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in Tennissocken
Sie singen, tanzen, performen und bringen in spektakulären Kostümen und mit leuchtendem Make-up jede Location zum Vibrieren.
Im Mai kommt der Schmusechor zwei Mal nach Niederösterreich.
Bis zum letzten Moment umkreisten bedrohliche Wolken den Lunzer See im Mostviertel. Manche Augenpaare waren noch gen Himmel gerichtet, als aus der Ferne leise Stimmen erklangen. „Das gibt’s nicht, fährt hier glatt ein Boot vorbei“, zischte die zuvor noch vorfreudig strahlende Frau neben mir. „Wissen die nicht, dass hier ein Festival stattfindet?“ Doch, das wussten sie. Zielsicher näherte sich die farbenprächtig gekleidete Gruppe im Boot – und zwar singend –, um schließlich selbst auf die wellenklænge-Bühne zu treten. Ihre Kostümierung trug den Titel „Business Mermaid“, wie Chorleiterin Verena Giesinger das Publikum später wissen ließ. Es folgte ein Konzert gemeinsam mit Violetta Parasini: eine unvergessliche Augen- und Ohrenweide; die Empörung meiner sympathischen Sitznachbarin wich in Sekunden großer Begeisterung, der Abend endete mit tosendem Applaus.
Was das Ensemble mit dem warmherzigen Namen „Schmusechor“ tut, ist mehr als „bloß“ miteinander zu singen. Wie viel mehr, wird mir bewusst, als wir uns zum Interview treffen: mit der Gründerin und Dirigentin Verena Giesinger und der Mezzosopranistin und Make-up-Verantwortlichen La- vinia Lanner. Gemeinsam rudern wir zurück an den Anfang: ins Wiener WG-Zimmer der gebürtigen Vorarlbergerin, wo sie vor gut neun Jahren den Chor ihrer Träume aus der Taufe hob. Am 13. Mai gastiert das Popensemble in der Tischlerei Melk, am 28. Mai krönt es einen Wochenend-Workshop mit einem Konzert bei einem Heurigen in der Wachau (siehe Info).
Die Gründerin und das Fangirl. Verena Giesinger wuchs vorwiegend mit klassischer Musik auf; sie spielte Geige und Klavier, sang in Chören mit. Nach einem prägenden Gap Year in Indien studiert sie Musiktherapie, arbeitet in einer Erwachsenenpsychiatrie in Wien und bekommt Sehnsucht, wieder selbst aktiv zu sein. „Aber ich habe die Klassik nicht mehr so gespürt. Ich wollte nicht mehr etwas reproduzieren, das vor hundert oder mehr Jahren komponiert wurde. Ich wollte Musik machen, die ich selbst konsumiere: Pop berührt mich, Pop holt mich emotional ab“, erzählt sie. Als sie nicht fündig wird, macht sie ihr eigenes Ding, der „Schmusechor“ wird geboren. Wieso der Name? „Küssen und Singen macht man beides mit dem Mund – und mit Leidenschaft“, sagt sie.
Gut sechs Jahre ist es her, als Lavinia Lanners Biografie sich mit jener des Schmusechors zu verweben begann. „Ich war zuerst ein Fangirl“, schmunzelt sie. Auch die Salzburgerin wächst mit Musik auf, in Wien studiert sie aber an der Akademie der Bildenden Künste und wird freischaffende Künstlerin. „Ich ließ die Musik pausieren, aber irgendwann musste ich mir eingestehen, dass sie mir irrsinnig fehlt, besonders die Chorerfahrung.“ Bei einer offenen Probe 2017 verliert sie endgültig ihr Herz an den Schmusechor: „Ich wusste sofort: Das sind meine ,Lüt‘, das ist meine Gang.“
Das Gesamterlebnis wurde weiter intensiviert: Die Mitglieder singen, tanzen, und sie zelebrieren auf der Bühne die Energie und die Gefühle, die all das freisetzt. „Wir brennen dafür, was wir machen“, ergänzt Lavinia. Das reißt mit. Und zwar ziemlich ausnahmslos und auch an unerwarteten Orten wie kürzlich bei einem Heurigen in der Wachau. Der Schmusechor hatte dort eine Art Klausur. Mit einem Konzert in „Donau“Kostümen überraschte man die Gäste über ihren Brettljausen. „Ich hab‘ die Skepsis im Rücken gespürt“, lacht die Dirigentin, „aber es hat keine drei Songs gebraucht, bis wir die Menschen um unseren musikalischen Finger gewickelt haben. Am Schluss haben sie Backstreet Boys mitgesungen.“
Der Schmusechor
... wurde 2014 von Verena Giesinger gegründet. Seit Kurzem zählt das schillernde Popensemble bereits 43 Mitglieder aus unterschiedlichen Berufen und Generationen. Ihre – häufig ausverkauften – Konzerte feiern sie als Bühnenperformances in extravaganten Outfits, das breite musikalische Spektrum erstreckt sich von Songs von Aretha Franklin über Billie Eilish bis hin zu den Backstreet Boys. Daheim ist der Schmusechor in Wien, seine Klausuren hält er mit Vorliebe in Niederösterreich ab.
Der Tag soll sofort besser werden? Auf YouTube gehen und Schmusechor + Radiokulturhaus ins Suchfeld tippen!
Konzerttermine in Niederösterreich
13. Mai, Tischlerei Melk, www.wachaukulturmelk.at
28. Mai, Weinhauer Brustbauer, Dürnstein, brustbauer.at schmusechor.at
Schmusechor ist ein Lifestyle. „Ich geh‘ regelmäßig aus meiner Komfortzone raus, weil wir uns gegenseitig dorthin motivieren“, sagt Verena. Lange setzte sich der Schmusechor aus etwa gleichaltrigen Personen mit Hochschulabschluss zusammen; „wir waren eine so homogene Gruppe, dass es mir manchmal fast unangenehm war“, merkt sie selbstkritisch an. Man wollte bewusst befruchtende „Unruhe“ hineinbringen und wachsen. Der Schmusechor lud vor gut einem halben Jahr zum „Speed Dating“, bei dem Interessierte mitsingen, in Kostüme schlüpfen und miteinander plaudern konnten. 100 Menschen waren gekommen, 15 Sängerinnen und Sänger kamen zum Chor dazu. „Wir wurden diverser, auch altersmäßig, das ist sehr bereichernd.“ Ein revolutionärer Aspekt: „Auch wir haben zuerst dem klassischen Chorbild mit Bass, Tenor, Alt, Sopran, Mezzosopran entsprochen. Wir brechen dieses veraltete Bild auf.“ Die Mitglieder können nunmehr unabhängig vom Geschlecht zwischen den Stimmlagen wechseln. „Wir selbst sind damit aufgewachsen, dass man zu Tenor und Bass ,die Männer‘ sagt“, merkt Lavinia an. „Aber es ist genauso richtig, Begriffe zu verwenden wie die tiefen und die hohen Stimmen. Auch wir als woke Personen müssen laufend nachjustieren.“
Der Look als Message. Der Schmusechor stimmt das Bühnenoutfit jeweils auf Auftritte und unterschiedliche Themen ab. „Unser erstes gemeinsames Merkmal waren Tennissocken“, erzählt Verena. „2014 war das schon mutig“, sagt Lavinia, und wir müssen lachen. 2015 setzt man das erste Mal ein bewusst politisches Zeichen. „Rassismus und die Situation der flüchtenden Menschen haben uns sehr beschäftigt. Wir haben uns T-Shirts siebgedruckt mit der Message: ,Abschmusen statt abschieben‘“, beschreibt Verena.
Von da an verselbstständigte sich die Abteilung Kostüme; Mave Venturin blühte darin so sehr auf, dass sie mittlerweile auch abseits vom Chorleben Musikvideos und Film ausstattet. Zu den Proben rollt sie regelmäßig riesige Koffer mit Kostümen, es werden Moodboards erstellt, die Mitglieder steuern Teile aus dem privaten Fundus bei, und es gab erste Kooperationen mit Designerinnen. Beim Konzert im Wiener ORF Radiokulturhaus wurden Modelle von Lisi Lang ausgeführt, die ebenfalls ausverkaufte musikalische Lesung mit Minusgold feierte der Schmusechor in Unterwäsche (unten drunter und oben drüber) von „amour fou*“ und „körbchen“. Haare und Make-up sind Lavinias Abteilung. „Man glaubt nicht, wie wichtig Details wie Nagellack oder Lippenstift sind: fürs Publikum, aber auch die innere Haltung auf der Bühne ändert sich.“ Als freischaffende Künstlerin zeichnet sie ausschließlich mit Bleistift (Tipp: lavinialanner.com), „aber für den Schmusechor greife ich ordentlich in die Paletten und Glitzertuben“. Das ist für viele Mitglieder, die aus unterschiedlichen Arbeitskontexten kommen auch nicht alltäglich. „Aber es wurde schnell zur Normalität, genauso kann man das als Teil einer
Bewegung hinaustragen“, sagt Lavinia.
„Blümchenkleider von Bass bis Sopran und männlich gelesene Personen mit Lippenstift – wenn wir in ganz Österreich unterwegs sind, merken wir an den Reaktionen, wie wichtig unsere politische und educational Arbeit ist“, sagt Verena. Erst kürzlich riss ein nicht binäres Mitglied in extravaganter Ballrobe mit seiner Performance in einem Museum in Südtirol das Publikum so mit, dass die Kinder die Choreografie prompt mittanzten. „Wenn Kinder uns sehen, hoffe ich, dass sie eines Tages keine Einschränkungen mehr haben werden.“
Die heute 43 Mitglieder würden nicht mehr in Verenas Gründungs-WG-Zimmer passen. Und wie passt das Management des mittlerweile so viel konzertierenden Schmusechors in ihr Leben? „2022 habe ich den Schritt gewagt: Ich bin jetzt selbstständige Dirigentin, Chorleiterin und Performerin.“
Qué será, será. Kürzlich reflektierte man mit einem externen Profi darüber, wohin der wachsende Erfolg führen soll. Diverse Denkweisen sollen auch dabei Raum finden: Während manche den Schmusechor weiterhin als geliebtes Hobby betreiben möchten, können es sich andere vorstellen, komplett den Fokus darauf zu richten. „Unsere Klausurperson ließ uns Postkarten aus der Zukunft schreiben. Ich war überrascht, wie ähnlich unsere Vorstellungen doch waren“, verrät Verena am Ende unseres Gesprächs. „Wir denken sehr groß, das macht uns aus. Da war die Rede von einem Tourbus und von Auftritten in der Elbphilharmonie Hamburg und am Sidney Opera House.“ Lavinia setzt noch eins drauf: „Unsere Erfahrung zeigt: Wenn es einmal ausgesprochen ist, dann passiert es.“