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"Es geht nicht um mich!“

In diesem Artikel richten wir den Fokus auf sie, aber auf der Bühne will Dorothy Khadem-Missagh die Musik sprechen lassen: als Pianistin, Intendantin und als eine der wenigen Orchester-Dirigentinnen Österreichs. Was sie lehrte, im Moment zu sein.

Die Musik ist ihre Eintrittskarte in eine andere Welt. Und für Reisen um die Welt. Sie ist ihr Lebenselixier und ihre Mentorin. Es scheint, als würde sie keine Gelegenheit auslassen wollen, um die Musik in möglichst vielen Facetten in ihr Leben integrieren zu können. Dorothy Khadem-Missagh ist Pianistin, Festivalintendantin – und seit Kurzem auch Dirigentin, eine bis heute keine alltägliche Position für eine Frau. Das zusätzlich Faszinierende an der Badenerin ist: Wie voll ihr Terminkalender auch ist, ich erlebe sie bei jeder Begegnung fokussiert, im Moment seiend – und herzlich. Wieso hast du ein eigenes Festival ins Leben gerufen?

Dorothy Khadem-Missagh: Weil ich gerne gestalte und Menschen zusammenbringe. Wenn wir eine Vielfalt im Publikum haben wollen, braucht es auch eine Vielfalt bei der künstlerischen Leitung. Ich begegne als Pianistin immer wieder dem Bild, dass die Entscheidungen von Herren getroffen werden. Ich mag es, neue Wege zu gehen; Ludwig van Beethovens 250. Geburtstag bot sich an, 2020 ein eigenes Festival zu gründen. Der andere Aspekt ist: Auf meinen Konzertreisen bekomme ich einen anderen Blick. Das Beethoven-Haus und andere Gedenkstätten sind für mich selbstverständlich. Seine Musik spielt für mich als Pianistin seit der Kindheit eine besondere Rolle, trotzdem machte ich mir lange nicht viele Gedanken darüber, auf welchen Wegen ich

Beethoven Fr Hling 2023

11. Mai, Eröffnung mit dem FestivalOrchester unter der Leitung von Dorothy Khadem-Missagh, Casino Baden

31. Mai, Im Gespräch

7. Juni, Konzert Trio KlaVis und Sophie Aujesky liest Peter Turrini, Museum St. Peter an der Sperr, Wr. Neustadt

9. Juni, Aureum (Bild), Schloss Wasserhof Gneixendorf

17. und 18. Juni, Abschluss und Zugabe, Kasematten Wr. Neustadt beethovenfruehling.at täglich wandle. Das ändert sich, wenn ich in Asien erzähle, dass ich aus der Beethoven-Stadt Baden komme.

Mit dreieinhalb Jahren begann Dorothy Khadem-Missagh Klavier zu spielen. Heute ist sie vielfach preisgekrönte Pianistin – und seit Kurzem auch Dirigentin.

Wie reagiert man da?

Da stehen die Münder offen (lacht). Ich bin umgekehrt beeindruckt davon, wenn dort im 50. Stockwerk in kürzester Zeit ein großer Konzertsaal errichtet wird. Meine Reisen schärfen jedenfalls den Blick auf die besonderen Orte, die uns hier umgeben: Als Beethoven in Wien bereits wie ein Popstar gefeiert wurde, fand er in Niederösterreich Rückzugs- und Inspirationsorte, die wir beim Festival bespielen. Ein Beispiel: das Schloss Wasserhof in Gneixendorf, das sonst öffentlich gar nicht zugängig ist; es gehörte Beethovens Bruder.

Du warst 27 Jahre jung, als du mit dem Beethoven Frühling gestartet hast. Wie war der Start?

Kein Honiglecken (lacht). Selbst Leute, die mich und meine Energie kennen, haben mir davon abgeraten. Wenn eine Mittzwanzigerin mit einer Festivalidee an Sponsoren tritt, ist das wie eine Aktie, die noch keinen Namen hat. Der finanzielle Aspekt bleibt eine Herausforderung, aber wir haben das auch nie als Business, mit dem wir G eld verdienen wollten, gesehen. Ich habe den echten Wunsch, gesellschaftlich einen Beitrag zu leisten: Räume zu schaffen, in denen Musik die Menschen zusammenbringt. Wir brauchen das aktuell mehr denn je, wo zuletzt verschiedene Themen die Gesellschaft immer wieder spalten.

Ihr musstet zwei Jahre hindurch ständig an die Covid-Situation angepasste, innovative Lösungen für eure Konzerte finden – und habt euch nicht entmutigen lassen. Weil das Festival ein solches Herzensanliegen ist?

Ja, und trotzdem darf man nicht vergessen, dass Künstlerinnen und Künstler ihre Arbeit aus und mit Liebe machen, die Kunst aber gleichzeitig einen Wert hat und auch finanziell entlohnt werden muss. Niemand hinterfragt, ob er einen Installateur bezahlen will, bei Musikerinnen und Musikern wird immer verhandelt. Wir leisten einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag, Musik ist Nahrung für die Seele. Was ist dir als Intendantin inhaltlich wichtig?

Der Namensgeber und sein Werk haben klarerweise einen wichtigen Stellenwert, aber wir werden nicht Beethoven mit Scheuklappen spielen. Wir spannen den Bogen bis hin zur zeitgenössischen Musik. Er selbst war zu seiner Zeit so revolutionär, dass er zunächst teilweise gar nicht verstanden wurde. Zu Gast werden Formationen in ungewohnten Besetzungen sein, wie etwa das Trio KlaVis mit Klavier, Geige und Saxofon, oder das Louie‘s Cage Percussion Ensemble. Beim Forum Beethoven Frühling bieten wir jungen Musikerinnen und Musikern eine Plattform, wo sie sich mit erfahrenen Kolleginnen und Kollegen austauschen können. Das soll weniger wie eine klassische Masterclass ablaufen, wo von oben herab gelehrt wird; es soll ein offener Diskurs, ein gemeinsames Erforschen von Musik stattfinden.

Einer der Höhepunkte: Wir feiern die Eröffnung erstmals mit einem eigenen Festivalorchester in sinfonischer Größe, mit einem schönen Programm mit Beethoven und Dvorák.

… das du dirigieren wirst. Das ist neu in deiner musikalischen Laufbahn. Wie kam es dazu?

Ich habe das Privileg, in einer Familie aufgewachsen zu sein, wo Musik immer und überall vorhanden war. Mein Vater und meine Geschwister sind Geiger, meine Mutter hatte eine wunderschöne Stimme. Eine unglaublich wertvolle Erfahrung war für mich, dass ich von Anfang an zu Proben und Konzerten mitgenommen wurde. Mein Vater war über 40 Jahre Konzertmeister der Tonkünstler, ich habe viele große Dirigenten gesehen und immer den vielseitigen Klang der Orchester genossen. Ich habe auch meinen Vater dirigierend erlebt – beim Festival Allegro Vivo, das er im Waldviertel aufgebaut hat. Dort habe ich mich schon als kleines Kind auf die Sessel gestellt und mitdirigiert (lacht).

Meister wie Leonard Bernstein, die vom Klavier kommend große Orchester-Dirigenten waren, haben mich inspiriert. Das Orchester als Pianistin in meinen zwei Händen haben zu können, ist ein Privileg und bietet viele Möglichkeiten. Aber das Dirigieren selbst hatte ich lange nicht als Option im Kopf, die weiblichen Vorbilder kamen erst nach und nach. Erst vor Kurzem habe ich diesen Weg sich für mich öffnen gesehen.

Hast du heute Vorbilder?

Sian Edwards, die in London an der Royal Academy of Music das Department Dirigieren leitet und jetzt auch an der mdw Wien eine Professur hat, hat mich ermutigt; sie ist für mich eine wichtige Mentorin geworden.

Du hast an einem Programm für Dirigentinnen an der Royal Academy of Music teilgenommen; nach einem aufwendigen Auswahlverfahren erhielten eine Handvoll Leute ein Vollstipendium. Wie hast du das erlebt?

Das war ein sehr besonderes Pro- gramm: Wir hatten drei Lehrende, drei erfolgreiche Dirigentinnen, und bekamen regelmäßig die Möglichkeit, mit einem großen Orchester das Repertoire zu erarbeiten und daran zu feilen. Um Musik erklingen zu lassen, brauche ich als Pianistin mein Instrument und meine zehn Finger. Als Dirigentin bin ich eine Vermittlerin; ich bin da, um eine Brücke zu 80 oder 100 Leuten zu schlagen, ein Werk gemeinsam zu erarbeiten – ich bin nicht die Inszenierung.

Wie geht es dir, wenn du vor so eine große Gruppe trittst?

Ich fokussiere mich auf die Musik. Die Zeit des Dirigenten als Diktator ist zum Glück längst vorbei; es ist ein Musizieren auf Augenhöhe, ein gemeinsames Erforschen und Entdecken. Es braucht Feingefühl, Empathie, Menschenkenntnis und auch Führungsqualitäten, die fundiert sein müssen. Ich arbeite mit dem Bewusstsein, dass ich vor topausgebildeten Leuten stehe. Für eine Stelle als Geiger bewerben sich heute rund 200 Leute; schon bevor die Musikerin oder der Musiker das Studium beginnt, hat sie oder er mehr als 10.000 Stunden am Instrument verbracht; dann wurden noch das Studium und das Probespiel absolviert, um im Orchester mitwirken zu können. Natürlich stehe ich über niemanden, es muss ein Miteinander sein.

Ist die Situation womöglich einschüchternd?

Nein, es ist sehr schön, denn ich bin ebenso qualifiziert (lacht). So gern man möchte, dass einen jeder mag, so wird es nicht sein, und das muss okay sein. Es geht nicht um mich, sondern um die Musik. Sie muss berühren, ihre Aussagekraft haben und die Menschen inspirieren.

Du stehst zwar augenscheinlich im Mittelpunkt, nimmst dich aber zurück, richtig?

Ja. Ein berühmter Geiger wurde einmal gefragt: „Was ist Ihr Geheimnis?“ – Er antwortete darauf: „Wenn ich auf die Bühne trete und das Scheinwerferlicht auf mich strahlt, mache ich einen Schritt auf die Seite, damit die Musik im Vordergrund stehen kann.“ dorothy-khadem-missagh.com

Wie blickst du in die Zukunft?

Manchmal setzt man sich Ziele und ist so enttäuscht, wenn sie nicht eintreten, dass man übersieht, welche anderen Türen aufgehen. Ich versuche mich langfristig so auszurichten, dass ich mich nicht verbiege; ich will mir und der Musik treu bleiben. Kurzfristig will ich flexibel auf das eingehen können, was kommt. Das hat mich meine Lebensgeschichte gelehrt, weil meine Mutter schwer erkrankt ist, als ich gerade einmal 20 Jahre alt war. Ich habe mir in diesem Jahr viel Zeit genommen, um bewusst mit ihr zu sein, bevor sie starb.

Wie haben dich deine Eltern geprägt? Sie waren immer sehr unterstützend, haben meine Begabung gefördert, indem sie mich zu den richtigen Lehrenden gebracht haben, aber mir auch nicht alles abgenommen. Ich habe selbst meine Tages- und Wochenpläne zusammengestellt, wann und wie viel ich zu üben hatte. Ich habe andere Musikerfamilien gesehen, wo sehr viel mit Druck und Erwartungen gearbeitet wurde oder man auch zu viel half. Meine Eltern haben mich entwickeln lassen. Das ist wertvoll, wenn man auf der einen Seite die Liebe spürt, und zwar unabhängig davon, was man erreicht. Und auf der anderen Seite die Ermutigung, dass man selbst Verantwortung übernehmen und seinen Weg selber finden kann.

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