4 minute read

Lieben ist nichts für FEIGLINGE

Next Article
WORD RAP

WORD RAP

... lautet der Titel des neuen Buches von Gerti Senger. Wir haben mit Österreichs bekanntester Sexpertin über Angst vor Verletzungen, Entscheidungskrisen und die Zukunft von Beziehungen gesprochen.

Wenn es um Liebe, Sex und Beziehungen geht, kommt man in Österreich an Prof. Dr. Gerti Senger nicht vorbei. Die 80-jährige Psychotherapeutin aus Wien traute sich bereits in einer Zeit über Sexualität sprechen, als Körperlichkeit noch tabuisiert wurde. Noch heute steht sie Menschen in ihrer Praxis beratend zur Seite und gibt ihre Erfahrungen wöchentlich in der Kolumne der „Sonntagskrone“ weiter. Gerti Senger hat aus erster Ehe einen Sohn und ist seit 40 Jahren in zweiter Ehe mit Iwi Ernst verheiratet.

OBERÖSTERREICHERIN: Frau Senger, was hat sich in Sachen Liebe in den rund 40 Jahren, in denen Sie Ihre Praxis führen, grundlegend verändert?

Prof. Dr. Gerti Senger: Die Entscheidungskraft der Menschen ist definitiv schwächer geworden. Das liegt vor allem daran, dass es heute so viele Möglichkeiten gibt, zusammen zu kommen. Früher lernte man sich auf einer Party kennen, man wurde sich vorgestellt, und darüber hinaus hat es noch Annoncen in Zeitungen gegeben. Heute gibt es unzählige Datingplattformen wie Tinder, Parship, Loveline ... und auch auf Facebook wird gerne geflirtet. Diese Vielzahl an Möglichkeiten erschwert es vielen Menschen, sich festzulegen. Durch das Überangebot im Netz fragt man sich, ob es nicht doch noch einen interessanteren

Chat gibt oder ob man bei einem Foto, das einem gefällt, vielleicht doch noch etwas tiefer schürfen sollte.

Warum ist Lieben nichts für Feiglinge?

Weil wir Angst vor Verletzungen haben und großteils auch verletzte Wesen sind. Wir kommen fast alle aus Beziehungen, die gescheitert sind. Die Eltern sind nicht nur geschieden, sondern oft auch getrennt lebend oder haben sich irgendwie arrangiert. Die Kinder erleben, dass das Paarsein nicht etwas Verlässliches ist, sondern sehr verletzend sein kann. Davor will man sich schützen. So nach dem Motto: Wenn ich mich erst gar nicht binde, kann ich auch nicht verletzt werden.

Wie wirken sich die aktuellen Krisen auf der Welt auf Beziehungen aus?

Wir lebten in den vergangenen Jahrzehnten in der Zeit des Überflusses, es gab keine großen Krisen wie Corona, Krieg in der Ukraine oder Klima- bzw. Energiekrise. Viele Menschen haben einfach lustig drauflos gelebt. In schwierigen Zeiten konzentriert man sich aber wieder mehr auf den Zusammenhalt in der Beziehung. Ich merke, dass bei vielen Paaren die Motivation steigt, ihre Beziehung zu bewahren und zu beschützen. Man probiert es noch einmal und jeder versucht, sein Bestes zu tun. Je unsicherer die große Welt ist, desto mehr tun wir für die Sicherheit unserer kleinen Welt.

Was sind heutzutage die größten Liebeskiller?

Dass wir vieles als zu selbstverständlich nehmen. Es wird angenommen, dass die Liebe eine Himmelsmacht ist, für die man nicht mehr viel machen muss. Das ist falsch, die Liebe ist pflegebedürftig. Ich vergleiche das gerne mit einem Gänseblümchen und einer exotischen Pflanze, beide brauchen Sonne und Wasser, um gedeihen zu können. Wenn man die Liebe nicht mit Aufmerksamkeit, Respekt und Dankbarkeit pflegt, wird sie weniger. Begegnet man dann jemandem, der einen respektiert und begehrt, schöne Komplimente macht und sich bemüht, kommt man drauf, dass man nicht mehr so weiterleben will wie bisher und trennt sich.

Wir werden immer älter und neue Beziehungsformen wie offene Beziehungen oder Polyamorie liegen im Trend. Ist Monogamie auf lange Sicht überhaupt möglich?

Man sieht ja in der Praxis, dass Monogamie nur sehr wenigen Paaren gelingt, aber ich plädiere dafür, dass man es zumindest versuchen sollte. Was gelingt und auch heute schon sehr oft praktiziert wird, ist die serielle Monogamie. Das heißt, man hat einen Partner, mit dem man ca. zehn Jahre zusammen ist und treu bleibt, dann trennt man sich. Es folgt ein neuer Partner, mit dem ist man wieder eine Zeit lang zusammen und trennt sich. Am Ende gibt es meistens einen Partner, mit dem man alt wird (lacht). Die serielle Monogamie wird jetzt schon gelebt und ist meiner Meinung nach auch die Zukunft.

Viele Paare leben in unglücklichen Beziehungen, trennen sich aber trotzdem nicht. Woran liegt das?

Bei Frauen sind das meistens immer noch wirtschaftliche Gründe, weil sie im Falle einer Trennung finanziell oft schlecht abschneiden würden. Männer haben vor allem Angst davor, dass sie nach der Trennung nicht sofort wieder eine Partnerin finden und sozial isoliert sind, denn Freundschaften pflegen in einer Beziehung meistens die Frauen. Und so bleibt man halt zusammen – das ist zumindest das Unglück, das man kennt. Das andere ist das Unglück, von dem man noch nichts weiß. Die Fantasie ist der Sitz der Furcht und viele Menschen haben Angst, dass es ihnen nach der Trennung noch schlechter geht.

Wie stehen Sie zur Selbstliebe, ein Wort, das mittlerweile schon inflationär gepredigt wird?

An das Wort Selbstliebe glaube ich nicht. Das Maximum, das man erreichen kann, sind Selbsterkenntnis und Selbstakzeptanz und das ist ziemlich schwierig. Sich damit auseinanderzusetzen, wie man denkt, was man fühlt, welche Verletzungen man hat, und dass man manche Schwächen, die nicht veränderbar sind, akzeptiert, ist eine gute Voraussetzung für eine Beziehung. Geht es nur um die Selbstliebe, sind wir schnell beim unreflektierten Narzissmus.

Wann kommen Paare zu Ihnen in die Praxis?

Also die Glücklichen kommen nicht zu mir in die Praxis (lacht). Die Unglücklichen kommen, um ihre Beziehung wieder gerade zu richten. Es kommen aber auch Paare zu mir, die sich Unterstützung bei der Trennung holen. Vor allem wenn Kinder im Spiel sind, ist das wichtig, denn Kinder wollen fast nie, dass sich ihre Eltern trennen, auch wenn sie schon 25 Jahre und älter sind.

Gerti Senger Ber

Machtk Mpfe

Der letzte Austragungsort eines Machtkampfes ist meist der Sex. Derjenige, der „Nein“ sagt, ist immer der Stärkere.

Loslassen

Loslassen hat nichts mit Niederlage, Selbstaufgabe oder Kraftlosigkeit gemein. Im Gegenteil. Loslassen ist ein „Ja“ zur Selbstachtung und zur Lebendigkeit.

AFFÄREN

Einerseits will man auf die Sicherheit einer bewährten Beziehung nicht verzichten, andererseits wird der Wunsch, sich wieder lebendig zu fühlen, immer dringlicher. Die Affäre ist dann ein untauglicher Lösungsversuch, den Zustand des „Todseins“ zu beenden.

ANGST VOR VERBINDLICHKEIT

Fluchtwege gibt es für Bindungsphobiker genug. Entweder Sex-Abstinenz, um Nähe zu verhindern, oder ein unkommentiertes Ende. Gerne auch eine unverbindliche Dreiecksbeziehung, die eine Entscheidungsverantwortung erspart, bis einem der Beteiligten der Geduldsfaden reißt.

ANGST VOR VERSAGEN

Fallweises sexuelles Scheitern gehört zu einem lebendigen Liebesleben dazu. Wir sollten alle viel duldsamer und nachsichtiger mit uns sein. Wer sich was traut, kann scheitern. Wer sich nichts traut, ist schon gescheitert.

Buchtipp

Gerti Senger

„Lieben ist nichts für Feiglinge –Von Entscheidungskrisen, neuen Chancen und der Furcht vor dem Glück“

ISBN-13:

978-3-99050-244-0, Amalthea Verlag, € 28

This article is from: