3 minute read

„SO GEHT DAS NICHT!“

Im Interview motiviert Philosophin Lisz Hirn (39) Frauen dazu, sich politisch stärker zu Wort zu melden und ihre Anliegen zu vertreten. Denn in Sachen Gleichstellung von Mann und Frau gibt es noch viel zu tun und an mehreren Schrauben zu drehen.

Ist die finanzielle Unabhängigkeit der Frau der Schlüssel zur Emanzipation? Welche gesellschaftlichen Rollenbilder hindern uns an der Gleichstellung von Mann und Frau? Werfen uns die derzeitigen Krisen wieder um Lichtjahre zurück? Das und noch viel mehr haben wir Mag. Dr. phil. Lisz Hirn, Philosophin, Publizistin, Buchautorin und Mutter einer Tochter, gefragt.

OBERÖSTERREICHERIN: Frau Hirn, können Sie Ihre Definition für Emanzipation bzw. Gleichstellung von Frauen und Männern beschreiben?

Lisz Hirn: Ich würde Gleichstellung auf alle Lebensbereiche ausdehnen, das wäre für mich der grundemanzipatorische Gedanke, im Unterschied zum feministischen Aktivismus. Das bedeutet, dass man sich nicht nur die Frage stellt, wer für Care-Arbeit oder Kinderbetreuung zuständig ist, sondern auch, wie wir es schaffen können, mehr Frauen in andere Teile der Gesellschaft zu bringen, die noch immer stark in Männerhand sind, wie etwa zur Polizei oder zum Militär. Auch die rechtliche Gleichstellung ist immer nur ein Schritt, denn solange es keine finanzielle, ökonomische Unabhängigkeit gibt, ist die rechtliche zwar schön und gut, hat aber keinen Impact. Das hat Frauenrechtlerin Clara Zetkin, die 1910 als Mitinitiatorin der Einführung des Internationalen Frauentages gilt, sehr gut bemerkt.

Liegt die Lösung also darin, dass Frauen finanziell unabhängig sind?

Das ist ein Schritt. Ich bin aber nicht davon überzeugt, dass der ausreicht, weil sich gesellschaftliche Rollenbilder nur sehr langsam ändern. Denn wenn ich mir anschaue, wie viele Frauen in Topjobs arbeiten und wie viele davon eine Familie und eine gesunde Beziehung haben, dann schaut das schon relativ schlecht aus. Daher frage ich mich, warum fallen Frauen, auch wenn sie bestens ausgebildet sind, in diese alten Verhaltensmuster oder traditionellen Rollen zurück? Dasselbe gilt aber auch für Männer, die glauben, sie machen es anders als ihre Eltern, aber trotzdem wieder in Rollenbilder wie vor 60 Jahren zurückfallen.

Gesellschaftliche Rollenbilder spielen also eine große Rolle?

Vor allem im deutschsprachigen Raum haben wir noch einmal ein ganz eigenes Mutterbild. Da gibt es die ganz starke, auch kollektiv verankerte Vorstellung, dass die Frau daheimbleibt und für das Glück des Kindes alleine verantwortlich ist. Das ist allerdings nicht nur ein deutschsprachiges Bild, das gibt es auch in der Geschichte der Philosophie. Jean-Jacques Rousseau etwa meinte, dass es die Schuld der Frau sei, wenn ein Staatsbürger nicht gelingt. Da ist in der Erziehung etwas schiefgelaufen. Nach Sigmund Freud sind Frauen an sieben Tagen die Woche, 24 Stunden lang, für das Glück des Kindes verantwortlich. Dieses Bild hat sich im deutschsprachigen Raum sehr stark gehalten. Das Modell der Kleinfamilie, bestehend aus Vater, Mutter und Kind in Harmonie, ist geschichtlich betrachtet ein sehr junges. Dass sich die Frauen nur um das Kind kümmern, hat erst im 19. Jahrhundert einen Auftritt bekommen. Früher war das für die Mehrheit gar nicht möglich, da in einer Großfamilie aus Existenzgründen alle arbeiten mussten. Man müsste also schon bei der Erziehung von kleinen Mädchen und Buben ansetzen, um ein Umdenken zu schaffen?

Ich glaube, dass die Erziehung ein großer Schlüssel ist. Dazu kommt, dass wir als Gesellschaft nicht homogen sind. Es gibt auch Teile der Gesellschaft, die wesentlich patriarchaler sind und in denen Religion eine große Rolle spielt. Und Religionen sind ganz selten frauenfreundlich. Vor allem die großen monotheistischen Religionen, wo es – von hysterisch bis hin zu unrein – viele, eher abwertende Bilder von Weiblichkeit gibt. Egal, ob es um körperliche Selbstbestimmung geht oder um Mitbestimmung und Beteiligung. Daran müsste man arbeiten.

Inwiefern?

Indem sich Frauen politisch stärker beteiligen. Damit meine ich nicht in Politikerfunktionen, sondern dass Frauen allgemein präsenter sind, sich zu Wort melden und sagen: „So geht das nicht!“ Das fehlt mir. Dass sich die junge Frauengeneration fragt, ob es angesichts der Krisen überhaupt noch vertretbar ist, Kinder in die Welt zu setzen, rührt meiner Meinung nach auch daher, dass unsere Familienpolitik eine Katastrophe ist. Zum einen fehlen vielfach noch immer Kinderbetreuungsmöglichkeiten, zum anderen spüren die Frauen, dass nichts weitergeht und vieles nicht umgesetzt wird. Ich denke da etwa an Ganztagsschulen. Und nicht selten erleben die jungen Frauen bei ihren Müttern, dass diese emanzipiert sein wollen, es aber angesichts einer Drei- bzw. auch Vierfachbelastung nicht schaffen. Man müsste an mehreren Schrauben drehen, nur mit finanzieller Unabhängigkeit alleine ist es nicht getan. Wir müssen an den gesellschaftlichen Rollenbildern arbeiten und auch daran, dass sich Frauen politisch stärker zu Wort melden und ihre Anliegen vertreten.

In Ihrem Buch „Geht’s noch!“, haben Sie darauf hingewiesen, warum die konservative Wende für Frauen gefährlich ist. Das Buch ist 2019, also vor Corona, erschienen. Hat uns die Coronakrise mit der Lockdown-Situation nun gänzlich die Illusion von der Gleichstellung geraubt?

Vor der Pandemie war schon ziemlich deutlich, dass wir echte Probleme haben und vieles im Argen liegt. Da gab es aber noch mehr finanziellen Spielraum. Der ist de facto weg. Vor allem, weil durch die Teuerungen die finanzielle Situation für viele Menschen und Familien noch prekärer geworden ist. Dass sich in Krisenzeiten alte Verhaltensweisen und Muster nicht auflösen, sondern verstärken, ist bekannt. Man greift auf das zurück, was man kennt, und man muss sich einschränken. Das hat die Situation verschärft, aber nicht nur bei uns, sondern leider weltweit.

LISZ HIRN studierte Geisteswissenschaften und Gesang in Graz, Paris, Wien und Kathmandu. Sie ist als Philosophin, als Publizistin und Dozentin in der Jugend- und Erwachsenenbildung tätig sowie als freiberufliche Künstlerin an internationalen Kunstprojekten und Ausstellungen beteiligt.

Lisz Hirn ist auch erfolgreiche Buchautorin. „Macht Politik böse?“ (Leykam) und „Wer braucht Superhelden“ (Molden) sind ihre letzten Neuerscheinungen. Zudem bringt sie den Podcast „Philosophieren mit Hirn“ heraus. www.liszhirn.at

This article is from: