Brandenburgischer Kunstpreis 2013 | Katalog

Page 1

2013

Brandenburgischer

Kunstpreis d e r M 채 r k i s c h e n O d e r z e i t u n g i n Ko o p e ra t i o n m i t d e r S t i f t u n g S c h l o s s N e u h a rd e n b e rg


R O N A L D PA R I S HELGE LEIBERG M AT T H I A S F R I E D R I C H M U E C K E KNUTH SEIM D AV I D L E H M A N N

ROBERT ABTS HEIKE ADNER ANTOINETTE SABINE BARBER HEIKO BARTL BERTOLD BARTSCH DORIT BEARACH MARGUERITE BLUME-CÁRDENAS CAROLA CZEMPIK FRANK DIERSCH GISELA EICHARDT JÖRG ENGELHARDT SONJA ESCHEFELD ASTRID GERMO MARIANNE GIELEN ANNA VON GLASOW M A R C U S G O LT E R FRANK GOTTSMANN C AT R I N G R O S S E EVELIN GRUNEMANN ROSWITHA GRÜTTNER FRIEDRICH B. HENKEL CHRIS HINZE ULRIKE HOGREBE


2013

Brandenburgischer

Kunstpreis der M채rkischen Oderzeitung in Kooperation m i t d e r S t i f t u n g S c h l oss Ne u h a rd e n b e rg



Liebe Kunstfreundinnen und -freunde, seit zehn Jahren wird der Brandenburgische Kunstpreis der Märkischen Oderzeitung verliehen, ein Jubiläumsjahr also ist 2013, das zu einigen Überlegungen anregt. Die zehn Jahre beweisen, was Eingeweihte ohnehin immer wussten: Brandenburg ist keine künstlerische »Einöde «. Im Gegenteil: Steigende Besucherzahlen aus dem In- und Ausland zeigen, dass das Interesse an ­Brandenburg, seiner Geschichte und seinen Künsten wächst. Die große Ausstellung aus Anlass des 300. Geburtstages von Friedrich ii. im vergangenen Jahr in Potsdam besuchten annähernd 350.000 Menschen. Und das neue, Ende 2012 freigeschaltete Internet-Portal Brandenburger Köpfe (www.brandenburg.de) verzeichnete bereits nach nur drei Monaten 100.000 Besucherinnen und Besucher. Man ist neugierig auf Brandenburg, seine Vergangenheit und Gegenwart. Die diesjährige Preis-Ausschreibung hat deutlich gemacht, wie stark verwurzelt der Brandenburgische Kunstpreis in unserem Land mittlerweile ist. 190 Künstlerinnen und Künstler aus ganz Brandenburg haben sich beteiligt und Arbeiten eingesandt, so viel wie noch nie. Die Jury musste feststellen, dass es immer schwieriger wird, die besten drei herauszufinden. Die Qualität der Werke ist deutlich gestiegen. Offenbar gilt, was Theodor Fontane schon vor mehr als 100 Jahren feststellte: »Die große Stadt macht quick, flink, gewandt, aber sie verflacht und nimmt jedem, der nicht in Zurückgezogenheit in ihr lebt, jede höhere Produktionsfähigkeit.« Künstlerisch tätige Menschen wissen die Abgeschiedenheit manch brandenburgischen Winkels zu schätzen. Das moderne Brandenburg vereint Dynamik mit Ruhe und Abgeschiedenheit.

Der Preis hat dazu beigetragen, gegen eine schleichende Verwechselbarkeit zu arbeiten. Gerade weil der Begriff Kunst nicht mehr eindeutig definiert ist, ist die Gefahr der Beliebigkeit groß. Zurückgezogenheit in Fontanes Sinn hilft vielleicht. Auf jeden Fall würdigt der Brandenburgische Kunstpreis Originalität und Qualität, weil er sie öffentlich macht. Und das soll so bleiben! Auch erfüllt er seine Aufgabe, auf das künstlerische Schaffen in unserem Land aufmerksam zu machen, sehr erfolgreich. Meine Glückwünsche gelten in diesem Jahr den Preisträgern Helge Leiberg in der Kategorie Malerei, Knuth Seim in der Kategorie Plastik und Matthias ­Friedrich Muecke in der Kategorie Grafik. Den Ehrenpreis des Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg für ein künstlerisches Lebenswerk darf ich in diesem Jahr Ronald Paris überreichen. Der Maler und Grafiker, Wand- und Porträtmaler, der Künstler, den es aus Thüringen, wo er geboren wurde, nach Berlin und Rostock und schließlich ins brandenburgische Rangsdorf führte, ist auf seine Weise ein Weltbürger. Seine Reisen führten ihn in alle Himmelsrichtungen, von West- über Osteuropa in den Nahen Osten und weiter bis nach Indien. »Reisen bildet!« sagt das Sprichwort; für den Künstler ist es existenziell – »das ganze Schaffen ist letztlich Unterwegssein.« Im Widerstand sei er zu ddr-Zeiten nicht gewesen, sagte er einmal, aber mit seiner Kunst habe er »encouragieren« wollen. Mit Preisen überschüttet wurde er nicht. Paris’  Werke wurden und werden landauf, landab gezeigt. Es sind expressive, kräftige, farbenfrohe Bilder, ebenso ausdrucksstark wie unverwechselbar. Er ist ohne Zweifel ein Künstler von nationalem Rang. Sein Werk reicht – wie das einiger seiner Preisträger-Vorgänger – aus einer anderen Zeit


zu uns hinüber, geprägt von Höhen und Tiefen, Erfahrungen und Umständen, die die Nachgeborenen bald kaum mehr verstehen werden. Und doch ist das Werk zugleich ganz gegenwärtig. Das ist sehr brandenburgisch: Aus der »Abseitigkeit der Provinz« in das Weite, Große streben, die Welt in sich aufnehmen und spiegeln und sie ein wenig gestalten. Ronald Paris ist, so betrachtet, ohne Frage ein »Brandenburger Kopf«! Ich wünsche Ihnen, liebe Besucherinnen und Besucher, Freude und Anregung beim Betrachten der Werke nicht nur der Preisträger. Die Ausstellung gibt Einblicke in

ein vielseitiges und kraftvolles künstlerisches Schaffen im Land Brandenburg. Mein Dank gilt der Märkischen ­Oderzeitung für ihren langen Atem, den Kunst nun einmal braucht. Ich sehe den kommenden Jahren mit großem Interesse entgegen! Ihr Matthias Platzeck Ministerpräsident des Landes Brandenburg

Zwischen Mythologie und Alltag, Traum und Wirklichkeit Wir, die Künstler, sind Übersetzer. Mit zunehmender Erfahrung sehe ich klarer, was in meinem Kopf ist. Ich weiß immer besser, wie ich meine verrückten Ideen ausdrücken kann. —  Valérie Favre: Das Spiel mit der Staffelei, cafebabel.com, 2006. Förderung der zeitgenössischen Kunst schafft Freiräume für Kreativität. Wie bereits im vergangenen Jahr hat das Kulturministerium einen Nachwuchsförderpreis für Bildende Kunst ausgelobt, um die freie künstlerische Entfaltung junger Künstlerinnen und Künstler zu unterstützen. Das Stipendium ermöglicht dem Preisträger für einen Zeitraum von sechs Monaten ausschließlich seiner kreativen künstlerischen Tätigkeit zu folgen; es sichert ihm eine finanzielle Grundlage und öffnet ihm Türen und auch Horizonte. Ich freue mich, dass die Jury den in Cottbus lebenden, jungen Künstler David Lehmann für den Förderpreis 2013 vorgeschlagen hat. Seit 2008 ist er künstlerisch tätig. Als seinen ersten Lehrer bezeichnet Herr Lehmann den

Maler Hans Scheuerecker. Mit ihm führte er zahlreiche Gespräche über die Wirkungsmöglichkeiten von Kunst. Ausbildung, Ansporn und Prägung hat der junge Künstler zudem im Rahmen seines Studiums an der Berliner Universität der Künste erhalten. Er selbst nennt den Kunstwissenschaftler Karlheinz Lüdeking sowie Künstlerpersönlichkeiten wie Valérie Favre und Ólafur Elíasson als Lehrer und Vorbilder. Seine Bewerbung für den Förderpreis ist überzeugend und zeigt, dass David Lehmann vor Ideen sprüht und sich in vielfältigen künstlerischen Medien arbeiten und ausdrücken kann. Die Juroren plädierten für den Nachwuchskünstler, »weil er im Zusammenspiel von Idee und Material den Blick nicht nur auf die Welt und auf die Situation als Künstler spiegelt, sondern seine faszinierenden und bisweilen unergründlichen bildnerischen Entdeckungen immer auch mit ihm selbst zu tun haben, mit wechselnden Erfahrungen und Stimmungen«. Der Künstler will die Zeit des Stipendiums dazu nutzen, seine künstlerischen Intentionen mit verschie-


denen Medien umzusetzen. Exemplarisch dafür ist sein Projekt in der Galerie Fango, wo er in Form einer experimentellen bühnenhaften Inszenierung einen Einblick in sein aktuelles Schaffen geben will. Ich wünsche David Lehmann für die Fortsetzung seiner künstlerischen Arbeiten weiterhin viel Erfolg und bin froh darüber, ihn mit diesem Förderpreis dabei unterstützen zu können. Ob Malerei, Fotografie übermalte Radierungen, Spiegel­installationen oder Performances, der in seinen Heimatort Cottbus zurückgekehrte David Lehmann schafft virtuose, zeitgenössische Arbeiten mit theoretischen Hintergründen, die den Betrachter mit Fragen an die Wirkungsmöglichkeiten von Kunst konfrontieren. Dazu nutzt der Künstler in verfremdeter Form den Kulturfundus verschiedener Epochen. »Ich suche ein Ambiente, das man nicht nur flüchtig wahrnimmt und auch nicht so schnell vergisst. Ich fordere von der Kunst bare Erfahrungssituationen.«

Lassen wir uns überraschen von den expressiv anmutenden Malereien und Installationen des jungen Künstlers David Lehmann, die zwischen Mythologie und Alltag, Traum und Wirklichkeit thematisiert werden. Eine virtuose Kunst, die nicht zuletzt den Eindruck vermittelt, dass sie voller Lust auf Leinwand und Farbe gestaltet wurde. Prof. Dr.-Ing. Dr. Sabine Kunst Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg

Schrittmacher Kunst Auch Brandenburg und Berlin wurde es mit dem kürzlich veröffentlichten Zensus – der sogenannten Volks­zählung – ins Stammbuch geschrieben: Es leben in den beiden Ländern weniger Einwohner als gedacht und behördlich gemeldet. Und daß die Menschen nicht mehr werden, ist unter dem Begriff »demographischer Wandel« in beunruhigungsfrei-sedierendem »wording« seit langem bekannt, als kühle Tatsache jedoch alles andere als beruhigend, und zwar nicht nur in Brandenburg, aber vornehmlich dort: Der Mensch geht und die Landschaft wird zurückkommen, weil es zur Zeugung weiterer Exemplare unserer Spezies nur noch begrenzt kommen will. Dieser Prozeß ist nicht aufzuhalten, und den Menschen wird vielfach nichts anderes übrig bleiben, als mit ihm leben zu lernen.

Um vornehmlich den ländlichen Raum, aber auch manch schrumpfende Stadt in des alten Preußens »Streusandbüchse« unter den Bedingungen des ­Bevölkerungsrückgangs als attraktiven Lebensraum des Menschen wirklich lebendig zu erhalten, bedarf es überzeugenden, wegweisenden kreativen Tuns, das nicht schon dadurch seinen Namen verdient, wenn man jedem dritten »Flecken« das Zauberwort »Tourismushighlight« samt zementiertem Spaßbad mit angeschlossener »Wellness-Wunder-Wohligkeit« zu verpassen oder anzuhängen sich anschickt. Die Suche und das Finden kluger Lösungen beginnt bereits da, wo es gilt, auch die jungen Menschen, die in Brandenburg noch leben, dort zu halten. Und zwar nicht in irgendeiner verirrten, springerstiefelnden Wehrsport-


gruppe, die sich neuerdings auch in sorgsam gescheitelter Bürgerlichkeit als Nachbarschaftshilfeverein, als Sportoder Musikgruppe etikettenschwin­delerregend anzudienen beginnt. Und sicher ist es auch nicht damit getan, in bestimmten Regionen Brandenburgs Bücherbusse touren zu lassen und die Ärzteversorgung mit dem Ergebnis zu verbessern, daß auf der nächsten kulturellen Schwundstufe voraussichtlich »mobile Ärzte« gleich das Bücherlesen mit übernehmen. Diesseits und jenseits dieser wenig erfreulichen Aussichten stecken aber ebenso auch Chancen in diesen Lebensräumen, in diesem Land und seiner gezielten Entwicklung. Beinahe täglich erleben wir es vor der Haustür, daß die Menschen nicht erst seit gestern angefangen haben, sich selbst zu helfen. Und zu sehen ist, daß unendlich viele Privatinitiativen klug, beharrlich und frei von staatlicher Förderung einen erheblichen Beitrag zur Erhaltung der Kulturlandschaft leisten. Zugegeben mag manches scheitern. Aber vieles gelingt, vieles macht Mut und vieles trägt dazu bei, einer Region, einem Landstrich jenseits von Ökonomie und jenseits der Macht der Zahlen und des Geldes das Gefühl von Identität und Selbstbewußtsein zurückzuerstatten, das namentlich in Ostregionen von manchen Wendeimporten nach Konquistadorenmanier und ökonomischem Diktat bis zur persönlichen Unbehaustheit zerrüttet wurde. So gesehen ist die Initiative des Brandenburgischen Kunstpreises und des Preises des Ministerpräsidenten für ein Lebenswerk zumindest eine kleine Münze für das Haben oder Wiedererlangen eines brandenburgischen Selbstbewußtseins. Vielleicht stärken sie das Empfinden, als Künstler dieses Landes, als – wie man so merkwürdig verdreht sagt – »Kulturschaffender« wahrgenommen, in seiner Arbeit mit Aufmerksamkeit und Konzentration bedacht zu werden und Teil eines größeren Ganzen zu sein, das sich um die Dinge der Kunst und der Kultur »einen Kopf macht«, das dem pragmatischen Wirklichkeitssinn den schöpferischen Möglichkeitssinn entgegensetzt und das durch kreativen Eigensinn in jeweils anderen ästhe-

tischen Ausdrucksformen die Erfahrungen beglaubigt, die Menschen aus ihrem Leben ziehen. Mittlerweile kann man es wirklich als selbst von den hartgesottensten Ökonomen nicht mehr bestrittene Binsenwahrheit bezeichnen, daß vornehmlich Kunst und Kultur es vermögen, einem Land bzw. einer Region jene Identität zu vermitteln, die sie im Zuge eines sich vergrößernden Europa mehr denn je benötigen, um sich das Profil zu verschaffen, das sie vor der schleichenden Verwechselbarkeit bewahrt. Und der Weg von der Verwechselbarkeit über die Konturlosigkeit ins »Übersehen- und Vergessenwerden« ist bekannterweise ebenso knapp und kurz wie die logische Sekunde, die zwischen »user« und »loser« liegt. So gesehen maßt sich keiner der Preise an, der Weltkunst letzter Schrei sein zu wollen. Mit Sicherheit tragen sie aber maßgeblich dazu bei, das Profil, d. h. die kulturelle Identität dieses Landes zu schärfen und den Künstlerinnen und Künstlern eine neuerliche Initialzündung, den Mut und die Gelegenheit zu geben, ausgewählte Werke öffentlich zu zeigen und »katalog-verewigt« auch zum Kauf anzubieten. In diesem Sinne mögen diese Preise ein »Schrittmacher« sein: ein Stück Fundament und ein kleines mentales Faszikel für das kulturelle Selbstbewußtsein eines Landes, das mit einem markanten kulturell-künstlerischen Profil nicht zwingend im Übermaß gesegnet ist. Bernd Kauffmann Generalbevollmächtigter der Stiftung Schloss Neuhardenberg


Heraustreten aus der ­vermeintlichen Provinz Voraussehen ließ sich 2004 nicht, dass der kühne Versuch der Märkischen Oderzeitung, einen Kunstpreis für das Land Brandenburg neu zu begründen, erfolgreich sein würde. Inzwischen hat sich die jährlich in Kooperation mit der Stiftung Schloss Neuhardenberg verliehene Auszeichnung unter den Künstlerinnen und Künstlern des Landes herumgesprochen, ist von ihnen als eine Chance akzeptiert, miteinander in den Dialog zu treten. Und ich bin geneigt, von einer Tradition zu sprechen, die sich in den zurückliegenden zehn Jahren herausgebildet und die Künstlerschaft wie das Publikum gleichermaßen überzeugt hat. 190 Einreichungen in diesem Jahr sprechen für sich, ebenso wie die stetig steigende Anzahl der Besucher, die diesen Anlass nutzt, jeweils im Sommer nach Neuhardenberg in Märkisch Oderland zu kommen. Und dieses Interesse erweist sich auch in der Wertschätzung, die der Brandenburgische Kunstpreis mittlerweile bei Förderern wie dem Ministerpräsidenten oder der Kulturministerin im Laufe der Jahre gefunden hat. Mit dem Ehrenpreis des Ministerpräsidenten für ein Lebenswerk zeichnet Matthias Platzeck 2013 zum sechsten Mal einen in Brandenburg lebenden und schaffenden Künstler aus. Mit Ronald Paris wird ein Künstler gewürdigt, der vor allem mit seinen Landschaftsdarstellungen von der Ostsee bis Spanien, von Irland bis Indien hervorgetreten ist, der aber auch mit Porträts, Stillleben, Motiven aus der Mythologie, der jüngeren Geschichte wie der Literatur und dem Theater das Weltgeschehen bildnerisch gestaltet. Besonders populär wurde er durch die Gestaltung seiner Wandbilder, von denen das im Foyer der Uckermärkischen Bühnen Schwedt ein zentrales Thema seines Schaffens ausdrückt: »Triumph des Todes – Triumph des Lebens«.

Die »Lebenswerke«, so stellt Matthias Platzeck fest, »sind sehr brandenburgisch: Aus der vermeintlichen Abseitigkeit der Provinz in das Weite, Große streben, die Welt in sich aufnehmen, sie spiegeln und gestalten. Die Werke beweisen, was Eingeweihte immer schon wussten: Brandenburg war und ist Heimat überragender Künstler.« Helge Leibergs schwebende Gestalten sind von so eigener Art und im Oderbruch durch verschiedene Performances inzwischen so behaust, dass ihm der Preis für Malerei dieses Jubiläumsjahres geradezu zwingend zuerkannt werden musste. Matthias Friedrich Mueckes Leidenschaft für Bertolt Brecht führte den in Krummenpfahl lebenden und arbeitenden Grafiker zu einer Neuinterpretation der Geschichte des herzlosen Surabaya-Johnny. Nach einem früheren Künstlerbuch, für das er den Preis für das schönste deutsche Buch erhalten hat, wird seine kunstvoll wie originell in Bild und Schrift gesetzte Geschichte dieses Inbegriffs eines Machos jetzt mit dem Grafikpreis ausgezeichnet. Knuth Seims Nähe zu einem der ersten Ehrenpreisträger, Wieland Förster, ist unverkennbar. Dessen preisgegebenen und darum so verzweifelt um Schutz suchenden Heinrich von Kleist findet man wieder in der Geste der Skulptur Wohin? des im Havelland lebenden Bildhauers. Der zehnte Brandenburgische Kunstpreis bietet einerseits die Gelegenheit, für einen Moment innezuhalten und zurück zu schauen. Zugleich sollte er Ansporn sein, nicht nachzulassen bei der Förderung der Künstler Brandenburgs. Die Märkische Oderzeitung fühlt sich dieser jungen Tradition verpflichtet. Frank Mangelsdorf Chefredakteur der Märkischen Oderzeitung


Ehrenpreis

des Ministerpr채sidenten des Landes Brandenburg f체r ein Lebenswerk

Ronald Paris


Eine saubere, lautere Mitteilung Der Maler Ronald Paris erhält den Ehren­preis des Minister­prä­sidenten­ Matthias Platzeck

Flugzeuge und Bomben. »Damit hat es angefangen«, sagt Ronald Paris. Gezeichnet auf der Rückseite der aussortierten Kassenrollen, die die in einem Bioreform-Geschäft arbeitende Mutter dem Sohn überlassen hatte. Auch wenn die Motive heute vielleicht seltsam anmuten. »Das war es, was mich damals beeindruckt hat«, erinnert sich der 79-Jährige. Ihn, das Kriegskind. Irgendwann habe seine Mutter die ganzen Rollen wohl weggeworfen. Das nimmt er ihr übel. Denn selbst wenn es nur Gekritzel war, lange vor seinen ersten Versuchen im Aktzeichenkurs, als 16-jähriger Glasmaler-Lehrling unter lauter Weimarer Bauhochschulstudenten – jene Kinderzeichnungen markieren den Beginn dessen, was Ronald Paris heute das »Drängen, sich mitzuteilen«, nennt. Ein Drängen, aus dem ein Lebenswerk entstanden ist – und immer noch entsteht: große öffentliche Arbeiten wie das Wandgemälde Lob des Kommunismus nach Brecht und das Altarbild für die Trinitatis-Kirche in Sondershausen, Porträts von Persönlichkeiten wie Hanns Eisler, Wolf Biermann, Heiner Müller, dazu unzählige Ölbilder, Aquarelle, Grafiken. Im Juni wird der Ministerpräsident des Landes Brandenburg, Matthias Platzek (spd), Ronald Paris dafür im Rahmen des Brandenburgischen Kunstpreises den von ihm gestifteten Ehrenpreis überreichen. Ihm, dem, wie er selbst sagt, »mit Preisen nicht gerade Verwöhnten«. »Ich habe einen Tag gebraucht, um die Nachricht zu verdauen«, gesteht der Maler trocken. Und das in seinem 80. Lebensjahr. In Sondershausen, Thüringen, ist Paris geboren, am 12. August 1933. Seine Eltern hatten sich dort im Weißen Ross kennengelernt, einem Wirtshaus, in dem

die Schauspieler des Fürstlichen Hoftheaters essen gingen. Sein Vater – einer von ihnen, die Mutter – eines der jungen Serviermädchen, die kichernd die Speisen auftrugen. Später zieht die Familie nach Weimar in die Wohnung eines Onkels, die für den jungen Ronald zur Erleuchtung wird. »Er war Bildhauer, und die Wände dort hingen voller Gemälde. Eine Optik, die einen gefangen nahm – und die ich so nicht kannte.« Ein anderer Onkel wiederum lässt Paris in seinem kunsthistorischen Archiv stöbern. Der Samen ist gelegt, und als der Vater seines Freundes Hans Vent die beiden Jungen auffordert: »Kauft euch ordentliche Skizzenbücher und geht raus zeichnen!«, beginnt die Saat aufzugehen. An der Bauhochschule versucht sich Paris nicht nur an ersten Akten; er übt sich auch im Schrift- und Freihandzeichnen. Mit Stift und Papier in der Hand sitzt er auf der Wiese, will die Welt erobern – und lernt, als sein Lehrer Albert Schäfer-Ast eine Hummel auf einer Blüte malt, eine wichtige Lektion: »Oft liegt das Kleine im Großen und das Große im Kleinen. Am Ende geht es darum, jedes Detail sinnlich zu erfassen.« Nein, Glasmaler will er nicht bleiben. Er geht zur Arbeiter- und Bauernfakultät der Friedrich-SchillerUniversität Jena, beginnt ein Volontariat als Restaurator im Gothaer Schloss Friedenstein – und wird 1953 gemeinsam mit Vent an der Kunsthochschule BerlinWeißensee aufgenommen. Bis 1958 studiert Paris dort Wandmalerei, zu seinen Lehrern gehören Kurt Robbel, Arno Mohr und Gabriele Mucchi, der später sein väterlicher Freund wird. »Auch wenn über allem die Doktrin des Sozialistischen Realismus schwebte, war es doch eine Zeit, in der ich durch einen Wasserfall von Eindrücken wanderte«, erzählt Paris. Als Diplom gestaltet der junge Maler die Wand einer Mensa in einem Studentenheim. Dann geht er, noch vor jedem offiziellen Ruf, mit Kollegen raus aufs Land, nach


Wartenberg bei Berlin. Ohne sich als Künstler erkennen zu geben, helfen sie beim Setzen von Kohlrabipflanzen – und zeichnen nebenher, was ihnen vor die Augen kommt. Die Ausstellung, die daraus am Ende bestückt wird, bleibt nicht ohne Kritik der staatlichen Kulturfunktionäre. Warum die Bauern auf den Bildern barfuß seien?! »Unsere Menschen, hieß es, würden doch Schuhe tragen.« Man habe so etwas heiter genommen, sagt Ronald Paris. Doch er, der Freund von Regimekritikern wie Wolf Biermann und Robert Havemann, sei kein Widerständler gewesen. Gepiekst hat er, Dinge auch mal infrage gestellt.

Versucht, als Mitglied des Zentralvorstandes und Vorsitzender der Berliner Sektion des Verbandes Bildender Künstler der ddr denen »eine Stimme zu geben, die nicht so sprachgewandt waren«. »Entweder man schickt sich in ein gesellschaftliches Gefüge, oder man lebt auf dem Mond«: So sieht Paris das. Bis heute, sagt er, könne er jene nicht für schuldig erklären, die damals ihre »ideologische Glocke über die Gesellschaft« gestülpt hätten. »Sie haben das aus ihrer Erfahrung der Kriegsjahre heraus getan, sie wussten es nicht besser.« Was er dagegen anprangert, sind »die Willkür, die Übertreibung«, die daraus gewachsen sind.


Auch in der Kunst, in der »kreatives und intellektuelles Potenzial mit Verdikten belegt« wurde, wie Paris in Karlen Vespers Interviewband Wahr und wahrhaftig beschreibt: »Subjektivismus, Formalismus, Individualismus etc. Diese Zuordnungen dienten nur dazu, eine sogenannte neue Kunst und Kultur zu feiern, die der dekadenten bürgerlichen Kunst und Kultur diametral entgegenstünde und ihr überlegen sei. Man kann jedoch Kunst und Kultur nicht nach Systemzugehörigkeit ­kategorisieren.« Betroffen sein, betroffen arbeiten – um dann Betroffenheit auszulösen, das ist für Paris der Rahmen, in dem

sich ein Künstler bewegen muss. »Es geht darum, eine saubere, lautere Mitteilung zu machen. Und: Man muss sich immer wieder selbst überraschen.« Das habe er auch seinen Studenten an der Burg Giebichenstein in Halle gesagt, wo er von 1993 bis 1999 unterrichtete. »Ich selbst habe mit fast 80 Jahren noch Knoten im Gehirn, die ich öffnen möchte. Das ganze Schaffen ist letztlich ­Unterwegssein.« Seine Motive sucht sich Paris gerade in jüngerer Zeit dabei gern auf Reisen. Irland zum Beispiel, die Begegnung mit den Elementen dort hat ihn fasziniert, Italien mit seinem Licht – und neuerdings auch Indien, das


Triumph des Todes – Triumph des Lebens W a n d b i l d i m F o y e r d e r U c k e r ­m ä r k i s c h e n B ü h n e n S c h w e d t 1 9 8 2 , Ö l a u f H o l z ta f e l n , 4 x 1 6 m


Robert zur Heimat geworden ist, seinem Sohn aus der Ehe mit Fotografin Helga Paris, aus der auch Tochter Jenny ­Helena stammt. Porträts seiner Enkel hängen in Paris’ Atelier in Rangsdorf (Teltow-Fläming), wohin der Maler mit seiner zweiten Frau Isolde und der gemeinsamen Tochter Anna Therese Mitte der 80er-Jahre gezogen ist. Dort steht er auch heute noch an manchen Tagen 14 Stunden lang ohne Unterbrechung an der Staffelei, spielt seit einiger Zeit auch mit Collagen, die er aus Magazin-Fotos montiert. Sich von seinen Bildern zu trennen, sagt er, fällt ihm schwer. »Das ist wie mit Kindern, die entlässt man nicht so gern.« Es sei denn, es findet sich ein Abnehmer, der eine Beziehung zu den Werken ahnen lässt. Andernfalls, auch das hat Paris erfahren müssen, kann es passieren, dass die Kunst sogar verschwindet. Wie bei jenem Porträt, das er einst vom Schauspieler Ernst Busch gemalt hat, der, wie er sagt, »eine Ausgeburtheit an Eitelkeit« war. Das Bild jedenfalls stieß auf wenig Gegenliebe; alt sehe Busch aus, hieß es, »besoffen« gar. Am Ende war das Gemälde einfach verschwunden. »Später habe ich es noch mal gemalt, nach Skizzen und einem Foto.« Jetzt hängt es in der nach Busch benannten Berliner ­Hochschule für Schauspielkunst. Mit Schauspielerin Inge Keller, so scheint es, hat es Paris da leichter gehabt. 2009 sind Zeichnungen von ihr und im vergangenen Jahr ein Gemälde entstanden. Dieser Tage hat sie dem Künstler wieder geschrieben – und ihn zu einer Lesung eingeladen, in Schloss Neuhardenberg.

Ronald Paris

In drei Wochen wird Ronald Paris dort selbst auf der Bühne stehen, den Preis für sein Lebenswerk entgegen­ nehmen und einen Ausschnitt aus seinem Schaffen zeigen, bevor er sich im August in die Potsdamer Schau der bisherigen Ehrenpreisträger einreiht. Auf die, gesteht er, freut er sich besonders. Denn trotz aller Erfahrung: »Die Möglichkeit, sich in einer Ausstellung zu vergleichen, die fehlt mir schon.« Stephanie Lubasch

Malerei, Graphik; lebt und arbeitet in Rangsdorf

1933 in Sondershausen geboren 1948 Ausbildung zum

Kunstglaser und Glasmaler in Weimar 1952 Ausbildung zum Restaurator im Schlossmuseum Gotha 1953–58 Studium der Wandmalerei an der Hochschule für Bildende und angewandte Kunst in Berlin-Weißensee bei Kurt Robbel, Arno Mohr, Bert Heller, Gabriele Mucchi und Toni Mau seit 1959 freischaffend  1961 Mitglied im Verband Bildender Künstler Deutschlands (vbk) 1962 Plakatentwurf für Brechts Stück Schweyk im Zweiten Weltkrieg am Berliner Ensemble 1963–1966 Meisterschüler bei Otto Nagel an der Deutschen Akademie der Künste Ost-Berlin 1965 Mitbegründer, später Vorsitzender der Triennale Intergrafik

Preise und Stipendien   1967 Käthe-Kollwitz-Medaille der Akademie der

Künste Ost-Berlin 1969 Graphikmappe Künstler sehen Künstler; Porträt des Sängers und Schauspielers Ernst Busch 1976 Nationalpreis der ddr ii. Klasse für Kunst und Literatur 1985 Übersiedlung von Rostock nach Rangsdorf 1993–1999 Professur an der Hochschule für Gestaltung Burg Giebichenstein in Halle/Saale

Einzelausstellungen (Auswahl) 2008 Retrospektiven in Sondershausen, Schwerin, Potsdam,

Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte 2011 Meißen, Evangelische Akademie St. Afra  2 012 Merseburg, Willi-Sitte-Stiftung 2013

Sondershausen, Galerie im Schlossmuseum; Glashütte, Packschuppen


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.