Denkpausen - Inspirationen zu Management und Leadership Edition No. 18 Volume II

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Denkpausen

BETTER BUSINESS
Management School St.Gallen
Inspirationen zu Leadership und individueller Resilienz Dr. Martina Rummel VOLUME II

MANAGEMENT. Ein Begriff, zu welchem Sie heute Hunderttausende von Büchern lesen können. Oder Aber millionen von Internetseiten anklicken. Tendenz steigend, Nutzen sinkend. Erfolg ist nicht allein die Kunst, das Wichtige zu wissen. Sondern auch die Fähigkeit, Belangloses zu ignorieren. Nicht allein das Talent, das Richtige zu lernen. Sondern auch das Geschick, Halbwahres und Veraltetes zu vergessen. Die Management School St.Gallen hilft Ihnen dabei. Damit Management in Ihrem Unternehmen eine klare Bedeutung gewinnt. LEADERSHIP.

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Fürstenlandstrasse 41 | CH – 9001 St.Gallen | Telefon (41) 071 222 51 53 office@mssg.ch | www.mssg.ch

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VOLUME II Inspirationen zu Leadership und individueller Resilienz

6 Wozu Führung? 7 Leads 8 Auf dornigen Wegen wachsen Individuelle Resilienz als Leadership-Qualität 16 Veränderung – eine Preisfrage? 22 Lösungsorientiert führen – den Bedarf klären 28 Querdenken mit System 34 Wer führt wen? Beziehungssicherung in schwierigen Führungskonstellationen

Wolkige Floskeln?

Leadership im Klartext.

Ob in den luftigen Höhen der ConsultingWelt oder in den weiten Sphären der Internet-Clouds: Geht es um Leadership, wimmelt es von schönen Wortwolken, die für die Praxis kaum gewinnbringend sind –und zumeist auch weniger inspirierend als das Titelbild dieser «Denkpausen». Mit der Edition, deren zweiter Band sich Ihnen auf den folgenden Seiten erschliesst, wollen wir Wege aus dem Nebel weisen. Dank klaren Fakten und Thesen, ergänzt mit konkreten Ratschlägen für den Führungsalltag.

Mac James Rohrbach Mac James Rohrbach ist Herausgeber der Schriftenreihe «Denkpausen» sowie Gründer und CEO der Management School St.Gallen. Als Leiter Management Education engagiert er sich für praxisnahe Bildungsprogramme zu Management und Leadership. m.rohrbach@mssg.ch

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Bei jeder Witterung sicher ans Ziel führen.

Leadership ist keine Schönwetterdisziplin, ganz im Gegenteil: Wie gut Führung und Zusammenarbeit funktionieren, zeigt sich gerade dann, wenn disruptive, wenn nicht gar destruktive Kräfte am Werk sind.

Behalten wir die Lösung auch in konflik reichen Situationen im Auge? Verfügen wir als Menschen und als Organisation über genug Resilienz, um auch unter Stress entscheidungs- und leistungsfähig zu bleiben? Nutzen Sie unsere Denkpause, um Ihre Antworten auf diese Schlüssel fragen zu finden.

Dr. Martina Rummel

Dr. Martina Rummel coacht Führungskräfte und Teams in Veränderungs prozessen, mit besonderem Fokus auf lösungsorientierte Kulturen. An der Management School St.Gallen ist sie Fachverantwortliche für die Bereiche Leadership und Resilienz. m.rummel@mssg.ch

Wozu Führung?

7 Leads

These 1 Führen ist eine Funktion im System. Es geht um überlebensrelevante Impulse. Gutes Führen trägt zum Überleben des Systems bei – durch über lebensrelevante Impulse zum Anschluss an die Systemumwelt, aber auch zur Bewältigung von Instabilität – vor allem, wenn es um die Anpassung an Unkalkulierbares geht.

Die Führungsfunktion muss dabei nicht immer durch Menschen wahrgenommen werden, sondern kann in weiten Teilen durch gute Prozesse und Regeln realisiert werden

These 2 Führen ist immer Führen von Veränderung. Es geht um (Lösungs-)Orientierung und Resonanz. Führen wohin? Es geht immer um Veränderung. Funktionales Führen ist lösungsorientiert. Vom Ende her denken: Wozu? Für welchen Sinn? Worauf kommt es am Ende an? Was zahlt darauf ein? Wie kann dafür Energie erzeugt werden?

Die «kritische Masse» für Veränderung wird durch Reso nanzbildung erreicht. Identifikation kann (auch digital) sehr schnell Resonanz erzeugen, im Guten wie im Schlechten. Die Bewegung im Zielzustand/im Anwendungsfeld erzeugt Accele ration.

These 3 Führen ist das Erzeugen von Entscheidungen Es geht um die Ermöglichung gerichteter Selbstregulation.

Führung und Hierarchie sind dazu da, Entscheidungen zu ermög lichen und zu beschleunigen. Führung hat die Funktion, unter schiedliche Interessen und Perspektiven zugunsten der Gemein schafts- und Unternehmensanliegen zu integrieren.

Bei hoher Komplexität wird wichtiger, was NICHT passieren darf. Acceleration entsteht durch neue Entscheidungsformate wie etwa das KonsenT Prinzip.

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Führung ist Einsatz für Resultate.

Es geht um die tatsächlich erzielte Wirkung.

Die Verantwortung für die Resultate erfordert ein Monitoring der Wirkung. Verstehbarkeit, Legitimität und Glaubwürdigkeit entstehen aus der Kommunikation von Auswirkungen. Nichts motiviert mehr als wirklicher Erfolg. Die Kommunikation von faktischen oder antizipierten Wirkungen ist steuerungsrelevantes Feedback

Ergebnisse monitoren und ins System zurückzumelden, ist orientierend und motivierend. Acceleration entsteht durch kon tinuierliches Nachsteuern.

These 5 Führung ist das Erschaffen und Vertreten von Gemeinschaft.

Der Sinn von Hierarchie ist es, die übergeordnete Systemperspek tive explizit zu besetzen und ihr eine Stimme zu geben. Führen bedeutet, verantwortlich für die Gemeinschaft zu agieren. Das bedeutet auch, Partikularinteressen Einzelner (auch die eigenen!) zugunsten der Gemeinschaftsinteressen bzw. des Auftrags/ Kunden zu begrenzen.

Die digitale Welt braucht neue Rituale, die Zugehörigkeit signalisieren.

These 6 Führung ist keine «Stilfrage».

Es kommt darauf an, den Bedarf zu treffen. Gedankenlesen ist nicht hilfreich, und die eigene Sicht, das eigene Temperament mit dem Bedarf zu verwechseln, schon gar nicht. Die Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeitern ist wie die zu übergeordneten Systemen und Kunden eine Schnittstelle und erfordert aktive Bedarfsklärung. Die Orientierung am tat sächlichen Führungsbedarf – in Bindung an die zu erreichenden Resultate- ist der direkte und lösungsorientierte Weg zur Verbes serung der Führungsleistung.

Digitalisierung kann eine Chance sein, den dysfunktio nalen Auswirkungen von Geschmacksfragen zu entgehen. Acce leration: Bedarfsklärung kann durch digitale Tools unterstützt werden.

These 7 Führung wird durch die Geführten realisiert. Führung ist die Kunst der Resonanzbildung für ideelle und reale Wertegemeinschaften, mit denen Menschen sich identifizieren. Führungserfolg verwirklicht sich im Handeln der Geführten. Der Erfolg gehört am Ende ihnen. Führungskräfte, die sich dessen bewusst sind und Sinn, Humanität und Wertschätzung vermit teln, erzeugen diese Welten.

Digitalisierung, die nicht in praktisches Handeln mündet, wird zum Selbstzweck.

These

Auf dornigen Wegen wachsen

Individuelle Resilienz als Leadership-Qualität

Führungskräfte tun gut daran, sich ab und zu folgende Fragen zu stellen: Verstehe und akzeptiere ich wirklich die Realität meiner Situation? Bin ich auf den Worst Case vorbereitet? Wie kommt es, dass nach Krisen die einen wie Phönix aus der Asche wie derauferstehen, während andere total einbrechen? Dass viele selbst aus den härtesten Erfahrungen nichts lernen, wie Ein stein meinte, während Thomas Mann für eine bestimmte Sorte Mensch feststellte, dass «das Grosse im Trotzdem entsteht»?

Gute, gesundheitsfördernde Arbeitsbedingungen sind eine berechtigte Forderung. Niemand würde ernsthaft bestreiten wol len, wie wichtig es ist, Mitarbeitenden wertschätzend zu begeg nen, sie zu motivieren und gute, «gesunde» Arbeitsbedingungen zu schaffen. Viele Führungskräfte, die gut führen möchten, sind allerdings besorgt darüber, in Krisen diese Bedingungen nicht schaffen zu können. Stehen sie in einer solchen Situation selbst unter Stress, besteht die Gefahr, dass die Mitarbeitenden noch mehr in Schwierigkeiten kommen.

«More than education, more than experience, more than training, a person’s level of resilience will determine who succeeds and who fails. That’s true in the cancer ward, it’s true in the Olympics, and it’s true in the boardroom.»

Die Führungsperson: Eine Arbeitsbedingung Jeder weiss, dass die Vorgesetzten selbst die vielleicht wichtigste Arbeitsbedingung darstellen. Fallen Vorgesetzte «aus der Rolle», baden es die Mitarbeitenden aus: mit Demotivation und nicht selten mit psychosomatischen Störungen. Dabei ist nicht nur der viel zitierte A-Faktor angesprochen – Chefs, welche die gute Kin derstube vermissen lassen, seien hier gar nicht erst erwähnt. Aber wie viele Führungskräfte überreagieren, wenn sie selbst unter Stress und in Angst geraten oder mit den Anforderungen phy sisch und psychisch überfordert sind Nur: Das gilt für die einen mehr, für die anderen aber weni ger. Ebenso wie die einen Mitarbeitenden unter katastrophalen

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Bedingungen leiden, während andere sie verändern – oder aber gehen. Die einen bleiben nach Rückschlägen im Loch hängen, andere erholen sich schnell. Diese «anderen» nennt man resilient, ein Unterschied, der offenbar einen Unterschied macht.

Stehaufmännchen-Qualitäten

Unter Resilienz versteht man die Fähigkeit, negative Situationen, Krisen und Rückschläge zu meistern. Eigenen Kummer zu bewälti gen, statt darin zu ertrinken, auch negativen Erfahrungen Sinn zu geben und sie dadurch positiv umzudeuten, Selbstheilungskräfte zu mobilisieren und Herausforderungen mit Mut, Disziplin und Glauben an die eigene Selbstwirksamkeit zu begegnen – ohne dabei in Illusionen zu verfallen. Der Begriff stammt ursprünglich aus der Physik und bezeichnet eine Materialeigenschaft, näm lich sich Belastungen flexibel anzupassen und danach in den Ursprungszustand zurückzukehren.

Resilienz

• Realitätssinn und Akzeptanz: Den Fakten nüchtern ins Auge sehen – es ist, wie es ist (Verstehbarkeit)

• Das Notwendige «einfach tun», Selbstdisziplin (Gesunde Routinen)

• Kompetenzausbau, Improvisationstalent (Machbarkeit , Bewältigbarkeit)

• Lösungsorientierung, Pragmatismus (Spielräume, Interessensintegration)

• Sozialkompetenz und Gemeinschaftssinn (soziale Unterstützung)

• Sinn sehen und erschaffen (Verbundenheit durch Sinn)

Resilienz entsteht nicht unter Verwöhnungsbedingungen oder in «klinisch reinen» Lebenslagen, sondern bildet sich durch Bean spruchung.

In der Krise ist es für Prävention zu spät. Der Forderungs katalog der Arbeitswissenschaften zu «salutogen günstigen» Arbeitsbedingungen (oben jeweils in Klammern) ist ja in den «schlechten Zeiten» kaum einzuhalten. Gerade dann erscheinen die Dinge nicht verstehbar, nicht machbar und oft nicht einmal sinnhaft. Es mangelt an sozialer Unterstützung, und alle fühlen sich, wenn nicht ganz überfordert, doch zumindest arg strapa ziert. Die Freundlichkeit geht zurück, die «gute Kommunikation» leidet.

… sind durchaus lernbar

Resilienz kann man fördern, aber möglicherweise nur begrenzt in künstlichen Settings wie etwa einem Training. Auch als eitle Selbst zuschreibung, etwa bei der Bewerbung, ist der Begriff untauglich: Resilienz erweist sich nach der Krise und ist als «Potenzial» nicht messbar. Doch man kann daran arbeiten, sogar noch in der Krise. Denn Widerstandsfähigkeit wächst in der Krise und durch die Krise selbst. Einige konkrete «Talente» können Führungskräfte gegenüber ihren Mitarbeitenden fördern und auch bei sich selbst entwickeln.

Der Realität ins Auge sehen

Optimismus ist etwas Schönes, doch resiliente Menschen haben neben Lebenszuversicht sehr nüchterne Ansichten genau über die Aspekte von Realität, die für das Überleben zählen. Sie machen sich keine Illusionen, sondern können Beeinflussbares von nicht Beeinflussbarem unterscheiden und akzeptieren, dass es ist, wie es ist. Sie haben einen Plan B, sind auf den Worst Case vorbereitet. Die Investmentbank Morgan Stanley beispielsweise, der grösste Mieter im World Trade Center, beschäftigte dort zum Zeitpunkt des 11. September 2001 etwa 2700 Mitarbeiter. Als das erste Flug zeug um 8.46 Uhr einen Turm traf, startete Morgan Stanley genau eine Minute später, um 8.47 Uhr, die Evakuierung. Das Unter nehmen hatte seine Mitarbeitenden binnen fünfzehn Minuten in Sicherheit gebracht und verlor «nur» wenige Mitarbeiter. Für sein fast militärisches Sicherheitstraining und für seine Back-up-Büros war Morgan Stanley zuvor eher belächelt worden Führungskräfte tun gut daran, sich ab und zu folgende Fra gen zu stellen: Verstehe und akzeptiere ich wirklich die Realität meiner Situation? Bin ich auf den Worst Case vorbereitet? Auch wenn ich dazu Schutzbehauptungen aufgeben und negative Emotionen aushalten muss?

Realismus in Krisen fördern

• Gut und relevant informieren, keine Beschönigungen oder falsche Versprechen

• Worst Case benennen und sich darauf vorbereiten, ohne Panik zu erzeugen

• Austausch, aber Jammern und hysterisches Dramatisieren unterbinden

• Eigenverantwortung und Robustheit einfordern

• Andere nicht mit eigenen Ängsten infizieren

Selbstdisziplin für gesunde Gewohnheiten Gerade unter hohem Stress ist es wichtig, gesunde Routinen auf rechtzuerhalten und das Nötige ohne grosse Umstände einfach zu tun. In Flüchtlingscamps und schwierigen Situationen erhalten familiäre Rituale wie gemeinsames Essen ein Stück Normalität und Verlässlichkeit. Die Basishygiene für Körper, Geist und Beziehungen auch in Krisen aufrechtzuerhalten, ist ein Aspekt von Würde und ermöglicht mehr Souveränität in der Belastungsbewältigung.

Gesunde Routinen in Krisen fördern

• Disziplin der Gedanken, Worte und Taten einfordern und anerkennen

• Anstrengung vorrangig vor Erfolg würdigen

• Sich überwinden, auch das Unangenehme zu tun

• Gegenseitige Negativinfektion stoppen

• Routinen für die Lebensbalance sichern und unterstützen

• Normal weiterarbeiten, tun, was zählt

Lösungsorientierung, Pragmatismus und Improvisationstalent In Krisen überleben die, welche aus allem etwas machen können. Zum Beispiel aus Brennnesseln Spinat, aus zusammengeschweissten

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Nägeln Schrauben und aus Autoteilen Helikopter … Jeder kennt Menschen mit diesem Talent, jeder kann es bei sich ausbauen. «Das Beste draus machen» ist ein wichtiger Aspekt von Resilienz. Levi Strauss benützte den französischen Begriff «bricolage» für die Fähigkeit, aus allem, was zur Verfügung steht, etwas herzu stellen.

Tüfteln, spielerisch an Dinge herangehen, auch im grösseren Stil, kostet oft wenig und bringt Lösungen. Dabei geht es nicht um planloses Wursteln. Was zählt, ist der radikale Lösungswille – mit den Bedingungen, die eben da sind! Oft hilft im Dickicht der Unwägbarkeiten auch das pragmatische «Weitermachen». Mit den Basics, mit der Tagesstruktur, mit dem Alltag. Das schafft Sicherheiten und Atempausen in der Veränderung.

Das Lösen in Krisen fördern

• Lösungsorientierung deeskaliert Konflikte und ermöglicht die Integration von Interessen

• Mit dem umgehen, was da ist – so weit kommen, wie man eben kommt

• Die kleine unfertige Lösung annehmen und nutzen für den nächsten Schritt

• «Es geht»-Haltung, die das Vorankommen würdigt, auch wenn der Erfolg auf sich warten lässt

• Employability nach innen und aussen fördern: lebenslanges Lernen!

• Nach Ideen fragen, unkonventionelle Lösungen begrüssen

• Nachmachen, was funktioniert

Gemeinschaft und Sinn

Der Psychiater und Auschwitz-Überlebende Viktor Frankl schuf inmitten des Leidens die «Logotherapie» (Logos = Sinn). Im Lager überkam ihn tiefes Entsetzen darüber, wie bedeutungslos sein Leben geworden war. Er schuf sich Sinn durch die Imagination, wie er nach dem Lager Lesungen über die Psychologie des Lagers halten würde, um Aussenstehenden zu vermitteln, was er durch lebt hatte. Dies ermöglichte ihm, sich Ziele zu setzen, durch die er sich immer wieder für Momente über das Leiden erheben konnte. Sinn liegt stets tiefer als das Materielle. In Krisen geht es darum, der Krise selbst etwas Positives abzugewinnen … als Lernprozess das Gute im Schlechten zu sehen.

Talent zur Sinnkonstruktion durch «Reframing» ist «übbar». Belastenden Ereignissen eine andere Bedeutung geben. Wie die tiefgläubige Führungskraft, die ihre anstrengende Mitarbeiterin «umdeutet»: als «persönliches Trainingslager», von Gott gesandte Entwicklungsaufgabe zum Thema Geduld. Oder wie die Kollegin, die – als ihr Auto morgens liegen blieb und sie die Bahn nehmen musste – einfach meinte: Heute lasse ich mich einmal fahren!

Sinn und Zusammenhalt thematisieren und mobilisieren

• Übergeordnete Sinnbezüge verdeutlichen. Reframing: Das Gute am Schlechten herausstellen

• Raus aus der Opferhaltung – Zusammenhalt und gegenseitige Unterstützung fördern

• Selbstwertschutz: Ball flach halten im Konflikt, Wohlwollen, Ich-Aussagen statt Kritik

• Die Messlatte hoch legen: Selbstverständlichkeiten im Sozialen nicht betulich belobigen.

• Verantwortungsübernahme als selbstverständlich voraussetzen

• «Erwachsene» Ansprache, Zutrauen, Wachstumsmöglichkeiten ansprechen, Reife einfordern. Wer behandelt wird, als sei er klein, kann nichts tragen, wird anspruchsvoll und zimperlich.

• Die Fähigkeit zur Beschränkung und Bescheidenheit einfordern und als Wert verteidigen. Das Gute in den «Basics» (Essen, Schlafen, Atmen ...) wiederfinden

• Kleine Fluchten ermöglichen, um mit Kreativität und Imagina tion dem Unerträglichen etwas entgegen zu setzen.

• Lebendigkeit, Lust, Fantasie und Humor nehmen der Situation einige Dramatik. Auch schwarzer Humor hilft.

Die Resilienz des Einzelnen ist nicht deckungsgleich mit der Resilienz der Gemeinschaft. Resiliente Organisationen binden Menschen durch starke Werte – denn resiliente Menschen stel len sich unter bestimmten Umständen gegen die Organisation. So bemerkte Viktor Frankl, dass die KZ-Häftlinge, die überlebten, bereit waren, jedes Mittel einzusetzen, ehrliche, aber auch brutale. «Wir», so schrieb er, «die es geschafft haben, wir wissen: Die Besten von uns sind nicht zurückgekommen.» Tief resiliente Menschen, die in der Lage sind, Sinn zu kreieren, überleben auch den Ausstoss aus einer tatsächlichen Gemeinschaft durch Refra ming und Verortung in übergeordneten Referenzsystemen und Sinnbezügen. Sie können dadurch Trennungen (oder einer Kündi gung) Sinn verleihen. Die lebenserleichternde Geisteshaltung der aktiven Sinngebung und die kognitive Kreativität, die sie erfor dert, kennt jeder aus Alltagssituationen – von der Betrachtung des Scheiterns als «Lehrgeld zahlen» bis hin zu dem Satz «Wer weiss, wofür das noch mal gut sein wird». Resilienz wird ausge baut, wenn diese Fähigkeit auf schwierigere Themen ausgedehnt wird. Der schmale Grat, der resilientes Re-Framing von beliebiger Schönfärberei oder der trotzigen Diskreditierung der unerreich baren Trauben als «eh zu sauer» unterscheidet, besteht in der tat sächlichen Sinnhaftigkeit, die sich über die neue Sicht erschliesst und die zu Frustrationstoleranz und im Endeffekt zu persönlichem Wachstum beiträgt.

Individuum und Organisation unterscheiden

In Krisen ist es für Organisationen deshalb wichtig, bindende Werte zu forcieren, Menschen in der sozialen Gemeinschaft zu halten und gemeinschaftsschädigendes Verhalten zu unter binden, gleichermassen aber die individuelle Resilienz so zu akti vieren, dass eigenverantwortliches Handeln gewährleistet bleibt. Resiliente Menschen opfern ihr individuelles Überleben nicht der Organisation, aber übertragen der Organisation dafür auch nicht die gesamte Verantwortung. Sie sind Partner, mit denen man auf Augenhöhe verhandeln kann.

Wenn diese Augenhöhe gewahrt bleibt, wachsen Vertrauen und gegenseitige Wertschätzung. Gemeinsam bewältigte Krisen

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stärken Beziehungen. In Veröffentlichungen zum Thema Leader ship in Kriegen, Terrorsituationen und Katastrophen wird deshalb immer wieder die Bedeutung des Wir, der gegenseitigen Unter stützung und Empathie hervorgehoben. Denn Gemeinschaft stiftet Sinn. Viele Menschen sagen nach Krisen: «Ich habe neue Freunde gefunden und gemerkt, dass Menschen zu mir stehen.» Für Unternehmen, die Mitarbeitende abbauen müssen, bedeuten Fairness und Integrität im Umgang miteinander eine Investition in die Zukunft, auch im Sinne der Resilienz der Organi sation: Denn alle schauen darauf, nicht nur die «Veränderungs verlierer» ziehen ihre Schlüsse. Und im «War for Talents» ist durchaus die Wahrscheinlichkeit gegeben, dass man sich nach einer Trennung wiedersieht.

Persönlichkeitsentwicklung und Resilienz

Die Lebenskurve ist eine grosse Bewegung vom «Nehmen» (Säugling} zum «Geben» (höheres Lebensalter) im Sinne der Entfaltung von Kreativität und Sinnerzeugung für andere. Die Meisterung des Lebens, die Inkaufnahme von Schwierigkeiten zur Sinnrealisierung ist ein kontinuierlicher Veränderungsprozess, der den sich entwickelnden Menschen in die Stärke führt. Die von Campbell 1949 beschriebenen «Heldenreisen» in den grossen Menschheitslegenden wie etwa die des Herakles, des Buddha oder der Jeanne D’Arc können durchaus als Beschreibungen von Resilienzentwicklung betrachtet werden. Prüfungen, Heraus forderungen. Disziplin und Lernen führen zu Tugenden und Fähigkeiten, die der Heldin oder dem Helden auf der Lebensreise das Bestehen und Über-sich-Hinauswachsen in der ultimativen Schlacht ermöglichen.

Der am Ende stehende Aufstieg in eine höhere «Liga», eine neue Zugehörigkeit (häufig mit der Metapher der Unsterblichkeit verbunden) beinhaltet in diesen Legenden stets eine «Adelung» der eigenen Identität durch die Verwirklichung des gesamten Potenzials im Licht von Sinnhaftigkeit, Ethik und Spiritualität. Die den Helden eigene Courage – der Mut zur Krise, zur Verände rung, zur Auflösung des Vertrauten bis hin zum Todesmut für die eigentliche neue Zugehörigkeit steht für den grundsätzlichen Lebensmut, der Resilienz im Kern ausmacht. In diesem Sinne fallen Resilienz und die Art von Lebenskunst, die der Philosoph Wilhelm Schmid als grundsätzliches «Ja zum Leben» bezeichnet hat, zusammen. Tief resiliente Menschen verteidigen ihr Leben und vor allem ihre Selbstentwicklung unter allen Umständen. Sie machen das Beste aus sich und ihrem Leben, weil sie sich mit dem Leben eins fühlen und es annehmen mit allem, was es anbietet, den Möglichkeiten wie den Endlichkeiten.

Wo ist unsere Arbeit ein echtes Miteinander und Füreinander anstatt nur ein Nebeneinander, wenn nicht gar ein Gegeneinander? #kollaboration

Veränderung – eine Preisfrage?

Interview mit Dr. Martina Rummel

«seitenweise»: Frau Dr. Rummel, Charles Darwin sagte sinnge mäss einmal, dass es nicht die stärkste oder die intelligenteste Spezies sei, die überlebt, sondern diejenige, die sich am ehesten dem Wandel anpassen kann. Würden Sie das unterschreiben? Martina Rummel: Ja. Man stolpert im Leben ständig über seine angeblichen Stärken, wenn sie nicht in den Kontext passen. Bei Lebewesen ist erfolgreiche Anpassung an die Systemumwelt quasi ein Synonym für Überleben. Was manchmal dabei über sehen wird, ist, dass man die Systemumwelt oft so beeinflussen kann, dass man sich besser an sie anpassen kann. In der betrieb lichen Praxis darf deshalb die individuelle Anpassungsfähigkeit im Sinne der persönlichen Fähigkeit, Herausforderungen zu bewälti gen, nie gegen die Gestaltung guter Bedingungen ausgespielt werden.

Dennoch scheint den meisten von uns die Lust an Veränderung nicht gerade in die Wiege gelegt worden zu sein. Woran liegt das?

MR: Wir lieben Verhaltensfortsetzung – Gewohnheiten umzustellen, ist anstrengend. Wenn uns Veränderungen in unseren Bewältigungsmöglichkeiten überfordern, sind wir gestresst. Wenn wir Veränderungen nicht für richtig und legitim halten, wenn sie uns in unseren Interessen, unserer Rolle bedro hen oder gar inkompatibel mit unseren Werten sind, halten wir gegen. Das ist zunächst einmal ganz gesund: Das, was wir Wider stand nennen, kann auch als innerer Qualitätscheck beschrieben werden, der verhindert, dass wir nicht jeder «Sau, die durchs Dorf getrieben wird», reflexhaft hinterherlaufen. Im Übrigen stimmt es ja nicht wirklich, dass Menschen keine Lust auf Veränderung haben. Im Gegenteil: Leben besteht aus Veränderung. Auch Arbeit ist grundsätzlich Veränderung – wir wollen ja wirksam wer den und gestalten. Ob wir «Lust» dazu haben oder nicht, hängt davon ab, worum es geht – ob es für uns Negatives oder Positives bedeutet. Es geht um die Frage, wie hoch der Preis ist.

Wie können wir uns am besten auf Veränderungen einstellen?

MR: Indem wir nicht so «aufgeblasen» darüber nachdenken, sondern uns mit dem beschäftigen, was sinnvoll ist und was wir

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erreichen möchten. Eigenverantwortliches Mitgestalten einer Ver änderung sowie lösungsorientiertes Denken können dabei sehr hilfreich sein. Ausserdem geben Lernbereitschaft und gute und gesunde Lebensroutinen eine stabile Basis. Ein gesunder Schuss Pessimismus schadet auch nicht, denn ein Plan B ist immer eine feine Sache, wenn es eng wird.

Mehr Sport, bessere Ernährung, mehr Gelassenheit, ein Jobwech sel… Gute Vorsätze scheitern nicht selten am Ende. Warum? MR: Vorsätze sind häufig nicht ausreichend gebunden an wirk lichen persönlichen Sinn. Dass ich zu dick bin, ist eine Feststellung im Status quo. Die Frage ist doch: Wofür lohnt es sich, sich zu verändern? Was bedeutet mir das, wozu ist es gut? Ist anderes nicht wichtiger? Den inneren Schweinehund zu mobilisieren, wenn die Trägheit schon Platz gegriffen hat, ist dann eine Frage der Selbstdisziplin. Hier muss man jede Form von Selbstbetrug ausschalten können und notfalls von aussen nachhelfen lassen, indem man sich – frei nach Loriot – «zwingen lässt», wo man es alleine nicht schafft. Das kann durch Freunde, Gruppen oder andere Strukturen geschehen. Fehlt einem aber der Anschluss an Sinn, entsteht keine wirkliche Motivation.

Viele Menschen begegnen Veränderungen mit einer regelrechten Angst …

MR: Angst ist die vielleicht wichtigste handlungsweisende Leitplanke im Leben. Wir werden im Wesentlichen durch Ver meidung im Sinne von Risikomanagement gesteuert – das ist überlebensrelevant. Unglücklich ist nur, wenn generalisierte, irrationale Ängste uns so zusetzen, dass wir durch Stress in der Lösungsfindung beeinträchtigt werden. Angst vor drohendem Verlust löst starke Emotionen und Turbulenzen im Gehirn aus. Der Angstpegel steigt deshalb mit der Fallhöhe. Wer viel hat, kann auch viel verlieren.

Was können wir dieser Angst entgegenhalten?

MR: Es gibt Gründe, sich zu ängstigen, wenn man wirklich ernsthaft in seinem Lebenszusammenhang tangiert wird. Zum Beispiel beim Verlust wichtiger Zugehörigkeiten zu Menschen und Wertewelten. Verlassen oder geschieden werden, Arbeits platzverlust oder die Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit sind dramatisch. Stress und Angst entstehen aus dem Grundge fühl, kommende Herausforderungen mit den eigenen Möglich keiten nicht bewältigen zu können. Aber selbst dann lohnt es sich noch immer, ernsthaft zu prüfen, was schlimmstenfalls wirklich passieren kann, und sich darauf gut vorzubereiten. Das mindert zumindest den irrationalen Anteil. Handlungsfähigkeit ist ein Anti-Angst-Programm.

Im Ausland empfindet man die deutsche Zögerlichkeit und unseren Wunsch nach Rückzug und Behaglichkeit nicht selten als charakteristisch. Begriffe wie «German Angst» und «German Gemütlichkeit» haben sich längst im englischen Sprachraum ein gebürgert. Glauben Sie an diese typischen Charaktermerkmale

der Deutschen und dass es uns besonders schwerfällt, uns auf Veränderungen einzulassen?

MR: Diejenigen, die selbst schlecht dastehen, fühlen sich immer besser, wenn sie sich über die anderen mokieren. Deut sche Zögerlichkeit könnte man ja auch umtaufen in deutsche Gründlichkeit, «German Angst» könnte man auch gute Sicher heitskonzepte oder Sozialstaatlichkeit nennen. «German Gemüt lichkeit» finde ich sowieso toll, ich liebe Kitsch. Natürlich gibt es Kulturspezifisches in jedem Land. Wir stehen – noch – sehr gut da, und ohne Not etwas zu verändern, ist schwer – es erscheint sogar auf den ersten Blick nicht plausibel. Das ist aber noch lange kein Grund, der Not als Programm das Wort zu reden. Verändern um des Veränderns willen wird zwar andauernd beworben – ich halte das für eine Sprechblase, solange es nicht aus der Realität begründet wird. Veränderung und Veränderungsbereitschaft sind keine Werte an sich.

Nicht nur Motivationscoaches predigen gebetsmühlenartig, dass Wandel stets eine Chance sei. Doch was ist, wenn sich meine Lebenssituation tatsächlich verschlechtert – wie gehe ich damit um?

MR: Dass das Neue die Zerstörung des Alten voraussetzt, ist trivial und bei jedem Anarchisten oder auch schon bei Ovid nachzulesen. Die flache Umkehrung, dass deshalb jede Krise eine Chance ist, wirft mindestens die Frage auf: Für wen denn? Es geht ja nicht darum, Veränderung mit trivialen und platten Sprüchen zu bewerben, sondern darum, sich immer wieder erfolgreich an die Realität anzupassen. Das ist kein Happiness-Programm. Wenn ich meinen Arm verloren habe, dann ist der ab – und bleibt auch ab. Der Einzige, der berechtigt ist, das als Chance einzuordnen, ist die Person, der der Arm fehlt. Schafft sie das, kann man ihr gra tulieren. Alle Aussenstehenden sollten sich mit dieser befremd lichen Kommunikation etwas zurückhalten. Sich selbst die Frage zu stellen, was eventuell das Gute am Schlechten sein könnte, welche neuen Türen sich öffnen könnten, kann Sinn «machen». Sinn kreation kann den Lebensmut erhalten – denn wer den Anschluss an Sinn verliert, verliert im schlimmsten Fall die Lust am Leben.

Wie gewinnt man Menschen für Veränderungen?

MR: Veränderungen, die als sinnvoll erlebt werden – ent weder aus Notwendigkeiten heraus oder weil etwas attraktiver erscheint als das, was ist, ziehen an. Es lohnt sich, zu kommunizie ren, was wirklich passiert. Das bedeutet, klar zu äussern, was die Folge aus einer Veränderung ist, sowohl negativ als auch positiv, worauf es ankommt und was Lösungsansätze sind. Und ehrlich zu sagen, worin die Zumutung besteht. Was geht verloren, was ist der Preis? Jasager und Enthusiasten brechen oft weg, wenn der wirkliche Preis deutlich wird. Wer sich damit befasst und den Sinn der Sache versteht, hält besser durch. Das ist auch eine Absage an Geschmacksfragen, Befindlichkeitskommunikation und glasklare Doppelbotschaften, denn Glaubwürdigkeit entsteht durch Einheit von Wort und Tat.

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Veränderungen am Markt, bei Produkten und Prozessen sind heute Teil des Wettbewerbs und des Geschäftserfolgs von Unternehmen. Was ist ausschlaggebend für den Erfolg eines Ver änderungsprozesses?

MR: Manchmal hat man einfach Glück und den richtigen «Riecher», die Weiche in die richtige Richtung zu stellen. Ist das kein Treffer, kann der Prozess noch so gut sein, das Scheitern an der Realität ist vorprogrammiert, wenn ich hochoptimiert in die falsche Richtung laufe. Im Prozess selbst zählen:

• Erstens: Orientierung. Worauf kommt es am Ende an? Welche Schlüsselkriterien sind wirklich (überlebens)relevant? Diese müssen wirklich verstanden und in ihrer Bedeutung in die Organisation hinein «übersetzt» werden, damit jeder seinen Beitrag versteht. Viele Prozesse scheitern an dieser fehlenden Übersetzung.

• Zweitens: Legitimität und Dringlichkeit. Was macht die Verän derung erforderlich, worauf kommt es am Ende an? Kritik am Bestehenden oder gar am Menschen ist kein guter Start und erzeugt unnötigen Widerstand. Bis hierher hat es ja gereicht. Veränderung muss aus den Anforderungen der Zukunft heraus geführt werden, weil sie ja in die Zukunft führen soll.

• Drittens: Ein starkes Wir. Miteinander wirklich zusammenzu arbeiten, um zu lösen, auch zusammenzuhalten, einander zu unterstützen, indem man liefert, was gebraucht wird, erfordert Perspektivwechsel. Und auch eine Würdigung von Zumu tungen, Anstrengungen und Verlusten.

• Viertens: Dranbleiben. Alles aufzeigen und stützen, was in die richtige Richtung geht, und Erfolge zusammen feiern, auch die kleinen. Denn am Ende ist nichts motivierender als Erfolg.

Am Ende geht es heute nicht mehr nur darum, in welche Richtung man sich bewegt, sondern wie man sein muss, um sich überhaupt bewegen zu können: In einer Welt, die immer schneller und kom plexer wird und Wandel in hohem Tempo erfordert, ist unsere Flexibilität gefordert. Dazu müssen wir auch Dünkel, Silo- und Statusdenken, das Verteidigen von Pfründen und gemeinschafts schädigenden Partikularinteressen zurückfahren, zugunsten starker, überlebensfähiger Gemeinschaften. Eine Einstellung, die Veränderung als den selbstverständlichen Normalfall betrachtet, der prinzipiell einfach zu bewältigen ist, auch wenn er Arbeit bedeutet, ist dabei sehr hilfreich. Wenn das gelingt, muss es am Ende vielleicht keine Veränderungsverlierer geben.

Stehen Leben und Arbeiten im Gegensatz oder bilden persönliche und unternehmerische Interessen ein gut austariertes Gleichgewicht? #worklife

Lösungsorientiert führen –den Bedarf klären

Ein einfacher Gedanke bleibt in Theorie und Praxis rund um das Thema Führungskultur eigenartigerweise völlig ausgeblen det: dass die zu Führenden gefragt werden könnten, was sie überhaupt an Führung brauchen. Gegenstand der Betrachtung ist eine lösungsorientierte Alternative zu den dysfunktionalen anonymen 360-Grad-«Feedback»-Systemen. Diese dienen nur vermeintlich der Verbesserung der Führungsqualität. Faktisch bergen sie ein hohes Kränkungsrisiko und richten oft Schaden an. Demgegenüber stärkt die hier beschriebene direkte, aktive Führungsbedarfsklärung die Führungsbeziehung und ermöglicht schnelle, konkrete Verbesserungen.

Führung ist keine Stilfrage!

In komplexen Arbeitsfeldern ist der Synergiepunkt zwischen Führung und Mitarbeitenden nicht von vorneherein klar, sondern muss aktiv gesucht werden. Modelle zum «situativen Führungs stil» regen dazu an, den Führungsansatz dem «Reifegrad» der Mitarbeitenden anzupassen, und laden zur Differenzierung ein. Allerdings ist Führung keine Frage des Stils – Menschen haben ein Temperament, einen persönlichen Stil. Unabhängig davon geht es aber eher darum, den tatsächlichen Führungsbedarf zu erkennen und entsprechend zu handeln. Ein einfacher Gedanke bleibt in Theorie und Praxis rund um das Thema «Führungskultur» eigen artigerweise völlig ausgeblendet: dass Führende und Geführte einander darüber orientieren könnten, was sie voneinander brau chen, um die angestrebten Ziele im Rahmen der Strategie (die sie hoffentlich kennen!) zu realisieren.

Was brauche ich von meiner Führungskraft? Manche Führungskräfte bemühen sich am falschen Punkt über den Bedarf hinaus, tun aber zu wenig an entscheidenden Stel len, womöglich ohne es zu ahnen. Führungsqualität lässt sich (unabhängig von Auswahl- und Qualifizierungsansätzen) direkt und einfach «on the job» verbessern, indem der Führungsbedarf aktiv geklärt wird – im Dialog mit Mitarbeitenden und anderen relevanten Schnittstellen. Schon vor über 20 Jahren machte der Organisationspsycho loge de Vries darauf aufmerksam, dass der Führungsbedarf der

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Schlüssel sei, um empirische Probleme mit Führungsstil-Theorien zu klären. Möglicherweise braucht man dazu nicht einmal, wie er vorschlug, ein «Tool» im Sinne einer Checkliste. Eine Anregung, was sinnvollerweise besprochen werden sollte, ist jedoch erfah rungsgemäss hilfreich.

Die Implementierung der Führungsbedarfsklärung zeigt, dass die Ängste vor «Wünsch dir was»-Runden («Mitarbeitende fordern doch immer nur mehr Ressourcen») nicht berechtigt sind. Vielmehr fördert der Dialog mit der Führungskraft, der mit einer freundlichen Einladung zum Perspektivwechsel verbunden ist, den Realismus der Beteiligten. Die Ernsthaftigkeit des Diskurses zahlt auf Vertrauen und wirkliche Lösungen ein.

Der Erfolgsfaktor besteht darin, dass sich die Führungskraft tatsächlich zum Bedarf orientieren möchte und dass ihre Koope rationspartner sich tatsächlich äussern. Das kann anstrengend sein, denn Nichtwissen, gekoppelt an das Prinzip Hoffnung, wirkt entlastend. Oft ist es auch bequem, keine wirkliche Verbesse rung zu erarbeiten, sondern die Schuld auf die andere Seite zu schieben. Die aktive Führungsbedarfsklärung ist ein strukturierter und empirisch überprüfter Prozess, der derartige Fluchtmuster erschwert und gegenseitige Unterstützung in der Zielerreichung erleichtert.

Arbeitsansatz in der Praxis

Die Ausgangsfrage lautet für alle: Was wird konkret in dieser Führungskonstellation (Kontext, Ziele und Menschen) gebraucht, damit alle optimal arbeiten können? Was genau brauchen Mitar beitende dazu von ihrer Führungskraft und diese umgekehrt von ihnen?

In strukturierten Arbeitssitzungen mit Teams und einzelnen Mitarbeitenden wird diese Frage bearbeitet, unterstützt durch Leitfragen und Arbeitshilfen. Im Fokus steht dabei das Thema Führungsbedarf: Wovon brauchen wir mehr, wovon weniger? Was ist in ganz anderer Art zu führen? Was passt? Die Führungs kraft gewinnt durch diese Information Orientierung und kann ihre Arbeit entsprechend nachsteuern. Entscheidend ist dabei, dass die Aufmerksamkeit beim Führungsprozess und bei seiner Ver besserung liegt und ausdrücklich nicht bei der Person und ihren Kompetenzen oder Fähigkeiten. Bestimmte Eigenheiten oder Verhaltensmuster können in diesem Setting zum Thema werden, aber nur dort, wo das Verhalten Synergie behindert, also niemals als Selbstzweck. Damit wird die Kommunikation über Führung normalisiert und lösungsorientiert versachlicht.

Selbst wenn manche Mitarbeiter sich eingangs schwer tun, ihren Bedarf zu beschreiben, ist dieser Dialog mit Einzel nen relativ einfach zu bearbeiten und lässt sich mit nur wenig Aufwand in Mitarbeitergespräche integrieren. Komplexer ist das Erfassen des Führungsbedarfs von Teams im Sinne der Führung von Zusammenarbeit, vor allem wenn das Team keine Kohä renz durch eine Teamaufgabe aufweist und entsprechend wenig Interesse an wirklicher Kooperation besteht. Es ist daher sinn voll, die Führungskräfte durch Kurzschulungen auf den Prozess vorzubereiten und sie situationsbezogen zu unterstützen. Nur

in Ausnahmefällen sollte diese – eigentlich selbstverständliche –Klärung von extern moderiert werden.

Empirisch fundiert und erfolgreich Dort, wo gut geführt wird, erscheint Bedarfsklärung ein fach natürlich. Es ist deshalb eher erfreulich als überraschend, dass eine betriebsinterne Evaluationsstudie bei Boehringer Ingelheim einen hoch signifikanten positiven Zusammen hang zwischen Führungsbedarfsklärungs-Aktionen und dem sogenannten LMX Index ergab. Dieser Index misst die inhalt liche Qualität des Leader-Mitarbeiter- Austausches und steht in direkt positivem Zusammenhang mit Leistungserbringung. Von 221 Mitarbeitenden, die «Führung im Dialog» als einen formal und offiziell implementierten Prozess durchlaufen hatten, waren 75 Prozent motiviert, den Prozess erneut zu durchlaufen. 68 Prozent – Mitarbeitende wie Führungskräfte – berichteten von direkten positiven Nachwirkungen. Die Erfahrungen in einem Berliner Bankunternehmen zeigen, dass sich auch zurückhaltende Teammitglieder durchaus artikulieren und die Prozesse sich dort, wo wirkliches Interesse an Lösungen besteht, verbessern.

Der Unterschied, der den Unterschied macht Sogenannte 360-Grad-«Feedback»-Systeme leisten genau das nicht: Der dysfunktionale Fokus auf Bewertung der Führungs kraft erfordert Anonymität, womit letztlich nur die Führungsper son «bespiegelt» und die Chance auf wirkliche Problemlösung direkt verschenkt wird. Die oft mit teuren Lizenzen verbundenen Verfahren erwecken durch anspruchsvolle technische Aufberei tung den Anschein hoher Professionalität. Sie lenken allerdings die Energie in die falsche Richtung – nämlich auf die Einschätzung der Person statt auf Prozessverbesserung, was weder zu verant wortlicher Kommunikation noch zu Lösungen führt. Dadurch sind sie nicht nur von geringem Nutzen, sie stellen obendrein eine immense Belastung der Führungsbeziehung dar. Gute Führungsbeziehungen auf diese Art ohne jede Not zu verstören, ist ein Risiko, das noch übertroffen wird durch die Wir kungen an den Stellen, wo wirklich Probleme bestehen. Gerade dort, wo Veränderungsbedarf besteht, erzeugen die Verfah ren selbst so viel Kränkung, dass eine Bearbeitung der Themen stark erschwert wird. Dies zieht dann teure Reparaturprozesse mit Moderatoren und Coaches nach sich, an denen nicht selten genau die verdienen, die zuvor die Systeme implementiert haben. Anonyme Verfahren haben einen Sinn bei Selektions- und Platzierungsvorgängen – zum Beispiel, wenn man gewählt wird, oder wenn man Fremdeinschätzungen als Referenzen braucht, etwa um sich zu bewerben. Viele Handwerker und Freiberuf ler lassen sich im Internet bewerten, um ihre Positionierung am Markt zu verbessern. Was man inhaltlich mit dieser Art von Rück meldung anfangen kann, ist allerdings fraglich.

Denn Aussagen zur Person enthalten keinerlei Information zur Verbesserung des Prozesses. Diese Informationsebene trifft man besser, wenn sich das Interesse, wie man auf andere wirkt, zurückdrängen lässt zugunsten der Frage, was man konkret in

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deren Milieu bewirkt, und zwar nicht anonym, sondern direkt. Deshalb fragen wir in dem hier vorgeschlagenen Vorgehen nicht nach Fremdbildern, schon gar nicht nach dem irrelevanten Fremdbild -Selbstbild- Abgleich. Es geht auch nicht um eine «Zufriedenheitsmessung», sondern um die Erzeugung tatsächlich steuerungsrelevanter Information.

Die Kommunikation entneurotisieren

Die mit diesem Herangehen verbundene Rückkehr zur Normalität entneurotisiert die Kommunikation und befreit sie von der narziss tischen Störung der gegenseitigen Bespiegelung. Die Gespräche werden unverkrampft und sachbezogen. Paradoxerweise ist zu erwarten, dass dies sogar zu besseren Ergebnissen in der persön lichen Weiterentwicklung der Führungskraft führt – nicht obwohl, sondern gerade weil die Person nicht im Fokus steht. Denn Men schen entwickeln sich nicht, indem sie eine (womöglich selbst wertschädigende) Information zu sich selbst erhalten, sondern indem sie sich bemühen, den Bedarf ihres Gegenübers wirklich zu treffen, dabei zu lernen und die Arbeitsqualität zu erhöhen. Gemeinsam Ziele zu verfolgen, statt sich selbst zum Thema zu machen, fördert das Betriebsklima und die Kooperationsbereit schaft. Die freundliche Unterstellung, dass dazu jeder sein Bestes beitragen möchte, ist motivational die ideale Voraussetzung, vor handene Potenziale optimal zum Tragen zu bringen. Dies stellt natürlich auch übliche Systeme der Mitarbeiterbeurteilung ganz direkt in Frage.

Normal heisst nicht einfach: Den Prozess sichern!

So plausibel die Klärung des wechselseitigen Bedarfs erscheint, so wenig geläufig ist dieses Herangehen in durch Personen beurteilung geprägten Kulturen: Führungskräfte profitieren für die Umsetzung sehr von Kurzschulungen und konkreten Gesprächshilfen. Denn sie haben das Heft in der Hand – auf externe Moderation wird bewusst verzichtet (auch für TeamSettings), schon um die implizite Botschaft zu vermeiden, das Ganze sei schwierig oder heikel. Eine gezielte Vorbereitung hilft, gute Fragen zu stellen und einen Rückfall in den «Kritikmodus» zu vermeiden. Denn meist wird spontan lediglich der Status quo kritisch beschrieben, nicht selten sogar als Kritik an der Person und ihrem Verhalten. Eine lösungsorientierte und konstruktive Kommunikation, die die andere Seite orientiert, wovon und wozu man mehr, weniger oder anderes braucht, ist wesentlich schwieriger – oft denken Kritiker nicht einmal darüber nach. Schulungen und Gesprächsanregungen helfen Führungskräften, die nicht «lehrbuchgerechten» Rückmeldungen von Mitarbeiten den in substanzielle Aussagen zum Bedarf überzuführen, «zähe» Situationen aufzulösen und widersprüchliche Aussagen in Team gesprächen konstruktiv zu bearbeiten.

Eine gezielte und nachhaltige Implementierung in Verbin dung mit Kurzschulungen ist dringend zu empfehlen. Denn durch den Missbrauch des Feedback-Begriffs sind Menschen in Unter nehmen massiv darauf hin sozialisiert worden, Rückmeldungen zur Person zu geben (Was empfinden wir an der Person als gut

oder schlecht?). Sie haben oft regelrecht verlernt, unterstellungs frei Effekte zu beschreiben und über Bedarfe zu orientieren. So befördert die Implementierung von Führungsbedarfsklärung als «On the job»-Training in Sachen Schnittstellenkommunikation im besten Fall einen Kulturwandel in Richtung Lösungsorientierung und Kundenorientierung nach allen Seiten.

Der Erfolgsfaktor: Interesse

Der eigentliche Erfolgsfaktor ist das ernsthafte Interesse der Führungskräfte an steuerungsrelevanter Rückmeldung. Auch Führungskräfte, die einen guten Kontakt zu ihren Mitarbeiten den haben, profitieren davon, denn die alltäglichen Klärungen auf dieser Ebene unterscheiden sich von den Möglichkeiten der grundsätzlichen Weichenstellung, die dieser Prozess anregt. Dabei ist nicht von gravierendem Veränderungsbedarf auszugehen, sondern eher von einer immer wieder erforderlichen Anpassung an veränderte Situationen. Das Verfahren bietet sich regelmässig (im Jahres- oder Halbjahresturnus) an, aber auch bei grösseren Veränderungen und zur Bearbeitung spezifischer Themen (z. B. Gesundheit, Agilität usw.).

Leading Leaders

Damit wird der Arbeitsansatz zu einem Instrument der Organisa tionsentwicklung und Bottom-up-Führung. Auf der Peer-Ebene verständigen sich Führungskräfte selten untereinander darüber, nach welchen Kriterien sie in ihrer Organisation führen sollten und möchten. Und in ihren eigenen Mitarbeitergesprächen wird mit ihnen über vieles gesprochen – über Ziele, Umsätze, Change Vorhaben –, aber so gut wie nie über die Kernaufgabe Führung. Vielleicht, weil es doch nicht ganz einfach ist, personengebun dene Prozesse lösungsorientiert zu thematisieren? Topmanager könnten hier viel von Kindergarten oder Schulleiterinnen ler nen, die häufig mit den ihnen unterstellten «Führungspersonen» (Lehrern und Erziehern) über deren «Führungsarbeit» und ihre Qualität sprechen müssen. Man kann nur hoffen, dass diese Ziel gruppen vor dem gravierenden Kunstfehler des als «Feedback» getarnten Austauschs von Fremdbildern bewahrt werden, der die einen zu der mit dem Urteil verbundenen Anmassung und die anderen zu narzisstischer Selbstbezüglichkeit verführt. Die Füh rungsbeziehung ist eine Schnittstelle, und der Führungsprozess ist ein Prozess zwischen Menschen. Synergie entsteht, wenn Men schen in Kenntnis ihrer unterschiedlichen Verantwortung zusam menarbeiten, gemeinsam Resultate anstreben und Dinge tun, die auf die gute Beziehung und das gute Ergebnis einzahlen.

Worauf legen wir mehr Wert, auf Abschlüsse und Zeugnisse oder auf die Wünsche und Ziele, die jede und jeden von uns antreiben? #mindset

Querdenken mit System

Menschen sind unterschiedlich kreativ – aber vom Geniekult hat man sich inzwischen verabschiedet. Vielmehr braucht das Gehirn einen Zustand, in dem es neue Verknüpfungen herstellen kann. Dies kann geschehen, indem man sich in Vorstellungs welten bewegt, indem man Fragen stellt, Annahmen hinter fragt – und indem man sich austauscht. Neues entsteht selten in einem Kopf, wird aber oft in einem Kopf zusammengeführt.

Jeder Problemlösungsprozess ist ein Veränderungsprozess, und Veränderung ist leichter, wenn sie lösungsorientiert angegan gen wird. Neue Ideen, Durchbrüche, Interessenintegration, Einigungen und schlichtes Gelingen von Lösungen sind mit Logik allein oft nicht zu haben, sondern erfordern echte «Innovation», die Erfindung von Neuem – befeuert durch ein Denken «aus der Box heraus», eine spielerische Neugier, die Träume, Vorstellungs welten und Fantasie mit Logik und Wissen und auch den heutigen Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz verbindet.

Handlungsregulation und «Denken»

Das in der Tabelle auf Seite 40 dargestellte Ebenenmodell der Handlungsregulation (ähnlich dem Ebenenmodell von Robert Dilts) macht als Ordnungsmuster plausibel, wie mentale Prozesse in Verhalten «übersetzt» werden. Die Hierarchie der Regulations ebenen (der Einfluss der oberen Ebenen auf die unten ist stärker als umgekehrt) kann genutzt werden, um Querdenken auf ver schiedenen Ebenen zu verstehen.

Auf der Wahrnehmungsebene nehmen wir kontinuierlich Information auf, jedoch sehr selektiv und in Abhängigkeit von den übergeordneten Ebenen. Unser Verhalten – was wir gerade tun – bestimmt, wo unsere Aufmerksamkeit liegt. Wiederum können wir nur tun, was das Repertoire unserer Fähigkeiten umfasst. Unsere Überzeugungen und Interessen sind ausschlag gebend dafür, ob wir Fähigkeiten einsetzen oder mobilisieren. Ob wir dies für wichtig oder richtig halten, hängt wiederum von unserer Rolle/Identität und Verantwortung ab, also von unserer Position im Feld: Handlungsrelevant wird eine Überzeugung erst im Kontext der Frage, wer wir in einem Gesamtsystem sind – Die Zugehörigkeit zu Menschen und Wertewelten stiftet das «Wozu» und positioniert uns: Wir sind in jedem «Wir», in jedem Kontext «jemand anders». Die Verbindung mit dem jeweiligen Referenz system (Wozu – für wen oder was?) hat den höchsten «Impact» für Motivation und Verhalten – und deshalb auch für Querden

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ken und Kreativität. Eine Veränderung des Referenzsystems ver ändert Positionen und alle nachgeordneten Ebenen. Auch ein Gegenstand verändert je nach Kontext und Wozu seine «Identi tät» (Gemüsemesser, Dosenöffner oder Mordwaffe?). Kreative Ansätze sind auf unterschiedlichen der hier darge stellten Ebenen möglich – und Durchbrüche umfassen nicht selten alle Ebenen. Entsprechend der Struktur des Ebenenmodells sind Ansätze, welche die höheren Ebenen betreffen, am «durchschla gendsten». Zugleich kann das Ordnungsmuster, das die Regula tion menschlichen Handelns beschreibt, selbst abstrahierend und spielerisch, querdenkerisch verwendet werden. Beispielsweise führt nicht nur eine Veränderung der eigenen Position im Feld zu einer veränderten Perspektive – man kann auch die Position eines Gegenstandes im Kontext/Raum variieren, um auf neue Ideen zu kommen. Oder nicht nur eine Fragestellung, sondern auch deren Kontext verändern, usw. (vgl. z. B. den Umgang von Varga von Kibéd mit der in Therapien gebräuchlichen «Aufstellungsme thode»). Kreativität lebt davon, das Denken nicht in Methoden zu pressen, aber Methoden zu nutzen, um freier und mutiger denken zu können.

Zugehörigkeit: Verbindung mit dem Zielzustand und Arbeit mit dem Referenzsystem Geistige Durchbrüche gelingen häufig, wenn man sich (statt mit dem Problem) mit der Lösung, mit dem Zielzustand «verbindet». Wie ein Problemzustand entstanden ist, hat mit der Lösung in der Regel wenig zu tun. Sich an der Lösung zu orientieren und Schlüs selkriterien dafür zu erfassen, schafft im Denken wie im Handeln eine Ausrichtung, die den Blick verändert und zu völlig neuen Ideen führt. Worauf kommt es am Ende an (z. B. der einen und der anderen Verhandlungspartei, den Konfliktpartnern, dem Kun den …)? Welche Hindernisse gilt es zu beseitigen? Es geht nicht darum, sich Ziele zu setzen (dabei steht man mental im Status quo), sondern sich mental oder sogar faktisch im Ziel zustand «aufzuhalten», sich in einer Vorstellungswelt des Möglichen zu bewegen. In Innovationsprozessen kann dies sehr weit getrieben werden. So lohnt es oft, über die Erfassung des Bedarfs hinaus sehr weit in die Welt der Anwenderinnen und Anwender etwa von Technologien einzusteigen, um Anpassungen und Eigenent wicklungen in dieser Welt zu beobachten, in die eigenen Prozesse zurück zu integrieren und zu systematisieren.

Beim «(Re-)Framing» geht es darum, diese Anpassung an die «Zugehörigkeit» (die Systemumwelt) nicht starr zu denken, son dern darüber hinaus das Referenzsystem, den Kontext selbst zu variieren – zu setzen oder zu verändern. So ändert die Veränderung eines Gesprächs-Settings (Einbeziehung oder Ausschluss von Per sonen) als ein neues Referenzsystem den «Frame» für Gespräche oder Verhandlungen. Dies kann genutzt werden, um Positionen zu verschieben, so dass neue Kräfteverhältnisse oder Denkmuster entstehen. Der «Blick über den Tellerrand» setzt Ressourcen frei für Neues. Häufig wird das Wort Querdenken sogar synonym mit «aus der Box heraus denken» (Reframing – den Referenzrahmen gedanklich oder faktisch erweitern) verwendet.

Reframing beinhaltet einen Konventionsbruch im Denken, der Mut erfordert. Wir bewegen uns stets im Rahmen bewusster oder unbe wusster Denk-Konventionen. Was wir für gesichert, für selbstver ständlich, für unantastbar halten, kann uns erheblich behindern. Wer nicht mutig denkt, kann schon gar nicht mutig handeln

Beispiel: Eines der bekanntesten Querdenkerrätsel besteht in der Aufgabe, diese neun Punkte mit vier geraden Strichen zu verbinden, ohne abzusetzen. Dies kann gelingen, indem das spontane Referenzsy stem, die gedachte «Box» des imaginären Quadrats, gesprengt wird. Man malt über den Rand. Aber was tun, wenn die Aufgabe – auf Papier aufgebracht – lautet: Verbinde die neun Punkte mit drei geraden Strichen, ohne abzusetzen? Dazu müsste man sich an einem neuen «Frame» vergreifen – und etwa das Papier fal ten, Knicken oder in Streifen schneiden. Das spontane «Geht nicht» als Antwort bedeutet hier wie allzu oft, dass das Referenzsystem nicht in Frage gestellt wird, weil eine Konvention im Weg ist.

Rolle und Identität: Das Spiel mit der «Position im Feld»

Die eigene Position im Feld bestimmt die Perspektive sowie die Einflussmöglichkeiten. Die Position in der Umgebung bzw. im System zu erkennen (Perspektive, Kräfteverhältnisse), führt zu einer präzisieren Besetzung des eigenen Einflusses und zum sou veräneren Handeln aus der Rolle heraus. Das «Spiel» mit der eigenen Position ermöglicht mentalen und faktischen Perspektiv wechsel und generiert neue Information. Beim Verhandeln kann dies zum Beispiel ein Perspektivwech sel zum Verhandlungspartner sein, etwa mit dem Ansatz: «Löse das Problem, das für den Verhandlungspartner entsteht, wenn deine Interessen realisiert werden.» Ein gedanklicher Perspektiv wechsel zum Kunden oder in die Vogelperspektive kann einen neuen Blick ermöglichen. «Schlaf mal drüber» schafft Abstand. Die bewusste Veränderung der Distanz ist ein Positionswechsel: Bestimmte «Muster», Redundanzen und Kontextbedingungen können oft nur aus einem spezifischen Abstand erkannt werden. (Beispiele: Das «magische Auge», Erkennen von Umweltschäden an der Erde aus dem Weltall)

Überzeugungen und Interessen: «Mindsets» nutzen, hinterfragen, beeinflussen Lösungsorientierung ermöglicht die Integration von Interessen und Überzeugungen. Eine solche Integration ist durch reines «Brainstorming» nicht zu haben. Vielmehr erfordert ein «Winwin» nicht nur für Menschen, sondern auch für Ideen den «Blick dahinter»: Überzeugungen und Interessen zu «verflüssigen», zu überprüfen und anders zu kombinieren, ermöglicht es, neue Ansätze zu finden. Sind Hypothesen im Spiel, die nicht stimmen? Sich «einloggen» in jede Idee: Was ist das Anliegen, der Kern einer Idee, die «Idee der Idee»? Es geht darum, Mindsets zu überprüfen, aufzulösen, neu miteinander zu kombinieren, in neue

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Verhältnisse zueinander zu bringen und dadurch neue Lösungs optionen zu schaffen. Dabei ist «dialogisches Kommunizieren» hilfreich. Debatten als argumentativer Kampfmodus haben ihren Platz, um die eigenen Gedankengänge zu schärfen und sie «hiebund stichfest» zu verteidigen, um am Ende das «bessere Argu ment» gewinnen zu lassen. Bei der Suche nach Lösungen ist der Dialog als Suchhaltung danach, was an jeder Idee, an jedem Gedanken nutzbar gemacht werden könnte, produktiver (mehr «und» als «aber», «sowohl als auch» und «weder noch»).

Beispiel: Wie viel wiegen 1000 Stahlkugeln von 1 mm Durch messer? (Die meisten spontanen Antworten liegen im Dezimalund Kilo-Bereich, z.B. 1 kg oder 10 kg. Denn das Gehirn verbin det blitzschnell 1000-mm-g-kg. Tatsächlich liegt das Gewicht bei etwa 7 g.)

Fähigkeiten nutzen – auch aus anderen Welten Austausch ist unverzichtbar, um das eigene Denken auszudeh nen: Wo Neues entstehen soll, ist das Kollektiv gefragt. Mehrere Menschen entscheiden nicht unbedingt besser als Einzelne, aber Gruppen sind bei der Kreation von Optionen dem Einzel nen überlegen. In Verhandlungen und Kooperationsbezügen lohnt es sich, die Fähigkeiten der Partner für die Lösungssuche zu aktivieren und ggf. zu erweitern. Synergie entsteht in der Regel durch die bewusste Nutzung von Unterschieden auf dieser Ebene. Lösungen für komplexe Themen erfordern häufig «inter disziplinäres» Arbeiten im weitesten Sinn. Externe Beratung ist dabei eine grössere Hilfe, wenn die Berater nicht nur mehr oder wenigstens Anderes sehen als man selbst, sondern entweder auch mehr wissen oder können, oder aber völlig neue Sichtweisen ein führen. Auch Paradigmenwechsel in der Wissenschaft resultieren oft aus den Einflüssen anderer Disziplinen.

Verhalten und Gewohnheiten «Versuch und Irrtum» und einfaches Ausprobieren sind hilf reiche Instrumente, um neue Wege zu finden und zu erproben. Eingefahrene (Denk-)Gewohnheiten können Lösungen blockie ren. Querdenkeransätze auf dieser Ebene sind beispielsweise die Änderung der Reihenfolge gewohnter Abläufe, bewusstes Nicht-Handeln (Zeit verstreichen lassen, um durch Beobachtung neue Information zu generieren) oder auch Provokation (Wie müssten wir uns verhalten, um es schlimmer zu machen?). In Innovationsprozessen sind Phasen des Ausprobierens und Probe handelns unumgänglich, um Information zu generieren.

Wahrnehmung / Information

Die Wahrnehmung und Interpretation von Information hängt grundsätzlich von den übergeordneten Ebenen ab. Querdenke risch ist deshalb eine Überprüfung der «Lesart» von Information (aufgrund der Position im Feld, der Beziehungen, Interessen, Kompetenzen und Routinen) grundsätzlich interessant. Auf der Wahrnehmungsebene selbst lässt sich der Zugang zu Informa tion verändern. Eine Verschiebung des Aufmerksamkeitsfokus

oder die Nutzung anderer (Sinnes-)Kanäle, das buchstäbliche Be-Greifen kann zu neuen Einsichten führen. Inkompatibel erscheinende Information ist dabei besonders interessant! In der Entscheidungsfindung etwa nach dem Konsentprinzip wird dies als Abfragen relevanter Einwände (statt Zustimmung) realisiert. Auch das Einbeziehen dessen, was nicht geschieht, ist quer denkerisch eine wichtige Informationsquelle und nur bewusst möglich: Unser Gehirn erfasst Positivinformation leichter als das «Nichts» – Schweigen als «leerer Raum» beispielsweise ist Informa tion, die jedoch uneindeutig ist und richtig «gefüllt» werden will. In Verbindung mit Ausprobieren ist das Monitoring von Wirkungen (auch ausserhalb offizieller Daten) das wichtigste Feedback.

Systematisch querdenken

Jeder Mensch ist kreativ. Querdenken kann jeder, der denken kann, allerdings nicht jeder gleich gut. «Systematisches» Quer denken durch bewusste Nutzung von Fragen, Denk- und Arbeits ansätzen auf den verschiedenen Ebenen kann bei der Lösung von Problemen, bei der Bewältigung von Krisen und der Krea tion neuer Optionen weiterhelfen. Wirkliche Innovationen und Lösungen erfordern Vorstellungskraft – und «Denk-Mut», denn sie beinhalten in aller Regel gedankliche «Konventionsbrüche». Im Denken Mut aufzubringen, ist der erste Schritt, um mutig zu handeln: Es geht darum, Neues zu wagen.

Psychologische Ebene Übertragung auf Querdenken Beispiele

Zugehörigkeit (Referenzsystem, Verbundenheit, Sinn)

Rolle / Position im Feld, Identität (Funktion, Verantwortung)

Arbeit mit dem Referenz system und Relationen. Generell: Vom Ende her denken, Schlüsselkriterien zur System-UmweltRelation erfassen, System-Umwelt-Relation ändern

Arbeit mit der «Rolle oder Identität» und mit der «Position im Feld»

Wozu-Frage, «Wunder-Frage». Schlüsselkriterien für den Zielzustand erfassen, sich faktisch in die Zielwelt begeben (Design Thinking, Kristallkugeltechnik, Szenario-Techniken, Setzungen)

(Re-)Framing: Dimensionen und Kontexte erweitern oder ändern, gedachte Frames brechen (gordischer Knoten), Frames bewusst setzen. Aufstellungsme thoden innerhalb definierter Frames

Bewusster Perspektivwechsel (De Bono, 6-Hüte-Technik). Aussenperspektiven nutzen. Eigene Position im Feld / Abstand zum Feld ändern, Allianzen bilden. Rollen einnehmen. Abstände und Beziehungen von Elementen im Kontext ändern (Vogelperspektive, Mustererkennung prüfen, zirkuläres Fragen). Metaphern nutzen (Bilder zur «Identität» eines Gegenstandes). Potenzielle andere Funktionen von Gegenständen erkennen

«Mindsets»: Überzeugungen, Haltungen, Motive, Interessen

Fähigkeiten, Potenziale (Kernkompetenzen, Strukturen)

Verhalten/ Gewohnheiten

Wahrnehmung der Umgebung/ Information

Arbeit am «Glaubens system». Dialogische Problemlösung «Harvard für Ideen»: «Win-win» für Ideen?

Arbeit mit Kompetenzfeldern

Arbeit mit unterschied lichen Aktionsformen

Wahrnehmung von Infor mation. Veränderung des Fokus oder Sinneskanals

Kognitive Schemata hinterfragen, sokratischer Dialog, Implizite Hypothesen prüfen. Kraftfeldanalyse. Modelle / Theorien zum Thema nutzen. «Win-win» für Ideen (z. B. morphologische Matrix)

Austausch mit anderen. Know-how aus anderen Welten nutzen (z. B. Bionik). An Problemen lernen. Fehler als Lernquelle. Technologische Ressourcen, Equipment, Werkzeuge nutzen, interdisziplinäre Herangehensweise

Andere Wege gehen (unterm Zaun durch, Um wege). Freies Experimentieren. Versuch und Irrtum. Probehandeln. Prototyping. Reihenfolge ändern. «Gegenrichtung» aktivieren: Wie könnte man es verschlimmern? Hindernisse umschiffen

Interpunktion ändern. Sinneskanal ändern. Bewusste Fokusverschiebung (Zoom), Vorstellungen und innere Bilder nutzen, visualisieren. Einbeziehen, was nicht geschieht. Kontinuierliche Beobachtung tatsächlicher und antizipierter Wirkungen (Feedback, Feedforward). Relationen fokussieren.

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Haben wir

Routine darin, aus Gewohnheiten auszubrechen, um ein anderes Denken und Handeln zur neuen Routine zu machen?

#innovation

Wer führt wen?

Beziehungssicherung in schwierigen Konstellationen

Führungskräfte werden häufig darin geschult, «wie Führung geht». Führung geht aber anders – je nachdem, wen man vor sich, «über» sich, «unter» sich oder auch neben sich hat

Eine wesentliche Funktion von Führung besteht darin, die Gemein schaftsperspektive (der Organisation) explizit zu besetzen – und durchzutragen, auch gegenüber Einzelnen. Der Gestaltungsrah men schränkt die individuellen Freiheitsgrade zugunsten des übergeordneten Systems ein. Die spezifische «Zumutung», die damit verbunden ist, wird nicht immer umstandslos akzeptiert. Was können Führungskräfte in schwierigen Konstellationen tun, um die Beziehung zu sichern?

Von wem lassen wir uns was sagen?

Wir lassen uns ungern führen, wenn wir der Führungsperson diesen Status nicht zugestehen. Wird eine Führungskraft nicht gut akzeptiert, liegt das selten daran, dass die Geführten Probleme mit Autoritäten hätten, sondern eher an fehlender Passung. Wenn Blendung vermutet wird, Kompetenz und Seniorität fehlen oder unklar ist, wie jemand seine Rolle «geerbt» hat, reagiert das Umfeld skeptisch – oft zu Recht. Wer selbst gut tanzen kann, fängt an zu führen, sobald der Partner den Takt systematisch verfehlt und einem auf die Füsse tritt. Aber umgekehrt sagen Führungskräfte auch bisweilen: «Mein Mitarbeiter treibt mich in den Wahnsinn.» Das Gelingen der Führungsbeziehung ist keine Einbahnstrasse, aber die Führungskraft kann einiges tun: Wirk liche Qualität in der Führungsarbeit zahlt auf Akzeptanz ein.

Schwierige Konstellationen

Führung geschieht in Beziehung – der Führungserfolg entschei det sich bei den Geführten. Führungskräfte brauchen deshalb den «Segen» der Geführten. Wie in allen Beziehungen werden dabei kontinuierlich bestimmte Aspekte ausgehandelt, ausbalanciert und gestaltet: die Balance von Geben und Nehmen (Reziprozi tät), die Frage nach freundlicher Zugewandtheit oder Ablehnung (Freund-Feind-Schema), das Thema Nähe und Distanz und die

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Frage nach der faktischen Rangordnung, die oft nicht mit der formalen Rolle übereinstimmt.

Risiken für die Beziehungen sind dabei oft strukturell getrig gert: Treibt die Struktur die Beteiligten in Konkurrenz, wird das «Feind»-Schema aktiviert – es ist etwas erschwert, Konkurrenten wirklich sympathisch zu finden. Ist man von jemandem abhän gig, betrifft dies die faktische Rangordnung: Wer sitzt wirklich am längeren Hebel? Persönliches kommt hinzu: Ist die Balance von Geben und Nehmen gestört oder artet Macht in Übergriffe und Distanzlosigkeit oder aber allzu viel Abstand aus, entstehen schnell Misstrauen und Reserviertheit. In schwierigen Konstellationen ist es besonders wichtig, die Beziehung auf allen Ebenen zu sichern, um eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zu ermöglichen.

Verhandlungsgegenstände

Reziprozität – Balance von Geben und Nehmen Wir möchten in Beziehungen «quitt» sein – fehlt der Ausgleich, sind wir gebunden. Die Balance von Geben und Nehmen ist gemeinschaftssichernd – das Thema «Verteilungsgerechtigkeit» ist schon bei Primaten zu erkennen. Wir geben Geschenke zurück oder bedanken uns wenigstens symbolisch – und wir möchten auch «heimzahlen» oder haben «eine Rechnung offen», wenn uns jemand benachteiligt oder geschädigt hat. Nach Kriegen wachsen ganze Generationen mit dem Rachegedanken auf. «Schulden» wiederum erzeugen Verpflichtungen und können erpressbar machen – auch eine Führungskraft. Herausforderungen zum Beispiel: Ein Konkurrent wurde vorgezogen. Schon wenn jemand informell ein Team geführt hat, nimmt die neue Führungskraft dieser Person Status weg – häufig, ohne das zu ahnen. Mitarbeitende werden Führungskraft im eigenen Team – ihr Status verschiebt sich gegenüber den ande ren. Gehälter von Führungskräften und Mitarbeitenden klaffen zu weit auseinander – ganz gleich in welche Richtung. Oder: Erpressbarkeit durch Gefälligkeiten oder andere Schulden. Beziehungssicherung: Balance von Geben und Nehmen sichern, Zumutungen funktional begründen und würdigen, Vor schuss und Dank, freundliche funktionale Grenzsetzung, aber Verzicht auf «Nachtreten» und Rache.

Freund oder Feind? Wir reagieren sehr unmittelbar auf vermeintliche oder faktische Feindseligkeit. Wer abhängig oder schwächer ist, achtet sehr darauf, ob die andere Seite wohlgesinnt ist. Möglicherweise erklärt das die immer wieder betonte Beziehungsorientierung von Frauen: Wer es mit (körperlich) Stärkeren zu tun hat, tut gut daran, die Beziehung zu beobachten und im Zweifelsfall vor sichtig zu sein. Wer andere führt, muss mit viel Neid und Kritik rechnen, nicht nur in Krisenzeiten. Auch Störungen der Rezipro zität lassen schnell Feindbilder entstehen, zu viel Distanz kann als Arroganz interpretiert werden.

Herausforderungen zum Beispiel: Die Kultur ist von Miss trauen geprägt. Die Legitimität der Besetzung ist in Frage gestellt. Negative Botschaften, Vorerfahrungen oder Gerüchte. Latente

Abwertung der anderen Seite. Illegitime Erwartungen an die Rolle aufgrund von Freundschaft. Direkte persönliche Antipathie. Beziehungssicherung: Unerschütterliche Freundlichkeit und professionelles Wohlwollen, sich nicht von Feindseligkeiten anderer infizieren lassen, Abstand statt Zurückschlagen. Bere chenbarkeit und Einhaltung von Versprechungen. Hinter Kritik und Reserviertheit stecken meist ungelöster Bedarf oder Ängste auf der anderen Seite.

Nähe und Distanz

Nähe und Distanz werden permanent hochsensitiv reguliert. Der als angemessen erlebte Abstand ist dabei interkulturell verschie den – sogar im Körperlichen (räumliche Nähe, die Hand geben usw.). Nähe und Bindung entstehen durch «Umsatz» – geisti gen und körperlichen Austausch und Intimität der anvertrauten Inhalte. In positiven Beziehungen gilt die einfache Formel: Gros ser Umsatz, grosses Glück – kleiner Umsatz, kleines Glück. In negativen Beziehungen steigen entsprechend Rachegelüste und Unglück mit dem negativen Austausch.

Die mächtigere (ranghöhere) Person hat am meisten Einfluss auf den Abstand: Die Ältere bietet das Du an, wer überlegen ist, kann den Abstand sogar einseitig verletzen. Wird ein Veto der schwächeren Seite nicht beachtet, nennt man das «Übergriff». Alle Abstandsverletzungen von sexuellen Übergriffen bis Mob bing gehen immer von «stark/viel» nach «schwach» und sind unter Gleichstarken nicht aufrechtzuerhalten.

Der Führungskraft ist deshalb Achtsamkeit für die rollen bedingte Distanz und eine besondere Aufmerksamkeit für das «Veto» abzuverlangen, und sie sollte – so Goethe – sozial kon trolliert werden. Ein gewisser Abstand ist nötig, um ein System zu führen. Lässt sich eine Führungskraft in einzelne Beziehungen zu stark involvieren, schart unter Druck vermeintlich «Getreue» um sich und geht anderen Systemmitgliedern aus dem Weg, verliert sie diesen Blick, und es kann zu Lagerbildung kommen. Herausforderungen zum Beispiel: Duz-Kulturen ohne Rol lenbewusstsein oder umgekehrt starke formale Distanz durch sehr viel Protokoll und Dress-Code. Führen in familienähnlichen Arbeitsstrukturen wie Kitas. Führen von Familienmitgliedern, Kindheits- oder Studienfreunden. Alte Feinde. Rollenunsicher heit aufgrund zu grosser Hilfsbereitschaft oder Freundschaft im Privaten. Flirtangebote und Liebesbeziehungen mit Mitarbeiten den. Remote Leadership – Führen auf Distanz. Beziehungssicherung: Angemessener Abstand – Gespür entwickeln für unwillkommene Nähe. Sensibilität für Übergrif figkeit, Respekt vor dem Raum des anderen, Rollenbewusstheit, freundliches und klares Agieren aus der Rolle heraus, explizite Klä rung der Rolle. Neue Rituale und gemeinschaftssichernde Aktivi täten bei «Remote Leadership».

Rangordnung

In jeder Beziehung existiert Rangordnung in unterschiedlichen Bereichen. «Unterm Strich» wird Ebenbürtigkeit oder aber ein Machtgefälle erlebt. Nicht immer sitzt die formal ranghöhere

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Person dabei wirklich am längeren Hebel. Rangordnungskämpfe können zu inhaltlich absurden Prozessen führen (Loriot: «Herren im Bad»).

Die faktische Rangordnung umfasst (mindestens) drei Aspekte: Die formale Rolle (formaler Status, Befugnisse und Rechte), Kompetenz im weitesten Sinn (Fähigkeiten, Glaubwür digkeit, «Vermögen») und die «Seniorität» (Reviervorteil, Lebens alter, Job-Alter, Erfahrung …). In manchen Kulturen schränken Geschlecht oder Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppierungen direkt die Möglichkeit ein oder aus, bestimmte formale Rollen einzunehmen.

Konstellationen, in denen Ältere mit hoher Kompetenz führen, werden oft schnell akzeptiert. Frauen fokussieren auf die Themen Nähe und Wohlwollen und akzeptieren Hierarchie untereinander weniger leichtgängig – sie organisieren sich eher in Netzwerken. Männer dagegen trainieren den Umgang mit der Frage, wer stärker ist, in vielen sozialen Situationen ganz direkt, vor allem im Sport, und sie drücken Hierarchie expliziter aus (z. B. durch Titel und Uniformen).

Herausforderungen zum Beispiel: Führungskraft führt for mal ranghöhere Kollegen in Projekten. Jung führt Alt, junge Frau führt Männer, junge Frau führt andere junge Frauen in einem hierarchieorientierten Betrieb, Neuling von der Uni führt lang jährig Beschäftigte, Juniorchef führt mit dem Senior im Nacken, Zugezogene führen Einheimische, Fachfremde führen Spezialisten Beziehungssicherung: Volle und explizite Anerkennung der faktischen Kräfteverhältnisse, der Kompetenz und Seniorität, Respekt, hierarchiebewusste Kommunikation.

Anregungen für die Führungspraxis Führung als Funktion verstehen Manche Menschen verbinden mit Führung die Vorstellung, eine Führungskraft sei grundsätzlich intelligenter oder menschlich und fachlich entwickelter als die ihr unterstellten Mitarbeiten den – oder man leiste als Führungskraft mehr und werde deshalb besser bezahlt. Wer die Führungsrolle funktional versteht – als eine besondere Aufgabe, die darin besteht, die Perspektive des übergeordneten Systems, des Ganzen zu sichern und durchzu tragen –, macht es sich auch in schwierigen Konstellationen leichter. Die Führungsrolle in diesem Sinn «selbstverständlich» zu besetzen, ermöglicht plausible substanzielle Argumentation ohne jegliche «Bossigkeit».

Eine aktive Klärung des tatsächlichen (und wechselsei tigen) Führungsbedarfs ist dabei sehr sinnvoll. Wo benötigt man Zuarbeit und Unterstützung, welche Rahmenbedingungen, Leis tungen und Integration von Interessen sichern das Beste für das übergeordnete System? Dieses gemeinsame Dritte ist ein Refe renzpunkt ausserhalb der Führungsbeziehung und bestimmt die Funktionalität des Miteinanders.

Selffulfilling Prophecys vermeiden

Für die Besetzung einer Funktion kann man auch in schwierigen Konstellationen Akzeptanz zunächst einfach voraussetzen und

«selbstverständlich» davon ausgehen, dass man akzeptiert ist. Sich auf dieser Basis dann Mühe zu geben, die Rolle wirklich gut zu füllen, ist eine angenehme und konstruktive Form von Bescheidenheit.

Sitzt die Fachkompetenz auf der anderen Seite, oder ist die geführte Person älter? Wunderbar – dann ist es naheliegend, um Unterstützung zu bitten. Ist man eng befreundet? Dann ergibt es Sinn, zu klären, worauf man im Konflikt baut. War das Team vorher führungslos? Dann gibt es jemanden, der «den Laden zusammengehalten» hat.

Insbesondere im Konflikt sind Selffulfilling Prophecys durch Interpretation und wechselseitige Unterstellungen schnell da. Sobald bei Missverständnissen und Pannen Nachlässigkeit, Inkompetenz oder gar Absichten unterstellt werden, eskalieren die Themen. Unterstellte Antipathie führt zu mehr Antipathie. Angriffe auf die Wertewelt führen zu emotionaler Distanz und torpedieren jegliche Synergie. Wenn etwas schiefläuft, ist es des halb ratsam, «den Ball flach zu halten», damit man sich am Ende nicht aus dem Weg gehen muss: Es hilft, so lange wie möglich von einer Panne auszugehen, so lange wie möglich gute Absicht zu unterstellen und die gute Beziehung und die geteilten Werte möglichst nie in Frage zu stellen.

Zusammenarbeit statt Status

Was brauchen Sie von mir, um gut zu arbeiten? Diese Frage ist –weil arbeitsbezogen – freundlicher, respektvoller und funktionaler als «Erwartungs-Sprech». Erwartungen sind sinnfrei und können schnell enttäuscht werden. Direkte aktive Bedarfsklärung zahlt demgegenüber auf Reziprozität ein und ermöglicht, wirklich auf einander zu zu arbeiten.

Der explizite Verzicht auf rein statusbezogene Privilegien, die nichts mit diesem Bedarf zu tun haben – vom grössten Dienst wagen bis zum besten Büro, ist eine zukunftsrelevante Botschaft in Arbeitskontexten, in denen Hierarchie zugunsten funktio naler Netzwerke abgebaut werden soll. Eine Führungskraft muss sich auch nicht «zu fein sein», mit anzupacken, wenn es darauf ankommt. Auch der Verzicht auf extrem hohe Gehälter oder Boni in schwierigen Zeiten sind kulturrelevante Signale. Wer sich selbst nicht durch die Annahme von Geschenken und Privilegien bindet, erhält seine persönliche Autonomie. Führungskräfte, die in dieser Hinsicht den Rücken frei haben, agieren souveräner.

Freundlichkeit in angemessenem Abstand

In schwierigen Konstellationen entstehen oft Reibungen, die schwer einzuordnen sind. Das Rezept ist so simpel wie schwie rig in der Umsetzung: sich länger freundlich verhalten als der andere – und konsequent aus der Position der «guten Bezie hung» heraus agieren.

Den Abstand in der Führungsbeziehung angemessen zu gestalten, ist eine Sache des Gespürs – und muss im Zweifel geklärt werden. Es spricht nichts dagegen, einander zu duzen oder einen Blick ins Privatleben zu ermöglichen – wenn man dabei nicht vergisst, «wer man ist». Gute Freunde fordern keine

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Privilegien oder Rücksichten in der Arbeit ein, weil sie damit der Führungskraft die soziale Unterstützung in der Rolle ent ziehen würden. Achtsamkeit für unwillkommene Nähe beugt emotionaler oder faktischer Übergriffigkeit vor. Ein No-Go sind Liebesbeziehungen mit direkt Unterstellten, wenn dies nicht allen Beteiligten mit allen Implikationen transparent gemacht werden kann. Führungskräfte riskieren damit nicht erst beim Scheitern der Beziehung eine gefährliche Nähe zu brisanten Themen. Angemessener Abstand ist auch bei der Intervention bei psychosozialen Krisen gefordert. Es ist nicht hilfreich, sich in guter Absicht laientherapeutisch zu betätigen, statt Mitarbeitenden anzubieten, interne und externe Hilfesysteme zu nutzen.

Führt man faktisch auf Distanz, weil Mitarbeitende am anderen Ende der Welt sitzen, bedarf es umgekehrt einer aktiven Herstellung von Identifikation und Verbundenheit durch geeig nete Rituale, psychologische Sicherheit und eine gut angepasste Kontaktfrequenz.

Hierarchiebewusstsein

Entscheidend für die Balance in der Führungsbeziehung ist der tatsächliche Respekt vor der faktischen Rangordnung – hin sichtlich Seniorität, Job-Erfahrung, Kompetenz und Vernetzung. Es kommt gut an, wenn ungewöhnliche Konstellationen direkt angesprochen werden, besonders wenn hinsichtlich Seniorität oder Kompetenz ein grosses Gefälle zugunsten der Mitarbeiten den besteht. Mit Humor und Respekt – viele Worte braucht es oft nicht. Eigenverantwortlichkeit und die Nutzung von Freiräu men im Rahmen der notwendigen Leitplanken sind Signale des Respekts – kompetente und erfahrene Mitarbeitende nehmen zu viel Lenkung und Kontrolle der Person statt der Ergebnisse übel.

In schwierigen Führungskonstellationen ist es besonders brisant, hierarchisch statt funktional zu kommunizieren. Hierar chie wird kommunikativ zum Beispiel vermittelt durch:

• Symbole (Ausstattung, Kleidung, allgemeiner Auftritt)

• Lenkung (Ausrichtung, Leitplanken)

• Verfügung über Ressourcen (Verteilungsmacht, Gebenkönnen)

• Raumeinnahme (Büro, Setting)

• Bewertung (im Urteil erhebt sich der Beurteilende über den Beurteilten)

Symbole – notwendig oder überflüssig? Machtsymbole können in schwierigen Konstellationen schnell protzig und unan gemessen wirken. Es ist allerdings bisweilen notwendig, symbo lisch der anderen Seite zu vermitteln, wer man ist, damit über haupt Kommunikation auf Augenhöhe entstehen kann. Wenn etwa Frauen in bestimmten Kulturen nicht als ebenbürtige Gesprächspartner betrachtet werden, kann es wichtig werden, die formale Rolle durch Symbole überzubetonen (z. B. Termine mit Anmeldung, Titel, repräsentative Ausstattung). Dabei geht es nicht um Privilegien, sondern um die mit der Symbolik verbun dene Information – die «Übersetzung» der Position in die Welt der anderen Seite, um die Rangordnung kenntlich und für die andere Seite verstehbar zu machen.

Lenkung – Legitimität und Kommunikationsformat: Je stär ker einschränkend ein Steuerungsimpuls sprachlich ist, desto stär ker drückt er Hierarchie aus – und desto mehr Reaktanz entsteht, am stärksten im Befehl, am wenigsten in einer Bitte. Notwendig keiten erfordern keine «Gehorsamskultur», sondern legitimieren «Zumutungen» und Lenkung, weil sie nicht aus Eigeninteressen abgeleitet werden, sondern aus dem, was es für die Gemeinschaft zu erreichen gilt. Dies aktiv zu kommunizieren und die damit ver bundenen Zumutungen zu würdigen, schafft Akzeptanz.

Ich-Aussagen statt Bewertung: Jeder beurteilt jeden – für sich. Vorgesetzte tauschen ihre Eindrücke über Mitarbeitende aus, wenn es um Stellenbesetzungen und Entwicklung geht. Mitarbei ter reden ebenso untereinander über Vorgesetzte – und sie haben das Recht, ein Zeugnis einzufordern, wenn sie es benötigen. Die Kommunikation von Bewertungen erzeugt jedoch Hierarchie am falschen Punkt: Im Urteil erhebt man sich über die beurteilte Person. So gilt sogar: Jedes «Loben kommt von oben» Wenn jüngere Führungskräfte ältere Mitarbeiter beurteilen, entsteht ein enormes Kränkungsrisiko. Die Fachkompetenz von Mitarbeitenden einer anderen Profession zu beurteilen, ist fast schon dreist. In der Alltagskommunikation empfiehlt es sich daher, Rückmeldungen grundsätzlich in Form von echtem Feed back über tatsächliche Effekte im eigenen Verantwortungsbereich zu geben, statt die andere Person oder ihre Leistung zu diagnos tizieren. Besonders wichtig ist dieser Aspekt bei kritischen Auswir kungen («Das hat xyz in Schwierigkeiten gebracht» statt: «Ich bin mit Ihrer Leistung nicht zufrieden»). Die selbstverständliche Rückmeldung von Effekten ist hierarchiefrei, beziehungssichernd und bedarf in der Zusammenarbeit keiner Erlaubnis. Sie macht Zusammenhänge transparent und trainiert die Fähigkeit zum Perspektivwechsel.

Gesprächsformate im Unternehmen sind jedoch häufig anders ausgelegt: Mit der Beurteilung und der Verwechslung von Feedback und Fremdbild wird permanent Hierarchie erzeugt, was die Bemühungen um partnerschaftliche vernetzte Zusammen arbeit geradezu torpediert. Jeder Mensch braucht Anerkennung, will wirksam werden und freut sich über positive Rückmeldung von Effekten. Die direkte Bewertung steht aber nur «Lehrern» zu, die es tatsächlich besser wissen und können, und wird dort auch akzeptiert.

Keine Beratung ohne Auftrag: Führungskräfte können jederzeit Mitarbeitende darin unterstützen, ihre beruflichen Ziele zu verfolgen, und über Angebote der Personalentwick lung informieren. Es ist aber nicht sinnvoll, sich unerbeten als Coach aufzuspielen, womöglich sogar gegenüber Älteren. Wenn Mitarbeitende durch psychische Krisen, biografisch schwierige Situationen wie zum Beispiel Scheidung oder Partnerverlust, Aus zug der Kinder, altersbedingte Erkrankungen oder Suchtmittel missbrauch in persönliche Krisensituationen kommen, müssen Führungskräfte unter Umständen intervenieren. In diesem Fall ist es besonders wichtig, in Ich-Aussagen zu sprechen und zu ver deutlichen, dass Fachberater (extern oder intern) besser helfen können als man selbst. Viele Führungskräfte profitieren in solchen

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Situationen sehr davon, sich selbst beraten zu lassen, um ihre Rolle gut zu füllen.

Fazit: Generativität statt Hochmut

Die biografische Kurve – die Lebenskurve – ist eine gross ange legte Bewegung vom Nehmen zum Geben. So können ältere, kompetente Mitarbeiter oft mehr zur Entwicklung jüngerer Führungskräfte beitragen als umgekehrt. Die Entwicklungsauf gabe des mittleren und höheren Lebensalters ist Generativität. Das grösste Kompliment für ältere oder hoch kompetente Mit arbeiter ist deshalb nicht das tief hierarchische Lob, sondern der Dank. Indem der Beitrag zum Gelingen angesprochen wird, wird der Aspekt der Generativität betont und damit der Selbstwert gestärkt. Führungskräfte, die tief anerkennen, dass der Erfolg ihrer Arbeit durch die Mitarbeiter realisiert wird, signalisieren dies in ihrer Haltung – und gewinnen damit ihre Mitarbeiter, ganz gleich in welcher Konstellation. Ältere Führungskräfte, die mit jungen, aber besser ausgebildeten, kreativeren oder schnelleren Mitarbeitern zu tun haben, sind selbst generativ, indem sie den Staffelstab leichtgängig weitergeben und sich daran erfreuen, dass die Jüngeren einfach besser sind als sie selbst.

Es gilt als Leadership-Qualität, in jedweder Führungs konstellation zurechtzukommen – mit den unterschiedlichsten Menschen und den unterschiedlichsten Strukturen. Die Voraus setzung dafür ist soziale Intelligenz – die Fähigkeit, die Perspek tive zu wechseln und andere so zu gewinnen, aber auch, die faktischen Kräfteverhältnisse richtig einzuschätzen und angemes sen damit umzugehen. Viele junge Führungskräfte führen sehr erfolgreich auch deutlich ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, weil sie tiefen Respekt vor gelebtem Leben zeigen und niemals aus reiner Unsicherheit bossi g auftreten.

Wer kein Naturtalent ist, kann lernen. Führungstrainings kommt hier eine wichtige Rolle zu, wenn sie tatsächlich Knowhow vermitteln, statt indiskrete «Übungen» ohne individuelles Mandat zu inszenieren. Persönlichkeitsentwicklung findet überall im Leben statt, also auch im Führungstraining – aber vermutlich eher, wenn das nicht das explizite Ziel der Veranstaltung ist.

Fortsetzung folgt.

Wer regelmässig eine Denkpause einlegt, kommt schneller voran: Weitere Editionen unserer Schriftenreihe, die mit dem Swiss Media Award und dem Best of Corporate Publishing Award ausgezeichnet wurde, finden Sie auf der Internet-Plattform der Manage ment School St.Gallen. Ausgewählte Essays und Berichte stellen wir Ihnen auch als Podcast zur Verfügung. Wir würden uns freuen, Sie auch weiter hin zu unserer Leserschaft zählen zu dürfen – und danken Ihnen für Ihre Meinungen und Anregungen. www.mssg.ch/denkpausen

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Redaktion Urs von Schroeder

Konzeption Management School St.Gallen

Gestaltung Ruedi Oetiker, Mac J. Rohrbach

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Copyright © 2022 Management School St.Gallen ISBN 978-3-9525571-1-2

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