KLETTERN IM KÜHLSCHRANK Stephan Siegrist l Torre Egger/Patagonien
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Es war nicht wenig, was wir uns vorgenommen hatten: die erste
Bereits etwas angeschlagen von den anstrengenden Tagen und
gust zwei weiteren Längen einer unvollendeten Route in den
bilde ist für die Gipfel der Cerro-Torre-Gruppe typisch, weltweit
Winterbegehung des Torre Egger, des anspruchsvollsten Gipfels
dem noch nicht ganz überwundenen Jetlag, kämpften wir uns aus
Col de los Sueños zwischen Torre Egger und Punta Herron. Zwei
aber ziemlich einzigartig. Man stelle sich einen Tiefkühler vor, den
in der patagonischen Cerro-Torre-Gruppe, der schon im Sommer
unseren kleinen Zelten und standen unter einem sternenklaren
neue Seillängen brachten uns anschliessend auf die bestehende
man nach Jahren wieder einmal entfrosten müsste, multipliziert
selten bestiegen wird. Wir planten eine reine Alpinstilbegehung,
Himmel. Wir hatten noch nicht entschieden, ob wir einen Bestei-
Route «Titanic» von 1987. Die Sonne, die nun für ein paar wenige
das Eis mit Hunderten von Kubikmetern, formt daraus einen Pilz
ohne vorgängig Seile zu fixieren oder Material zu deponieren. Ein-
gungsversuch starten oder die guten Tage zum Deponieren von
Stunden in die Wand schien, erfreute unsere Herzen – und unsere
und setzt ihn auf einen Felssockel. Der Eispilz bildet die letzte
mal eingestiegen, wollten wir bis zum Gipfel durchklettern.
Material am Wandfuss nutzen sollten. Der Wetterbericht liess uns
Hände, denn nun folgte die Route einer Risslinie, die, wie im Win-
Bastion auf dem Weg zum Gipfel und ist von den Kletterern als bergsteigerischer Albtraum gefürchtet, da die Kletterei einem un-
Thomas Senf aus dem Berner Oberland, Mario Walder aus
nur eine kleine Chance auf einen Gipfelerfolg – wenn alles optimal
ter zu erwarten, mit Eis gefüllt war. Um Griffe zu finden oder
Osttirol, der Innerschweizer Daniel Arnold und ich erreichten
laufen würde. Andererseits wusste ich von vergangenen Patago-
Sicherungen zu legen, musste ich immer wieder mit dem Hammer
gesicherten Hinaufwühlen in senkrechtem Pulverschnee gleicht.
am Abend des 27. Juli 2010 El Chalten, den Ausgangspunkt für
nienreisen, dass es unsere einzige Chance auf ein Schönwetter-
das Eis vom Fels schlagen. Die Kletterei war teilweise recht an-
Für diese letzten Seillängen brauchten wir definitiv Tageslicht, aus-
die verschiedenen Basecamps in der Fitz-Roy- und Cerro-Torre-
fenster sein konnte.
spruchsvoll, doch von erlesener Schönheit. Thomas – nicht nur be-
serdem waren wir mit unseren Kräften am Ende. Also gruben wir
kannter Bergfotograf, sondern auch starker Bergsteiger – sorgte
uns einen Sitz in den steilen Schnee und verbrachten 4 Stunden im
Gruppe. Als wir erfuhren, dass sich in den kommenden Tagen ein
Wir setzten alles auf eine Karte. Keiner sprach ein Wort, jeder
stabiles Hochdruckgebiet einstellen sollte, organisierten wir eiligst
wusste, was zu erledigen war, bevor wir Richtung Gipfel starten
zwischendurch für Aufregung, als er einen 2 auf 2 Meter grossen
Schlafsack, das Zelt über uns gestülpt, um den mittlerweile star-
das übrige Material und packten unsere Ausrüstung zusammen.
konnten. In unseren Fussstapfen vom Tag zuvor erreichten wir mit
Schneeblock aus einem Winkel der Route entfernen wollte und mit-
ken Wind abzuhalten. Jeder von uns dreien hing in diesen Stunden
Mit schweren Rucksäcken marschierten wir bereits einen Tag
dem restlichen Material am Schweizer Nationalfeiertag um 10 Uhr
samt den Schneemassen einen bis auf eine zerbrochene Sonnen-
im Halbschlaf dunklen Gedanken nach, wie es wäre, knapp unter
später auf Ski bei starkem Schneefall ins Campo Bridwell, unser
morgens den Einstieg unseres Projekts. Das Wetter war perfekt:
brille folgenlosen 7-Meter-Flug hinlegte.
dem Gipfel in einen patagonischen Sturm zu geraten.
Basislager, und am Abend wieder zurück. Mario bekam so starke
windstill, die tief stehende Sonne von einem unwirklich blauen
Als wir zum Beginn einer langen Traverse kamen, dämmerte es
Langsam wurde es hell. Der Wind hatte an Intensität nicht nach-
Schmerzen im Knie, dass er die Expedition leider schon vor ihrem
Himmel scheinend, genau wie es uns Karl Gabl, Meteorologe aus
schon wieder. Wind setzte ein, und es wurde bitterkalt. Ein guter
gelassen, der Himmel war mit Zirren bedeckt – Anzeichen eines
eigentlichen Beginn abbrechen musste. So buckelten wir am
Österreich und Wettergott der Bergsteiger, prognostiziert hatte.
Biwakplatz war nicht vorhanden, und um die Nacht nicht in unse-
Wetterwechsels. So kurz unter dem Gipfel wollten wir aber nicht
nächsten Tag zu dritt das restliche Gepäck ins Camp und trans-
Die Kletterei folgte einer Eislinie, die sich bis zu einem Gletscher-
ren Klettergurten hängend verbringen zu müssen und dabei völlig
aufgeben und machten uns so schnell wie mit unseren klammen
portierten noch am gleichen Tag, teilweise auf Schlitten, das für
abbruch zwischen Cerro Standhardt und Torre Egger hinauf-
auszukühlen, beschlossen wir, durch die Nacht weiterzuklettern.
Fingern möglich Richtung Gipfel auf. Ich wusste von einer frühe-
eine Winterbesteigung nötige Material in Richtung der Basis der
zog – ideal, um ein Camp aufzubauen, wie wir es geplant hatten.
Das hatte ausserdem den Vorteil, dass wir Zeit gewannen – bei den
ren Begehung, dass es auf der Südseite des Pilzes einen Eiskanal
Torre-Egger-Ostwand. Der viele Schnee, die Kälte (bis zu minus 25 Grad) und das kurze Tageslicht (um 9.30 Uhr wurde es hell, um 18.30 wieder dunkel)
Während unser «Eismeister» Dani noch zwei weitere Seillängen
schnellen Wetterumschwüngen in Patagonien kann jede Stunde
gegeben hatte. Falls der noch bestand, könnten wir den Gipfel
kletterte, wobei ich ihn sicherte, begann Thomas bereits mit dem
über den Gipfelerfolg entscheiden. Die normalerweise leichte Klet-
schnell und sicher erreichen.
Einrichten des Lagers.
terei über die Felsrampe erwies sich als extrem anspruchsvoll. Das
Zu unserem Glück existierte er noch. Am 3. August 2010 um
machten die Transporte anstrengend. Nach einer Nacht im Cam-
Um die Kälte und den Wind in der Winternacht ertragen zu kön-
sich durch den senkrechten Granitpanzer ziehende schmale Fels-
die Mittagszeit standen wir zu dritt auf dem Torre Egger, nur eine
po Bridwell brachten wir eine erste Ladung an den Wandfuss,
nen, waren wir mit Schlafsäcken und Biwakzelten ausgerüstet.
band war mit Pulverschnee und Eis überdeckt und machte die
gute Woche nach unserem Abflug aus der Schweiz. Rund 12 Mo-
durch teilweise hüfttiefen Neuschnee. Dann ging es wieder 3 Stun-
Aus dem halbwegs warmen Schlafsack herauszukriechen erfor-
Kletterei im Licht unserer Stirnlampen zu einem wackligen Tanz.
den zurück, wo wir eine sehr kalte Nacht im Campo Niponino
derte jeden Morgen grosse Überwindung – in der sommerlichen
Nachts um halb vier, nach 22 Stunden Kletterei, erreichten wir
verbrachten. Wie immer war zu früher Morgenstunde Tagwache.
Schweiz war es 60 Grad wärmer gewesen! Wir folgten am 2. Au-
den Beginn des Gipfeleispilzes. Das aus Anraum bestehende Ge-
nate verbrachte ich in den letzten 18 Jahren beim Bergsteigen in Patagonien, doch so schnelles und so grosses Glück hatte ich noch nie!