15 minute read

Wer führt wen? Beziehungssicherung in schwierigen Führungskonstellationen

Next Article
Wozu Führung?

Wozu Führung?

Wer führt wen? Beziehungssicherung in schwierigen Konstellationen

Führungskräfte werden häufig darin geschult, «wie Führung geht». Führung geht aber anders – je nachdem, wen man vor sich, «über» sich, «unter» sich oder auch neben sich hat …

Advertisement

Eine wesentliche Funktion von Führung besteht darin, die Gemeinschaftsperspektive (der Organisation) explizit zu besetzen – und durchzutragen, auch gegenüber Einzelnen. Der Gestaltungsrahmen schränkt die individuellen Freiheitsgrade zugunsten des übergeordneten Systems ein. Die spezifische «Zumutung», die damit verbunden ist, wird nicht immer umstandslos akzeptiert. Was können Führungskräfte in schwierigen Konstellationen tun, um die Beziehung zu sichern?

Von wem lassen wir uns was sagen?

Wir lassen uns ungern führen, wenn wir der Führungsperson diesen Status nicht zugestehen. Wird eine Führungskraft nicht gut akzeptiert, liegt das selten daran, dass die Geführten Probleme mit Autoritäten hätten, sondern eher an fehlender Passung. Wenn Blendung vermutet wird, Kompetenz und Seniorität fehlen oder unklar ist, wie jemand seine Rolle «geerbt» hat, reagiert das Umfeld skeptisch – oft zu Recht. Wer selbst gut tanzen kann, fängt an zu führen, sobald der Partner den Takt systematisch verfehlt und einem auf die Füsse tritt. Aber umgekehrt sagen Führungskräfte auch bisweilen: «Mein Mitarbeiter treibt mich in den Wahnsinn.» Das Gelingen der Führungsbeziehung ist keine Einbahnstrasse, aber die Führungskraft kann einiges tun: Wirkliche Qualität in der Führungsarbeit zahlt auf Akzeptanz ein.

Schwierige Konstellationen

Führung geschieht in Beziehung – der Führungserfolg entscheidet sich bei den Geführten. Führungskräfte brauchen deshalb den «Segen» der Geführten. Wie in allen Beziehungen werden dabei kontinuierlich bestimmte Aspekte ausgehandelt, ausbalanciert und gestaltet: die Balance von Geben und Nehmen (Reziprozität), die Frage nach freundlicher Zugewandtheit oder Ablehnung (Freund-Feind-Schema), das Thema Nähe und Distanz und die

Frage nach der faktischen Rangordnung, die oft nicht mit der formalen Rolle übereinstimmt.

Risiken für die Beziehungen sind dabei oft strukturell getriggert: Treibt die Struktur die Beteiligten in Konkurrenz, wird das «Feind»-Schema aktiviert – es ist etwas erschwert, Konkurrenten wirklich sympathisch zu finden. Ist man von jemandem abhängig, betrifft dies die faktische Rangordnung: Wer sitzt wirklich am längeren Hebel? Persönliches kommt hinzu: Ist die Balance von Geben und Nehmen gestört oder artet Macht in Übergriffe und Distanzlosigkeit oder aber allzu viel Abstand aus, entstehen schnell Misstrauen und Reserviertheit. In schwierigen Konstellationen ist es besonders wichtig, die Beziehung auf allen Ebenen zu sichern, um eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zu ermöglichen.

Verhandlungsgegenstände

Reziprozität – Balance von Geben und Nehmen

Wir möchten in Beziehungen «quitt» sein – fehlt der Ausgleich, sind wir gebunden. Die Balance von Geben und Nehmen ist gemeinschaftssichernd – das Thema «Verteilungsgerechtigkeit» ist schon bei Primaten zu erkennen. Wir geben Geschenke zurück oder bedanken uns wenigstens symbolisch – und wir möchten auch «heimzahlen» oder haben «eine Rechnung offen», wenn uns jemand benachteiligt oder geschädigt hat. Nach Kriegen wachsen ganze Generationen mit dem Rachegedanken auf. «Schulden» wiederum erzeugen Verpflichtungen und können erpressbar machen – auch eine Führungskraft.

Herausforderungen zum Beispiel: Ein Konkurrent wurde vorgezogen. Schon wenn jemand informell ein Team geführt hat, nimmt die neue Führungskraft dieser Person Status weg – häufig, ohne das zu ahnen. Mitarbeitende werden Führungskraft im eigenen Team – ihr Status verschiebt sich gegenüber den anderen. Gehälter von Führungskräften und Mitarbeitenden klaffen zu weit auseinander – ganz gleich in welche Richtung. Oder: Erpressbarkeit durch Gefälligkeiten oder andere Schulden.

Beziehungssicherung: Balance von Geben und Nehmen sichern, Zumutungen funktional begründen und würdigen, Vorschuss und Dank, freundliche funktionale Grenzsetzung, aber Verzicht auf «Nachtreten» und Rache.

Freund oder Feind?

Wir reagieren sehr unmittelbar auf vermeintliche oder faktische Feindseligkeit. Wer abhängig oder schwächer ist, achtet sehr darauf, ob die andere Seite wohlgesinnt ist. Möglicherweise erklärt das die immer wieder betonte Beziehungsorientierung von Frauen: Wer es mit (körperlich) Stärkeren zu tun hat, tut gut daran, die Beziehung zu beobachten und im Zweifelsfall vorsichtig zu sein. Wer andere führt, muss mit viel Neid und Kritik rechnen, nicht nur in Krisenzeiten. Auch Störungen der Reziprozität lassen schnell Feindbilder entstehen, zu viel Distanz kann als Arroganz interpretiert werden.

Herausforderungen zum Beispiel: Die Kultur ist von Misstrauen geprägt. Die Legitimität der Besetzung ist in Frage gestellt. Negative Botschaften, Vorerfahrungen oder Gerüchte. Latente

Abwertung der anderen Seite. Illegitime Erwartungen an die Rolle aufgrund von Freundschaft. Direkte persönliche Antipathie.

Beziehungssicherung: Unerschütterliche Freundlichkeit und professionelles Wohlwollen, sich nicht von Feindseligkeiten anderer infizieren lassen, Abstand statt Zurückschlagen. Berechenbarkeit und Einhaltung von Versprechungen. Hinter Kritik und Reserviertheit stecken meist ungelöster Bedarf oder Ängste auf der anderen Seite.

Nähe und Distanz

Nähe und Distanz werden permanent hochsensitiv reguliert. Der als angemessen erlebte Abstand ist dabei interkulturell verschieden – sogar im Körperlichen (räumliche Nähe, die Hand geben usw.). Nähe und Bindung entstehen durch «Umsatz» – geistigen und körperlichen Austausch und Intimität der anvertrauten Inhalte. In positiven Beziehungen gilt die einfache Formel: Grosser Umsatz, grosses Glück – kleiner Umsatz, kleines Glück. In negativen Beziehungen steigen entsprechend Rachegelüste und Unglück mit dem negativen Austausch.

Die mächtigere (ranghöhere) Person hat am meisten Einfluss auf den Abstand: Die Ältere bietet das Du an, wer überlegen ist, kann den Abstand sogar einseitig verletzen. Wird ein Veto der schwächeren Seite nicht beachtet, nennt man das «Übergriff». Alle Abstandsverletzungen von sexuellen Übergriffen bis Mobbing gehen immer von «stark/viel» nach «schwach» und sind unter Gleichstarken nicht aufrechtzuerhalten.

Der Führungskraft ist deshalb Achtsamkeit für die rollenbedingte Distanz und eine besondere Aufmerksamkeit für das «Veto» abzuverlangen, und sie sollte – so Goethe – sozial kontrolliert werden. Ein gewisser Abstand ist nötig, um ein System zu führen. Lässt sich eine Führungskraft in einzelne Beziehungen zu stark involvieren, schart unter Druck vermeintlich «Getreue» um sich und geht anderen Systemmitgliedern aus dem Weg, verliert sie diesen Blick, und es kann zu Lagerbildung kommen.

Herausforderungen zum Beispiel: Duz-Kulturen ohne Rollenbewusstsein oder umgekehrt starke formale Distanz durch sehr viel Protokoll und Dress-Code. Führen in familienähnlichen Arbeitsstrukturen wie Kitas. Führen von Familienmitgliedern, Kindheits- oder Studienfreunden. Alte Feinde. Rollenunsicherheit aufgrund zu grosser Hilfsbereitschaft oder Freundschaft im Privaten. Flirtangebote und Liebesbeziehungen mit Mitarbeitenden. Remote Leadership – Führen auf Distanz.

Beziehungssicherung: Angemessener Abstand – Gespür entwickeln für unwillkommene Nähe. Sensibilität für Übergriffigkeit, Respekt vor dem Raum des anderen, Rollenbewusstheit, freundliches und klares Agieren aus der Rolle heraus, explizite Klärung der Rolle. Neue Rituale und gemeinschaftssichernde Aktivitäten bei «Remote Leadership».

Rangordnung

In jeder Beziehung existiert Rangordnung in unterschiedlichen Bereichen. «Unterm Strich» wird Ebenbürtigkeit oder aber ein Machtgefälle erlebt. Nicht immer sitzt die formal ranghöhere

Person dabei wirklich am längeren Hebel. Rangordnungskämpfe können zu inhaltlich absurden Prozessen führen (Loriot: «Herren im Bad»).

Die faktische Rangordnung umfasst (mindestens) drei Aspekte: Die formale Rolle (formaler Status, Befugnisse und Rechte), Kompetenz im weitesten Sinn (Fähigkeiten, Glaubwürdigkeit, «Vermögen») und die «Seniorität» (Reviervorteil, Lebensalter, Job-Alter, Erfahrung …). In manchen Kulturen schränken Geschlecht oder Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppierungen direkt die Möglichkeit ein oder aus, bestimmte formale Rollen einzunehmen.

Konstellationen, in denen Ältere mit hoher Kompetenz führen, werden oft schnell akzeptiert. Frauen fokussieren auf die Themen Nähe und Wohlwollen und akzeptieren Hierarchie untereinander weniger leichtgängig – sie organisieren sich eher in Netzwerken. Männer dagegen trainieren den Umgang mit der Frage, wer stärker ist, in vielen sozialen Situationen ganz direkt, vor allem im Sport, und sie drücken Hierarchie expliziter aus (z. B. durch Titel und Uniformen).

Herausforderungen zum Beispiel: Führungskraft führt formal ranghöhere Kollegen in Projekten. Jung führt Alt, junge Frau führt Männer, junge Frau führt andere junge Frauen in einem hierarchieorientierten Betrieb, Neuling von der Uni führt langjährig Beschäftigte, Juniorchef führt mit dem Senior im Nacken, Zugezogene führen Einheimische, Fachfremde führen Spezialisten

Beziehungssicherung: Volle und explizite Anerkennung der faktischen Kräfteverhältnisse, der Kompetenz und Seniorität, Respekt, hierarchiebewusste Kommunikation.

Anregungen für die Führungspraxis

Führung als Funktion verstehen

Manche Menschen verbinden mit Führung die Vorstellung, eine Führungskraft sei grundsätzlich intelligenter oder menschlich und fachlich entwickelter als die ihr unterstellten Mitarbeitenden – oder man leiste als Führungskraft mehr und werde deshalb besser bezahlt. Wer die Führungsrolle funktional versteht – als eine besondere Aufgabe, die darin besteht, die Perspektive des übergeordneten Systems, des Ganzen zu sichern und durchzutragen –, macht es sich auch in schwierigen Konstellationen leichter. Die Führungsrolle in diesem Sinn «selbstverständlich» zu besetzen, ermöglicht plausible substanzielle Argumentation ohne jegliche «Bossigkeit».

Eine aktive Klärung des tatsächlichen (und wechselseitigen) Führungsbedarfs ist dabei sehr sinnvoll. Wo benötigt man Zuarbeit und Unterstützung, welche Rahmenbedingungen, Leistungen und Integration von Interessen sichern das Beste für das übergeordnete System? Dieses gemeinsame Dritte ist ein Referenzpunkt ausserhalb der Führungsbeziehung und bestimmt die Funktionalität des Miteinanders.

Selffulfilling Prophecys vermeiden

Für die Besetzung einer Funktion kann man auch in schwierigen Konstellationen Akzeptanz zunächst einfach voraussetzen und

«selbstverständlich» davon ausgehen, dass man akzeptiert ist. Sich auf dieser Basis dann Mühe zu geben, die Rolle wirklich gut zu füllen, ist eine angenehme und konstruktive Form von Bescheidenheit.

Sitzt die Fachkompetenz auf der anderen Seite, oder ist die geführte Person älter? Wunderbar – dann ist es naheliegend, um Unterstützung zu bitten. Ist man eng befreundet? Dann ergibt es Sinn, zu klären, worauf man im Konflikt baut. War das Team vorher führungslos? Dann gibt es jemanden, der «den Laden zusammengehalten» hat.

Insbesondere im Konflikt sind Selffulfilling Prophecys durch Interpretation und wechselseitige Unterstellungen schnell da. Sobald bei Missverständnissen und Pannen Nachlässigkeit, Inkompetenz oder gar Absichten unterstellt werden, eskalieren die Themen. Unterstellte Antipathie führt zu mehr Antipathie. Angriffe auf die Wertewelt führen zu emotionaler Distanz und torpedieren jegliche Synergie. Wenn etwas schiefläuft, ist es deshalb ratsam, «den Ball flach zu halten», damit man sich am Ende nicht aus dem Weg gehen muss: Es hilft, so lange wie möglich von einer Panne auszugehen, so lange wie möglich gute Absicht zu unterstellen und die gute Beziehung und die geteilten Werte möglichst nie in Frage zu stellen.

Zusammenarbeit statt Status

Was brauchen Sie von mir, um gut zu arbeiten? Diese Frage ist – weil arbeitsbezogen – freundlicher, respektvoller und funktionaler als «Erwartungs-Sprech». Erwartungen sind sinnfrei und können schnell enttäuscht werden. Direkte aktive Bedarfsklärung zahlt demgegenüber auf Reziprozität ein und ermöglicht, wirklich aufeinander zu zu arbeiten.

Der explizite Verzicht auf rein statusbezogene Privilegien, die nichts mit diesem Bedarf zu tun haben – vom grössten Dienstwagen bis zum besten Büro, ist eine zukunftsrelevante Botschaft in Arbeitskontexten, in denen Hierarchie zugunsten funktionaler Netzwerke abgebaut werden soll. Eine Führungskraft muss sich auch nicht «zu fein sein», mit anzupacken, wenn es darauf ankommt. Auch der Verzicht auf extrem hohe Gehälter oder Boni in schwierigen Zeiten sind kulturrelevante Signale. Wer sich selbst nicht durch die Annahme von Geschenken und Privilegien bindet, erhält seine persönliche Autonomie. Führungskräfte, die in dieser Hinsicht den Rücken frei haben, agieren souveräner.

Freundlichkeit in angemessenem Abstand

In schwierigen Konstellationen entstehen oft Reibungen, die schwer einzuordnen sind. Das Rezept ist so simpel wie schwierig in der Umsetzung: sich länger freundlich verhalten als der andere – und konsequent aus der Position der «guten Beziehung» heraus agieren.

Den Abstand in der Führungsbeziehung angemessen zu gestalten, ist eine Sache des Gespürs – und muss im Zweifel geklärt werden. Es spricht nichts dagegen, einander zu duzen oder einen Blick ins Privatleben zu ermöglichen – wenn man dabei nicht vergisst, «wer man ist». Gute Freunde fordern keine

Privilegien oder Rücksichten in der Arbeit ein, weil sie damit der Führungskraft die soziale Unterstützung in der Rolle entziehen würden. Achtsamkeit für unwillkommene Nähe beugt emotionaler oder faktischer Übergriffigkeit vor. Ein No-Go sind Liebesbeziehungen mit direkt Unterstellten, wenn dies nicht allen Beteiligten mit allen Implikationen transparent gemacht werden kann. Führungskräfte riskieren damit nicht erst beim Scheitern der Beziehung eine gefährliche Nähe zu brisanten Themen.

Angemessener Abstand ist auch bei der Intervention bei psychosozialen Krisen gefordert. Es ist nicht hilfreich, sich in guter Absicht laientherapeutisch zu betätigen, statt Mitarbeitenden anzubieten, interne und externe Hilfesysteme zu nutzen.

Führt man faktisch auf Distanz, weil Mitarbeitende am anderen Ende der Welt sitzen, bedarf es umgekehrt einer aktiven Herstellung von Identifikation und Verbundenheit durch geeignete Rituale, psychologische Sicherheit und eine gut angepasste Kontaktfrequenz.

Hierarchiebewusstsein

Entscheidend für die Balance in der Führungsbeziehung ist der tatsächliche Respekt vor der faktischen Rangordnung – hinsichtlich Seniorität, Job-Erfahrung, Kompetenz und Vernetzung. Es kommt gut an, wenn ungewöhnliche Konstellationen direkt angesprochen werden, besonders wenn hinsichtlich Seniorität oder Kompetenz ein grosses Gefälle zugunsten der Mitarbeitenden besteht. Mit Humor und Respekt – viele Worte braucht es oft nicht. Eigenverantwortlichkeit und die Nutzung von Freiräumen im Rahmen der notwendigen Leitplanken sind Signale des Respekts – kompetente und erfahrene Mitarbeitende nehmen zu viel Lenkung und Kontrolle der Person statt der Ergebnisse übel.

In schwierigen Führungskonstellationen ist es besonders brisant, hierarchisch statt funktional zu kommunizieren. Hierarchie wird kommunikativ zum Beispiel vermittelt durch: • Symbole (Ausstattung, Kleidung, allgemeiner Auftritt) • Lenkung (Ausrichtung, Leitplanken) • Verfügung über Ressourcen (Verteilungsmacht, Gebenkönnen) • Raumeinnahme (Büro, Setting) • Bewertung (im Urteil erhebt sich der Beurteilende über den

Beurteilten)

Symbole – notwendig oder überflüssig? Machtsymbole können in schwierigen Konstellationen schnell protzig und unangemessen wirken. Es ist allerdings bisweilen notwendig, symbolisch der anderen Seite zu vermitteln, wer man ist, damit überhaupt Kommunikation auf Augenhöhe entstehen kann. Wenn etwa Frauen in bestimmten Kulturen nicht als ebenbürtige Gesprächspartner betrachtet werden, kann es wichtig werden, die formale Rolle durch Symbole überzubetonen (z.B. Termine mit Anmeldung, Titel, repräsentative Ausstattung). Dabei geht es nicht um Privilegien, sondern um die mit der Symbolik verbundene Information – die «Übersetzung» der Position in die Welt der anderen Seite, um die Rangordnung kenntlich und für die andere Seite verstehbar zu machen.

Lenkung – Legitimität und Kommunikationsformat: Je stärker einschränkend ein Steuerungsimpuls sprachlich ist, desto stärker drückt er Hierarchie aus – und desto mehr Reaktanz entsteht, am stärksten im Befehl, am wenigsten in einer Bitte. Notwendigkeiten erfordern keine «Gehorsamskultur», sondern legitimieren «Zumutungen» und Lenkung, weil sie nicht aus Eigeninteressen abgeleitet werden, sondern aus dem, was es für die Gemeinschaft zu erreichen gilt. Dies aktiv zu kommunizieren und die damit verbundenen Zumutungen zu würdigen, schafft Akzeptanz.

Ich-Aussagen statt Bewertung: Jeder beurteilt jeden – für sich. Vorgesetzte tauschen ihre Eindrücke über Mitarbeitende aus, wenn es um Stellenbesetzungen und Entwicklung geht. Mitarbeiter reden ebenso untereinander über Vorgesetzte – und sie haben das Recht, ein Zeugnis einzufordern, wenn sie es benötigen. Die Kommunikation von Bewertungen erzeugt jedoch Hierarchie am falschen Punkt: Im Urteil erhebt man sich über die beurteilte Person. So gilt sogar: Jedes «Loben kommt von oben» …

Wenn jüngere Führungskräfte ältere Mitarbeiter beurteilen, entsteht ein enormes Kränkungsrisiko. Die Fachkompetenz von Mitarbeitenden einer anderen Profession zu beurteilen, ist fast schon dreist. In der Alltagskommunikation empfiehlt es sich daher, Rückmeldungen grundsätzlich in Form von echtem Feedback über tatsächliche Effekte im eigenen Verantwortungsbereich zu geben, statt die andere Person oder ihre Leistung zu diagnostizieren. Besonders wichtig ist dieser Aspekt bei kritischen Auswirkungen («Das hat xyz in Schwierigkeiten gebracht» statt: «Ich bin mit Ihrer Leistung nicht zufrieden»). Die selbstverständliche Rückmeldung von Effekten ist hierarchiefrei, beziehungssichernd und bedarf in der Zusammenarbeit keiner Erlaubnis. Sie macht Zusammenhänge transparent und trainiert die Fähigkeit zum Perspektivwechsel.

Gesprächsformate im Unternehmen sind jedoch häufig anders ausgelegt: Mit der Beurteilung und der Verwechslung von Feedback und Fremdbild wird permanent Hierarchie erzeugt, was die Bemühungen um partnerschaftliche vernetzte Zusammenarbeit geradezu torpediert. Jeder Mensch braucht Anerkennung, will wirksam werden und freut sich über positive Rückmeldung von Effekten. Die direkte Bewertung steht aber nur «Lehrern» zu, die es tatsächlich besser wissen und können, und wird dort auch akzeptiert.

Keine Beratung ohne Auftrag: Führungskräfte können jederzeit Mitarbeitende darin unterstützen, ihre beruflichen Ziele zu verfolgen, und über Angebote der Personalentwicklung informieren. Es ist aber nicht sinnvoll, sich unerbeten als Coach aufzuspielen, womöglich sogar gegenüber Älteren. Wenn Mitarbeitende durch psychische Krisen, biografisch schwierige Situationen wie zum Beispiel Scheidung oder Partnerverlust, Auszug der Kinder, altersbedingte Erkrankungen oder Suchtmittelmissbrauch in persönliche Krisensituationen kommen, müssen Führungskräfte unter Umständen intervenieren. In diesem Fall ist es besonders wichtig, in Ich-Aussagen zu sprechen und zu verdeutlichen, dass Fachberater (extern oder intern) besser helfen können als man selbst. Viele Führungskräfte profitieren in solchen

Situationen sehr davon, sich selbst beraten zu lassen, um ihre Rolle gut zu füllen.

Fazit: Generativität statt Hochmut

Die biografische Kurve – die Lebenskurve – ist eine gross angelegte Bewegung vom Nehmen zum Geben. So können ältere, kompetente Mitarbeiter oft mehr zur Entwicklung jüngerer Führungskräfte beitragen als umgekehrt. Die Entwicklungsaufgabe des mittleren und höheren Lebensalters ist Generativität. Das grösste Kompliment für ältere oder hoch kompetente Mitarbeiter ist deshalb nicht das tief hierarchische Lob, sondern der Dank. Indem der Beitrag zum Gelingen angesprochen wird, wird der Aspekt der Generativität betont und damit der Selbstwert gestärkt. Führungskräfte, die tief anerkennen, dass der Erfolg ihrer Arbeit durch die Mitarbeiter realisiert wird, signalisieren dies in ihrer Haltung – und gewinnen damit ihre Mitarbeiter, ganz gleich in welcher Konstellation. Ältere Führungskräfte, die mit jungen, aber besser ausgebildeten, kreativeren oder schnelleren Mitarbeitern zu tun haben, sind selbst generativ, indem sie den Staffelstab leichtgängig weitergeben und sich daran erfreuen, dass die Jüngeren einfach besser sind als sie selbst.

Es gilt als Leadership-Qualität, in jedweder Führungskonstellation zurechtzukommen – mit den unterschiedlichsten Menschen und den unterschiedlichsten Strukturen. Die Voraussetzung dafür ist soziale Intelligenz – die Fähigkeit, die Perspektive zu wechseln und andere so zu gewinnen, aber auch, die faktischen Kräfteverhältnisse richtig einzuschätzen und angemessen damit umzugehen. Viele junge Führungskräfte führen sehr erfolgreich auch deutlich ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, weil sie tiefen Respekt vor gelebtem Leben zeigen und niemals aus reiner Unsicherheit bossi g auftreten.

Wer kein Naturtalent ist, kann lernen. Führungstrainings kommt hier eine wichtige Rolle zu, wenn sie tatsächlich Knowhow vermitteln, statt indiskrete «Übungen» ohne individuelles Mandat zu inszenieren. Persönlichkeitsentwicklung findet überall im Leben statt, also auch im Führungstraining – aber vermutlich eher, wenn das nicht das explizite Ziel der Veranstaltung ist.

Fortsetzung folgt.

Wer regelmässig eine Denkpause einlegt, kommt schneller voran: Weitere Editionen unserer Schriftenreihe, die mit dem Swiss Media Award und dem Best of Corporate Publishing Award ausgezeichnet wurde, finden Sie auf der Internet-Plattform der Management School St.Gallen. Ausgewählte Essays und Berichte stellen wir Ihnen auch als Podcast zur Verfügung. Wir würden uns freuen, Sie auch weiterhin zu unserer Leserschaft zählen zu dürfen – und danken Ihnen für Ihre Meinungen und Anregungen.

www.mssg.ch/denkpausen

IMPRESSUM

Herausgeber Management School St.Gallen Redaktion Urs von Schroeder Konzeption Management School St.Gallen Gestaltung Ruedi Oetiker, Mac J. Rohrbach

Das Werk einschliesslich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung der Management School St.Gallen unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Management, weil wir unsere Leistungen konsequent auf die Praxis fokussieren. School, weil unsere Kernkompetenz im Transfer von Wissen und Können liegt. St.Gallen, weil die systemorientierte Managementlehre unserer Heimatstadt die tragende Säule unserer Arbeit ist.

MANAGEMENT SCHOOL ST.GALLEN

Fürstenlandstrasse 41 | CH – 9001 St.Gallen | Telefon (41) 071 222 51 53 office@mssg.ch | www.mssg.ch

Denkpausen

Inspirationen zu Leadership und individueller Resilienz

Dr. Martina Rummel VOLUME II

This article is from: