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l   der landbote   l   SAMSTAG, 10. APRIL 2010

«Die Bierkurve ist das Beste an der Stadt» Der Brite Jono Brown ist über verschlungene Wege nach ­Winterthur gekommen. Hier hat er erst Karriere in einer ­Baumaschinenfirma gemacht, bevor er Künstler wurde. Das Untertor ist für ihn ein Symbol der grossen Welt. «Ich bin ein Rebell», sagt der Künstler Jono Brown von sich selber – so er denn überhaupt über sich selber redet, und wenn, dann nur zögerlich. Er sei es nicht gewohnt, sich über sein Leben zu verbreiten, begründet er seine Zurückhaltung. Bevor er etwas sagt, blickt er aus dem Fenster seines Ateliers, hinab auf das belebte Untertor, wo Menschen mit Einkaufstüten beladen durch die Gasse eilen. Brown wägt die Worte ab, legt Wert auf Genauigkeit. Rebell wofür – oder wogegen? «Gegen einen vorgespurten Lebensweg, gegen Ge­plan­tes und Vorhersehbares», legt er nach, «auch gegen mich selber.» Vielleicht liege das an seiner Herkunft, überlegt der gebürtige Brite aus Nottingham. «Ja, genau, da liegt der Sherwood Forest, da lebte Robin Hood», schmunzelt er. Robin Hood, der Rebell gegen eine wie auch immer geartete Autorität und Obrigkeit. Ge­plant war, dass Brown nach dem Schulabschluss die Kunstakademie hätte besuchen sollen. Er hatte in der Gymnasial­zeit Kunst belegt, denn

Aussensicht und  blick nach innen In Winterthur leben und arbeiten Kunstschaffende aus aller Herren Länder. Sie sind auf abenteuerlichen, verschlungenen oder ganz direkten Wegen (und machmal­ auch einfach wegen der Liebe) hierhergekommen. Wir stellen in dieser Serie Künstler vor, die zwar von ihrer Herkunft geprägt sind, die ihr Leben und ihr Schaffen aber mit dieser Stadt verbunden haben. Was sie aus ihrer Heimat mitbringen, bereichert das Leben dieser Stadt. Die Auswahl der ersten sechs Künstler geht von einer Ausstellung unter dem Titel «Outside Inside» aus, die im Januar 2010 auf In­itia­ti­ve von Michelle Bird im Alten Stadthaus Winterthur stattgefunden hat (Künstler auf: www.outside-inside.ch). Weitere Interessenten für ein Porträt sind willkommen, Hinweise aus der Leserschaft auf Kunstschaffende ebenfalls auf: cpeege@landbote.ch. (cp)

kers oder Hodlers, Künstler, von denen ich vor meiner Ankunft in Winterthur nie gehört hatte». Die Latte liegt hoch, wendet man ein. «Sicher, aber ich werde nur glücklich sterben, wenn ich wenigstens versucht habe, sie zu überspringen», entgegnet er. Winterthur sei heute ein lebendiger Ort, er liebe die Museen – aber auch «die Bierkurve auf der Schützenwiese, sie ist das Beste an dieser Stadt, da trifft man einzigartige und herzliche Menschen, aus dem linken und rechten politischen Spektrum».

ein Vorfahre von ihm malte bereits – er zeigt auf idyllische englische Landschaftsbilder, die an den Wänden seines Ateliers aufgehängt sind.

Eine Tellerwäscherkarriere Doch stimmte die Chemie zwischen ihm und seiner Kunstlehrerin nicht. Sie kritisierte seine Übungen aus nichtigem Grund, wie er fand. Brown warf Bettel bzw. Zeichenstift hin. «Ich wollte die Welt se­hen», begründet er seinen damaligen Entschluss, England zu verlassen und auf Weltreise zu gehen.

Vegetarier und Radler

OUTSIDEINSIDE In­ter­na­tio­na­le kunst

Wie Kunstschaffende aus aller Welt  Winterthur se­hen und beleben

Um sich zu finanzieren, mischte der junge Mann nun statt Farben auf dem Papier Beton auf dem Bau oder ar­bei­ te­te als Buchhalter. Sein Weg führte ihn über Deutschland, die USA, Südostasien und Australien. Er blieb sechs Jahre in Sydney und machte so etwas wie eine Tellerwäscherkarriere. «Ich landete mit zehn Dollar in der Tasche in Australien», erinnert er sich. Er kellnert, kocht, wird Chefkoch, steigt in die Musikindustrie um, macht da Marketing, gründet eine Grafik­ firma. Immer in der Gewissheit, dass dies nicht sein Leben sein würde. «Ich habe ein anderes Schicksal», das wusste er. Ebendies Schicksal war, dass er in Sydney eine Sprachstudentin aus Zürich traf, «die schönste Frau der Welt», wie er sie schlicht bezeichnet. Gute Güte, nein, keine Liebe auf den ersten Blick, erst als sie wieder abgereist und Tausende von Kilometern von ihm weg war, rea­li­sier­te er, was sie für ihn bedeutete. Die beiden telefonieren und schreiben sich rund um den Erdball. Ein halbes Jahr nach ihrer Abreise bricht Brown in Australien alle Brücken hinter sich ab und reist in die Schweiz. Es ist das Jahr 1988. Er bildet sich zum Englischleher weiter, unterrichtet in Zürich. 1990 zieht er nach Winterthur, 1992 heiratet er «die schönste Frau der Welt», wird Vater von zwei Kindern. Er kann bei seinem Schwie-

Jono Brown in seinem Atelier. Seine Bilder sind für die Betrachter sanfte, aber dennoch tief gehende Denkanstösse. Bild: Marc Dahinden

gervater einsteigen, der in Oberwinterthur eine Firma für Betonspritzmaschinen für den Tunnelbau führt. «Eine kleine, dynamische Firma, das gefiel mir gut», sagt er. Zwanzig Jahre lang arbeitet er im Bereich Verkauf/Marketing der Firma – wie schon in Sydney –, immer mit dem Gefühl: «Das war noch nicht alles.» Brown belegt neben seiner Berufstätigkeit wieder Kunstunterricht. Er zeichnet wieder, eignet sich die Technik der Ölmalerei an, setzt sich mit Tiefdrucktechniken intensiv auseinander. «Ich bin Perfektionist», sagt er von sich selber. «Nur wenn ich die

Techniken beherrsche, kann ich eine Botschaft gezielt zum Betrachter bringen.» Vor fünf Jahren reduzierte er sein Berufspensum, vergangenes Jahr im September wagte er den Sprung ins Dasein als Künstler. Ohne seine Frau, die heute den Tearoom führt, wäre das al­ler­dings kaum möglich gewesen.

Die Latte hoch gelegt «Die unglaublichen Kunstschätze Winterthurs waren mir Inspiration, Künstler zu werden», sagt er heute. Die Vallottons oder van Goghs in der Villa Flora. Oder dann «stand ich voller Ehrfurcht vor den Bildern An-

Zwei Liebende, die wissen, was sie wollen 14 Jahre lang hat das Puppenspieler-Duo das Märchen «Mirko» gespielt. Eine nicht ganz zufällige Wahl.

ihren Mann und lächelt. Eine weitere Parallele zu ihrem Leben: Als die gut verdienende Lehrerin vor 35 Jahren einen Puppenspieler geheiratet hat, habe es Widerstand der Eltern gegeben – wie bei der Heirat der Prinzessin mit dem borstigen Mirko. «Das Thema des Märchens ist uns persönlich nahe, vielleicht hat es uns deshalb damals richtiggehend angesprungen.»

Ein wilder Tanz zu ost­eu­ro­päi­scher Akkordeonmusik: Der Prinz und die Prinzessin schwingen die Beine wie bei einem rumänischen Volksfest. Zeitweilig werden sie von den beiden Puppenspielern an den Händchen gefasst und drehen sich mit ihnen. Wir sind im «Theater im Waaghaus», wo Ursula und Hanspeter Bleisch-Imhof mit dem rumänischen Märchen «Mirko, das Borstenkind» gastieren.

Mehr Zeit und Freiheit

Ein vielschichtiges Märchen Mirko ist ein Königssohn, der in ein Schweinchen verwandelt wurde. Von einem Ehepaar, das im Wald wohnt, wird es liebevoll aufgenommen und grossgezogen. Mirko will die Prinzessin heiraten und muss dafür drei Aufgaben bestehen. Nach der Heirat legt Mirko nachts das Borstenkleid ab, aber tagsüber zieht er in Gestalt eines Schweins mit der Herde mit. Die Königin verbrennt das Borstenkleid, was Mirkos endgültige Erlösung verhindert. Er wird ans Ende der Welt verbannt. Die Prinzessin reist zum Wind, zur Sonne, zum Mond und zu den Sternen ans Ende der Welt, um ihn zu erlösen.

Ursula und Hanspeter Bleisch mit der Prinzessin Mirka und dem Prinzen Mirko. Bild: pd

Das vielschichtige Erlösungsmärchen verbindet Elemente der persönlichen Entwicklung mit einer Liebesund Leidensgeschichte, in der beide – der Prinz und die Prinzessin – sich für den anderen einsetzen müssen. Es spielt einerseits in der Lebenswelt der Menschen, andererseits in entrückten und mythischen Welten der Gestirne und dem Ende der Welt. In der bleischschen Fassung ist es als offenes Spiel inszeniert, Schauspieler und Figuren sind auf der Bühne gleichwertig vertreten. Die Ausdrucksmöglichkeiten sind dadurch vielfältig: Das

Äussere der Figuren, deren Bewegung und die Präsenz der Schauspieler.

Parallelen zum eigenen Leben Das Henggarter Puppenspiel-Duo spielt das Märchen nun schon seit 14 Jahren. Doch die­se Aufführungen werden für Ursula Bleisch die letzten sein. Sie hat sich entschieden, das Figurenspiel aufzugeben. «Ich habe den Mirko bewusst für die letzten Vorstellungen gewählt.» Sie habe dieses Märchen sehr gerne. «Mich fasziniert es, dass die beiden Liebenden ganz genau wissen, was sie wollen», sie schaut auf

Nun will sich Ursula Bleisch stärker um andere krea­ti­ve Tätigkeiten kümmern. Sie suche mehr Zeit und Freiheit für ihre Malerei und für die Regiearbeit in einem Thea­terprojekt. Vor allem die Tourneen mit dem Figurentheater seien sehr anstrengend gewesen. «Aber es war eine schöne und wilde Zeit.» Immer unterwegs, immer wieder Neues. Im Wissen, dass es sich um ihr letztes Stück als Spielerin handelt, wolle sie die letzten paar Vorstellungen noch «bewusst geniessen.» Sie hält unvermittelt inne, wendet sich ihrem Mann zu und meint: «Du, den Schlusstanz müssen wir unbedingt nochmals anschauen, da bist du mir mit dem Prinzen plötzlich zu schnell geworden.» l MARKUS BÄRTSCHI Marionettentheater im Waaghaus Letzte Vorstellungen: Samstag, 10. April,   20.15 Uhr; Sonntag, 11. April, 17.00 Uhr.

Die hin und her eilenden Leute von Winterthur sorgen für einen ununterbrochenen, leisen Geräuschpegel unter seinem geöffneten Fenster. Das Untertor ist ihm so etwas wie eine Inspirationsquelle geworden. Es sind die kleinen Dinge, die das Untertor liebenswürdig machen, ins Gespräch vertiefte Leute, andere, die mit einer Hand am Ohr durch die Gasse eilen, der letzte Schrei punkto Schuhmode, alles, was ihm ins Auge fällt. Aber, so betont er, das Leben, so wie es gerade jetzt auf der Gasse pulsiere, sei nicht immer so gewesen – und werde nicht ewig so bleiben. Das wolle er künftig mit seiner Kunst verdeutlichen. «I am a cycling veggie», lacht er, ein radelnder Vegetarier. Er wolle das Bewusstsein dafür schärfen, dass die Menschheit achtsamer mit ihren Ressourcen umgehen müsse. Das Untertor, wo in Läden von in­ter­na­tio­na­len Ketten hemmungslos konsumiert werde, sei für ihn Symbol und auch Inbegriff des Problems. Hier schubsten sich Konsumenten unersättlich von Geschäft zu Geschäft, mit bereits übervollen Einkaufstüten. Doch wolle er nicht mit plakativer Kunst den Betrachter an solche Themen heranführen, seine Bilder würden eher Fragen aufwerfen, den Blick auf das Leben und den Zugang zu ihm verändern, das Problembewusstsein schärfen. Zum Beispiel dafür, dass wir uns wieder als Teil eines Ganzen und nicht als isolierte Einzelkämpfer begreifen sollten. Manch­mal kann er kaum glauben, dass er an seinem Bestimmungsort angelangt ist. Ist das Winterthur?, fragt er sich – rhetorisch. «Wer hätte das gedacht?» l CHRISTINA PEEGE www.jono.ch

Vögel, Galaxien, Lichtquanten Die Musik von Olivier Messiaen (1908–1992) ist katholisch im besten Sinn: Genährt von der zeichenhaften Anschaulichkeit der Sprache des Glaubens, ist sie geistlich und sinnlich zugleich. Mittels seiner symmetrischen Tonleitern schuf sich dieser eigenwillige Komponist, der unter anderem ­Pierre Boulez, Karlheinz Stockhausen und Iannis Xenakis zu seinen Schülern zählte, einen unverkennbaren Stil. Als Meditationen angelegt ist das 1944 uraufgeführte Werk «Vingt regards sur l’Enfant Jésus» für Klavier. Neben mystischen Schriften und Texten aus den Evangelien und der Liturgie inspirierten ihn dazu laut eigenen Angaben «Gesänge der Vögel, Glocken, Spiralen, Stalaktiten, Galaxien, Lichtquanten». Betrachtet werden das Jesuskind in der Krippe und die Blicke, die auf es gerichtet sind, vom Blick des Vaters über den Blick der Jungfrau bis zum Blick der Stille. Interpretiert wird das Werk vom 1982 geborenen Pianisten Martin Helmchen, der bisher mit Aufnahmen zu Mozart und zu romantischen Komponisten hervorgetreten ist. Lob erhielt er etwa von der «Neuen Zürcher Zeitung», die urteilte, Helmchen verbinde «Ernsthaftigkeit und Leichtigkeit auf glückliche Weise». (dwo) Martin Helmchen spielt Messiaen Heute, 17 Uhr, Stadthaus Winterthur.


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