Wenn die Fahnen wehen, rutscht der Verstand in die Trompete

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Manfred Grund Mitglied des Deutschen Bundestages

Deutscher Bundestag 18. Wahlperiode / 23. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 20. März 2014

Rede des Abgeordneten Manfred Grund in der Aussprache zur Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am 20. / 21. März 2014 in Brüssel Original-Protokoll 18 / 23, S. 1775 ff

Berlin, 21. März 2014

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Manfred Grund, MdB Platz der Republik 1 11011 Berlin Telefon: +49 30 227-78014 Fax: +49 30 227-76374 manfred.grund@bundestag.de

Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt der Kollege Manfred Grund, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Manfred Grund (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Man kann in Deutschland russisches Staatsfernsehen empfangen, und die russischen Staatsmedien sind mit Büros in Deutschland vertreten. Deshalb ist es nicht unbedingt notwendig, Herr Kollege Gysi, dass Sie in jeder Sitzungswoche als Lautsprecher der russischen Staatsmedien auftreten. (Beifall bei der CDU/CSU) Mit der Übernahme der Argumentation dieser Medien begeben Sie sich auf Schmierseife, und zwar mit beiden Füßen. Ich fange mit dem ersten Punkt an. Sie sprechen von der Weiterentwicklung des Völkerrechts und davon, dass aus Rechtsbruch auch Gewohnheitsrecht entstehen kann. Ich möchte ein solches Gewohnheitsrecht nicht haben. 2008 wurden Abchasien und Südossetien aus Georgien herausgerissen. Im März dieses Jahres wurde die Krim herausgerissen. Wer ist als Nächstes dran: Odessa oder Donezk? (Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Eben!) Ich möchte diese Art der Weiterentwicklung des Völkerrechts nicht haben.


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(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Im Jahre 2008 hat Präsident Putin auf einer internationalen Konferenz in Bukarest gesagt: Die Ukraine ist gar kein richtiger Staat. – Das steht in der Tradition der Breschnew-Doktrin der eingeschränkten Souveränität sozialistischer Länder. Eingeschränkte Souveränität bedeutet: Das, was Russland – damals der Sowjetunion – nutzt, wird gemacht. Alle anderen Staaten werden in ihren Grenzen – zumal es ja auch russischer Boden gewesen sein kann – infrage gestellt. – Frau Kollegin Beck hat zu Recht auf Kasachstan hingewiesen. Wir wissen um die Ängste im Baltikum, in Polen oder in Transnistrien, der Republik Moldau. Auch hier träfe eine solche Argumentation zu. Also: Sie begeben sich wirklich auf Schmierseife. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Selbstbestimmung ist immer dann gut, wenn sie Russland nutzt, wie zum Beispiel bei der Abstimmung auf der Krim. Selbstbestimmung der Balten, deren Staaten aus der ehemaligen Sowjetunion hervorgegangen sind und die sich unter den NATOSchutzschirm gestellt haben, weil sie Angst vor einem wiedererstarkenden Russland hatten, wäre nicht möglich; denn – so ist Ihre Argumentation – zwischen Gorbatschow und Kohl ist ja etwas anderes vereinbart worden. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Grund, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gehrcke? Manfred Grund (CDU/CSU): Bitte zum Schluss. Oder er kann dann eine Kurzintervention machen. – Das kann er aushalten. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Zum Schluss. Manfred Grund (CDU/CSU): Die Bundesrepublik Deutschland und die Sowjetunion haben möglicherweise eine Vereinbarung getroffen. Aber die Sowjetunion hat sich verflüchtigt. Übrig geblieben ist nicht Russland als Nachfolgestaat, sondern es sind souveräne Staaten


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wie im Baltikum, die ein Recht auf eine eigene Zukunft haben. Also: Ihre Interpretation des Selbstbestimmungsrechts ist problematisch. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zweitens, die Legitimität der Übergangsregierung. Die Übergangsregierung in Kiew basiert auf einer Vereinbarung, die zwischen Janukowitsch, drei europäischen Außenministern und einem Vertreter Russlands am 21. Februar getroffen wurde. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Da halten die sich doch gar nicht dran!) Am 22. Februar war Janukowitsch weg. Er hatte sich aus dem Staub gemacht und seine Koffer nachweislich schon drei Tage zuvor gepackt. Die Legitimität bezieht sich also auf diese geschlossene Vereinbarung und Art. 111 der geltenden ukrainischen Verfassung. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Da halten sie sich doch gar nicht dran!) Die Übergangsregierung repräsentiert übrigens im Gegensatz zu dem, was hier gelegentlich verbreitet wird, die ukrainische Bevölkerung und auch die Regionen der Ukraine, weil viele Abgeordnete der Partei der Regionen heute im Parlament aufseiten der Regierung sind und damit die politischen Lager, aber auch die Regionen – der Süden und der Osten der Ukraine – im Parlament vertreten sind. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Aber sie sind nicht in der Regierung!) Drittens, zum Vorwurf des Faschismus und des Antisemitismus. Ich will mit dem Vorwurf des Antisemitismus beginnen. Es ist richtig, dass in der jetzigen Regierung mehrere Minister und ein stellvertretender Ministerpräsident mit jüdischen Wurzeln vertreten sind. Es ist weiterhin richtig, dass drei der von der Übergangsregierung neu eingesetzten Gouverneure jüdischer Herkunft sind, unter anderem der Gouverneur von Dnipropetrowsk, Kolomoiyski, der der Leiter der jüdischen Gemeinden in der Ukraine und Vorsitzender des Europäischen Rates der Jüdischen Gemeinden ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


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Zum Vorwurf des Faschismus. Ja, Vertreter von Swoboda und andere Vertreter des Rechten Sektors sind unappetitliche Gesellen. Mit denen wollen wir alle nicht gesehen werden; das ist völlig richtig. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das werden Sie aber!) Aber deswegen ist die ukrainische Regierung nicht faschistisch. (Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Das habe ich nicht gesagt!) Vielmehr unternimmt sie den Versuch, alle Gesellschaftsteile zu repräsentieren. Jetzt will ich eines sagen: Der Faschismusvorwurf wurde und wird immer erhoben, wenn er der Sowjetunion bzw. Russland nutzt. Ich erinnere an den Faschismusvorwurf im Zusammenhang mit dem 17. Juni 1953 in der DDR. „Faschistische Umtriebe“ mussten damals angeblich mit sowjetischen Panzern gestoppt werden. Dieselbe Argumentation lässt sich im Zusammenhang mit den Ereignissen 1956 in Ungarn und der Niederschlagung des Prager Frühlings 1967 finden. Heute verwendet Russland dieselbe Argumentation, um sich die Krim anzueignen und möglicherweise einen Vorwand für den Einmarsch in Odessa oder Charkiw zu haben. Also, Herr Kollege Gysi, gehen Sie weg von dieser verlogenen Argumentation. Sie haben es gar nicht nötig. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das hat er gar nicht gesagt!) Ich will neben der Ukraine auf zwei Länder hinweisen, die dringend unsere Unterstützung brauchen, europäische Unterstützung und Unterstützung aus Deutschland, einmal auf Georgien und zum anderen auf die Republik Moldau. Beide werden im Spätsommer das mit der Europäischen Union ausgehandelte Assoziationsabkommen unterzeichnen. Beide stehen bereits jetzt unter massivem russischen Druck, mit dem das verhindert werden soll. Das heißt, wir müssen uns diesen beiden Ländern viel stärker zuwenden und ihnen nach Möglichkeit eine europäische Perspektive bieten. Zum Abschluss. Unsere Hand ist zur Kooperation ausgestreckt. Wir wollen nicht hoffen, dass Konfrontation die nächsten Jahre bestimmt. Ich will mit einem ukrainischen Sprichwort schließen, das heißt: Wenn die Fahnen wehen, rutscht der Verstand in die Trompete. – Ich hoffe, dass in Moskau der Verstand nicht


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gänzlich in die Trompete gerutscht ist und dass wir zur Normalität und zur Diplomatie zurückkehren können. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) [...] Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Das Wort zu einer Kurzintervention zum Beitrag des Kollegen Grund hat jetzt Wolfgang Gehrcke. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das geht doch nur direkt nachdem jemand gesprochen hat!) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Ich wollte eigentlich eine Zwischenfrage zum Beitrag des Kollegen Grund stellen. Er hat sie leider nicht zugelassen. Deswegen möchte ich eine Kurzintervention vorbringen. Ich verstehe nicht, Kollege Grund, warum Sie das, was Gregor Gysi hier ausgeführt hat, so verzerrt widergespiegelt haben. Ich wiederhole, was unsere Gedanken sind: Gregor Gysi möchte das Argument ausschließen – ich teile das völlig –, dass es ein völkerrechtliches Gewohnheitsrecht gibt. Es wurde das Argument geäußert, dass mit dem Kosovo-Einsatz ein neues Gewohnheitsrecht geschaffen worden ist. Wir wollen nicht, dass ein sogenanntes Gewohnheitsrecht konstruiert wird, das erlaubt, dass in andere Staaten eingegriffen wird. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Rabulistik! Quatsch!) Wir wollen, dass völkerrechtlich festgeschrieben wird, dass Trennungen nur im Rahmen von friedlichen Vereinbarungen zwischen allen Partnern möglich sind. Vielleicht kommt es Ihnen komisch vor, wenn ich frage, ob man nicht gerade die jetzige Situation nutzen muss, um in Europa über Konferenzen, über Arbeitsgruppen, auch über gemeinsame Arbeitsgruppen mit Russland und anderen Staaten, zu einer Erneuerung des Völkerrechts auf der Grundlage der Charta der Vereinten Nationen zu kommen. Das ist dringend notwendig. Wir wollen geschriebenes Völkerrecht, das für alle gleichermaßen gilt und gegen alle gleichermaßen durchgesetzt wird. Das wollen wir erreichen. Das bedeutet, dass man erst einmal selbstkritisch an


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die Dinge herangehen muss. Das war der Anstoß, den Gregor Gysi geben wollte. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ich verstehe nicht, warum man einen so einfachen Gedanken nicht einmal konstruktiv aufnehmen kann. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Ist das jetzt eine Kurzintervention, oder erklären Sie die Rede von Herrn Gysi noch einmal?) Wenn mir noch ein polemischer Satz gestattet ist, und zwar zu Ihrem schönen Bild von dem Verstand, der in die Trompete rutscht: Wenn man mit dem Finger auf andere zeigt, zeigen auch immer Finger auf einen selbst zurück. Schauen Sie einmal in die Trompete hinein, um zu sehen, wessen Verstand Sie dort finden! (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Herr Kollege Grund. Manfred Grund (CDU/CSU): Ich schaue zuerst in die Geschäftsordnung und stelle fest, dass wir nicht nur eine Weiterentwicklung des Völkerrechts haben, sondern auch eine Weiterentwicklung der Geschäftsordnung. Eine Kurzintervention kann sich immer nur auf den Redebeitrag beziehen, der unmittelbar zuvor gehalten worden ist; es darf nicht noch ein anderer Redner dazwischen gewesen sein. Aber wir wollen jetzt darüber hinwegschauen. (Zuruf des Abg. Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Heiterkeit) Herr Kollege Gehrcke, wer die Situation seinerzeit im Kosovo mit der Situation jetzt auf der Krim vergleicht, der vergleicht Äpfel mit Birnen; das ist etwas fundamental anderes. Im Kosovo hat es einen Völkermord gegeben. Der Auftrag der Völkergemeinschaft an die Vereinten Nationen ist, Völkermord zu verhindern und alle Möglichkeiten, alle juristischen und alle diplomatischen Möglichkeiten, zu nutzen, um Völkermord aufzuhalten. (Zurufe von der LINKEN) Srebrenica war schon passiert. Ich nenne auch Vukovar.


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(Michael Brand [CDU/CSU]: Und Russland hat goutiert!) Die Resolution ist immer wieder am Veto Russlands im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gescheitert, (Beifall bei der CDU/CSU) sodass es zur Beendigung des Völkermords keine andere Möglichkeit mehr gegeben hat, als so vorzugehen, wie vorgegangen worden ist. Nun zur Krim. Alle Argumente, die für die Annexion der Krim vorgetragen worden sind – Bedrohung der russischen Minderheit; es sei sogar schon jemand umgekommen; die Sprache dürfe nicht mehr gesprochen werden –, (Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Das habe ich nie gesagt! Was erzählst du überhaupt? – Michael Brand [CDU/CSU]: Der UNGeneralsekretär hat von der dunklen Wolke des Völkermords gesprochen!)

waren aus der Luft gegriffen und hatten überhaupt nichts mit der Wirklichkeit zu tun. Alles das, was man mit der ukrainischen Regierung hätte aushandeln können – Autonomiestatus der Krim etwa –, ist einfach ausgeschlagen worden. Es sind vollendete Tatsachen geschaffen worden. Es ist etwas herausgeschnitten worden. Vollendete Tatsachen! Annexion! Ein Teil eines Landes


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wurde einem anderen Land angegliedert. Das ist mit der Situation im Kosovo seinerzeit überhaupt nicht zu vergleichen. Ich bitte Sie und die Kollegen der Linken, diese Argumentation nicht zu wiederholen, weil sie nicht trägt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. Herr Kollege Grund, der Kollege Gehrcke war von Ihnen so beeindruckt, dass er der irrigen Auffassung war, dass Sie ihm das Wort erteilen dürfen. Das war mir entgangen. Deshalb wollte ich den Fehler korrigieren und habe eine Ausnahme von der Geschäftsordnung gemacht. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Brand [CDU/CSU]: Wir sind ja nicht in Russland! – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deeskalation! Sehr gut! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Gut, dass das hier möglich ist! – Heiterkeit) Ich schließe die Aussprache.


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