Jubiläumsbuch 150 Jahre Mammut Leseprobe

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150 Jahre Mammut: Das international tätige Schweizer Bergsportunter-

nehmen gehört damit zu den traditionsreichsten seiner Art. In 150 Beiträgen beleuchtet die Jubiläumspublikation die Geschichte des Bergsports, porträtiert einige der wichtigsten Protagonisten und gewährt einen exklusiven Blick hinter die Kulissen von Mammut. Die 150 Geschichten stammen und handeln von Mammut-Athleten wie Stephan Siegrist und Josh Wharton, Bergsportgrössen wie Reinhold Messner und Oswald Oelz, Alpinisten wie Adolf Ogi und Bernhard Russi, Journalistinnen wie Karin Steinbach Tarnutzer und Caroline Fink sowie Alpinfotografen wie Robert Bösch und Thomas Ulrich. Aus jedem der 150 Beiträge aller Disziplinen und Epochen des Bergsteigens spricht eine Philosophie: Bei Mammut werden nicht nur Jacken, Seile oder Karabiner verkauft, sondern auch Träume.

www.mammut.ch

ISBN: 978-3-909111-87-9

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16:13 Uhr

YEARS STORIES

9.9.2011

Mammut Sports Group AG

AS_Mammut_Umschlag:Jubi-Buch

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YEARS STORIES


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ZERLEGT Reto Rüegger l Frauenfeld/Schweiz 150 Paar Mamook GTX generieren in der Produktion einen Zeitaufwand, der drei Wochen Ferien entspricht. Werden alle einzelnen Bestandteile eines Paars Mamook GTX aneinandergereiht, entspricht dies einer Länge von 12,4 Metern. Multipliziert man nun die Menge aller verkauften Mamooks seit Be-

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stehen von Mammut Footwear (Frühling 2009) mit dieser Länge, ergibt sich eine Distanz von 124 Kilometern, die der Strecke Zürich–Bern entspricht. Ein Mamook GTX besteht aus 103 Einzelteilen. Multipliziert man diese Einzelteile mit der Menge aller verkauften Mamooks seit Bestehen von Mammut Footwear (Frühling 2009), würde jeder Einwohner und jede Einwohnerin der Stadt Genf je ein Mamook-Teil

Schaumstoffe dienen der Polsterung sowie der individuellen Formgebung und sind verantwortlich für bequeme Passform und Dämpfung.

erhalten (= 206 000 Einzelteile). Die Fläche aller verarbeiteten Materialien eines Mamook GTX beträgt 0,6213 Quadratmeter, also 1,2426 Quadratmeter pro Paar. Multipliziert man diese Fläche mit der Anzahl der bis zum Sommer 2012 produzierten Mamooks, ergibt sich eine Gesamtfläche von 12 426 Quadratmetern. Diese wiederum entspricht der Fläche von zwei Fussballfeldern.

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KLETTERN IM KÜHLSCHRANK Stephan Siegrist l Torre Egger/Patagonien

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Es war nicht wenig, was wir uns vorgenommen hatten: die erste

Bereits etwas angeschlagen von den anstrengenden Tagen und

gust zwei weiteren Längen einer unvollendeten Route in den

bilde ist für die Gipfel der Cerro-Torre-Gruppe typisch, weltweit

Winterbegehung des Torre Egger, des anspruchsvollsten Gipfels

dem noch nicht ganz überwundenen Jetlag, kämpften wir uns aus

Col de los Sueños zwischen Torre Egger und Punta Herron. Zwei

aber ziemlich einzigartig. Man stelle sich einen Tiefkühler vor, den

in der patagonischen Cerro-Torre-Gruppe, der schon im Sommer

unseren kleinen Zelten und standen unter einem sternenklaren

neue Seillängen brachten uns anschliessend auf die bestehende

man nach Jahren wieder einmal entfrosten müsste, multipliziert

selten bestiegen wird. Wir planten eine reine Alpinstilbegehung,

Himmel. Wir hatten noch nicht entschieden, ob wir einen Bestei-

Route «Titanic» von 1987. Die Sonne, die nun für ein paar wenige

das Eis mit Hunderten von Kubikmetern, formt daraus einen Pilz

ohne vorgängig Seile zu fixieren oder Material zu deponieren. Ein-

gungsversuch starten oder die guten Tage zum Deponieren von

Stunden in die Wand schien, erfreute unsere Herzen – und unsere

und setzt ihn auf einen Felssockel. Der Eispilz bildet die letzte

mal eingestiegen, wollten wir bis zum Gipfel durchklettern.

Material am Wandfuss nutzen sollten. Der Wetterbericht liess uns

Hände, denn nun folgte die Route einer Risslinie, die, wie im Win-

Bastion auf dem Weg zum Gipfel und ist von den Kletterern als bergsteigerischer Albtraum gefürchtet, da die Kletterei einem un-

Thomas Senf aus dem Berner Oberland, Mario Walder aus

nur eine kleine Chance auf einen Gipfelerfolg – wenn alles optimal

ter zu erwarten, mit Eis gefüllt war. Um Griffe zu finden oder

Osttirol, der Innerschweizer Daniel Arnold und ich erreichten

laufen würde. Andererseits wusste ich von vergangenen Patago-

Sicherungen zu legen, musste ich immer wieder mit dem Hammer

gesicherten Hinaufwühlen in senkrechtem Pulverschnee gleicht.

am Abend des 27. Juli 2010 El Chalten, den Ausgangspunkt für

nienreisen, dass es unsere einzige Chance auf ein Schönwetter-

das Eis vom Fels schlagen. Die Kletterei war teilweise recht an-

Für diese letzten Seillängen brauchten wir definitiv Tageslicht, aus-

die verschiedenen Basecamps in der Fitz-Roy- und Cerro-Torre-

fenster sein konnte.

spruchsvoll, doch von erlesener Schönheit. Thomas – nicht nur be-

serdem waren wir mit unseren Kräften am Ende. Also gruben wir

kannter Bergfotograf, sondern auch starker Bergsteiger – sorgte

uns einen Sitz in den steilen Schnee und verbrachten 4 Stunden im

Gruppe. Als wir erfuhren, dass sich in den kommenden Tagen ein

Wir setzten alles auf eine Karte. Keiner sprach ein Wort, jeder

stabiles Hochdruckgebiet einstellen sollte, organisierten wir eiligst

wusste, was zu erledigen war, bevor wir Richtung Gipfel starten

zwischendurch für Aufregung, als er einen 2 auf 2 Meter grossen

Schlafsack, das Zelt über uns gestülpt, um den mittlerweile star-

das übrige Material und packten unsere Ausrüstung zusammen.

konnten. In unseren Fussstapfen vom Tag zuvor erreichten wir mit

Schneeblock aus einem Winkel der Route entfernen wollte und mit-

ken Wind abzuhalten. Jeder von uns dreien hing in diesen Stunden

Mit schweren Rucksäcken marschierten wir bereits einen Tag

dem restlichen Material am Schweizer Nationalfeiertag um 10 Uhr

samt den Schneemassen einen bis auf eine zerbrochene Sonnen-

im Halbschlaf dunklen Gedanken nach, wie es wäre, knapp unter

später auf Ski bei starkem Schneefall ins Campo Bridwell, unser

morgens den Einstieg unseres Projekts. Das Wetter war perfekt:

brille folgenlosen 7-Meter-Flug hinlegte.

dem Gipfel in einen patagonischen Sturm zu geraten.

Basislager, und am Abend wieder zurück. Mario bekam so starke

windstill, die tief stehende Sonne von einem unwirklich blauen

Als wir zum Beginn einer langen Traverse kamen, dämmerte es

Langsam wurde es hell. Der Wind hatte an Intensität nicht nach-

Schmerzen im Knie, dass er die Expedition leider schon vor ihrem

Himmel scheinend, genau wie es uns Karl Gabl, Meteorologe aus

schon wieder. Wind setzte ein, und es wurde bitterkalt. Ein guter

gelassen, der Himmel war mit Zirren bedeckt – Anzeichen eines

eigentlichen Beginn abbrechen musste. So buckelten wir am

Österreich und Wettergott der Bergsteiger, prognostiziert hatte.

Biwakplatz war nicht vorhanden, und um die Nacht nicht in unse-

Wetterwechsels. So kurz unter dem Gipfel wollten wir aber nicht

nächsten Tag zu dritt das restliche Gepäck ins Camp und trans-

Die Kletterei folgte einer Eislinie, die sich bis zu einem Gletscher-

ren Klettergurten hängend verbringen zu müssen und dabei völlig

aufgeben und machten uns so schnell wie mit unseren klammen

portierten noch am gleichen Tag, teilweise auf Schlitten, das für

abbruch zwischen Cerro Standhardt und Torre Egger hinauf-

auszukühlen, beschlossen wir, durch die Nacht weiterzuklettern.

Fingern möglich Richtung Gipfel auf. Ich wusste von einer frühe-

eine Winterbesteigung nötige Material in Richtung der Basis der

zog – ideal, um ein Camp aufzubauen, wie wir es geplant hatten.

Das hatte ausserdem den Vorteil, dass wir Zeit gewannen – bei den

ren Begehung, dass es auf der Südseite des Pilzes einen Eiskanal

Torre-Egger-Ostwand. Der viele Schnee, die Kälte (bis zu minus 25 Grad) und das kurze Tageslicht (um 9.30 Uhr wurde es hell, um 18.30 wieder dunkel)

Während unser «Eismeister» Dani noch zwei weitere Seillängen

schnellen Wetterumschwüngen in Patagonien kann jede Stunde

gegeben hatte. Falls der noch bestand, könnten wir den Gipfel

kletterte, wobei ich ihn sicherte, begann Thomas bereits mit dem

über den Gipfelerfolg entscheiden. Die normalerweise leichte Klet-

schnell und sicher erreichen.

Einrichten des Lagers.

terei über die Felsrampe erwies sich als extrem anspruchsvoll. Das

Zu unserem Glück existierte er noch. Am 3. August 2010 um

machten die Transporte anstrengend. Nach einer Nacht im Cam-

Um die Kälte und den Wind in der Winternacht ertragen zu kön-

sich durch den senkrechten Granitpanzer ziehende schmale Fels-

die Mittagszeit standen wir zu dritt auf dem Torre Egger, nur eine

po Bridwell brachten wir eine erste Ladung an den Wandfuss,

nen, waren wir mit Schlafsäcken und Biwakzelten ausgerüstet.

band war mit Pulverschnee und Eis überdeckt und machte die

gute Woche nach unserem Abflug aus der Schweiz. Rund 12 Mo-

durch teilweise hüfttiefen Neuschnee. Dann ging es wieder 3 Stun-

Aus dem halbwegs warmen Schlafsack herauszukriechen erfor-

Kletterei im Licht unserer Stirnlampen zu einem wackligen Tanz.

den zurück, wo wir eine sehr kalte Nacht im Campo Niponino

derte jeden Morgen grosse Überwindung – in der sommerlichen

Nachts um halb vier, nach 22 Stunden Kletterei, erreichten wir

verbrachten. Wie immer war zu früher Morgenstunde Tagwache.

Schweiz war es 60 Grad wärmer gewesen! Wir folgten am 2. Au-

den Beginn des Gipfeleispilzes. Das aus Anraum bestehende Ge-

nate verbrachte ich in den letzten 18 Jahren beim Bergsteigen in Patagonien, doch so schnelles und so grosses Glück hatte ich noch nie!


EIN LANGER GEMEINSAMER WEG

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Robert Bösch l Alpen/Schweiz Ende der Siebzigerjahre war Mammut eine reine One-Man-Show: Mammut, das war Albert Wenk. Benötigte man für eine geplante Expedition Fixseile, hatte man ein defektes Steigeisen oder wollte man sich über die Sohle eines Kletterschuhs informieren, wendete man sich an Albert Wenk. Er wusste alles und bemühte sich um

wie in der Eiger-Nordwand, in vielen weiteren Routen («Spit verdonesque», «Deep Blue Sea», «Le Chant du Cygne», «The Young Spider», «Pilz», «Paciencia»), mit den verschiedensten Leuten (Hansi Kessler, Oswald Oelz, Kobi Reichen, Ueli Bühler, Robert und Daniela Jasper, Stephan Siegrist, Roger Schäli, Peter Schäffler, Marco

alles. Ich kannte ihn aus der Zeit, als ich, sozusagen am Beginn

Büchel, Röbi Koller, Chäppi Ochsner, Ralf Dujmovits, Evelyne Bin-

meiner «Bergsteigerkarriere», in der kleinen Werkstatt des Zürcher

sack, Hansruedi Gertsch, Thomas Kohler, Robi Marti, Bernhard

Bergsportgeschäfts Eiselin zusammen mit Walti Müller, dem Frei-

Russi, Heinz Müller und Ueli Steck). In den verschiedensten Vari-

kletterpionier der Schweiz, Ski präparierte. Hatte ein Kunde Pro-

anten: Als Bergsteiger bin ich etliche Routen geklettert, im Sommer

bleme mit der Ausrüstung, die weder Walti Müller noch Filialleiter

und im Winter. Als Fotograf habe ich unterschiedliche «Techniken»

Emil Schär lösen konnten, war klar, wen man anrief: Albert Wenk.

angewendet: Ich habe mich vom Heli per Longline in der Spinne ab-

Etliche Jahre später hatte ich wieder mit Albert Wenk zu tun, als

setzen lassen, bin aus dem Stollenloch in die Wand gestiegen oder

ich oft mit Martin Scheel kletterte. Martin war einer der wichtigsten

an Fixseilen 800 Höhenmeter zum Spinnenbein hochgestiegen, ich

Erschliesser alpiner Felsrouten und wurde von Mammut, also von

bin vom Wandfuss bis zum Ersten Eisfeld hinauf- oder vom Gipfel

Albert Wenk, mit Material unterstützt. Als Martin und ich 1986 die

zu den Ausstiegsrissen hinuntergeklettert. Manchmal von einem

Route «Hannibals Alptraum» im Rätikon erstbegingen, wäre keiner

zusätzlichen Partner gesichert, oft aber auch nur zu zweit und meist

von uns auf die Idee gekommen, nochmals in die Wand zu gehen,

ungesichert. Manchmal relativ relaxed bei angenehmen Tempera-

um zu fotografieren, obwohl es für die damalige Zeit eine ausser-

turen und guten Verhältnissen, aber auch bei 100 Stundenkilome-

gewöhnliche Route war und Mammut uns dafür mit Material aus-

ter Sturm und 20 Minusgraden ums Überleben kämpfend.

gerüstet hatte. Wir hatten während der Erstbegehung ein paar Bil-

Und dann, im November 2010, das «X»: das Mammut-X für

der geschossen – aber die kennt man ja, diese vom Standplatz aus

«X-trem» im Gipfeleisfeld der Eiger-Nordwand. Nicht das gefähr-

aufgenommenen Fotos. Aus keinem von Martins grossartigen

lichste, aber das aufwendigste Nordwand-Fotoprojekt. In einem

Kletter-Highlights – unter anderem «Freetrip», «Supertramp», «Amar-

gewissen Sinn war die gesamte von Gabriel Peisker, einem der bei-

cord» – gab es vernünftiges Bildmaterial. Es war eine andere Zeit.

einer meiner ersten richtigen Fotoaufträge, entsprechend nervös

Die sich aber in den folgenden Jahren rasant ändern sollte.

Die Ansprüche an das Bildmaterial nahmen Schritt für Schritt

den Gründer der Agentur erdmannpeisker, ausgedachte Testkampagne der Höhepunkt einer langen Entwicklung. Ich war froh,

war ich. Damals war kein aufwendiges Shooting angesagt, es

zu. Albert Wenk beauftragte mich, zwei starke Oberländer Klette-

Freeclimbing, Gleitschirmfliegen, Mountainbiken, Snowboar-

genügte, ein paar Meter neben der Strasse Model Kim im Vorder-

rer in den Wendenstöcken zu fotografieren. Heinz und Ueli Bühler

inzwischen auf eine mehr als 20-jährige Erfahrung zurückgreifen zu

den: Neue Sportarten wurden «erfunden» und belebten die Szene.

grund mit dem Steingletscher im Hintergrund zu positionieren.

hatten, von Mammut mit Material ausgerüstet, die Route «Bat-

können, denn diese brauchte ich in jeder Beziehung, um den An-

Der Outdoor-Sport war geboren. Und damit der Outdoor-Markt.

Danach wurde es schon aufwendiger: Kletteraufnahmen mit dem

man» erstbegangen, damals eine der schwierigsten Freikletterrou-

forderungen gewachsen zu sein. Fotografisches Know-how war

Die sogenannten Action-, Extrem- oder Adrenalinsportarten waren

britischen Topkletterer Martin Atkinson am Tour d’Aï oberhalb von

ten in diesem anspruchsvollen Klettergebiet. Wir kletterten die

genauso gefragt wie eine sehr gute Kenntnis der alpinen Locations

nicht nur für die Aktiven spannend und interessant, sondern auch

Leysin (der Fotograf blieb aus Zeitgründen auf dem Boden), dann

Route, installierten Fixseile, und am nächsten Tag fotografierte ich

und das Wissen um das alpinistisch Machbare. Jedes einzelne Su-

für die Medien. Eine wirkungsvolle Symbiose begann sich zu ent-

Zeltaufnahmen am Rand eines Walliser Weinbergs (nicht sichtbar)

die beiden – ein Aufwand, den man bis anhin lediglich für Bilder

jet bedeutete einen enormen Aufwand. Der eigentliche Shooting-

wickeln: Outdoor-Branche, Sportler und Medien wirkten wunderbar

mit verschneiten Bergen im Hintergrund (sichtbar). Oder, oberhalb

nicht auf sich nahm. Zunehmend wurden auch Shootings im be-

Tag war jeweils nur die Spitze des berühmten Eisbergs – und für

zusammen. Zunehmend waren Bilder von diesen neuen Abenteu-

von Grindelwald und unterhalb der Scheideggwetterhorn-Nord-

nachbarten Ausland durchgeführt. Noch in bester Erinnerung sind

mich natürlich immer eine ziemliche Nervenprobe: Error was no

ersportarten gefragt. Es begann eine äusserst spannende Zeit für

wand (unweit der Strasse), Bekleidungsaufnahmen mit Yves Remy.

mir zwei Fotoaufträge mit dem damals von Mammut gesponserten

option. Dabei profitierte ich nicht nur von meinen Erfahrungen als

uns Fotografen – ursprünglich vielleicht gerade eine Handvoll im

Yves war eigentlich als Kletterer von Mammut gesponsert, aber ein

französischen Spitzenkletterer Alain Robert in der Verdonschlucht.

Fotograf und Bergsteiger, sondern auch von meinen guten Kon-

deutschsprachigen Raum –, wir entdeckten, dass es fotografisch

bisschen wandern konnte er auch. Dass wir das leise Rumpeln

Es ging um Seile: Ein riesiger Run-out und ein Mega-Sturz waren

takten zu vielen hervorragenden Bergsteigern, Bergführern und

noch viel zu entdecken gab. Immer mehr hervorragende Sportler

hoch über uns nicht sofort ernst nahmen – eine tief hängende

die gewünschten Vorgaben. Alain Robert, den ich davor schon oft

Heli-Piloten, die mit ihrem grossen Wissen und Können und der

liessen sich auf das Sponsoring ein und waren damit auf Publizität

Wolkendecke verhinderte den Blick zum Gletscherabbruch 1000

bei wilden Free Solos fotografiert hatte und der für mich der Wahn-

Bereitschaft, auch erhebliche Verantwortung auf sich zu nehmen,

angewiesen. Die Bilder wurden besser, damit auch die Ansprüche

Meter höher –, wurde uns beinahe zum Verhängnis: Als die Eisla-

sinnigste ist, der mir je über den Weg lief, war genau der richtige

letztlich der Schlüssel waren, dass diese spannende Kampagne

an das Bildmaterial. Alle mussten mitziehen. Auch Mammut.

wine am Wandfuss aufschlug und eine gewaltige Schnee- und Eis-

Mann dafür. Die Aktion war haarsträubend und chaotisch – aber

überhaupt realisiert werden konnte.

Mit Albert Wenk und dem australischen Spitzenkletterer Kim

mauer auf uns zuschoss, unterbrachen wir unsere Fotoarbeiten

am Schluss waren die Bilder im Kasten.

Carrigan, der für einige Jahre in der Schweiz für Mammut arbeite-

ziemlich Hals über Kopf, rannten Richtung Strasse und warfen uns

te, fuhr ich Ende der 1980er-Jahre zum Sustenpass, um die neue-

im letzten Moment mit einem Hechtsprung in einen Bachlauf. Die

an Fotos aus Felskletterrouten stellte, auch in die grossen kombi-

Albert Wenk und Kim Carrigan loszog, nicht nur nicht geträumt,

sten Mammut-Jacken und -Rucksäcke zu fotografieren. Es war

Schneemassen rasten über uns hinweg, unser Auto, 500 Meter

nierten Nordwände zu übertragen. Die Lauper-Route und später die

es wäre schlicht undenkbar gewesen. Aber wer hätte damals ge-

vom Wandfuss entfernt, wurde auf der Bergseite komplett zu-

Heckmair-Route am Eiger waren Stationen in dieser Entwicklung.

dacht, dass die Mammut einmal das sein wird, was sie heute ist!

gekleistert. Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass es bei einem

Was damals Neuland war, ist heute eine Selbstverständlichkeit.

Shooting knapp wurde.

Inzwischen habe ich an keinem Ort so oft fotografiert und gefilmt

In den folgenden Jahren versuchte ich die Ansprüche, die man

Dass man jemals so viel Aufwand und Kosten in ein BergsportFotoprojekt stecken würde, hätte ich vor 20 Jahren, als ich mit


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rative Potenz des Aufbruchs in die Wildnis, beim Klettern in unbekanntes Gelände werden Mobbing, das Finanzamt und die PS des eigenen Autos belanglos. Die Batterien laden sich beim Gehen im indischen Hochland für Herausforderungen in den Stadt-

KLETTERN, BIS ICH TOT BIN

Ich lebe noch ziem-

Oswald Oelz l Rund um die Welt

lich intensiv und habe

Diese Therapie ist nicht ohne Risiken. Es fehlen mehr als 25

nicht vor, demnächst

Freunde, mit denen ich am gleichen Seil geklettert bin, mit denen

zu sterben, ich will noch mindestens 20 Jahre klettern und über-

ich gelacht habe und in deren Gesellschaft ich empfand, dass das

schluchten von Zürich oder Berlin.

haupt klettern, bis ich tot bin. Die Pläne reichen für die nächsten

Leben nicht mehr schöner werden könnte. Sie sind in Lawinen

200 Jahre. Aber irgendwann wird es passieren, die Todesanzeigen

geblieben, verschwunden, abgestürzt, am Höhenödem gestorben

in den Zeitungen handeln von meinem Jahrgang und von viel Jün-

und ins unbekannte Land vorausgegangen. Ob dieser Preis ge-

geren. Obwohl ich immer gierig zugeschnappt habe, wenn es et-

rechtfertigt war, bleibt ein Geheimnis.

was zu erhaschen gab, werde ich am Endpunkt vor allem Unerledigtes zurücklassen.

Einige Male hat Freund Hein auch schon auf mich gezielt und mich nur knapp verfehlt. Streifschüsse wie Felsbrocken, Eis-

Das Sein am Höhepunkt einer medizinischen Karriere an der

lawinen, Lungenödeme und ausbrechende Haken machten das

Spitze einer Klinik kontrastierte zum Tasten im löchrigen Omanfels,

herrliche Leben bewusster – wir klettern ja, um intensiv zu sein,

dem Schneebiwak in Lunana im Nordwesten Bhutans, zum Sche-

nicht um zu sterben. «Das Geheimnis des fruchtbaren Lebens

ren der Schafe und zum Trekking im inneren Dolpo in Nepal. Berg-

heisst gefährlich leben, darum: baut eure Häuser an den Vesuv»,

steigen in allerlei Spielarten war für mich die ergänzende archa-

meinte Nietzsche. Bergsteigen ist eine wunderbare Alternative.

ische Lebensform als Kontrast zum Wirken in der überregulierten

Vielleicht aber ist die Antwort nach dem Warum eine ganz

Plastikwelt. Diese hat uns bequemen Komfort, physische Lebens-

andere. Zum Beispiel wie Diego Wellig sie formuliert hat, als er ge-

qualität, mehr als verdoppelte Lebenserwartung sowie Allergien,

fragt wurde, warum er Achttausender besteigen wolle: «Weil es

krebserregende Chemikalien und Fettberge gebracht. Wir haben

keine Neuntausender gibt.» Damit meinte er Ähnliches wie George

die Rhythmen der Natur ausgeschaltet, die Nacht ist taghell er-

Leigh Mallory, der 1924 eine Journalistenfrage, warum er den Eve-

leuchtet, Regen, Kälte und Sturm müssen wir nicht mehr spüren, kein Bär und kein Mammut drohen. Nahrung ist nicht mehr mühsam zu erjagen oder anzupflanzen. Diesel und Flugbenzin ersparen uns das Gehen, die Schichten aus Beton, allerlei Textilien und Metall haben uns von der Erde isoliert. Elektrische Leitungen und Ätherwellen transportieren täglich Milliarden von Banalitäten, alle simsen, aber nur noch wenige können reden. All das wird in ein immer dichteres Regulierungskorsett gezwängt, Sicherheitsvorschriften sind die modernen Terrornetze. Bald werde ich meine Fleischabfälle auch an Füchse nicht mehr verfüttern dürfen, und das Hirn meiner Lämmer dürfte ich schon jetzt nicht mehr selbst verzehren. Virtuelle Welt, Sicherheit, Regulierung und Fremdbestimmung sind bequem und füllen Praxen und

rest besteigen wolle, mit «because it’s there» beantwortete. Beide

Kassen der Psychoindustrie. Unsere Urwelt, in der sich unsere Evo-

drückten aus, wie unnütz und unbeantwortbar die Frage ist.

lution vollzogen hat, war nämlich anders. Wie unsere Vorfahren

So geniesse ich weiterhin jeden Tag, an dem ich einen Griff

mussten wir, sobald wir von den Bäumen heruntergestiegen waren,

ertaste, die Sonne im Nacken brennt, der Durst wächst und der

um Nahrung, Wärme und Frauen kämpfen. Vor dem Bären konnte

feuchte Schnee durchnässt. Die Botschaft von Jabal Misht, Cho-

man entweder ganz schnell davonrennen oder sich ihm stellen.

latse, Heiligkreuzkofel und Triemlispital hat Max Frisch 1937 in

Beim ernsthaften Bergsteigen kehren wir zu jenen Bedingungen

«Antwort aus der Stille» unnachahmlich formuliert: «Warum leben

zurück, unter denen innert einiger Millionen Jahre die menschliche

wir nicht, wo wir doch wissen, dass wir nur ein einziges Mal da

Entwicklung stattfand: Lebenswichtig ist ein geschützter Biwak-

sind, nur ein einziges und unwiederholbares Mal, auf dieser un-

platz, ein Feuer, um Schnee zu schmelzen, Kartoffeln und etwas

sagbar herrlichen Welt!»

Parmesan sowie scharfe Steigeisenwaffen. Darin liegt die regene-

«Auf eine schwere und schlecht abgesicherte Tour geht man nicht, weil man sterben will, sondern im Gegenteil, um intensiv zu leben.» 88

Oswald Oelz


DIE FRAGE NACH DEM GLÜCK

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Jean-Yves Michellod l Verbier/Schweiz Extremes Skifahren in steilen Hängen, das war mein Ding. Als lei-

gequetscht war. Nach vier oder fünf Monaten fing ich an, aufzu-

können; nicht einen Strich darunter zu machen, sondern zu ande-

denschaftlicher Freerider stieg ich besonders gern auf Gipfel und

stehen und zwischen zwei parallelen Balken zu gehen. Durch

ren Dingen überzugehen – damit meine ich, den Kopf frei zu ha-

fuhr dann auf Linien ab, die absolut unmöglich aussahen. Drei oder

das ständige Training konnte ich auch einen gewissen Gleichge-

ben, um das zu machen, was man mit seiner Behinderung machen

vier Jahre arbeitete ich während des Verbier-Xtreme-Snowboard-

wichtssinn wiedererlangen, sodass ich heute ohne Krücken gehen

kann.

rennens als Sicherheitsbeauftragter, kannte mich also vor Ort gut

kann. Da ich die Füsse überhaupt nicht mehr bewegen konnte,

Es half mir, dass ich vorher so viel Ski gefahren war. Natürlich

aus. Als der Veranstalter Nicolas Hale-Woods 2004 beschloss, das

wurden sie durch Schienen an den Knöcheln fixiert, daher gehe ich

fürchtete ich mich vor dem ersten Mal auf dem Skibob. Um mit ihm

Rennen für Skifahrer zu öffnen, fragte ich ihn, ob ich mich anmel-

etwas gebeugt.

zu schwingen, muss ich etwas Geschwindigkeit aufnehmen und

den könne. Er lud mich daraufhin zum Wettkampf ein, und gleich

Am Anfang meiner Rehabilitation war mein Ziel, es zu schaffen,

um die Kurve rutschen. Doch ich lernte schnell, und eines Tages

beim ersten Mal – damals war ich 27 – gewann ich. So begann mei-

mich allein in meinem Bett aufzurichten und in den Rollstuhl zu

fuhr ich tatsächlich die Pisten von Verbier hinunter, ohne hinzufal-

ne Karriere als Freerider. Aber ich wollte nie ein professioneller

kommen. Als ich die Beine wieder etwas bewegen konnte, keimte

len. Weil der Skibob die Tendenz hat einzusinken, war es im Pul-

Sportler werden, der zu 100 Prozent von Sponsorengeldern lebt,

die Hoffnung auf, wieder normal Ski fahren zu können. Doch ich

verschnee etwas komplizierter – vor allem für meine Freunde, die

dazu bin ich zu wenig ein Geschäftsmann. Mein Beruf als Berg-

hatte beim Laufen so grosse Mühe, dass ich einsehen musste,

mich 30 Mal am Tag wieder aufheben mussten. Es gab nur eine

führer liess mir trotzdem genug Zeit, um mich Steilhänge hinunter-

dass das nicht mehr möglich war. Ich suchte daher nach anderen

Lösung: schneller fahren. Mittlerweile habe ich im Pulver genauso

Alternativen und fand eine Möglichkeit, sitzend Ski zu fahren. Im

viel Vergnügen wie vor dem Unfall. Ich fahre sogar schneller als die

Der 12. März 2006 veränderte alles. Ich fuhr einen rund 45 Grad

Internet stiess ich auf Dualski, einen französischen Hersteller von

gesunden Skifahrer, weil mir die Oberschenkel nicht brennen –

zustürzen. steilen Hang am Mont Fort ab, im Skigebiet Les 4 Vallées, und lös-

Hilfsgeräten für Menschen mit einer Behinderung. Sie fertigten für

man muss mich fast dazu zwingen, anzuhalten. Ich geniesse die

te bei einem Schwung eine Lawine aus, die mich 300 Meter mit-

mich eine Art Skibob an, und im Januar 2007, acht Monate nach

Geschwindigkeit, wie auf einer Kartbahn. Ich kann sogar mit vol-

riss und in die Felsen schleuderte. Sämtliche Rippen brachen, und

meinem Unfall, begann ich wieder Ski zu fahren.

lem Tempo die Kurven schneiden. Obwohl ich in einem Sessel sit-

auch im Rücken hatte ich zahlreiche Frakturen, unter anderem eine

Parafreeriding, so nenne ich es, unterscheidet sich stark vom

am 12. Rückenwirbel. Ich war mehr oder weniger entzweigebro-

traditionellen Skifahren. Ich sitze auf einem Gehäuse aus Karbon,

Letztendlich lebe ich jetzt das Leben eines professionellen

chen. Ich wurde sofort operiert, und es wurden Metallplatten in

das über einen Stossdämpfer mit einem Unterbau verbunden ist;

Freeriders. Ich habe das Glück, dass alle meine Partner zu mir ge-

meinen Körper eingesetzt. Nach einer Woche im Spital verlegte

dieser ist auf zwei Ski montiert, um im Pulverschnee mehr Auftrieb

halten haben, und weil ich weiterhin in Filmen mitwirke, bin ich

man mich zur Rehabilitation nach Sion.

zu haben. Man kann das Gerät mit jedem Skimodell kombinieren.

heute fast bekannter als früher. Ich komme nicht schlecht herum,

Ich hatte mir früher immer gesagt: Das Schlimmste, was mir zu-

Ich habe auch zwei kleine Stützen für die Arme, um das Gleich-

war in Chile und Russland, und ich bin auch in der Jury der Free-

stossen kann, ist, durch einen Unfall querschnittsgelähmt zu wer-

gewicht zu halten. Abgesehen von diesen Hilfsmitteln läuft das

ride World Tour tätig. Ich bin nicht glücklicher als vor meinem Un-

den. Als mir mit 29 Jahren genau das zustiess, ging es mir einige

Skifahren selbst praktisch identisch ab, allerdings kann ich nicht

fall, aber ich kann weiterhin Ski fahren und reisen. Ich denke, dass

Tage psychisch sehr schlecht. Aber ich hatte zu der Zeit bereits

Pflug fahren, um abzubremsen.

viele gern an meiner Stelle wären – nicht in meinem Rollstuhl, aber

ze, fühle ich mich total frei.

eine drei Monate alte Tochter, und als Vater denkt man anders

Wenn du dein Leben lang Ski gefahren bist und dich von einem

darüber nach, man erlaubt sich nicht, an das Ende zu denken. Vor

Tag auf den anderen nicht einmal mehr aufrecht halten kannst, hast

Ich hatte immer eine sehr grosse Leidenschaft für das Ski-

allem half mir, dass ich trotz allem kleine Fortschritte wahrnahm.

du das Gefühl, bei null anzufangen, vor allem mit dem Skibob. Das

fahren, und sie war es, die mich nach vorne schauen liess. Und nach oben: Am 7. Mai 2009 erreichte ich mit der tatkräftigen Hilfe

in meinem Leben.

Die Ärzte gingen davon aus, dass es schon ein grosser Erfolg wäre,

Härteste war, dorthin zurückzukehren, wo ich immer Ski gefahren

wenn ich mich jemals wieder mit Krücken von meinem Bett ins Bad

bin, dorthin, wo mich alle Leute von früher kannten und deshalb

zahlreicher Freunde nach einem mehr als fünfstündigen Aufstieg

bewegen könnte. Ich hatte das grosse Glück, dass einige Muskeln

Mitleid mit mir hatten. Aber auch darüber bin ich schnell hin-

von der Vallothütte auf Krücken den Gipfel des Mont Blanc. Die

im Oberschenkel sowie die Nerven wieder aktiviert werden konn-

weggekommen. Es hat mir bald Spass gemacht. Ich denke, das ist

Schneeverhältnisse waren perfekt, und so konnte ich als Erster die

ten, weil mein Rückenmark nicht ganz durchtrennt, sondern nur

das Wichtigste nach einem Unfall: die Vergangenheit vergessen zu

Nordflanke des Mont Blanc mit einem Skibob befahren.


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