diplom an der École Nationale Supérieure des Arts et Techniques du Théâtre in Paris weltweit und mit zahlrei­ chen Regisseuren als Lichtdesigner für Schauspiel und Oper. Für Patrice Chéreau entwarf er das Licht für Produktionen an der Opéra national de Paris, der Mailänder Scala, bei den Wiener Festwochen, der MET und der Berliner Staatsoper. Weitere Engagements führten ihn u. a. an die Salzburger Festspiele (mit Luc Bondy) sowie ans Teatro Real in Madrid.



MITTENDRIN  – AUCH SIE?! Jetzt Mitglied werden: www.luzernertheater.ch/freunde


Engagiert aus Überzeugung JTI ist global tätig – und lokal verankert. Wir sind stolz auf unsere international bekannten Marken, die wir in Dagmersellen produzieren. Als Herstellerin von Tabakprodukten sind wir uns unserer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft bewusst. Deshalb engagieren wir uns aktiv und unterstützen die Kunst- und Kulturszene in der Zentralschweiz. Wir sind stolz, Partner des Luzerner Theaters zu sein.

Weil Kultur verbindet.

Weitere Informationen finden Sie unter jti.com/switzerland


© Priska Ketterer/LUCERNE FESTIVAL

CEL E B R AT E C LAS S I CA L MUS I C OSTER-FESTIVAL 6. – 14. April 2019 SOMMER-FESTIVAL 16. August – 15. September 2019 PIANO-FESTIVAL 16. November – 24. November 2019

Info: lucernefestival.ch



TEXTNACHWEISE

IMPRESSUM

Alle Texte sind Originalbeiträge für dieses Heft und stammen von Rebekka Meyer. Das Interview mit Vincent Huguet führte ebenfalls Rebekka Meyer. Die Zitate aus Shakespeares «Romeo and Juliet» auf S. 10 und 17 stammen aus: William Shakespeare: Romeo und Julia. Zweisprachige Ausgabe, neu übersetzt und mit Anmerkun­ gen versehen von Frank Günther, Cadolzburg 2000.

Herausgeber: Luzerner Theater Theaterstrasse 2, 6003 Luzern www.luzernertheater.ch

BILDNACHWEISE

S. 6/7: S. 11: S. 16: S. 18: S. 21: Umschlag aussen:

Regula Mühlemann Regula Mühlemann Diego Silva Bernt Ola Volungho­ len, Abigail Levis Regula Mühlemann, Jason Cox

Spielzeit 18/19 Intendant: Benedikt von Peter Verwaltungsdirektor: Adrian Balmer Operndirektorin: Johanna Wall Redaktion: Rebekka Meyer Gestaltung: Studio Feixen Druck: Engelberger Druck AG Diese Drucksache ist nachhaltig und klimaneutral produziert nach den Richtlinien von FSC und Climate-Partner.

Diego Silva, Regula Mühlemann

Ingo Höhn fotografierte die Klavierhauptprobe am 18. Oktober 2018.

TECHNISCHER STAB

Technischer Direktor: Peter Klemm, Technischer Leiter: Julius Hahn, Produktionsassistentin: Marielle Studer, Produktionsleiter: Roland Glück, Bühnenmeister: Dominic Pfäffli, Chefrequisiteurin: Melanie Dahmer, Requisite: Nicole Küttel, Simone Fröbel, Leiter Beleuchtungsabteilung und Beleuchtungsmeister: David Hedinger-Wohnlich, Beleuchtungsmeister: Marc Hostettler, Leiterin Ton- und Videoabteilung: Rebecca Stofer, Tontechniker: Gérard Gisler, Leiter Probenbühnen: Thomas Künzel, Transporte: Ido van Oostveen, Hamzi Gashi, Dobrica Vasovic, Chefmaskenbildnerin: Lena Mandler, Leiterin Kostümabteilung: Ulrike Scheiderer, Gewandmeisterin Damen: Hanni Rüttimann, Gewandmeisterin Herren: Andrea Pillen, Kostümmalerin: Camilla Villforth, Leiterin Ankleidedienst: Monika Malagoli, Fundusverwalterin: Rhea Willimann, Werkstättenleiter: Marco Brehme, Leiterin Malersaal: Brigitte Schlunegger, Schlosser: Nicola Mazza, Leiter Schreinerei: Tobias Papst, Tapezierer: Alfred Thoma, Leiter Statisterie: Sergio Arfini


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