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ARMUT KANN JEDEN TREFFEN
Menschen, die in Armut leben, sieht man nicht. Und man hört sie nicht. Weil sie aus Scham, Angst und Schuldgefühlen schweigen. Mit Daniela Brodesser haben sie eine Stimme gefunden. Die 47-Jährige war selbst unverschuldet von Armut betroffen.
Daniela Brodesser weiß, wie es ist, wenn man seine Rechnungen nicht mehr bezahlen kann. Heute unterstützt sie Menschen, die ebenfalls von Armut betroffen sind.
Hätte ihr vor 20 Jahren jemand gesagt, dass sie einmal nicht wissen werde, wie sie ihre Rechnungen bezahlen soll –Daniela Brodesser hätte ihn ausgelacht. Heute weiß es die 47-Jährige besser. Durch die Krankheit ihrer jüngsten Tochter und ein schweres Burn-out ihres Mannes schlitterte die Familie, die im Mühlviertel lebt, in die Armut. Heute geht es ihnen finanziell wieder gut. Aus reinem Glück, weil es die Gesundheit wieder zulässt. Doch Brodesser engagiert sie sich weiterin als „Aktivistin gegen Armut“. Weil die Betroffenen schweigen – aus Scham, Angst, Schuldgefühl.
OBERÖSTERREICHERIN: War Ihnen bewusst, wie schnell man in Armut geraten kann, bevor es Ihnen selbst so ergangen ist?
Daniela Brodesser: Nein, gar nicht! Wenn mir das jemand vor 20 Jahren gesagt hätte, hätte ich ihn vermutlich ausgelacht. Doch wie schnell es wirklich gehen kann, habe ich gesehen, als unsere jüngste Tochter auf die Welt gekommen ist. Ihr Zwerchfell ist während der Schwangerschaft nicht mehr gewachsen. Das hatte zur Folge, dass ihre Organe im Bauch- und Brustraum verrutscht sind und sie bei der Geburt unter anderem nur 0,4 Prozent Lungenfunktion hatte. Allein im ersten Jahr hatte sie acht Lungenentzündungen und ist wochenlang im Koma gelegen. An ein Arbeitengehen war nicht mehr zu denken.
Wäre Ihnen da nicht irgendeine staatliche Unterstützung zugestanden?
Leider nicht, weil ich davor nur geringfügig gearbeitet habe, um bei unseren anderen Kindern daheim sein zu können. Aus diesem Grund hatte ich keinen Anspruch auf irgendeine Unterstützung. Das wurde in der Zwischenzeit Gott sei Dank korrigiert! Finanzielle Probleme haben wir dann bekommen, als mein Mann ein schweres Burn-out erlitten hat, weil er meinen Ausfall kompensieren wollte. Er hat damals als freier Dienstnehmer gearbeitet und deshalb ist auch ihm kaum Geld zugestanden.
Was hätte Ihnen damals am meisten geholfen?
Wenn es einen einfachen und übersichtlichen Zugang gegeben hätte, was einem zusteht und was nicht. Das ist so komplex und mit extrem vielen Hürden verbunden, das kann sich niemand vorstellen, der noch nicht damit zu tun hatte. Manche Dinge sind vom Bund geregelt, andere sind wiederum Ländersache. Oft wissen es nicht einmal die Mitarbeiter der Behörden selbst.
Was war in dieser Zeit für Sie persönlich das Schlimmste?
Das Schlimmste war für mich, mitansehen zu müssen, was die Armut mit unseren Kindern gemacht hat. Wenn sie Geld für die Schule gebraucht haben und ich nicht wusste, was ich sagen sollte, weil wir es einfach nicht hatten. Irgendwann haben sie auch aufgehört, Wünsche zu äußern. Wenn wir sie gefragt haben, was sie sich zum Beispiel zu Weihnachten wünschen, dann war ihre Antwort, dass sie eh nichts brauchen – weil sie natürlich wussten, dass wir kein Geld hatten. Das hat sie sehr geprägt und das tut mir heute noch weh …
Warum ist es so schwierig, aus Armut wieder herauszukommen?
Weil man Betroffene weder sieht noch hört! Schätzungen zufolge sind circa 25 Prozent der Menschen in Österreich armutsgefährdet. Diese Zahl ist horrend, aber keiner geht auf die Straße, damit sich endlich etwas ändert. Die meisten schämen sich zutiefst und leiden auch unter den Vorurteilen, dass arme Menschen entweder zu faul oder zu dumm zum Arbeiten seien. Immer und immer wieder muss man sich vor Nachbarn, auf Ämtern oder in der Schule rechtfertigen und erklären, warum und wie man in diese Lage gekommen ist. Ich weiß das aus eigener Erfahrung und kann verstehen, dass Betroffene irgendwann resignieren. Man zieht sich mehr und mehr zurück, die Teilnahme am sozialen Leben fällt weg und irgendwann ist man völlig isoliert.
Was muss sich Ihrer Meinung nach gesellschaftlich am dringendsten hinsichtlich Armut ändern?
Am allerwichtigsten ist für mich, dass Politiker und Medien aufklären und anders kommunizieren. Ich verstehe die Vorurteile vieler Menschen, weil man ja nichts anderes liest. Schlagzeilen machen immer nur die negativen Geschichten. Dabei liegt der Anteil jener, die betrügen und den Sozialstaat tatsächlich ausnutzen, unter einem Prozent. Dennoch wird über alle Betroffenen der Generalverdacht gelegt, dass sie nichts arbeiten und nur runterziehen wollen. Das finde ich nicht in Ordnung und das sollte sich künftig ändern!
Wie geht es Ihnen heute? Haben Sie Angst davor, jemals wieder arm zu sein? Vor allem, wenn wie jetzt die Preise fürs Leben dermaßen steigen?
Ich habe es für mich persönlich überwunden. Etwaige Einschränkungen machen mir nichts aus, damit habe ich kein Problem – obwohl es uns finanziell mittlerweile wirklich wieder gut geht. Was ich aber schon merke, ist die steigende Zahl an Anfragen, die ich über meine Homepage bekomme. Während es voriges Jahr um diese Zeit zehn Anfragen pro Woche waren, erreichen mich jetzt zwischen zehn und 20 Nachrichten am Tag!
Wie unterstützen Sie diese Menschen?
Sehr oft geht es um den ersten Schritt, der allerdings vielen Menschen besonders schwerfällt, weil ihre Scham so groß ist. Ich stelle dann zum Beispiel Kontakt mit einer Hilfsorganisation wie der Caritas her und organisiere einen Termin. Oder ich unterstütze sie mit Informationen zu Mindestsicherung oder Sozialhilfe, weil es diese noch nirgendwo gebündelt gibt. Was das betrifft, arbeite ich übrigens gerade mit der Fachhochschule an einem Projekt, dass diese wichtigen Infos auf einer Plattform gesammelt werden und einfach zugänglich sind. Ich fürchte nämlich, dass es künftig noch mehr Menschen treffen wird, weil bei einer Inflation von derzeit elf Prozent schon jetzt viele ihre Lebenshaltungskosten nicht mehr stemmen können. Im Moment leben zwar viele noch von ihren Ersparnissen, doch das wird sich auf lange Sicht nicht ausgehen.
Daniela Brodesser hat ein Buch über ihre Erfahrungen mit Armut geschrieben. Herausgekommen ist ein ungeschönter Bericht über armutsbedingte Ausgrenzung, Beschämung und Verzweiflung – und ihre Auswirkungen auf unsere Gesellschaft.
Das Buch erscheint am 13. März, an diesem Tag präsentiert die Autorin es um 19.30 Uhr im Kepler Salon Linz.
BUCHTIPP:
„Armut“, Daniela Brodesser, Verlag Kremayr & Scheriau (übermorgen-Reihe), € 20