Frank Mangelsdorf (Hg.)
KUNST & KÜNSTLER IN BRANDENBURG
Frank Mangelsdorf (Hg.)
KUNST & KÜNSTLER IN BRANDENBURG
Dieses Buch erscheint in der Reihe Edition Brandenburg der Märkischen Oderzeitung und CULTURCON medien.
ISBN 978-3-941092-99-0 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. CULTURCON medien Bernd Oeljeschläger Choriner Straße 1, 10119 Berlin Telefon 030/34398440, Telefax 030/34398442 Ottostraße 5, 27793 Wildeshausen Telefon 04431/9559878, Telefax 04431/9559879 www.culturcon.de www.edition-brandenburg.de MOZ Redaktion GmbH Projektleitung: Andreas Oppermann Redaktion: Ulrike Buchmann, Silvia Fichnter, Camillo Kupke, Anja Hamm, Peter Liebers, Stefanie Lubasch, Uwe Stiehler, Heike Hahn, Katrin Röper Satz & Layout: Mario Schrötz Druck besscom AG Berlin/Wildeshausen 2011 Alle Rechte vorbehalten.
Mit freundlicher Unterstützung von
2
KUNST & KÜNSTLER IN BRANDENBURG
Vorwort
Mit dem vorliegenden Buch wird ein Kapitel der Kunstge-
sterwerk. Streusandbüchsen dienten einst dem Bewahren,
schichte Brandenburgs aufgeschlagen, das den Weg von
man ließ Ihren Sand rieseln, um das frisch zu Papier Ge-
Künstlerinnen und Künstlern nachzeichnet, die in den ver-
brachte zu sichern.
gangenen Jahrzehnten - also auch in den gerade für die Kunstschaffenden schwierigen Zeiten vor und nach der Wende, der
Der Band „Kunst & Künstler in Brandenburg“ will ebenso etwas von der Kreativität dieses Landes festhalten.
deutschen Wiedervereinigung - lebten und immer noch wir-
Kunst und Kultur stellen für unser Gemeinwesen un-
ken. Brandenburg bietet entgegen mancher Prophezeiung
verzichtbare Werte dar. Es sind aber zuweilen genau diese
und auch gegen so manche Sparmaßnahme Lebensraum und
Werte, die in der Gesellschaft an Beachtung zu verlieren
Arbeitsorte für Künstlerinnen und Künstler.
scheinen. Auch deshalb sehen sich hierzulande bildende
In diesem Versuch einer Bestandsaufnahme kann es nicht um Vollständigkeit gehen. Brandenburgs Kunstszene ist reich, wenn auch nicht überall und gleich auf den ersten Blick zu entdecken. Unter den Malern, Graphikern und zwischen Oder und
Künstlerinnen und Künstler zunehmend schwierigen Rahmenbedingungen ausgesetzt. Die Märkischen Oderzeitung hat es sich zu einer Maxime gemacht, den Boden für kulturelle Vielfalt fruchtbar zu halten. In Kooperation mit der Stiftung Schloss Neuhardenberg
Elbe finden sich selten Avantgardisten. Alle aber entwickel-
initiierte sie 2004 den „Brandenburgischen Kunstpreis der
ten sie eine eigene Vielfalt künstlerischer Ausdrucksformen
Märkischen Oderzeitung“. Er wird inzwischen von einem
in verschiedenen Genres und Bereichen, die oft fern der
„Ehrenpreis des Ministerpräsidenten des Landes Branden-
Ballungszentren entstanden. Sie lassen den Betrachter an
burg für ein Lebenswerk“ begleitet und verschafft damit
ihrem Blick, ihren Erfahrungen teilhaben und damit das Un-
dem künstlerischen Schaffen im Land noch mehr Aufmerk-
verwechselbare des Märkischen entdecken und bewahren,
samkeit und steigende Anerkennung. Doch nicht nur über
auch wenn dabei nicht jeder die Aufmerksamkeit von Kunst-
die Preisträger gibt dieses Buch Auskunft. Es stellt zahlrei-
kennern, Galeristen oder Sammlern gewinnen konnte.
che hier wirkendende Künstlerinnen und Künstler vor.
Zugleich wurde die Region, die schon seit Hunderten von Jahren liebevoll als „des Heiligen Römischen Reiches
Frank Mangelsdorf
Streusandbüchse“ bezeichnet wird, von namhaften Schöp-
Chefredakteur der Märkischen Oderzeitung
fern dargestellt, und sie inspirierte sie zu manchem Mei-
3
4
KUNST & KÜNSTLER IN BRANDENBURG
Grußwort
Liebe Leserinnen und Leser,
dieses Buch ist Menschen gewidmet, die in Brandenburg
Schriftsteller und Filmemacher, Schauspieler und Musiker,
leben. Sie stehen nicht ständig im Licht des öffentlichen In-
nicht zuletzt Galeristen, die der Kunst in Brandenburg eine
teresses und arbeiten eher im Verborgenen. Und sie gehören
Heimat geben. Beim Durchblättern des Buches wird deut-
zu Brandenburg wie unsere Natur und unsere moderne In-
lich, wie viele bedeutende und bekannte Künstlerinnen
dustrie. Künstlerinnen und Künstlern und ihrem Werk dient
und Künstler in Brandenburg zu Hause sind. Aber es sind
dieser Band, und das ist wörtlich zu verstehen.
nicht nur die, die bekannt sind; es sind auch diejenigen, de-
Unser Land hat seit seiner Neugründung 1990 eine zuneh-
nen, aus welchen Gründen auch immer, der „Durchbruch“
mend erfolgreiche Geschichte durchlebt. In diesem Jahr hat
noch nicht gelungen ist, was die Qualität ihres Schaffens,
die Europäische Union Brandenburg als „Europäische Unter-
ihres Werkes nicht im Mindesten schmälert. Kunst blüht im
nehmerregion“ ausgezeichnet, bei den Erneuerbaren Ener-
Verborgenen, und was da blüht, kann man in diesem Buch
gien liegen wir auf den vorderen Plätzen in Europa und unter
lesen und sehen.
den deutschen Ländern sogar auf Platz 1. Die Hauptstadtre-
Man kann und darf darüber streiten, was Kunst ist oder
gion in Nachbarschaft zur Republik Polen hat sich in vielerlei
sein sollte oder zu sein hat – das ist ganz abhängig vom
Hinsicht zu einer zentralen Region Europas entwickelt. Weniger bekannt ist hingegen das reiche kulturelle Erbe
Standort des Betrachters. Für mich ist Kunst Ausdruck einer anderen Form der Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit,
Brandenburgs, das immer mehr entdeckt wird. In Artikel 34
vor der ich sehr viel Respekt habe. Und wann immer meine
der Landesverfassung wird die Landesregierung verpflich-
Zeit es zulässt, versuche ich, diese Auseinandersetzung
tet, dieses Erbe zu pflegen und die Vielfalt zu wahren. Das
nachzuvollziehen, sie auf mich wirken zu lassen.
ist keine einfache Aufgabe angesichts der Lage der öffent-
Eine breite Öffentlichkeit zu erreichen und die Vitalität
lichen Haushalte. Immerhin: Die Bilanz der zurückliegen-
unseres Kunstlebens zu vermitteln, ist Anliegen dieses Bu-
den 20 Jahre erfüllt mit Genugtuung. Heute gibt es rund
ches, in dem die bildende Kunst im Mittelpunkt steht. Ich
350 Erinnerungsorte, etwa 150 öffentliche Bibliotheken,
bin der Märkischen Oderzeitung sehr dankbar dafür, dass
11 000 Baudenkmale, ferner Gedenkstätten, Orchester und
sie sich dieses Ziel gesetzt hat. Dabei erhebt das Buch we-
Chöre, Theater, Kunsthäuser und Kulturzentren, Galerien
der Anspruch auf Vollständigkeit, noch erklärt es, reprä-
sowie 500 Schlösser und Herrenhäuser. Hinzu kommen
sentativ zu sein. Es vermittelt Einblicke in Leben und Arbeit
internationale Kulturprojekte, die durch die Landesregie-
von Menschen, ohne die Brandenburg ärmer wäre. Möge es
rung gefördert werden. Alles in allem viel für ein kleines
eine große Leserschaft finden!
Land wie Brandenburg. Ich bin stolz auf das bislang Erreichte, vor allem auf die
Ihr Matthias Platzeck
vielfältige und sehr lebendige Kunstszene in Brandenburg. Es sind bildende Künstlerinnen und Künstler, aber ebenso
5
b
Sabine Barber / Frankfurt (Oder) Textil-Art | Assemblagen | Objekte
Foto: Dietmar Horn
www.sabinebarber.de
An ihre ersten Schuljahre kann sie
gefunden. Bei ihrer Mutter lernte Sabine Barber Techniken
sich kaum noch erinnern, damals, in
wie französische Naht, Kappnaht – und wie ein Ärmel ange-
der Uckermark. Aber an den tägli-
kraust wird.
chen Schulweg und daran, was links
In Frankfurt nun gibt es eine Frau, die Antependien, reich
und rechts desselben wuchs. Ihr Va-
verzierte Vorhänge für Kirchen, anfertigt. Ein Jahr lang lässt
ter war es, sagt Sabine Barber, von
Sabine Barber sich in diese Kunst einführen. Dann beginnt
dem sie alles gelernt habe: Welche
sie mit ihrer eigenen. 1985 stellt sie sich dem Aufnahmever-
Beeren man essen kann, dass Brenn-
fahren in den Verband Bildender Künstler, es folgen öffent-
nesseln einen guten Spinat ergeben, die Namen der Vögel. Es waren diese wenigen Jahre, die sie geprägt haben.
liche und private Aufträge. Ihr Selbstbewusstsein als Künstlerin aber findet sie erst
In vielen ihrer Arbeiten hat die Frankfurter Künstlerin
in Wiepersdorf. Dorthin führt sie 1994 ein Arbeitsstipendi-
seitdem versucht, die Natur festzuhalten, sie zu konser-
um; drei Monate lang kann sie sich neben dem Austausch mit Kollegen ganz auf ihre Ideen
vieren. Sie zieht Samen auf Stoffe, vernäht Blätter oder sortiert sie in Folien, spießt Sonnenblumenkerne auf Stecknadeln wie andere Falter.
„Es muss einem durch die Finger gehen wollen.“
Sabine Barber fädelt, webt, stickt
konzentrieren. Statt Pinsel und Leinwand sind die Arbeitsmittel von Sabine Barber Scheren, Garnrollen, ihre Näh-
und klebt, ordnet und färbt. Wandteppiche entstehen so,
maschine – obwohl sie eigentlich lieber per Hand arbeitet.
Bilder und Objekte, die immer auch das haptische Gefühl
„Das ist sinnlicher.“ Die Zeit, die dann in ein Werk fließt, das
ansprechen. „Es muss einem durch die Finger gehen wol-
alte Handwerk: „Wenn das etwas Bewahrendes hat, ist das
len“, sagt sie.
auch schon eine Qualität“, sagt die Künstlerin.
Kunsterziehung und Germanistik hat die gebürtige Stet-
Vielmehr geht es ihr jedoch darum, aus der Tradition Neu-
tinerin studiert, an der Berliner Humboldt-Universität. Als
es entstehen zu lassen, Materialien zu kombinieren, Formen
Lehrerin jedoch arbeitete sie nur kurz. 1966 begann sie in
und Farben in Beziehung zu setzen. Immer vor dem Hinter-
Frankfurt (Oder), wo sie seit 1965 lebt, als wissenschaftli-
grund der sie seit ihrer Kindheit so faszinierenden Natur.
che Mitarbeiterin in der gerade gegründeten Galerie Junge Kunst. Am Anfang ihrer eigenen künstlerischen Arbeit stand das Handwerk. Schon als Kind hatte sie Spaß am Nähen
„Ich glaube, dass der Mensch sich eigentlich nichts mehr ausdenken kann. In der Natur ist alles schon vorhanden“, erklärt sie. „Man kann nur sehen, wie sich das alles in neue Zusammenhänge bringen lässt.“
Stephanie Lubasch
vita » 1941 in Stettin geboren / 1961–1965 Studium Kunst/Germanistik an der Humboldt-Universität Berlin bei Prof. Gerenot Richter / seit 1985 Mitglied des Verbandes Bildender Künstler / 1994 Stipendium des Landes Brandenburg für Schloss Wiepersdorf
Personalausstellungen » 1993 Frankfurt (Oder), Commerzbank / 1995 Frankfurt (Oder), Galerie gallus / 1999 Magdeburg, Galerie Himmelreich, (mit ATAK) / 2001 Frankfurt (Oder), Marienkirche, / 2003 Rheinsberg, Kurt Tucholsky Gedenkstätte Schloss Rheinsberg / 2006 Müncheberg, Marienkirche
Ausstellungsbeteiligungen (Auswahl) » 1997 Łódz/Polen, 20 Jahre Lubniewice / 2005, 2006 Neuhardenberg, Schloss, Brandenburgischer Kunstpreis der Märkischen Oderzeitung / 2006 Fürstenwalde, Rathausgalerie, 7. Internationale Miniaturausstellung
Sammlungen (Auswahl) » Torun/Polen, Stadtverwaltung / Städtisches Museum Eisenhüttenstadt / Kurt-Tucholsky-Gedenkstätte Schloss Rheinsberg / Industrie- und Handelskammer Frankfurt (Oder)
6
Foto: Dietmar Horn
KUNST & KÜNSTLER IN BRANDENBURG
„Zackiges Konzert“ / Applikation
7
b
Victor Baselly / Ortwig Malerei | Keramik
Foto: Silvia Fichtner
www.baselly.com
Das Land, auf dem er geboren wur-
In vielen seiner Arbeiten bricht sich jenes Thema aus
de, ist fruchtbarer Boden. Cajamar-
Kindertagen auf neue Weise Bahn: Nahrungsmittel und
ca liegt im Norden Perus. Konträr
Konsum. Facettenreicher Anstoß der Gedanken – Natur und
zu dem Bild ertragreicher Wiesen
die Folgen der Industrialisierung für sie. Gibt es Bio-Produk-
und Äcker die Bergwerke in der Re-
te wirklich oder sind sie nur eine Idee? Wird der Ursprung
gion, die Chemikalien, die in den
einer Pflanze vergessen über ihrer globalen mannigfachen
Minen – darunter die amerikanisch-
Verarbeitungs- und Erscheinungsweise? Gehen durch die
peruanisch geführte profitabelste
Goldmine der Welt – eingesetzt werden. Dass dieser Konflikt der Moderne – Natur und ihre Ausbeutung für ein immer wohlhabenderes Leben – einmal ein wichtiges künstlerisches Thema für Victor Baselly wird, ahnen seine Eltern nicht, als ihr zweiter Sohn geboren wird. Die Mutter Hausfrau, der Vater Beamter, ermögli-
fortwährend wachsenden Ansprüche der Konsumenten die Wertmaßstäbe verloren?
„Heimat ist für mich dort, wo ich mich finde, und wo ich arbeiten kann, wie ich es mir wünsche.“
„Nahrungsmittel sind in Peru Lebens-Mittel. Hier in Europa, also auch in Deutschland, habe ich, wenn ich mir die Auslagen in den Supermärkten anschaue, den Eindruck,
chen ihren vier Kindern trotz bescheidener finanzieller Verhältnisse eine ordentliche Ausbildung. Victor
sie sind Präsentation, um den Konsum anzukurbeln“, er-
studiert Kunst in seiner Geburtsstadt. Sein Schaffen ist auf
läutert Baselly seine aktuelle künstlerische Auseinander-
immer geprägt von der Liaison zwischen alter Kultur und
setzung mit der Realität. „Brauchen wir wirklich Erdbeeren
modernem Ausdruck.
im Winter? Rund um das Jahr exotische Früchte? Erinnern
1994 will das Deutsch-Peruanische Kulturinstitut Werke
wir uns, woher die Kakao-Bohne kommt und welchen Weg
peruanischer Künstler in Berlin ausstellen. Victor Baselly
sie nehmen muss, wenn wir Schweizer Schokolade auf un-
ist einer von ihnen. Die Ausstellung „Caxamarca trotz allem
serer Zunge zergehen lassen? Warum passieren solche Ver-
– Kunst aus den Nord-Anden Perus“ ist in der Berliner Stadt-
brechen, das Dioxin in Futtermittel und darüber in unsere
bibliothek zu sehen. Fortan pendelt Baselly zwischen Peru
Nahrungsmittel gelangt? Habe ich Bio-Eier, weil ich selber
und Deutschland, wird immer öfter eingeladen, seine Arbei-
Hühner halte? Im Winter kaufe ich auch Futter für sie, und
ten zu präsentierten.
da steht Bio drauf. In welchem Verhältnis steht der Anbau
Zehn Jahre später bleibt er, weil er sein Herz hier verloren
von Nutzpflanzen für Biodiesel, für die Energieerzeugung?
hat. „Heimat ist für mich dort, wo ich mich finde, und wo ich
Warum spricht man einerseits von einer Nahrungsmittel-
arbeiten kann, wie ich es mir wünsche“, sagt der Peruaner,
krise, wenn es doch andererseits ein Überangebot gibt?
der heute mit Frau, der Keramikerin Katrin Heinrich, und
Wieviel Nahrungsmittel aus den Supermärkten werden
Tochter im Oderbruch zuhause ist. Aus der Güstebieser Loo-
weggeworfen, weil sie nicht gekauft worden und verdor-
se ist Baselly inzwischen nach Ortwig in die alte Dorfschule
ben sind? Und wie sehr hat ihr Transport von weit her der
gezogen – mit Plänen im Kopf, dort nicht nur zu leben und zu
Umwelt geschadet?“
arbeiten, sondern das Haus zu einem kleinen Kulturzentrum
Endgültige Antworten hat auch Victor Baselly nicht.
zu entwickeln. Dazu gehört auch eine Galerie. Aber nicht nur
Doch die reiche Lyrik der Farben, das Zerbrechliche der
dort sind Bilder von Victor Baselly zu sehen. Auch in Ausstel-
Sinnlichkeit, die seine Bilder in sich bergen, haben eine ge-
lungen wie „Sempiternus – Lebensfrüchte“ jüngst in der pe-
waltige suggestive Kraft. All die provokanten Fragen aus
ruanischen Botschaft.
seinen künstlerischen Arbeiten gehen auf den Betrachter
8
über, vielleicht zunächst fast unbemerkt, dann aber umso heftiger. Unter anderem deshalb wünscht sich Victor Baselly in
Foto: privat
KUNST & KÜNSTLER IN BRANDENBURG
Ortwig einen Ort, der nach dem Kunsterlebnis auch zum Reden da ist. Erfahrungen in dieser Hinsicht hat er in der Gemeinschaft in der Güstebieser Loose gesammelt und, gemeinsam mit seiner Frau, als Betreiber der Galerie im Maschinenhaus in Groß Neuendorf. „Kunst und Kultur sind kein Vorrecht der Stadt“, ist er überzeugt, „die Vielfalt und Extravaganz dort kann auch überfordern. Auf dem Land ist das Erleben intensiv wie die Natur, die uns hier umgibt. Hinter uns stehen keine Stiftungen, keine Fördermillionen, sondern einfach der Wunsch, dem Leben viele Seiten abzugewinnen. Kunst gehört dazu, ob nun als Malerei, Keramik, Musik, Lesung, Gespräch. Das Miteinander der Menschen ist eine immer währende Sehnsucht, sie zu erfüllen ein langwieriger Prozess, der treibende Kräfte braucht.“ Victor Basellys Traum ist es nicht, reich an Geld zu werden, sondern an Leben. Geld ist für ihn wie die Nahrung: Mittel zum Zweck. Beides schließt Genuss ein – Lebensgenuss.
Silvia Fichtner „Eva oder Dame mit Apfel im scharlachroten Talar“ („Eva o Dama con Manzana en Traje de Cardinal“) / Öl auf Maltuch
vita » 1967 in Cajamarca in Perú geboren / 1986–1991 Studium an der Akademie für Bildende Kunst der Kunstschule „Mario Urteaga” in Cajamarca / 1991 Abschluss mit Diplom als Bildender Künstler / 1997 Freie Fotowerkstatt / 2000–2003 Freie Keramikwerkstatt / 2006-2008 Studium an der Universität der Künste Berlin, Fakultät: Bildende Kunst – Institut für Kunst im Kontext / 2009 Abschluss–Master of Art (Institut für Kunst im Kontext) UdK Berlin
Ausstellungen » u.a. in Peru / Berlin / Erfurt / Göttingen / Müncheberg / Letschin, Groß Neuendorf / mehrfach Teilnahme an den KunstLoose-Tagen im Oderbruch
9
b
Bertold Bartsch / Buschdorf Malerei | Grafik
Foto: Heike Mildner
www.bertoldbartsch.de
„Malerei kommt aus dem Bauch“,
sich herum brauchen werde, um weiter zu kommen. In Ber-
steht für Bertold Bartsch fest. Aller-
lin, da sei nichts mehr gegangen. In dem Gedränge, das sich
dings heißt das für ihn nicht, dass
auch die Künstler liefern, in der Hoffnung, bei Ausstellungs-
man einfach an die Staffelei geht
gestaltern ins Blickfeld zu rücken. Bertold Bartsch besuchte
und ein Bild fertig malt. Da gebe es
Künstlerfreunde im Oderbruch. Sie malten gemeinsam. „Ich
viel geistige Vorarbeit. Eine Idee
glaube, da ist die Entscheidung endgültig gefallen“, blickt er
ist da, die schwirrt manchmal Tage
zurück. Eine Entscheidung, die er mit seiner Lebensgefähr-
und Nächte durch den Kopf. Sie hat
tin, der Modeschmuckgestalterin Heidi Schäfer, gemeinsam
noch keine klaren Konturen. Er weiß nur, dass etwas heraus
getroffen hat. Also zogen sie los, um einen geeigneten Ort zu
will, eine Empfindung, eine Erfahrung, ein Ereignis, das ihn
finden. Ein Makler zeigte ihnen auch das kleine Häuschen in
innerlich beschäftigt. Ehe es so weit ist, vergehe mitunter
Buschdorf. In den drei Straßenzügen der dreigeteilten Mini-
eine ganze Zeit. „Manchmal quäle ich mich geradezu, und
Gemeinde waren einst die Spinner zu Hause. Einfache und
ich glaube, das sieht man auch an den Arbeiten. Jedenfalls
meist arme Leute. Dementsprechend bescheiden waren
sagen mir das Betrachter“, erzählt der Wahl-Oderbrücher.
„Es ist die Suche nach der eigenen inneren Stille.“
Bartschs Arbeiten
haben
etwas
Archäo-
ihre Behausungen. Doch Heike Schäfer und Bertold Bartsch genügte das kleine Anwesen. Die intakten Nebengebäude, die als Werkstatt und Atelier dienen sollten, waren da. Alles andere könnte man sich Schritt für Schritt herrichten.
logisches. Es ist,
„Der Blick war uns wichtig“, erzählt der Künstler. Und
als ob der Maler sich durch Schichten gearbeitet hat und
zeigt nach links und rechts im einzigen größeren Multifunk-
darunter das ihm Wesentliche freilegt. Seine Mal-Töne sind
tionsraum des Hauses. Wer am Tisch sitzt, kann zu beiden
wie Musik, eine leise Pragmatik, die Seele erkennen lässt.
Seiten hinausschauen in eine schier endlose weite Land-
Die Bilder haben eine Tiefe, die der Betrachter erst ergrün-
schaft. „Hier erlebe ich das Wetter“, schwärmt Bartsch.
den muss. Sie sind reliefartig, machen neugierig, einen zwei-
Die neue Umgebung habe ihn sofort gefangen genom-
ten, genaueren Blick zu wagen. Manches wirkt geschunden,
men. Sie ist es auch, die ihm immer wieder neu Inspiration
gespalten, aufgebrochen. Der Preis für gedankenlose globa-
gibt. Nicht nur für seine Malarbeiten, auch für filigrane Gra-
le Verschwendung? Ja, das könnte der Ansatz im Schaffens-
fiken und großformatige Aktzeichnungen. Mitunter sind es
prozess gewesen sein.
nur wenige Striche, die dennoch alles Wesentliche aussa-
Bartsch ist ein stiller, aber intensiver Beobachter. Der ge-
gen. „Es ist die Suche nach der eigenen inneren Stille, aber
bürtige Berliner hat vor acht Jahren bewusst mit der Hektik
auch jener Stille, die uns im Grunde täglich umgibt und der
der Großstadt gebrochen. Er wollte die Sonne wieder in ih-
wir uns nur vergewissern müssen“, beschreibt Bartsch sein
rem natürlichen Umfeld sehen, sagt er. Und er habe immer
Tun. „Das begegnet mir in meiner Malerei, die Suche nach
gewusst, dass er irgendwann den Freiraum im Alltag um
Harmonie, Ästhetik und der Umgang mit deren Brüchen.“
VITA » 1957 in Berlin geboren / 1964–1984 Schule, Ausbildung und Tätigkeit in verschiedenen Bereichen / 1984–1987 Industrie-Design-Studium (FH) / seit 1989 Beschäftigung mit Malerei; Mitglied im Verband Bildender Künstler der DDR / 1994–1999 Tätigkeit als Ausstellungsgestalter und Grafiker / 1996 Arbeitsstipendium des Kulturfonds für das Künstlerhaus Lukas in Ahrenshoop / seit 2001 Mitglied im Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK) / seit 2003 freiberuflich im Oderbruch
Personalausstellungen (Auswahl) » 1996 Ahrenshoop, Künstlerhaus Lukas / 2000 Berlin, Galerie Flierl / 2006 Berlin, Galerie 100 / 2008 Greifswald, Greifengalerie, Altlangsow, Schul- und Bethaus
Ausstellungsbeteiligungen (Auswahl) » 2008 Eisenhüttenstadt, Städtisches Museum / 2009 Ahrenshoop, Neues Kunsthaus / 2011 Altlangsow, Schul- und Bethaus
10
KUNST & KÜNSTLER IN BRANDENBURG
Foto: privat
„Akt“ / Collage aus Papier mit Acryl und Aquarellstift
Seine Lebensgefährtin hat ihre Werkstatt mittlerweile im
„Hier wird man als Künstler wahrgenommen“, sagt
Schul- und Bethaus im Nachbardorf Altlangsow eingerichtet.
Bartsch. Das sei ihm wichtig. Der Verkauf stehe für ihn nicht
Beide wirken im Förderverein mit, der in dem alten Schin-
im Vordergrund. „Wenn man jemanden mit seinen Arbeiten
kelbau seit fast 20 Jahren eine besondere Galerie installiert
erreicht, dann ist das eine große Bestätigung.“ Natürlich ist
hat. Eine, für die der Verein nicht werben muss. Er kann sich
der Buschdorfer kein Fantast. Er weiß, dass auch ein gewis-
die Künstler aussuchen. Sie kommen nicht nur aus der Re-
ses Einkommen nötig ist, um seine künstlerischen Ideen um-
gion, sondern aus ganz Brandenburg, Berlin, aber auch aus
setzen zu können – und hat seine ganz persönliche Lösung
anderen Bundesländern. Die stets neuen Begegnungen mit
gefunden. Zum Markenzeichen Bartschs gehören seit vier
Künstlerkollegen sieht Bertold Bartsch als großen Gewinn.
Jahren Vogelhäuschen aus Ton. Keine Massenware, vielmehr
Als er ins Oderbruch zog, sei ihm die Nähe und das breite
jedes ein Unikat. Dabei kam dem studierten Industrie-Desi-
Spektrum der Kreativen in diesem Landstrich nicht bewusst
gner sein Gespür für Formen und Strukturen zugute.
gewesen. Heute ist das Miteinander für ihn ein Kraftquell im sonst einsamen Künstlerleben.
Längst haben die Häuschen den Status einfachen Handwerks überschritten. Wer in sein Atelier tritt, dessen Blick
Bartsch selbst hat bereits wiederholt in der Galerie des
fällt auf ganze Straßenzüge von Tonhäusern in italienischem
Schul- und Bethauses ausgestellt. Zudem sind seine Arbei-
Flair. Bertold Bartsch hat eine Möglichkeit gefunden, unab-
ten immer wieder auch bei den Wilhelmsauer Kunstmärkten
hängig von Sozialtransfers sein Leben zu bestreiten und sich
zu sehen, und an den Kunst-Loose-Tagen öffnet er sein Ate-
gleichzeitig vor Massenproduktion zu bewahren. Er sieht es
lier für Besucher.
als Privileg, so wie jetzt leben zu können. Doris Steinkraus
11
b
Joachim Böttcher / Berlin und Stabeshöhe (Uckermark) Malerei | Grafik | Bildhauerei
Foto: Karsta Lipp
Träger des Brandenburgischen Kunstpreises der Märkischen Oderzeitung 2010
Berlin-Prenzlauer Berg war in DDR-
lebt hatte. Auseinandersetzungen künstlerischer Art fan-
Zeiten ein legendärer Szenebezirk
den statt, die nutzbringend waren bei meinem Schritt in
für Intellektuelle und Künstler. Auch
eine neue Richtung“.
Joachim Böttcher, der 2010 mit dem
Der Kontakt zwischen Böttcher und Stötzer war bald
Brandenburgischen Kunstpreis für
mehr als eine Lehrer-Schüler-Beziehung, zu der nicht zuletzt
Plastik geehrt wurde, lebte dort vor
die Freundschaft zwischen Stötzer und Böttchers älterem
der Wende. Damals hatte er zwei
Bruder, dem Maler Manfred Böttcher, beitrug. Die Nähe, die
Ateliers, wo er als Bildhauer gear-
sein Mentor zuließ, war für Joachim Böttcher „entschieden
beitet hat. „Die Mieten waren günstig, und so konnte ich
vorwärtsbringend“. In dieser Zeit arbeitete Stötzer an sei-
mir das leisten. Mit der Wende wurde das Bildhaueratelier vom neuen Eigentümer einfach okkupiert.“ Eine Odyssee begann, die nur ein Künstler ermessen kann, der mit seinen Werken umziehen muss. Erfahrungen, die Joachim Böttcher nicht wegsteckt, die ihn aber auch nicht bitter gemacht haben. Die Übersiedelung in die Uckermark war keineswegs
„Für mich bleibt es wichtig, an einen Punkt zu kommen, an dem ich über die Arbeit etwas Neues entdecke ...“
eine Flucht, vielmehr eine Notwendigkeit, die sich mit dem Wunsch verband, einen dauerhaften Arbeitsplatz zu finden.
nem Relief für das Berliner Marx-Engels-Forum und räumte
In Stabeshöhe fand er ein Refugium, das ideale Bedingun-
seinen Schülern ein, an dessen Entstehungsprozess teil-
gen für seine bildhauerische Tätigkeit bietet.
zuhaben. Der Sommer am Ende seiner Meisterschülerzeit
Obwohl ausgebildeter Steinmetz, hat Joachim Böttcher
von 1980 bis 1983 brachte für Böttcher eine Initialzündung,
erst nach seinem Studium der Malerei in Dresden als Bild-
„weil ich begonnen habe, einen anderen, eigenen Weg zu be-
hauer zu arbeiten begonnen. Ausschlaggebend dafür war
schreiten. Es war sehr anregend für mich, dass Stötzer da
die Möglichkeit einer Meisterschülerzeit bei Werner Stöt-
war und wir uns austauschen konnten“.
zer an der Akademie der Künste in Berlin. Für ihn hatte er
Joachim Böttcher „hauen Steine heute nicht mehr vom
sich nach einigen freiberuflichen Jahren in Dresden und
Sockel, denn der Werkstoff birgt Vorschriften, welche den
Berlin als Mentor entschieden.
Gestaltungsrahmen seiner Geschöpfe einengen und diese
Böttcher empfand es als großes Glück, mit dem Akade-
im Schaffensverlauf der Entfaltung entziehen“, beschreibt
miemitglied Stötzer „einen Beistand und Anreger zu haben,
der Autor Björn Krenzlin die Entwicklung des Künstlers,
der mir freien Raum ließ, das zu machen, was mich von der
dessen Arbeit er über viele Jahre verfolgt hat. „Eine Ein-
Malerei zur Zeichnung und Skulptur führte. Die Reisen nach
schränkung, die ihm missfällt“, setzt er fort, „nicht aus ei-
Westberlin, die Meisterschülern ab und zu möglich waren,
ner Abstraktionsmanie heraus, sondern aus dem Verlust an
eröffneten mir innere Freiräume, die ich zuvor so nicht er-
Umsetzungsmöglichkeiten von Eingebungen.“ Der Stein sei
12
KUNST & KÜNSTLER IN BRANDENBURG
Fotos (2): privat
„Fragment“ / Gips für Bronze
„Torso“ / Manganton, gebrannt
13
Foto: privat
b
„Bildnis eines Schattens“, 2009, Mischtechnik auf Leinwand
14
www.edition-brandenburg.de