Denkpausen - Inspirationen zu Management und Leadership ESPRIX Edition 2012

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Denkpausen

Inspirationen zu Management und Leadership ESPRIX Edition

Management School St.Gallen


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Denkpausen ESPRIX Edition

Seite 4

Innovation in einer komplexer werdenden Welt Johann Schneider-Ammann

Seite 6

Einladung zu einer komplexen Denkpause Dr. Rudolf St채mpfli

Seite 8

Vom vernetzten Denken zum exzellenten Handeln Priska Wyser

Seite 12

Kybernetik: Erfolgsessenz einer neuen Excellence Maria Pruckner

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Komplexit채t kann man nicht vermeiden, aber geniessen Mac J. Rohrbach

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Was tun, um es sicher falsch zu machen?

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Themenplakat (Limited Edition)


Innovation in einer komplexer werdenden Welt

Ich bin stolz, dass die Schweiz heute zu den wettbewerbsfähigsten Ländern der Welt gehört. Doch andere Länder schlafen nicht, sie holen auf, was die Innovationsfähigkeit betrifft. Mit anderen Worten heisst das: Schweizer Unternehmen müssen die Konkurrenz mehr denn je mit innovativen und qualitativ hochstehenden Produkten und Dienstleistungen ausstechen.

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Um dieses Ziel zu erreichen, müssen Wirtschaft und Politik Hand in Hand arbeiten. In diesem Sinne haben der Bundesrat und das Parlament im Herbst zusätzliche Mittel für die Kommission für Technologie und Innovation (KTI) bereitgestellt, damit praxisrelevante Forschungsprojekte vorangetrieben werden. Mit diesen 100 Millionen Franken Einsatz lässt sich letztlich ein x-Faches an Umsatz generieren. Das schafft oder sichert Arbeitsplätze in der Schweiz. Bei Innovationen geht es nicht nur darum, bestehende Produkte zu verbessern. Schweizer Firmen müssen zwingend auch in aufstrebenden und neuen Branchen frühzeitig Fuss fassen. Doch die Innovationsfähigkeit beginnt nicht im Forschungslabor, sie beginnt im Klassenzimmer. Eine gute Grundausbildung alleine genügt heute nicht mehr. Permanente Weiterbildung ist ein Muss. Daher rufe ich die Unternehmer auf, gerade auch in schwierigen Zeiten in die Weiterbildung der Mitarbeitenden zu investieren. Die Welt verändert sich schnell. Und darauf muss die Schweiz rechtzeitig reagieren können. Wenn wir das schaffen, werden wir auch in Zukunft zu den wettbewerbsfähigsten Ländern der Welt gehören.

Johann Schneider-Ammann Vorsteher des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements


Einladung zu einer komplexen Denkpause

Die Edition der «Denkpausen», die Sie in den Händen halten, ist eine besondere. Es ist die erste Ausgabe, welche die Management School St.Gallen in Partnerschaft mit ESPRIX herausgibt. Gewidmet ist sie einem Erfolgsfaktor, der für Excellence heute essenziell ist: dem Umgang mit Komplexität.

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Je komplexer das Business wird, desto mehr gilt: Qualität verkauft sich – immer. Auf diesem Fundament steht ein wesentlicher Teil der Schweizer Wirtschaft. Das ständige Suchen nach etwas Besserem verhilft zu konkurrenzfähigen Produkten und ausgezeichneten Leistungen. ESPRIX will Unternehmungen in diesem Streben bestärken und aufzeigen, was möglich ist, wenn man sich dem Weg der Qualität verschrieben hat.

Deshalb ist es möglich, dass nicht jedes Jahr Preisträger ausgezeichnet werden. Die Träger des ESPRIX Award müssen eine strenge Selektion durchlaufen, um überhaupt in die Schlusskonkurrenz zu kommen. Damit ist ESPRIX wohl der am schwierigsten zu erreichende Preis, der in der Schweizer Wirtschaft vergeben wird. Er ist gleichzeitig aber auch die Auszeichnung dafür, dass sich der Preisträger über weit überdurchschnittliche Fähigkeiten dafür ausgewiesen hat, die Qualität seines Angebotes nicht dem Zufall, sondern der sorgfältigen Arbeit zu überlassen.

Neben der Preisverleihung fördert ESPRIX durch Schulung und Vermittlung von Fachwissen die Umsetzung des EFQM-Modells in den Unternehmen. Der Weg bis zum Preis ist lang, er zahlt sich jedoch für die Firmen aus. Ein Blick in die Liste der Preisträger zeigt denn auch, dass diese Unternehmen lange über die Auszeichnung hinaus an der Spitze in ihrem Wirtschaftsgebiet bleiben.

Das soll denn auch das Ziel von ESPRIX sein: Unternehmen befähigen, langfristig Erfolg zu haben – in einem Umfeld, das nicht nur kompliziert ist, sondern mehr und mehr komplex.

Dr. Rudolf Stämpfli ist Präsident des ESPRIX-Stiftungsrates sowie Verwaltungsratspräsident der Stämpfli Gruppe. Deren Kernkompetenzen liegen in der Konzeption, Koordination, Herstellung und dem Vertrieb von gedruckten und digitalen Publikationen sowie in der Entwicklung und Integration von Publikationssystemen.


Vom vernetzten Denken zum exzellenten Handeln

Die beste Antwort auf Komplexität heisst Vernetzung. Starke Beziehungen zu knüpfen, insbesondere zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden, ist die Voraussetzung für echte Business Excellence. Das macht vernetztes Denken und Handeln zur kritischen Zutat für unsere Teamerfolge der Zukunft.

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Die Dynamik der Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft hat in den letzten Jahren rasant zugenommen und damit auch der Anpassungsdruck auf die Unternehmen.

Der Kampf um den Marktvorsprung ist nur mit einem engagierten Team zu gewinnen. Wer die Leistungsbereitschaft und Selbstverantwortung bei Mitarbeitenden und Führungskräften sinnvoll fördern will, muss den Mut haben, Reformen zu unterstützen, und einen Rahmen schaffen, in dem sich persönliches Engagement und qualitätsbewusstes Denken und Handeln auszahlen. Nur wenn es uns gelingt, die Leidenschaft für das Erproben neuer Ideen bei allen Mitarbeitenden zu entfachen, wird es uns auch gelingen, als Sieger aus diesem Wettbewerb hervorzugehen.

Als Geschäftsführerin von ESPRIX faszinieren mich der stetige Wissensaustausch, die Begeisterung für Neues und die innovativen Ideen, mit welchen wir täglich konfrontiert sind. Gerade angesichts zunehmender Komplexität bin ich überzeugt: Nur im Team sind Spitzenleistungen möglich.

Priska Wyser ist Geschäftsführerin der Stiftung ESPRIX. Als Schweizer EFQM-Distributor sowie als Veranstalterin des ESPRIX Forum für Excellence ist die Stiftung ESPRIX das national führende Kompetenzzentrum für Business Excellence. Hauptziel der Stiftung ESPRIX ist es, Unternehmen und Organisationen auf dem Weg zu Bestleistungen zu begleiten und auszuzeichnen.


Bestleistung als Teamleistung

Dass Komplexität, Vernetzung und Excellence eng zusammenhängen, beweist auch die ESPRIX-Bewegung selbst. Starke Partner aus der Wirtschaft ermöglichen es, einen ebenso vielstimmigen wie erkenntnisreichen Dialog zu führen. Um immer mehr Unternehmen auf den Weg zu neuen Bestleistungen zu führen.

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Unsere Hauptsponsoren

«Das Geschäft wird komplexer, auch und gerade in unserer B ­ ranche. Die Lösung kann nicht in einer ­kurzsichtigen Vereinfachung liegen, ­sondern nur in der nachhaltigen ­Beherrschung von Komplexität.» Dr. Philipp Gmür, Vorsitzender der Geschäftsleitung, Helvetia Schweiz

«Mit der Komplexität nehmen auch die Risiken zu. Um uns dagegen zu ­versichern, gibt es mehr denn je nur ein wirksames Mittel: Business Excellence.» Dr. Ulrich Fricker, Vorsitzender der Geschäftsleitung, Suva

Unsere Sponsoren und Eventpartner


Kybernetik: Erfolgsessenz einer neuen Excellence

Eine für das Management bahnbrechende Forschungsrichtung, die Kybernetik, gerät leider mehr und mehr in Vergessenheit. Zu Unrecht: Weil sie uns ermöglicht, komplexe Wirklichkeit zu verstehen und zu beeinflussen, ist Kybernetik eine Schlüsseldisziplin bei der Erlangung von Business Excellence.

Eine Gruppe genialer Forscher in den USA stösst im Zweiten Weltkrieg auf eine Frage: Was steckt hinter dem Funktionieren von Systemen, die Zwecke erfüllen und Ziele verfolgen? Sie wird innerhalb kürzester Zeit das Informationszeitalter auslösen. Bitte beachten Sie, die Frage war nicht: Wie funktionieren Systeme mit Zwecken und Zielen? Die Frage war: Was steckt hinter ihrem Funktionieren? Diese Forschergruppe hat sich dafür interessiert, wie das Funktionieren funktioniert. Sie wollte herausfinden, ob es universelle Gesetzmässigkeiten für Effektivität gibt. Der Befund: Das Funktionieren und die Effektivität aller Arten von Systemen beruhen auf denselben Phänomenen, und sie haben alle mit der Wirkung von Information zu tun.

Die Geburt des Informationszeitalters

Aus der Lösung dieser Frage entwickelte sich zwischen 1946 und 1953 die Systemwissenschaft Kybernetik, und aus der Kybernetik

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ging das Informationszeitalter hervor – mit allem, was dieses ausmacht. Das legendäre Forschungsprojekt markiert man in der Wissenschaftsgeschichte als epochale Schwellensituation. Die Kybernetik war die Kinderstube für all jene Innovationen, die unser Leben und Arbeiten heute prägen: vom Computer bis zum Internet, von der Telekommunikation bis zu GPS und iPhone, vom Geldautomaten bis zur vollautomatisierten Fertigungsanlage, von der modernen Sicherheitstechnik bis zu bionischen Robotern, die ohne Elektronik funktionieren.

Die Erkenntnisse der Kybernetik haben auch die bis dahin gültige Wissenschaftstheorie abgelöst. Seit damals glaubt man nicht mehr an objektive Erkenntnis. Seit damals entstehen durch das Anwenden kybernetischer Grundlagen in so gut wie jeder Disziplin neue Konzepte und hochwirksame Lösungen: von der Psychotherapie bis zur Pädagogik, von der Philosophie bis zur Medientheorie, von der Ökonomie bis zum Management, von der Psychologie bis zur Hirnforschung, von der Medizin bis zur Politikwissenschaft.

Kybernetik – die grosse Unbekannte

Nur von der Kybernetik ist kaum mehr die Rede. Wie kommt das? Müsste sie, wo sie doch die Welt verändert hat, nicht in aller Munde sein? So funktioniert das leider nicht. Die Erkenntnisse der Kybernetik lösen sich in dem Augenblick in nichts auf, in dem man anfängt, über sie zu sprechen, zu schreiben, von ihnen zu hören, zu lesen oder sie anzuwenden. So kommt es, dass das, was man in der Managementpraxis bis heute aus der Kybernetik umgesetzt hat, von deren Originallehre noch so weit entfernt ist, wie wir heute weltweit in Wirtschaft und Politik vom Aufschwung und von einer rosigen Zukunft entfernt sind.

Dass wir noch nicht weiter sind, hat eine Reihe von Gründen, und diese sind kybernetischer Natur. Sie beginnen damit, dass die meisten Menschen, die mit der Kybernetik in Berührung kommen, glauben, sie könnten ein vollkommen neues Denken mit ihren bisherigen Denkgewohnheiten verstehen. Das ist ungefähr so, als wollte man eine DVD mit einem Plattenspieler abspielen oder einen Aston Martin wie ein Fahrrad fahren, indem man abwechselnd zwei seiner Pedale heftig tritt.

Die Schlüsselfragen zu Information und Wissen

Andererseits machen wir heute Dinge, die vor dreissig Jahren für die meisten noch undenkbar waren. Man telefoniert zum Beispiel wie selbstverständlich mit Mobiltelefonen in die ganze Welt, man erhält E-Mails in der Sekunde, in der sie abgesendet wurden, man googelt alles, was man wissen möchte, man lernt seinen nächsten Lebensabschnittspartner im Chatroom kennen. Es weiss zwar kaum jemand, wodurch das alles möglich ist, aber so gut wie jeder kann diese technischen Innovationen nutzen.


Wir sprechen von unserer Zeit als Informationszeitalter und davon, dass wir uns zur Wissensgesellschaft entwickeln müssen. Dafür sprechen wir in unserem Alltag noch viel zu wenig darüber, woher das neue Zeitalter eigentlich kommt, und darüber, was Information im Kern bedeutet und bewirkt. Wir sprechen auch viel zu wenig darüber, was wir eigentlich wissen können, niemals wissen werden, nicht zu wissen brauchen und unbedingt wissen müssen, um auch in dieser neuen Zeit noch Erfolg zu haben. Genau diese Fragen haben die Forschungsarbeit der Kybernetik bestimmt. Ihre Urheber haben sie so beantwortet, dass man es so schnell leicht hat im Leben, wie man diese Antworten mit all ihren Konsequenzen akzeptiert. Bitte beachten Sie, ich spreche davon, dass es notwendig ist, diese Antworten zu akzeptieren, nicht davon, sie zu verstehen. Denn das Grundproblem, das die Kybernetik aufgegriffen hat, ist das Problem der Komplexität.

Die Intelligenz der Natur

Von komplexen Angelegenheiten können wir in vieler Hinsicht nur wissen, dass sie so sind, wie sie sind, aber wir können nicht wissen, warum sie so sind. Die Kybernetik liefert die beste Strategie, wie man trotz Informationsmangel und unerreichbarem Wissen effektiv sein kann. Die Quelle dieser Strategie ist die Natur. Wann haben Sie sich zum letzten Mal darum gekümmert, dass Ihr Herz schlägt, Ihre Atmung funktioniert, Ihre Schilddrüse Hormone ausstösst oder Ihr Stoffwechsel arbeitet? All das läuft – solange man gesund ist – von alleine. Haben Sie sich jemals gefragt, wodurch das eigentlich möglich ist? Dahinter steckt der faszinierendste Komplex kybernetischer Phänomene, den wir kennen: Hier wirken die Prinzipien der Selbstorganisation. Heinz von Foerster, von dem ich mit grosser Dankbarkeit und Demut sagen darf, dass er mein strenger Lehrer und enger Freund war, beschrieb 1962 unter diesem Titel die Voraussetzungen, unter denen komplexe Systeme selbständig sinnvolle Ordnungen und Innovationen hervorbringen.

Diese Form der Selbstorganisation ist auch im Management möglich. Sie zu erzielen, würde nur Pionier der Kybernetik: bedeuten, dass wir das Potenzial nutzen, das uns Der Physiker und Professor die Natur für ein schönes Leben und Arbeiten zur für Biophysik Heinz von Verfügung stellt, anstatt aus purer Naivität gegen Foerster (1911 – 2002) sie anzukämpfen. Selbstorganisation ist das Maximum an Effektivität, das uns die Natur nicht nur erlaubt, sondern was sie im Grunde von uns verlangt. Solange wir nicht auf Selbstorganisation abzielen, schlägt die Natur auf uns zurück. Sie tut das nicht immer sofort brutal, aber sie lässt immer dann, wenn wir ihr Potenzial brachliegen lassen, viel mehr Arbeit, Kosten und Stress auf uns zukommen, als nötig wären.

Das grösste Problem ist, dass man Selbstorganisation gar nicht für möglich hält. Wir haben viel zu geringe Erwartungen an unseren

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möglichen Erfolg, und wir neigen gerade in Krisenzeiten dazu, unsere Erwartungen immer tiefer zu schrauben, damit uns unsere Probleme und Misserfolge nicht mehr so gross erscheinen. Aus demselben Grund versuchen die meisten Führungskräfte nach wie vor, Dinge zu kontrollieren, die sie gar nicht steuern und regulieren können, weil sie sich, wie man in der Kybernetik herausgefunden hat, selbst steuern und regulieren.

Eigendynamiken verstehen und nutzen

Komplexe Systeme funktionieren eigendynamisch. Es geht daher darum, ihre Eigendynamik zu verstehen. Wir haben die Wahl zwischen ihren unerwünschten bis katastrophalen Folgen und der Selbstorganisation, also der Eigendynamik in ihrer schönsten Art. Wir haben derzeit noch vielfach das Problem, dass die falschen Dinge gesteuert und reguliert werden, nämlich die, die man nicht erfolgreich steuern und regulieren kann. Das, worauf wir Einfluss haben, und die Frage, wie wir darauf erfolgreich Einfluss nehmen können, wird hingegen hartnäckig ignoriert.

Die besten Lösungen für komplexe Systeme sind in der Regel auch die einfachsten und billigsten. Dieses Prinzip namens «Cheap Design» hat jüngst ein grossartiger Schweizer herauskristallisiert: Prof. Dr. Rolf Pfeifer. Er führt, wie ich meine, die Arbeit von Heinz von Foerster in seinem Labor für Artificial Intelligence an der Universität Zürich fort. Pfeifer interessiert sich dabei weniger für das Künstliche als für die Frage, was Intelligenz eigentlich sein kann.

Die Forschungsfragen, welchen sich Heinz von Foerster unter Berücksichtigung des Problems der Komplexität gewidmet hat, waren zum Teil noch viel einfacher: Wie müssen wir das Wahrnehmen wahrnehmen, das Erkennen erkennen, das Verstehen verstehen oder das Beobachten beobachten, um effektiv zu sein? Wie müssen wir über die Sprache sprechen? Und so weiter. Fast jeder kennt die Frage, die Foersters Schüler und Freund Paul Watzlawick für einen seiner Buchtitel gewählt hat: Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Heinz von Foerster hat sich mit all den Dingen beschäftigt, die wir für zu selbstverständlich halten, und er ist dadurch auf Lösungen gestossen, die verblüffend einfach sind, sobald wir uns selbst verstanden und die Angst vor uns selbst verloren haben.

Rezepte, Substanzen, Essenzen, Lösungsmittel

Wir leben in einer Zeit, in der uns einfache Rezepte schon zu oft enttäuscht haben. Wir wissen, sie enthalten nie die Substanz, die sie versprechen. Wir sind heute in jeder Hinsicht auf Profis angewiesen, von welchen wir echte Substanz fordern. Die Kybernetik liefert mehr als Substanz – sie liefert hochkonzentrierte Essenz.

Nun sind Essenzen ohne Verdünnung in der Regel unverträglich, schwer verdaulich, ätzend, penetrant oder explosiv. Deshalb liegen die meisten nur in der Hand von Profis. An Laien werden sie


nur verdünnt abgegeben und damit ungefährlich, verträglich und allemal auch unwirksam gemacht. Das gilt für die Kybernetik ebenso. Die Lösungsmittel, die zu deren Verdünnung in der Folge‑ literatur oft verwendet werden, lassen die Essenz nicht selten bis zur Substanzlosigkeit verschwinden.

Das einzig wirksame Lösungsmittel für die Essenz der Kybernetik steht aber jedem zur Verfügung: echte Aufgaben und Probleme in echten Systemen in der echten Praxis. Das hat sprachliche Gründe.

Das Problem systemwissenschaftlicher Fachsprachen

Für ihre allgemeingültige Theorie muss die Kybernetik eine ab­strakte Sprache verwenden, damit sie ihre Aussagen für alle Systeme machen kann. Diese abstrakten Begriffe sind wie die Zahlen und Zeichen in der Mathematik nur Platzhalter für etwas Konkretes. Man meint dort mit System zum Beispiel alles, was mit dem Funktionieren einer Waschmaschine, Software, der Ehe oder eines Betriebs zu tun hat. Die kybernetische Primärliteratur beginnt über das, was ihre Autoren herausgefunden haben, erst zu sprechen, wenn man ihre Platzhalterbegriffe in konkrete Worte für das übersetzt, womit man sich gerade beschäftigt. Das verstehen nur die wenigsten, deshalb glauben viele, die Kybernetik sei eine viel zu komplizierte, alles und nichts sagende Theorie, auf die man gut verzichten könne.

Andere meinen, sie wirkten gescheit, wenn sie die abstrakte Sprache der Kybernetik übernehmen. Damit bewirkt man nur, dass kein Mensch mehr versteht, wovon die Rede ist, und den Leuten schwirrt nur der Kopf. Andere wieder interpretieren die wissenschaftlich definierten Begriffe wie System, Selbstorganisation, Information oder Feedback leider in ihrer heutigen umgangssprachlichen Bedeutung und verwechseln dadurch ihre eigene Schlauheit mit der Intelligenz der Primärliteratur.

Eine Gebrauchsanleitung für das Gehirn

Die bekanntesten Lösungen der angewandten Kybernetik kommen aus der Technik. Neben der Informatik entstanden aus der Kybernetik auch die Fächer Automatisierungs-, Steuerungs- und Regulierungstechnik. Das lässt viele Manager glauben, die Kybernetik sei eine Gebrauchsanleitung für komplexe Systeme, die ihnen die Stellhebel aufzeigt, die man bewegen muss, damit sich alle Probleme in Wohlgefallen auflösen. Das funktioniert bis zu einem gewissen Grad für die Technik, aber es funktioniert nicht für Managementfragen.

Die Kybernetik ist in erster Linie eine Gebrauchsanleitung für das eigene Gehirn. Dieses gehört nicht nur zu den komplexesten Systemen, die wir kennen, es hat auch ein gigantisches Problem mit Komplexität! Deshalb kommt man erst in die Lage, mit anderen Systemen effektiv umzugehen, wenn man die Kybernetik primär auf das eigene Gehirn und sich selbst anwendet.

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Die Gebrauchsanleitung der Kybernetik beginnt mit der Frage, wie das Gehirn die Realität erkennt. Es erkennt die Realität gar nicht. Wir sind blind und taub für unsere Umgebung, wir können sie nicht riechen und nicht spüren. Das weiss man in der Medizin seit 1826. Aus der modernen Hirnforschung wird darüber heute täglich im Fernsehen und in anderen Medien berichtet. Solange wir daraus nicht radikale Konsequenzen ziehen, wird sich unsere Kultur nicht weiterentwickeln, werden die meisten Menschen nach wie vor ihre Umgebung für das verantwortlich machen, was sie wahrnehmen – weil es so üblich ist.

Eine Gebrauchsanleitung für das Unbekannte

Das Gehirn sagt uns nichts über die Umwelt, es «plaudert» ununterbrochen über sich selbst. Wie also können wir mit dem umgehen, was um uns herum los ist? Das ist der zweite Teil der Gebrauchsanleitung namens Kybernetik. Sie bietet uns für das Verstehen von Vorgängen in komplexen Systemen eine Metapher an: die Black Box. Dabei stellt man sich ein komplexes System wie eine hermetisch verschlossene, undurchsichtige schwarze Schachtel vor, von der man nicht wissen kann, was sie enthält und was in ihr vorgeht.

Mit System vom Input zum Output: Die Black Box als Metapher für die Komplexitätsforschung

Nun zeigt die Kybernetik, wie man trotzdem herausfinden kann, wie das jeweilige System funktioniert. Man zieht Rückschlüsse vom Input in dieses System zu seinem Output: «Wenn ich dies tue, was passiert dann, und was kann das bedeuten; und wenn ich das tue, was passiert dann, und was kann dies bedeuten?» Auf dieser Ebene ist die Kybernetik eine Anleitung zum effektiven Erforschen einer unbekannten Angelegenheit. Das Prinzip dahinter kennt jeder von medizinischen Untersuchungen. Wir alle wenden es intuitiv an. Weil sich komplexe Systeme aber von Natur aus unberechenbar verhalten, muss es um gekonntes Forschen und Experimentieren gehen, damit einem die jeweilige Sache nicht um die Ohren fliegt. Weil das nicht ganz so einfach ist, ist in der Gebrauchsanleitung der Kybernetik auch ein dritter


Teil enthalten. Er beschreibt, wie das Funktionieren aller Systeme generell funktioniert – genau so, wie zum Beispiel die Medizin beschreibt, was sich unter unserer Haut abspielt.

Eine Gebrauchsanleitung für die Wirklichkeit

In diesem dritten Teil werden das Phänomen Information und seine Wirkungen beschrieben. Der Mathematiker Norbert Wiener beschrieb 1948 in seinem Buch Kybernetik, dass man das Funktionieren von Systemen unmöglich verstehen kann, wenn man nur auf ihre Materie und Energie achtet. Man kann sie nur durch die Information verstehen, die in ihnen wirkt. Damit hat Wiener das Phänomen Information bis heute gültig neben Materie und Energie als dritte Grundgrösse der Natur postuliert. Aus der Quantenphysik wissen wir heute, dass Information wahrscheinlich der Anfang von allem ist.

Was steckt nun hinter dem Funktionieren von Systemen? Diese Frage wurde in der Kybernetik gelöst, indem man die schon erwähnten Fragen über Information und Wissen gestellt hat. Die erste Frage war: Was bedeutet und bewirkt eigentlich Information? Unter Information versteht man in der Kybernetik jeden Unterschied, der etwas in einem System verändert. Botschaften, Signale oder Daten werden also nur dann zu Information, wenn sie zum Beispiel eine neue Erkenntnis oder Entscheidung bewirken. So ist etwa auch Geld, das den Besitzer wechselt, Information.

Information bewirkt also Veränderung. Aus der Wirkung von Information entsteht eine neue Wirklichkeit. Das Wort «Wirklichkeit» leitet sich nicht zufällig aus dem Begriff «Wirken» ab. Doch wie entsteht Information? Unter Menschen entsteht sie nicht, indem man zu anderen spricht, Vorträge hält, Bücher schreibt oder E-Mails versendet. Sie entsteht nur durch Lernen. Lebende und soziale Systeme sind gegenüber Information verschlossen. Information ist nicht übertragbar, jedes System erzeugt (sprich: lernt) seine Information selbst.

Über das effektive Funktionieren hat man herausgefunden, dass es hier um eine ganz bestimmte Form von Information geht. Diese Form nennt man Feedback. Das ist der wichtigste Begriff aus der Kybernetik, und über ihn grassieren bis heute wahrlich tragische Missverständnisse. In der Kybernetik meint man nicht Rückmeldungen, Anerkennung oder Kritik, sondern als Rückkoppelung organisierte Information, die das Realisieren von Zwecken und Erreichen von Zielen steuert und reguliert. Der Inhalt von Feedback entscheidet darüber, ob Zwecke und Ziele effektiv manifestiert werden oder nicht. Alles funktioniert also durch Feedback. Weil die Bedeutung des Begriffs Feedback vielfach falsch verstanden und verwendet wird, funktioniert vieles nicht so effektiv, wie es könnte.

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Feedback und Zirkularität als zentrale Triebkraft komplexer Systeme

Als hilfreiches Bild, um das Wesen von Feedback deutlich zu machen, können wir uns einen Hund vor einem Spiegel vorstellen. Der Hund steuert, was er im Spiegelbild sieht, und das Spiegelbild steuert gleichzeitig, was der Hund sieht. Das ist zum Beispiel Feedback in der Kybernetik.

Komplexität macht neurotisch und irrational

Was tut man nun mit diesem Feedback? Die Urheber der Kybernetik haben Heuristiken entwickelt, das heisst Erfolgsstrategien für den effektivsten Umgang mit komplexen Systemen. Am Anfang steht die Frage: Was können wir eigentlich wissen? Wir können das wissen, was wir in unsere Köpfe bekommen. Im Umgang mit Komplexität gibt es da aber ein fatales Problem, das uns angeboren ist. Als komplex bewertet man alles, was mehr Information enthält, als das menschliche Gehirn erfassen und verarbeiten kann. Neurologen, Psychiater, Philosophen und Anthropologen, die an der Entwicklung der Kybernetik mitgewirkt haben, haben sich daher früh gefragt, wie der Mensch auf zu hohe Komplexität reagiert. Die Antwort lautet: neurotisch und irrational.

Die Undurchsichtigkeit und Unvorhersagbarkeit komplexer Umstände verursachen Angst und Stress. Dies verhindert das rationale Denken – bis hin zur Verblödung durch das stressbedingte Absterben von Hirnneuronen. Die Irrationalität ergibt sich also nicht nur aus dem Umstand, dass wir nicht wissen können, wie die Realität um uns herum ist und sein wird.


Komplexes überfordert unser Gehirn, also dürfen wir es nicht unnötig mit Komplexität belasten. Das erklärt die nächste Frage der Kybernetik über das Wissen: Was brauchen wir gar nicht zu wissen, und wie finden wir das heraus? Dies führt uns zur Frage nach der Effektivität: Was und wie gut hilft Wissen? Dadurch finden wir heraus, ob bestimmtes Wissen mehr kann, als unseren unruhigen Geist mit einer schnellen und bequemen Antwort zu beruhigen. So suchen auch viel eher nach den besten Theorien.

Von der erlernten Intuition zur Business Excellence

Wir wissen alle: Nichts ist praktischer als eine gute Theorie, welche die Praxis beschreibt, wie sie ist. Sie macht sie dadurch besser vorhersehbar. Damit sind wir bei der letzten kybernetischen Wissensfrage: Was müssen wir unbedingt wissen, um so effektiv wie nur möglich zu sein? Hier beginnt der Teil der Kybernetik, den man als die Wissenschaft von der Praxis bezeichnen kann. Wir können nichts über die Realität wissen, aber wir machen täglich Erfahrungen damit, ob Zwecke erfüllt und Ziele erreicht oder verfehlt werden, wie effektiv etwas funktioniert. Wir machen täglich Erfahrungen mit Erfolgen und Misserfolgen sowie damit, dass sich so mancher Erfolg später als Misserfolg herausstellt und umgekehrt.

Die Hirnforscher in der Kybernetik haben darauf hingewiesen, dass das Gehirn nicht dazu gebaut ist, Details zu erkennen und zu lernen, sondern dazu, schlagartig Muster und Regeln zu erfassen. Dieses schlagartige Erkennen von Mustern und Regeln nennt man auch Intuition. Intuition funktioniert aber nur in Bereichen, in welchen wir viel Erfahrung haben. Gegenüber neuartigen Angelegenheiten versagt sie, weil das Gehirn diese neuen Muster und Regeln noch nicht kennt.

Die Pioniere der Kybernetik hatten die Idee, dass es hilfreich wäre, Muster und Regeln zu kennen, die immer und überall in allen Arten von Systemen vorkommen: in effektiven Systemen, in gestörten Systemen, in instabilen Systemen und auch in kritischen oder zusammenbrechenden Systemen. Hätte man solche Muster und Regeln im Kopf, könnte man sie auch in neuen Situationen schlagartig erkennen. Dann wäre man mit seiner Intuition für alle Fälle bestens gewappnet und könnte die Gefahr durch eine naive Intuition ausschalten.

Die Kybernetikforschung hat solche Muster und Regeln tatsächlich gefunden. Sie geben uns so weit Sicherheit, wie man sich auf Naturgesetze verlassen kann. Die Business Excellence von heute hat die kybernetischen Muster und Regeln so gut gelernt, dass sie in Fleisch und Blut übergegangen sind. Das ist es, was die Excellence von heute auszeichnet. Deshalb setzt ihre kybernetische Mustererkennung schlagartig ein. Deshalb gewinnt sie viel schneller viel mehr relevante Information, kann sie deren Bedeutung viel schneller fassen sowie viel schneller die Konsequenzen ziehen und entscheiden.

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Die kybernetischen Muster und Regeln dienen primär der Selbstprogrammierung des eigenen Gehirns, sekundär der Überprüfung, ob das eigene Wahrnehmen und Denken der Natur der Dinge entspricht.

Muster des Funktionierens und der Effektivität

Die kybernetischen Muster und Regeln beschreiben Sollwerte für höchste Effektivität. Sie sind für Systeme vom Prinzip her das, was die Normwerte für den gesunden Organismus in der Medizin sind. Die Kybernetik beschreibt aber auch Gesetzmässigkeiten, die für Abweichungen von diesen Sollwerten stehen, die zu Ineffektivität, Fehlern, Störungen, Instabilität und Krisen führen. Sie sind mit Symptom- und Krankheitsbildern zu vergleichen, die in der Medizin für Abweichungen von der Gesundheit stehen.

Nun bilden die kybernetischen Gesetzmässigkeiten zusammen ein Ganzes. Dieses Ganze ist die Organisation, die von einer ganz bestimmten Vernetzung von Feedback charakterisiert ist. Man beschreibt sie in der Kybernetik durch Modelle. Die Betonung liegt auf «ganz bestimmte Vernetzung von Feedback». Das wird im Management bis heute so gut wie nicht berücksichtigt. Man hält das Vernetzen an sich für wichtig und produziert dadurch kontraproduktive Komplexität. Nur ganz bestimmte Zusammenhänge führen zu höchster Effektivität. Falsche Vernetzungen sind immer teuer und führen nicht selten in Desaster.

Die Sollwerte der Selbstorganisation

Als entscheidende kybernetische Sollwerte reichen fünf bestimmte Gesetzmässigkeiten, die gleichzeitig erfüllt sein müssen. Sie sagen, wonach man suchen und worauf man sich konzentrieren muss. Damit sagen sie auch, was man ignorieren kann. Sie sagen, wodurch sich Systeme selbst steuern und regulieren, weil man nur dort erfolgreich ansetzen kann.

Wir müssen uns klar darüber sein, dass Leben und fast alles im Leben auf Eigendynamik beruht, auch unsere Wahrnehmung und unser Denken. Das praktische Arbeiten mit angewandter Kybernetik darf man sich daher so vorstellen wie das Arbeiten in der effektiven Medizin, von der Diagnostik bis zur Prognostik, vom Entwickeln der Problemlösung bis zu deren Umsetzung. Darüber hinaus helfen die kybernetischen Grundlagen, hocheffektive Systeme zu entwickeln und zu gestalten.

Damit liegen die wesentlichen Vorteile der Kybernetik auf dem Tisch. Sie hilft immer, überall und allen. Sie gibt mehr Sicherheit, sie entlastet und inspiriert. Sie ist eine gemeinsame Wissensbasis für die erfolgreiche Verständigung zwischen unterschiedlichen Disziplinen und zwischen Menschen, welche die Dinge aus unterschiedlichen Perspektiven und mit unterschiedlichen Interessen wahrnehmen. Wer diese Essenz verinnerlicht hat, wird nicht nur im Berufsleben hocheffektiv sein, sondern auch im Privat- und


Gesellschaftsleben. Die Essenz dieses Wissens – anwendbar selbst in der anspruchsvollsten Managementpraxis – lässt sich gut leserlich auf zwei Doppelseiten einer «FAZ»-Ausgabe abdrucken.

Das grundlegende Phänomen des Funktionierens

Wie kann man nun in die Kybernetik einsteigen, ohne in die geschilderten Fallen zu tappen? Man darf es nicht wie der Hund vor dem Spiegel machen. Wir erinnern uns: Der Hund steuert das Spiegelbild, und das Spiegelbild steuert den Hund. Das ist das grundlegende kybernetische Phänomen allen Funktionierens – das sogenannte Gesetz der Zirkularität. In meiner Metapher vom Hund hat sie folgende Wirklichkeit erzeugt:

Ein Hund namens Lupus gönnte keinem anderen Hund sein Fressen, er litt an Futterneid. Eines Tages kam es dazu, dass ihm jemand Fressen vor eine Spiegelwand stellte. Das wurde Lupus zum Verhängnis. Er kam wie immer zu seinem Futter, doch nun erblickte er im Spiegel einen zweiten Hund, der ebenfalls vor einem vollen Fressnapf stand. Leider zwang ihn sein Futterneid, zuerst seinem Gegenüber das Futter wegzufressen, bevor er sich in Ruhe über seinen eigenen Napf hermachen konnte. Doch jedes Mal, wenn er mit der Schnauze in die Schüssel des anderen fahren wollte, stiess er mit dem Kopf gegen die Spiegelwand. Leider wurden seine Versuche, ans Futter im Spiegel zu kommen, immer heftiger und so kam es, dass er sich dabei seinen Schädel zerbrach.

Weil sie dieses Gesetz der Zirkularität nicht verstanden haben oder akzeptieren konnten, sind durch die Kybernetik schon viel mehr Leute verrückt als erfolgreich geworden – und noch viel mehr haben sich an ihr den Kopf zerbrochen.

Was hätte der Hund tun müssen, um die Futterschüssel seines Gegenübers zu leeren? Er hätte sein eigenes Futter fressen müssen. Die Geschichte zeigt, was unser Hirnproblem mit Realität, Komplexität und Wahrnehmung, mit Feedback und Erkenntnis ist: Was immer wir erkennen, sind wir selbst! Das Gesetz der Zirkularität ist das oberste Prinzip der Kybernetik. Es sagt, dass es keine Wirkung ohne Rückwirkung gibt, wie der Hund im Kampf mit seinem Spiegelbild auf schmerzhafte Art erleben musste. Das Bild und die Geschichte von Lupus zeigen: Auf jedes System wirkt zurück, was es selbst bewirkt hat.

Zirkularität und Egoismus im Einklang

Um das Gesetz der Zirkularität zu beachten, braucht man kein besonders anständiger oder guter Mensch zu sein. Man darf durchaus auch egoistisch sein. Denn gerade als Egoist wird man Gutes bewirken wollen, weil man gute Rückwirkungen erzielen möchte. Um gute Rückwirkungen zu erzielen, wird man sich wiederum mit den Wirkungen auseinandersetzen, die man selbst auslöst und mit denen man selbst Wirklichkeit erzeugt. Spätestens dann wird man sich für das Funktionieren von Systemen und

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damit für die Kybernetik so sehr interessieren, dass man sie mit der nötigen Selbstdisziplin lernt und anwendet. Auch wird man die Verantwortung für Probleme primär bei sich selbst suchen und nicht nur in der Umgebung, weil sie ja immer nur ein Spiegelbild unseres Wissens und Denkens zeigt.

Das Gesetz der Zirkularität nutzt man am besten nach Heinz von Foersters Maxime: «A geht es besser, wenn es B besser geht, weil A und B untrennbar miteinander verbunden sind.» Von Foerster stammt auch das hermeneutische Prinzip der Kommunikation: Der Hörer, nicht der Sprecher – bzw. der Leser, nicht der Autor – bestimmt die Bedeutung einer Aussage. Das gilt insbesondere für die Kybernetik. Man braucht den Dialog mit einem kundigen Lehrer, der das eigene Verständnis so lange korrigiert oder bestätigt, bis man diese Materie professionell beherrscht. Wer das ignoriert, wird sich vergeblich den Kopf zerbrechen, denn er wird nicht erkennen, dass das Gelesene nur das ist, was er selbst versteht.

Der Mensch als Ergebnis von Selbstorganisation

Damit möchte ich auf ein letztes fatales Missverständnis und auf die enorme Chance der Selbstorganisation zurückkommen. Das Korrigieren von Fehlern und Bestätigen von Ergebnissen ist sogenanntes Negatives Feedback. Es muss in Systemen in einem höheren Mass vorkommen als sogenanntes Positives Feedback. Dieses verstärkt nämlich Reaktionen, ohne sie zu korrigieren. So wie der Hund, der immer stärker gegen die Spiegelwand gekracht ist, weil er durch seine Versuche nichts dazugelernt hat.

Durch Positives Feedback entsteht das, was man gemeinhin Teufelskreise nennt. Sie lösen sich nur durch Eskalation auf. Der Begriff des Teufelskreises lässt uns leider die schönste Form des positiven Feedbacks übersehen, die wir kennen: den Orgasmus. Er entsteht durch wechselseitige Reizverstärkung, aus der dank Selbstorganisation Neues und Sinnvolles entsteht: das Leben. Wir alle sind Ergebnisse kybernetischer Selbstorganisation – und können das Beste daraus machen.

Maria Pruckner ist Management-Kybernetikerin. Ihr Wahrnehmen, Denken und ihre Art, Aufgaben und Probleme zu lösen, sind von Heinz von Foerster und Stafford Beer geprägt. Die beiden Pioniere der Kybernetik für das Management haben ihr die Beschreibung ihres Lebenswerks anvertraut. Buch zum Thema Für Entscheider, die nicht in die Falle tappen wollen: Maria Pruckners Praxisleitfaden «Die Komplexitätsfalle» ermöglicht es, komplexe Systeme besser zu verstehen und als Erfolgsfaktor zu nutzen.


Komplexität kann man nicht vermeiden, aber geniessen Patentrezepte und Checklisten sind die falschen Mittel, um der wachsenden Komplexität zu begegnen. Wer Business Excellence nachhaltig erreichen will, braucht Wissen und Können, welches der Realität ökonomischer Systeme auf integrierte Art gerecht wird. Zum Beispiel die St.Galler Managementlehre.

Management-Kybernetik: Leadership in komplexen Umfeldern Wir stehen in schwierigen Zeiten und vor komplexen Herausforderungen. Zugleich wissen wir, dass unsere Systeme und deren Eigendynamik beim Meistern der Hürden eine Hauptrolle spielen. Die Impulstagung der Management School St.Gallen – konzipiert und geleitet von der Management-Kyberneti­kerin Maria Pruckner – befähigt Sie, das System Unternehmen besser zu ver­stehen. Das ist der Weg, um Prinzipien der Selbstorganisation für Ihren Erfolg zu nutzen.

Executive Program

ManagEMEntKybErnEtiK: LEadErshiP in KoMPLExEn UMFELdErn impulstagung mit Maria Pruckner

Management School St.Gallen Better Business

Zürich, 21. Juni 2012 München, 20. September 2012 www.mssg.ch/kybernetik (Spezialpreis für ESPRIX-Teilnehmer)

24 | Management School St.Gallen | www.mssg.ch


«Komplexe Probleme haben simple, sofort verständliche, falsche Lösungen.» In diesem Bonmot der Managementlehre, welches dem amerikanischen Schriftsteller Henry Louis Mencken zugeschrieben wird, steckt sehr viel Wahrheit. So verführerisch einfach die Rezepte auch sind, die uns Managementgurus und Wirtschaftsmagazine anpreisen: Ihre Verführungskraft entsteht durch das Weglassen wesentlicher Zusammenhänge – mit einer fatalen Nebenwirkung: Durch ihre Reduziertheit sind sie von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Die Praxis lehrt uns, Komplexität lässt sich nur mit ausreichend komplexem Wissen und Können bewältigen. Die gute Nachricht: Dieses Wissen und Können existiert mit der Kybernetik, und sie anzuwenden ist ein Genuss. Von dieser faszinierenden Wissenschaft inspiriert, ist in St.Gallen bereits vor Jahrzehnten eine systembasierte Managementlehre entstanden, die unternehmerische Wirklichkeit nicht auf einfache Wenn-dann-Gesetze reduziert. Die Anerkennung, welche die St.Galler Managementlehre weit über die Schweiz hinaus geniesst, ist genau auf diese Systemorientierung (sprich: Realitätsnähe) zurückzuführen.

Institutionen wie die Management School St.Gallen haben sich darauf spezialisiert, die wissenschaftlichen Erkenntnisse gemeinsam in unternehmerische Excellence zu verwandeln. Dieser Weg führt zwar über das Verstehen, die Integration und das Nutzen von Komplexität, er führt aber auch zum Ziel, das zugleich unser Markenversprechen ist: «better business – and a happier life.»

Mac J. Rohrbach ist CEO der Management School St.Gallen. Seine vielfältige Erfahrung basiert auf einer langjährigen Beratungs- und Schulungsaktivität für international tätige Unternehmen und Organisationen unterschiedlicher Grössen und Branchen.


Was tun, um es sicher falsch zu machen?

Im Umgang mit Komplexität bringen herkömmliche Lösungen nicht weiter. Im Gegenteil: Weil sie auf falschen Vorstellungen beruhen, erzeugen sie in komplexen Systemen fatale Resultate. Unser Themenplakat beschreibt 24 typische Fehler aus der Managementpraxis – als Denkanstoss, um sie in Ihrer Organisation und Ihren Projekten zu vermeiden. IMPRESSUM Herausgeber Management School St.Gallen in Kooperation mit der Stiftung ESPRIX Copyright Management School St.Gallen

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Management School St.Gallen St. Leonhardstrasse 7 CH – 9001 St.Gallen Telefon (41) 071 222 51 53 office@mssg.ch  |  www.mssg.ch


Denkpausen

Inspirationen zu Management und Leadership ESPRIX Edition

Management School St.Gallen


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