EINST uNd JETZT or aNIENburg
medien
Frank Mangelsdorf (Hg.)
EINST uND JETZT oraNIENburg
Texte und Fotos: Stefanie Kreutzer Ein besonderer Dank gilt Manuela Vehma und Simone Dawid vom Kreismuseum Oranienburg, dem Stadtarchivar Christian Becker und dem Fotografen Jörg Behring, die mit historischen Fotografien, zahlreichen Informationen und detektivischem Gespür maßgeblich zum Entstehen dieses Buches beigetragen haben. Zudem sei den Autoren der „Bothzowia“-Bände I bis III sowie der Oranienburg-Veröffentlichungen der BIG-Städtebau GmbH und Bodo Becker für sein Buch „Oranienburg – Ein historischer Streifzug“ gedankt.
Historische Aufnahmen: Kreismuseum Oranienburg 6, 10, 14, 22, 38, 58, 60, 70, 72, 74, 78, 82, 86 / Rudolf Behring, Privatarchiv Jörg Behring 12, 24, 28, 34, 42, 48, 50, 62, 66 / Frank Liebke, Archiv Oranienburger Generalanzeiger 8, 16, 18, 46, 56, 80 / Georg Liedtke, Archiv Oranienburger Generalanzeiger 88 / Archiv Oranienburger Generalanzeiger 20, 40, 54 / Privatarchiv Thomas Gentz 36, 44, 92 / Archiv Bodo Becker 52, 68 / Archiv St. Johannesberg 84 / sdtb Telefunken-Archiv, Foto Günter Marx 76 / saai Südwestdeutsches Archiv für Architektur und Ingenieurbau Karlsruhe, Werkarchiv Egon Eiermann 26 / Kreisbildstelle Oberhavel 30 / Kurt Uckert, Privatarchiv Horst Eichholz 32 / Interfoto/LP 64 / Privatarchiv Peter Stephan 90
ISBN 978-3-941092-82-2 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. CULTURCON medien Bernd Oeljeschläger Choriner Straße 1, 10119 Berlin Telefon 030 / 34398440, Telefax 030 / 34398442 www.culturcon.de Redaktion: MOZ-Redaktion GmbH Projekt-Betreuung: Gitta Dietrich Gestaltung: Katja Gusovius und Kathrin Strahl, Berlin Druck: Silber Druck oHG, Niestetal Berlin / Wildeshausen 2012 Alle Rechte vorbehalten.
Einführung
Es gibt kaum größere Gegensätze in Brandenburg. Nur wenige Kilometer trennen Louise Henriettes prachtvolles Barockschloss vom ehemaligen Konzentrationslager Sachsenhausen. Auf der einen Seite das imposante Zeugnis deutsch-niederländischer Kulturbeziehungen, auf der anderen Seite der Ort, in dem die Nationalsozialisten mehr als 100 000 Menschen aus über 45 Nationen gefoltert und ermordet haben. Die Geschichte hat in der Kreisstadt viele Spuren hinterlassen. Doch nur die Summe aller Hausnummern macht das heutige Oranienburg aus. Auf den nachfolgenden Seiten finden sich sowohl jene grauen Zeiten wieder als auch die Episoden der Oranienburger Vergangenheit, die zunächst nicht so einschneidend für die Stadtgeschichte wie das soziale Engagement der Kurfürstin Louise Henriette von Oranien und nicht so beherrschend wie das menschenfeindliche Gebaren der Nationalsozialisten erscheinen. Unter den historischen Fotografien sind viele Raritäten. Sie illustrieren das frühere Leben der Oranienburger – vom Fischer bis zum König. Sie zeigen den Ort, wie er einst war, und sie spiegeln wider, was der Krieg daraus machte. Schließlich gilt Oranienburg als die von den Alliierten im Zweiten
Weltkrieg am heftigsten bombardierte deutsche Kleinstadt. 60 Prozent der Häuser waren zerstört oder schwer beschädigt. Zu DDR-Zeiten wurde das Erhaltene oft nur notdürftig geflickt, überformt oder gar sinnlos abgerissen. Triste Zweckbauten füllten nicht selten klaffende Baulücken. Nach der politischen Wende entstand vor allem im Zuge der Innenstadtsanierung endlich Altes nach und nach wieder, kam Neues hinzu. Die nachhaltigste Veränderung erlebte das Stadtbild im Vorfeld der Landesgartenschau 2009. Unter dem Motto „Traumlandschaften einer Königin“ erhielt Oranienburg mit enormem finanziellen Aufwand sein städtebauliches Herz und seinen barocken Grundriss zurück. Seitdem wirbt Oranienburg für sich mit den historischen Beschreibungen als Ackerbürger-, Residenz-, und Garnisonsstadt wie als tolerante Barockstadt am Wasser. Die Stadt lebt spürbar bewusster mit ihrer Geschichte. Wer jetzt hier zu Hause ist, der lebt wieder gut und gern. Auch davon erzählt dieses Buch. Frank Mangelsdorf Chefredakteur der Märkischen Oderzeitung
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grussworT
Wie durch die Jahresringe eines immer größer und stattlicher werdenden Baumes wird die facettenreiche Geschichte einer Stadt von ihren unterschiedlich alten Gebäuden, ihrer verkehrlichen Infrastruktur und deren Beziehung zum Naturraum, in den der Mensch gestaltend eingegriffen hat, geprägt. Für viele galt Oranienburg dabei lange als eine Stadt, die man nicht unbedingt besuchen müsste oder für die nur familiäre bzw. berufliche Gründe sprechen könnten, dort zu wohnen. Ursächlich dafür waren vor allem die Folgen der massiven Zerstörungen durch Bombardierungen im Zweiten Weltkrieg, aber auch die Bausünden und die unterlassenen Sanierungen historischer Gebäude, welche häufig zur Verwahrlosung und schließlich zum Abriss stadtbildprägender Häuser während der DDR-Zeit führten. Auch wenn seit der deutschen Wiedervereinigung von vielen Bauwerken die Patina, unter der manch Schmuckstück nicht mehr erkennbar war, inzwischen beseitigt wurde und manches Haus wieder im alten Glanz strahlt, ist einiges der historischen Bausubstanz unwiederbringlich verloren. Dennoch eröffnen diese schmerzvollen Verluste gleichzei-
tig Gestaltungsmöglichkeiten für neue Bauten, die oft eine große architektonische und städtebauliche Qualität besitzen. So namhafte Architekten wie Eiermann („Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche“) in der Runge-/Ecke Liebigstraße oder Patzschke (Hotel „Adlon“) in der Berliner Straße 37 haben bei uns ihre Spuren hinterlassen. Sie werden künftigen Generationen Zeugnis von unserer Zeit ablegen. Wie ein Kaleidoskop gewährt das vorliegende Buch „Oranienburg – Einst und Jetzt“ interessante Einblicke in die wechselvolle Geschichte Oranienburgs, die vor fast 800 Jahren ihren Anfang nahm. Nicht nur für den Besucher unserer Stadt, sondern sicher auch manch einem Oranienburger bietet sich mit dem einladenden Wechselspiel zwischen Vergangenheit und Gegenwart nun eine ebenso spannende wie lehrreiche Zeitreise durch unsere Stadtgeschichte. Erinnerungen können geweckt, Wissenslücken geschlossen, Zusammenhänge erkannt und Veränderungen entdeckt werden. Viel Spaß dabei! Hans-Joachim Laesicke Bürgermeister der Stadt Oranienburg
inhALT
6 _ Vor 1945 Amtshauptmannshaus
50_ um 1930 Huschke-Denkmal Sachsenhausen
8 _ 1995 Bahnhof
52_ um 1910 Jüdisches Erholungsheim Lehnitz
10 _ 1960 Bernauer Straße 2
54_ um 1990 Kaiserliches Postamt
12 _ um 1930 Bernauer Straße 56
56_ 1993 Kaltwalzwerk
14 _ um 1930 Blumenthalsches Haus
58_ 1956 Kaufhaus Wegner
16 _ 1992 Bötzower Platz
60_ 1907 Königliches Amtsgericht
18 _ um 1990 Boulevard
62_ 1968 Königliches Forsthaus
20_ um 1994 Brauerei
64_ 1941 Konzentrationslager Sachsenhausen
22_ 1953 Breite Straße
66_ um 1930 Lehnitzsee
24_ um 1930 Chausseestraße Sachsenhausen
68_ nach 1895 Louise-Henriette-Steg
26_ 1942 Eiermann-Bau
70_ um 1925 Obstbausiedlung Eden
28_ um 1940 Evangelische Kirche St. Nicolai
72_ 2000 Orangerie
30_ um 1960 Fischerstraße
74_ um 1900 Parktor
32_ um 1965 Freibad Germendorf
76_ 1937 Rundfunksendestelle Zehlendorf
34_ um 1930 Gasthof Niegisch Schmachtenhagen
78_ 1924 Schleuse Lehnitz
36_ um 1935 Grabowseebrücke Friedrichsthal
80_ um 1990 Schloss
38_ um 1925 Haus der Schifffahrt
82_ um 1900 Schlosspark
40_ um 1990 Havelkarree
84_ nach 1920 St. Johannesberg
42 _ Vor 1940 Havelufer
86_ 1954 Waisenhaus
44_ Vor 1935 Heilstätte Grabowsee
88_ 1993 Weiße Stadt
46 _ um 1990 HO-Kaufhalle Breite Straße
90_ um 1915 Wensickendorfer Kirche
48 _ um 1930 Hotel Eilers
92_ 1924 Werft Malz
Vor 1945
AmTshAupTmAnnshAus
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Verwaltungssitz, Gefängnis, Geldinstitut, Museum: Das älteste erhaltene Gebäude Oranienburgs hatte bereits viele Funktionen. Aus dem Jahr 1657 stammt das Amtshauptmannshaus, das im Auftrag der Kurfürstin Louise Henriette von Oranien an der Breiten Straße erbaut wurde. Amtshauptmänner leiteten die Verwaltung und waren oberste Richter und Feldherrn in ihrem Bezirk. Das heutige Aussehen des zweigeschossigen frühbarocken Hauses geht auf einen Brand und den anschließenden Umbau um 1700 zurück. Dabei erhielt es auch den repräsentativen Mittelrisalit, der für Passanten jedoch nicht sichtbar ist. Denn die Besonderheit des Gebäudes ist seine Ausrich-
tung auf die Rückseite. Vom ovalen dreifenstrigen Gartensaal fällt der Blick in den Schlosspark, einst sogar bis zur Orangerie. Heute beeinträchtigen die Neubauten entlang der Kanalstraße diese Sichtachse. Von 1851 bis 1923 hatten die Bürgermeister in dem Haus ihren Sitz. Auch zwei Arrestzellen wurden eingebaut. Als 1889 die Sparkasse der Stadt einzog, kam 1911 ein mächtiger, noch vorhandener Tresorraum hinzu. Ab den 1930er Jahren waren im Amtshauptmannshaus zunächst die Bücherei, dann das Heimat- sowie das Kreismuseum bis 2001 ansässig. Das mittlerweile sanierte städtische Haus ist heute Sitz des Regional-Centers der Industrie- und Handelskammer Potsdam.
1995
BAhnhof
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Der 10. Juli 1877 war ein bedeutender Tag für die aufstrebende Stadt. An diesem Tag hieß es zum ersten Mal: „Bitte einsteigen! Der Zug ist zur Abfahrt bereit.“ Mit dem Anschluss an die Eisenbahnstrecke der Nordbahn Berlin–Stralsund eröffneten sich für die Oranienburger völlig neue Möglichkeiten. So geht es heute wieder mit dem Regionalexpress in nur 20 Minuten in die Haupt- und in drei Stunden in die Hansestadt. Neben dieser Bahnstrecke sorgte der 1891 aufgenommene Vorortverkehr Berlin–Oranienburg mit seinen verbilligten Fahrkarten dafür, dass sich die Stadt zu einem bedeutenden Industriestandort entwickeln konnte. Nicht mehr
im Fahrplan findet sich die im Jahr 1915 in Betrieb genommene Strecke über Kremmen nach Nauen. Seit der politischen Wende steuert hingegen die Berliner S-Bahn wieder – wie schon 1925 – Oranienburg als Endstation der Linie 1 an. Noch nicht zum Zug gekommen sind hingegen all jene Oranienburger, die von einer dauerhaften Direktverbindung nach Potsdam träumen. Das Bahnhofsgebäude entstand 1914/15 im Stil des Neubarocks, als die ebenerdigen Gleise der Fernbahnstrecke höher gelegt wurden. Dieses Bauwerk, das altehrwürdige Runge-Gymnasium und das einstige Hauptpostamt bilden ein denkmalgeschütztes Ensemble.
1960
BErnAuEr sTrAssE 2
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In den 1930er Jahren ließen sich die modebewussten Oranienburgerinnen im Erdgeschoss der Bernauer Straße 2 neu einkleiden. Heute finden dort sportliche Oranienburger alles für ihre Zweiräder. Das ockerfarbene Wohn- und Geschäftshaus gehört zu den prachtvollsten historischen Gebäuden in der Innenstadt. Dessen Mieter können vom Seitenflügel aus den wohl schönsten Ausblick der Stadt genießen. Urlaubsstimmung kommt auf, wenn vor ihren Fenstern die Charteryachten und Ausflugsdampfer zum nahe gelegenen Hafen vorbei schippern und sich das Schloss im Havel-
wasser spiegelt. Schon 1910, als das Gebäude von Schlossermeister Carl Dannefeld in Auftrag gegeben wurde, muss das Grundstück allerdings nicht eben für seine ruhige Lage bekannt gewesen sein. Der Verkehr rollte damals wie heute direkt an dem Viergeschosser vorbei. Am Fuße der Schlossbrücke gelegen bildet das Haus dafür aber gewissermaßen das schmucke Eingangstor zur Einkaufsmeile, der Bernauer Straße. Bis in die 1980er Jahre befand sich das Haus, dessen Fassade der des Schlosses ähnelt, in Besitz der Familie Dannefeld. Heute gehört es der städtischen Wohnungsbaugesellschaft (Woba).
um 1930
BErnAuEr sTrAssE 56
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Im Sommer ist die Schönheit des Hauses Bernauer Straße 56 kaum zu sehen. Die Baumkronen verwehren den Blick auf die verspielten, weitgehend original erhaltenen Details der Fassade. Wer genau hinschaut entdeckt für Oranienburg eher untypisches Fachwerk, unterschiedliche Balkone und eckige sowie ovale Sprossenfenster. Seit mehr als 100 Jahren dient das Haus mit seiner charakteristischen Fachwerk-Gaube als Wohn- und Geschäftshaus. Zudem hatte sich der Architekt, der das Haus 1908/09 für den Zimmermeister und Stadtrat Georg Uhr erbauen ließ, ein kleines Kuriosum einfallen lassen. Aufgrund des Dachausbaus wirkt das Miets-
haus viergeschossig, tatsächlich besitzt es nur drei Etagen. Offensichtlich war es dem Stadtrat sehr wichtig, dass sein Haus einen repräsentativen Eindruck machte. Verwunderlich ist das nicht, denn Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte sich die Bernauer Straße zwischen der Bahn- und der Schlossbrücke zur Flaniermeile. So ließ Georg Uhr den heute noch sichtbaren, augenzwinkernden Spruch ins Fachwerk schnitzen: „Wer da bauet an den Straßen, muss die Leute reden lassen.“ Im Zweiten Weltkrieg blieb das Gebäude im Gegensatz zu den Nachbarbauten von Bomben verschont und befand sich bis Mitte der 1970er Jahre in Familienbesitz.