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Journal

Sonnabend/Sonntag, 10./11. Februar 2018

MOZ

„Mein Brecht“

Vor 120 Jahren, am 10. Februar 1898, wurde in Augsburg einer der einflussreichsten deutschen Dramatiker, Librettisten und Lyriker des 20. Jahrhunderts geboren. Wir haben Künstler und Wissenschaftler, die sich mit ihm beschäftigen, danach gefragt, wie sie ihn für sich entdeckt haben – und was sie persönlich mit seinem Werk verbindet / Zusammengetragen von Stephanie Lubasch Thomas Thieme, Schauspieler Foto: SWR

Tino Eisbrenner, Musiker Foto: promo

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ertolt Brecht hat mein Schauspielerleben ganz wesentlich geprägt. Ich komme ja von der Staatlichen Schauspielschule in Ost-Berlin, der heutigen „Ernst Busch“. Dort lief alles im Geiste Brechts, und wir waren streng an seinem Verfremdungseffekt trainiert. Wenn man jedoch streng nach einer bestimmten Methode ausgebildet wurde, wirft man das anschließend erst einmal weg. Nach der Schule haben mich eher US-amerikanische Filme, Schauspieler wie Marlon Brando, geprägt. Das fand ich geiler, sinnlicher. Letztlich habe ich dann versucht, beide Methoden – also das Method Acting nach Lee Strasberg und Brecht – zusammen zu kriegen. Daraus ist meine eigene Methode entstanden: Mit der trockenen, intelligenten Art, die die Brecht’sche ist, lese ich den Text – um ihn dann nach der Art Strasbergs zu spielen. In diesem Jahr werde ich 70. Wenn es objektiv zuginge, würde Brecht ewig überleben. Aber wenn ich sehe, was mit unserer Sprache passiert, denke ich, dass Brecht in 50 Jahren weg ist. Da versteht ihn in seiner Dialektik keiner mehr. Sätze wie „Was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank“. In unseren alltäglichen Gesprächen findet so was nicht mehr statt. Von Klassik wird ja nur noch in der Schule geredet. Selbst Leute wie Heiner Müller, Einar Schleef – deren Bücher sind wie mit Stacheldraht umwickelt. Sie sind schon fast vergessen. Ein Schicksal, das Brecht auch droht. Aber es wäre ein großer Verlust. Thomas Thieme („Kundschafter des Friedens“, „Das Leben der Anderen“) tourt seit mehreren Jahren mit den BrechtProgrammen „Baal“ und „Das Leben des Galilei“ durch Deutschland.

Oliver Reese, BE-Intendant Foto: Jonas Holthaus

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ein Brecht“ geht zurück auf meine Zeit als Jugendlicher im westfälischen, kunstfernen Elternhaus – im Radio hatte ich Probenmitschnitte seiner Arbeit am „Kaukasischen Kreidekreis“ auf Kassette aufgenommen, die Auseinandersetzungen der beiden extrem unterschiedlichen Stimmen – dem scharfen, ironischen Schauspielerton des Ernst Busch gegenüber dem weichen, liebevoll beschreibenden Regisseur Brecht – hat mich hoch fasziniert. Diese Aufnahmen waren wohl eine der ersten Berührungen, die ich als Schüler mit dem Theater überhaupt hatte. Sie haben mich unheimlich neugierig gemacht – und den Tonfall habe ich bis heute akkurat im Ohr. 40 Jahre später haben wir dann meine Intendanz am Berliner Ensemble, Brechts früherem Theater, tatsächlich unter anderem mit dem „Kaukasischen Kreidekreis“ eröffnet. Die Probenmitschnitte kann man in unserem Foyer anhören … Der Theaterregisseur, Dramaturg und Autor Oliver Reese ist seit dieser Spielzeit Intendant des Berliner Ensembles.

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Gern auch mit Zigarre: Bertolt Brecht (1898–1956). Zu den 48 Dramen, die er verfasste, gehören die „Dreigroschenoper“, „Die Mutter“, „Leben des Galilei“, „Der gute Mensch von Sezuan“ und „Mutter Courage und ihre Kinder“. Daneben verfasste er Prosa, Hörspiele und Gedichte wie die „Buckower Elegien“ und setzte das von ihm begründete „epische Theater“ um. Foto: dpa/SWR/Bertolt Brecht-Archiv

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ie Kunst als Spiel, die Sprache als Spiel, das Leben als Spiel und als Gesellschaftsspiel das Ich. Wenn Wirklichkeit und Fiktion nicht mehr unterschieden werden oder die Fiktion mit Macht Geltung beansprucht, dann betritt der Unmensch die Bühne – unter den Masken des Ideologen, des Frömmlers, des Dogmatikers, des Priesters, des Trommlers, des Führers als des Verführers. Sie alle haben keine Gesichter mehr. Wie alle Fanatiker kennen sie nur eine Realität, die ihre. Sie verkaufen sie ihren willigen Vollstreckern teuer unterm Label der Echtheit, getarnt im Sonderangebot, als die allgemein gültige Ware, und bitten sie dann an die Urne, frei zu wählen. Urnen sind auch Grabbehälter. Sie kennen keinen Spaß. Ihre einmal erworbene Überzeugung gilt ihnen als Treueschwur. Die Hartnäckigkeit ihrer Versicherung beansprucht Herrschaft, bis kein Gras mehr wächst und das Chaos sich aufgebraucht hat. Es wäre die beste Zeit gewesen.

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Alles ändert sich, folglich gilt: alles braucht Änderung. Das Sichere ist nicht sicher, und noch nicht einmal das ist sicher. So in etwa verstehe ich Brecht und hoffe, missverstanden zu werden. Er wird uns nicht loslassen. Brecht auf! Jan Knopf ist Literaturwissenschaftler und Leiter der Arbeitsstelle Bertolt Brecht am Karlsruher Institut für Technologie. Er hat mehrere Bücher zu Brecht herausgegeben. 2012 erschien bei Hanser seine Biografie „Bertolt Brecht. Lebenskunst in finsteren Zeiten“.

Jan Knopf, Literaturwissenschaftler Foto: dpa

ie vielen Brecht-Texte, ist das riesig fade. Am Abend die ich bis jetzt spre- sagt man: mit mir geht’s nach chen und lesen durfte, oben / und vor es Nacht wird, zeichnen sich stets durch einen liegt man wieder droben. Der besonderen Geist, Witz und Mensch lebt durch den Kopf Pointenreichtum aus. / der Kopf reicht ihm nicht Anmut sparet nicht noch aus / versuch es nur, von deiMühe, Leidenschaft nicht noch Verstand, dass ein gutes Deutschland blühe / wie ein andres gutes Land. Gottseidank geht alles schnell vorüber, auch die Liebe und der Kummer sogar. Wo sind die Tränen von gestern Abend? Wo ist der Schnee vom vergangenen Jahr? Wer hätte nicht gern einmal Recht bekommen / doch die Verhältnisse, sie sind nicht so. Die Welt ist arm, der Mensch ist schlecht da hab’ ich eben leider recht! Thomas Harms, Schauspieler Und das ist eben schade / das Foto: Marlies Kross

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ie ich Brecht für mich entdeckt habe? Das war so: Lange, bevor ich überhaupt den Wunsch hatte, Schauspielerin werden zu wollen, bin ich in der 7. Klasse „auffällig“ geworden. Meine Deutschlehrerin meinte, ich könne sehr gut Gedichte sprechen und empfahl unserer Direktorin, mich künftig in der Aula bei allen großen Anlässen rezitieren zu lassen. Das tat meine Direktorin auch. Ein dem Anlass entsprechendes Gedicht sollte ich mir selbst aussuchen. Den schlau durchdachten Auftrag zu realisieren, erforderte viel Zeit. Ich las Gedichte über Gedichte von Fürnberg, Kuba, Preißler … Endlich sprang ein Funke über – im Bücherregal meines Vater stieß ich auf Brecht-Gedichte. Die knappe Sprache, klar und konkret auf den Punkt gebrachte Gedanken, der listige Humor, der durchschimmerte, die dialektischen Wendungen – das gefiel mir auf Anhieb. Von Stund an rezitierte ich zu jedem Anlass nur noch Brecht-Gedichte. Anlässlich

nem Kopf lebt höchstens eine Laus. Man merkt’s, hier ist zu lang kein Krieg gewesen. Die Menschheit schießt ins Kraut. Ich kann mir keine Texte merken. Neulich hab ich mir doch eine Zeile gemerkt: „We have no Bananas“. Ich bin also optimistisch mit meinem Gedächtnis. So was hätt’ einmal fast die Welt regiert! Die Völker wurden seiner Herr, jedoch dass keiner uns zu früh da triumphiert – der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch! Thomas Harms spielte am Staatstheater Cottbus u.a. den Advokaten in „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ und ist aktuell in „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ als Manuele Giri zu sehen.

dem sie sich nützten, und hatten ihn Also verstanden.“ Ich hatte den Eindruck, diese Gedichtwahl stieß damals nicht bei allen auf Gegenliebe. Meine Liebe zum Dichter Brecht war erwacht. Wenige Zeit später durfte ich am Berliner Ensemble über viele Jahre einige seiner schönsten Frauenrollen spielen. Nach der Maueröffnung veränderte sich die Zusammensetzung des Publikums. Die Zuschauer reagierten an anderen Franziska Troegner, Schauspie- Stellen, als wir es gewohnt walerin Foto: promo ren. Es war nicht zu überhören, wie aktuell der Dichter unter der Einweihung des kolossa- den veränderten gesellschaftlen Lenin-Denkmals am Berli- lichen Verhältnissen geworner Leninplatz (heute Platz der den war. Vereinten Nationen) wählte ich „Die Teppichweber von Kujan- Die Berliner Schauspielerin Bulak ehren Lenin“. Franziska Troegner („Charlie Im Gedicht geht es darum, und die Schokoladenfabrik“) dass in einer kleinen Ortschaft gehörte ab 1976 insgesamt 18 ein vorgesehenes Lenin-Denk- Jahre lang dem Berliner Ensemmal nicht errichtet wird, son- ble an, wo sie Hauptrollen in dern das dafür vorgesehene Brecht-Stücken wie „Mutter CouGeld zur Stechmückenbekämp- rage und ihre Kinder“ (Stumme fung verwendet wird. Das Ge- Kattrin), „Dreigroschenoper“ dicht endet mit dem Satz: „ ...So (Polly Peachum) und „Der kaunützten sie sich, indem sie Le- kasische Kreidekreis“ (Grusche nin ehrten und Ehrten ihn, in- Vachnadze) spielte.

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ft werde ich mit leicht genervten Stimmen konfrontiert, die BB in die Vitrine eines Museums für vergangene, abgelaufene Autoren stellen wollen. Sicher gibt es hie und da den einen oder anderen Staubpartikel, und doch bleibt er heutig, gültig und wahrhaftig. In unterschiedlichsten privaten und gesellschaftlichen Zusammenhängen bleibt festzustellen: Brecht hat Recht. Der Schauspieler Tilo Nest ist seit dieser Saison festes Mitglied des Berliner Ensembles. Als „Azdak“ ist er ebendort unter der Regie von Michael Thalheimer in Brechts „Kaukasischem Kreidekreis“ zu sehen. Zuvor spielte er u. a. in

Tilo Nest, Schauspieler Foto: privat Brechts „Dreigroschenoper“, „Mutter Courage“ und „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“.

enn ich an Brecht denke, fällt mir so viel ein. Schließlich war er es, der mich zu meinem Beruf gebracht hat. Schon in meiner Schulzeit bin ich gern ins Theater gegangen, ins Deutsche Theater und ins Berliner Ensemble, wo ich seine Stücke gesehen habe. Als ich selbst Schauspieler werden wollte, bewarb ich mich an der Leipziger Hochschule mit Szenen aus seinem „Leben des Galilei“ – und wurde genommen. Dummerweise kam ich später vom Weg ab, weil ich Mitglied der Band Jessica wurde. Die nächste Station mit Brecht war für mich dann die Wendezeit: Mit dem kritischen, sehr unangepassten Brecht konnte man in der DDR viel sagen – da konnte sich ja keiner drüber beschweren. In der Nachwendezeit hat er mir dann geholfen, den Kapitalismus zu begreifen. Und als ich ins Alter gekommen bin, wo man sich Gedanken darüber macht, was man an die nächste Generation weitergeben möchte, habe ich festgestellt, dass Brecht in unserem Bildungssystem keine große Rolle mehr spielt. Also wollte ich, obwohl ich ja immer schon Brecht-Programme gemacht habe, ihn sogar in New York präsentieren durfte, mit ihm noch mal in die Offensive gehen, ihn auch wieder in die Schulen bringen. Das Wunderbare an ihm ist ja, dass man immer das Gefühl hat, als habe er die Sachen gerade erst geschrieben. Eines meiner Lieblingszitate von ihm: „Wer A sagt, muss nicht B sagen. Er kann auch sagen, dass A falsch war.“ Der in Rüdersdorf (MärkischOderland) geborene Musiker Tino Eisbrenner hat sich als Brecht/Weill/Eisler-Interpret über die Landesgrenzen hinaus einen Namen gemacht.

Eberhard Görner, Autor und Filmemacher Foto: T. Berger

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u Brecht hatte ich schon immer ein sehr intensives Verhältnis. Schon als Student habe ich seine wunderbaren Stücke am Berliner Ensemble bewundert. Als ich 1991 als Gastprofessor an der University of California Long Beach in Los Angeles weilte, besuchte ich auch die Villa Aurora von Lion Feuchtwanger. Seine Sekretärin zeigte mir die Bank, auf welcher Feuchtwanger und Brecht in ihrem USAExil saßen und darüber nachdachten, ob sie nach dem Sieg über Hitler-Deutschland in ihre Heimat zurückkehren sollen. Wenn man selbst dort sitzt, bekommt man ein Gefühl dafür, was das heißt: Fremder in der Nacht. Als ich am BE zu DDR-Zeiten die „Dreigroschenoper“ von Brecht mit dem grandiosen Wolf Kaiser sah, war das ein Bild einer kapitalistischen Gesellschaft, die für mich historisch weit weg war. Jetzt ist sie wieder Gegenwart. Da kommt man schon ins Grübeln über die Vernunft von Geschichte. Deshalb hält mich die Warnung von Brecht wach: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!“ Der Eberswalder Filmemacher Eberhard Görner lässt sich bis heute von Brecht inspirieren.


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