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Was macht eine InfluencerGans aus?

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Darüber und über das Artensterben von Vögeln in Oberösterreich haben wir mit Verhaltensbiologin Prof. Dr. Sonia Kleindorfer (56), Leiterin der Konrad Lorenz Forschungsstelle in Grünau im Almtal, gesprochen.

Die Verhaltensbiologin Sonia Kleindorfer ist in Philadelphia in den USA aufgewachsen und war für die Wissenschaft fast auf der ganzen Welt unterwegs. Besonders wichtige Stationen waren Tansania, wo sie mit der berühmten Schimpansen-Forscherin Jane Goodall gearbeitet hat, und Australien. An der Flinders University in Adelaide hat sie knapp 20 Jahre gelehrt, bevor sie ins Almtal gekommen ist. Seit 2018 leitet Sonia Kleindorfer die Konrad Lorenz Forschungsstelle in Grünau und hat in Oberösterreich schließlich ihre Heimat gefunden. Die Wissenschaftlerin ist Mutter von zwei erwachsenen Kindern und mit einem gebürtigen Waldviertler verheiratet, mit dem sie nun in Altmünster lebt. Wir haben mit der ambitionierten Forscherin über ihre aktuellen Projekte mit Graugänsen im Almtal, ihre Arbeit an der Universität Wien und die Zukunft der Vögel gesprochen.

OBERÖSTERREICHE -

RIN: Frau Kleindorfer, gemeinsam mit einem Ingenieur haben Sie eine Gesichtserkennungssoftware für Graugänse entwickelt, wie kam es dazu?

Sonia Kleindorfer: Als ich mich für den Job als Leiterin der Konrad Lorenz Forschungsstelle beworben habe, hat mir mein Vorgänger Kurt Kotrschal beim Bewerbungsgespräch erzählt, dass Konrad Lorenz einmal ein Bild mit dreißig verschiedenen Porträts von Gänsen geschenkt bekommen hat und alle dreißig voneinander unterscheiden und richtig benennen konnte. Als ich das hörte, dachte ich: „Gänse haben Gesichter!“ Daraufhin habe ich einen Ingenieur gesucht, um eine Gesichtserkennungssoftware zu entwickeln, mit der wir die Gesichter der Gänse unterscheiden können. Damit konnten wir feststellen, dass die Gänse Kontaktrufe machten, wenn man ihnen ein Bild von ihrem Partner oder ihrer Partnerin zeigt. Zeigten wir ihnen allerdings ein Bild von sich selbst, gingen sie weg. Sie haben also ihre Partnerin oder ihren Partner auf dem Bild erkannt, das Bild von sich selbst jedoch als fremde Gans wahrgenommen. Auch die Rufe der Gänse sind individuell erkennbar. Wenn eine Gans ihrem Partner einen Distanzruf zuruft, antwortet nur ihr Partner. Die anderen nicht. Wir wissen auch, dass es Gänse gibt, die besonders einflussreich sind. Wenn diese einflussreiche Gans ruft, folgen ihr die anderen. Spannenderweise ist das aber nicht die dominanteste oder die ranghöchste Gans. Aber was macht so eine, ich nenne es „Influencer-Gans“, aus? Das ist die Frage, die wir uns die nächsten Jahre in unserer Forschung stellen werden: Dafür muss es eine biologische Erklärung geben. Das ist spannend! deutende WissenschaftlerInnen, darunter auch Verhaltensforscherin Jane Goodall, kennengelernt, die mir erklärt haben, dass vieles, was in der Verhaltensforschung entwickelt wurde, durch die Arbeit mit Vögeln entdeckt wurde.

Was macht Vögel zum optimalen Forschungsobjekt?

Vögel kommen in jedem Lebensraum der Welt vor, haben eine relativ kurze Lebensdauer und pflanzen sich in dieser Zeit häufig fort. Ein Pavian lebt etwa dreißig Jahre und hat in dieser Zeit vielleicht fünf Nachkommen. Bei einem Vogel, der im Jahr fünf oder zehn Eier legt, kann man nach dreißig Jahren wesentlich mehr Nachkommen untersuchen. So kann man viel effektiver evolutionsbiologische Fragen stellen und auch beantworten.

Die Anzahl der Vogelarten als auch Vogelindividuen sind in Oberösterreich in den letzten zwanzig Jahren um vierzig Prozent gesunken. Wieso kommt es zu so einem rasanten Artensterben?

Sie haben Ihre Doktorarbeit am Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung in Wien geschrieben. Warum haben Sie sich als Wissenschaftlerin ausgerechnet auf Vögel spezialisiert?

Wenn man mir gesagt hätte, dass ich einmal Ornithologin werden würde, hätte ich gelacht. Wie kann man sich freiwillig aussuchen, etwas zu studieren, das immer wegfliegt? (lacht) Aber Spaß beiseite: Nach meinem Bachelorstudium in „Biological Basis of Behavior“ an der University of Pennsylvania arbeitete ich als Stationsleiterin in einem Langzeit-Pavian-Projekt in Tansania. Dabei habe ich viele be-

Dafür gibt es verschiedene Faktoren. Ein Aspekt ist, dass sich die Menschen stark ausbreiten und den Tieren dadurch der Lebensraum genommen wird. Das beginnt schon beim fehlenden Lebensraum für Insekten. Das Insektensterben geht Hand in Hand mit dem Vogelsterben, da diese eine Nahrungsquelle der Vögel sind. Wir können beobachten, dass die insektenfressenden Vogelarten mehr aussterben als die samenfressenden Vögel. Ein weiterer Faktor ist natürlich der Klimawandel.

Welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf die Vögel?

Eine Auswirkung ist, dass sich die Migrationszeit der Vögel ändert. Wenn es zu schnell zu warm oder zu kalt oder zu regnerisch wird, finden die Vögel keine Nahrung mehr und fliegen zu früh weg. Die Konsequenz ist, dass es am neuen Platz auch noch keine Nahrung gibt.

Kleindorfer

Geboren und aufgewachsen in Philadelphia, USA. Bachelorstudium in Biological Basis of Behavior Program an der University of Pennsylvania.

PhD in Zoologie an der Universität Wien. PostDoc an der University of Washington School of Medicine.

Forschungsaufenthalte in den USA, in Tansania als Stationsleiterin in einem Langzeit-Pavian-Projekt, ein Umweltschutzprojekt im Regenwald in Ecuador und ein Finkenprojekt auf den Galapagosinseln. Sie forschte und lehrte unter anderem an der Flinders University in Australien und an der Universität Wien. Leiterin des Konrad Lorenz Research Center for Behaviour and Cognition der Universität Wien sowie Leiterin der Konrad Lorenz Forschungsstelle in Grünau im Almtal.

Was bedeutet es für uns Menschen, wenn die Vögel wegsterben?

Vögel haben ökologische Funktionen. Die Insektenfresser regulieren zum Beispiel die Population von Gelsen und Fliegen. Diese Insekten sind Virenüberträger. Hätten wir keine Vögel mehr, würde es viel mehr Virenüberträger geben. Auch die Schädlinge der Landwirtschaft werden von Vögeln gefressen. Das ist ein Punkt. Es gibt aber auch psychologische Studien, die aufzeigen, dass das Wohlbefinden der Menschen steigt, je mehr Vögel im Garten singen. Das bedeutet eine höhere psychische Gesundheit, weniger Krankheitstage, mehr Glücksempfinden und reduzierte Einsamkeit. Wir brauchen also die Vögel auch für den sozialpsychologischen Bereich.

Welchen Beitrag können wir leisten, um die Vögel zu unterstützen?

Die gebürtige US-Amerikanerin ist die Expertin in Sachen Verhaltensbiologie bei Vögeln und teilt ihr Wissen und ihre Erfahrung mit KollegInnen und Studierenden in Österreich und auf der ganzen Welt.

Die Vogelfütterung im Winter ist sehr hilfreich. Zudem sollte man den Mut haben, den eigenen Garten, Garten sein zu lassen. Lassen Sie die Blumenwiese stehen! Auch wenn die Nachbarn jammern (lächelt). Das ist wichtig für die Insektenvielfalt und gleichzeitig auch für die Vogelvielfalt. Es gibt auch lokale Vogelschutzorganisationen, bei denen man sich Informationen einholen kann. Im Almtal zum Beispiel gibt es bürgerwissenschaftli- che Initiativen, bei denen man mitmachen kann. Ich bin sehr dankbar über die Partnerschaft mit der Cumberlandstiftung, dem Land OÖ und der Universität Wien, genauso wie über jede und jeden Studierenden und alle BürgerwissenschaftlerInnen – diese multidimensionale Partnerschaft ermöglicht uns, an etwas Ganzem teilzuhaben und das ist gerade in Oberösterreich ganz speziell.

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