Tweets aus der Teppichetage

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VRPRAXIS

Tweets aus der Teppichetage

MEHR ALS NUR EIN SPIELZEUG Der Verwaltungsrat muss also über digitales Know-how verfügen, um seine Firma zukunftsorientiert führen zu können. Bei diesem Punkt driften nun Ansprüche und Realität weit auseinander. In einer informellen Umfrage, welche die Beratungsfirma Competia in einem Boardroom durchführte, gaben nur 5 Prozent der Befragten an, jemals auf einem Social-Media-Kanal aktiv gewesen zu sein. Laut Deloitte erlauben weniger als 20 Prozent aller Unternehmen ihren Board Members, auf Social Media die Aktivitäten der Firma zu kommentieren. 65 Prozent der von Deloitte befragten Personen gaben an, im Jahr vor der Umfrage (2013) sei Social Media in keiner Weise Gegenstand von Strategiebesprechungen innerhalb des Verwaltungsrates gewesen. Weshalb diese Diskrepanz? Zum einen verzeichnen die meisten Verwaltungsräte ein höheres Durchschnittsalter. Digital Na­ tives sind untervertreten, die wenigsten Board Members haben einen digitalen Hintergrund. Hinzu kommt, dass man digitale Tools lange unterschätzte. Facebook, Twitter und Co. wurden von der Teppichetage zunächst als «Spielzeug für Teenager» belächelt, ihr Potential wurde lange verkannt. Und dies ist zum Teil noch immer der Fall, wie ein kurzer Blick auf das oberste Gremium von SBB, Migros, Swisscom und Novartis verrät: Die wenigsten VR-Mitglieder sind digital und sozial aktiv, sei es nun über Facebook, Twitter oder gar über einen eigenen Blog oder eine eigene Website.

DIGITAL BOARD Verwaltungsratsmitglieder, die aktiv auf Social Media twittern, sharen und posten, sind in der Schweiz noch immer Exoten. Dabei birgt die digitale Transformation für Unternehmen eine Fülle an Chancen und Möglichkeiten. Wer sie nicht nutzt, verpasst den Übergang in die digitale Gesellschaft – und damit in die Zukunft. TEXT   M A N U E L P . N A P P O

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erwaltungsräte sind vielbeschäftigte Leute. Nehmen wir Charles L. Sawyers, VR-Mitglied bei Novartis. Sawyers ist Professor für Onkologie und Pathogenese an einem Krebszentrum in New York. Er ist Mitglied der American Academy of Arts and Sciences und wird seit Jahren als Kandidat für einen Nobelpreis in Medizin gehandelt, kurz: Der Mann hat mehr zu tun als die Ethikkommission der FIFA. Stellen wir uns jetzt vor, Sawyers unterhielte einen Twitter-Account, von dem aus er über seinen beruflichen Alltag zwitschern würde. Das klänge dann vielleicht so: «Ready for another day fighting against [Krebsschleifen-Emoji]. We can heal it! [Bizeps-Emoji] #MakeAnImpact». Oder auch: «It’s board meeting time! Got any questions about Novartis? Tweet me @ #askcharles [Brillen-Emoji] [Daumen-HochEmoji]». Eine merkwürdige Vorstellung. Muss das sein? Reicht es nicht, wenn sich Verwaltungsräte auf ihre Kernaufgabe konzentrieren – auf die strategische Ausrichtung ihrer Firma? Ja und Nein. Natürlich hat die Hauptaufgabe von Verwaltungsräten – die Aufsicht und Gestaltung einer AG – bei ihren täglichen Aktivitäten und Überlegungen absolute Priorität. Allerdings sind diese Arbeitsbereiche bereits heute digital durchdrungen, ob wir dies nun bewusst wahrnehmen oder nicht. Und die Veränderungen, welche die digitale Transformation für Firmen mit sich bringt, sind äusserst vielfältig. 58

UnternehmerZeitung | Nr. 1/2 2016

EINE STIMME UNTER VIELEN Besonders stark wirkt sich die digitale Transformation in der Kommunikationsstrategie eines Unternehmens aus. Information und Reputation der eigenen Firma können im digitalen Zeitalter nicht mehr kontrolliert werden, da sie über diverse Internet-Plattformen dispers verhandelt werden. Zwar kann das Unternehmen über eigene Kanäle wie z. B. einen Twitter-Account in die Diskussion eingreifen und mitmischen, allerdings ist man da nur noch eine Stimme unter vielen. Die Machtdynamik hat sich stark zugunsten der (digitalen) Öffentlichkeit verschoben. Diese neue Diskussions- und Informa­ tionskultur hat aber auch Vorteile für Unternehmen. Nutzt man geschickt verschiedene Kanäle, kann man Nähe und Vertrauen zu Kundinnen, Lieferanten oder Mitarbeitenden aufbauen und deren Loyalität gewinnen. Dies kann einer Marke Aufmerksamkeit und Gratiswerbung verschaffen; die Social-Media-User werden zu Verbündeten, welche bei einer brenzligen Diskussion auch einmal Partei für das Unternehmen ergreifen. Zwar tummeln sich auf Social Media noch vorwiegend jüngere Semester, doch das sind die Aktionäre von morgen. DO IT YOURSELF! Heute hat jede grössere Firma eine Kommunikationsabteilung, die sich mit diesen Themen auseinandersetzt. Trotzdem sollte auch die Chefetage bei den digitalen Veränderungen mitziehen, denn ihre Partizipa-

Foto: zVg

tion stellt Glaubwürdigkeit her. Gegen eine fir­ meneigene Facebook-Seite oder einen Twit­ter-Account ist nichts einzuwenden. Aber die Internetnutzer sind nicht blöd: Sie wissen, dass diese Posts meist eine firmeninterne Zensur durchlaufen und/oder von PR-Fachleuten verfasst werden. Kommen die Informationen allerdings von einer Einzelperson, die mit Namen für das Geschriebene bürgt, stellt dies Transparenz her und erhöht die Glaubwürdigkeit der jeweiligen Firma. Ist eine Verwaltungsrätin selbst auf den Kanälen der sozialen Medien präsent, kann sie auch schneller auf dort geäusserte Kritik reagieren, welche das Image des Unternehmens beeinträchtigen könnte. Ausserdem ist der Cyberspace ein Umschlagplatz für neue Produktideen und Ins-

pirationen. Das Wissen der digitalen Crowd kann man sich auch als Verwaltungsrat zunutze machen. Als strategisches Organ sollte die Chefetage so beim Prozess des «Going Digital» ihrer Firma mit gutem Beispiel vorangehen und eigene Fähigkeiten und Erfahrungen in diesem Bereich aufbauen. Nur dann kann man den CEO bei seiner Vision der digitalen Zukunft auch entsprechend beraten. Idealerweise wird der Social-Media-Kanal für die jeweilige Einzelperson zu einem Tool des Personal Branding mit dem Ziel, das Vertrauen der Internetnutzer zu gewinnen und zum Botschafter der Firma zu werden. Ein gutes Beispiel ist Richard Branson, Gründer der Virgin-Group: Mit über 6 Millionen Followers auf Twitter ist er zum regelrechten Social-Media-Star avanciert.

ZWEI WEGE ZUM ERFOLG Wie also bringt man digitales Know-how in einen Verwaltungsrat? Dazu gibt es zwei Möglichkeiten. Eine Möglichkeit besteht darin, sich digitales Know-how anzueignen: VR-Mitglieder können sich digital weiterbilden und sich so einen Wissensstand aufbauen, mit dem sie in der digitalen Welt navigieren und mitreden können. Allerdings sind solche Weiterbildungsangebote für «Digital Immigrants» noch relativ selten. Die HWZ geht mit ihrem «Executive Academy»-Programm mit gutem Beispiel voran. Es braucht mehr solcher An­ gebote, wenn dieser Weiterbildungsweg Schu­le machen soll. Einzelne Fälle beweisen, dass diese Strategie funktionieren kann: Max Alter, VR-Mitglied der Migros, betreibt beispielsweise ein aktives LinkedIn-Profil mit über 500 Business-Kontakten. Es lohnt

sich also durchaus, etwas Zeit in diese Tools zu investieren. Die zweite Möglichkeit ist es, digitales Know-how beizuziehen. Gute Führungskräfte wissen auch, was sie nicht wissen. Wer selbst nicht savvy in digitalen Fragen ist, braucht Expertise von aussen, braucht Digital Leaders – Personen, welche sich gekonnt im unsicheren Umfeld der digitalen Transformation bewegen. Digital Leaders haben digitales Talent, sprich: Sie wissen, wie sie mit den Möglichkeiten, die uns das Web 2.0 bietet, umgehen müssen und wie sie sich dessen Features optimal zunutze machen. Kein Wunder, ist der Studiengang «Digital Leadership» an der HWZ regelmässig ausgebucht: Digital begabte Arbeitskräfte sind gefragter denn je. Und nach Hilfe in digitalen Belangen zu fragen, ist keine Schande: Selbst Barack Obama lud schon eine Handvoll YouTube-Stars – alle gut zwanzig Jahre jünger als er – ins Weisse Haus ein, um sich erklären zu lassen, wie man die Video-Plattform für die Mobilisierung junger Wählerinnen und Wähler nutzen könnte. NO RISK, NO FUN! Welche Strategie man auch wählt: Das Projekt «Verwaltungsrat goes digital» ist auch immer mit Risiken verbunden. Es wird befürchtet, dass die Ausweitung der digitalen Aktivitäten den Verlust der Kontrolle über die Firmenkommunikation nach sich zieht. Allerdings geht es heute gar nicht mehr ohne Risiko: Wer nicht auf Social Media präsent ist, geht umgekehrt das Risiko ein, nicht gehört zu werden. Mein Tipp lautet: Lernen Sie die neue digitale Sprache! Denn, wie Angela Ahrendts, Senior Vice President der Apple Stores, es ausdrückte: «I grew up in a physical world, and I speak English. The next generation is growing up in a digital world, and they speak social.»

DER AUTOR Manuel P. Nappo ist Leiter des Center for Digital Business an der HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich. Er berät Schweizer KMU sowie Entscheidungsträger in Wirtschaft und Gesellschaft zu Themen rund um die digitale Transformation.

Nr. 1/2 2016 | UnternehmerZeitung

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