Denkpausen Special Edition Deutsche Bahn

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Inspirationen zu Management und Leadership

Special Edition

Denkpausen

MANAGEMENT SCHOOL ST.GALLEN


Management School St.Gallen BET TER BUSINESS

Management School St.Gallen St. Leonhardstrasse 7 CH – 9001 St.Gallen Telefon (41) 071 222 51 53 office@mssg.ch  |  www.mssg.ch


Denkpausen

Seite 6 Was ist schief gelaufen? Mac J. Rohrbach Seite 14 | 20 Auf dornigen Wegen wachsen Resilienz als Schlüssel zur Leadership Martina Rummel Seite 24 Von Heiligen und Pretty Woman Dr. Werner T. Fuchs Seite 30 Touched by ­Storytelling Lydia Thea Blau Seite 32 Nobody oder ­Know-body? René Marchand Seite 38 Zeit zum ­Entschleunigen Heidi Bohren Seite 44 Pardon, wären Sie nicht besser Friedhofgärtner? Urs von Schroeder

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Gute Reise!

Diese «Denkpausen» wollen Sie nicht dazu inspirieren, das Denken in die Pause zu schicken. Im Gegenteil. Sie versuchen vielmehr, Denkanstösse zu geben. Eine Bahn- oder Flugreise bietet die ideale ­Gelegenheit, einmal kurz innezuhalten, zurückzulehnen und den Kopf für Gedankenflüge frei zu machen. Ist Ihnen schon aufgefallen, dass die Welt oft völlig anders ist als Sie denken? Anders, als Sie sie gerne hätten? Auch anders, als Sie sie sehen? Haben Sie sich schon überlegt, dass vielleicht «oben» nicht dort ist, wo Sie glauben? Dass «oben» möglicherweise «unten» sein könnte? Oder dass der f­rische Wind nicht immer aus der gleichen Richtung bläst, zuweilen sogar von innen nach aussen? Alles ist eine Frage des Blickwinkels. Perspektiven haben die Eigenart, beschränkt zu sein. Vor allem die der anderen. Auch unsere.

Es ist höchst bequem, dem Herdentrieb zu folgen, sich auf jeden neuen Modetrend einzulassen und damit die Gewissheit zu haben, «in» zu sein und sicher nicht falsch zu liegen. Doch bedeutet das ja noch lange nicht, dass wir uns auf der richtigen Schiene ­bewegen. Verhaltens- und Konsumdiktate helfen Teenagern über ihre Unsicher­heit hinweg. Darum laufen sie auch mit künstlich ­zerlöcherten und deshalb umso teureren Jeans herum und finden sich super-cool. Teenies stechen als die eine herausragende Gruppe hervor, die sich wie Herdentiere bewegt und sich willig manipulieren lässt – heute bauchfrei, morgen Gürtel so breit wie Miniröcke, über­morgen ­burlesk.    Eine andere hervorstechende Herde leicht B ­ eeinflussbarer sind die Manager, die den wendigen Einflüsterern der Beratungsindustrie bereitwillig auf den Leim kriechen und monoton jeder gerade im Trend stehenden Heilslehre nachbeten. Je grösser die Herde, die in die gleiche Richtung trottet, desto stärker auch hier die Überzeugung, «in» zu sein und nicht im Abseits zu liegen. Diesem Trieb

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zu folgen und sich super-cool zu fühlen ist bequemer, leider oft auch verhängnisvoller, als eigene Lösungen und einen eigenen Stil zu suchen und allenfalls gegen den Strom zu schwimmen.    Diese Broschüre vermittelt Ihnen eine kleine Auslese von Beiträgen der «Denkpausen». Diese Publikation der Management School St. Gallen (man kann sie auch im Abonnement beziehen) bietet Autorinnen und Autoren ein Podium, um sich kritisch – oft auch querdenkend – über aktuelle Management- und Gesellschafts­ themen zu äussern. Die Management School St. Gallen begleitet Führungskräfte aller Stufen auf ihrem Weg der beruflichen und persönlichen Weiterentwicklung. Einige Beispiele unserer Tagungen und Seminare finden Sie ebenfalls in dieser Publikation. Vielleicht führt Sie eine Ihrer nächsten DB-Fahrten in die Schweiz. Jedenfalls wünschen wir Ihnen eine gute Reise. Heidi Bohren Head of Corporate Communications


Was ist schief gelaufen? Das Führungsverhalten der letzten 15 Jahre führte zu Ver­trauensverlusten bei Mitar­ beitern und in der Öffentlichkeit. Nicht von ­ungefähr. Vielerorts wurde kein einziger ­Fehler ausgelassen. Eine kritische Betrachtung. Mac J. Rohrbach Weitherum ist «Manager» zum Schimpfwort geworden. Leider nicht völlig unberechtigt und oft durch eigenes ­Verschulden. Das sollte uns aufrütteln.  Die Ablösung der «Human Relations» durch die «Human Resources» illustriert es augenfällig: Seit Beginn der neunziger Jahre fand in der Personalpolitik und im Führungsverhalten vor allem bei grösseren Unternehmen ein tiefgreifender Wandel statt. Zwar blieb Kommunikation in aller Munde, doch in Tat und Wahrheit – trotz oder vielleicht gerade wegen der neuen technischen Instrumente – verkam sie vielerorts zu reinen Lippenbekenntnissen. Dies ist einer der Gründe, weshalb wir heute einer massiven Vertrauenskrise gegenüberstehen. Auf der einen Seite haben sich Führung und Basis entfremdet, auf der anderen hat die Wirtschaft in der breiten Öffentlichkeit an Glaubwürdigkeit verloren. Hier ein Versuch, einige der Ursachen aufzuspüren.

Autokratische Führung: ein Rückfall um Jahrzehnte In den sechziger Jahren begann sich der damals noch von militärischen Mustern inspirierte Führungsstil aufzulösen. Er wandelte sich zum partizipativen Führungsprinzip. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erlebten so etwas wie eine Emanzipation. Durch mehr Kompetenz – Verlagerung bis zur tiefstmöglichen Stufe der Hierarchie: mit entsprechenden Vorgaben – erlangten sie eine verstärkte Gestaltungs- und Handlungsfähigkeit, was sich positiv auf ihre Identifikation mit dem Unternehmen und ihre Motivation auswirkte. Das Personal wurde somit nicht nur in den Top-downInforma­tionsfluss eingebunden, sondern bekam auch die Möglichkeit, die Unternehmenspolitik von unten nach oben zu beeinflussen und mitzugestalten. Kadavergehorsam war out, gefragt waren stattdessen kritisches Mitdenken und verantwortungsvolles Handeln. Das öffnete unter anderem auch den Weg für kreativere Organisationsformen. 6  |  MANAGEMENT SCHOOL ST.GALLEN | www.mssg.ch


In den neunziger Jahren, im Zuge massiver Restrukturierungen und der Ablösung älterer durch jüngere Führungskräfte, vollzog sich abrupt ein Wechsel zurück zu einer weitgehend eingleisigen – wenn nicht «diktatorischen» – Führungspraxis. Das leitete einen tiefgreifenden Kulturwandel ein. Der Mitarbeiter war kein zu pflegender «Kunde» mehr, sondern mutierte zur noch mürrisch geduldeten, doch leider nicht ganz verzichtbaren Produktionseinheit. Sein Know-how und seine Erfahrung galten plötzlich nicht mehr als Kapital und wurden in der Entscheidungsbildung kaum mehr berücksichtigt. K ­ ritische Geister galten a priori als suspekt, waren nicht mehr gefragt und riskierten, bei der nächsten Abbaurunde über die Klinge springen zu müssen. An der Spitze gefällte ­Entscheide konnten weder beeinflusst noch hinterfragt werden. Die Folgen davon sind nicht zu übersehen.   Durch die oft einsamen Entscheide verstärkte sich nicht nur die Anfälligkeit von Fehlentscheiden, sondern auch ihre Quote in oft dramatischer Weise: mit horrenden finanziellen Konsequenzen!

Einweg-«Kommunikation»: am Ziel vorbei Die interne Kommunikation verlor an Stellenwert. «Kommunikation» – in ihrer Definition immer ein Austausch – verkam zur Einweg-Information. Das Erfahrungs- und Ideenpotenzial der Mitarbeiter wurde kaum mehr genützt. Etwas galt als «kommuniziert», wenn eine Botschaft ins Intranet gestellt und die Medien und Kunden informiert waren.   Die Inhalte der – sowohl intern als auch extern – vermittelten Botschaften wurden nicht mehr kritisch hinterfragt und auf ihre Wirkung geprüft. Sie bestanden oft aus Schlagworten, Gemein­ plätzen, trendigen Phrasen, leeren Worthülsen, unverständlichem «anglophonem Chinesisch». Bei der Suche nach ihrem Gehalt zerbröckelten sie vielfach in nichts.   Der Basis fehlte zunehmend die Möglichkeit, die Intentionen ihres sprunghaften Managements zu erkennen und Entscheide nachzuvollziehen. Seine unsorgfältigen und verschleierten Botschaften wurden nicht mehr verstanden. Das erschwerte die Identifikation und führte nicht selten zu Sinnkrisen.   Die Motivation des zu Befehlsempfängern mutierten Personals nahm kontinuierlich ab, was sich in der Arbeitsethik niederschlug.

Akademisierung der Führung: wertvolles Kapital verschleudert Der deutschsprachige Raum verfügt über ein weltweit beispielhaftes Berufsbildungssystem, das durch die Möglichkeit der bausteinmässigen Weiterbildung an höheren Schulen noch verbessert wurde. Es ermöglicht, auf dem praktischen Weg beginnend, einen schulischen Aufstieg, der eine Alternative zum rein akademischen Weg darstellt. Bis zu Beginn der neunziger Jahre gab es noch viele Spitzenmanager, die ihre Karriere mit einer Berufslehre begonnen und sich dann systematisch weitergebildet hatten. Gegen­über Akademikern hatten Manager, die sich von unten nach oben gearbeitet hatten, oft den Vorteil, dass sie nicht nur Theoretiker, sondern auch Praktiker waren.   In den Umstrukturierungen entliessen viele Unternehmen ihre erfahrenen Manager und ersetzten diese durch jüngere bis sehr


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junge Hochschulabsolventen ohne Wirtschaftspraxis, Management- und Führungserfahrungen. Ihr Wissen fundierte oft nur auf schulischen Case Studies. Die Praktiker und handfesten Macher wurden zurückgebunden, zugunsten von noch unbewährten Theoretikern, die nun die Gangart bestimmten. Das führte unter anderem zu einem «akademischen Sog» und – in Kenntnis oder Unkenntnis des bewährten Berufsbildungssystems, bewusst oder unbewusst – zu einer wachsenden Missachtung von (stolzen) Berufsleuten ohne Hochschulbildung.

«Consultitis»: teuer und demotivierend Ein Nebenprodukt sowohl des wieder aufkommenden autokratischen Führungsstils als auch seiner Akademisierung ist die zunehmende «Consultitis». Immer häufiger übernahmen externe Berater für teures Geld Aufgaben, die – würde man das Know-how und den Ehrgeiz eigener Kräfte nicht unterschätzen – ebenso gut, wenn nicht besser, in jedem Fall aber praxisnäher auch intern gelöst werden könnten. Folgen:   Wegen des ausgebooteten (kritischen) Erfahrungskapitals fehlen die Korrekturmechanismen. Alle schon gemachten Fehler werden neu begangen und Irrläufe locker als «unternehmerische Risiken» abgetan. Das Pulver wird laufend neu erfunden und dafür teures Lehrgeld bezahlt.   Die neuen Manager kennen den Stallgeruch nicht mehr, schotten sich in ihren «Glascockpits» ab und fällen oft über alle Köpfe hinweg praxisfremde Entscheide, die später für viel Geld wieder korrigiert werden müssen.   Sie kennen die Front kaum und noch weniger die einzelnen Mitarbeiter. Das Wissen ist ihnen fremd, welch grosse motivierende Wirkung es zum Beispiel hat, wenn sich der «Patron» ab und zu auch bei der «Truppe» zeigt, auf die Menschen zugeht und sich für ihre Probleme interessiert. Glashaus-Manager begnügen sich mit abgedroschenen und hohlen Phrasen («Mensch im Mittelpunkt», «Mitarbeiter: das wichtigste Kapital») und erkennen nicht, wie unglaubwürdig sie sich damit machen. Viele scheinen sogar Gefallen in einer Bösewicht-Rolle zu finden («Bin nicht angestellt, um mich beliebt zu machen!»).   Statt den Ehrgeiz des eigenen Nachwuchses nachhaltig für «Change»-Projekte zu instrumentalisieren, wird das Personal durch den Einsatz von teuren, praxisfremden, dafür aber oft umso arroganter auftretenden Consultants mit meist nur theoretischem Background entmündigt und demotiviert (Motto: «Diese missbrauchen unser Know-how, benützen unsere Ideen, kreieren schöne Folien, machen tolle Präsentationen und verwandeln diese zu Gold!»).

Worte und Taten: fehlende Kongruenz Besonders erfolgreiche Unternehmen haben eine Gemeinsamkeit: Sie haben Chefs, die «Patrons» – Führerpersönlichkeiten in gutem Sinne – sind. Diese kennen nicht nur ihre Betriebe in- und auswendig, sondern auch ihre einzelnen Mitarbeiter mit ihren Stärken und Schwächen. Sie betrachten die Pflege ihres «wichtigsten Kapitals» und des Unternehmensklimas als ihre ureigendste Aufgabe und


greifen persönlich ein, wenn Probleme auftauchen. Die Praxis in der Führungslandschaft sieht seit den neunziger Jahren vielerorts erschreckend anders aus. Dies hat in vielen Fällen damit zu tun, dass Worte und Taten von Managern nicht kongruent sind und das Verhalten nicht konsequent. Beispiele gefällig?   Manager erklären, Leute über 45 oder 50 seien nicht mehr flexibel und dynamisch. Sie müssten deshalb durch junge Kräfte ersetzt werden. Dabei sind sie selber so alt oder noch älter und eigentlich die besten Beispiele dafür, was von dieser Aussage zu halten ist. Warum kleben sie, wenn sie von der abnehmenden Leistungsfähigkeit ihrer Jahrgänge überzeugt sind, an ihren Posten und scheiden nicht selber aus?   Manager predigen Demut, halten das Personal zu unerbittlichem Sparen an, überzeugen die Mitarbeiter, weshalb die Saläre nicht erhöht werden oder sogar gesenkt werden müssen, weshalb der Gürtel enger zu schnallen sei oder Stellen gestrichen werden müssten. Gleichzeitig nehmen sie sich von all dem aus: Sie fordern und akzeptieren zum Teil happige Gehaltserhöhungen und Fringe Benefits und betrachten es als völlig normal, dass sich die Einkommensschere weiter öffnet.   Manager bezeichnen sich in ihren Assessments als «sozialkompetent». Stehen unangenehme Aufgaben an – zum Beispiel die Entlassung von Mitarbeitern –, verstecken sich viele in ihren Bunkern und schicken andere vor, die sich unpopulär machen müssen. Das Unangenehme wird oft bis zum untersten Linienchef weiterdelegiert, der dann – mangels echter Begründungsfähigkeit und wegen persönlicher Verbundenheit mit den Entlassungsopfern – meist völlig überfordert ist.

Angst vor Emotionen: Egomanie oder Feigheit? Wo immer Personal entlassen wird, gleicht sich das Bild: Die Entlassungsopfer rechnen zwar oft damit und können verstandesmässig erstaunlich gut damit umgehen. Womit sie jedoch nicht umgehen können, ist die oft unbedarfte bis rüde Art, in der sich ihre Entlassungen vollziehen: ohne den elementarsten Stil («Nach 35 Jahren Aufopferung für diese Firma vertrieben wie ein räudiger Hund!»). Wer einen Mitarbeiter nach einer langen Karriere per SMS oder E-Mail entlässt – wenn möglich noch wenn dieser in den Ferien ist, hat zweifellos noch nie etwas von Sozialkompetenz gehört. Er ist schlicht ein Neandertaler!   Um die Harmonie nicht zu stören oder weil vielen Managern der Mut fehlt, äussern sie sich bei Mitarbeitern in Qualifikationsgesprächen selten offen über heikle Punkte. Das führt dazu, dass ein Mitarbeiter auch nach 10 oder 20 Jahren eine makellose Personalakte hat. Müssen Arbeitsplätze abgebaut werden, wird der Mitarbeiter mit bisher einwandfreien Qualifikationen plötzlich mit Vorwürfen konfrontiert, die ihn völlig aus dem Gleichgewicht bringen. Er wird Opfer eines Systems, das über Jahrzehnte versagt hat.  Leider ist festzustellen, dass vielen heutigen Führungskräften eine natürliche Herzenswärme und die Fantasie für die Situation von Menschen fehlt, die oft mit enormem Stolz unglaublich viel für ihre Firma leisten oder geleistet haben – und das für einen Bruchteil der finanziellen Entschädigung ihrer obersten Chefs. Sie können 10  |  MANAGEMENT SCHOOL ST.GALLEN | www.mssg.ch


nicht mit Emotionen umgehen und verdrängen diese deshalb. Leider sind nicht wenige von ihnen zu Egomanen in einer virtuellen Welt ohne Bezug zu den Realitäten von Normalbürgern geworden.

Kurzsichtige Veränderungsmanie statt Blick aufs Ganze Liegt es allein an der Börse, dass Unternehmen nur noch an ihrem kurzfristigen Erfolg gemessen werden? Oder auch daran, dass Semester- und Jahresresultate allein über Sein oder Nichtsein von CEOs und Managern entscheiden? Oder aber, dass diese den kurzfristigen Erfolg nur deshalb suchen, um sich fette Bonusse zu sichern? Der Wandel vom Unternehmer mit einem Blick fürs Ganze zu einem CEO mit offensichtlichem Kurzzeitfokus produzierte in den letzten 15 Jahren einen enormen Verschleiss an Ressourcen. Beispiele:   Der Zwang zum kurzfristigen Erfolg kreierte eine Umbau- und Änderungsmanie, die oft weit übers Ziel hinausschiesst und manchmal kontraproduktiv ist. Um – vermeintlich – seine Qualitäten ins richtige Licht zu stellen, muss und will jeder beweisen, dass das Bisherige untauglich war und etwas genial Neues eingeführt werden muss. Selbst dann, wenn das Bisherige ein unbestrittener Erfolgsfaktor war.   Ständig neu angezettelte und oft kaum zu Ende geführte Reorganisationen verbrennen viel Zeit und Geld, lähmen oft das Tagesgeschäft und verunsichern das Personal und die Kunden.   Wechsel der Chefs, sich rasch ablösende Organisationsänderungen und neu angerissene und nicht durchdachte Projekte, ­Stellenabbau und -wiederaufbau stören die Kontinuität und bringen Einbussen in der Performance. Das drückt auch auf die Leistung, erhöht den Stress und fördert Burnout-Symptome.   Erweisen sich die «Feuerwerke» neuer Führungskräfte nicht als erfolgreich, setzen diese sich entweder vorzeitig ab und sichern sich den nächsten Karrieresprung, bevor sie dafür in die Verantwortung genommen werden, oder aber sie riskieren, den Hut nehmen zu müssen. Das Spiel beginnt von vorn. Die häufigen Wechsel in Führungspositionen – sie haben oft eine Kettenreaktion zur Folge – zehren an der Substanz.

Vergessen: gesellschaftliche Verantwortung Herkömmliche Unternehmen waren sich ihrer Rolle im Dienste der Gesamtwirtschaft und ihres gesellschaftlichen Umfeldes bewusst und suchten im Idealfall ein harmonisches Gleichgewicht von Ökonomie, Ökologie und sozialer Verpflichtung herzustellen. Das zum möglichen Preis zeitweiliger Trockenperioden. Sie lebten von der Arbeitskraft ganzer Regionen und belebten diese zugleich in mannigfaltiger und massgeblicher Art. Ein Unternehmen verstand sich nicht als Selbstzweck, sondern – auch – als Quelle der Prosperität einer Gesellschaft. Es diente und verdiente: zum gegenseitigen Nutzen. Ergebnis davon: soziale Stabilität. Dieses Bild mag heute einer Gartenlaube gleichen. Die Realitäten haben sich in den letzten 15 Jahren radikal gewandelt:   Im Zuge der globalen Ausrichtung und der Digitalisierung liegt der Fokus beim Wachstum, bei der Positionierung auf den Weltmärkten, beim kurzfristigen Erfolg. Alles andere gilt als sekundär. Konzerne verstehen sich als «Weltbürger», als «heimatlose G ­ esellen»


und nicht mehr als Wohlstandsfaktoren ihres Landes. Sie sind zum Selbstzweck geworden.   Im Interesse des Konzernergebnisses wird in Kauf genommen, dass die Arbeitskraft im eigenen Lande auf eine Rumpforganisation reduziert wird und dass zum Grossteil im Ausland produziert wird. Viele Unternehmen betrachten es nicht mehr als ihre Aufgabe, Arbeitsplätze zu schaffen und zu erhalten. Sie fördern damit – wenn sich alle gleich verhalten – die Arbeitslosigkeit und schieben die Verantwortung dem Staat zu, der mit den wachsenden Soziallasten zunehmend überfordert ist und an den Rand des Kollapses steuert. Mit der sozialen Unrast nimmt auch die Stabilität ab, die für die Wirtschaft einen wichtigen Standortvorteil darstellt.   Ketzerisch gefragt: Was nützen längerfristig Unternehmen, die ausser Konzernspitzen und Stabsorganisationen keine Menschen mehr im eigenen Land beschäftigen, und was nützt es, wenn diese, statt Steuern zu bezahlen, am Tropf der Fürsorge hängen? Welchen Sinn haben sie, wenn sie – im grösseren Zusammenhang – nicht mehr dem Gemeinwohl dienen? Ziel und Nutzen einer Wirtschaft, die in China und anderswo Zehntausende von Arbeitsplätzen schafft und unterhält, aber den Wohlstand im eigenen Lande nicht mehr stimuliert, sind für Normalbürger nicht mehr erklärbar.

Rückzug aus der Solidarität: ein Irrweg Früher betrachtete es jedes Unternehmen als solidarische Pflicht, Nachwuchs auszubilden und zu fördern. Auch im eigenen Interesse, in einem Wechselspiel von Geben und Nehmen. Viele Unternehmen ­drücken sich heute vor dieser sozialen Aufgabe, bilden zum Beispiel keine Lehrlinge mehr aus oder geben Lehrabgängern keine Chance, Berufserfahrung zu sammeln. Sie ziehen es vor, von anderen ausgebildetes und erprobtes Personal zu übernehmen. Diese Haltung ist nicht nur egoistisch, sondern auch kurzsichtig.   Viele Unternehmen pflegten ihr soziales Image, indem sie zum Beispiel körperlich oder geistig behinderten Menschen eine Möglichkeit boten, auf würdige Weise einer bescheidenen Arbeit nachzugehen (oft bezahlt aus einem besonderen Fonds). Oder sie lagerten ein­fache Arbeiten an regionale geschützte Behindertenstätten aus. Viel davon ist – auch zu Lasten des Staates – auf der Strecke geblieben, weil solche Arbeiten in Drittweltländern noch billiger sind. Zieht man die Bilanz aus den gesamthaft nicht vitalen Einsparungen und dem Imageverlust, zeugt das nicht von viel politischem und sozialem Gespür.  Viele Unternehmer befruchteten früher den Staat, indem sie ihr Netzwerk und ihr Know-how auch in die Politik einbrachten. Heutige – betont apolitische – Manager distanzieren sich auf geradezu penetrante Art von öffentlicher Verantwortung. Sie wollen zwar von günstigen Rahmenbedingungen profitieren, sind aber nicht mehr bereit, sich für die Politik im weitesten Sinne einzubringen. Schade, denn sie könnten so viele Impulse geben!   Für eine Stadt oder Region sind auch solide Unternehmen keine verlässlichen Garanten mehr für den Wohlstand und die Weiterentwicklung ihres Umfeldes. Man muss gedanklich damit umgehen, dass sich ein Unternehmen kurzfristig von einem Standort zurückziehen oder grosse Betriebsteile schliessen und dabei viele «Leichen» zurücklassen könnte. Von ihrer Rolle als wohlhabende «Paten» in ihrem herkömmlichen Umfeld (Sport, kulturelle und soziale Institutionen) haben sie sich weitgehend zurückgezogen. 12  |  MANAGEMENT SCHOOL ST.GALLEN | www.mssg.ch


Die Pflege lokaler Behörden ist für viele Manager im Zeitalter der globalen Fokussierung im besten Falle eine lästige Pflicht. Auch deshalb, weil diese von irgendwo kommen, kurze Zeit bleiben und nirgends mehr verwurzelt sind. Folge: schwindender Goodwill und wachsendes Misstrauen gegenüber «ihren» Unternehmen und seinen obersten Exponenten.   Das provokative Fazit lautet: Heutige Führungskräfte glauben zwar, global zu denken. Wirklich? Verglichen mit ihren Vorgängern, wirken viele von ihnen – angesichts ihrer engen Denkhorizonte und ihrer begrenzten Fokussierung auf sich und ihr Unternehmen – verblüffend eindimensional. Man denke einmal darüber nach!

Das Fazit: mehr als ernüchternd Das Schlagwort «Globalisierung», über dessen Sinn die unterschiedlichsten Vorstellungen herrschen, sorgte bei vielen – auch mittelgrossen – Unternehmen für Wirrnis. Da man den Eindruck hatte, sich, überspitzt formuliert, die ganze Welt unter den Nagel reissen zu können oder zu müssen, verschob sich der Fokus von einem harmonischen und sinnvollen Wachstum auf einen oft schwer kon­ trollierbaren Expansionswahn. Das führte zu einer fieberhaften, mit grosser Unrast verbundenen «Aktivitis» in den Unternehmensführungen. Viele sind daran zugrunde gegangen. Altes, auch Bewährtes wie etablierte Marken, wurde gedankenlos entsorgt und musste oft fragwürdigem Neuem Platz machen. Kurzfristige Erfolge, mit denen man sich an der Börse und in den Medien sonnen konnte, wurden zum Mass aller Dinge.   Demgegenüber rückte die nachhaltige Entwicklung in den Hintergrund. Ständige Reorganisationen und Umbildungen in der Führungsstruktur verbrannten enorme Ressourcen, brachten aber – weil oft kaum zu Ende geführt – kaum die erhoffte Wirkung. Diese Hyperaktivität verunsicherte und lähmte vielerorts das Getriebe der Unternehmen. Oft vermochten die Schiffe den erratischen Steuerausschlägen auf den Kommandobrücken nicht mehr zu folgen. Alle waren primär mit sich selber und ihrem persönlichen Überleben in der Organisation beschäftigt. Viele der sozusagen von der Mode diktierten und vermeintlich notwendigen Prozesse zur Unternehmenssicherung und besseren Positionierung zerrieben sich an sich selber und entpuppten sich als kontraproduktiv.   Weitgehend auf der Strecke blieb die anständige Führung des wichtigsten Elementes einer funktionierenden Organisation. Ausgeblendet wurde die Frage nach dem letztlichen Sinn wirtschaftlichen Tuns im gesamtökonomischen, sozialen und ökologischen Kontext. Wir wagen zu behaupten, dass Unternehmen, die ihrer Gesellschaft nicht mehr dienen (wollen), sich selber ihren Sinn entziehen. Und ebenso die Manager, die ihre Rolle auf ihre Selbstentfaltung und eigene lukrative Interessen reduzieren.

Der Autor Mac J. Rohrbach ist verantwortlicher Leiter für internationale Management ­Education bei der Management School St.Gallen. Die Beratung in Strategie­ entwicklung und ­Finanzmanagement gehört zu seinen Schwerpunkten. Seine vielfältige Erfahrung basiert auf einer langjährigen Beratungs- und Schulungs­ aktivität für international tätige Unternehmen und Organisationen. Aktuelles Wissen zu vermitteln, erfolgreiche Erfahrungen weiterzugeben und Managementlaufbahnen zu fördern, erfüllt ihn mit besonderer Leidenschaft.


Auf dornigen Wegen wachsen

Wie kommt es, dass nach Krisen die einen wie Phönix aus der Asche wiederauferstehen, während andere total einbrechen? Dass viele selbst aus den härtesten Erfahrungen nichts lernen, wie Einstein meinte, während ­Thomas Mann für eine bestimmte Sorte Mensch feststellte, dass «das Grosse im Trotzdem entsteht»? Martina Rummel Führungskräfte tun gut daran, sich ab und zu die ­Fragen zu stellen: Verstehe und akzeptiere ich wirklich die R ­ ealität meiner Situation? Bin ich auf den Worst Case vorbereitet?  Gute, gesundheitsfördernde Arbeitsbedingungen sind eine berechtigte Forderung. Niemand würde ernsthaft bestreiten wollen, wie wichtig es ist, Mitarbeitenden wertschätzend zu begegnen, sie zu motivieren und gute, «gesunde» Arbeitsbedingungen zu schaffen. Viele Führungskräfte, die gut führen möchten, sind allerdings besorgt darüber, in Krisen diese Bedingungen nicht schaffen zu können. Stehen sie in einer solchen Situation selbst unter Stress, besteht die Gefahr, dass die Mitarbeitenden noch mehr in Schwierigkeiten kommen. «More than education, more than experience, more than training, a person’s level of resilience will determine who succeeds and who fails. That’s true in the cancer ward, it’s true in the Olympics, and it’s true in the boardroom» (Dean Becker, CEO Adaptiv Learn­ing Systems).*

Die Führungsperson: Eine Arbeitsbedingung Jeder weiss, dass die Vorgesetzten selbst die vielleicht wichtigste Arbeitsbedingung darstellen. Fallen Vorgesetze «aus der Rolle», baden es die Mitarbeiter aus: mit Demotivation und nicht selten mit psychosomatischen Störungen. Dabei ist nicht nur der viel­zitierte A-Faktor angesprochen – Chefs, welche die gute Kinderstube ­vermissen lassen, seien hier gar nicht erst erwähnt. Aber wie viele 14  |  MANAGEMENT SCHOOL ST.GALLEN | www.mssg.ch


Führungskräfte überreagieren, wenn sie selbst unter Stress und Angst geraten oder mit den Anforderungen physisch und psychisch überfordert sind …  Nur: Das gilt für die einen mehr, für die anderen aber weniger. Ebenso wie die einen Mitarbeiter unter katastrophalen Bedingungen leiden, während andere sie verändern – oder aber gehen. Die einen bleiben nach Rückschlägen im Loch hängen, andere erholen sich schnell. Diese «anderen» nennt man resilient, ein Unterschied, der offenbar einen Unterschied macht.

Stehaufmännchen-Qualitäten … Unter Resilienz versteht man die Fähigkeit, negative Situationen, ­Krisen und Rückschläge zu meistern. Eigenen Kummer zu bewälti­ gen, statt darin zu ertrinken, auch negativen Erfahrungen Sinn zu geben und sie dadurch positiv umzudeuten, Selbstheilungskräfte zu mobilisieren und Herausforderungen mit Mut, Disziplin und ­Glauben an die eigene Selbstwirksamkeit zu begegnen – ohne dabei in Illusionen zu verfallen. Der Begriff stammt ursprünglich aus der Physik und bezeichnete eine Materialeigenschaft, nämlich, nach Belastungen in den Ursprungszustand zurückzukehren. Resilienz • Realitätssinn: Den Fakten nüchtern ins Auge sehen (Verstehbarkeit) • Pragmatismus und Improvisationstalent (Machbarkeit / Bewältigbarkeit) • I n schrecklichen Zeiten noch Sinn sehen (Sinnhaftigkeit und Bedeutsamkeit) • S ozialkompetenz: Beziehungen aufbauen (soziale Unterstützung) Resilienz entsteht nicht unter Verwöhnungsbedingungen oder in «klinisch reinen» Lebenslagen, sondern bildet sich durch Bean­ spruchung.  In der Krise ist es für Prävention zu spät. Der Forderungskatalog der Arbeitswissenschaften zu «salutogenetisch günstigen» Arbeitsbedingungen ist ja in den «schlechten Zeiten» kaum einzuhalten. Gerade dann erscheinen die Dinge nicht verstehbar, nicht machbar und oft nicht einmal sinnhaft. Es mangelt an sozialer Unterstützung, und alle fühlen sich, wenn nicht ganz überfordert, doch zumindest arg strapaziert. Die Freundlichkeit geht zurück, die «gute Kommuni­kation» leidet.

… sind durchaus lernbar Resilienz kann man fördern, aber möglicherweise nur begrenzt in künstlichen Settings wie etwa einem Training. Auch als eitle Selbstzuschreibung, etwa bei der Bewerbung, ist der Begriff untauglich: Resilienz erweist sich nach der Krise und ist als «Potenzial» nicht messbar.  Doch man kann daran arbeiten, sogar noch in der Krise. Denn Widerstandsfähigkeit wächst in der Krise und durch die Krise selbst. Einige konkrete «Talente» können Führungskräfte gegenüber ihren Mitarbeitern fördern und auch bei sich selbst entwickeln.


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Der Realität ins Auge sehen Optimismus ist etwas Schönes, doch resiliente Menschen haben neben Lebenszuversicht sehr nüchterne Ansichten genau über die Aspekte von Realität, die für das Überleben zählen. Sie machen sich keine Illusionen, sondern können Beeinflussbares von nicht Beeinflussbarem unterscheiden. Sie haben einen Plan B, sind auf den Worst Case vorbereitet. Die Investmentbank Morgan Stanley beispielsweise, der grösste Mieter im World Trade Center, beschäftigte dort zum Zeitpunkt des 11. September 2001 etwa 2700 Mitarbeiter. Als das erste Flugzeug um 8.46 Uhr einen Turm traf, startete Morgan Stanley genau eine Minute später, um 8.47 Uhr, die Evakuierung. Das Unternehmen hatte seine Mitarbeiter binnen fünfzehn Minuten in Sicherheit gebracht und verlor «nur» sieben Mitarbeiter. Die Rettung gelang, weil die Bank direkt nach der ersten Attacke auf das World Trade Center im Jahre 1993 ein extrem ernsthaftes Sicherheitstraining angeordnet und im Gegensatz zu vielen anderen Firmen mit militärischer Disziplin über Jahre hinweg durchgezogen hatte. Auch für seine Back-up-Büros war Morgan Stanley zuvor eher belächelt worden …  Führungskräfte tun gut daran, sich ab und zu folgende Fragen zu stellen: Verstehe und akzeptiere ich wirklich die Realität meiner Situation? Bin ich auf den Worst Case vorbereitet? Auch wenn ich dazu Schutzbehauptungen aufgeben und negative Emotionen aushalten muss? Realismus in Krisen fördern • Gut und relevant informieren. • Nichts beschönigen, keine falschen Versprechungen machen. • Den Worst Case benennen und sich darauf vorbereiten, ohne Panik zu erzeugen. • Differenzieren: Was bleibt positiv und verlässlich? • Eigenverantwortung und Robustheit («Wegstecken») einfordern. • Mitarbeitern verdeutlichen, in welchen Aspekten für sie gesorgt wird und in welchen nicht. • Abschied von Dingen einfordern, die nicht mehr sind. Abschiedsrituale nutzen. • Möglichkeiten zum Austausch schaffen, aber Jammern ­unterbinden. Jammern und hysterisches Dramatisieren hält von der Einstellung auf die Realität ab.

Pragmatismus und Improvisationstalent In Krisen überleben die, welche aus allem etwas machen können. Zum Beispiel aus Brennnesseln Spinat, aus zusammengeschweissten Nägeln Schrauben und aus Autoteilen Helikopter… Jeder kennt Menschen mit diesem Talent, jeder kann es bei sich ausbauen. «Das Beste draus machen» ist ein wichtiger Aspekt von Resilienz. Levi Strauss benützte den französischen Begriff «bricolage» für die Fähigkeit, aus allem, was zur Verfügung steht, etwas herzustellen.  Tüfteln, spielerisch an Dinge herangehen, auch im grösseren Stil, kostet oft wenig und bringt Lösungen. Dabei geht es nicht um planloses Wursteln. Was zählt, ist der radikale Lösungswille – mit den Bedingungen, die eben da sind! Oft hilft im Dickicht der Unwägbarkeiten auch das pragmatische «Weitermachen». Mit den


Basics, mit der Tagesstruktur, mit dem Alltag. Das schafft Sicherheiten und Atempausen in der Veränderung. Radikal lösungsorientiert denken und handeln • Basteln und Improvisieren setzt wie jeder kreative Problemlöseprozess den Willen zum Lösen voraus. • Mit dem umgehen, was da ist! So weit kommen, wie man eben kommt. • Die kleine, unfertige Lösung akzeptieren und nutzen für den nächsten Schritt. • Eine «Es geht»-Haltung, die das Vorankommen an sich würdigt, selbst wenn der Erfolg auf sich warten lässt. Darauf setzen, dass sich der weitere Weg beim Gehen eröffnet. • Employability nach innen und aussen fördern – lebenslanges ­Lernen als Arbeitshaltung. • Mitarbeiter zum Ausprobieren ermutigen, Kreativität fördern, unkonventionelle Lösungen begrüssen. • Probleme anhören, aber immer mit dem Satz: Sie haben doch da sicher schon eine Idee? • Hemmungsloses Nachmachen ist okay. Was funktioniert, wird akzeptiert. • Normal weiterarbeiten. Tun, was zählt.

Sinn und Bedeutung suchen Der Psychiater und Auschwitz-Überlebende Viktor Frankl schuf inmitten des Leidens die «Logotherapie» (Logos = Sinn). Im Lager überkam ihn tiefes Entsetzen darüber, wie bedeutungslos sein Leben geworden war. Er schuf sich Sinn durch die Imagination, wie er nach dem Lager Lesungen über die Psychologie des Lagers halten würde, um Aussenstehenden zu vermitteln, was er durchlebt hatte. Dies ermöglichte ihm, sich Ziele zu setzen, durch die er sich immer wieder für Momente über das Leiden erheben konnte. Sinn liegt stets tiefer als das Materielle. In Krisen geht es darum, der Krise selbst etwas Positives abzugewinnen… als Lernprozess das Gute im Schlechten zu sehen.  Üben Sie Ihr Talent zur Sinnkonstruktion durch «Reframing». Geben Sie Dingen eine andere Bedeutung. Wie die tief gläubige Führungskraft, die ihre anstrengende Mitarbeiterin «umdeutet»: als «persönliches Trainingslager», von Gott gesandte Entwicklungsaufgabe zum Thema Geduld. Oder wie meine Freundin, die – als ihr Auto morgens liegen blieb und sie die Bahn nehmen musste – einfach meinte: Heute lasse ich mich einmal fahren! Sinn und Zusammenhalt thematisieren und mobilisieren • Übergeordnete Sinnbezüge verdeutlichen. Reframing. Das, was Sinn gibt, herausstellen. • Menschlichen Zusammenhalt fördern. Ethische Werte wahren, Kernwerte ansprechen. • Die Fähigkeit zu Beschränkung und Bescheidenheit einfordern und als Wert verteidigen. Das Gute in den «Basics» (Essen, Schlafen, Atmen…) betonen. • Die Messlatte hochlegen. Selbstverständlichkeiten im sozialen Handeln nicht betulich belobigen – Verantwortungsübernahme selbstverständlich voraussetzen. 18  |  MANAGEMENT SCHOOL ST.GALLEN | www.mssg.ch


• «Erwachsene» Ansprache, Zutrauen! Wachstumsmöglichkeit ansprechen und Reife einfordern: Wer behandelt wird, als sei er nicht robust, wird anspruchsvoll und zimperlich. • Kleine Fluchten ermöglichen, um mit Kreativität und Imagination einer unerträglichen Realität etwas entgegenzusetzen. Lebendigkeit, Lust, Kreativität, Fantasie und Spontaneität auch in schwierigen Zeiten • Arbeit am Selbstwert: Auf das Klima achten. Ich-Botschaften statt Kritik äussern. • Humor, um der Situation die Dramatik zu nehmen. Auch schwarzer Humor hilft. Eine resiliente Organisation braucht starke Werte, welche die ­Menschen binden (Beispiel: katholische Kirche). Resiliente Personen stellen sich nämlich in bestimmten Momenten unter Umständen gegen die Organisation. So bemerkte Viktor Frankl, dass die KZHäftlinge, die überlebten, bereit waren, jedes Mittel einzusetzen, ehrliche, aber auch brutale. «Wir», so schrieb er, «die es geschafft haben, wir wissen: Die Besten von uns sind nicht zurückgekommen».

Individuum und Organisation unterscheiden In Zeiten der Krise ist es deshalb gleichermassen wichtig, bindende Werte zu forcieren und Menschen in der sozialen Gemeinschaft zu halten, wie die individuelle Resilienz so zu aktivieren, dass eigenständiges Handeln gewährleistet ist. Resiliente Menschen opfern ihr individuelles Überleben nicht der Organisation, aber sie sind Partner, mit denen man auf Augenhöhe verhandeln kann.  Wenn diese Augenhöhe gewahrt bleibt, wachsen das Vertrauen und die gegenseitige Wertschätzung. Wir alle wissen, dass gemeinsam bewältigte Krisen Beziehungen stärken und verändern. In allen Veröffentlichungen zum Thema Leadership in Kriegen, Terrorsitua­ tionen oder Katastrophen wird deshalb die Bedeutung von Empathie und Förderung des «wir» herausgehoben. Denn menschlicher Kontakt, menschliche Glaubwürdigkeit und Integrität stiften Sinn. Viele Menschen helfen sich aus Krisen emotional heraus mit dem Satz: Ich habe neue Freunde gefunden und gemerkt, dass Menschen zu mir stehen.  Für Unternehmen, die Mitarbeiter abbauen müssen, bedeuten Fairness und Integrität im Umgang miteinander eine Investition in die Zukunft im Sinne der Resilienz der Organisation. Zum einen, weil alle, nicht nur die «Veränderungsverlierer», daraus ihre Schlüsse ziehen. Und zum andern, weil man sich im «War for Talents» nach einer Trennung möglicherweise ein zweites Mal sieht.

Die Autorin Dr. Martina Rummel ist Arbeits- und Organisations­psychologin. Sie wirkt als Beraterin, Facilitator und Coach vor allem für die Industrie, aber auch in Krankenhäusern und Verwaltungen. Sie führt Lehraufträge an verschiedenen Universitäten und Fachhochschulen durch. An der Management School St.Gallen gehört sie zum Referententeam in den Leadership-Programmen. Kontakt zur Autorin: m.rummel@mssg.ch


Resilienz als Schlüssel zur Leadership Was macht Menschen und Organi­ sationen nicht nur lebens-, sondern widerstands- und überlebensfähig? Weshalb brechen manche in Krisen und Wandel ein, während andere gestärkt daraus hervorgehen? ­ Dahinter steckt in der Regel kein «Lucky Punch», sondern eine von der ­Wissenschaft erforschte – und in der Praxis erlernbare – Leadership-­ Qualität: Resilienz.

Tagungsleitung Dr. Martina Rummel Faculty Board Management School St.Gallen

Daten 2014 Termin  24. Oktober 2014, München Tagungskosten  CHF 1150.– Detaillierte Informationen und Online-Anmeldung: www.mssg.ch/resilienz 20  |  MANAGEMENT SCHOOL ST.GALLEN | www.mssg.ch


IMPU L S TAG U N G

Resilienz Der Schlüssel zur Leadership Impulstagung mit Dr. Martina Rummel

Management School St.Gallen BETTER BUSINESS

Agenda Tagungsprogramm und ausgewählte Themen 08.30

Begrüssung und Einführung

09.30 Runde I: Mit System zur Resilienz Systemebenen und S­ chlüsselkriterien der Resilienz Impulsreferat mit Diskussion

Pause und Erfrischungen

11.00 Runde II: Resilienz als Leader-Qualität Handlungsempfehlungen für die Führung Impulsreferat mit Diskussion 11.30 Runde III: Workshop individuelle Resilienz Persönliche Überlebenskraft trainieren Reflexion und Praxistransfer 12.00 Zwischenrunde Schlussfolgerungen zu den R ­ unden I bis III 12.30 Mittagessen 14.00 Runde IV: Wege zur Resilienzkultur Individuelle und kollektive Resilienz Impulsreferat mit Diskussion 15.30 Runde V: Workshop kollektive Referenz Organisatorische Überlebens­kraft trainieren Reflexion und Praxistransfer

Pause und Erfrischungen

16.30 Schlussrunde Management Summary und Feedback zur Tagung ca. 17.00

Ende der Veranstaltung


Advanced Leadership Mehr Standfestigkeit in komplexen Systemen: Wie Führungskräfte ihre ­Leadership mit vernetzten Ideen, klaren Werten, persönlicher Courage und neuer Energie w ­ eiterentwickeln können. Die heutige Arbeitswelt ist hochgradig komplex und verändert sich immer kurzzyklischer. Die Fähigkeit, Menschen zu beeinflussen, mitzureissen und durch Komplexität und turbulenten Wandel zu führen, wird mit «Leadership» bezeichnet. Es geht darum, Menschen dafür zu gewinnen, selbstverantwortlich im Sinne organisationaler Ziele und Visionen zu denken und zu handeln. Für die Führungskraft bedeutet dies, sich beständig mit Veränderung auseinanderzusetzen und die eigenen ­Leadership-Qualitäten laufend weiterzuentwickeln. Menschen mit Führungsverantwortung gewinnen an Effektivität und kommunikativer Wirksamkeit, wenn sie die in komplexen ­(lebenden/sozialen) Systemen wirksamen ­Mechanismen ­kennen. Die eigene Person in ihrem Einfluss auf ihr Umfeld und ihre Handlungsfelder auf dieser Basis zu reflektieren und weiterzuentwickeln, befähigt zu «Advanced Leadership». Themenfokus Management, Führung und Leadership • Leadership und Persönlichkeit • Ideen und vernetztes Denken • Werte • Courage • Energie • Wahrnehmung und B ­ eurteilung • Konflikt­bewältigung • Leading Teams • Leading Change • Leading Leaders • Leadership interkulturell • Nehmer-Qualitäten  | Detailinfos unter www.mssg.ch

Teilnehmerkreis Erfahrene Führungskräfte, die ihre Effizienz und Effektivität im Hinblick auf kom­ plexere Aufgaben und ein zunehmend anforderungsreicheres Führungsumfeld auf ein höheres Niveau bringen wollen. Für einen noch wirkungsvolleren und nachhaltigeren ­Führungserfolg. Vom Seminar zum Lehrgang Die Inhalte dieses Seminars können Sie sich auch innerhalb des St.Galler Leadership Lehrgangs aneignen. Mehr dazu auf Seite 28.

Daten 2014 3. Termin 1. bis 4. Sept., Luzern 4. Termin 20. bis 23. Okt., Luzern

Daten 2015 1. Termin 9. bis 12. März, Heiden 2. Termin 27. bis 30. April, Luzern 3. Termin 24. bis 27. Aug., Luzern 4. Termin 19. bis 22. Okt., Luzern

Seminarkosten |  CHF 5’300.–  5 4’400.–* *Abhängig vom aktuellen Tageskurs, Rechnungstellung in Euro möglich

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Personal Performance Selbstbild und Fremdbild im Einklang: Wie ­Manager ihre Wirkung auf Mit­ar­beiter und Kunden kritisch h ­ interfragen, systematisch ­beeinflussen und z­ ielorientiert e­ insetzen k­ önnen. Kommunikation mit Körper, Sprache und A ­ us­­strahlung. Personal Performance ist weitgehend geprägt durch die verschiedenen ­Formen der Interaktion. Dabei wirkt die Ausstrahlung der Person in jeder Gruppe ­anders. Die Konsequenz: Jeder Einzelne kann sein Image, seine Kultur, Mimik und Intonation nur in einer Vielzahl von Gruppen und in einer Vielzahl von Rollen, Körperhaltungen und Gesten leben. Die Führungskraft ist diesem Prozess von Selbst- und Fremdbildgestaltung nicht einfach ausgesetzt – sie kann die Fremdwahrnehmungen aktiv beeinflussen und steuern. Vom leitenden Mitarbeitenden wird verlangt, dass er Erwartungen, die G ­ esprächs- und Diskussionspartner an ihn in seiner Rolle und an ihn selbst stellen, mit den Eigenheiten seiner Persönlichkeit koordiniert: «Personal Performance» hilft ihm, eingefahrene Verhaltensweisen zu reflektieren und zu revidieren – und macht ihn zum charismatischen und auch in Ausnahmesituationen überzeugenden Leader. Themenfokus Körperbewusstsein und Körper­gedächtnis (Ausdrucksbildung) • Das Abc der Körpersignale (Ausdrucksentwicklung) • Die Kunst des wirkungsvollen Sprechens • Rhetorik • Improvisation und Reaktionsfähigkeit • Rollenflexibilität und ­Ausdrucksspektrum • ­Umgangsformen und Etikette • Präsenz und Darstellungskraft • Storytelling • Präsentation und Vortrag • Stressbewältigung bei schwierigen Verhandlungen • Kommunikation • Der überzeugende Medienauftritt  | Detailinfos unter www.mssg.ch Teilnehmerkreis «Personal Performance» ist zugeschnitten auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die erfahren wollen, wie ihre Verhaltensweisen auf andere wirken. Angesprochen sind Manager aus allen Unternehmensbereichen, die Spitzenpositionen anstreben oder ihr Unternehmen s­ owohl nach innen wie nach aussen vertreten. Vom Seminar zum Lehrgang Die Inhalte dieses Seminars können Sie sich auch innerhalb des St.Galler Leadership Lehrgangs und des Personal Development Programs aneignen. Mehr dazu auf den ­Seiten 28 und 30.

Daten 2014 2. Termin 23. bis 26. Juni, Luzern 3. Termin 13. bis 16. Okt., Luzern 4. Termin 24. bis 27. Nov., Luzern

Daten 2015 1. Termin 20. bis 23. April, Luzern 2. Termin 22. bis 25. Juni, Luzern 3. Termin 28. Sept. bis 1. Okt., Luzern 4. Termin 23. bis 26. Nov., Horn/Bodensee

Seminarkosten | CHF 5’300.–  5 4’400.–* *Abhängig vom aktuellen Tageskurs, Rechnungstellung in Euro möglich


Von Heiligen und Pretty Woman…

… oder Storytelling als Marketinginstrument. Was wir Menschen lernen und erleben, legen wir nicht nur als einzelne Fakten in einer Art Zettelkasten unseres Gehirns ab, vielmehr speichern wir Geschichten, die mit Emotionen verknüpft werden. Deshalb wirken Botschaften, die in Geschichten verpackt sind, viel stärker als blosse Fakten. Dr. Werner T. Fuchs «Ladies! Egal, was Sie Euch sagen. Es geht immer nur um Geld!» Mit dieser düsteren Behauptung beginnt «Pretty Woman», einer der populärsten Filme der letzten Jahrzehnte. Und wer diesen Auftakt vergessen hat, befindet sich in bester Gesellschaft. Denn selbst Mehrfachseher sind der festen Überzeugung, Ihr Lieblingsfilm habe einen poetischeren Auftakt. Aber so tickt der Mensch eben. Er legt sich Geschichten so zurecht, dass sie für ihn stimmen. Daher blendet er auch die letzte Szene aus. Die gehört nämlich nicht Julia Roberts und Richard Gere auf der Feuerleiter, sondern einem Nobody, der über die Strasse eilt und sagt: «Willkommen in Hollywood! Wovon träumen wir? Irgendwann kommt jeder mal hierher. Das ist Holly­ wood, das Land der Träume. Manche Träume erfüllen sich und andere nicht.»    In einem unerfüllbaren Traum gefangen sind auch Marketingverantwortliche, die noch immer daran glauben, der Mensch sei ein rationales Wesen. Diesem Irrtum sind erfolgreiche Werber nie erlegen. Intuitiv nahmen sie deshalb vorweg, was Neurowissenschaftler mit ihren Hightech-Geräten heute beweisen und Altmeister Goethe vor bald 20 Jahren mit dem Satz «Du glaubst zu schieben, und du wirst geschoben» auf den Punkt brachte. Aber wie bringt man diese Erkenntnis in Köpfe, in denen Marketingstrategien ausgeheckt, Massnahmen gemixt und Informationspakete geschnürt werden? Zumal Hirnforscher der Meinung sind, Lernen durch Einsicht werde masslos überschätzt. Viele Möglichkeiten bleiben nicht. Denn dummerweise funktioniert das Gehirn nach dem Motto: Ändern, nur wenn nötig. Und da dieses Prinzip den Praxistest schon vor zwei Millionen Jahren bestanden hat, wird die Evolution kaum

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daran r­ütteln. Wenn «gut zureden» wenig bringt, bleibt eigentlich nur noch die Wahl zwischen Belohnen oder Bestrafen. Oder zwischen Verführung und Leidensdruck. Bezeichnenderweise sind beide Methoden mit starken Gefühlen verbunden, was schon eine gute Voraussetzung ist, die unbewusst arbeitenden ­Hirnareale zu erreichen.

Zeichensprache des Unbewussten Verführen ist natürlich weit schicker, als mit Drohgebärden aufzuwarten. Aber da sich nur verführen lässt, wer dazu bereit ist, muss es wohl der Leidensdruck richten. Und dem wird man spätestens dann nachgeben, wenn man von Konkurrenten überholt wird, die sich mit der Zeichensprache des Unbewussten bereits vertraut machten und weshalb die Kunst des Geschichtenerzählens nicht mehr an Werbeagenturen delegieren. Wirkungsvoll ist auch der Leidensdruck, mit dem Ausbildungsinstitute arbeiten. Denn wer Prüfungen bestehen will, muss eben das wiederholen können, was man ihn gelehrt hat. Aber eine Sichtung der gängigen deutschsprachigen Unterrichtswerke stimmt wenig hoffnungsvoll. Als revolutionär gilt nämlich bereits der Hinweis, der Mensch verhalte sich auch emotional. Doch die wahren Kräfteverhältnisse wird nur verinnerlichen, wer im Vorwort seines Lehrbuchs «Der Mensch verhält sich auch rational» gelesen hat. Womit ein Marketingleiter mit diesem Bildungsrucksack rechnen muss, soll der Blick in die Aufzeichnungen eines fiktiven Helden zeigen, der im Kampf für das Neue als Sieger vom Platz gegangen ist: Cosanova, so wollen wir ihn nennen, ist klug genug, nicht mit der Tür ins Haus zu fallen. Daher lässt er vorerst alles beim Alten. Denn auf der ersten Karte, die ein erfolgreicher Verführer ausspielt, blickt uns ein Sicherheitsbeamter entgegen. Eine Geschichte, die nicht an Bekanntes anknüpft, beunruhigt das Publikum. Für die Bewertung der Originalität gilt deshalb die alte MAYA-Regel oder Most Advanced Yet Acceptable. Da Veränderungen im eigenen Verantwortungsbereich einer Legitimierung bedürfen, überreicht Casanova seinem Vorgesetzten ein wunderschön gestaltetes Weissbuch mit dem Titel «Alles, was Sie schon immer über die erfolgreichste Strategie wissen wollten». In ihm finden sich unzählige und wissenschaftlich gut abgesicherte Argumente, um den Einsatz von Neuromarketing und Storytelling in den Vorstandsetagen zu legitimieren. Klassische Handwerksarbeit also, aber mit der Geschichte von der Schönheit und Stil aufgepeppt.

Checkliste eines Storytellers Sein Team überzeugt Cosanova von der neuen Richtung, indem er zur Grillparty einlädt und im nächsten Meeting die Geschichten in Erinnerung ruft, in denen die Gäste von Produkten, Ideen, Charaktereigenschaften oder Dienstleistungen sprachen. Denn damit war allen klar, dass unser Gehirn komplexe Informationen immer in Geschichten verpackt. Warum es beim Verführen um das Erzählen einer guten Geschichte geht, leuchtete einem Arbeitskollegen allerdings erst nach einem ausserdienstlichen Gespräch unter Männern ein. Denn in einem Rahmen, frei von jeglicher Political Correctness, analysierte man mit der Checkliste eines Storytellers, wie erfolgreiches Marketing im ältesten Gewerbe der Welt funktioniert.


Und zu den ersten intellektuellen Highlights gehörte die Erkenntnis, dass der Wahrheitsgehalt einer Geschichte gar nicht so wichtig ist, solange der Kunde an sie glauben kann und will. Zudem gibt es offenbar einen Zusammenhang zwischen der Qualität des Produkts und der Notwendigkeit, eine gute Geschichte zu erzählen. Da eine Checkliste nur etwas taugt, wenn sie überall und jederzeit eingesetzt werden kann, spielten die beiden anhand ihrer Erinnerungen Cosanovas Modell durch. Am meisten zu diskutieren gab die Behauptung, dass jede gute Geschichte schon einmal erzählt wurde. Denn weil Cosanovas Arbeitskollege Kulisse mit Thema verwechselte, bestand er darauf, dass es keine Mustervorlagen gibt. Da dieser Fehler so häufig ist, holte der Berufsverführer etwas weiter aus und zählte die 18 Plots auf, mit denen Drehbuchautoren arbeiten. Danach schlüpfte er in die Rolle eines Biologielehrers, weil Nachhilfeunterricht in Evolutionslehre den Fragenkatalog nach dem Nutzen erheblich reduziert. Denn das Unbewusste gewichtet Informationspakete zuerst immer nach dem Kriterium, ob ihr Empfang die Wahrscheinlichkeit erhöht, bei der Reproduktion, Anpassung und dem Überleben einen Wettbewerbsvorteil zu haben.

Moralisches Glatteis Da die beiden bei diesem Punkt auf dem moralischen Glatteis einbrachen, suchten sie Rettung in der Nennung weiterer Urthemen. Doch sie fanden lediglich andere Namen für bereits genannte. Immerhin kam die Überzeugung hinzu, dass die Festlegung auf ein Hauptthema vor einer verwirrenden Marketingkommunikation schützt. Das ist deshalb wichtig, weil eine gute Geschichte auch stimmige Antworten auf die drei Fragen «Wer bin ich?», «Wer ist der andere?», «Wo ist mein Platz in dieser Welt?» liefern sollte. Diesen Aspekt auf das Anwendungsbeispiel zu übertragen, fiel dem Kollegen erheblich leichter. Zu peinlichen Momenten kam es, als es um die Prägungsstärke einer Geschichte ging. Denn ob wir einer Geschichte unsere Aufmerksamkeit schenken, hängt in hohem Masse davon ab, wie sehr sie uns an ähnliche Erlebnisse unserer Kindheit, unserer Pubertät oder bei Ersterfahrungen erinnert. Das trifft zwar für erotische Verführungsstrategien zu, mündet aber bei einer Analyse leicht in intime Geständnisse oder psychologische Abgründe. Also suchten die beiden lieber nach Beispielen in unverfänglicheren Branchen.

Prototypen angenehmer Duftnoten Welche mentalen Konzepte vermitteln Kinderbücher, Essensgewohnheiten oder Schulergebnisse? Welche Redewendungen unserer Eltern verknüpften wir mit Belohnung oder Bestrafung? Wann freundeten wir uns auch mit eckigen Formen an? Wie entstanden die Prototypen angenehmer Duftnoten? Und was erlebten wir in unserer ersten eigenen Wohnung? Das Unbewusste b ­ ewertet Signale auch nach dem Kriterium, ob sie in prägenden Lebens­ abschnitten konstituierende Wirkung hatten. Wer diese Codes oder Zeichen kennt, baut sie gezielt in seine Verführungsgeschichte ein, um sie so in die gewollte Richtung zu lenken und auf Details verzichten zu können. Zu den subtileren Formen von «Product Placement» gehört das Platzieren eines Informationspakets in eine 26  |  MANAGEMENT SCHOOL ST.GALLEN | www.mssg.ch


Geschichte. die im kollektiven Gedächtnis verankert ist. Dieses Phänomen nennt Cosanova «Andockstellen» und erläutert es seinem Kollegen mit einer hübschen Anekdote. Auf der Suche nach dem Verfasser von «Tausend und eine Macht. Marketing und moderne Hirnforschung» gab Cosanova einfach «1001 Macht» in die Suchmaschine ein. Aber an erster Stelle erschien kein Autor oder Buch­ titel, sondern das Angebot einer Wiener Domina. Das weist nicht nur auf einen prall gefüllten Bildungsrucksack der Mistress hin. sondern zeugt auch von einem profunden Verständnis für Story­telling. Denn weckt die Geschichte eines Produkts passende Assoziationen zu bereits bekannten Geschichten, spricht sie ein grösseres Publikum an und erhält höhere Glaubwürdigkeit. Zudem steht die berühmte orientalische Erzählsammlung «Tausend und eine Nacht» ja nicht

nur für die Macht der Erotik, sondern auch für die Notwendigkeit, Geschichten zu erzählen. Denn durch die Rahmen­erzählung wird klar, dass wir Menschen Geschichten brauchen, um überleben zu können. Aus der Wirksamkeit von Andockstellen zu fordern, die Bibel, Grimms Märchen und die griechischen Sagen müssten in den Lehrplan der Marketingausbildung aufgenommen werden, wäre übertrieben. Denn zum Glück gehören Varianten ­dieser Geschichten zum Repertoire von Hollywood.    George Lucas, der Erfinder der Star-Wars-Welt, meinte denn auch, er habe lediglich Grimms Märchen neu inszeniert. Und dass Andocken an persönliche Geschichten der Kunden ebenfalls eine Möglichkeit ist, wissen auch Verkaufstalente, die in ganz normalen Gewerbezentren arbeiten. Cosanova bemerkte die nachlassende Aufmerksamkeit seines Kollegen und brachte daher die Helden ins Spiel. Denn sie sind es, die einer Geschichte Sinn und Struktur geben. Doch die Frage, wem diese wichtige Rolle zusteht, ist gar nicht so einfach zu beantworten. Da Marketingverantwortliche zur Reflexhandlung neigen, Produkte ins Rampenlicht zu stellen, sollten sie eigentlich wissen, dass Helden nicht immer menschlicher Natur sind. Diese Metapher steht für eine Figur, die sich irgend-


wann aufmacht, ein Problem zu lösen und den Kampf gegen das Böse zu gewinnen. In unserer Kindheit ist es vielleicht der Teddy, der die Angst vor der Dunkelheit vertreibt. Meister Proper besiegt den Schmutz. der Marlboro-Mann den Bammel vor Abhängigkeit, das Apple-Design die Furcht vor hässlicher Technik. Und bei aller Ähnlichkeit mit dem berühmten USP ist ein Held nicht identisch mit dem Unique Selling Point. Dem Alleinstellungsmerkmal fehlt nämlich oft die Geschichte und damit Sinnlichkeit.

Therapeuten, Zirkusdirektoren, Barbiepuppen Ein HeId hingegen bietet dem Kunden, eine Projektionsfläche für Wünsche und Sehnsüchte. Das leuchtete Cosanovas KolIegen offenbar so ein, dass er sich in Geschichten von käuflicher Liebe auch Jungbrunnen, Therapeuten, Zirkusdirektoren, Barbiepuppen, Zauberer und Pädagogen vorstellen konnte. Wobei der die weibliche Form natürlich miteinschloss. Ob griechische Götter, katholische Heilige oder technische Wunderbringer, ohne klaren Helden gibt es keine gute Geschichte. Mit der Beschränkung auf eine einzige ­Heldenfigur lässt sich auch deshalb gut leben, weil es ja noch das Element der Helfer gibt. Mit ihnen lassen sich Lücken füllen, ­fehlende Charakterzüge ergänzen und eine stimmige Marketing­ geschichte entwickeln. Und sollte das zu einer unüberblickbaren Helferschar führen, gibt es ja noch «Ausschmückungen».    Doch in diese Kategorie gehören nur Objekte und Aspekte, die nicht in die Handlung eingreifen und keinen direkten Bezug zum Helden haben. Um diese wichtige Unterscheidung zu veranschaulichen, empfahl Cosanova deshalb, vor dem nächsten Treffen eine barocke Kirche zu besuchen. Storytelling auf der Bühne des Christentums aufzuführen, mag einer streng ausgelegten politischen Korrektheit zwar ebenfalls nicht genügen, macht jedoch die zweite Hauptrolle in einer Geschichte klarer, Denn die gehört zwingend dem Bösen. Wer stellt sich dem Helden in den Weg und sorgt damit für das Spannungsmoment? Was hindert den Kunden daran, mein Produkt, meine Idee oder meine Dienstleistung zum festgesetzten Preis zu kaufen? Kommt einem bei dieser Frage nur der böse Konkurrent in den Sinn, ist dies leider ein Zeichen dafür, noch zu den blutigen Anfängern im Storytelling zu gehören. Denn wer dem Konkurrenten freiwillig zu einem Auftritt in der eigenen Geschichte verhilft, verlässt das Land der Träume, bevor er es überhaupt betreten hat. Willkommen im Storytelling, im Land des Unbewussten. Irgendwann kommt jeder mal hierher. Die einen früher, die anderen etwas später.    Storytelling beantwortet auch die Frage, wer im gemischten Doppel den Kaufentscheid trifft. Es ist mehrheitlich die Frau, Nur hat sie in ihrem autobiografischen Gedächtnis die Geschichte gespeichert, dass es dem Frieden dient, Männer im Glauben zu ­lassen, sie hätten entschieden. Der Autor Dr. Werner T. Fuchs studierte Germanistik und Theologie. Seit bald einem ­Vierteljahrhundert beschäftigt er sich mit den Neurowissenschaften und zählt heute im deutschsprachigen Raum zu den führenden Spezialisten für Neuro­ marketing und Storytelling. 28  |  MANAGEMENT SCHOOL ST.GALLEN | www.mssg.ch


Entdecken Sie die Management School St.Gallen in ihrer ganzen Tiefe: Unsere Internet-Plattform ­liefert Ihnen nicht nur detaillierte Informationen zu Institut, Leistungen und Mitarbeitenden. Sie eröffnet Ihnen auch den Zugang zu den ­verschiedenen Medien, mit welchen wir Sie in Ihrem Führungsalltag begleiten. www.mssg.ch/media MANAGEMENT SCHOOL ST.GALLEN

EXECUTIVE PROGRAM

ST.GALLEN SEMINARE

ST.GALLER LEHRGÄNGE

DIPLOM-STUDIENGÄNGE

Alle aktuellen Programme Das Angebot einer Management School ist nur so gut wie seine ­stetige Weiterentwicklung. Auf ­unserer Website h ­ aben Sie jederzeit Zugriff auf alle aktuellen ­Programme – via ­Datenbank oder als PDF-Dokumente. Und natürlich können Sie sich direkt online für das Programm Ihrer Wahl a­ nmelden.

INHOUSE PROGRAMS

IMPULSTAGUNGEN

Gesamtprogramm Alle aktuellen Programme und Leistungen in kompakter Form. Inhouse Programs Seminare, Trainings sowie Angebote nach Mass. English Programs Übersicht zu den Angeboten in englischer Sprache.


Touched by ­ Storytelling Meister Proper besiegt den Schmutz, der Marlboro-Mann den Bammel vor der Abhängigkeit, das Apple-Design die Furcht vor hässlicher Technik. Und bei aller Ähnlichkeit mit dem berühm­ ten USP ist ein Held nicht identisch mit dem Unique Selling Point. Dem Alleinstellungsmerkmal fehlt nämlich oft die Geschichte und damit ­Sinnlichkeit.

Tagungsleitung Lydia Thea Blau Faculty Board Management School St.Gallen

Daten 2014 1. Termin  12. September 2014, Berlin 2. Termin  31. Oktober 2014, München Tagungskosten  CHF 1150.– Detaillierte Informationen und Online-Anmeldung: www.mssg.ch/storytelling 30  |  MANAGEMENT SCHOOL ST.GALLEN | www.mssg.ch


I M PU L S TAG U N G

Storytelling Mit Geschichten überzeugen

Management School St.Gallen BETTER BUSINESS

Agenda 08.30

Begrüssung und Einführung

09.00 Warum Storytelling? Impulsreferat mit Diskussion 10.30

Pause und Erfrischungen

10.45 Eigenschaften und Merkmale einer guten, ­wirkungsvollen Geschichte Praxistransfer und Übungen Welche Geschichte möchten Sie erzählen? 11.30

ramaturgie und Aufbau einer guten Story / Wie D erzeugt man Spannung, wie platziert man Pointen? Impulsreferat mit praktischen Übungen

12.00 Erzählerische Stilmittel – Was macht eine Geschichte interessant? Impulsreferat mit praktischen Übungen 12.30 Mittagessen

Nachmittag

14.00 Storytelling live Stimme und Körpersprache – Geschichten lebendig werden lassen. Praktische Übungen zum stimmlichen und ­körpersprachlichen Ausdruck Reflexion und Praxistransfer 15.30

Pause und Erfrischungen

15.45

Metaphern und Vergleiche entwickeln Praxisübung

16.30

Schlussrunde / Summary und Feedback zur Tagung

ca. 17.00 Ende der Veranstaltung


Nobody oder ­Know-body?

Es ist heute Mode, das Orchester zum Vorbild einer perfekten O ­ rganisation zu machen. Eine nähere Betrachtung zeigt, dass der Vergleich hinkt. Er basiert oft auf falschen Realitäten. Ein zweiter Blick bringt uns jedoch zu neuen Erkenntnissen. René Marchand Was ist Ihnen lieber an der Kundenfront: Symphoniker oder eine Jazzformation? Ein kontroverser Vergleich ­zwischen Musik und Betriebswirtschaft.    Es gibt bereits eine ganze Anzahl erfolgreicher Bücher zum Vergleich Symphonieorchester und Unternehmen und darüber, was Unternehmen aus diesem Vergleich lernen können. Tatsächlich kann man einiges aus diesem Vergleich ableiten. Dennoch ist ein kritischer Kommentar angebracht, um zu weiterführenden Erkenntnissen zu gelangen. Denn fast alle Bücher gehen leider von vollkommen falschen Voraussetzungen aus. Was sicherlich lernwürdig bleibt, ist das – nennen wir es einmal – «Feinstoffliche». Damit meine ich das feine gegenseitige Abstimmen der Musiker untereinander, gepaart mit der Rücksichtnahme auf individuelle Unterschiede, die kollektive Feedback-Kultur und die persönliche Veränderungsbereitschaft von Musikern in einem Symphonieorchester. Zweck dieses Verhaltens ist die Überbrückung von Lücken oder Zwischenräumen.  Was ist mit Zwischenräumen gemeint? Diese können räum­ licher, ideeller, mentaler oder musikalischer Natur sein. Und Lücken gibt es tatsächlich viele: Zwischenräume oder Pausen zwischen den einzelnen Noten, die dem Musikstück erst den tieferen Gehalt geben. Oder der Zwischenraum zwischen dem Dirigenten und den Musikern. Ohne diesen zu überbrücken, kann keine Qualität ­entstehen. Dann die Zwischenräume zwischen den einzelnen Musi-

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kern bzw. Musikergruppen – klassisches Beispiel ist das Konflikt­ potenzial zwischen den Blechbläsern und Streichern. Oder auch der Zwischenraum, ja manchmal eine gewaltige Kluft, zwischen dem Orchester und dem Publikum. Dieser ist zu überbrücken, damit der Funke der Begeisterung auf die Zuhörer überspringt. Und zuletzt gilt es, mittels einer geeigneten Interpretation, die Lücke ­zwischen der gespielten Musik und dem seinerzeitigen Komponisten zu schliessen. Über alle diese Zwischenräume und Lücken werden feine Brücken gebaut. Diese sind zwar kaum erkennbar, aber dennoch akustisch, stimmungs- und gefühlsmässig vorhanden. Diese feinstofflichen Brücken sind zu erarbeiten oder zu finden. Man kann sie jedenfalls nicht herbeidiktieren. Es sind ähnliche Brücken, wie sie eine Führungskraft zu ihren direkten Mitarbeitenden baut oder w ­ elche die Mitglieder einer Geschäftsleitung miteinander ­verbinden, wenngleich sie in einem Orchester in der Regel eine zusätz­liche emotionelle Qualität aufweisen.

Würden Sie 8000 Neuwagen verschrotten? Nun zur erwähnten falschen Voraussetzung. Sie liegt in der unterschiedlichen Kundenorientierung. Einerseits ist der einzelne Musiker eines Symphonieorchesters nur mittelbar auf seinen Kunden, das Publikum, orientiert. Denn es ist die Verantwortung des Dirigenten, den Zwischenraum zum Publikum klanglich zu überbrücken. Andererseits entspricht das Verhältnis der ausgedehnten Proben der Symphoniker ohne Publikum zum relativ kurzen Konzert vor Publikum überhaupt nicht der unternehmerischen Realität. In marktgängigen Organisationen fallen die Proben und das Konzert zeitlich und inhaltlich zusammen. Kein wirtschaftlich geführtes Unternehmen kann es sich leisten, wochen- oder gar monatelang mit allen Mitarbeitern und ohne Kunden die Zusammenarbeit und die Leistung zu üben, bevor es den ersten Umsatz macht, wie dies alle Symphonieorchester tun. Man stelle sich einmal einen Autobauer vor, der zuerst 8000 Autos produziert, um die beste Form der i­nternen Zusammenarbeit und die ideale Produktequalität zu finden, und anschliessend die brandneuen Probeautos verschrottet, um dann endlich die Profit bringenden Kundenautos zu bauen! Ein absurder Gedanke. Zu idealtypisch und an der Realität vorbeigedacht, obwohl in allen Büchern die Proben der Symphoniker als wesent­liches Element der Entstehung eines Orchesters, sprich Teambildung, gepriesen werden.  Da die Proben und das Konzert im Unternehmen zusammenfallen, muss ein anderer Führungsansatz gefunden werden, weil man immer und direkt «live» mit Kunden interagiert. Das traditionelle Einstudieren des Konzertes als Kundenprodukt, vom Dirigenten über den Konzertmeister (1. Geiger), die Stimmführer (Führer der jeweiligen Musikinstrumente) bis zu den Musikern, das wiederholte Einstudieren einzelner schwieriger Passagen und letztlich die Auseinandersetzung mit dem Klangbild des gesamten Orchesters im Tutti (Proben des gesamten Orchesters zusammen) entspricht einer hierarchischen Vorgehensstruktur. Diese spiegelt auch die ­hierarchische Führungsstruktur wider. Für ein Symphonieorchester haben sich diese Struktur und dieses Vorgehen bestens bewährt und eingespielt.


Die Trumpfkarte heisst Kreativität Die Widersprüche zur Realität im Unternehmen sind offen­kun­ dig. Erstens gibt es, wie bereits erwähnt, keine ausgedehnten ­Trockenübungen in einem geschützten Umfeld ohne Kunden. Zweitens erbringen heutzutage die meisten Serviceorganisationen ihre Leistung in kleineren Teams als in einem Symphonieorchester mit s­ einen 80 bis 120 Mitgliedern. Und drittens muss ein Unternehmen ein viel grösseres Gewicht auf direkten Kundenkontakt – Kreativität, Initiative und Führungskompetenz – legen. Und zwar bei jedem einzelnen Musiker, Pardon, Mitarbeitenden. Gewiss, das sind hohe Anforderungen, doch sind diese notwendig. Wollen wir in unserer westlichen Welt wirtschaftlich überleben, dann mit Hilfe von Kreativität, die echte Innovationen im Sinne der Nutzenvermehrung schafft, mit mutiger Initiative und Kundenorientierung. Hier müssen und können wir unseren Vorsprung vor den Ländern der kostengünstigeren Massenproduktion ausbauen. Das sind unsere Trumpfkarten der Zukunft. Gerade die Krise der chinesischen Spielzeugindustrie hat, nach der Verwendung schädlicher Rohstoffe in Kleinkinderspielzeugen, die mangelnde Rücksichtnahme auf Kunden beispielhaft gezeigt. Allerdings werden auch die Chinesen aus diesem Fehler in der Kundenorientierung schnell lernen. Es ist wohl kaum bestreitbar, dass die wirklich kreative Leistung einer ­Symphonie beim Komponisten selbst liegt. Der Dirigent und die Musiker müssen daraufhin die Interpretation der Musik festlegen. Das bedingt eine intensive Auseinsandersetzung mit der Musik. Denn diese ist bereits da und der Komponist in der Regel tot.  Man mag einwerfen, dass auch die Interpretation Kreativität erfordere. Das stimmt im weitesten Sinne, doch würde ich hier eher von Variabilität in der Interpretation als von echter Neuschöpfung sprechen. Denn wenn Sie Mozart oder Brahms spielen, das heisst interpretieren, verwenden Sie ja nicht eine Tonfolge, die Ihnen gerade spontan eingefallen ist. Spielte jeder Musiker seine eigene Notenfolge oder Melodie, würde das in einem Orchester das Chaos bedeuten.

Wechselnde Solisten im Kundenkontakt Es gibt hingegen eine Musikform und Musikerformation, die, einer Vision – einem Musikthema – folgend, individuelle Kreativität erlaubt, ja sogar fordert, in der sich jeder Musiker ganzheitlich einbringen muss und seinen direkten Kontakt zum Kunden herstellt: die Jazz-Combo. Sie ist natürlich kleiner als ein Symphonieorchester. Anstatt ausgedehnt zu proben, gibt sie sich ein Musikthema, eine Basismelodie, vor und bestimmt die Solo-Reihenfolge. Jeder Musiker wird somit irgendwann im Laufe der Veranstaltung zum Solisten. Während seines Solos führt jeder Musiker das gesamte Ensemble und kann dann auch seine Tonfolgen einbringen. Diese werden vielleicht, vielleicht aber auch nicht, von anderen Solisten aufgenommen und weiterentwickelt. Der Jazzmusiker kann sich vor dem Kunden, also dem Zuhörer, nicht in die Anonymität des fünften ­Geigers zurückziehen.  Aus Sicht des Kunden ist der fünfte Geiger oder der dritte ­Hornist eigentlich namenlos, ein «Nobody». Ganz anders in der Jazz-Combo: Jedes einzelne Mitglied bestimmt direkt den Erfolg des 34  |  MANAGEMENT SCHOOL ST.GALLEN | www.mssg.ch


Konzertes. Darum ist seine Kreativkompetenz, seine Beherrschung des Instrumentes, seine Musikerfahrung und generell sein ganzes musikalisches Know-how gefragt. Er wird so zum «Know-body». Somit gehen wir hier nicht mehr von hierarchischen Führungsstrukturen und -prozessen aus, sondern von einer sternförmigen Vollstruktur mit wechselnder Führung. Das bedeutet, dass alle Knowbodys ein gewisses Mass an Führungsverantwortung übernehmen können und wollen.

Experimentierfreude und Innovation in Dauerleistung Es gibt viele weitere Unterschiede zwischen einem Symphonie­ orchester und einer Jazzformation. Beispielsweise denjenigen ­zwischen Aussen- und Innenorientierung. Der Symphoniemusiker richtet sich peinlich genau nach dem Notenblatt vor ihm. Der Jazzmusiker, wie viele Meisterdirigenten auch, spielt oft mit geschlossenen Augen: von einem inneren, mentalen Notenblatt ausgehend. In seinem Inneren findet er die richtigen Tonfolgen für den Anlass, die Stimmung des Publikums und seine eigene Stimmung. Hier spielen Veränderungslust in Form von Experimentierfreudigkeit und Mut zur Innovation die Hauptrolle. Übrigens ist es kein leeres Gerücht, dass viele Jazzmusiker nicht einmal Noten lesen und dennoch abendfüllende Konzerte geben können.  Dazu kommen weitere Unterschiede zwischen den beiden Musikwelten und dem Alltag in der übrigen Arbeitswelt. Während eines Symphoniekonzertes ist der Dirigent immer anwesend und auch verantwortlich. Es ist kaum vorstellbar, dass der CEO eines Unternehmens bei jedem Kundenkontakt, in allen Verkaufsge­ sprächen und bei jeder Dienstleistung anwesend ist. Dem einzelnen Mitarbeitenden wie auch dem einzelnen Jazzmusiker kommt im direkten Kundenkontakt somit eine grössere und direktere Verantwortung zu als dem Symphoniemusiker. Da der Know-body irgendwann während des Konzertes ja auch Solist ist, baut er dann seine individuelle Brücke zum Kunden. Ausserdem geht es im Unternehmen nicht darum, an zwei Abenden vor 6000 Konzertbesuchern nach intensiven Proben eine Höchstleistung zu erbringen, sondern vielmehr darum, vielleicht 200 000 Kunden über das ganze Jahr hinweg zufriedenstellend zu bedienen. Ebenso könnte man einen 100-Meter-Sprinter mit einem Marathonläufer vergleichen.

Das Feinstoffliche erfahren Damit kommen wir nun zur Frage, was sich denn nun aus der Musikwelt auf das Unternehmen übertragen lässt. In einem modernen Unternehmen ist erstens jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter wie der Jazzmusiker eine Mit-Führungskraft. Vor allem dann, wenn er oder sie im direkten Kundenkontakt das Unternehmen originär in Bezug auf die Kundenzufriedenheit führt. Dazu muss er oder sie bereit, erfahren und damit kompetent sein. Zweitens müssen sich die Einzelnen klar darüber sein, ob sie tragende Elemente in der Organisation sein wollen. Es geht hier nicht um eine blosse und vielleicht zufallsorientierte Mitgliedschaft in einem Kollektiv – viele Symphoniemusiker sitzen ihr Musikerleben lang quasi unkündbar in ihrem Orchester –, sondern um eine bewusste und starke Identifizierung mit der Organisation oder dem Team.


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Das ist ein persön­licher Entscheid. Drittens hat jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter Werkzeuge, sprich Instrumente, zur Verfügung. Die Bereitschaft, diese meisterhaft zu beherrschen und damit immer wieder im Experi­mentieren neue Grenzen zu entdecken, ist eine Voraussetzung für den Erfolg. Diese setzt auch den Willen zur intensiven individuellen Weiterbildung voraus.  Es tut jeder Führungskraft im Unternehmen gut, das eingangs erwähnte «Feinstoffliche» selbst zu erfahren. Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass es persönlich prägend ist, vor Kollegen aus dem Unternehmen ein Musikstück selbst zu dirigieren. Es muss keinesfalls ein Symphonieorchester sein, ein Musikquartett genügt. Bereits da wird man sich als Laiendirigent bewusst, dass man verschiedene Zwischenräume gleichzeitig überbrücken muss. Und damit, wie wichtig das «Feinstoffliche» ist. Ferner ist es wunderschön zu erleben, wie selbst gewählte Nuancen in der eigenen Interpretation durch Musiker umgesetzt werden. Ohne Proben, sofort und «live». Hier erfahren manche Führungskräfte, dass sie vor lauter Zwischenräumen und Lücken um sich herum der Realität etwas «ent-rückt» sind. Darum löst dieses Erleben der subtilen feinstofflichen Verbindung als Lückenbrücke eine starke nachhaltige Wirkung aus.

Entlastung steht an! Neben dieser persönlichen Erfahrung geht es um den Entscheid, die eigenen Mitarbeitenden zu Mit-Führungskräften weiterzuentwickeln und sie zu vollwertigen kompetenten «Jazzmusikern» und Know-bodys zu machen. Und zwar durchaus aus Eigennutz, denn dadurch vermindert sich der Führungs- und damit der eigene Kapazitätsbedarf für die Führungsarbeit. Entlastung steht also an. So kommen wir zur Kernfrage: Welche Mitarbeiter wollen Sie haben? Symphoniemusiker oder Jazzmusiker? Nobodys oder Know-bodys? Sind Ihnen punktuelle Höchstleistungen wichtig oder die ­dauerhafte Ausrichtung auf Initiative, Mut und Kreativität? In Tuchfühlung mit den Kunden? Falls es das Letztere ist, dann muss der Mensch in der Organisation zu einem vollwertigen und kompetenten Mit-­Entscheider gemacht werden, der im Notfall auch Ihre eigene ­Verantwortung übernehmen könnte!

Der Autor Dr. oec. HSG René Marchand hat an der Universi­tät St.Gallen über das Thema der menschlichen Werte in der Unternehmensführung dissertiert und begleitet seit 15 Jahren Unternehmen rund um den Globus erfolgreich in seinem Schwerpunkt: der glaub­würdigen Führung. Seit 1992 hat René Marchand ergänzende Studien in Soziologie und Psychologie durchgeführt. Er gehört zu den führenden ­Köpfen der Management School St.Gallen, wo er sich im Führungscoaching engagiert und verantwortlich zeichnet für die Entwicklung von internationaler Management Education, die sich durch ihre Multikulturalität auszeichnet. Dr. René Marchand hat mit Komponisten, Jazzmusikern und einem Symphonieorchesterdirigenten zusammengearbeitet, um Führungskräften positive ­Entwicklungssprünge als persönliches Erlebnis zu ermöglichen. Kontakt zum Autor: r.marchand@mssg.ch


Zeit zum E ­ ntschleunigen

Tempo bestimmt unser Leben. Es steht für Dynamik und Fortschritt und hilft uns, der Konkurrenz eine Nasenlänge voraus zu sein. Wirklich? Ist Tempo das Mass aller Dinge? Heidi Bohren Früher hatten sie noch Zeit, schöne Kathedralen und prunkvolle Brücken zu bauen. Heute steuert uns das Tempo. Es ist höchste Zeit, dass wir uns wieder einmal Zeit nehmen, über das Tempo nachzudenken. Unser Erfolg ist stark abhängig von Marktbewegungen, von Wettbewerbsvorteilen, von Innovationen. Erfolg hat, wer schneller mit dem richtigen Produkt am Markt ist. «Schneller, besser, billiger» lautet darum die Losung, um im harten Wettbewerb bestehen zu können. Auf keinen Fall stillstehen. Die Konkurrenz schläft nicht. Stillstand führt zur Stagnation, zu Rückschritten, zu Verlusten hart erkämpften Terrains. Bedächtigkeit hat keinen Platz mehr in dieser Welt, die von ungebremstem Tempo bestimmt wird. Tempo steht für Dynamik und Fortschritt. Es bestimmt unser Denken, unser Verhalten, unsere Wertvorstellungen und lässt uns meist keine Zeit mehr zur Reflexion. Wichtig ist, dass wir uns bewegen. Wohin wir uns bewegen (sollen), ist eine Frage, die in der Dynamik des Geschehens oft untergeht. Zeit, vielleicht einmal über das Tempo nachzudenken.

Tanz am Limit Jeder Formel-1-Fahrer lebt mit der Dualität zweier scheinbar widersprüchlicher prioritärer Ziele: dem mit grossen Risiken verbundenen Zwang, schneller als alle Konkurrenten zu sein, und dem Wunsch zur Selbsterhaltung, der ihn davon abhält, ungebremst in die nächste Haarnadelkurve zu rasen. Auf seinen von Abgasen flimmernden und oft durch Nässe glitschigen Asphaltpisten ist ihm metergenau bewusst, wo die Limiten der zulässigen Tempi liegen, die – wenn er sie nur leicht überschreitet – seine Fahrt ins Inferno führen. Er weiss, wo und bis zu welchem Punkt er beschleunigen und wann und wo er zwingend Geschwindigkeit abbauen muss. Zum Glück, denn das erhält ihn am Leben. Kennen auch Manager ihre lebenserhaltenden Bandbreiten und die Limiten, hinter denen der Tod wartet? Wissen sie auf ihren weit unübersichtlicheren und schikanenreicheren Rennstrecken, wann sie auf die Bremse treten und ein paar Gänge zurückschalten müssten, bevor sie nach der gemeisterten Haarnadelkurse wieder voll aufs Gas treten und zum nächsten Überholungsversuch ansetzen können? 38  |  MANAGEMENT SCHOOL ST.GALLEN | www.mssg.ch


Wir befinden uns täglich im Kräftefeld zwischen Gasgeben und Bremsen: zwischen dem eigenen, selbstbestimmten Speed und unseren persönlichen Grenzen sowie dem Tempo der äusseren ­Vorgänge und dem Druck fremdgesteuerter Entwicklungen, Vorgänge und Erwartungen. Oft spüren wir es kaum, wenn ein Bruch zwischen diesen Ebenen entsteht: den nicht beeinflussbaren Kräften von aussen und dem – meist nicht eingestandenen – Unver­mögen, mit dem rasanten Tempo Schritt zu halten. Wie oft verpassen wir es, Dinge zu hinterfragen? Oder fällen wichtige Entscheide im Formel1-Tempo, ohne uns über die längerfristigen Konsequenzen Gedanken zu machen? Wie oft handeln wir aus dem Bauch heraus, weil wir unter Druck stehen und schlicht keine Zeit haben? Bei Rennfahrern wirken sich Fehlentscheide sehr rasch und mit dramatischer Augenfälligkeit aus. Im Geschäftsleben dauert das etwas länger, ist in den Auswirkungen aber meist noch schwerwiegender.  Mit Blick auf die nicht zu übersehende Häufigkeit oft fahrlässiger Fehlentscheide von Managern stellt sich die Frage, ob – trotz aller gegenteiliger Überzeugungen und Beteuerungen – Geschwindigkeit nicht mit grosser Wahrscheinlichkeit zu Qualitätseinbussen führt (führen muss) oder ob die zwei Werte sogar einen Widerspruch in sich selber bilden. Ist Tempo tatsächlich das Mass aller Dinge? Wird nicht oft unnötig – und mit kontraproduktiver Wirkung – allein deshalb noch beschleunigt, um sich einen Nimbus grenzen­loser Dynamik zu geben?

Die Zeit ist reif, doch wofür? «Es gibt die so stark in Anspruch Genommenen, die sich nicht selbst besitzen, sondern in Besitz genommen sind. Dann gibt es die ­müssig Emsigen, die ihre Zeit damit verschwenden, keine Zeit zu haben, und die emsig Müssigen, die ihre Zeit damit verbringen, die Zeit herumzubringen – und das Leben damit vertun, das Leben vorzubereiten.» Dieses Zitat könnte der heutigen Zeit entsprungen sein, geht aber auf den römischen Philosophen Seneca (4 v. Chr. bis 65 n. Chr.) zurück. Er erkannte schon lange bevor Rennwagen über die Strecke von Monza brausten, dass man manchmal besser vom Gas geht, um vorwärtszukommen.  Menschen in früheren Zeiten, so vermuten wir zumindest, waren noch besser in der Lage, ihr Tempo selber zu bestimmen und es zu steuern. Sie hatten noch Zeit, schöne Kathedralen und prunkvolle Brücken zu bauen. Heute steuert uns das Tempo. Es hat uns unerbittlich im Griff. Noch zu Beginn des letzten Jahrhunderts ­dauerte es oft Wochen, bis die Reportage eines Berichterstatters von einem weit entfernten Kriegsschauplatz seine Redaktion erreichte. Dann brach die Zeit an, als bereits News von vorgestern kalter ­Kaffee waren. Heute erreichen uns Nachrichten weltweit fast zeitgleich mit den Ereignissen innert Minuten. Und wehe, wer nicht gewappnet ist, wenn nötig sofort darauf zu reagieren! Es wäre wohl eine Illusion zu glauben, dass bei diesem Tempo die Reak­tionen durchdacht oder sogar wohlabgewogen ausfallen. Sie erfolgen aus dem Druck des Momentes heraus und sind selten auf ihre lang­ fristigen Wirkungen geprüft. So passieren eben Fehler, die später oft schmerzhaft und für teures Geld zu korrigieren sind. Masse, ­Vielfalt und Tempo von Informationen helfen uns somit nicht unbedingt, auch qualitativ richtige Entscheide zu treffen. «Die Zeit ist immer reif», schrieb François Mauriac. «Es fragt sich nur: wofür?» Ist unsere Zeit vielleicht reif für einen Tempowechsel?


Mit dem Bremser aufs Podest In Zukunft werde es immer wichtiger, in bestimmten Situa­tionen vom Gas zu gehen, erklärte Prof. Dr. Heike Bruch von der ­Universität St.Gallen an einem «Unternehmer-Frühstück». «Häufig herrscht Überbeschäftigung vor. Wir verschwenden viel Energie und verlieren den Fokus.» Mangelnde Konzentration führe zu überhasteten und falschen Entscheiden. Stattdessen solle man versuchen, sein langfristiges Ziel im Auge zu behalten. Wichtig sei es, führte die Dozentin aus, für jede Situation das passende Tempo zu wählen. Bei einer Krise empfiehlt sie: «slow down to speed up», womit wir wieder bei der Formel 1 wären.  Wir haben es bereits festgestellt: Zurücklehnen und Aus­ ruhen gehören zu den Tabus in unserer von Dynamik beseelten und getriebenen Gesellschaft. Wie rasch ist ein Unternehmen weg vom ­Fenster, das nicht konstant nach Verbesserungen strebt und sicherstellt, dass seine Strategien und seine Produkte in Übereinstimmung mit den Marktanforderungen stehen. Doch wie leicht kann man auch in die Falle des Überaktivismus treten. Heike Bruch: «So manche dachten schon, sie hätten die Erfolgsformel gefunden, nur um dann mit Full Speed in den Abgrund zu fahren.» Somit ist eine gesunde Portion Skepsis immer angezeigt, wenn uns «wohlmeinende» Zeitgenossen ohne Einschränkungen weismachen wollen, dass verliere, wer bremse. Zur richtigen Zeit die Bremsen ziehen kann durchaus zum Sieg verhelfen. Das können wir auch von Bobsleigh-Teams übernehmen, die als festen Bestandteil einen Bremser in ihren Schlitten haben! Skeptiker und Querdenker in unseren Organisationen erfüllen also durchaus einen Zweck. Sie können uns unter Umständen vor einem Absturz bewahren.

Oasen der Reflexion Speed ist ein Charakteristikum unserer Zeit und unserer Gesellschaft, dem wir uns nicht entziehen können und mit dem wir wohl oder übel leben müssen. Ob das Tempo per se eine Qualität in sich birgt oder nicht, ist eine Frage, deren Beantwortung ich Philosophen überlassen möchte. Seine Auswirkungen auf unser Leben in der heutigen, von atemloser Hektik geprägten zivilisatorischen Welt sind – das haben wir jetzt festgestellt – nicht nur berauschend. Wir fühlen uns oft wie auf einem wild bockenden Gaul in einem Rodeo. Im verzweifelten Versuch, oben zu bleiben und nicht abgeworfen zu werden, müssen wir alles andere ausblenden. Die Frage ist: Wie besänftigen wir den wilden Gaul und führen ihn in einen kontrollierten Ritt? Ob man das nun «Speed Management» oder viel profaner bezeichnet, wichtig scheint mir vor allem eines: dass wir uns wieder einmal Zeit nehmen, um über die Zeit nachzudenken – und darüber, wo Beruhigung mehr bringen könnte als Tempomache.  Warum versuchen wir nicht, uns ein Stück der beklagten entgangenen Zeit zurückzuholen, uns Zeit zu nehmen und damit ein Stück Freiheit und Überblick zurückzugewinnen? Ein praktischer Weg dazu – sowohl für uns als Individuen als auch für ein Team – könnte zum Beispiel sein, bewusst Auszeiten zu schaffen, um ungestört und ohne Hektik nachdenken zu können, um sich frei und zwanglos mit anderen Menschen aus anderen Bereichen auszutauschen, einmal richtig – und ohne ständig auf die Uhr schauen oder Telefonanrufe beantworten zu müssen – anderen zuzuhören. Auf diese Weise könnten wir vielleicht zur Einsicht gelangen, dass wir einige Prioritäten falsch gesetzt haben, uns viel zu viel in Details verrennen und uns selber unnötig unter Druck setzen. Wir könnten 40  |  MANAGEMENT SCHOOL ST.GALLEN | www.mssg.ch


unsere persönliche Agenda einmal kritisch überprüfen und erkennen, wie viel energiefressenden Ballast wir im Bestreben, vermeintlich unsere Macht zu stärken und uns unersetzlich zu machen, angesammelt haben. Es könnte uns bewusst werden, dass wir Talenten in unserem Umfeld zu wenig Entwicklungschancen gegeben und das Potenzial unseres Teams zu wenig genützt haben. Wir könnten auch mit bisherigen Mustern brechen und unter Umständen völlig neue Wege gehen. Statt uns schwerfällig mit grossen Lastwagen abzumühen, könnten wir ein neues Geschäftsmodell entwickeln und uns mit kleinen, wendigen Flitzern durch die Welt bewegen.

Nachdenken ist vordenken Veränderungen dieser Art setzen Reflexion voraus. Statt blind nach vorne zu rasen, immer mehr Tempo zu machen und frustriert festzustellen, dass man auch so den Pulk der Verfolger nicht abzuschütteln vermag, kann ein gelegentliches Bremsen und eine ­Richtungsänderung absolut beschleunigend wirken.  Nachdenken ist vordenken. Statt Propheten von gerade in Mode stehenden und sich rasch ändernden Modellen auf den Leim zu kriechen, als Allheilmittel gepriesene Wunderrezepte zu kopieren und damit der Konkurrenz nachzuhecheln, lohnt es sich vielleicht, selber intelligente Lösungen zu entwickeln. Ohne Reflexion entsteht keine Wertschöpfung, weil Schnelligkeit kein sinn- und wirkungsvolles Hinterfragen ermöglicht und darum Irrläufe immer einschliesst. Unter (Zeit-)Druck – und das sollten wir endlich eingestehen – werden meistens nur reflexartige Routineentscheide getroffen, also «bewährte» Mechanismen zementiert. Brillanz ist da a priori ausgeschlossen. Ein Zwanzig-Stunden-Tag als Normalität zeugt weder von gekonntem persönlichem Zeitmanagement, noch garantiert er nachhaltigen Erfolg. Er macht vor allem den – und nur den allein – glücklich, der darnach trachtet, als unübertroffenes Arbeitstier in die Weltgeschichte einzugehen. Weit wichtiger als rekordbrechende Marathons am Arbeitsplatz ist die Fokussierung auf das zu einem gegebenen Zeitpunkt wichtigste Problem. Wenn wir diesem einen Problem unsere volle Zuwendung schenken und dabei alle Beteiligten voll in diesen Prozess einschliessen, ist wesentlich mehr und dies vor allem nachhaltig getan, als wenn wir gleichzeitig zehn Probleme auf die Schnelle vermeintlich «gelöst» haben.

Schnellstrasse ins Irrenhaus Beschleunigen, Tempo machen. Nichts führt daran vorbei, wenn wir im Rennen bleiben und auch mal gewinnen möchten. Aber endlos beschleunigen ist nicht möglich, weil es uns irgendwann ins Abseits katapultiert. Oder ins Irrenhaus. Darum geht es nicht ohne gelegentliche Bremsstösse, um die Kontrolle zu behalten und nachher wieder neu auf das Gaspedal drücken zu können. Und ebenso brauchen wir ein gelegentliches Entschleunigen, um unseren Kurs ­kritisch überprüfen zu können und uns die nötige Zeit zu verschaffen, um die richtigen Entscheide zu fällen.  Wichtig ist tatsächlich, dass wir uns bewegen. Doch wohin wir uns bewegen, das sollten wir schon wissen! Die Autorin Heidi Bohren ist Head of Corporate Communications & Client Relations der Management School St.Gallen.


Potenzial der eigenen Stärken Von der Selbsterkenntnis zur wirksamen Selbststeuerung: Wie Führungskräfte eine auf Stärken und Klarheit basierende ­Zuversicht gezielt nutzen können, um ihre Leadership zu festigen, beim Bewältigen der Herausforderungen ebenso wie im Dialog mit internen und externen Partnern. Je herausfordernder die Zukunft, desto wichtiger das Vertrauen in den eigenen Weg. Entscheidend ist eine klare Selbstwahrnehmung und der ­wirkungsvolle ­Umgang mit sich und anderen. Jede Rhetorik bleibt wirkungslos, wenn sie nicht auf persönlichen Stärken und einer ausgeprägten Erfolgszuversicht basiert. Das Seminar ermöglicht Erkenntnisse, wie Führungspersönlichkeiten ihr Stärken­ potenzial noch klarer erkennen und nutzen können. Reflexionsfähigkeit wird ­dabei als zentrale Kompetenz für die Selbstführung verstanden. Eine klare ­Ausrichtung auf Basis einer realistischen Einschätzung der jeweiligen Situation ist ­hierbei das zentrale Erfolgsziel. Dank hoch wirksamer Selbstmanagement-­ Methodiken und der Unterstützung einer erfahrenen Trainerin arbeiten die Teilnehmer daran, ihre Bestleistung zu mobilisieren, die Balance zu halten und souverän in allen Lebenssituationen zu agieren. Themenfokus Selbstmanagement • Effizienz und Wirksamkeit im Umgang mit sich und anderen • Ungenutzte Potenziale systematisch freisetzen • Authentizität im Umgang mit sich und anderen stärken • ganzheitliche Persönlichkeitsentwicklung | Detailinfos unter www.mssg.ch

Teilnehmerkreis Unternehmer, Geschäftsführer und Führungskräfte, die ihre Stärken reflektieren, klar einschätzen und ihr Potenzial besser und nachhaltiger für sich und andere nutzen wollen. Vom Seminar zum Lehrgang Die Inhalte dieses Seminars können Sie sich auch innerhalb des Personal Development Programs aneignen. Mehr dazu auf Seite 30.

Daten 2014 2. Termin 28. bis 31. Okt., Mannenbach

Daten 2015 1. Termin 5. bis 8. Mai, Mannenbach 2. Termin 20. bis 23. Okt., Mannenbach

Seminarkosten | CHF 5’300.–  5 4’400.–* *Abhängig vom aktuellen Tageskurs, Rechnungstellung in Euro möglich

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Professionelles Selfmanagement: Time-, Life- und Business-Balance Schneller, leistungsfähiger – und trotzdem ausgeglichener: Wie ­Führungskräfte ebenso gelassen wie wirkungsvoll auf den kontinuierlich wachsenden Termin- und Erfolgsdruck r­ eagieren können. Beschleunigung und Komplexität sind zum Daily Business geworden, in jeder Branche und jedem Bereich. Führungskräfte stehen unter Druck, die an sie ­gestellten Erwartungen trotz Tempo- und Risikoerhöhung zu erfüllen. Dazu braucht es einen nachhaltigen Einsatz der eigenen Ressourcen. Auch gilt es, neue Strategien im Umgang mit der Zeit zu entwickeln. Das Seminar erlaubt den ­Teilnehmern, ihr Denken und Handeln unter Zeitdruck zu reflektieren und ­bewusst zu verändern – für ­weniger Stress in den täglichen Entscheidungen, vor allem aber für eine bessere Balance zwischen beruflichem Erfolg und per­ sönlichem Wohlbefinden. Themenfokus Sinnvolle Verwendung von Zeitressourcen • Umgang mit vielfältigen beruflichen und privaten Erwartungen und der eigenen Begrenztheit • Wirkungsvolle Steuerung von ­Anspannung und Entspannung • Ansätze aus der modernen Hirnforschung zur Veränderung von hinderlichen Denk- und Verhaltensmustern im Umgang mit Zeitdruck • ­Körperliche Voraussetzungen des Balancegefühls • Erkennen von Stressmustern • Burnout-Info: Erkennen von Warnsignalen bei Mitarbeitern oder sich selbst / Arbeit­ geberverantwortung  | Detailinfos unter www.mssg.ch

Teilnehmerkreis Führungskräfte, die theoretisch wissen, wie sie priorisieren und delegieren sollten, die sich im Alltag jedoch mit immer komplexeren Anforderungen konfrontiert sehen; die ihren Aufgaben auch unter höchstem Zeitdruck gewachsen sein wollen; die Erfolg und Gesundheit auch langfristig miteinander in Einklang bringen möchten. Vom Seminar zum Lehrgang Die Inhalte dieses Seminars können Sie sich auch innerhalb des Personal Development Programs aneignen. Mehr dazu auf Seite 30.

Daten 2014 2. Termin 22. bis 24. Sept., Mannenbach

Daten 2015 1. Termin 23. bis 25. März, Heiden 2. Termin 21. bis 23. Sept., Luzern

Seminarkosten | CHF 4’200.–  5 3’500.–* *Abhängig vom aktuellen Tageskurs, Rechnungstellung in Euro möglich.


Pardon, wären Sie nicht besser F ­ riedhofgärtner?

Die Wirtschaft hat sich der Öffentlichkeit entfremdet. Vor allem ihre Exponenten, die sich auf einem Sololauf befinden und ihre ­gesellschaftliche Verantwortung nicht mehr wahrnehmen. Und damit die Kollateral­ schäden täglich vergrössern. Sie verfechten zwar vehement liberale Werte, beuten durch ihr Verhalten aber immer mehr den Staat aus. Nicht der einzige Widerspruch.

Urs von Schroeder «Die Leitideen der politischen Ökonomie haben wir völlig aus den Augen verloren.»    Wären Sie Ärztin, Lehrer, Feuerwehrmann oder Friedhofgärtner, hätten Sie vermutlich keine Mühe, den Sinn Ihrer Tätigkeit zu erkennen. Doch als Manager eines Grossunternehmens? Womit geben Sie Ihrer Tätigkeit einen Sinn? Indem Sie im unerschütter­ lichen Glauben, nichts sei endlich, alljährlich für ungebremstes neues Wachstum sorgen? Auch dort, wo vernünftige Grenzen erreicht wären und der gesunde Menschenverstand Einhalt und Umbesinnung gebieten müsste? Indem Sie – um immer weiter Wachstum generieren und die Ergebnisse nie endend zu steigern – Ihre Organi­ sation zunehmend «entmenschlichen», immer mehr Mitarbeiter wegrationalisieren und Kerntätigkeiten ins Ausland verlagern? Und mächtig stolz darauf sind, dass Sie – für die Finanzanalysten, die Börse, die applaudierenden Medien oder nur für das eigene Ego – vordergründig zwar ein vermeintlich erfolgreiches Unternehmen vorweisen, dessen Nutzen aber für die Öffentlichkeit nicht mehr greifbar ist und somit kaum einen erkennbaren Zweck mehr erfüllt? Dürfen Sie stolz darauf sein, wenn Ihr Unternehmen in einem sozialen Umfeld, in dem es Arbeitsplätze und Wohlstand schaffen müsste, nur noch aus einer Rumpfverwaltung mit dunkel betuchten 44  |  MANAGEMENT SCHOOL ST.GALLEN | www.mssg.ch


Managern und einigen IT-Spezialisten besteht, die Wertschöpfung aber in Vietnam, Indonesien oder in der Türkei stattfindet?

Den falschen Gurus nachgehechelt Das bringt uns zwangsläufig zur Frage, wie sinnvoll es ist, ohne ­R ücksicht auf Verluste möglichst viel mit möglichst wenigen ­Menschen – bezeichnenderweise zu «human resources» degradierte Neutren – zu produzieren und dabei möglichst ungebrochen wachsende Umsätze zu bolzen. Wie sinnvoll ist es, im Rationalisierungszwang eines zerstörerischen Wettbewerbes fortlaufend Stellen abzubauen und den Arbeitsmarkt auszudünnen? Wem und wozu dient das? Wie sinnvoll ist es, die gesellschaftliche Komponente, die Verantwortung, die ein Unternehmen hätte, als Quantité négligeable auszublenden und nur noch eindimensional zu ­wursteln – ohne genau zu wissen, wohin – und die sozialen Kollateral­ schäden kaltschnäuzig dem Staat aufzubürden? Die explosiv wachsenden Sozialkosten, welche die staatlichen Budgets an den Rand des ­Kollapses bringen, lassen grüssen. Unternehmen schätzen und preisen zwar ein stabiles Umfeld, wie es bisher zum Beispiel gerade in der Schweiz gegeben war, tun gegenwärtig aber fast alles, um das Klima zu destabilisieren und damit auch den sozialen Frieden zu gefährden. Was ist schiefgelaufen?    Die gegenwärtige «Occupy»-Bewegung gegen die Globalisierung und die Allmacht der Finanzwelt hat mittlerweile auch viele Anhänger in der politischen Mitte gefunden und ist keineswegs als diffuses Chaotentum abzutun. Das wäre zu einfach. Denn tatsächlich sind nach der ersten Euphorie vielerorts auch deutlich die negativen Auswirkungen der Globalisierung spürbar geworden. Zu lange sind die einander alles blind nachbetenden Wirtschafts­ theoretiker, die Change-Management-Apostel und in ihrem Sog die Unternehmensführer vermeintlichen Idealen aus Amerika nachgehechelt und haben – bravo! – tatsächlich auch fast ameri­ kanische Realität her­gestellt. Stichworte: tumbes Kurzfristdenken mit einäugiger Fokussierung auf die Gewinnmaximierung, unbedenkliches «Hire and fire», Entschädigungsexzesse bei einer von der gesellschaft­lichen Realität abgehobenen Führungskaste und wachsende ­Einkommensklüfte. Dass bei dieser unseligen Entwicklung auch der – eigentlich – stabilitätsbildende Mittelstand unter die Räder kommt, springt gerade jenseits des Atlantiks besonders ins Auge. Blicken wir mal auf amerikanische Strassen von heute, wo sich immer mehr vergammelte Gestalten schlotternd um Suppenküchen scharen: Ausgestossene aus einer brutal elitären Geldwelt. Hand aufs Herz: Wollen wir das wirklich?

Galoppierende Sinnentleerung Die Leitideen der Wirtschaftswissenschaften wurden schon lange nicht mehr überdacht und neu formuliert. Braucht es dazu wirklich einen noch stärkeren Druck der Strasse? Lassen wir die philo­ so­phische Dimension … die ist bei Ökonomen ohnehin schon längst abhandengekommen! Im Grunde geht es nur um eines: sich ­wieder des ursächlichen Sinnes der Wirtschaft zu erinnern. Liegt dieser etwa nicht darin, möglichst vielen Menschen die materiellen Voraus­setzungen für ein erfülltes Leben und damit auch die Basis


für ein nachhaltig prosperierendes Gemeinwesen zu schaffen? Ganz offensichtlich ist das völlig in Vergessenheit geraten.    In unserer Zeit der galoppierenden Sinnentleerung in vielen Lebensbereichen sind alle hektisch damit beschäftigt, allen möglichen und unmöglichen Trends nachzulaufen, ohne je darüber nachzudenken, wohin diese führen. Und ohne sich Gedanken darüber zu machen, welches der Sinn dessen sein könnte, dem wir nach­ eifern. Wichtig scheint vor allem der Aktivismus: der vermeintliche Zwang, das zu tun, was auch alle anderen tun. Oder zumindest irgendetwas zu tun. Mit der Frage, ob etwas einen Sinn hat, halten wir uns längst nicht mehr auf. Nichtökonomen können nicht umhin, sich immer wieder neu darüber zu wundern, wie ausgeprägt der Herdentrieb unter Managern ist, die an den Schalthebeln der Wirtschaft vor allem mitblöken und sich dabei so mächtig auf­plustern, als hätten sie die Welt eben gerade wieder neu erfunden.

Soziale Verantwortung: What do you mean? Etwas wehmütig erinnern wir uns der Zeiten, als auch grosse Wirtschaftsunternehmen noch in der Hand starker Industriepersönlichkeiten waren, die imperial über ihre Fabriken, Handelshäuser oder Banken herrschten und auch aktiven Einfluss auf die nationale und regionale Politik und die Kultur nahmen. An diesen führte – wenn es um wichtige kommunale Entscheide ging – kein Weg vorbei. Dieser geballten Macht von Industriellen, die durchaus nicht überall Gefallen fand, stand jedoch ein Verständnis öffentlicher Verantwortung gegenüber, die ihren starken Einfluss mehr als wettmachte. Für die meisten Grossunternehmen war es eine Selbstverständlichkeit, als potente Mäzene auch in hohem Masse den Anliegen der Öffentlichkeit zu dienen. Wie viele Bildungsstätten, Berufsschulen, kulturelle und soziale Institutionen oder Sportzentren sind dank ihrer Unterstützung – oft auch nur durch zur Verfügung gestelltes Land – entstanden! Wie viele Vereine erfreuten sich des Wohlwollens der lokalen Wirtschaft! Tatsache ist, dass grosse Arbeitgeber in beträchtlichem Masse über die Attraktivität und Prosperität ihrer Standorte und ganzer Regionen bestimmten. Anders als heute nahmen sie in ihrem Wirkungskreis öffentliche Verantwortung wahr, gaben ihrer Existenz auch weit über ihre Tätigkeit hinaus einen Sinn und erwarben sich damit das Ansehen und den Rückhalt in der Bevölkerung.    Innerhalb ihrer Unternehmen herrschten die Patrons zwar meist noch nach streng hierarchischen Mustern, was – im Lichte vielerorts chaotischer Entwicklungen späterer Jahre – immerhin den Vorteil klarer Missionen, klarer Verantwortung und klarer Pflichten in sich barg. Diese «grands chefs», meist auch die Besitzer, standen mit beiden Beinen im Unternehmen und führten es mit Herzblut. Im Gegensatz zu manchen «virtuellen» CEOs der Neuzeit hatten sie menschliche Konturen. Einige mochten Despoten sein, doch in der Überzahl führten sie mit humanem Gespür. Jeder Mitarbeiter im Unternehmen kannte sie, und sie kannten ihre Untergebenen mit allen Stärken und Marotten. Als Patrons zeigten sie sich in Werkstätten und Büros und nahmen sich auch die Zeit für «kleine» Mitarbeiter. Persönliche Gesten von «ganz oben» bei besonderen Anlässen machten deutlich und waren Zeichen dafür, dass man ein 46  |  MANAGEMENT SCHOOL ST.GALLEN | www.mssg.ch


geschätztes Mitglied einer grossen Familie war, die einen soliden Rückhalt bot, wofür man sich auch bedingungslos einzusetzen bereit war. Da, wo Unternehmenskultur vorgelebt wird, braucht es keine Berater und hohlen Kampagnen, um die Leute zu motivieren und bei der Stange zu halten!

Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen Bei traditionellen Unternehmen, die über Generationen gewachsen sind und sich durch eine starke Firmenkultur auszeichnen, besteht ein ausgeprägtes Gleichgewicht von Geben und Nehmen. Von denen gibt es zum Glück noch immer einige. Sie beanspruchen gewisse Rechte und Privilegien von den Behörden, sind als Arbeitgeber aber zugleich deren wichtigste Stützen. Klassische Unternehmer denken und handeln langfristig und steuern pragmatisch durch vorübergehende Krisen. Sie setzen auf ihre bewährten Talente, bauen auf ihr Know-how, wissen, dass ihre Spitzenleistungen auf der Affinität und dem Produktestolz ihrer Mitarbeiter basieren, und lassen sich deshalb nicht leichtfertig zu Hauruckübungen hinreissen, um den nächsten Jahresabschluss zu schönen. Nein, da passen keine Tagelöhner hinein. In ihrer sorgsam aufgebauten Unternehmenskultur gehören «Hire and fire»-Methoden nicht zum Vokabular. Um die konjunkturellen Wellenbewegungen abzufangen, schöpfen echte Patrons alle kreativen organisatorischen Möglichkeiten aus, bevor sie einen Stellenabbau ins Auge fassen. Entlassungen, die das Gleichgewicht mit ihrem soliden Umfeld in Gefahr bringen, sind für sie die allerletzte Option.    Ist all das eine Beschwörung einer längst verstaubten Ver­ gangenheit? Ein Blick auf die Irrläufe der letzten Jahrzehnte und in die harten Realitäten der Gegenwart rechtfertigt allerdings eine Rückbesinnung. Zu vieles ist aus dem Lot geraten, ganz besonders auch das Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen.

Ein Blick ins Sündenregister Fairness, gesunder Menschenverstand, Verantwortung: So viel Fehlgeleitetes ist in der letzten Zeit zur vermeintlichen Normali­tät geworden, dass man kaum mehr Gedanken darüber zu verlieren scheint. Dass sogar ein Vordenker wie WEF-Gründer Klaus Schwab zur bedenklichen E­ insicht gelangt, dass die freie Marktwirtschaft mit den heutigen ­Aus­wüchsen in eine Sackgasse geraten sei, lässt aufhorchen. Einige der negativen Trends: •  Unternehmer im reinsten Sinne wurden durch viele CEOs abgelöst, die sich anmassen, Unternehmer zu sein, es aber nicht sind. Von der von ihnen verschmähten Politik halten sie sich fern. Der Staat interessiert sie höchstens dann, wenn er Einfluss nehmen will oder etwas herauszuholen ist. Ihre gesellschaftliche Verantwortung erkennen sie nicht oder wollen sie nicht erkennen. •  Geld wurde zum dominanten Erfolgstreiber. Ihm wird alles untergeordnet. Gier und nicht mehr Gemeinsinn bestimmt die Kultur bei vielen Unternehmen. Während die Einkommen von Top­ verdienern weiter ansteigen – sogar in schlechten Jahren –, kommt es bei den mittleren und unteren Lohnklassen, wenn überhaupt, nur zu spärlichen Anpassungen. Das ist nicht nur unfair, sondern unsozial.


•  Die Managements bilden zunehmend geschlossene Kasten, die – besonders auf Durststrecken – von der «Work Force» alles abverlangen, sich selber aber meist ausnehmen. Ihre Entschädigungen und Privilegien bleiben oft unangetastet, auch wenn das Personal Opfer erbringen muss. •  Arbeitsplätze werden kontinuierlich ausgedünnt. Immer weniger Leuten wird zugemutet, immer mehr zu arbeiten – bis zum Burn-out. Das ist, gesamtwirtschaftlich gesehen, unsinnig und ein ­Irrlauf. Für die wachsende Zahl derer, die aus dem Arbeitsprozess ausscheiden, wird schamlos der Staat – werden die Steuerzahler – zur Kasse gebeten. •  Den Managements mangelt es zunehmend an Verantwortungsgefühl, Fantasie und Fairness, wenn es um Arbeitsplätze geht. Sie entlassen rücksichtslos Mitarbeiter, denen sie eben noch vorgaukelten, sie seien ihr «wichtigstes Kapital». Oder sie lagern auch Tätigkeiten, in denen früher schwächer Qualifizierte oder Behinderte ein Einkommen fanden, in Drittweltländer aus. Damit ­höhlen sie Arbeitsstandorte aus. •  Früher funktionierende Sozialpartnerschaften und öffentliche Beziehungen werden nicht mehr ernst genommen und damit Konflikte provoziert. Worte und Taten klaffen auseinander. Statt an runden Tischen nach gemeinsamen Lösungen zu suchen, schaffen Arbeitgeber einseitige Faits accomplis. Ihr Verhalten ist somit nicht mehr berechenbar. Das untergräbt das Vertrauen. •  Langfristiges Denken ist kurzfristiger Gewinnmaximierung gewichen. Mit dem Blick auf das nächste Ergebnis wird alles über Bord geworfen, was nicht als «nötig» erachtet wird. Opfer davon sind auch ungeschriebene Verpflichtungen gegenüber der «Community». Einen Sportplatz braucht es ja wirklich nicht! •  Viele CEOs kommen, im Gegensatz zu den einstigen Unternehmern, von irgendwo und verschwinden oft nach kurzer Zeit so rasch wieder, wie sie gekommen sind. Sie haben keine Bezie­ hungen und keine Bindungen zum Umfeld. Traditionen, lokale Verpflichtungen oder ungeschriebene Gesetze sind für sie ein Gräuel. Damit entfernen sich Unternehmen von der Gesellschaft und werden zu unberechenbaren, gesichts- und seelenlosen ­anonymen Selbstläufern. •  Die vielerorts übertriebene Akademisierung vermindert den Wert solider Berufsbildung und verbaut die Aufstiegschancen guter Fachkräfte. Langjähriges Engagement für das Unternehmen und grosses Know-how werden missachtet, wo «Durchlauferhitzer» das Sagen haben. Die hohen Kosten für Irrläufe erscheinen in ­keiner Bilanz. Dieses Sündenregister liesse sich beliebig fortsetzen und deutet immer wieder auf eines hin: die offenkundige Entfremdung vieler Wirtschaftsunternehmen von ihrer gesellschaftlichen Funktion.

Zuerst der Bonus, dann die Moral «Die Leitideen der politischen Ökonomie haben wir völlig aus den Augen verloren», erklärt etwa der deutsche Philosoph Richard David Precht. Die dadurch entstandenen gesellschaftlichen ­Schäden sind nicht zu über­sehen. «Warum geht in allen westlichen ­Ländern 48  |  MANAGEMENT SCHOOL ST.GALLEN | www.mssg.ch


seit zehn ­Jahren die Schere zwischen Arm und Reich immer ­weiter ­auseinander?», fragt Precht unter anderem. Mit den ­Ursachen ­dieses Malaise, das von ihnen verursacht wurde, sollten sich ­seiner Meinung nach die Ökonomen vordringlich befassen und etwas dagegen tun.     Prof. Klaus Schwab wies am letzten World Economic Forum in Davos auf das alarmierende Moralitätsproblem in der Wirtschaft hin. Wir hätten es verpasst, in die Zukunft zu investieren, die soziale Kohärenz unterminiert und liefen Gefahr, das Vertrauen kommender Generationen völlig zu verlieren. Ist die freie Marktwirtschaft in ihrer heutigen Form tatsächlich ein Auslaufmodell? Wenn sie nur noch der Geldvermehrung im Interesse weniger dient, erfüllt sie in der Tat keinen nachvollziehbaren Zweck mehr. Wollen wir sie nicht weiter ihres ursächlichen Sinnes entleeren, sondern sie wieder hin zu einem breiten Nutzen für das Gesamtwohl der Gesellschaft ­führen, sind radikale Korrekturen nötig. Das bedeutet auch eine Veränderung der Prioritäten und Werte. So kann es einfach nicht mehr genügen, den Erfolg eines Unternehmens nur an Wachstums- und Finanzparametern zu messen. Prof. Schwab: «Wenn wir die Probleme im Kontext veralteter und zerbröckelnder Modelle zu lösen suchen, bringt uns das höchstens noch tiefer ins schwarze Loch.»

Beschäftigung kontra ausgehöhlte Arbeitswelt Eine der Prioritäten aus gesellschaftlicher Sicht wäre zweifellos, über die Verteilung der Arbeit zu sinnieren und die Schaffung und Erhaltung der Arbeitsplätze wieder ins Zentrum zu rücken. Ganz klar, dass dabei Arbeitszeiten und Löhne keine heiligen Kühe mehr sein können. Soll die Arbeit – eben im übergeordneten Interesse – breiter verteilt werden, besteht der Preis dafür in Veränderungen des ­Lohngefüges, kleineren durchschnittlichen Einkommen und zwangsläufig auch Anpassungen im Lebensstil. Bewegen müssten sich nicht nur die Arbeitgeber, sondern besonders auch die Gewerkschaften, die noch weit davon entfernt sind, von bisherigen Denkmustern abzurücken. Über die Bücher müssten auch die Medien, die – ausser sie sind selber betroffen – unkritisch nur auf Finanzzahlen fokussieren, die sozialen Komponenten ausklammern und grosse Jobvernichter oft wie Popstars hochjubeln und damit das Bild ­verzerren.    Die Praxis ist immer komplexer als die Theorie, doch hier geht es primär um einen gesellschaftlichen Grundsatz: Sollen tatsächlich immer weniger Leute – zu den heute komfortablen Bedingungen – immer mehr leisten? Oder soll sinnvollerweise einer ­grösstmöglichen Anzahl von Menschen – zu weniger komfortablen Bedingungen – die Basis zu einer anständigen Existenz geschaffen werden? Eine Veränderung dieser Dimension scheint für viele absurd, weil sie bisherigen verkrusteten Denkmustern radikal entgegenläuft und die latente Gefahr eigener Betroffenheit in sich birgt. Nur: Wenn wir eine Umkehr anstreben und uns konsequent «Beschäftigung für möglichst viele» zum Ziel setzen wollten, dann ginge das nicht ohne mögliche Abstriche und könnte Besitzstandwahrung kein Argument bleiben! Und weil ein solcher Prozess ohnehin nicht verordnet werden oder auf Knopfdruck erfolgen kann, würde er mit einem Umdenken und mit kleinen Schritten beginnen: im eigenen


Unternehmen. Wenn sich gleichzeitig auch viele andere die Sinnfrage stellten und mit kleinen Schritten begännen, könnte daraus ein Trend entstehen und – wer weiss? – vielleicht sogar in eine Revolution münden!

Der Weg hin zum Friedhofgärtner Das selbstherrliche und egozentrische Verhalten vieler Manager hat in den letzten Jahrzehnten zu grossen Vertrauensverlusten geführt. Vordringlich ist, dieses Vertrauen durch eine Rückbesinnung und glaubwürdiges Handeln wieder aufzubauen. Das erfordert mehr Reflexion und Fantasie, als einfach viele trendige «om mani padme hum» von Management-Gurus nachzubeten. Vielleicht auch eine Abkehr vom blinden Wachstumswahn.    Einen guten Schritt weiter sind wir, wenn sich Wirtschaftskapitäne mal ehrlich die Frage stellen, welchen gesellschaftlichen Zweck sie erfüllen, wenn sie möglichst viel Geld mit Arbeit anzuhäufen suchen, die irgendwo in Übersee geleistet wird. Zum Glück gibt es Beispiele – in der Schweiz zum Beispiel Swatch oder Victorinox –, die mit grossem Erfolg vorleben, dass es durchaus möglich ist, die Arbeitsplätze in ihrem Hochlohnland zu erhalten, auch erfolgreich zu produzieren und damit soziale Verantwortung zu übernehmen. Wenn es heutigen CEOs mit ihren Tunnelblicken gelingt, ihren Horizont zu erweitern, ihre Tätigkeit endlich wieder mit Sinn zu füllen und in einer Art zu denken wie die früheren kantigen Unternehmerpersönlichkeiten, dann haben sie es kapiert. Dann können sie, so wie Ärzte oder Friedhofgärtner, endlich wieder unbefangen in den Spiegel schauen und müssen sich keine Gedanken mehr über den höheren Sinn ihrer Tätigkeit machen.

Der Autor Urs von Schroeder hat Wurzeln in der Maschinen­industrie und bei internationalen Organisationen, stieg aber in jungen Jahren in den Journalismus um. Er wurde Redaktor bei verschiedenen ­Schweizer Zeitungen und Mitarbeiter ausländischer Blätter. Während vieler Jahre arbeitete er als Mediensprecher und Kommunikationsbeauftragter für die ­Swiss­air im In- und Ausland. Hautnah erlebte er die verhängnisvollen Entwicklungen bei der ­Schweizer Fluggesellschaft in ihren letzten Jahren und ihren kläglichen Untergang. Deshalb ist Krisenkommunikation für ihn alles andere als ein Fremd­wort. Heute ist er, wohnhaft in Schaffhausen, freier Publizist und Autor von bisher elf Werken. Kontakt zum Autor: office@mssg.ch

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Fortsetzung folgt. Wer regelmässig eine Denkpause ein­ legt, kommt schneller voran: Weitere Editionen unserer Schriftenreihe, die mit dem Swiss Media Award und dem Best of Corporate Publishing Award ausgezeichnet wurde, finden Sie auf der Internet-Plattform der Manage­ ment School St.Gallen. Ausgewählte Essays und Berichte stellen wir Ihnen auch als Podcast zur Verfügung. Wir würden uns freuen, Sie auch weiter­ hin zu unserer Leserschaft zählen zu dürfen – und danken Ihnen für Ihre Meinungen und Anregungen. www.mssg.ch/denkpausen

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