Friedrichund die Aufklärer

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Iwan-Michelangelo D窶連prile

Friedrich und die Aufklテ、rer



Iwan-Michelangelo D窶連prile

Friedrich und die Aufklテ、rer

Basierend auf einer Serie in der Mテ、rkischen Oderzeitung


Dieses Buch erscheint in der Reihe Edition Brandenburg der Märkischen Oderzeitung und CULTURCON medien.

ISBN 978-3-941092-86-0 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. CULTURCON medien Bernd Oeljeschläger

Choriner Straße 1, 10119 Berlin

Telefon 030/34398440, Telefax 030/34398442 Ottostraße 5, 27793 Wildeshausen

Telefon 04431/9559878, Telefax 04431/9559879 www.culturcon.de

www.edition-brandenburg.de MOZ Redaktion GmbH

Redaktion: Gitta Dietrich

Gestaltung: Mario Schrötz Druck

Print & Media Merten Schmidt, Dänschenburg Berlin/Wildeshausen 2012 Alle Rechte vorbehalten.


Inhalt Einleitung

05

Ezechiel Spanheim und das Edikt von Potsdam

10

Christian Thomasius und die Universitäten der Aufklärung

15

John Toland und die spinozistische Internationale in Brandenburg

20

Gottfried Arnold: Radikaler Pietismus in Perleberg

25

Pierre-Louis Moreau de Maupertuis und die Weltwissenschaften in Brandenburg

30

Julien Offray de la Mettrie und die Philosophen von Sanssouci

35

Brandenburgs starke Frauen der Aufklärung

39

Gotthold Ephraim Lessing und die Theaterrevolution in Frankfurt an der Oder

44

Moses Mendelssohn und die jüdische Aufklärung in Preußen

48

Daniel Nikolaus Chodowiecki und die Aufklärung im Bild

53

Die Struensees und der europäische Reformabsolutismus

57

Johann Heinrich Casimir von Carmer und das Allgemeine Landrecht

61

Friedrich Gedike: Erfinder des Abiturs aus der Prignitz

66

Karl Philipp Moritz und das Militärwaisenhaus in Potsdam

70

Friedrich Eberhard von Rochow und die Volksaufklärung

74

Jean le Rond d’Alembert und die Volksbetrugs-Preisfrage

79

Johann Heinrich Schulz und die selbstdenkenden Staatsbeamten

83

Hans von Held und die politischen Schriftsteller der Spätaufklärung

88

David Friedländer und das Emanzipationsedikt von 1812

92

Karl August von Hardenberg und der vernünftige Staat

97

Abbildungsnachweis

102

Personenregister

104

Weiterführende Literatur

108

Danksagung

112



Einleitung

D

ie Aufklärung war eine gesamteuropäische Reformbewegung, die im späten 17. Jahrhundert in den Niederlanden, Frankreich und Großbritannien ihren Anfang nahm, ab der Mitte des 18. Jahrhunderts in Paris ihr Zentrum hatte und sich in den unterschiedlichen europäischen Regionen, aber auch außerhalb von Europa – etwa in Lateinamerika oder im Osmanischen Reich – bis ins 19. Jahrhundert ausbreitete. Historiker bezeichnen das Zeitalter der Aufklärung deshalb auch als das „lange 18. Jahrhundert“. Diese Reformbewegung betraf alle Bereiche der Gesellschaft. Die leidvolle Erfahrung der konfessionellen Bürgerkriege im 16. und 17. Jahrhundert führte zu einer veränderten Staatsauffassung im Zeichen von Aufklärung und der Religionstoleranz. In den holländischen Stadtstaaten, in der Englischen Revolution von 1688/89, aber auch in einigen „absolutistischen“ Fürstenstaaten im späteren 18. Jahrhundert wurden Rechtsgleichheit und Glaubensfreiheit zu politischen Zielvorstellungen. Zu den ersten, welche die alte politische Ordnung in Frage stellten, gehörten Baruch de Spinoza und John Locke. So entwarf Spinoza im Jahr 1670 am Beispiel Amsterdams das Modell eines liberalen Staates, dessen Macht nicht auf der Angst, sondern der Vernunft seiner Bürger beruht und in dem es „jedem erlaubt ist, zu denken, was er will, und zu sagen, was er denkt.“ Und in England formulierte John Locke in seinen „Zwei Abhandlungen von der Regierung“ (1689) erstmals das Prinzip der individuellen Grund- und Freiheitsrechte, auf welche die Regierung keinen Zugriff haben dürfe. In der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776 und der Französischen Menschenrechtserklärung vom 26. August 1789 wurden allgemeine und gleiche Menschenrechte als Grundlage des Staates festgeschrieben – hier beginnt die Geschichte moderner Verfassungsstaaten. 5


Zweitens war mit der Auf klärung eine Verwissenschaftlichung des bis dahin noch weitgehend theologischen Weltbildes verbunden. Ausgehend von England und Frankreich wurden überall in Europa Akademien der Wissenschaften geschaffen, in denen neben der Grundlagenforschung immer auch die technische und soziale Anwendung dieses Wissens erkundet wurde. Der erste Präsident der Londoner „Royal Society“, der Physiker und Mathematiker Isaac Newton (1642-1727), galt im 18. Jahrhundert unangefochten als wichtigster Wegbereiter der Auf klärung. Den Optimismus, dass wissenschaftlich-technische Modernisierung auch zu gesellschaftlichem Fortschritt führen könne und dass es in der Hand der Menschen selbst liege, dass die Zukunft besser als die Vergangenheit werde, teilten die meisten Auf klärer. Vor allem aber war die neue Reformbewegung eine grenzüberschreitende Kommunikationsgemeinschaft – von den Pariser Salons über die schottischen Universitäten bis zu den norditalienischen oder baltischen Städten wurden die gleichen Bücher gelesen und ähnliche Fragen diskutiert. Die Aufstiegsgeschichte des brandenburgisch-preußischen Staates zur europäischen Großmacht zwischen dem Ende des Dreißigjährigen Krieges 1648 und dem ausgehenden 18. Jahrhundert war von Anfang an untrennbar mit der Auf klärung verbunden. Für den vom Krieg verwüsteten und entvölkerten Staat mit einem Flickenteppich als Territorium und unterschiedlichsten Konfessionen war Auf klärung immer auch Sachzwang und Staatsraison – etwa in Form der Toleranzpolitik. Zum einen lag diese wegen des konfessionellen Zwiespalts zwischen calvinistischem Herrscherhaus und lutherischer Bevölkerungsmehrheit im unmittelbaren dynastischen Interesse der Hohenzollern. Zum anderen wäre der Aufschwung Preußens seit der Regierungszeit des Großen Kurfürsten ohne Zuwanderung undenkbar gewesen: seit dem Potsdamer Toleranzedikt von 1685 waren unter anderem 20 000 Hugenotten, 20 000 Protestanten aus Salzburg, tausende Immigranten aus Böhmen sowie Juden aus Osteuropa gekommen. Die Einwanderer hatten von der Textilherstellung bis zum Anbau von bis dahin unbekannten Nutzpflanzen zahlreiche neue Gewerbezweige gegründet. Auch die Förderung der Buch- und Pressekultur als Basis der Auf klärung lag zunächst vor allem im ökonomischen Interesse des Staates. Ein Charakteristikum der preußischen Auf klärung ist daher das Spannungsverhältnis zwischen einer offiziellen Auf klärung als Herrschaftsrechtfertigung und der auf klärerischen Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen. Dabei lassen sich drei Phasen unterscheiden. 6


Die Periode vom späten 17. Jahrhundert bis zum Beginn der Regierungszeit Friedrichs des Großen 1740 kann man als Phase der Frühaufklärung bezeichnen. Sie ist vor allem durch die Anbindung an die protestantischen und insbesondere calvinistischen Netzwerke in den Zentren der westeuropäischen Frühaufklärung in Holland, England und Frankreich gekennzeichnet. Aber auch auf dem Gebiet der Wissenschaften wurden hier wichtige Grundlagen der Aufklärung geschaffen: etwa mit der Einrichtung der Reformuniversität in Halle (1694), mit aufklärerischen Professoren an der Viadrina in Frankfurt oder mit der Gründung der Akademie („Societät“) der Wissenschaften durch Gottfried Wilhelm Leibniz und Kurfürst Friedrich III. im Jahr 1700. Leibniz und die Königin Sophie Charlotte standen zu dieser Zeit im Briefwechsel mit Gelehrten in ganz Europa. Die friderizianische Regierungszeit nach 1740 war unbestritten die Phase der Hochauf klärung in Brandenburg-Preußen. Friedrichs Blick orientierte sich vor allem an Paris, dem seinerzeit unangefochtenen Zentrum der europäischen Auf klärung. Es gelang ihm, europaweit führende Wissenschaftler und Gelehrte nach Potsdam zu holen, das bis dahin auf der imaginären Karte der Auf klärung ein weißer Fleck gewesen war. Bis zum Zerwürfnis mit Voltaire und dessen Flucht aus Preußen im Jahr 1753 sahen viele Auf klärer in Friedrich einen Hoffnungsträger, der die Verbindung von Vernunft und Macht zu verkörpern schien. Zeitgleich bildeten sich in Berlin neue Formen einer bürgerlich-städtischen Auf klärung heraus, die sich in zahlreichen Gründungen von Zeitschriften und gelehrten Gesellschaften manifestierten. Nicht zuletzt wurde Berlin zum europäischen Zentrum der jüdischen Auf klärung, der „Haskala“. Gotthold Ephraim Lessing, Moses Mendelssohn und Friedrich Nicolai sind nur die bekanntesten einer Reihe von Auf klärern, die es nun in die größte märkische Stadt zog. Die Phase der Spätauf klärung ab 1780 schließlich lässt sich durch eine zunehmende Politisierung und Popularisierung charakterisieren. Die Privilegien des Adels, wie Steuerfreiheit und ständische Gerichtsbarkeit, sowie die Leibeigenschaft der Bauern wurden schon vor der Französischen Revolution in Frage gestellt. Die Auf klärung der ländlichen Bevölkerung, die mit 80 Prozent die weitaus größte Schicht ausmachte, wurde von reformorientierten Pastoren in der Provinz und Landadligen als drängendste Aufgabe erkannt. Und so wie die Revolution von 1789 in Frankreich als Verwirklichung der Ideen der Aufklärung galt, so wurden in Preußen viele ihrer politischen Forderungen in der Reformzeit nach 1806 umgesetzt. 7


Auch wenn Friedrich der Große sich als der erste Aufklärer im Staate Preußen stilisierte, ist er in einer Entwicklung zu sehen, die weit über ihn hinausweist. In diesem Band wird die Aufklärung in Brandenburg an Hand von 20 Porträts anschaulich gemacht, in denen ausgewählte Persönlichkeiten und Orte – von Frankfurt an der Oder und Potsdam bis Perleberg, Gielsdorf, Ruppin oder Reckahn – vorgestellt werden. Die Auswahl der Porträts folgt zwei Leitlinien: Zum einen stehen sie exemplarisch für zentrale Entwicklungen der Brandenburgischen Geschichte zwischen 1685 und 1820. Und zum anderen soll die Aufklärung in Brandenburg in ihrer geographischen, personellen und thematischen Breite anschaulich gemacht werden. Deshalb sind den beiden bekanntesten Protagonisten, Friedrich selbst und Voltaire, keine eigenen Porträts gewidmet. Dies kann man an anderer Stelle ausführlicher nachlesen, etwa in den empfehlenswerten Studien von Jürgen Luh oder Jens Bisky anlässlich von Friedrichs 300. Geburtstag. Hier werden vielmehr Persönlichkeiten vorgestellt, die zu Unrecht in der zweiten Reihe stehen und ohne die das Bild der Aufklärung in Brandenburg unvollständig wäre. Wenn das Buch an der einen oder anderen Stelle zum Weiterlesen anregt, hat es seinen Zweck erfüllt.

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Ezechiel Spanheim (1629-1710), zeitgenรถssischer Stich

10


Friedrich und die Auf klärer

Ezechiel Spanheim und das Edikt von Potsdam

E

ines der ersten und zugleich berühmtesten Zeugnisse der Aufklärung in Brandenburg ist das Edikt von Potsdam aus dem Jahr 1685. Der Brandenburgische Kurfürst Friedrich Wilhelm hatte es am 29. Oktober in Reaktion auf die Verfolgung seiner protestantischen Glaubensgenossen in Frankreich und die Aufhebung des Edikts von Nantes durch den französischen König Ludwig XIV. erlassen. Mit dem Potsdamer Edikt gewährte Friedrich Wilhelm den französischen Hugenotten nicht nur Asyl, sondern auch zahlreiche Integrationshilfen und Steuererleichterungen. Er begründete damit eine Brandenburger Toleranztradition, die schon im 18. Jahrhundert sprichwörtlich wurde und die einen wesentlichen Aspekt der Auf klärung in Brandenburg ausmacht. Die Toleranzpolitik des Großen Kurfürsten war eine kluge Antwort auf zwei machtpolitische und ökonomische Herausforderungen: Nach dem Dreißigjährigen Krieg war das Land in weiten Teilen entvölkert, so dass die gut ausgebildeten, meist aus der Handwerker- und Händlerschicht stammenden Franzosen entscheidend zum modernisierenden Wiederauf bau beitragen konnten. Zudem konnte Friedrich Wilhelm durch die Ansiedlung von Glaubensbrüdern auch seine Machtposition stärken, da das Hohenzollern’sche Herrscherhaus im Unterschied zur lutherischen Bevölkerungsmehrheit selbst calvinistischer Konfession war. Rückblickend gilt die Ansiedlung als Beispiel besonders gelungener Integration. Die Hugenotten brachten nicht nur neue Wirtschaftszweige 11


nach Brandenburg, sondern auch kluge Köpfe, zu deren Nachfahren etwa der bis heute berühmteste Schriftsteller Brandenburgs Theodor Fontane (1819-1898) gehört. Ermöglicht wurde der geschickte Schachzug auch, weil Friedrich Wilhelm durch seinen wichtigsten Verbindungsmann in Paris, den deutschfranzösischen Diplomaten und Gelehrten Ezechiel Spanheim (1629-1710), über alle Vorgänge in Frankreich bestens informiert war. Geboren am 7. Dezember 1629 in Genf wurde Spanheim an protestantischen Zentren wie der Universität Leiden in Holland und der von Calvin begründeten Genfer Akademie ausgebildet. Ab 1680 war Spanheim als Kurbrandenburgischer Resident (d. h. als Botschafter) in Paris ansässig. Hier erlebte er die zunehmenden Repressalien gegen die hugenottische Bevölkerung als unmittelbar Betroffener. Er gewährte einer großen Zahl von Glaubensgenossen Zuflucht in seinem Haus und verhalf ihnen zur Ausreise. Bereits vor 1685 berichtete er Friedrich Wilhelm über die „grausamen Verfolgungen ihrer reformierten Landsleute“. Nach der Aufhebung des Edikts von Nantes startete Friedrich Wilhelm mit Hilfe von Spanheim sofort eine Publikationskampagne und verteilte das Potsdamer Toleranzedikt in einer Auflage von rund 5.000 Exemplaren in Frankreich. Eile war geboten, denn auch andere protestantische Staaten wie Holland oder England warben um die Hugenotten. Der Kurfürst stellte den Flüchtlingen frei, sich innerhalb des brandenburgisch-preußischen Territoriums „denjenigen Ort, welchen sie […] zu ihrer Profession und Lebensart am bequemsten finden werden, zu erwählen.“ Die Kampagne war erfolgreich: Zwischen 1685 und 1715 kamen rund 20.000 Hugenotten nach Brandenburg. Bis 1687 wurden die ersten französischen Kolonien (neben Berlin) in der Stadt Brandenburg, in Rheinsberg, Schwedt, Vierraden und Klein-Ziethen in der Uckermark, in Köpenick und in Frankfurt an der Oder gegründet. Im Mai 1689 wurde Spanheim nach Brandenburg zurückberufen, um hier das „Kommissariat für Französische Angelegenheiten“ zu übernehmen, das für die Umsetzung des Edikts von Potsdam vor Ort zuständig war. Spanheim wurde Gründungsdirektor des neu gegründeten Französischen Gymnasiums, Leiter des französischen Oberkonsistoriums und Gründer der Spanheim-Gesellschaft, eines gelehrten Netzwerkes, zu dem unter anderem Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) gehörte und aus dem die Leibniz’sche Akademie der Wissenschaft hervorging. Spanheims umfassende Privatbibliothek, die er Friedrich I. verkaufte, bildete den Grundstein für die 1701 gegründete Königliche Bibliothek zu Berlin, 12


Friedrich und die Auf kl채rer

Faksimile des Titelblatts des Edikts von Potsdam vom 29. Oktober 1685

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